ARBEITEN UND MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPUACHE
Winterscheid: Triadisch-pädiatrische Kommunikation in der Kinderarztpraxis
TRIADISCH-PÄDIATRISCHE KOMMUNIKATION IN DER KINDERARZTPRAXIS
IN S T IT U T F Ü R
D E U T S C H E S P R A C H E
ARBEITEN UNO MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE BAND 53
ARBEITEN UND MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE
Jenny Winterseheid
..
TRIADISCH-PADIATRISCHE KOMMUNIKATION
IN DER KINDERARZTPRAXIS
(D INSTITUT FÜR
DEUTSCHE SPRACHE
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Zugleich Dissertation der Universität Mannheim.
ARBEITEN UND MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE
Herausgegeben vom Institut für Deutsche Sprache
Band 53
ISBN: 978-3-937241-59-3 · ISSN: 2196-4157
Redaktion: Melanie Steinle Satz: Norbert Volz
@ 2018 Institut für Deutsche Sprache
R 5, 6-13
68161 Mannheim www.ids-mannheim.de
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Herstellung und Vertrieb im Eigenverlag.
DANK!
An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy, für die Betreuung während der gesamten Promotion und bei Prof. Dr. Angelika Storrer für die kurzfristige Übernahme des Zweitgut achtens bedanken sowie bei einigen Kolleginnen und Kollegen der Univer sität Mannheim und des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim für ihre wertvollen Anregungen und motivierenden Worte, ganz besonders aber bei Dr. Wilfried Schütte, Prof. Dr. Arnulf Deppermann-Martini, Dr. Reinhold Schmitt, Dr. Ralf Knöbl, Dr. Nadine Proske, Dr. Axel Schmidt, Jürgen Immerz und Melanie Steinle.
Mein außerordentlicher Dank gebührt überdies den Ärztinnen und Ärzten, den Praxisteams sowie den Patienten und Patientinnen und ihren Eltern, für ihre Bereitschaft, mein Dissertationsprojekt zu unterstützen!!
Außerdem danke ich meinen wundervollen Freunden, die mir zu jeder Zeit ein offenes Ohr geliehen und es mir nie übelgenommen haben, wenn ich mich mal wieder in meine Bücher vergraben oder mich mit meinem Laptop verab redet hatte, meinen Eltern und Schwiegereltern, durch die dieses Unterneh men die größtmögliche Unterstützung erfahren hat, die man sich nur vorstel len kann, sowie meinem Bruder für die tiefsinnigen Gespräche und seinen geschwisterlichen Beistand.
Aber am meisten bedanke ich mich bei meinem Ehemann und besten Freund, Dennis Winterseheid, und unserem großartigen Sohn! Beide haben mich auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützt und gleichzeitig immer wieder daran erinnert, was das Wichtigste im Leben ist!
INHALT
Quantitative Untersuchung des Analysekorpus 33
Exkurs: Korrelation zwischen der Redebeteiligung und dem Alter
Handlungsschema der triadisch-pädiatrischen Kommunikation 81
Vergleich zweier Interaktionen mit einer divergierenden Patientenbeteiligung 87
Interaktion mit einer relativ niedrigen Redebeteiligung seitens
der Patientin 90
Interaktion mit einer relativ hohen Redebeteiligung seitens
der Patientin 98
Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen 109
Initiativen der Eltern bezüglich Untersuchung, Diagnose
und Therapieplanung 165
Subjektive Krankheitstheorien 165
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 167
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive
Krankheitstheorien 182
Subjektive Ausschlusstheorien 201
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 201
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive
Ausschlusstheorien 203
Subjektive Untersuchungsvorschläge 206
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 207
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Untersuchungsvorschläge 208
Subjektive Therapievorschläge 213
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 213
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive
Therapievorschläge 218
Anhang I: Übersicht Analysekorpus 247
Anhang II: Verwendete Transkriptionszeichen 248
EINLEITUNG UND LITERATURÜBERBLICK
Diese Arbeit befasst sich mit der triadisch-pädiatrischen Interaktion in der allgemeinen Kinderarztpraxis, da es zu diesem Interaktionstyp bisher kaum Studien gibt und es sich schon allein wegen der besonderen Beteiligungs struktur, die diesen Interaktionen inhärent ist, um ein sehr spannendes For schungsgebiet handelt.
Pädiatrische Gespräche weisen gegenüber anderen ärztlichen Gesprächen mit Patienten einige Besonderheiten auf, die spezifische Gesprächsaufgaben in spe zifischen Beteiligungskonstellationen und mit spezifischen Bedingungen er zeugen. (Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.)
In Mehrparteiengesprächen müssen die Gesp rächsbeteiligten 1 den anderen Gesprächsbeteiligten generell jeweils explizit anzeigen, wer auf Fragen ant worten oder bestimmte Aufgaben übernehmen soll. Durch die klassische tria dische Gesprächssituation bei Arzt-Patient-Gesprächen in der Kinderarztpra xis liegen jeweils unterschiedliche Rollen, aber auch unterschiedliches Erfahrungs- und Krankheitswissen vor. Damit sieht sich jeder Gesprächsbe teiligte im Sprechstundengespräch bei seinem 11 Äußeru ngsentw urf" mit der Herausforderung konfrontiert, 11 dass verschiedene (potentielle) Empfänger über unterschiedliches Wissen verfügen, das auch auf unterschiedliche Weise von de[m] Produzent[en] geteilt wird" (Hitzler 2013, S. 113).
Zunächst erfolgt ein Literaturüberblick (Kap. 1) über Studien zur medizi nischen wie zur pädiatrischen Kommunikation, in welchem bereits auf die strukturellen Besonderheiten der Kommunikationssituation in einem Arzt Patient-Gespräch beim Kinderarzt eingegangen und Unterschiede zu an deren Interaktionstypen herausgestellt werden (vgl. auch Winterseheid 2015a). Anschließend wird kurz auf die methodische Herangehensweise (Kap. 2) sowie auf die Daten (Kap. 3), die die Grundlage dieser Arbeit darstellen, eingegangen.
Die Untersuchung beginnt mit einer quantitativen Analyse (Kap. 4) der bei den Kinderärzten in der rheinfränkischen und alemannischen Sprachregi on erhobenen Daten, um diese Ergebnisse mit den Ergebnissen anderer Studi en vergleichen zu können, in denen ebenfalls quantitative Analysen unter nommen wurden, auch wenn quantiative Analysen eigentlich nicht im Rahmen einer konversationsanalytischen Arbeit durchgeführt werden. Eine quantitative Auswertung zwingt sich aber auch deswegen auf, da etwa die Gesprächsbeteiligung der drei Parteien in den triadisch-pädiatrischen Sprech stundengesprächen stark differiert und sich gerade die Patienten an den In-
1 In dieser Arbeit wird - außer wenn auf einzelne Fälle Bezug genommen wird - zwecks besserer Lesbarkeit für die Gesprächsbeteiligten das generische Maskulinum verwendet, das aber für beide Geschlechter gelten soll.
1O Einleitung und Literaturüberblick
teraktionen deutlich weniger verbal beteiligen als die anderen Gesprächsbe teiligten. In diesem Kapitel sollen die Gesprächsbeteiligung auch in Bezug auf einzelne Phasen näher betrachtet und erste Erkenntisse bezüglich des Interak tionstyps festgehalten werden. Des Weiteren wird anhand einer Einzelfall analyse (Kap. 5) eine Interaktion in Gänze betrachtet. Die Einzellfallanalyse soll den Interaktionstyp greifbar machen und verschiedene elementare As pekte, die in den folgenden Kapiteln näher beleuchtet werden, hervorheben. In diesem Kapitel werden die Gesprächsorganisation und die Bearbeitung der Handlungsaufgaben im Fokus stehen, aber auch wesentliche Eigenschaf ten dieser besonderen Interaktion, bestimmte Prozesse, die typisch für einzel ne Handlungsschemakomponenten sind oder sich auch durch das gesamte Gespräch ziehen, wie etwa das Problem der Adressierung und die Initiativen der Eltern. Aufgrund der Erkenntnisse dieser Einzelfallanalyse wird eine Va riation des Handlungsschemas (Kap. 6) p räsentiert. 2 Einflussreiche Faktoren für die Beteiligung der Patienten werden durch eine Gegenüberstellung von zwei Extrembeispielen (Kap. 7) verdeutlicht. Aufgrund der Erkenntnisse die ser Analysen werden in den Kapiteln 8 und 9 verschiedene Phänomene be leuchtet, die nicht nur Auswirkung auf die Dauer der Interaktionen und die Beteiligung der Patienten haben, sondern typisch für den Interaktionstyp triadisch-pädiatrischer Erstkonsultationen sind.3 Diese Phänomene - Augen merk liegt besonders auf der Adressierung (Kap. 8) sowie den Initiativen der Eltern (Kap. 9) - werden jeweils mittels einer systematischen Analyse im ge samten Analysekorpus untersucht. Exemplarisch werden dann in den nächs ten beiden Kapiteln die Phänomene anhand von Fallbeispielen exemplifiziert und Regelhaftes für diese Interaktionsmerkmale abgeleitet. Da die erhobenen Daten eine Fülle an Phänomenen beinhalten, die man untersuchen könnte, wird - neben einem Resümee der Erkenntnisse der Arbeit - in einem abschlie ßenden Kapitel (Kap. 10) auf verschiedene Fragestellungen eingegangen, die man ebenfalls anhand der erhobenen Daten oder anderen pädiatrischen Daten eingehender erforschen könnte.
Medizinische Kommunikation
,,'Medizinische Kommunikation' durchdringt alle Bereiche des medizini schen Handelns in vielfältigen Formen" (Nowak/Spranz-Fogasy 2008, S. 80). Da aber die medizinische Kommunikation so mannigfaltig ist, findet in den Studien jeweils eine Fokussierung auf einen bestimmten Interaktionstyp - wie Anamnesegespräche, Visitengespräche, Schichtübergaben etc. - an sich,
2 Eine grobe Darstellung des Handlungsschemas findet man auch in Spranz-Fogasy/ Winterseheid (2013).
3 Michael Schmidt und Michaela Wagner-Menghin schlagen - analog zur Beschreibung in der EVA-Abrechnung- den Begriff „Erstkonsultation" vor, der im Rahmen dieser Arbeit verwendet wird. Vielen Dank für den konstruktiven Austausch!
bestimmte Handlungsaufgaben der einzelnen Gesprächsbeteiligten, aber auch nur einzelne Strukturen statt:
Der Bereich der medizinischen Kommunikation ist nur schwerlich als homoge nes Feld zu fassen, denn die unter diesem Oberbegriff gesammelten Gesprächs typen unterscheiden sich z. T. massiv im Hinblick auf den Ort des Geschehens, den Krankheitstyp, die Patientengruppe und das Handlungsziel. Gesprächsor te sind z. B. Kliniken oder Arztpraxen; die Krankheitstypen können von einer einfachen Erkältung bis hin zu schweren chronischen Erkrankungen reichen und mögliche gesondert zu betrachtende Patientengruppen sind z. B. nicht deutschsprachige Patienten, ganz alte oder ganz junge Patienten. Das ge sprächskonstitutionierende Handlungsziel hängt eng mit der Typisierung des Gesprächs zusammen: Anamnese-, Aufklärungs- oder Visitengespräche z. B. werden durch jeweils andere Zielsetzungen bestimmt. Jeder dieser Punkte kann dabei im Fokus einer linguistischen Untersuchung stehen. (Overlach 2008, S. 171f.)
Daneben gibt es auch medizinische Interaktionen, in denen nicht mit den Pa tienten, sondern über den Patienten gesprochen wird, 11 Mitglieder unter schiedlicher Gesundheitsberufe" (Busch/Spranz-Fogasy 2014, S. 335) beteiligt sind, die vermittelt und nicht face-to-face oder schriftlich stattfinden. Deswe gen überrascht es nicht, dass die neuste Version der 11 Bibliografie zur Medi zinischen Kommunikation" seit Anfang 2014 nun bereits 5.220 Einträge umfasst. 4
Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei jedoch die Arzt-Patient-Kom munikation ein, die 11 [i]m Zentrum früherer wie heutiger medizinischer Kommunikation [...] steht" (Busch/Spranz-Fogasy 2014, S. 339). Haferlach stellt heraus, dass 11 die Thematik [gemeint ist die Arzt-Patient-Kommunikati on] meist unter spezielleren Aspekten, die von der jeweiligen Fachdisziplin bestimmt sind, behandelt wurde" und nennt mit der Analyse der 11 asymmet rischen Struktur", die vor allem in der Soziologie zu diesen Interaktionen un tersucht wurde, ein Beispiel für einen solchen Gesichtspunkt (Haferlach 1994,
S. 6). Gleichzeitig kritisiert er, dass bei linguistischen Studien - im Gegensatz zu medizinischen Studien und Artikeln - kein Praxisbezug hergestellt wird (vgl. ebd., S. 6f.). So versucht etwa der Facharzt Sitzwohl generell zur Verbes serung der 11 Arzt-Patient-Kommunika tion" beizutragen und wendet sich im Rahmen seines Artikels hauptsächlich an seine 11 Kollegen" (Sitzwohl 2004). Auch Köhle, Obliers und Koerfer haben sich auf die Diagnosemitteilung für ihren Leitfaden (vgl. Köhle/Obliers/Koerfer 2010) fokussiert und Rosenecker und Schmidt haben einen Leitfaden herausgegeben, in dem Artikel zur 11 Päd iatrischen Anamnese, Untersuchung, Diagnose" gesammelt werden (Rosen ecker/Schmidt 2008).
4 Vgl. http://hypermedia.ids-mannheim.de/pragdb/Litera tur_zur_Medizinischen_ Kommunikation_Version 2014.pdf (Stand: 21.11.2016).
„In der Linguistik wurden medizinische Themen zunächst im Rahmen der Fachsprachenforschung behandelt", später rückten dann Gespräche an verschiedenen „institutionellen Orten (Krankenhaus, Allgemeinpraxis) und [die] verschiedenen Interaktionstypen (Anamnese, Visite)" sowie bestimmte Krankheitsbilder und Personengruppen in den Fokus der Analysen (Nowak/ Spranz-Fogasy 2008, S. 82 oder auch Löning 2001). Zudem wies Menz auf der
16. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung am 21. März 2012 in Mannheim darauf hin, dass „in den letzten Jahrzehnten" auch Bestrebungen feststellbar sind, nach denen „Systematisierungsversuche unternommen [werden], um die mannigfaltigen gesprächsanalytischen Studien, die in den letzten Jahr zehnten entstanden sind, zu konsolidieren" und „gesprächsanalytische Er kenntnisse auch außerhalb der Gesprächsforschung nutzbar zu machen" (zi tiert in Winterscheid/Kook/Schöffler 2012, S. 72f.). Beispielhaft kann man hier etwa die Studien von Gülich und Schöndienst anführen, in denen herausge funden wurde, ,,daß Patienten, die an unterschiedlichen Formen von Epilep sie leiden, auch unterschiedlich sprechen" (Hackenbroch 1999, S. 156).s Auf grund der Tatsache, dass ,,[d]ie Differenzen[...] so ausgeprägt [sind], daß eine detaillierte linguistische Analyse eine überraschend genaue Diagnose des Epilepsie-Typs möglich mach[t]", konnte so „eine neue Form der Epilepsie Diagnostik entwickelt" (Gülich/Schöndienst 1999, S. 221) werden. Nowak plädiert darüber hinaus für ,,[s]ystematische Metastudien", um „verlässliche, studienübergreifende Ergebnisse den Fachdiskussionen in der Gesprächsfor schung und in den Forschungsdisziplinen der Anwendungsbereiche zur Ver fügung [zu] stellen und damit eine wesentlich differenziertereund komplexe re Erforschung und Darstellung verbaler Kommunikation als bisher [zu] ermöglichen" (Nowak 2010, S. 345). Des Weiteren stellt er fest, dass gerade Metastudien „auch die präzisere Identifizierung noch offener Forschungsfra gen und fehlender Forschungsergebnisse [ermöglichen]" (ebd.). Verschiede ne Autoren haben sich mit einzelnen Handlungsschemakomponenten be schäftigt. Z.B. haben Gebel und Speck die „Gesprächseröffnungsphase" in Therapiegesprächen sowie die Überleitung zur Gesprächsmitte untersucht (vgl. Gebel/Speck 1991) und Peräkylä hat sich mit Diagnosemitteilungen aus einandergesetzt (vgl. Peräkylä 2006). Doch auch wenn diese Komponenten sehr trennscharf zu sein scheinen, gibt es auch hier strukturelle Unterschiede,
z.B. zwischen einer Diagnosemitteilung innerhalb einer Erstkonsultation und eines Sprechstundentermins, der die Diagnosemitteilung zum Inhalt hat:
5 Diese Erkenntnisse wurden z.B. in Gülich/Schöndienst (1999) zunächst als „Hypothes[e]" (ebd., S. 221) dargelegt. An dieser Stelle wurde jedoch bereits die Theorie aufgestellt,
,,dass bestimmte Anfallstypen in nicht ganz zufälliger Weise mit Formulierungsmerkma len in Beziehung stehen" und diese Erkenntnisse sowie weitere Ergebnisse bei der Unter suchung dieser Daten für eine Diagnostik gewinnbringend sein können (ebd.).
Die Untersuchungen, die sich mit Diagnosemitteilungen befassen, gehen alle samt davon aus, dass es sich bei der Diagnose um eine eigene Handlungsphase, ein eigenständiges event (Byrne/Long 1976) handelt. Dabei beziehen sich die Autoren aber auf das klassische Erstgespräch, nicht auf den mittlerweile etab lierten eigenständigen Gesprächstyp 11 Diagnosemitteilungsgespräch", zu dem es u. W. noch keine gesprächslinguistischen Arbeiten gibt. (Spranz-Fogasy/Be cker 2015, S. 108; Hervorhebung im Original)6
Außerdem gibt es nicht in jedem Erstkonsultationsgespräch auch Diagnose mitteilungen, entweder weil im Rahmen der Erstkonsultation die Diagnose noch nicht ermittelt werden konnte oder weil trotz feststehender Diagnose diese dem Patienten 11 nicht mitgeteilt wird, sondern vom Patienten allenfalls,
z.B. aus Therapievorschlägen, erschlossen werden kann" (Spranz-Fogasy
1987, S. 293).
11
Häufig wurden auch 11 Eigenscha ften" der Gespräche untersucht, die da mit zusammenhängen, dass es sich bei medizinischer Kommunikation um institutionelle Kommunikation handelt, weil [m]it institutioneller Kommu nikation [...] grundlegende andere kommunikative Charakteristika einher [gehen] als mit alltäglichen Gesprächen außerhalb institutioneller Settings" (Menz/Sator 2011, S. 415).
Institutionen sind Formen des gesellschaftlichen Verkehrs zur Bearbeitung ge sellschaftlicher Zwecke; sie verlangen eo ipso Kommunikation zwischen Ak tanten. Welche Formen des sprachlichen Handelns diese Erfordernisse im ein zelnen ausbilden, ist sowohl nach den aktuellen Zwecken wie nach der jeweiligen Geschichte der Institution unterschiedlich. (Ehlich/Rehbein 1980, S. 338)
Neben dem 11 Zweck" prägt auch das 11 Aktantenwissen"(Ehlich/Rehbein 1980,
S. 344) die Interaktion und ist 11 [k]onstitutiv für diese Rollen" (Menz/Sator 2011, S. 415) der Gesprächsbeteiligten. Das 11 Expertentum" regelt die 11 Zu ständigkeit" (Quasthoff 1990, S. 73): Während der Arzt 11 aufgrund seines Fachwissens" für die 11 diagnostischenund therapeutischen Aufgaben[ ...] zu ständig ist", ist der Patient für die 11 subjektive Befindlichkeit, Beschwerden, Vorgeschichte etc." verantwortlich" (ebd., S. 74), worauf auch die 11 Aufgaben verteilung" (Menz/Sator 2011, S. 415) beruht.
11 Die Sprache in Institutionen ist weitgehend in repetitiven Abläufen orga nisiert, die durch die institutionsspezifischen Zwecke gesteuert werden" (Eh lich/Rehbein 1980, S. 342). Klüber, Motsch und Spranz-Fogasy haben sich mit den 11 Fragerechte[n]" der Patienten im Rahmen von 11 anästhesiologische[n] Aufklärungsgespräche[n]" (Klüber/Motsch/Spranz-Fogasy 2012, S. 240) be-
6 Unter Erstgespräch sind im Übrigen 11 solche Gespräche zwischen Arzt und Patient [zu ver stehen], in denen gesundheitliche Probleme des Patienten zum ersten Mal oder - nach einer abgeschlossenen Behandlungsphase - erneut besprochen werden" (Spranz-Fogasy 1987,
S. 293). In dieser Arbeit wird der Begriff 11 Erstkonsulta tionen" verwendet (vgl. Fußnote 3).
schäftigt. Die Autoren führen „vier verschiedene Formen" an „Angebote[n] der Ärzte" auf, nämlich „tag questions [Markierung im Original]", ,,Pausen",
,,syntaktische Fragen" und „Konditionalsätze" die jedoch aufgrund der Rea lisierung, wenn überhaupt nur gelegentlich angenommen werden (vgl. ebd.,
S. 253-262). Sie belegen zudem, dass „Frageangebote" regelmäßig zu spät er folgen, weil die ,,[e]igeninititative[n] Patientenfragen" vorher - hauptsächlich in der „Aufklärungsphase" - realisiert werden, ,,größtenteils gesprächsstruk turell ungünstig platziert" werden und somit auch nicht zum Fragen einladen (Klüber/Motsch/Spranz-Fogasy 2012, S. 262-264). ,,Während ärztliche Fragen [...] schon häufig und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten untersucht wurden" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 102), etwa von Rehbein, der die ärztlichen Fragen in Abgrenzung zu Alltagsfragen untersucht (vgl. Rehbein 1993), stehen Patientenantworten eher selten im Fokus wissenschaftlicher Un tersuchungen (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 102). Dies begründen Spranz-Fogasy und Becker zum Teil damit, ,,dass Antworten im Unterschied zu Fragen kein leicht bestimmbares formales Format besitzen" (ebd.). Spranz Fogasy konnte aber - wie auch Stivers und Heritage (vgl. Stivers/Heritage 2001) - feststellen, dass es „relativ zum Frageskopus im engeren linguisti schen Sinne einen regelmäßigen 'Überschuss' in Patientenantworten" (Spranz-Fogasy 2010, S. 82) gibt. Stivers und Heritage kamen in ihren Unter suchungen zu dem Schluss, dass die Patienten die Antworten „regelmäßig zur Darstellung lebensweltlicher Aspekte nutzen, die nicht direkt erfragt wurden, für die Patienten jedoch im Rahmen ihrer Beschwerdengeschichte eine bedeutsame Rolle spielen" (Spranz-Fogasy 2010, S. 102; vgl. auch Stivers/ Heritage 2001). Spranz-Fogasy hat darüber hinaus herausgefunden, dass die Patienten häufig auch auf „Präsuppositionen ärztlicher Fragen, ärztliche Re levanzstrukturen oder, vielfach mit solchen Aspekten verbunden, 'next-tum questions'" (Spranz-Fogasy 2010, S. 103) reagieren. Daneben sind Patien tenantworten, ,,die auf das Nötigste reduziert sind" (ebd., S. 102), sehr selten und dokumentieren zumeist, dass die Patienten etwas als „kritische Ereignis se, wie heikle, z.B. intime Gesprächsgegenstände, konkurrierende Deutungen oder konfliktäre Handlungsorientierungen" interpretieren oder die Antwor ten „im sequentiellen Kontext eines Fragenkatalogs" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 103) realisieren.
Andere Autoren haben sich eher mit bestimmten Phänomenen, die sich auf der Textoberfläche befinden, oder mit Gesprächsstrukturen auseinander gesetzt, die typisch für diese Kommunikationssituationen sind: So beschäftigt sich Overlach etwa damit, ,,wie Schmerzen im Gespräch dargestellt werden" und „wie und an welcher Position im Gespräch [diese Konstruktionen] einge setzt werden" (Overlach 2008, S. 169f.).
11
Ebenso wie bei der medizinischen Kommunikation handelt es sich auch bei pädiatrischer Kommun ikation7 um ein Hyperonym über viele sich zum Teil eklatant voneinander unterscheidenden Interaktionstypen" (Winterseheid 2015a, S. 189). Unter pädiatrischer Interaktion versteht man das
medizinische[] Fachgebiet, das sich mit der Erkennung u. Behandlung (ein schließlich Prävention, Schutzimpfung, pädiatr. Intensivmedizin, Sozialpädia trie) aller körperlichen u. seelischen Erkrankungen sowie Reifungsstörungen des Kindes von der Geburt bis zum Abschluss seiner somatischen Entwicklung befasst. (Rache 2003, S. 1001)
Die pädiatrische Kommunikation nimmt aber in gewisser Weise eine beson dere Stellung im Rahmen der medizinischen Kommunikation ein, u.a. schon allein deswegen, weil in der Regel 11 Kinderund Jugendliche sich nicht eigen ständig und unabhängig im medizinischen System bewegen" (Schwabe 2006a, S. 15) und daher meist durchweg eine triadische Gesprächssituation vorliegt, wenn man von der Interaktion unter 11 Agenten" (Ehlich/Rehbein 1980) der Interaktion absieht.
Die triadische Gesprächssituation stellt die Gesprächsbeteiligten vor ge wisse Herausforderungen, die innerhalb der Interaktion zu bewerkstelligen sind.
Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts taucht an verschiedenen Stellen, in ver schiedenen Disziplinen der Sozial- und Geisteswissenschaften die Beobach tung auf, dass die Grundlagentheorie dieser Wissenschaftsgruppe möglicher weise nicht darum herumkommt, neben dem 11 Anderen" (und damit der Intersubjektivität) und neben dem Transsubjektiven (11 d as Dritte") die Figur und Funktion 11 des Dritten", des dritten Sozius, des personalen Dritten syste matisch mit einzubeziehen. Die beiden Bahnbrecher in diesem Zusammenhang sind Simmel und Freud, Simmel mit der Entdeckung des Dritten als Quelle originärer 11 For m en der Wechselwirkung" (Simmel 1968a [1908]), Freud mit der 11 ödip alen" Konstellationsanalyse familialer Sozialisationsdramen (Freud 1930 [1916]). (Fischer 2010, S. 139)
Simmel hat bereits 1908 festgestellt, dass ein hinzukommender Dritter einen entscheidenden Unterschied ausmacht, wobei er sich auf drei verschiedene Konstellationen bezieht: den 11 Unparte iische[n]" (Simmel 1908, S. 102-111) oder den 11Vermittler" (ebd.), den 11Tertius gaudens" (ebd., S. 111-119) sowie eine Person des 11 Divide et impera" (ebd., S. 119-133). Lindemann weist da rauf hin, dass sich 11 [i]n diese Typologie[...] auch seine Analyse des Fremden einordnen (Simmel 1983, S. 509ff.)" (Lindemann 2010, S. 494) ließe. Zu dieser Konstellation schreibt Simmel:
7 Zu einem Überblick über die Auseinandersetzung mit pädiatrischer Kommunikation vgl.
z.B. Winterseheid (2015a, S. 188-193).
Die Einheit von Nähe und Entferntheit, die jegliches Verhältnis zwischen Men schen enthält, ist hier zu einer, am kürzesten so zu formulierenden Konstellati on gelangt: die Distanz innerhalb des Verhältnisses bedeutet, daß der Nahe fern ist, das Fremdsein aber, daß der Feme nah ist. (Simmel 1908, S. 685)
Denn derjenige, 11 der aus der Feme zu einer Gemeinschaft stößt, [tritt] zu mindestens zwei miteinander Vertrauten" (Fischer 2000, S. 119) hinzu. Erst durch den Fremden kommt es zu
eine[r] Rotation der Perspektiven: der Neuankömmling realisiert auch den Blick des Dritten, der ihn selbst, den Ersten sowohl wie den Anderen beobach tet, der das Unvergleichbare vergleicht, der damit die Basiserfahrung von Neu tralität und Distanz, Gleichheit und Austauschbarkeit auslöst. (Fischer 2010, S. 142)
Simmel postulierte, dass 11 der Unterschied der Zweierverbindung zu den mehrgliedrigen dadurch bestimmt [wird], daß jenes Verhältnis, als Einheit aus seinen Individuen, zu jedem der Teilnehmer anders steht, als mehrglied rige Gebilde zu den ihrigen" (Simmel 1908, S. 73). Gleichzeitig ist 11 [d]ie So zialtheorie [...] mit der Figur des Dritten oder der dreifachen Kontingenz gleichsam komplett, ab dem Vierten, Fünften wiederholen und komplizieren sich dyadische und triadische Figurationen" (Fischer 2010, S. 131).
Traverso problematisiert hingegen, dass man 11 ein Gespräch zwischen drei Gesprächspartnerinnen" nicht einfach als triadische Kommunikation einstu fen dürfe und auch eine Arzt-Patient-Interaktion u.U. aufgrund der Rollen - etwa bei gedolmetschter Interaktion - als dyadische Interaktion eingestuft werden müsse, selbst 11 wenn drei Personen daran beteiligt sind" (Sator/ Gülich 2013, S. 403)8. Dem widersprechen Sator und Gülich in Bezug auf ge dolmetschte Arzt-Patient-Interaktionen und halten fest, 11 dass es an verschie denen Stellen im Gespräch Anlässe gibt, Aspekte der triadischen Kommuni kation, der Dolmetschtätigkeit und der Patientenbeteiligung ausdrücklich darzustellen" (Sator/Gülich 2013, S. 404). Traverso hat hinsichtlich dieses Interaktionstyps darauf verwiesen, dass es sich hier zwar prinzipiell um eine Interaktion handelt, die der prototypischen - dyadischen - Situation sehr ähnlich ist, aber es durchaus Situationen geben kann, in denen es sich anders verhält (vgl. Traverso 2002, S. 97-98):
Ces formes d'echange mettent bien en evidence le fait que l'intermediaire ne se cantonne nullement dans un role de traducteur, mais qu'il occupe bien celui d'interlocuteur apart entiere. (Traverso 2002, S. 98)
Dabei stellen Sator und Gülich verschiedene Formen der Patientenbeteiligung heraus, die von einem Modell, in dem die Patienten weitgehend relativ auto nom interagieren oder der professionelle Dolmetscher lediglich das Geäußer te übersetzt, bis zu einem Modell reichen, in dem 11 sich [zwischen dem Laien-
8 Die Autoren beziehen sich auf Traverso (2002, S. 91).
dolmetscher, der zur Familie des Patienten gehört, und dem Arzt] eine so markante Kommunikationsbeziehung [etabliert], dass der Patient/die Patien tin weitgehend unbeteiligt bleibt und somit ausgeschlossen wird" (Sator/ Gülich 2013, S. 404-406). Die beiden Autorinnen weisen ebenfalls darauf hin, dass 11 au ch mit professioneller Dolmetschung interaktive Schwierigkeiten einher[gehen], die wohl u. a. mit der mangelnden Erfahrung der Ärztinnen als Teilnehmerinnen in einer gedolmetschten Interaktion zu tun haben" (ebd.,
S. 409), wodurch ersichtlich wird, dass auch diese Kommunikation unbedingt als triadische Kommunikationssituation betrachtet werden muss.
Während die Teilnehmerrollen in einer dyadischen Arzt-Patient-Kommu nikation klar definiert sind, ist der Teilnehmerstatus der einzelnen Gesprächs beteiligten in einer triadischen Kommunikationssituation generell eher unbeständig:
Basal sieht sich die sprachpragmatische Kommunikationsforschung gerade in ihrem Fokus, der 11 face-to-face-Interak tion", genötigt, das dyadische Dialogmo dell, in dem zwei (und nur zwei) einbezogen sind, zu überschreiten und syste matisch neben den Gesprächsteilnehmern auf der Rezipientenseite Figuren des 11 offiziellen Zuhörers" oder des 11 Publikums", aber auch des 11 Lau schers" oder des 11 Statisten", von der Produktion her aber den 11 Sprecher" und den 11 Urhe ber", in dessen Namen er spricht und den er zitiert, zu unterscheiden (Goffman 1981). (Fischer 2000, S. 105)
11
Goffman hat mit seinem Footing-Konzept einen Beschreibungskatalog des Teilnehmerstatus der Gesprächsbeteiligten zur Verfügung gestellt (vgl. Goff man 1981, S. 124-159). Bei der pädiatrischen Kommunikation in der Kinder arztpraxis zwischen Arzt, Patient und Begleitperson handelt es sich um eine ' Begegn un g', von Goffman auch 'fokussierte Interaktion' genannt", in der sich die Gesprächsbeteiligten 11 gegenseitig als ratifizierte Teilnehmer an der Be arbeitung eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus sehen und anerkennen" (Auer 1999, S. 156-157; Hervorhebung im Original).9 Da die Interaktionen je weils in dem Sprechzimmer des Arztes stattfinden und die Tür zum Sprech zimmer in der Regel geschlossen ist, gibt es weder potenzielle nicht ratifizierte Zuhörer (,,bystanders"), die der Interaktion absichtlich folgen (,,eavesdrop ping"), noch Personen, die die Interaktion zufällig belauschen (,,overhearing") (Goffman 1981, S. 132). Aber es gibt in der triadischen Kommunikation häufig Sequenzen, in denen einer der Gesprächsbeteiligten adressiert (,,adressed") und ein anderer nicht adressiert (,,unadressed") wird (ebd., S. 133). Dazu stellt Fischer fest, dass triadischen Gesprächssituationen auch eine 11 Entlastung" der Gesprächsbeteiligten innewohnt, die aus der 11 Wahlfreiheit [des Sprechers] zwischen dem Einen oder dem Anderen" (Fischer 2000, S. 127) resultiert.
Ähnliche Situationen außerhalb der pädiatrischen Praxis gibt es etwa bei
medizinischen Interaktionen mit einem Dolmetscher. Am ehesten lassen sich
9 Auer bezieht sich auf Goffman (1964, S. 135).
die pädiatrischen Erstkonsultationen mit gedolmetschten Interaktionen ver gleichen, bei denen ein Familienangehöriger die Aufgabe übernommen hat, die Beiträge des Arztes und des Patienten zu übersetzen: denn „die Familien dolmetscherinnen [steuern] v. a. eigenständige inhaltliche Beiträge" (Sator/ Gülich 2013, S. 408) bei. Ähnlich wie die Elternteile, die die minderjährigen Patienten begleiten, ,,wissen sie über die Erkrankung der Patientinnen im All gemeinen gut Bescheid" und „leiden[...] oft auch mit darunter", weswegen deren Beiträge auch „durchaus für Diagnose und Therapie relevant sein" (ebd.) können. Sator und Gülich weisen in diesem Zusammenhang auf zwei potenzielle Probleme hin: ,,Zum einen wird dadurch u. U. der Experten-Sta tus der Patientinnen für ihre eigene Krankheit eingeschränkt" (ebd.) und
,,[z]um anderen besteht [...] die Gefahr, dass Familiendolmetscherinnen ihre eigenen gesundheitlichen Probleme zur Sprache bringen und damit die ärztliche Aufmerksamkeit von der Patientin abzuziehen versuchen" (ebd.,
S. 408f.). Darüber hinaus ,,[müssen] thematische Initiativen der Patientinnen, die die professionelle Dolmetscherin selbstverständlich dolmetscht, [...] in Gesprächen unter Beteiligung von Familiendolmetscherinnen erst den Filter der Familienangehörigen passieren" (ebd., S. 408). Beides findet sich ebenfalls in pädiatrischer Kommunikation.
Ein weiterer entscheidender Aspekt, der pädiatrische Kommunikation von medizinischer Kommunikation mit erwachsenen Patienten unterscheidet, ist, dass die jungen Patienten vielfach noch nicht „das notwendige Krankheitswis sen" (Winterseheid 2015a, S. 189) sowie „ein soziokulturell vermitteltes ge meinsames Handlungswissen" besitzen, welches die Gesprächsbeteiligten in die Lage versetzt, ,,zu wissen, was jeweils von ihnen an Beteiligungsleistungen erwartet wird und welche Beteiligungsleistungen sie von den anderen erwar ten können" (Schröder/Reiterneier/Notdurft 1994, S. 9; vgl. auch Greene/Adel mann 2013, S. 139). Allerdings gibt es natürlich auch junge Patienten, die eine längere Krankheitsgeschichte aufweisen, weswegen solche Patienten - gerade Patienten „mit chronischen Erkrankungen" - über „selektive Elemente des Ex pertenwissens [verfügen], ohne allerdings dessen Komplexität und interne Vernetzung zu besitzen" (Brünner/Gülich 2002, S. 21). Solche Voraussetzun gen begegnen einem jedoch weniger in der Kinderarztpraxis, sondern eher in pädiatrischen Praxen oder Kliniken mit einer speziellen Fachrichtung.
Auch wenn die Beschäftigung mit pädiatrischer Kommunikation in den letzten Jahren zugenommen hat, wurde „der Gesprächstyp pädiatrisch[e] Kommunikation bisher aus interaktionistischer Perspektive [immer noch] re lativ selten zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht" (Schwabe 2006a,
S. 44). Diese Analysen zeichnen sich zudem häufig dadurch aus, dass „Kom munikationssituationen im medizinischen Kontext mit Kindern untersucht werden, die exzeptionell oder in irgendeiner Weise gestört sind" (Winter seheid 2015a, S. 189). In einem Großteil der Untersuchungen liegt bei den jungen Patienten eine Beeinträchtigung vor, die zumeist schon über einen
längeren Zeitraum in einer Fachpraxis oder Klinik behandelt wird (vgl. Win terseheid 2015a).10 Schwabe hat beispielsweise Aufnahmen in der Klinik mit Anfallspatienten analysiert (vgl. Schwabe 2006a). Hier sind in der Regel auch Eltern anwesend, schon allein deswegen, weil diese die Patienten aufgrund von 11 weiten Anfahrtswege[n]" (ebd., S. 15) häufig zur Klinik fahren müssen, wobei es auch Phasen gibt, in denen der Arzt mit dem Patienten alleine redet. Bei Streeck wurden Interaktionen mit Patienten, die unter 11 Spina bifida", ei ner angeborenen Behinderung, oder an 11 Muskelkr ankheiten" leiden, unter sucht (Streeck 2002, S. 174). Diese Gespräche fanden in der Klinik oder 11 in einer ambulanten neuropädiatrischen Sprechstunde" (ebd., S. 174f.) statt. Die in der Studie von Aronsson und Rundström untersuchten Gespräche wurden in einer Fachklinik für Allergien aufgenommen (vgl. Aronsson/ Rundström 1988).
Auch liegen in vielen Untersuchungen psychische Probleme oder Verhal tensstörungen vor oder die untersuchten Interaktionen finden im Rahmen einer Therapie statt (vgl. Winterseheid 2015a, S. 189).11 Daneben gibt es einige untersuchte Interaktionen, in denen die jungen Patienten oder deren Begleit personen 11 aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage [sind], mit den ande ren Gesprächsbeteiligten" in ausreichendem Maße zu kommunizieren (Win terseheid 2015a).12 Neben sprachlichen Einschränkungen können dafür auch ganz alltägliche Gründe vorliegen, wie das Alter oder fehlende Sprachkennt nisse (vgl. z.B. Koh et al 2005; Leanza 2007; Babur/Chilla/Meyer 2008). Es gibt darüber hinaus Studien, in denen bei den untersuchten Patienten sowohl Sprachschwierigkeiten wie auch eine 11 Sprachentwicklungsstöru ng" vorlie gen (z.B. Babur/Chilla/Meyer 2008).
Es gibt nur sehr wenige Studien, in denen Interaktionen in der Kinderarzt praxis im Fokus stehen, diese sind jedoch recht selten (vgl. z.B. Stivers 2001 oder Tates/Meeuwesen 2000). Wie bereits in einer Auseinandersetzung mit den Studien zur pädiatrischen Kommunikation dargelegt, lassen sich diese Studien jedoch nicht ohne Weiteres vergleichen (vgl. Winterseheid 2015a,
11
S. 190-198), etwa da 11 [g]erade bei früheren Studien[...] die Rolle der Kinder nicht explizit untersucht [wurde]" (ebd., S. 189),13 weil [r]esearch focuses
10 Die Autorin bezieht sich beispielhaft auf die Studien von Schwabe (2006a), Streeck (2002), von Aronsson/Rundström (1988) und Tannen/Wallat (1986).
11 Vgl. dazu z.B. die Studien van Dulmen (2004) und O'Reilly (2008).
12 Vgl. beispielsweise auch die Studien von Gordon et al. (2009), Tiitinen/Ruusuvuori (2014) oder Babur/Chilla/Meyer (2008). Daneben gibt es natürlich auch einige Interaktionen, in denen die Kinder zwar den 11 Gesprächsgegenstand" darstellen, aber an der Interaktion selbst nicht beteiligt sind (Winterseheid 2015a, S. 189), weil diese noch nicht geboren wurden (Abramsky et al. 2001) oder bereits verstorben sind bei Gesprächen mit hinter bliebenen Eltern (z.B. Bellali/Papadatou 2007).
13 Vgl. hierzu u.a. die Studien von Aronsson/Rundström (1988), van Dulmen (2004) und O'Reilly (2008).
mainly on dyadic interactions between adults" (Tates/Meeuwesen 2001,
S. 839), und sich diese auch mit der Zeit verändert hat. So konnten etwa Mee uwesen und Kaptein nachweisen, dass die Ärzte in der zweiten Erhebungs phase in den Neunziger Jahren patientenorientierter agierten als in den Inter aktionen, die knapp zehn Jahre zuvor aufgezeichnet wurden (vgl. Meeuwesen/ Kaptein 1996). Hier konnte - obwohl in beiden Phasen nur eine geringe Pati entenbeteiligung vorlag - eine zunehmende Beteiligung der Patienten festge stellt werden, die aus einer verstärkten Adressierung der Patienten resultier te, sich aber hauptsächlich auf die Phase der körperlichen Untersuchung bezieht (vgl. ebd.). Diese Tendenz konnte zwar bei der Replikation dieser Stu die, die etwa fünf Jahre später stattfand, nicht vollständig nachgewiesen wer den, dennoch zeigen die Analysen der Longitudinalstudie, dass es „gesell schaftliche Veränderungen binnen weniger Jahre gibt, die sich [...] auf die Beteiligung der Kinder auswirken und eine Gegenüberstellung verschieden alter Daten für gewisse Fragestellungen ausschließen" (Winterseheid 2015a,
S. 191, mit Bezug auf Tates/Meeuwesen 2000). Gleichzeitig verbietet sich in vielen Fällen ein Vergleich verschiedener Studien, da ,,[t]hese studies use different methods to reach these estimates" (Cahill/Papageorgiou 2007, S. 908; vgl. z.B. Tates/Meeuwesen 2000). Außerdem divergieren häufig entscheiden de Einflussgrößen (Winterseheid 2015a, S. 191-198):
So definieren Tates und Meeuwesen beispielsweise das Alter der Patienten als entscheidenden Faktor für unterschiedliche Ergebnisse, was sie anhand ihrer Studie festmachen, die ergeben hat, dass „die Beteiligung sowie die Kompetenzzuschreibung durch die Ärzte konstant zum Alter ansteigen" (Winterseheid 2015a, S. 191), stellen aber auch fest, dass Untersuchungsergeb nisse häufig aufgrund des unterschiedlichen Durchschnittsalters der Patien ten divergieren (vgl. Tates/Meeuwesen 2000). Dass auch die vorliegenden Beschwerden der Patienten schon für unterschiedliche Voraussetzungen sor gen, kann man etwa anhand der von Schwabe untersuchten Interaktionen darlegen. Hier „legt [...] bereits die Krankheitsgeschichte nahe, dass es sich hier um eine besondere Situation handelt, die sich gerade hinsichtlich der epi stemischen Autorität erheblich von Interaktionen in der gemeinpädiatrischen Praxis abheb[t]" (Winterseheid 2015a, S. 198; vgl. auch Schwabe 2006a). Denn obgleich normalerweise „den Patienten die Wissenshoheit über ihre Leiden obliegt", (Winterseheid 2015a, S. 196) weil „jede Person einen in einzigartiger Weise unmittelbaren epistemischen Zugang zu den Inhalten ihres eigenen Geistes" hat und prinzipiell „die beste Beobachterin der Inhalte ihres eigenen Geistes ist" (Lauer 2010, S. 6), wird dies Patienten unter bestimmten Umstän den nicht zugestanden oder liegt bezüglich bestimmter Punkte bei den Eltern (vgl. Winterseheid 2015, S. 198 und Heritage/Raymond 2005). Schwabe führt an, dass Anfallspatienten „die eigentlichen Anfälle" oftmals nicht mitbekom men und der Arzt somit bei der „Rekonstruktion der Symptome auf die Dar stellung von Beobachtern des Anfalls angewiesen ist" (Schwabe 2006a, S. 15).
Auch denkbar sind Erstkonsultationen, die aufgrund einer nur von den Eltern bemerkten Problematik arrangiert wurden, oder dass Eltern noch zusätzliche Beobachtungen gemacht haben, die das von den Kindern Wahrgenommene übersteigen. Innerhalb dieses Spektrums liegen unterschiedliche Anforderun gen gegenüber den einzelnen Gesprächsbeteiligten vor, die selbstverständlich die jeweilige Interaktion prägen. Diese Voraussetzungen wirken sich etwa darauf aus, inwieweit 11 Selbstzuschreibun gen" des Betroffenen, die 11 sich in einem signifikanten epistemischen Kredit ausdrück[en]" und bezüglich derer der Einzelne üblicherweise 11 das letzte Wort" (Michel/Newen 2007, S. 2) hat, anerkannt werden oder überhaupt Inhalt der Interaktion darstellen, denn mit dem 11 epistemischen Kredit" geht zudem das 11 Prinzip der Zuständigkeit" (Quasthoff 1990) einher. Weiterhin wirkt sich ein unterschiedlich ausgeprägtes 11 Kran kheitswissen" (Winterseheid 2015a, S. 189) entscheidend auf die Interak tion aus; hier gibt es etwa eine Dichotomie zwischen Kindern, die äußerst sel ten beim Arzt waren, und Kindern, die sich bereits intensiv mit einer Erkran kung auseinandergesetzt haben oder auseinandersetzen mussten, weil etwa 11 chronisch[e] Erkrankungen" vorliegen (Brünner/Gülich 2002, S. 21). Eben falls elementar ist die Kultur im Rahmen derer die Interaktion stattfindet. Bei spielhaft können hierzu die Erkenntnisse von Stivers zum Antibiotikumein satz in amerikanischen Sprechstundengesprächen beim Kinderarzt angeführt werden, 11 weil die Rahmenbedingungen in den USA sich gerade hinsichtlich des untersuchten Phänomens maximal zu denen in Deutschland unterschei den" (Winterseheid 2015a, S. 192), worauf die Autorin selbst verweist, indem sie auf die vom Alexander Proje kt14 ermittelten Resistenzen verschiedener Länder hinweist und festhält, dass gerade die Werte in den USA und Deutsch land stark voneinander abweichen (Stivers 2007, S. Sf.). Stivers stellt zwei ver schiedene Szenarien heraus, die einen kontraindizierten Einsatz von Antibio tika zur Folge haben (ebd., S. 188f.): Dies ist einerseits der bereits vor dem Arztbesuch existierende 11Wunsch nach der Verordnung eines Antibiotikums" (Winterseheid 2015a, S. 192), aber auch der während der Sprechstunde auf keimende Wunsch, 11 nachdem etwa die Legitimität des Arztbesuches infrage gestellt wurde oder die Krankheit des Kindes durch den Arzt eine Verharm losung erfährt" (Winterseheid 2015a, S. 192; vgl. Stivers 2008, S. 187). In den von Winterseheid in Deutschland erhobenen Daten geht der Verordnung ei nes Antibiotikums jeweils eine Erklärung voraus, weshalb zu diesem Mittel geraten wird, oder eine solche wird sofort nach der Empfehlung realisiert (vgl. Winterseheid 2015a, S. 193). 11 Gerade dieser erhöhte Aufwand[...] macht deutlich, dass [der Arzt] davon ausgeht, dass es sich bei der vorgeschlagenen Medikation eher um eine dispräferierte Empfehlung handelt" (ebd.). Dass es
14 Es handelt sich um ein Projekt, im Rahmen dessen 11 Daten zur Resistenzsituation" aus 11 23 Ländern" ausgewertet werden (https://www.aerzteblatt.de/archiv/30977/Alexander Projekt-Resistenzen-nehmen-weltweit-zu).
sich hierbei um gesellschaftliche Phänomene handelt, kann man nicht nur an den von Stivers zitierten Resistenzen ablesen (vgl. Stivers 2007), sondern z.B. auch an Empfehlungen in medizinischen Ratgebern:
[W]enn Sie Bedenken gegen einen Behandlungsvorschlag haben (etwa Antibio tika), so ist es für den Arzt besser, wenn Sie ihm Ihre Gedanken mitteilen, als dass Sieden verordneten Saft einfach im Kühlschrank alt werden lassen oder in den Abfluss kippen. (Renz-Polster/Menche/Schäffler 2012, S. 18)
Hier werden Antibiotika als Beispiel für eine dispräferierte Verordnung er wähnt und dieser Rat 11 dokumen tiert ebenfalls, dass die Einstellung gegen über Antibiotika in der deutschen Bevölkerung generell nicht so positiv ist bzw. so positiv wahrgenommen wird, wie dies in den USA der Fall zu sein scheint" (Winterseheid 2015a, S. 192-193).
Um eine angemessene Analyse anstellen zu können, ist es demnach un umgänglich, 11 die Bedingungen zu kennen, unter denen [die Interaktionen] stattfinden" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 3). Denn 11 je nachdem, in welchen institutionellen Kontexten, mit welchen Krankheitsbildern, in wel chen Krankheitsstadien, mit welchen Patientengruppen oder in welchen Rol lenkonstellationen sie stattfinden", 11 verändern [sich auch] die Gesprächsauf gaben, die Bedingungen verständlicher Kommunikation und die Möglichkeit der Absicherung von Gesprächsergebnissen" (ebd., S. 3f.).
Aus diesem Grund wurde für diese Arbeit nur die triadische Interaktion beim Kinderarzt zwischen Arzt, Patient und mindestens einer erwachsenen Begleitperson, welche sich von anderen medizinischen Interaktionen grund legend unterscheidet, als Untersuchungsgegenstand gewählt. Eingegrenzt wird der Untersuchungsgegenstand zudem auf Erstkonsultationsgespräche, da dieser Interaktionstyp bereits sehr facettenreich ist und eine Fülle an Phä nomen beinhaltet, die analysierenswert sind.
METHODE UND METHODISCHES VORGEHEN
Für diese Arbeit wurde ein konversationsanalytischer Ansatz gewählt. 11 Zu Beginn der 70er Jahre wurde die conversation analysis auch außerhalb der amerikanischen Soziologie bekannt, so auch im deutschen Sprachraum, wo bei sie hier zunächst v. a. auf das Interesse der Linguisten und weniger das der Soziologen stieß" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 123). Dies ist vor allem auf
Kallmeyer und Schütze zurückzuführen, die die Konversationsan alyses1 in
der Tradition der 11 von Harvey Sacks und Emanuel Schegloff inaugurierte[n] 'formale[n]' bzw. 'empiristische[n]' Konversationsanalyse, welche die Se quenzialität der sprachlichen Interaktion in den Vordergrund des Interesses stellt", sehen, den Gegenstandsbereich aber insofern ausweiten, indem sie die 11 Erforschung aller Bereiche sprachlicher Kommunikation" fordern und sich nicht nur 11 auf die tagtäglichen Situationen der 'Unterhaltung"' beschränken (Kallmeyer/Schütze 1976, S. 4f.; Hervorhebung im Original). Dabei beziehen sie sich auf 11 drei bereits relativ scharf konturierte Forschungsansätze" (ebd.,
11
S. 5f.): In der 11 Forschungsrichtung von Harvey Sacks, Emanuel Schegloff, Gail Jefferson, Jim Schenkein, Roy Turner und ihren Schülern" standen bis dato vor allem die 11 form alen Strukturen des Gesprächsablaufs" im Fokus, während die 11 ethnolinguistisch-anthropolo gische[n] Forschungstradition der Ethnographie des Sprechens (John Gumperz, Dell Hymes, Susan Ervin-Tripp, Joel Sherzer und einer Anzahl weiterer Forscher)" nachging, wobei sie 11 die Funktionen des Sprachgebrauchs interessiert" und die 11 Dimensionen der Sprechsituation, in welche die faktischen Kommunikationsabläufe eingebet tet sind," in die Analyse einbeziehen, sowie [d]ie 'kognitive' bzw. 'interpre tativ-ethnomethodologische' Soziologie von Aaron Cicourel, Bud Mehan, Don H. Zimmermann und andere", die sich in Anlehnung an 11 Fragestellun gen, die von Alfred Schütz und Harold Garfinkel aufgeworfen wurden", 11 mit den Bedeutungsproduktions- und Interpretationsprozessen in sprachlichen Interaktionen" beschäftigten (ebd., S. 5). In der Tradition von Garfinkel ste hend 11 [basiert d]ie Entwicklung der conversation analysis [...] auf den Prä missen der Ethnomethodologie" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 121). 11 Für die eth nomethodologische Gesprächsanalyse spiegelt sich in identifizierbarer Ge ordnetheit die systematische Arbeit der Beteiligten wider" (ebd., S. 124).
'Konstitution der sozialen Wirklichkeit im sozialen Handeln' heißt für Garfin kel, daß wir das, was wir im alltäglichen Handeln als vorgegebene soziale Tat-
15 Später wurden häufig Konversationsanalyse und Gesprächsanalyse synonym verwen det, wobei Olbertz-Siitonen darauf verweist, dass „eine Reihe von Arbeiten und Einfüh rungen [...] für sich in Anspruch [nehmen] ,,gesprächsanalytisch zu sein bzw. Methoden der „Gesprächsanalyse" zu nutzen" und „keineswegs eine[m] einzigen methodologi schen Ansatz" verfolgen. (Olbertz-Siitonen 2009, S. 116; vgl. Bergmann 1981, S. 32).
sachen, als objektive Sachverhalte, als unabhängig von unserm Zutun existie rende Realitäten wahrnehmen und behandeln, erst in unseren Handlungen und Wahrnehmungen als solche produzieren. (Bergmann 1981, S. 11)
Olbertz-Siitonen ergänzt - unter Berufung auf Bergmann (1994) und Scheg loff/Ochs(Thompson (1996) - außerdem die Einflüsse des 11 interak tionsan aly tischen Ansatz[es] Goffmans" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 117). Auch Goffman befasste sich eher mit 11 der gewöhnlichen Alltagsinteraktion", 11 verzichtete [aber] bei seinen Analysen fast gänzlich auf Audio- und Videoaufnahmen [und] stützte sich in seinen Beschreibungen auf Beobachtungen, Berichte, er dachte Situationen, Feldnotizen u.ä." (ebd., S. 118). In den letzten Jahren 11 zeichn et sich darüber hinaus die Bedeutung eines multimodalen Analysean satzes ab" (ebd., S. 132), den etwa Schmitt und Deppermann verfolgen (vgl. Schmitt 2015 und Deppermann 2013). So hält Deppermann beispielsweise fest, dass sich 11 lntera ktion von Angesicht zu Angesicht[...] nicht rein sprach lich [vollzieht]" und somit 11 [d]ie leiblich-räumliche Verfasstheit von Interak tionen[...] ihre eigenen Verstehensaufgaben mit sich [bringt], etwa das Fest stellen, ob Interaktionspartner verfügbar sind, die Koordination von Handlungsvorbereitungen und leibliche Aktivitäten oder die Signalisierung von nächsten Handlungsschritten" (Deppermann 2014, S. 290).
Kallmeyer und Schütze postulieren in ihrem Artikel zur Konversations- analyse (vgl. Kallmeyer/Schütze 1976, S. 6-16):
Zum einen legen wir die Kernvorstellung der formal bzw. empiristisch orien tierten Konversationsanalytiker zugrunde, [...] daß die beobachtbaren Formen der Gesprächsorganisation als Mittel zur Lösung von strukturellen Aufgaben erklärbar sind.[...] Zum anderen gehen wir davon aus, daß Gesprächsorganisa tion immer unter der Voraussetzung der Handlungs- und Bedeutungskon stitution bzw. im Hinblick darauf geschieht. (Kallmeyer/Schütze 1976, S. 6)
Dabei betonen sie den 11 dialogischen Charakter" als Interaktionsvorausset zung sowie 11 ein ausreichendes Maß an Kooperation", 11 das eigene Verstehen von Partneräußerungen sowie die Verständlichkeit eigener Äußerungen für den Partner" (ebd., S. 9) und die Zeitlichkeit. Zu dieser Aufgabe gehören auch die 11 Organisation des Sprecherwechsels", 11 das Prinzip der 'konditionellen Relevanz"' etc. (vgl. ebd., S. 14f.). 11 Zur Aufgabenkontur der Konstitution der artiger vollausgebauter Handlungsschemata" verweisen Kallmeyer und Schütze auf 11 lnterpretationsprozesse, nämlich der Prüfung, ob die wesentli chen Komponenten des Handlungsschemas erfüllt sind" (ebd., S. 15-21). Dabei beziehen sich die Autoren auf die 11 Cicour elsche Tradition der Konver sationsanalyse", bei der 11 die grundlegenden Voraussetzungen der Bedeu tungsproduktion und -interpretation für die abzuwickelnde sprachliche In teraktion" 11 im Vordergrund des Interesses stehen" (ebd., S. 23).
Folglich ist das 11 Ziel des Analytikers [...] zu ergründen, welche interakti ven Aufgaben mit einer erkennbaren Regelmäßigkeit bewältigt werden und
welcher Methoden sich die Gesprächspartner bei der Herstellung dieser Ord nung bedienen" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 124). Dabei ist der 11 Ausgan gspunkt der Gesprächsforschung[...] weder die ideologische Spekulation, wie Gesprä che angeblich sind oder sein sollen, noch die Orientierung an schriftsprachli chen oder rhetorischen Standards, sondern die detaillierte Untersuchung authentischer Gespräche" (Deppermann 2004, S. 21). Denn bei der Konver sationsanalyse handelt es sich um 11 eine Beobachtungswissenschaft, die fakti sches Handeln untersucht" (ebd., S. 18). Da sich aber Interaktionen unter an derem dadurch auszeichnen, dass sie flüchtig sind, ist es geboten, die Interaktionen möglichst umfassend aufzuzeichnen.
So wurde zwar des Öfteren kritisiert, dass die Konversationsanalyse bis her noch 11 keinen Regelkatalog" aufweise, bestimmte Prämissen sind jedoch für die konversationsanalytische Arbeit konstitutiv: 11 dies betrifft zum einen den Datentyp (1), zum anderen den Umgang (2) mit diesem speziellen Daten material" (Ayaß 2008, S. 346).16 Bei dem Analysegegenstand soll es sich um Daten 11 von natürlichen Interaktionssituationen" handeln (Ayaß 2008, S. 346).
Unter dem Gesichtspunkt der Natürlichkeit sind Interaktionen aufzuzeichnen, die auch außerhalb einer Erhebungssituation vorkommen, und sie sind so auf zuzeichnen, wie sie außerhalb einer Erhebungssituation vorkommen. (Schu 2001, S. 1015)
Das betrifft verschiedene Kriterien: Die Interaktionen sollen nicht für den Zweck der Aufnahme arrangiert werden. Außerdem darf durch die Erhebung der Daten nicht zu sehr in die Interaktion eingegriffen werden. Eingriffe wä ren etwa bestimmte Vorgaben für die Gesprächsbeteiligten, aber auch gravie rende Umpositionierungen von Sitzgelegenheiten etc. Des Weiteren darf die Aufnahme nicht zu sehr in den Fokus gerückt werden, z.B. durch eine zu präsente Platzierung der Aufnahmegeräte oder durch den Einsatz von Head sets, Tonangeln etc.17 Im Gegensatz dazu steht die Anforderung, dass für eine adäquate Analyse der Daten 11 Aufnahm en guter technischer Qualität" (Depper mann 2008, S. 24; Hervorhebungen im Original) benötigt werden. Dazu ge hört auch, dass 11 diejenigen visuellen Informationen, die für das Handeln der Gesprächsteilnehmer ausschlaggebend sind", ebenfalls erfasst werden (ebd.). Somit ergibt sich bezüglich der beiden Postulate immer ein 11 Spannungsver hältnis", weswegen auch immer nur annähernd natürliche Daten erhoben werden können, wenn eine gewisse Qualität der Aufnahmen sichergestellt werden soll (ebd., S. 25), damit die Interaktion, 11 da sie als Aufzeichnung quasi eingefroren ist, wieder und wieder abgespielt und dem analytischen Zugriff der Interpretation zugänglich gemacht werden" (Ayaß 2008, S. 346) kann. Weiterhin sollen die Daten transkribiert werden: 11Transkriptionen sind de-
16 Vgl. z.B. Deppermann, der ebenfalls ein vorhersehendes Methodendefizit bemängelt (2008, S. 8).
17 Vgl. hierzu auch die Ausführungen Labovs zum Beobachterparadoxon (1972, S. 209).
tailgenau, sie enthalten Versprecher, dialektale Färbungen, Stockungen etc., das Material wird also nicht bereinigt" (ebd., S. 347). Zur Transkription gibt es verschiedene Konventionen. In den letzten Jahren haben sich jedoch- vor al lem im deutschsprachigen Raum - die GAT2-Konventionen von Selting et al. (2009) für die Transkription der Daten in der Konversationsanalyse durchge setzt. Daneben gibt es auch einige Editoren, die die Transkription der Daten unterstützen sollen. Dazu halten die Autoren der GAT2-Konventionen fest, dass 11 [z]um Transkribieren mit Transkriptionsprogrammen (Editoren) [...] andere Eingabekonventionen notwendig sein [können], mit denen GAT2 zwar kompatibel sein soll[...] die es aber nicht festlegen will und kann" (ebd., S. 354f.).
Bergmann hält zu diesem Arbeitsschritt fest:
Dieser erfahrungsgemäß sehr zeitraubende Arbeitsschritt ist zumindest aus zweierlei Gründen erforderlich. Erstens ist die Analyse am Material darauf an gewiesen, daß das Material selbst in einer problemlos verfügbaren, bearbeitba ren, zergliederbaren, vergleichbaren, memorierbaren (?) und rasch rezipierba ren Form präsent ist, und diese Bedingungen werden am ehesten dadurch erreicht, daß aus dem Nacheinander des Interaktionsablaufs das Nebeneinan der eines fixierten Beschreibungstextes wird, daß also, mit anderen Worten, der transitorische Charakter eines Gesprächsgeschehens in der 11 eingefrorenen" Dauerhaftigkeit eines Notats aufgehoben wird. Zweitens werden Transkripte deshalb benötigt, weil ethnomethodologische und konversationsanalytische Arbeiten der Verpflichtung unterworfen sind, dem Leser einen Nachvollzug der Analyse anhand des dem Autor selbst zur Verfügung stehenden Datenma terials zu ermöglichen. (Bergmann 1981, S. 19)
Bei der Analyse des so erhobenen und bearbeiteten Materials soll ferner auf
11 apriorisch[e] Hypothesen [verzichtet]" (Deppermann 2008, S. 11) werden. 11 Besonders charakteristisch für die Gesprächsanalyse ist ihr radikales Empi rieverständnis", das bedeutet, dass 11 Fragestellungen, Konzepte und Hypothe sen materialgestützt zu entwickeln" (ebd., S. lüf.; Hervorhebungen im Ori ginal) sind. Dies basiert 11 auf dem rekonstruktiven Erkenntnisinteresse der Gesprächsanalyse, das darin besteht, solche Prinzipien der Organisation und der Sinnbildung in Gesprächen zu entdecken, denen die Interaktionsteilneh mer im Vollzug von Gesprächen folgen" (ebd., S. 19; Hervorhebung im Origi nal). Das ist vergleichbar mit der von verschiedenen Künstlern - wie z.B. Meister Eckhart, Leon Battista Alberti und Michelangelo - beschriebenen Ar beitsweise, 11 daß der Stein selbst das ihm gemäße Bild in sich trage, daß die künftige Figur also im Stein verborgen liege", aber nicht durch diesen erschaf fen, sondern nur hervorgeholt werde (Wagner 2001, S. 174).
Dabei gibt es bestimmte 11 Eigenschaften", die allen Interaktionen innewoh nen; diese 11 Merkmale" sind (Deppermann 2008, S. 8):
Konstitutivität: Gesprächsereignisse werden von den Gesprächsteilnehmern aktiv hergestellt.
Prozessualität: Gespräche sind zeitliche Gebilde, die durch die Abfolge von Aktivitäten entstehen.
Interaktivität: Gespräche bestehen aus wechselseitig aufeinander bezogenen Beiträgen von Gesprächsteilnehmern.
Methodizität: Gesprächsteilnehmer benutzen typische, kulturell (mehr oder weniger) verbreitete, d.h. für andere erkennbare und verständliche Metho den, mit denen sie Beiträge konstruieren und interpretieren sowie ihren Austausch miteinander organisieren.
Pragmatizität: Teilnehmer verfolgen in Gesprächen gemeinsame und indivi duelle Zwecke, und sie bearbeiten Probleme und Aufgaben, die unter ande rem bei der Organisation des Gesprächs selbst entstehen.
(Deppermann 2008, S. Sf.; Hervorhebungen im Original)
Darüber hinaus 11 besteht der erste entscheidende Schritt darin, in dem Unter suchungsmaterial bestimmte Gleichförmigkeiten oder Regelhaftigkeiten auf zufinden, also durch Beobachtung eine Geordnetheit oder Struktur festzustel len" (Bergmann 1981, S. 21) und die Untersuchungsergebnisse schließlich 11 anh and von Transkriptionsausschnitten" nachvollziehbar aufzubereiten (Olbertz-Siitonen 2009, S. 127).
Ausgehend von diesen Prämissen wurden Daten bei verschiedenen Kinder ärzten erhoben, gesichert, umbenannt, maskiert und inventarisiert. Nach der intensiven Feldarbeit wurde ein Arbeitskorpus zusammengestellt, die ausge wählten Interaktionen transkribiert, Einzellfallanalysen vorgenommen, und datengestützt Fragestellungen entwickelt. Aufgrund der Beobachtungen im Feld sowie den ersten Ergebnissen der Einzelfallanalysen wurden weiterhin eine quantitative Analyse vorgenommen, die üblicherweise nicht zu einer konversationsanalytischen Arbeit gehört, in diesem Zusammenhang jedoch geboten schien, und die Hypothesen anhand des gesamten Korpus unter sucht, Strukturen und Regelhaftes herausgearbeitet.
DATENGRUNDLAGE UND FRAGESTELLUNGEN
Das der Arbeit zugrundeliegende Korpus setzt sich aus 35 Erstkonsultationen und U-Untersu chungen 18 mit triadischer Struktur aus der pädiatrischen Pra xis zusammen. Diese Gespräche liegen alle als Audio- und zum Teil auch als Videoaufnahmen vor. Die Aufnahmen wurden bei vier verschiedenen Kin derärzten der rheinfränkischen und alemannischen Sprachregion erhoben. Alle Gesprächsbeteiligten wurden vor der Erhebung um Erlaubnis gefragt. Das Einverständnis wurde auch in Form von schriftlichen Einverständniser klärungen festgehalten. Wenn Eltern oder die Patienten Einwände gegen die Akquise hatten, wurde entweder (phasenweise) auf den Einsatz der Videoka mera oder auch auf die komplette Aufnahme des Gesprächs verzichtet. Ent scheidend war, dass es sich um eine triadische Kommunikationssituation handelte. Dabei war es zwar irrelevant, ob es sich bei der Begleitperson um einen Elternteil oder einen Erziehungsberechtigten bzw. einen Vormund han delte, in der Regel wurden die Kinder aber von einem oder beiden Elterntei len (hin und wieder auch zusätzlich von den Großeltern) begleitet. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Aufnahmen zwischen 2,5 und 16 Jahre alt.
Von den 35 Gesprächen wurden 16 Gespräche für die Analyse herangezo gen. Entscheidungskriterien hierfür waren das Alter der Kinder sowie die Vollständigkeit und Qualität der Aufnahmen. Aufnahmen mit Kindern unter drei Jahren wurden ebenso nicht berücksichtigt wie Aufnahmen mit vielen Nebengeräuschen: Aufnahmen mit Kindern unter drei Jahren weisen eine sehr geringe Redebeteiligung der Patienten auf, Aufnahmen, die sich durch sehr laute Nebengeräusche auszeichnen, wurden deswegen aussortiert, da nicht gewährleistet werden konnte, dass alle Kommentare, Bemerkungen etc. gehört bzw. richtig verstanden werden.19 Kulturelle Hintergründe waren kein Ausschlusskriterium, allerdings wurde bei der Erhebung darauf geachtet, dass die Beteiligten alle des Deutschen soweit mächtig waren, dass eine durch Sprachschwierigkeiten erschwerte Kommunikationssituation ausgeschlossen werden konnte. Ausgeklammert wurden für die Analyse die Aufnahmen der V-Untersuchungen, auch wenn zumeist in diesen Untersuchungen ebenfalls Probleme zur Sprache kamen. Da diese jedoch anders behandelt werden, hät ten sie die Untersuchung verzerrt.20
18 Bei U-Untersuchungen handelt es sich um Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern, die in von den Krankenkassen vordefinierten Abständen erfolgen und in denen untersucht wird, ob sich die Kinder entsprechend ihres Alters entwickeln, damit Probleme, Störun gen und Auffälligkeiten möglichst früh erkannt und eventuell behandelt werden können.
19 Zum ,,Verständlichkeitspostulat" siehe Schu (2001, S. 1015).
20 Beispielsweise werden bei den U-Untersuchungen die Kinder während der Untersu chung zumeist nicht direkt angesprochen. Entweder werden die Fragen oder Bemerkun gen allgemein formuliert oder die Eltern werden eindeutig als Adressat gewählt. In den
Bei den erhobenen Interaktionen handelt es sich um annähernd natürliche Gespräche, die nicht 11 für den Forschungszweck arrangier[t]" (Schu 2001,
S. 1019) und auch nicht elizitiert wurden (vgl. Schu 2001 oder auch Kap. 2). Die Gesprächsbeteiligten wussten, bevor die Interaktion stattfand, dass sie aufgenommen, zu welchem Zweck die Daten erhoben werden und wie mit diesen Daten weiter verfahren werden sollte. Das gebietet sich allein auf grund ethischer Gründe (vgl. Schu 2001), aber auch wegen gesetzlicher Vor gaben: So steht im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass Aufnahmen einer 11 vorherige[n] Zustimmung (Einwillung)" bedürfen, wobei die Gesprächsbe teiligten zudem auf die Möglichkeit eines 11 Widerru fs" hingewiesen werden müssen(§ 183 BGB). Weiterhin regelt das Bundesdatenschutzgesetz, dass die se 11 Einw illigung [...] nur wirksam [ist], wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht", die Gesprächsbeteiligten über den 11 vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung" informiert wurden und die 11 Erklä rung schriftlich" festgehalten wird(§ 4a BDSG).
In der Regel wurden vor der Interaktion Sprecherinformationen und im Anschluss an die Interaktionen auch noch Metadaten zum Ereignis festgehalten.
Das Audiogerät wurde jeweils auf dem Schreibtisch der Ärzte positioniert, da die Gesprächsbeteiligten sich zumeist um den Tisch herum gruppieren. Da die Sprechstundenzimmer oft sehr klein waren und darüber hinaus jedes Mal eine Umpositionierung im Raum durch mindestens zwei der Gesprächsbetei ligten stattfand, war es geboten, dass die Forscherin in den Gesprächen, in denen ein Mitschnitt mittels einer Videokamera vereinbart worden war, selbst im Raum war und die Kamera führte. In den Erstkonsultationen, die nur mit Hilfe eines Audioaufnahmegeräts festgehalten wurden, hat die Forscherin die Aufnahme gestartet, bevor die Ärzte das Sprechzimmer betraten, und dann selbst das Sprechzimmer verlassen. Das betrifft allerdings nur ein Viertel der aufgezeichneten Gespräche.
Die vorherige Aufklärung, aber auch die Präsenz der Forscherin oder das Aufstellen des/der Aufnahmegeräte(s) wirken sich selbstverständlich auf die
11 Natü rlichkeit" aus und widersprechen dem Postulat von Labov (Schu 2001,
11
S. 1015), nach dem 11 the aim of linguist research in the community" darin be steht, 11 to find out how people talk when they are not being systematically observed", wobei die Daten nur 11 by systematic observation" erhoben werden können, worin dann auch das observer's paradox" besteht (Labov 1972,
S. 209). Deppermann hält zwar fest, dass 11 [j]e besser die Aufnahmequalität und je umfassender die registrierten Daten sein sollen, desto größer wird der Aufnahmeaufwand und desto präsenter und daher störender werden die Be dingungen der Aufnahme für die Untersuchten", aber auch, dass 11 erfah-
ärztlichen Sitzungen, die extra anberaumt wurden, weil es ein Problem im Vorfeld gab, wurden hauptsächlich die Patienten während der Untersuchung adressiert.
Datengrundlage und Fragestellungen 31
rungsgemäß zumindest bei Tonaufnahmen die Aufmerksamkeit für die Tat sache, aufgenommen zu werden, bereits nach einigen Minuten rapide abnimmt" (Deppermann 2008, S. 25). Auch verweist Olbertz-Siitonen darauf, 11 dass die Bedeutung der Aufzeichnungsgeräte für die Beteiligten schnell in den Hintergrund rückt, insbesondere, wenn die Gesprächspartner z. B. eine bestimmte Aufgabe zu bearbeiten haben o.ä., weil sie ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden (müssen)" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 128.). Das zeichnet Arzt-Patient-Interaktionen im Besonderen aus. Auch Flader gibt für 11Therapiegespräche" an, dass
Psychoanalytiker, die zum Zwecke der Therapieforschung mit einem Ton bandgerät arbeiten, versichern, daß sie eine durch das Tonbandgerät verur sachte Veränderung des Behandlungsgesprächs nicht feststellen können. Pati enten, die einer Aufzeichnung zugestimmt haben, 'vergessen' in der Regel das laufende Band ziemlich schnell. (Flader 1987, S. 20)
So konzentrieren sich die Gesprächsbeteiligten - auch in den erhobenen Da ten - auf die jeweiligen Handlungsaufgaben, sodass nur ausgesprochen sel ten Reaktionen auf die Aufnahmesituationen erfolgen.
Die Transkriptausschnitte zu den 16 Daten des Analysekorpus wurden mit dem für das Forschungs- und Lehrkorpus (FOLK) entwickelten Tran skriptionseditor FOLKER21 sowie nach den cGAT-Konventionen in der Versi on l. l22 als Basistranskripte in literarischer Umschrift erstellt.23 Parallel zur Transkription wurden die Daten überdies maskiert. Dabei wurden für die Siglen die Patienten und deren Begleiter durchgezählt, auch um deren Bezie hung zueinander zu verdeutlichen. Die Patienten wurden mit 11 P" abgekürzt, die Mutter mit 11 M" , der Vater mit 11V", eine außerdem anwesende Schwester mit 11 S" und eine zusätzlich anwesende Großmutter mit 11G" .
21 Der Transkriptionseditor FOLKER kann kostenlos und nach einer einmaligen Registrie rung unter http://agd.ids-mannheim.de/folker.shtml (Stand: 17.8.2017) heruntergeladen werden.
22 Die cGAT-Konventionen (Schmidt/Schütte/Winterseheid 2016) bauen auf den GAT2-Kon ventionen (vgl. Selting et al. 2009) auf und wurden lediglich für die Transkription mit ei nem Editor und basierend auf Erfahrungen im FOLK-Projekt, in welchem das Forschungs und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (http://agd.ids-mannheim.de/folk.shtml; Stand: 17.8.2017) aufgebaut wird und das in der Abteilung Pragmatik des Instituts für Deutsche Sprache angesiedelt ist, minimal variiert. Die erste Version kann unter http://agd. ids-mannheim.de/download/cgat_handbuch_version_l_0.pdf (Stand: 17.8.2017) herun tergeladen werden. Die zweite Version vom 23.6.2016 (Schmidt/Schütte/Winterseheid i.Ersch.) wird demnächst ebenfalls über die AGD-Homepage bereitgestellt werden.
23 Da die Lautstärkeveränderung, Veränderungen der Stimmqualität und die Artikulation auch für die Analyse entscheidend waren, wurden zum Teil auch Phänomene notiert, die üblicherweise erst auf der Ebene des Feintranskripts berücksichtigt werden.
Beispielsweise wurde im Gespräch APEG_3324 der Patient P_33 von sei nem Vater V_33 und der Großmutter G_33 begleitet.
Die Ärzte wurden mit 11 A" , die Ärztinnen mit 11 Ä" abgekürzt und ebenfalls durchgezählt. Da die Ärzte jedoch an mehreren Interaktionen beteiligt waren, wurde deren Nummerierung über die Interaktionen hinweg beibehalten.
Wurden die Namen in den Interaktionen benutzt, wurde ein Maskenname eingesetzt. Die Pseudonyme der Patienten, Eltern etc. wurden in Abhängig keit des Geschlechts, der Silbenanzahl und dem Kulturkreis, aus dem der Name stammt, gebildet.s2
Wie im Literaturüberblick (Kap. 1) dargelegt wurde, gibt es kaum Untersu chungen zur triadischen Kommunikation in einer in Deutschland ansässigen Kinderarztpraxis. Vermehrt wurden in den letzten Jahren pädiatrische Ge spräche unter besonderen Bedingungen betrachtet. Dabei ist diese Kommuni kationssituation schon allein durch die triadische Gesprächssituation und die damit einhergehenden 11 spezifische[n] Gesprächsaufgaben" außergewöhnlich, denn alle Gesprächsbeteiligten sind permanent während der Interaktion ge fordert, 11 die unterschiedlichen Kenntnisse und Zuständigkeiten aller Beteilig ten in für die Zwecke des Gesprächs ausreichendem Maß abzugleichen und Verständigung und Gesprächsergebnisse abzusichern" (Spranz-Fogasy/Win terscheid i.Ersch.). Die der Arbeit zugrundeliegenden Fragestellungen sind, wie die Beteiligten mit dieser besonderen Situation - gerade auch in Bezug auf die Adressierung und Rederechte der Parteien - umgehen, insbesondere des wegen, weil bei der Datenerhebung im Feld augenscheinlich wurde, wie we nig die Patienten in der doch vor allem für sie elementaren Situation selbst verbal agieren, sowie welche konfliktären und heiklen Elemente in diesem In teraktionstyp regelmäßig vorkommen und wie auf diese reagiert wird.
24 Die Gespräche wurden ebenfalls durchgezählt. Die Bezeichnung APEG berücksichtigt die triadische Struktur, die mindestens aus einem Arzt, einem Patienten und einem El ternteil besteht.
25 Analog zu den Maskierungsbemühungen, die im FOLK-Projekt herausgearbeitet wur den (vgl. Winterseheid 2015b).
QUANTITATIVE UNTERSUCHUNG DES ANALYSEKORPUS
Bei der Arbeit mit pädiatrischen Daten ist von Anfang an besonders augen scheinlich, dass der auf die Patienten entfallende Redeanteil in einem Arzt Patient-Eltern-Gespräch, welches zum Zweck einer Erstkonsultation anbe raumt wurde, durchweg sehr gering ist und sich zudem im Lauf des Gesprächs auch noch reduziert (vgl. z.B. Aronsson/Rundström 1988; Tates/Meeuwesen 2000; Stivers 2001). Entsprechend den konversationsanalytischen Prämissen, wurden Interaktionen erhoben, dokumentiert, transkribiert und ausgehend vom Material Analysen angestellt, die im Folgenden dargestellt werden. Vor einer qualitativen Analyse findet jedoch zunächst eine quantitative Analyse der Analysedaten statt.
Hierfür wurde - ebenfalls mit Hilfe des Transkriptionseditors FOLKER (vgl. Fußnote 21) - der verbale Gesprächsanteil der drei Parteien innerhalb der Kernphase (vgl. Brinker/Sager 1996, S. 94)26 der Erstkonsultationsgesprä che ermittelt, da die Phasen der Begrüßung und der Verabschiedung immer zwischen allen Parteien aktiv bestritten werden. Bei der Kernphase der Ge spräche wird zwischen Pausen und Sequenzen unterschieden, in denen sich jemand verbal beteiligt, da der Fokus aufgrund der Vergleichbarkeit erst ein mal auf das Verbale gelegt wurde. Ebenfalls keine Berücksichtigung findet in diesem Schritt das zeitweise oder permanente Summen, Singen, Stöhnen, Wimmern oder Jaulen von Patienten. Das liegt daran, dass diese Phänomene, die bei einer qualitativen Analyse natürlich unbedingt berücksichtigt werden müssen und auch interaktionsrelevant sind, bei einer rein quantitativen Ana lyse zu Ergebnissen führen würden, die sich nicht adäquat vergleichen lassen, da in diesen Gesprächen die Kinder keineswegs größere Teile des Gesprächs bestreiten, sondern vielmehr sogar z.B. durch ihr Wimmern auf ihre Verfas sung verweisen und damit gleichzeitig anzeigen, dass sie sich zurzeit nicht imstande fühlen, selbst an bestimmten Phasen des Gesprächs aktiv mitwirken zu wollen/können und/oder auch dass sie nicht annehmen, dass eine Mitwir kung ihrerseits von den anderen Parteien erwartet oder sogar gewünscht wird.
Um dies zu belegen, wird ein Ausschnitt aus einem Gespräch herangezo gen, in dem die Patientin immer wieder schluchzt, wimmert und stöhnt und damit natürlich die eigene Betroffenheit gegenüber den anderen Gesprächs-
26 Im Folgenden wird nur die Kernphase der Erstkonsultationsgespräche in der pädiatri schen Praxis untersucht, da sowohl die Phase der Begrüßung wie auch die Phase der Verabschiedung generell zwischen allen drei Parteien verhandelt werden und dass nach der Begrüßung ganz 11explizit [eine Person] ausgewählt" wird, die die nächste Phase mit dem Arzt bestreiten soll (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6).
beteiligten unterstreicht. Darüber hinaus beteiligt sie sich nicht an der Aus handlung bezüglich der Beschwerden, wie dies in dem folgenden Ausschnitt nachvollzogen werden kann:
Fallbeispiel 1: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 07:50min); BE (00:01.95-00:45.41); 00:01.95-00:19.6027
001 |
M |
06 |
((stöhnt)) |
002 |
A |
01 |
was is ]LOS; |
003 |
M |
06 |
oh |
004 |
|
|
( 0. 37) |
005 |
A |
01 |
halloHO? |
006 |
M |
06 |
fr[anziska hat ]BAUCHweh; |
007 |
P |
06 |
[((stöhnt)) |
008 |
A |
01 |
(0.71) franzisk[a seit ]WANN has des denn, |
009 |
M |
06 |
[hm JA- l |
010 |
P |
06 |
(0.23) ((winselt)) |
011 |
|
|
( 0. 21) |
012 |
M |
06 |
um ZWÖLfe rum; |
013 |
M |
06 |
(.) al[S l O: - |
014 A 01
015 M 06
[ 0 h l
(0.31) im KINDergarten hast auch schon gebrochen ge,
016 |
P |
06 |
(.) <<gedrückt> hm JA>- |
017 |
M |
06 |
ja- |
018 |
|
|
( 0. 2) |
019 |
M |
06 |
u[n um zwölfe ]hab ich sie dann abjeHOLT- |
020 |
A |
01 |
[<<piano> oh JE>· |
021 |
M |
06 |
(0.96) 0 hh so um halb zwölf has de des erste mal geBROCHen;= |
Berücksichtigt man das Stöhnen und Wimmern der Patientin im Gespräch APEG_06 bei der quantitativen Auswertung nicht, so liegt ihre Gesprächsbe teiligung bei ca. 1,55% anstatt bei ca. 3,3%.
Die Gespräche variieren in ihrer Länge extrem. Im zugrunde gelegten Analy sekorpus gibt es jedoch zwei Gespräche, die mit ca. 27 und ca. 34 Minuten überdurchschnittlich lange dauern. Diese Gespräche wurden bei zwei unter-
27 Die Hinweise zu den Transkriptausschnitten werden stets nach demselben Schema no tiert: Zunächst werden die Interaktion, die Gesprächsbeteiligten (dabei werden die Ärzte jeweils mit 11 A" und die Ärztinnen mit 11 Ä", die Mütter mit 11 M", die Väter mit ,,V", die Großmütter mit 11G" und die Patienten mit 11 P" abgekürzt; bei den Patienten wird zusätz lich das Alter sowie deren Geschlecht (m/w) angegeben) sowie die Dauer der Interaktion benannt; anschließend findet eine Verortung im Handlungsschema statt (dabei steht
11BB" für Beschwerdenschilderung/-exploration, 11 D" für Diagnosemitteilung und 11Th"
für Therapieplanung) und eine Angabe dazu, wann diese Handlungsphase beginnt und wann sie endet; schließlich wird eine Angabe zu Beginn und Ende des folgenden Aus schnitts gemacht.
schiedlichen Ärzten geführt. Gemeinsam ist diesen beiden Gesprächen, dass die Fälle auf unterschiedliche Art problematisch sind. In dem einen der bei den Fälle (APEG_03) wird ein Problem präsentiert, welches ferner auch von den Eltern und den Erzieherinnen der Einrichtung, die die Patientin besucht, als Belastung empfunden wird, welche ebenfalls Thema dieser Erstkonsulta tion ist und damit als zweites Problem ebenfalls behandelt wird (vgl. Kap. 9). Dass die Patientin einnässt, ist zwar in einem früheren Gespräch schon einmal thematisiert worden. Damals wurde jedoch vereinbart, erst einmal abzuwar ten und noch nichts zu unternehmen. Als die Eltern den Arzt nun ein weiteres Mal aufsuchen, besteht das Problem weiterhin, hat sich aber durch die Tatsa che, dass noch Einkoten hinzugekommen ist, verschlimmert. Nun soll eine medikamentöse Behandlung folgen, von der die Eltern - auch zum Ende des Gesprächs - nicht wirklich überzeugt sind. Im Gespräch wird thematisiert, was sich seit dem letzten Gespräch ereignet hat, es werden Aussagen anderer Personen wiedergegeben und auch die Bedenken der Eltern ausgebreitet. Ne ben dem vorliegenden Problem werden Reaktionen Dritter und Widerstände der Eltern auf die Therapieplanung des Arztes bearbeitet. Das zweite längere Gespräch (APEG_14) ist von der Suche nach einer Diagnose geprägt, die auch am Ende des Gesprächs nicht mit Sicherheit feststeht. Wiederkehrende 11 Schm erzen im Kopfbereich bzw. Kopfnervenbereich [kommen] als Leit oder Begleitsymptom zahlreicher allgemeiner oder organgebundener Krank heiten" (Roche 2003, S. 1040) vor. Der Arzt nimmt bezüglich der regelmäßi gen Kopfschmerzen der Patientin daher einige Untersuchungen vor. Er nennt zwar am Ende des Gesprächs eine vermutete Diagnose, kündigt aber weitere Untersuchungen an, um diese Diagnose zu verifizieren und andere mögliche Ursachen auszuschließen. Darüber hinaus verweist er aber bereits in diesem Gespräch auf verschiedene Therapiemaßnahmen und plädiert für einen be stimmten Umgang mit dem vorläufig diagnostizierten Krankheitsbild.
Das Gespräch (APEG_16), welches mit ca. 3 Minuten das kürzeste in dem Analysekorpus darstellt, ist eine Erstkonsultation wegen einer kleinen Ent zündung der Bissstelle infolge eines Zeckenbisses, die schnell festgestellt wird, zumal der Patient bereits ausgezogen ist und auf der Liege sitzt, als der Arzt den Raum betritt. Die Ursache für die Entzündung muss nicht geklärt werden, da die Mutter darauf verwiesen hat, an dieser Stelle im Vorfeld selbst eine Zecke entfernt zu haben.
Ein weiteres Gespräch (APEG_02) fällt deswegen auf, weil dort neben dem Problem, wegen welchem der Arzt aufgesucht wurde, noch weitere Pro bleme angesprochen, untersucht werden und auch eine Therapieplanung be züglich dieser Probleme stattfindet. Es ist jedoch trotzdem nicht überpropor tional lang, sondern dauert nur ca. 11 Minuten.
Klammert man diese vier auffälligen Erstkonsultationsgespräche aus, so dauern die Erstkonsultationsgespräche durchschnittlich bei dem Arzt A_0l ca. 6 Minuten, beim Arzt A_02 ca. 6,25 Minuten bei der Ärztin Ä_03 ca. 12
Minuten. Dies entspricht auch in etwa der durchschnittlichen Dauer eines allgemeinen dyadischen Arzt-Patient-Gesprächs in Deutschland, welches durchschnittlich etwa 8 Minuten lang ist (vgl. Deveugele et al. 2002, S. 475). Dass die Gespräche bei der Ärztin in der Regel doppelt so lange dauern wie bei den beiden Ärzten, liegt daran, dass in diesen Gesprächen in der Regel mehr Beziehungskommunikation (vgl. z.B. Holly 2001) betrieben wird. Dies deckt sich auch mit anderen Studien zu Arzt-Patient-Gesprächen mit Ärzten und Ärztinnen, nach denen Ärztinnen sich mehr Zeit nehmen und auch einen anderen Kommunikationsstilpflegen (vgl. z.B. Sieverding/Kendel 2012; Weiß flog et al. 2014). An dieser Stelle soll jedoch auf die Gesprächsführung der Ärzte bzw. Ärztinnen nicht weiter eingegangen und diese schon gar nicht bewertet werden,28 da das Analysekorpus aufgrund der Größe nicht repräsen tativ ist und eine solch komplexe Analyse anhand des Materials auch nicht aussagekräftig wäre. In diesem Kapitel werden nur die quantitativen Zahlen gegenübergestellt und erste Beobachtungen, die möglicherweise für die un terschiedliche Dauer der Daten verantwortlich sind, festgehalten, die dann in den weiteren Kapiteln näher untersucht werden.
Anhand dieser ersten Beobachtungen lassen sich somit zwei Parameter ableiten, die für die Länge des Arzt-Patient-Gesprächs entscheidend sein kön nen: der behandelnde Arzt sowie die Erkrankung des Patienten. Handelt es sich um eine einfach zu stellende Diagnose, wie etwa eine Entzündung, die sichtbar und deren Ursache auch schon bekannt ist, so ist das Gespräch deut lich kürzer als die standardmäßig ermittelte Dauer eines Arzt-Patient-Ge sprächs. Eine Erstkonsultation mit einem Krankheitsbild - wie häufig auftre tende Kopfschmerzen-, welches verschiedene Ursachen haben kann, nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch. Ebenfalls dauern Gespräche länger, wenn in dem Erstkonsultationsgespräch auch Beziehungskommunikation (vgl. z.B. Holly 2001) betrieben wird.
Eine Analyse des Redeanteils hat des Weiteren ergeben, dass der Redean teil der Ärzte in den Gesprächen des Analysekorpus bei durchschnittlich etwa 38,7%, der der Eltern etwa bei 23% und die Beiträge der Patienten lediglich bei ca. 5,2% liegen. In der restlichen Zeit (etwa 30,9%) findet keinerlei verbale Aktivität statt. Zumeist betrifft das die Phasen, in denen der Arzt sich etwas notiert, ein Rezept ausstellt oder den Patienten untersucht. In anderen Studi en zu pädiatrischen Gesprächen - wie etwa bei Aronsson/Rundström (1988)
- wurden ähnliche Werte ermittelt. Dass es sich bei diesen Daten jedoch nur um durchschnittliche Werte handelt, kann man mit Abbildung 1 veranschau lichen. Tatsächlich variieren die Werte nämlich von Gespräch zu Gespräch mitunter stark:
28 Schon allein deswegen, weil es sich bei der Konversationsanalyse nicht um eine 11 norma tive Wissenschaft" (Deppermann 2004, S. 20) handelt, aber auch weil die Dauer eines Gesprächs nichts über die Qualität eines Gesprächs aussagt Hierfür müssten weitere Parameter berücksichtigt werden.
80 ,00%
70,00%
60,00%
50,00%
40,00%
30,00%
20,00%
10,00%
0,000/o
Arzt - Patient - Elter (&Großeiter)
Abb. 11 Redeanteile in den Analysedaten (ohne Pausen)
Die Redebeteiligung der drei Parteien ist dabei jedoch prinzipiell immer ähn lich verteilt. Der Arzt hat zumeist einen größeren Redeanteil als die Eltern und die Patienten haben den geringsten Redebeitrag. 29 In dem Analysekorpus gibt es nur drei Erstkonsultationen mit einer anderen Verteilung: In dem Ge spräch APEG_04 hat zwar der Arzt ebenfalls den größten Redebeitrag, es ent fällt jedoch der geringste Gesprächsanteil auf den anwesenden Elter, wäh rend in den anderen beiden Gesprächen - APEG_06 und APEG_32 -, in denen eine andere Beteiligung vorliegt, die Patienten zwar wie üblich einen gerin gen Gesprächsanteil aufweisen, die Redebeteiligung der Eltern aber jeweils die des Arztes übersteigt. In beiden Gesprächen handelt es sich um Beschwer den, die den Magen- und Darmtrakt betreffen. Ebenfalls ist den Gesprächen gemeinsam, dass die Eltern subjektive Krankheitstheorien aufgestellt haben, die durch den Arzt nicht bearbeitet werden. 30 Besonders gering ist die Beteili gung der Patienten etwa in den Gesprächen APEG_03 und APEG_06. Bei APEG_03 liegt ein Problem vor, das hauptsächlich die Eltern belastet. In APEG_06 zeigt die Patientin durch gelegentliches Wimmern und Schluchzen an, dass es ihr sehr schlecht geht. So entsteht der Eindruck, dass das Befinden der Patienten oder die Symptomatik, wegen der der Arzt aufgesucht wird, nicht nur einen Einfluss darauf hat, wie lange das Gespräch dauert, sondern auch auf die Beteiligung der Patienten.31 Gestützt wird diese Vermutung auch dadurch, dass die Symptomatik die Patientin in APEG_04 sehr wenig beein-
29 Dass Ärzte den höchsten Redeanteil in den Arzt-Patient-Gesprächen haben, ist jedoch nicht ungewöhnlich. So hält u.a. Haferlach (1994, S. 8) fest, dass n[d]er Patient[...] in be stimmten Phasen des Gesprächs nicht zu Wort [kommt]".
30 In Kapitel 9 werden die Initiativen der Eltern näher betrachtet und die Auswirkungen auf das Gespräch untersucht. (Zu subjektiven Krankheitstheorien siehe z.B. auch Spranz Fogasy 2013 oder auch Birkner 2006.)
31 In Kapitel 7 wird auf diese Unterschiede in Bezug auf die Redebeteiligung näher einge gangen und untersucht werden, wieso die Redebeteiligung sich in diesen Gesprächen von der Verteilung in den anderen Gesprächen unterscheidet.
trächtigt. Die Patientin klagt über leichte Beeinträchtigungen beim Schlucken, dennoch handelt es sich bei APEG_04 um die Interaktion mit der höchsten Redebeteiligung eines Patienten (vgl. Kap. 8).
Exkurs: Korrelation zwischen der Redebeteiligung und dem Alter der Patienten
Obwohl man aufgrund des gesteigerten Erfahrungswissens der Patienten, die 11 als (noch) nicht voll sozialisierte Subjekte gelten" (Deppermann 2015, S. 14), bezüglich dieses Interaktionstyps, Krankheitserfahrungen etc. erwarten wür de, dass der Redeanteil älterer Patienten höher ist als der jüngerer Patienten
- und z.B. Tates in einer Studie ermittelt hat, dass Ärzte ältere Patientendeut lich häufiger dazu bestimmen, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen (vgl. Tates 2001) -, lassen die quantitativen Auswertungen der erhobenen Da ten zunächst einmal keinen Rückschluss auf eine Korrelation zwischen dem Alter und der Redebeteiligung der Patienten zu. Durchschnittlich weisen die Gespräche mit neunjährigen Patienten zwar mit 6,53% die höchste Redebetei ligung der Patienten auf und die Gespräche mit den siebenjährigen Patienten mit 3,15% die niedrigste, dass diese Werte jedoch nicht aussagekräftig sind, sieht man an der Darstellung der Spannweite (range):
Alter |
Beteiligung (0) |
4 Jahre |
6,39% |
5 Jahre |
4,91 % |
6 Jahre |
4,81 % |
7 Jahre |
2,59% |
8 Jahre |
3,43% |
9 Jahre |
6,53% |
11 Jahre |
5,71 % |
Alter |
Beteiligung (ran!le) |
4 Jahre |
6,39% |
5 Jahre |
0,94 % - 9,14 % |
6 Jahre |
2,86 % - 6,76 % |
7 Jahre |
2,59% |
8 Jahre |
3,43% |
9 Jahre |
2,05 % - 11,00 % |
11 Jahre |
2,05 % - 9,36 % |
Tab. 11 Beteiligung in den Analysedaten (arithmetisches Mittel)
Tab. 21 Beteiligung in den Analysedaten
(range)
Anhand der stark voneinander abweichenden Extremwerte erkennt man, dass die Patienten sich nicht etwa mit zunehmendem Alter in gesteigertem Maße selbst vertreten, sondern dass es auch innerhalb der Altersgruppen (bspw. bei den neunjährigen Patienten) jeweils eine beachtenswerte Streuung gibt. Somit scheint das Alter nicht der entscheidende Faktor für die unter schiedlich stark ausgeprägte Redebeteiligung zu sein.32
32 Die quantitative Auswertung lässt einen Rückschluss von Alter und Beteiligung nicht zu, es ist aber zu erwarten, dass Alter und Erfahrung der Patienten Auswirkungen auf die Art und Weise der Beiträge der Patienten haben. Für solche Schlüsse liegen jedoch zum
Auffällig ist darüber hinaus, dass die Beteiligung der Patienten mit Fortschrei ten des Gesprächs immer geringer wird (vgl. Tates/Meeuwesen 2000, S. 159; Schwabe 2006a, S. 50; Pantell et al. 1982, S. 398). Um diese These zu überprü fen, müssen die Gespräche in sinnvolle Abschnitte eingeteilt werden, damit diese anschließend einander gegenübergestellt werden können. Um eine sinnvolle Unterteilung in den einzelnen Phasen der Kernphase (vgl. Brinker/ Sager 1996, S. 94) pädiatrischer Erstkonsultationen vorzunehmen, findet eine Orientierung an der klassischen 11 Handlungsstru ktur des ärztlichen Ge sprächs" statt, die anhand verschiedener - dyadischer - Erstkonsultationsge spräche für das Gespräch zwischen erwachsenen Patienten und den Ärzten von Spranz-Fogasy abgeleitet wurde (vgl. z.B. Spranz-Fogasy 2005, S. 20-23).
Unter einem Handlungsschema wird ein kulturell etablierter Vorstellungs zusammenhang von Gesellschaftsmitgliedern verstanden, der Angaben über konstitutive Bestandteile der komplexen Handlung enthält (11 w as dazu ge hört"), Angaben über die logische Struktur der Handlungsentwicklung (11 w as wann kommt") und Angaben über unerläßliche Beteiligungsvoraussetzungen der Handlungsausführenden enthält (11 w as man dazu braucht"). [...] Hand lungsschemata gelten diesem Ansatz zufolge als Ordnungsstrukturen, an denen sich Interaktionsteilnehmer in ihrem kommunikativen Handeln orien tieren. (Nothdurft 1984, S. 14f.)
Die für das ärztliche Erstgespräch ermittelten Handlungsschemakomponen ten, 11 die nacheinander von den Teilnehmern hergestellt und bearbeitet wer den", sind (Spranz-Fogasy 2005, S. 21):33
Begrüßung und Gesprächseröffnung
Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration
Diagnosestellung
Therapieplanung und -entwicklung
Gesprächsbeendigung und Verabschiedung.
Diese 11 komplexe Hierarchie von Aufgaben [wird] von den Gesprächspartnern gemeinsam, nacheinander und im Wechsel[...] bewältig[t]", wobei es sichle diglich um eine 11 idealtypische Abfolge" der 11 notwendigen und fakultativen Bestandteile einer komplexen Gesprächshandlung" mit bestimmten Hand lungsaufgaben für die Gesprächsbeteiligten handelt (Spranz-Fogasy 2005,
einen zu wenige Daten vor, zum anderen unterscheiden sich die Daten bereits bezüglich der Krankheitsbilder sehr voneinander, sodass eine solche Frage mit dem erhobenen Korpus darüber hinaus nicht zu klären wäre, sondern nur angenommen werden kann.
33 Diese Handlungsschemakomponenten haben sich in der deutschen Forschungsland schaft etabliert. Deswegen werden sie an dieser Stelle zunächst unreflektiert übernom men. Im Kapitel 6 soll die Übertragbarkeit der Handlungsschemakomponenten, die z.B. bei Spranz-Fogasy (2005) für Erstgespräche in der medizinischen Praxis herausgearbeitet wurden, auf den Interaktionstyp pädiatrisches Erstkonsultationsgespräch kritisch hin terfragt und angepasst werden.
S. 20). Ermittelt wurde diese Handlungsstruktur für ärztliche Gespräche an hand von 1160 Gesprächen, die bei fünf verschiedenen Ärzten und Ärztinnen unterschiedlicher Fachrichtung (Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Urolo gie) aufgezeichnet und sprachwissenschaftlich ausgewertet wurden" (ebd., S. 21).
Beschwerdenschilderung und Untersuchung ■Diagnose ■Th erapieplanung
Filtert man die verbale Beteiligung der Patienten in der Kernphase pädia trischer Erstkonsultationsgespräche nach der Herausarbeitung der Phasen und stellt diese einander gegenüber, so fällt auf, dass die durchschnittliche verbale Beteiligung gerade in der Phase der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration am höchsten ist, während die Beteiligung in den Phasen der Diagnose und der Therapieplanung nur sehr gering ausfällt:
Abb. 21 Durchschnittliche Redebeteiligung der Patienten in Bezug auf die Handlungsschemakomponenten in der Kernphase der pädiatrischen Kommunikation
In drei Gesprächen des Analysekorpus gibt es nur in der Phase der Beschwer denschilderung eine verbale Beteiligung der Patienten. In neun weiteren Ge sprächen gibt es nur eine Beteiligung in zwei Phasen: entweder nur in der Beschwerdenschilderung und der Diagnose oder in der Beschwerdenschilde rung und der Therapieplanung. In vier Gesprächen beteiligen sich die Patien ten in allen drei Handlungsschemakomponenten der Kernphase. Dabei ist festzuhalten, dass die verbale Beteiligung in beinahe allen Gesprächen in der Phase der Beschwerdenschilderung am höchsten ist.34 Außerdem gibt es in allen Gesprächen eine verbale Beteiligung der Patienten in der Phase der Be schwerdenschilderung, während in drei Gesprächen keine und in neun Ge sprächen auch nur in einer weiteren Phase der Kernphase eine Gesprächsbe teiligung der Patienten festzustellen ist.
34 Es gibt nur ein einziges Gespräch, in dem die verbale Beteiligung in der Phase der Dia gnose höher ist als in der Beschwerdenschilderung.
Die verbale Beteiligung der Patienten nimmt also während der Kernphase des Gesprächs nach und nach ab.35
Es greift aber nach den ersten Beobachtungen und ersten Untersuchungen (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013 und Winterseheid 2015a) zu kurz, die ungleichmäßige Verteilung der Redebeiträge einfach auf einzelne Phänomene der Ausgrenzung oder Einbeziehung zurückzuführen oder prin zipiell auf den Stil des Arztes (vgl. z.B. Tates et al. 2002, S. 12; van Dulmen 2004, S. 8), der Eltern (vgl. z.B. Aronsson/Rundström 1988, S. 186) oder ande rer einzelner Faktoren, wie dem Alter in Bezug auf die verhandelten Themen (vgl. z.B. Stivers/Majid 2007, S. 433; van Dulmen 2004, S. 8). Alle diese Punkte sind entscheidend, aber nicht für sich genommen, sondern gemeinsam zu betrachten.
Allerdings kann man bereits erste Erkenntnisse festhalten: Die Länge der Gespräche hängt offensichtlich von den behandelnden Ärzten und den Be schwerden der Patienten ab. Die Interaktionen, an denen eine Ärztin beteiligt ist, dauern üblicherweise doppelt so lang wie die Interaktionen mit einem Arzt. Schwer einzugrenzende Beschwerden oder die Präsentation mehrerer Beschwerden sowie die Gegenwehr von Eltern führen ebenfalls dazu, dass Interaktionen länger dauern. Die Beteiligung der Patienten ist nicht einheit lich, aber durchgehend geringer als die Beteiligung der erwachsenen Partei en. Auf den Arzt entfällt im Gespräch üblicherweise der höchste Redeanteil. Die quantitative Beteiligung der Patienten hängt nicht von deren Alter ab, wohl aber von deren Verfassung. Um die Ergebnisse der quantitativen Analy se, die bereits mit ein paar ersten Beobachtungen verknüpft wurden, besser einordnen zu können, folgt nun zunächst eine qualitative Beispielanalyse der Kernphase eines Gesprächs.
35 Dieser Punkt wird in den nächsten Kapiteln weiter verfolgt. Im Anschluss an die nun folgende Beispielanalyse, in der dies ebenfalls nachvollzogen werden kann, findet eine Differenzierung des Handlungsschemas sowie anhand zweier Beispiele ein noch etwas differenzierterer Blick auf die jeweilige Beteiligung der Patientinnen innerhalb einzelner Phasen und Handlungsschemakomponenten statt. Darüber hinaus werden in Kapitel 8 die Aufforderung zur Übernahme der Beschwerdenschilderung, die Reaktionen auf die se sowie verschiedene Strategien zur Aktivierung der Parteien untersucht.
In diesem Kapitel wird die Beispielanalyse der Kernphase eines Gesprächs vorgenommen, da es wichtig ist, an einem Beispiel den gesamten Verlauf ei nes solchen triadisch-pädiatrischen Gesprächs nachzuvollziehen, die einzel nen Phasen als solche herauszuarbeiten, bestimmte Prozesse nachvollziehbar zu machen und die Relevanz der Fragestellungen (vgl. Kap. 3) darzulegen. Dafür wird das Gespräch zunächst grob hinsichtlich verschiedener quantita tiver Gesichtspunkte eingeordnet und sequenziell analysiert.36 Dabei ist es nicht möglich, auf alle interessanten Phänomene einzugehen, es sollen aber bereits einige Besonderheiten dieses Interaktionstyps herausgearbeitet wer den, die anschließend in der weiteren Arbeit - dann in Bezug auf das gesamte Analysekorpus - weiterverfolgt werden.
Die Beispielanalyse wird an dem dreizehnten Erstkonsultationsgespräch (APEG_13) vorgenommen, welches am 19.6.2009 in einer Praxis im alemanni schen Sprachraum zwischen einem Arzt (A_Ol), einer fünfjährigen Patientin (P_13) und ihrer Mutter (M_l3) stattfand. Der Sprechstundentermin wurde vereinbart, weil die Patientin seit einer Woche einen Hautausschlag hat, der nicht nur nicht verschwindet, sondern sich überdies noch verändert.
Das Gespräch kann u.a. deswegen als typisch eingestuft werden, da es ca. 5% Minuten lang ist und die Erstkonsultationsgespräche bei Arzt A_Ol durch schnittlich 6 Minuten dauern. Außerdem liegt die Redebeteiligung des Arztes unter Berücksichtigung der Phasen, in denen nichts gesagt wird, im gesamten Gespräch bei 23%, die der Patientin bei 4% und die der Eltern bei 21%. In 52% des Gesprächs findet keine verbale Interaktion statt. Berücksichtigt man die Pausen nicht, so unterscheiden sich die quantitativen Parameter dieses Ge sprächs nur geringfügig von den durchschnittlichen Werten:
|
Arzt |
Patient |
Elter (& Großeiter) |
APEG_13 |
55,07% |
8,59% |
36,34% |
0 |
60,00% |
8,00% |
32,00% |
Tab. 3 I Vergleich des durchschnittlichen Redebeitrags mit dem Redebeitrag von APEG _13 (ohne Pausen)
36 Ebenso wie im vorausgegangenen Kapitel wird an dieser Stelle das Handlungsschema medizinischer Gespräche (vgl. Spranz-Fogasy 2005, S. 21) unreflektiert für eine Untertei lung herangezogen. Zunächst wird das Transkript zu der entsprechenden Handlungs schemakomponente en bloc dargestellt und anschließend analysiert. Im Zuge der Bei spielanalyse wird das Handlungsschema medizinischer Gespräche, das anhand von dyadischen Erstgesprächen aufgestellt wurde, daraufhin untersucht, ob es auch für tria disch-pädiatrische Gespräche herangezogen werden kann oder für diesen speziellen In teraktionstyp eine Variation erfahren muss.
44 Beispielanalyse
Auch bei der Betrachtung der einzelnen Handlungsschemakomponenten von APEG_13 sieht man, dass die Beteiligung der Patientin P_13 sich mit der durchschnittlichen Beteiligung der Patienten des Analysekorpus weitestge- hend deckt:
Abb. 3 | Vergleich des durchschnittlichen Redebeitrags mit dem Redebeitrag von APEG_13 (ohne Pausen) unter Berücksichtigung der Handlungsschemakomponenten
Abb. 4 | Skizze des Behandlungsraums in APEG_13
Die Patientin beteiligt sich in der Phase der Diagnosemitteilung nicht verbal. Dies ist jedoch auch nur in der Hälfte der Daten gegeben. Außergewöhnlich ist hingegen, dass die Patientin bereits auf der Liege sitzt, als der Arzt das Zimmer betritt. Üblicherweise sitzen die Patienten und die sie begleitenden Eltern auf den bereitgestellten Stühlen vor dem Tisch, der in dem Sprechzim- mer steht. Diese Interaktion findet jedoch in einem sehr kleinen Behandlungs- zimmer statt, in dem nur ein einziger Stuhl steht, den die Mutter während des gesamten Gesprächs belegt. Weiterhin stehen in diesem Zimmer eine Liege und in der Ecke ein kleiner Schreibtisch mit einem Computer. Da sich der einzige Stuhl am Rand befindet, ist die Positionierung der Parteien durch den
Raum quasi „vorgegeben" (Nolda 2006, S. 317) und somit zu erwarten. Die Patientin sitzt auf der Liege und der Arzt steht direkt vor der Liege.
Nach der Begrüßung aller Gesprächsbeteiligten erkundigt sich der Arzt bei der Patientin nach dem Grund für ihr Erscheinen und leitet damit die Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration ein.
Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration
Die Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Be schwerdenexploration ist häufig die längste Phase in einem triadisch-pädiat rischen Erstkonsultationsgespräch. In dieser Interaktion fordert der Arzt die Patientin explizit dazu auf, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen.
Fallbeispiel 2:
APEG_13 (A-PwS-M; ca. 5:43min); BE (00:06.80-02:08.12); 00:06.80-02:08.12
001 |
A |
01 |
was is los mit DIR, |
||
002 |
P |
13 |
(.) ich hab (.) so STiche |
||
003 |
A |
01 |
((schnalzt)) |
||
004 |
P |
13 |
(.) |
0 h |
(.) oder irgendwas so DA-= |
005 |
P |
13 |
=und wir wissen nicht WAS. |
||
006 |
A |
01 |
(0.73) seit WANN haste de[s denn, |
||
007 |
M |
13 |
[s seit l]etzten FREItag- |
||
008 |
M |
13 |
(.) da war_ma auf_m SPIELplatz un ich hab erst gedacht |
||
|
|
|
es wärn stiCHE; |
||
009 |
M |
13 |
(0.74) weil des eigentlich relativ |
||
010 |
M |
13 |
(.) JA,=es sah halt aus wie stiCHE |
||
011 |
M |
13 |
(0.21) un jetz wird des aber imMER |
||
012 |
M |
13 |
( 0. 49) |
||
013 |
P |
13 |
boa[ng |
||
014 |
M |
13 |
[imme]r(.) KOmischer- |
||
015 |
M |
13 |
un die gehn auch gar net WEG- |
||
016 |
M |
13 |
ich hab da mal mit feNIStilgel s probiert |
||
017 |
M |
13 |
aber des hat auch NIX gebracht- |
||
018 |
M |
13 |
und sie sagt es fängt jetzt auch an zu JUCKen; |
||
019 |
|
|
(2 .1 7) |
||
020 |
A |
01 |
zeig mal HER, |
||
021 |
|
|
( 8 .1) |
||
022 |
M |
13 |
dann hatte sie au mal ne HOse an die genau an der stelle |
||
|
|
|
en kopf hatte;= |
||
023 |
M |
13 |
=wo ich gedacht [hab ((unverständlich))] |
||
024 |
A |
01 |
[ziehs mal GANZ ]aus. |
||
025 |
|
|
( 0. 46) |
||
026 |
M |
13 |
ob des vielleicht irgendwie ä al[ler ]GIE oder was i [s, l |
||
027 |
P |
13 |
[(oh) |
028 |
P |
13 |
[ps]up[s |
|
029 |
M |
13 |
[so ]ä kontaktallerGIE? |
|
030 |
P |
13 |
(klitsch) |
|
031 |
|
|
(5.08) |
|
032 |
A |
01 |
hm; |
|
033 |
|
|
( 0. 52) |
|
034 |
M |
13 |
hm; |
|
035 |
|
|
(5. 0) |
|
036 |
A |
01 |
sind ja richtige BLÄ:Schen; |
|
037 |
A |
01 |
( 0. 24) |
|
038 |
M |
13 |
ge[ll; |
|
039 |
A |
01 |
[und ]in GRUPPen; |
|
040 |
|
|
( 0. 6) |
|
041 A 01 0 h (0.29) is eherne HERpesinfektion |
||||
042 |
|
|
( 0. 35) |
|
043 |
M |
13 |
ja EHRlich, |
|
044 |
A |
01 |
( 0. 7) |
|
045 |
XX |
|
((schnieft)) |
|
046 |
|
|
( 0. 2) |
|
047 |
M |
13 |
wo KRIEGT man so was? |
|
048 |
A |
01 |
(5.04) sons has de se nirgendWO; |
|
049 |
A |
01 |
[rutsch malen stück]chen RUNter- |
|
050 |
M |
13 |
[mhmh |
|
051 |
|
|
(1.28) |
|
052 |
M |
13 |
mhmh |
|
053 |
|
|
(2.89) |
|
054 |
A |
01 |
und es JUCKT, |
|
055 |
|
|
(1.0) |
|
056 |
M |
13 |
die LETZten tage sagt sie es juckt;=gä, |
|
057 |
M |
13 |
vorher hat s nich [geJUCKT, ] |
|
058 |
P |
13 |
[hm ][ja |
|
059 |
A |
01 |
|
[gu lt- |
060 |
|
|
(11.4) |
|
061 |
A |
01 |
oh ( .) warn das GLEICH solche bläschen oder; |
|
062 |
M |
13 |
(0.72) NEE-=des sah ERSCHT aus wie stiche; |
|
063 |
A |
01 |
(3.49) also die sin ja jetz FLÜSsig [(ausgefüllt)-=ne, |
|
064 |
M |
13 |
[JAja (.) jaja; |
|
065 |
|
|
(1.01) |
|
066 |
M |
13 |
NEE- |
|
067 |
M |
13 |
(.) die die sahen vorher aus |
|
068 |
M |
13 |
also im prinzip wie so kleine hm |
|
069 |
M |
13 |
wie kleine+++++++++ ah da hat sie was GSTOCHen irgendwie; |
|
070 |
A |
01 |
(.) hmhm |
|
071 |
|
|
(1.27) |
|
072 |
P |
13 |
(un/hm) da |
|
073 |
|
|
(1.64) |
|
074 |
P |
13 |
oder war es (.) <<piano> (dunkler) > |
075 ( 1. 64)
076 A 01 in der mitte is da so en (.) schwarze PÜNKTchen,
Nach der Begrüßung startet der Arzt mit der 11 inha ltliche[n] Frage" (Spranz Fogasy 1987, S. 298; Hervorhebung im Original) was is los mit DIR, (Z. 001).37 Schon allein durch die Formulierung der Frage wird zunächst einmal die Pa tientin adressiert und diese dazu aufgefordert, mit der Beschwerdenschilde rung zu beginnen. Das wird deswegen augenscheinlich, da üblicherweise die Patienten gedutzt, während die sie begleitenden Elternteile oder Großeltern gesiezt werden. 38
Die patientenseitige Schilderung soll gemeinhin dazu beitragen, das Wis sen bezüglich der Beschwerden 11 in einem interaktiven Prozeß in gemeinsa mes Wissen [umzuwandeln] und zwar mindestens so weit, daß der Arzt mit diesem Wissen und seinem typisierten professionellen Wissen therapeutische Schritte einleiten kann" (Spranz-Fogasy 1987, S. 295).
Zugleich wird mit der Frage aber auch der Wissensstand des Arztes wi dergespiegelt, mit dem er das Sprechzimmer betrat. Er erfragt Einzelheiten zu dem speziellen Umstand, der die Patientin in seine Praxis führt. Der Arzt setzt also bereits voraus, dass der Gesundheitszustand der Patientin von der Nor malform abweicht und die Patientin nicht wegen einer Vorsorgeuntersu chung, einer Impfung o.Ä. zu ihm gekommen ist. Der Arzt macht von diesem Wissen Gebrauch und positioniert sich zudem als Wissender (,,Selbstpositio nierung" (Lucius-Hoene/Deppermann 2004, S. 169; Hervorhebung im Origi nal)). Dass der Arzt bereits weiß, dass die Patientin wegen eines bestimmten Anliegens zu ihm kommt, liegt zum einen darin begründet, dass es in den meisten Praxen zum einen bestimmte Zeiten gibt, zu denen die Vorsorgeun tersuchungen, Impftermine etc. und in denen die Sprechstundentermine für akute Fälle stattfinden. Das heißt, dass der Arzt bereits durch die Tageszeit weiß, dass es sich nicht um eine Vorsorgeuntersuchung oder Impfung han delt. Zum anderen wird zumeist schon bei der Terminvereinbarung oder bei der Ankunft in der Praxis zwischen der Arzthelferin und den Eltern geklärt, weswegen der Arzt in diesem Fall aufgesucht wird. Diese Information wird festgehalten und dem Arzt in den meisten Fällen auch kurz vor Betreten des Behandlungszimmers mitgeteilt.
Die Patientin reagiert auf die an sie gerichtete Frage. Die erste Intona tionsphrase,39 die die Patientin produziert, ist bereits sehr implikativ. Denn sie benennt mit der Äußerung ich hab (.) so STiche- (Z. 002) zunächst einmal ein relativ handfestes medizinisches Phänomen, nämlich Stiche, welche als Ursa-
37 Zu Gesprächseröffnungen vgl. z.B. Spranz-Fogasy (1987) und Kapitel 8.1.
38 So verhält es sich auch in allen Interaktionen des Analysekorpus.
39 Bei einer Intonationsphrase handelt es sich um „eine zusammenhängende Einheit", die sich „durch einen als kohäsiv wahrgenommenen Tonhöhenverlauf" auszeichnet (Selting et al. 2009, S. 370).
ehe für den Arztbesuch angeführt werden.40 Bei einem Stich handelt es sich in diesem medizinischen Zusammenhang um eine Verletzung, die durch das Eindringen von etwas Spitzern, wie bspw. dem Stachel eines Tieres oder dem Dorn einer Pflanze, entstanden ist, und da hier das Präsens verwendet wird, auch noch sichtbar sein wird.
In dem Moment, in dem sie die Stiche erwähnt, vollzieht die Patientin eine Körperdrehung, sodass sie ihre linke Seite mehr in das Blickfeld des Arztes dreht, und fährt sich mit der linken Hand über eine bestimmte Stelle am lin ken oberen Oberschenkel.
11
11 11
Diese Aktivität gipfelt darin, dass sie sich in dem Augenblick, in welchem sie das Deiktikum DA- (Z. 004) realisiert, mit der flachen Hand auf diese Stelle auf ihrer Hose klopft, obgleich der Arzt zu diesem Zeitpunkt nicht sehen kann, worauf sie verweist, weil sie die Hose noch trägt. Damit lokalisiert sie jedoch bereits multimodal die entsprechende Stelle und deutet auch nonver bal auf ein wahrnehmbares Phänomen hin. Nachdem sie bei DA-(Z. 004) auf die entsprechende Stelle geklopft hat, streicht sie erneut über den Oberschen kel. Der Körper eines Patienten stellt in einer Erstkonsultation per se einen spezifische[n] Raum" dar, dessen Relevan z [...] noch vor dem Eintritt" in die tatsächliche Arzt-Patient-Interaktion etabliert" (Stukenbrock 2008, S. 2) wird. Durch die Beschwerdenschilderung und den Hinweis auf die betroffe ne Körperregion wird diese Stelle durch die Patientin zusätzlich durch verba le wie nonverbale Mittel 11 in den Aufmerksamkeitsfokus gerückt" (ebd.). Das Besondere an dieser Situation ist:
Beim Zeigen am eigenen Körper ist der Körper des Zeigenden identisch mit dem Körper, auf den gezeigt wird, so dass der Körper des Zeigenden zum se miotischen Doppelraum wird. Er ist sowohl zeigender Körper bzw. Zeigesubjekt also auch gezeigter Körper bzw. Zeigeobjekt. Das bedeutet, dass der Körper, der die Zeigegesten ausführt, zugleich der Verweis- bzw. Suchraum seiner eigenen Zeigegesten ist. (Stukenbrock 2008, S. 8; Hervorhebungen im Original)
Stukenbrock weist darauf hin, dass der Patient diese 11 Herstellung des Ver weisraums leisten und aufrechterhalten muss" (ebd., S. 9), was die Patientin in
40 Auf die 11 kogni tiv-pragmatischen Schemata" zu 11 Problempräsenta tion" (vgl. Nothdurft 1984) kann in dieser Arbeit - wie auch auf die 11 Lösungsentwicklung" - nicht eingegan gen werden (Kallmeyer 2014, S. 256).
diesem Fall einerseits über die Drehung des Körpers leistet und andererseits durch die Bewegung ihrer Hand über der entsprechenden Stelle sowie dem Klopfen durch diese auf diese Stelle und der simultanen Realisierung des Deiktikums. Die Drehung des Körpers führt dazu, die betroffene Stelle in den Blickraum des Arztes zu drehen, die Bewegung der Hand verengt den infrage kommenden Bereich auf eine begrenzte Hautpartie und mit dem Verbalen un terstützt sie diesen Bezug auf etwas Wahrnehmbares (vgl. z.B. Stukenbrock 2008; Schegloff 1984; Schmitt 2005; Deppermann/Schmitt 2007). Die Patientin selbst blickt den Arzt weiterhin an, kann aber natürlich ihre eigene Berührung der entsprechenden Stelle spüren (vgl. Stukenbrock 2008, S. 14).
11
Durch das als Demonstrativpronomen verwendete Adverb so (Z. 002/004) sowie das Indefinitpronomen irgendwas (Z. 004) zeigt sie aber auch an, dass es sich bei der Hautirritation um etwas handelt, das sich von Stichen in irgend einer Art und Weise unterscheidet. Durch diesen Heckenausdruck signalisiert die Patientin an dieser Stelle, dass sie sich nicht auf die eingeführte subjektive Krankheitstheorie festlegt .41 In der nächsten Intonationsphrase wird dann die Aufweichung noch weitergetrieben, indem sie mit =und wir wissen nicht WAS. (Z. 005) die Einordnung nun völlig zurücknimmt und gleichzeitig ein kollektives Nichtwissen der Hautirritation gegenüber postuliert. Dies wird noch dadurch gesteigert, dass sie das WAS (Z. 005) prosodisch markiert. Die Patientin lässt an dieser Stelle offen, inwiefern die Stiche sich von normalen" Stichen unterscheiden und was das Unbekannte ist, das sie nicht kennen. Die Konstruktion lässt weiterhin offen, ob sie das Symptom meint, das nicht ein geordnet werden kann, oder ob es darum geht, was nun zu tun sei. Mit der zunehmenden Form der Relativierung geht jedoch gleichzeitig auch eine stei gende Präzisierung einher. Es wird von der Patientin auf eine zuvor aufge stellte Annahme referiert, die besprochen und vor dem Sprechstundenge spräch schon wieder zurückgenommen wurde. Dass es sich um etwas handelt, was ausgehandelt wurde, wird dadurch klar, dass sie hier nicht nur von ih rem eigenen Nichtwissen spricht, sondern auch mittels kollektivem Wir (siehe auch Kap. 8.4) noch mindestens ihre Mutter miteinbezieht. Durch das Eingestehen des Unwissens legitimiert sie zum einen den Arztbesuch (,,doc torability", Heritage/Robinson 2006), da der Arzt Experte bei der Bestimmung des Phänomens und des weiteren Vorgehens ist und dem Nichtwissen der Laien Wissen entgegensetzen kann (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28ff.). Zum anderen schließt die Formulierung neben den verantwort lichen Personen auch die Patientin selbst mit ein. Dass die Patientin sich hier zum Kollektiv rechnet, symbolisiert ein selbstbestimmtes Agens (vgl. z.B. Kook 2015; Schwabe 2006b). Selbstbewusst präsentiert sie sich auch, indem
41 Wüstner (2001, S. 309) definiert subjektive Krankheitstheorien als ,,Vorstellungen über die Verursachung einer Krankheit und über die Beeinflussbarkeit". Zu subjektiven Krankheitstheorien vgl. auch Kapitel 9.
sie, als Trägerin der Symptome, selbst mit der Beschwerdenschilderung be ginnt. Darüber hinaus aktiviert sie nun mit der letzten Formulierung daneben auch die Mutter, die sich nach der Begrüßung zunächst verbal zurückgehal ten hatte. Denn 11 [ w ]enn ein Sprecher als Teamsprecher auftritt, ist er nicht der alleinige Eigner seines Beitrags", weswegen 11 seine (schweigenden) {Ko-Eig ner} ebenfalls Rechte auf diesen Beitrag haben und für dessen Inhalte und Konsequenzen mitverantwortlich sind" (Bauer 2009, S. 127).
Dieser Hinweis einer Person - hier der Patientin - auf das Ensemble, zu dem sie, aber auch eine weitere anwesende Person gehören, 11 erlaubt es den Teammitgliedern einzugreifen und z.B. Fehler zu korrigieren (auch an Stel len, die nicht für einen Sprecherwechsel geschaffen sind und auch wenn sie nicht als nächster Sprecher gewählt wurden)" (ebd.).
11
Die Patientin ist der Aufforderung des Arztes gefolgt und hat mit der Be schwerdenschilderung begonnen. Nachdem sie geendet hat, fällt das Re derecht (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974) aufgrund der 11 Sequential Orga nization of a Typical Three Part Structure", die aus 11 Initiation", 11 Reply" und Evaluation" besteht, 42 aber auch weil es sich bei dem Arzt um den steuern den Gesprächsbeteiligten dieser Interaktion handelt, der wegen seiner Profes sion mit den Rechten für diese Beteiligungsrolle ausgestattet ist, zunächst an den Arzt zurück (vgl. Quasthoff 1990), zumal die Patientin auch während der Bearbeitung den Blickkontakt zum Arzt aufrecht hält und sich nicht etwa der Mutter zuwendet.
Innerhalb des Gesprächs existieren bestimmte Gesprächsabschnitte, in de nen entweder der Patient oder der Arzt die 11 Zustän digkeit" hat (Overlach 2008, S. 173f.). Auf der Ebene der Gesprächsorganisation bedeutet das, dass nach dem Ende einer Ebene einer Diskurseinheit (oder einer TCU im weiteren Sinne) das Rederecht nicht frei disponibel ist, sondern an den oder die mo mentan zuständigen Sprecher zurückgeht (vgl. ebd., S. 173f.).
Der Arzt reagiert auch und geht zunächst nicht auf das Problematische in den bisherigen Äußerungen ein, sondern erfragt Informationen, die die Pati entin bisher nicht gegeben hat.43 Er fragt sie nach dem Zeitpunkt des Auftre tens dieser sichtbaren Veränderung am Körper (Z. 006). Damit reagiert er dennoch in mehrerlei Hinsicht auf die Äußerung der Patientin: Einerseits ist die Frage ganz klar an die Patientin adressiert. Die Patientin hat sich als dieje nige etabliert, die die Frage des Arztes beantwortet hat und beantworten konnte, und so wählt er sie erneut als Adressatin seiner nächsten Frage aus. Damit signalisiert er den Beteiligten, dass er ihr die Beantwortung der nächs-
42 Vgl. Mehan (1979), der selbst, indem er sich auf Shuy (1976), Doeblen (1979) und Fischer (1979) bezieht, angibt, dass es sich um eine Struktur handelt, die man auch in ärztlichen Gesprächen findet.
43 Dies ist jedoch keine Besonderheit pädiatrischer Gespräche. Auch in Arzt-Patient-Inter aktionen mit erwachsenen Patienten sind 11 typischerweise erste Problempräsentationen in der Regel unvollständig" (Kallmeyer 2014, S. 256).
ten Frage ebenfalls zutraut, denn Ärzte haben 11 a strong preference for answer over non-answer response" (Stivers/Majid 2007, S. 426).44 Dies kann - wie auch hier - bereits durch die Verwendung der zweiten Person Singular ge schehen, da Kinder in der westlichen Kultur geduzt werden. Andererseits zollt er ihrer Beschreibung in dem Sinne Anerkennung, dass er das Beschrie bene mit de[s (Z. 006) umschreibt und sich auch kohäsiv darauf bezieht. Somit hat er die Abwahl der Stiche nachvollzogen und bezieht sich auf das Unbe kannte, über das die Patientin ihn aufgeklärt hat.
Noch bevor der Arzt seine Äußerung beenden kann, wählt sich jedoch die Mutter selbst als Sprecherin (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Dass sie un terstellt, dass ihre Tochter den genauen Zeitpunkt nicht kennen kann, und sie deswegen eingreifen muss, kann an dieser Stelle ausgeschlossen werden, da sie in diesem Fall die Reaktion der Patientin hätte abwarten und dann ein schreiten können, wenn erkennbar geworden wäre, dass diese die Frage nicht beantworten kann. Eine explizite Abwahl der Patientin findet durch die Bean spruchung des Rederechts vor dem TRP (vgl. Sacks/Schegloff!Jefferson 1974)45 in jedem Fall statt, da sie der Tochter nicht die Möglichkeit lässt, auf die an diese gerichtete Frage zu reagieren. Die Selbstwahl der Mutter kann damit zusammenhängen, dass sie von der Tochter durch die Verwendung des kol lektiven Wirs dazu eingeladen wurde, sich an der Interaktion zu beteiligen, und damit, dass die Patientin nach ihrer Schilderung und simultan zu denn, (Z. 006) beginnt, sich für eine Untersuchung vorzubereiten, indem sie ihre Sitzposition verändert und damit beginnt, sich die Hose aufzuknöpfen und etwas herunterzuziehen. Dadurch signalisiert sie der Mutter und dem Arzt, dass sie ihre Schilderung beendet hat und sie sich für einen weiteren Schritt
- nämlich die körperliche Untersuchung - vorbereitet, den sie an dieser Stelle antizipiert.
Offensichtlich sieht die Mutter sich aber auch bezüglich der Krankheitsge schichte in der Verantwortung und meldet sich in dem Moment zu Wort, in
44 Hierbei verweisen die Autoren auch auf die Studien von Clayman (2002) und Stivers/ Robinson (2006).
45 Bei einem TRP handelt es sich um einen Punkt, an dem ein Sprecherwechsel möglich ist. Dieser kann durch intonatorische und semantische Mittel vom aktiven Sprecher ange zeigt werden.
dem es um die Chronologie der Geschehnisse etc. geht (vgl. Quasthoff 1990,
S. 70-75). Damit handelt es sich um eine Aushandlung über die Rechte bezüg lich des Auskunftgebens zu bestimmten Informationen. Das Eingreifen der Mutter käme in diesem Fall einer Korrektur der Adressierung durch den Arzt gleich,46 der die zuständige Person übergangen hat, zumal diese von der Pati entin auch noch aktiviert wurde. Die Erstbeschreibung der Symptomatik ist an den Körper der Patientin gebunden, womit ein 11 primary access to a target ed element of knowledge or information" einhergeht (Heritage 2012, S. 4). Deswegen liegt die epistemische Autorität bei der Thematisierung der Be schwerden ganz klar im Zuständigkeitsbereich des Kindes (vgl. z.B. Heritage/ Raymond 2005 und die Ausführungen im Zwischenfazit des Kapitels). Die Mutter stilisiert sich mit dem Einschreiten somit jedoch als Chronistin der Krankengeschichte und zeigt durch die Übernahme des Rederechts deutlich, dass die epistemische Autorität bzgl. des kognitiven Rahmens (Erinnerungen, Chronologie der Ereignisse, vorausgegangene Diagnosen) bei ihr liegt bzw. dass sie sich hier für zuständig erachtet und dies - nach ihrer Auffassung - nicht im Verantwortungsbereich des Kindes liegt. Es handelt sich um getrenn te Felder und die Rechteverteilung mit der epistemischen Autorität bezüglich dieser Felder. Alle Gesprächsbeteiligten scheinen bei der Erstbeschreibung der Meinung zu sein, dass dies in den Zuständigkeitsbereich der Patientin fällt. Schließlich stellt der Arzt die Frage an die Patientin, die darauf reagiert, ohne dies an die Mutter weiterzugeben, und die Mutter auch nicht in erkenn barer Form einschreitet. Allerdings scheint es bei der nächsten Frage zumin dest zwischen dem Arzt und der Mutter dissonante Einschätzungen darüber zu geben, wer nun diese Frage beantworten sollte. Dadurch, dass die Patien tin zuvor - und zwar bevor die Mutter das Wort ergriffen hat - signalisiert hat, dass sie die Beschwerdenschilderung abgeschlossen hat und sich gerade anschickt, die Hose auszuziehen, liegt hier trotz Übernahme einer Antwort, die der Arzt von der Patientin gefordert hatte, keine Rederechtskonkurrenz vor. Vielmehr treten die beiden Gesprächsbeteiligten hier quasi als Ensemble auf, das gleichermaßen die Anamnese übernimmt.
Die Mutter antwortet mit dem Hinweis [s seit l]etzten FREItag- (Z. 007) zunächst auf seine Frage nach dem Datum. Da der Sprechstundentermin ebenfalls an einem Freitag stattfindet, identifiziert die Mutter die Zeitdauer, seit der etwas festgestellt wurde, was von der Normalform abweicht, mit ei ner Woche. Sie beantwortet aber nicht nur die Frage des Arztes bezüglich des Auftretens der Beschwerden, sondern geht neben der zeitlichen Einordnung auch noch auf die Chronologie der Ereignisse ein:
46 Auf Korrekturen und Reparaturen kann in dieser Arbeit leider nur sehr knapp einge gangen werden. Zu Korrekturen und Reparaturen siehe Exkurs: Reparaturen und Kor rekturen in Kapitel 8.
007 M 13
008 M 13
[s seit l]etzten FREItag-
(.) da war_ma auf_m SPIELplatz un ich hab erst gedacht es wärn stiCHE;
Dabei wiederholt die Mutter die bereits von der Patientin genannte erste Ein schätzung der Hautirritation. Sie geht allerdings etwas narrativer und ausge bauter auf diese subjektive Krankheitstheorie (vgl. z.B. Birkner 2006 und auch Kap. 9) und die Umstände ein. Dass die Antwort der Mutter mehr beantwor tet, als der Arzt erfragt hat, ist des Weiteren nicht besonders hervorzuheben, da erfahrene Patienten in einem Arzt-Patient-Gespräch üblicherweise mehr antworten, als sie gefragt wurden (vgl. Spranz-Fogasy 2010). Regelmäßig sind die Antworten dabei auch 11 nicht nur quantitativ umfangreicher", sondern 11 au ch inhaltlich differenzierter und elaborierter" (ebd., S. 81). Sie nennt neben dem Zeitpunkt auch noch einen Ort, der von ihr mit der Hautirritation in Zusammenhang gebracht wird. Auffällig ist dabei, dass die Mutter zwar am Anfang der Intonationsphrase hinsichtlich der Handlungsbeschreibung das kollektive Wir der Patientin wiederholt, aber die Beurteilung der Hautirritati on als eigene Leistung präsentiert. Obwohl sie die subjektive Krankheitstheo rie, die die Tochter bereits erwähnt hatte, wiederaufgreift, löst sie an dieser Stelle das II wir" auf und verweist auf die eigene Autorenschaft der von der Tochter bereits erwähnten und nun erneut aufgegriffenen subjektiven Krank heitstheorie, die nebenbei auch von ihr als eine verworfene Theorie darge stellt wird. Subjektive Krankheitstheorien sind also 11 vermutet[e] Ursachen" (Wüstner 2001, S. 309), die eine Krankheit betreffen. Solche Krankheitstheori en wie auch die damit zusammenhängenden Wissenszuschreibungen fallen offenkundig nach ihrem Ermessen ebenso in ihren Zuständigkeitsbereich wie der Bericht über die Chronologie der Ereignisse, was somit ebenfalls durch sie repariert wird.
Nach einer Pause von 0,74 Sekunden fährt die Mutter fort, bricht die ange fangene Äußerung dann aber wieder ab. Nach einer Mikropause setzt sie dann erneut an, ohne die Gründe für die subjektive Krankheitstheorie weiter auszuführen und schließt mit JA,=es sah halt aus wie stichE (Z. 010) an. Hier liegt der Akzent erneut auf stiCHE (Z. 010), was ein Indiz dafür sein kann, wie präsent diese subjektive Krankheitstheorie bisher war/ist. Gleichzeitig steckt in beiden Äußerungen der Mutter zu den Stichen, dass die subjektive Krank heitstheorie bereits verworfen werden musste, denn es sah halt aus wie stiCHE (Z. 010), bedeutet, dass es nur so aussah, tatsächlich aber etwas anderes ist/ sein muss. Sie liefert dem Arzt aber bereits viele wertvolle Informationen, wie der Verweis auf etwas die Haut Betreffendes, was sich eher von der Haut ab hebt und sich auch von einer Erhebung unterscheidet. Auch die Ablehnung dieser selbst erwähnten subjektiven Krankheitstheorie verweist darauf, dass hier eine Beobachtung der Hautirritation stattgefunden hat, die den ersten Eindruck unwahrscheinlich erscheinen ließ. In dem zweiten Verweis der Mut ter auf die subjektive Krankheitstheorie wird ferner auf das Aussehen der Sti-
ehe eingegangen, was von dem Arzt möglicherweise nicht mehr nachvollzo gen werden kann, da sie auch die Beschaffenheit der Stiche als vorherig beschreibt. Damit liegt der Schluss nahe, dass sich das Aussehen der Stiche in der Zwischenzeit verändert hat. In der Zeile 11 erfolgt nun durch die Mutter erneut ein Anschluss mit un jetz (Z. 011). Das zeigt, dass sie weiterhin der Narration der chronistischen Perspektive verhaftet bleibt. Die Kausalität er scheint sekundär, sonst hätte sie möglicherweise ein 11 aber" vorangestellt. Die nächste Äußerung der Mutter jetz wird des aber imMER- [...]immer(.) KOmi scher- (Z. 011/014) erscheint dessen ungeachtet in sich nicht konsistent zu sein, denn zum einen macht sie durch das Tempus deutlich, dass es eine Ver änderung gibt, die gerade zu beobachten ist, zum anderen beschreibt immer (Z. 014) einen Prozess. Sie verweist darauf, dass sie den Termin in dem Mo ment vereinbart hat, in dem sie gesehen hat, dass es schlimmer wird. Die Reformulierung der Aussage der Tochter vollzieht sich also in mehreren Punkten ähnlich wie deren Beitrag: So wird jeweils dieselbe subjektive Krank heitstheorie eingeführt, die dann anschließend abgewählt wird. Ganz analog zur Aussage der Patientin findet nach der Abwahl der Stiche auch bei der Mutter eine andere Proform (vgl. z.B. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001,
S. 217f.) Verwendung. Sie spricht hier ebenfalls von des (Z. 009/011). Gleich zeitig handelt es sich bei der Abwahl der Stiche und der Fokussierung auf ein unbekanntes Phänomen um eine Relevanzhochstufung des Phänomens und damit um die Legitimierung, diesen Sprechstundentermin mit der Patientin wahrzunehmen. Des Weiteren beinhaltet die Darstellung unterdessen auch die Legitimierung, erst nach einer Woche zu kommen (doctorability), da sie die Symptome zunächst als harmlos kategorisiert hat. Somit wird die soziale Ka tegorie der Erziehungsberechtigten sowie eine mögliche Facebedrohung im plizit thematisiert.47 Es scheint also einen schmalen Grat zwischen der Einstu fung als übervorsichtig und unverantwortlich zu geben. So stellt die Mutter heraus, dass es eine Hautirritation gibt, die anfangs an normale Stiche erin nerte und damit keinen Grund dafür darstellte, zum Arzt zu gehen. Mit einer Veränderung der Hautirritation und der Abwahl der subjektiven Krankheits theorie wurde hingegen ein Arztbesuch notwendig. Somit ist die Darstellung der Chronologie der Ereignisse und Überlegungen auch eine Plausibili sierung der Ereignisse. Dies erklärt überdies, warum die STiche/stiCHE (Z. 002/010) jedes Mal in dieser prosodisch auffälligen Art von der Mutter ak zentuiert werden. Auch um das Fremdbild der verantwortungsvollen Mutter aufrechtzuerhalten, ist ein frühes Einschreiten strategisch wichtig, bevor ein gegenteiliger Verdacht aufkommen kann. Weiterhin wird durch die Mutter und die Patientin trotz Abwahl der Stiche etabliert, dass die Ursache für die
47 Das Konzept der „Face threatening acts" nach Brown/Levinson (1987, S. 65ff.) basiert auf dem Face-Konzept von Goffman (1967), zum Konzept der „doctorability" vgl. z.B. He ritage/Robinson (2006).
Hautirritation auf dem Spielplatz zu finden sei oder zumindest von etwas herrührt, was außerhalb des Hauses und in der Natur zu finden ist.
Die Patientin hüpft während der weiteren Anamnese, an der sie verbal nicht mehr beteiligt ist, auf der Liege herum und äußert ein boa[ng (Z. 013), das sich nicht auf das gerade Verhandelte bezieht .4 8 Dadurch zeigt sie an, dass sie sich nun anderweitig engagiert. Die Mutter blickt kurz zu ihrer Tochter und fährt dann fort. Nun formuliert sie eine Tatsache, die aus dem bereits Ausgeführten abgeleitet werden kann, und nennt darüber hinaus ein einge setztes Mittel, das zu keiner Besserung geführt hat:
015 |
M |
13 un die gehn auch gar net WEG- |
016 |
M |
13 ich hab da mal mit feNIStilgel s probiert |
017 |
M |
13 aber des hat auch NIX gebracht- |
Erneut folgt ein Anschluss mit 11und". Auch hier wird signalisiert, dass etwas Neues kommt. Das Neue wird damit erneut in die chronologische Abfolge der Ereignisse eingeordnet, wobei sie die Information auch mit 11 das heißt" hätte einführen können, denn wenn etwas immer(.) KOmischer (Z. 014) wird, bedeutet es auch, dass das Beschriebene noch vorhanden ist. In dieser Äuße rung bezieht sie sich nun - ersichtlich durch die Pluralform des Artikels (Z. 015) - auch wieder auf die stiCHE (Z. 010). Die subjektive Krankheitstheo rie erscheint dominant. Die Mutter kann sich bei ihrem Bericht nicht von der subjektiven Krankheitstheorie lösen. Sie referiert erneut auf die Stiche, auch wenn die Veränderung der vermeintlichen Stiche zu einer Abwahl der subjek tiven Krankheitstheorie geführt hat. Der Arzt hatte mit dem neutralen de[s (Z. 006) auf die Abwahl der Stiche durch die Patientin reagiert und sich damit auf das Unbekannte bezogen, das beschrieben wurde. Auch die Mutter ver wendet erst wieder an dieser Stelle das Demonstrativpronomen der 3. Person Plural, das zwar nicht geschlechtsmarkiert ist, aber durch die Verwendung des Plurals wieder auf die Stiche verweist, nachdem sie nach der Abwahl der Stiche, die sie selbst vorgenommen hatte, zunächst mit des (Z. 011) auf die Hautirritation referiert hat. Das zeigt, dass die Mutter ständig nach den ver meintlichen Stichen gesehen und das Phänomen nicht aus dem Blickfeld ver loren hat. Dabei wird auch die Voraussetzung für den erforderlichen Arztbe-
48 Diese Äußerung der Patientin stellt keine Reaktion auf das zuvor Gesagte dar. Der Bei trag gehört dennoch zur Interaktion, denn die Mutter reagiert durch ein kurzes Absetzen auf die Äußerung. Nur dadurch, dass auch dieser Beitrag im Transkript festgehalten wird, wird die Mikropause der Mutter nachvollziehbar, die sich kurz zur Patientin um blickt, bevor sie weiterredet. Ferner kann man diese und andere Äußerungen - trotz der Veränderung des 11 participation framework" (Goffman 1981) - nicht als Hinweise für das Abschalten der Kinder annehmen, da diese in den meisten Fällen dennoch sehr feinfüh lig auf das Geschehen reagieren, wohl aber als Anzeichen dafür, dass das Kind nicht da von ausgeht, dass es zur derzeitigen Phase etwas beitragen soll und akzeptiert, dass zu nächst einmal der Elter/die Eltern - in diesem Fall die Mutter - und der Arzt verbal miteinander interagieren.
such geschaffen, denn das, was am Oberschenkel der Tochter zu sehen ist, auch wenn es keine Stiche sind, ist nach einer Woche immer noch vorhanden und wird überdies auch noch KOmischer (Z. 014). Diese Aussage wird sehr dringlich präsentiert und die Stimmlage der Mutter geht bei den letzten Fest stellungen nun extrem nach oben.
Die Mutter bearbeitet während ihres bisherigen Berichts demnach perma nent unterschiedliche Anforderungen: die chronologische Rekonstruktion des bisherigen Krankheitsverlaufs und die Bearbeitung einer möglichen Be gründungs- und Vorwurfsstruktur, der sie sich ausgesetzt fühlt oder die sie als nötig erachtet. Daneben geht sie auf die subjektive Krankheitstheorie ein, verortet damit den Grund für die Hautirritation außerhalb des Hauses und rückt das Phänomen durch das Aussehen der Reaktion in die Nähe von Sti chen. Ab Zeile 15 berichtet nun die Mutter das erste Mal von einer wirklichen Maßnahme, stuft diese aber gleichzeitig herab, indem sie schildert, dass es sich hier lediglich um einen Versuch gehandelt hat. Die Mutter macht wenige oder sehr kurze Pausen und zeigt auch durch die gleichbleibende Tonhöhen bewegung am Intonationsphrasenende an, dass sie das Rederecht noch nicht wieder abgeben möchte (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Erneut spricht sie, als sie das eingesetzte Medikament erwähnt, nur von sich. Die Anwen dung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln fällt nach Ansicht der Mutter demnach offensichtlich ebenso in ihre Zuständigkeit.
Durch den Verweis auf das eingesetzte Gel, welches häufig nach Insekten stichen verwendet wird,49 wird somit erneut der Bezug zu Stichen infolge des Spielplatzbesuchs hergestellt. Die Aufzählung der Mutter lässt vermuten, dass sie das Mittel eingesetzt hat, nachdem sich die Stiche bereits veränder ten. Es wäre jedoch auch möglich, dass das Gel bereits mit Auftreten der Hautirritationen eingesetzt wurde. Das kann aber an dieser Stelle nicht zwei felsfrei geklärt werden. Durch die Formulierung stellt sie erneut heraus, dass sie bei dem Hinzunehmen des Mittels die Agierende gewesen ist, womit sie sich erneut als Verantwortliche für ein weiteres Feld stilisiert. Sie ist zuständig für die Einordnung der Symptome, die ihr Kind betreffen, und die ersten Schritte, die mit Medikamenten in Verbindung stehen, deren Einsatz nicht vom Arzt verordnet werden muss. Doch die Maßnahme, die sie unternom men hat, hat nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, weswegen der Besuch beim Arzt notwendig wurde, nachdem die ihr zur Verfügung stehenden Mit tel ausgeschöpft sind. Auch hier wird damit die doctorability bearbeitet, da ihre Mittel nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben (vgl. Spranz-Fogasy/ Winterseheid 2013, S. 28-30). Zudem handelt es sich bei dem verwendeten Verb um ein nicht-faktives Verb, das den Misserfolg des Versuchs bereits im-
49 Bei Fenistil®-Gel handelt es sich um ein Gel, das - laut Packungsbeilage oder Homepage des Herstellers - sowohl bei „Insektenstichen, Sonnenbrand oder leichten Verletzungen" anzuwenden ist, aber auch ganz allgemein „wenn die Haut juckt und brennt" (www.fe nistil.de/produkte/zur-aeusserlichen-anwendung/fenistil-gel.shtml;(Stand: 17.8.2017).
pliziert. Nachdem also eine Einschätzung des Phänomens verworfen werden musste, ist ein fachkundiger Blick auf die Haut der Tochter notwendig gewor den, zumal nun ein weiteres Symptom hinzugekommen ist:
018 M 13 und sie sagt es fängt jetzt auch an zu JUCKen;
Hier zitiert sie nun die Patientin und führt diese als Autorin der Aussage an. Dies ist notwendig, da die Patientin die einzige ist, die tatsächlich von dem Juckreiz betroffen ist und nur sie selbst diese Veränderung verspüren kann. An dieser Stelle könnte sie die Tochter aktivieren und um Bestätigung oder Ausführung der Aussage bitten. Dies unterbleibt jedoch. Ein Juckreiz ist na türlich nicht untypisch, wenn man gestochen wurde, und widerspricht auch der Behandlung der Mutter mit dem Fenistil®-Gel nicht. Untypisch ist diese Reaktion allerdings deswegen, weil dieser Reiz erst nach einer gewissen Zeit auftritt. Die Prosodie und die Dringlichkeit, mit der die Mutter das neuerliche Symptom darstellt, legen den Schluss nahe, dass dieses neu aufgetretene Symptom den Ausschlag dafür gegeben hat, dass sie beschlossen hat/haben, zum Arzt zu gehen.
Die Mutter
stilisier[t] sich[...] als so kompetent und verantwortungsvoll, dass sie durchaus zwischen harmlosen und weniger harmlosen Beschwerden unterscheiden [kann] und auch nicht vorschnell einen Arzt konsultier[t], aber sofort einen Ter min beim Kinderarzt ausmach[t], wenn sie die Probleme nicht selbst in den Griff bekomm[t]. (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 29)
Ab Zeile 008 gibt es keine fallenden Grenzintonationen mehr, sondern nur noch weiterverweisende Grenzintonationen. Durch die Steigerung der Ereig nisse, die Wortwahl (z.B. KOmischer (Z. 014) sowie die permanente Abwahl der subjektiven Krankheitstheorie, die dann doch immer wieder als Referenz herangezogen wird) sowie die Variation der Stimme wird eine Dramaturgie in dem Bericht der Mutter aufgebaut, der auch in der Beschreibung neuer Symptome und ihrem gescheiterten Versuch der Selbstmedikation gipfelt. Diese Hochstufung könnte damit zusammenhängen, dass der Arzt sich be reits seinen Unterlagen zugewandt hat und sich Notizen in der Patientenakte macht. Dies ist in diesem Raum etwas ungünstig, da er sich hierzu zu seinem kleinen Tisch hin- und damit von den Gesprächsbeteiligten abwenden muss. Auch in der nachfolgenden Pause von ca. 2,17 Sekunden notiert der Arzt et was. Danach leitet er mit zeig mal HER, (Z. 020) zur körperlichen Untersu chung über, was nun wieder mit einer Hinwendung zur Patientin verbunden ist. Durch die Bitte, ihm das dargestellte Symptom zu zeigen, geht er sofort zur körperlichen Untersuchung über. Dass er sich hierzu direkt an die Patien tin wendet, ist im Rahmen der körperlichen Untersuchung nicht außerge wöhnlich, da es sich bei ihr ja um die Trägerin des Symptoms handelt. Dass sie sich ausziehen oder ausgezogen werden soll, muss jedoch nicht - wie in
anderen Interaktionen - extra verhandelt werden, da sie sich bereits zuvor auf die Untersuchung vorbereitet hat .50 Der Arzt untersucht daraufhin die betrof fene Hautpartie; es entsteht eine Pause von etwa 8,1 Sekunden. Danach folgen zwei Aktivitätszusammenhänge:
021 |
(8.1) |
022 |
M 13 dann hatte sie au mal ne HOse an die genau an der stelle en knopf hatte;= |
023 |
M 13 =wo ich gedacht [hab ((unverständlich))] |
024 |
A 01 [ziehs mal GANZ ]aus. |
025 |
(0.46) |
026 |
M 13 ob des vielleicht irgendwie ä al[ler ]GIE oder was |
027 P 13
i [s, l
[ (oh) l
028 P 13 [ps
029 M 13
up[s
[so ]ä kontaktallerGIE?
030 |
P 13 |
(klitsch) |
031 |
|
(5.08) |
032 |
A 01 |
hm; |
033 |
|
(0.52) |
034 |
M 13 |
hm; |
035 |
|
(5. 0) |
036 |
A 01 |
sind ja richtige BLÄ:Schen; |
037 |
A 01 |
( 0. 24) |
038 |
M 13 |
ge[ll; |
039 |
A 01 |
[und ]in GRUPPen; |
Während der Arzt die Patientin untersucht, berichtet die Mutter noch von ei ner weiteren subjektiven Krankheitstheorie, die vor dem Sprechstundenge spräch aufgestellt wurde. Neben der Vermutung, dass es sich um Stiche handeln könnte, die während der ganzen Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration präsent war, nennt sie nun noch eine zweite subjek tive Krankheitstheorie. Sie erklärt, dass ihr der Gedanke kam, dass diese Hautirritation auch durch den Kontakt mit einem von ihr definierten Auslö ser hervorgerufen worden sein könnte. Als Ursache nennt sie einen Hosen knopf, der genau an dieser stelle (Z. 022) an einer Hose angebracht sei, die die Patientin getragen hatte. Dass sie hervorhebt, dass der Knopf exakt dort ange bracht ist, stützt ihre Argumentation. Die Zeitspanne, in der und bis wann die Patientin die Hose getragen hatte, wird nicht benannt. Da sie diese Theorie im Kontext der Hautirritation anführt, kann sie nicht in der fernen Vergangen-
so Üblicherweise leiten die Ärzte zur körperlichen Untersuchung über, indem sie die Pati enten bitten, sich für die Untersuchung vorzubereiten. Die Vorbereitungssequenz der Patienten nutzen die Ärzte in der Regel für Notizen. In ein paar Fällen erwähnen die El tern in dieser kurzen Phase noch etwas, was bisher nicht genannt wurde, oder sie wieder holen einen bereits genannten Punkt (zur körperlichen Untersuchung siehe auch Spranz Fogasy/Winterscheid i.Ersch.).
heit getragen worden sein, sondern muss in der letzten oder vorletzten Wo che getragen worden sein.
Die Mutter hat zu Anfang der Präsentation das Sprechtempo etwas erhöht und realisiert auch zwei Intonationsphrasen mit schnellem Anschluss. Das ist möglicherweise eine Reaktion darauf, dass der Arzt so unvermittelt zur kör perlichen Untersuchung übergegangen ist. Die schnell angeschlossene Into nationsphrase ist nicht zu verstehen. Sie beginnt jedoch damit, dass sie aus diesem Zusammentreffen der Elemente einen Schluss gezogen hat (Z. 023). Der Beitrag der Mutter ist deswegen nicht ganz zu verstehen, weil der Arzt eine weitere Aufforderung simultan an die Patientin richtet. Er bittet die Pati entin, sich noch etwas weiter zu entkleiden, damit er die Stelle noch genauer in Augenschein nehmen kann. Die Patientin hatte die Hose heruntergezogen, damit der Arzt einen freien Blick auf die betroffene Partie hat. Durch diese Aufforderung signalisiert der Arzt beiden Gesprächsbeteiligten, dass sein Fokus gerade bei der körperlichen Untersuchung der Patientin liegt und nicht damit zu rechnen ist, dass er sich bezüglich der zweiten eingebrachten subjek tiven Krankheitstheorie äußert (ten Have 1990).
Nach einer Pause von 0,46 Sekunden, in der der Arzt mit der Untersu chung fortfährt, doppelte die Mutter nochmals nach (vgl. Linke/Nussbaumer/ Portmann 2001, S. 270). Die Schlussfolgerung, dass sie auch eine allergische Reaktion als wahrscheinlich erachtet, wurde bereits in der Beschreibung an gedeutet, aber noch nicht expliziert. Das holt sie nun nach. Diese Begründung wird jedoch mehrfach modalisiert. Sie schlägt vor, dass es sich um ä al[ler ]GIE oder so was (Z. 026), also etwas Ähnliches, handeln könnte. Gleichzeitig deutet sie durch die Modalisierungen vielleicht (Z. 026) und irgendwie (Z. 026) an, dass diese Schlussfolgerung nur eine weitere mögliche, jedoch keine zwin gende Schlussfolgerung sein muss und nennt, nach einer weiteren ausgeblie benen Reaktion, einen deutlich expliziteren Vorschlag, nämlich den einer kon taktallerGIE (Z. 029). Durch die Nennung des Fachausdrucks stuft sie nun ihr Wissen bezüglich solcher Phänomene hoch und durch die stark steigende Grenzintonation fordert sie nun noch deutlicher eine Reaktion des Arztes ein. Eine solche unterbleibt erneut. Die zweite präsentierte Krankheitstheorie ba siert ebenfalls auf der Annahme, dass es sich um eine harmlose Ursache für die Hautirritation handelt und impliziert ebenso eine Begründung dafür, wa rum der Arztbesuch erst nach einer Woche erfolgt. Allerdings ist nun die Ur sache für die Beschwerden nicht mehr außerhalb des Hauses zu finden.
Im Anschluss an die Präsentation der zweiten subjektiven Krankheitsthe orie realisiert die Patientin ein weiteres Mal eine Äußerung, die nicht mit der Interaktion zusammenhängt, mit der sie aber erneut zu erkennen gibt, dass sie davon ausgeht, dass von ihr keine verbale Reaktion erwartet wird.
Nach 5,08 Sekunden realisiert der Arzt eine Interjektion,51 welche die Mut ter nachahmt. Dies ist prosodisch nicht auf den Beitrag der Mutter zurückzu führen, sondern kann nur eine Reaktion auf die Untersuchung darstellen. Diese Art der Realisierung stellt bei Ehlich die 11 Grundform IV" dar, die durch eine 11 einfache Phonemform", eine 11 kontinuierlich [fallende] Tonstruktur" be schrieben werden kann (vgl. Ehlich 1986, S. 51; Hervorhebungen im Original). Mit dieser Interjektion realisiert der Arzt seine Überraschung, die darin be steht, dass das Entdeckte 11 in Nicht-Übereinstimmung mit den Erwartungen [...] steht" (ebd.). Nach einer weiteren Pause von 5 Sekunden formuliert der Arzt dann eine erste Beobachtung: sind ja richtige BLÄ:Schen; (Z. 036). Das ist kontrastiv zu dem vorher Geäußerten zu verstehen. Dabei ist nicht klar, ob er sich auf die Beschwerdenschilderung der Mutter, der Tochter oder die Schil derung beider bezieht. Er zeigt durch das ja (Z. 036) an, dass es sich um eine für alle evidente Feststellung handelt (vgl. Reineke 2016, S. 81-131), sich aber anders darstellt, als er dies erwartet hat. Die Beschreibung der Erhebungen als BLÄ:Schen (Z. 036) lässt erst einmal keinen Schluss zu, der auf Stiche hindeu ten könnte. Auch der Zusatz richtige (Z. 036) hebt den Unterschied zwischen einer typischen Reaktion auf Stiche und Bläschen deutlich hervor, die nicht nur nach genauerer Betrachtung zu erkennen sind, sondern eine auffällige Ausprägung haben. Er kontrastiert damit die Bläschen mit der erwartbaren Reaktion auf Stiche und zeigt durch die Äußerung überdies an, dass sich das Gesehene nicht mit seinen Erwartungen aufgrund der Beschwerdenschilde rung deckt. Dadurch unterstützt er aber dennoch die Einschätzung der Mut ter, die die Veränderung des Hautausschlags als eine Entwicklung beschreibt, die ihr immer KOmischer (Z. 014) erscheint und folglich damit schon mehrmals angedeutet hat, dass sich das Erscheinungsbild der Hautirritation nicht mehr mit ihrer Erfahrung bezüglich der Reaktion auf einen Stich oder Stiche deckt. Nach einer kurzen Pause bestätigt die Mutter die Äußerung des Arztes durch ein zustimmendes gell (Z. 038). Sie geht nicht auf die inhärente Diskrepanz zwischen Beobachtetem und Erwartetem ein, die der Arzt bearbeitet, sondern zeigt an, dass sich diese Beobachtung des Arztes mit dem von ihr geschilder ten Zustand deckt, der sich nicht mehr mit der subjektiven Krankheitstheorie der Stiche vereinbaren lässt.
Indem er auch prosodisch diese Entdeckung hervorhebt, stuft er das Phä nomen analog zur Beschreibung der Mutter hoch. Bei den Äußerungen des Arztes handelt es sich um klassische Onlinekommentare:
Online commentary is talk describes what the physician is seeing, feeling or hearing during physical examination of the patient. (Heritage/Stivers 1999, S. 1501)
51 Zu den verschiedenen intonatorischen Ausprägungen von 11 hm" vgl. Ehlich (1986).
Diese werden häufig eingesetzt, um die Patienten oder die Begleitpersonen zu beruhigen, den 11Widerstand auf Seiten der Patienten und ggf. ihrer Begleit personen ab[zu]bauen" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 30), wenn etwa die Legitimation für den Arztbesuch angegriffen wird oder der Arzt eine den Erwartungen widersprechende Diagnose oder Therapieempfehlung vorbe reitet (vgl. z.B. Heritage/Stivers 1999).
In diesem Fall bereitet er die Gesprächsbeteiligten darauf vor, dass die Diagnose möglicherweise von der subjektiven Krankheitstheorie der beiden präsentierten Krankheitstheorien abweichen wird. Die intensive Betrachtung der Hautpartie durch den Arzt, die auch nach diesem Onlinekommentar fort gesetzt wird, signalisiert den Gesprächsbeteiligten jedoch auch, dass hier noch keine Diagnose gefällt wurde, sondern dass der Arzt sich noch auf der Suche nach der Diagnose befindet. Simultan zur Bestätigung der Mutter er gänzt der Arzt noch eine weitere Information zur Anordnung der BLÄ:Schen; (Z. 036).
Nach einer Pause von 0,6 Sekunden, einem Einatmen und einer weiteren kurzen Pause formuliert er eine Vermutung, die als prädiagnostische Mittei lung (vgl. Spranz-Fogasy 2014) zu verstehen ist, da sie auch noch nicht als definitiv, wohl aber - durch das eher (Z. 041) - als wahrscheinlich realisiert wird:
040 (0. 6)
041 A 01 oh (0. 29) is eher ne HERpesinfektion-
042 (0.35)
043 M 13 ja EHRlich,
044 A 01 (0.7)
045 XX ((schnieft))
046 (0.2)
M 13 wo KRIEGT man so was?
A 01 (5.04) sons has de se nirgendWO;
049 |
A 01 |
[rutsch mal en stück]chen RUNter- |
050 |
M 13 |
[mhmh |
051 |
|
( 1. 28) |
052 |
M 13 |
mhmh |
Mit dem Adverb eher (Z. 041) rahmt er seine vorläufige Vermutung einer HERpesinfektion (Z. 041) aber nicht nur als wahrscheinlich, sondern auch im Kontrast zu den zuvor eingebrachten subjektiven Krankheitstheorien als wahrscheinlicher. Auch durch das Fortfahren mit der körperlichen Untersu chung sowie einer fortbestehenden Fokussierung auf die betroffene Hautpar tie zeigt er an, dass er an dieser Stelle noch keine Diagnose gestellt hat, da in diesem Fall eine Untersuchung keinen Sinn mehr ergeben würde .52 Dies ist
52 Bei bestimmten Krankheitsbildern müssen Folgen der Krankheit abgeklärt werden. In diesen Fällen findet dann eine Fokussierung auf einen anderen Aspekt oder eine andere Körperpartie statt (vgl. z.B. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.).
damit auch die erste Äußerung des Arztes, die Bezug nimmt auf die präsen tierten Krankheitstheorien. Das Ausbleiben einer sofortigen Reaktion auf die jeweiligen Krankheitstheorien wirkt auffallend, ist jedoch immer im Zusam menhang zu der vom Arzt als vorrangig behandelten Aufgabe zu betrachten (vgl. ten Have 1990).
Während die Mutter die durch den Arzt festgestellte Diskrepanz zwischen Erscheinungsbild und Erwartung des Arztes noch unterstützt hat, zumal sie eine solche Diskrepanz ebenfalls schon herausgestellt hatte, drückt sie aller dings nun mit EHRlich (Z. 043) und der steigendenden Grenzintonation ihre Überraschung über diese Vermutung aus. Das Adjektiv kann sich hier auf die angenommene Diagnose beziehen, die dafür stehen würde, dass sie die Situation falsch eingeschätzt hat. Die Mutter zweifelt die prädiagnostische Mitteilung nicht explizit an, führt jedoch an, dass sie sich nicht erklären kann, woher ihre Tochter eine Herpesinfektion haben sollte, wodurch die Schluss folgerung des Arztes dennoch leicht in Zweifel gezogen wird. Der Arzt re agiert aber auch auf diese Aussage nicht und fährt mit der Untersuchung fort. Hier doppelt sie nun nach und erkundigt sich beim Arzt danach, woher man so was (Z. 047) bekommen kann (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001,
S. 270). Durch die Nachfrage untermauert sie zum einen das eigene Erstaunen über diese mögliche Diagnose und zeigt überdies an, dass sie sich nicht vor stellen kann, weswegen ihre Tochter eine Herpesinfektion haben kann. Dane ben verdeutlicht sie durch die Frage, dass ihr diese mögliche Diagnose zwar nicht unmittelbar plausibel erscheint, aber dies auch mit ihrem Nichtwissen zusammenhängen kann (vgl. Deppermann 2015). Dadurch, dass sie angibt, nicht über das entsprechende Wissen zu verfügen, signalisiert sie überdies, dass sie nicht verantwortungslos gehandelt hat, als sie nicht früher zum Arzt gekommen ist, sondern dies außerhalb ihres Erfahrungswissens liegt. Viel mehr präsentiert sie sich als eine Mutter, die sich viele Gedanken gemacht hat, zwei harmlose Ursachen angenommen hat und nun an einem Punkt an gekommen ist, an dem sie nicht mehr weiß, ob diese Theorien haltbar sind (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28ff.). Auch durch die stark stei gende Grenzintonation fordert sie nun eine Reaktion des Arztes ein.
Der Arzt übergeht die konditionelle Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) und wendet sich nach einer Pause von 5,04 Sekunden erneut an die Patientin, die er zunächst darum bittet, ihm zu bestätigen, dass sie keine Bläschen an einer weiteren Stelle des Körpers hat, und schließlich noch darum, ihre Posi tion zu verändern. Diese beiden Aufforderungen erfolgen so schnell hinterei nander, dass die Antwort der Patientin, die sehr schnell erfolgt, simultan zur zweiten Aufforderung realisiert wird. Durch diese Aufforderungen signali siert er beiden Gesprächsbeteiligten, dass der Prozess der Befunderhebung immer noch nicht abgeschlossen ist. Die Patientin wird damit aufgefordert, ihn weiterhin bei der körperlichen Untersuchung zu unterstützen und der
Mutter wird gleichzeitig verdeutlicht, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht auf ihre Frage(n) eingehen wird (vgl. z.B. ten Have 1990).
Während der Untersuchung gibt es eine 11 lnteraktionsdyade" zwischen Arzt und dem Kind, die durch beide Gesprächsbeteiligte aufrechterhalten wird (Schmitt 2012, S. 45). Seine Aufforderungen richten sich an die Patientin, welche auch regelmäßig sofort reagiert. Der Arzt konzentriert sich bei der Untersuchung auf die Patientin und die von der Patientin angezeigte Haut partie. Erneut adressiert er die Patientin direkt und schreibt ihr auch die epis temische Autorität (siehe z.B. Heritage/Raymond 2005) zu, angeben zu kön nen, wie viele Bläschen sich an ihrem Körper befinden, obgleich diese Aussage sicherlich auch die Mutter hätte geben können, die ja bereits in ihrer Darstel lung verdeutlicht hat, dass sie die Hautirritation regelmäßig überprüft und betrachtet hat. Dessen ungeachtet wird dies vor der Mutter verhandelt, die einschreiten könnte, wenn sie über Informationen verfügen würde, welche sich mit der Antwort der Patientin nicht decken sollten (vgl. Bauer 2009,
S. 131). Sie sitzt etwas abseits, ist aber 11 körperlich und raumbezogen" anwe send (Schmitt 2012, S. 45). Die Mutter verfolgt das Geschehen sehr aufmerk sam, reagiert sofort auf die Aussagen des Arztes und beteiligt sich auch sonst aktiv. Allerdings reagieren die anderen beiden Gesprächsbeteiligten nicht gleich oder auch gar nicht auf ihre Beiträge. Nach einer Pause von 1,28 Sekun den wiederholt die Mutter die Rückmeldung der Patientin und unterstreicht damit deren Äußerung.
Dass der Arzt nicht sofort auf die Beiträge und auch nicht auf die Frage der Mutter reagiert, wird durch die Fokussierung auf die körperliche Untersu chung und die aufrechterhaltene Interaktionsdyade repariert, auf die der Arzt durch seine Nachfragen, die Aufforderungen an die Patientin sowie die Orien tierung auf die Hautirritation verweist.53 Des Weiteren hat der Arzt bisher nur Onlinekommentare und eine vermutete Diagnose präsentiert, somit ist es in diesem Moment noch nicht sinnvoll, nach möglichen Ursachen zu forschen.
Die Vorstöße der Mutter während der körperlichen Untersuchung werden qua Aktivität des Arztes und dessen Aufforderungen an die Patientin bearbei tet, was nur wegen dieser besonderen Konstellation und der Interaktionsdya de möglich ist.54 Er fährt mit der Untersuchung fort und versichert sich noch mals eines Symptoms, das die Mutter vor der körperlichen Untersuchung mit Bezug auf eine Aussage der Patientin erwähnt hat:
53 Das „Befaßtsein mit der Durchführung einer technisch orientierten Untersuchung" führt auch schonten Have an, als n[e]inen möglichen Grund für längeres Schweigen, also feh lendes, sprachliches Rezipientenverhalten, des Arztes" (ten Have 1990, S. 107). Auch Ha ferlach stellt verschiedene Vermeidungsstrategien der Ärzte vor, wie das Nichtreagieren auf Fragen (Haferlach 1994, S. 9).
54 Ten Have (1990); vgl. Ausführungen zur Triade im Kapitel 1 und zur Mehrfachadressie rung im Kapitel 8.
054 A 01 und es JUCKT,
055 (1. 0)
M 13 die LETZten tage sagt sie es juckt;=gä,
M 13 vorher hat s nich [geJUCKT,
P 13 [hm ] [ja
059 A 01
060 (11.4)
[gu lt-
Bei dieser Frage (Z. 054) handelt es sich um die erste Frage, die nicht aufgrund des Designs (des entsprechenden konjugierten Verbs, einem Anredeprono men etc.) offensichtlich an die Patientin gerichtet ist. Doch auch diese Frage richtet sich an die Patientin, was der Arzt durch die Art und Weise, wie die Frage realisiert wurde, verdeutlicht. Bauer beschreibt u.a. 11 das motherese Er wachsener gegenüber kleinen Kindern" 11 [a]ls besonders sinnfällige For[m] des recipient design" (Bauer 2009, S. 64; Hervorhebung im Original).55 Sach weh weist darauf hin, dass
[n]eben Kindern[...] auchAusländerlnnen, kranke und alte MenschenAdressa tinnen von bestimmten Elementen der Babysprache sein [können]" und es sich bei dieser um einen 11 Sprachstil [handelt], der durch eine auffällige Modulie rung der Stimme, durch geringe Komplexität, durch eine große Menge von Wiederholungen und einen kleinen, spezifischeren Wortschatz gekennzeichnet ist. (Sachweh 2000, S. 145)
Auf die Versicherungsfrage nach der bereits eingeführten Reaktion wartet die Mutter einen kurzen Augenblick ab, bevor sie antwortet, und beachtet damit die 11 Präferenz zur interaktiven Selbstvertretung" (Schmitt 1997, S. 61-66). Dies geschieht sicherlich zur II Unterstützung" der Patientin, an die sich diese Frage richtet und die an dieser Stelle nicht (gleich) reagiert (vgl. Schmitt 1997). Auch wenn sie für die Patientin antwortet, versucht sie die Patientin zu akti vieren, sich bei der Antwort auf die Frage des Arztes zu beteiligen, und leistet damit 11 Hilfe zur Selbsthilfe" (ebd., S. 70). Dieser Äußerung hängt sie ein 11 question tag" an und geht anschließend mit der Stimme nach oben. So akti viert sie zudem die Patientin, damit sie die Aussage bestätigt. Bevor diese et-
55 Unter recipient design werden 11 Praktiken" subsummiert, mit denen 11 Sprecher ihre Beiträ ge [...] schon antizipatorisch auf die vermeintlichen Verstehensvoraussetzungen ihrer Adressaten zu[schneiden]" (Deppermann 2014, S. 290). In Anlehnung an Deppermann/ Blühdorn (2013) wird in der Arbeit statt recipient design der Begriff Adressatenzuschnitt verwendet werden. Die Autoren heben die Notwendigkeit einer 11 terminologische[n] Ab- grenzung von 'Adressat' und 'Rezipient'" hervor, da n[d]er jeweilige Turn[...] auf spezi- fische Adressaten zugeschnitten ist", die von den 11 faktischen Rezipienten [...] zu unter- scheiden" sind sowie der Tatsache, dass n[d]er Sprecher [...] seinen Turn immer nur auf Eigenschaften zuschneiden [kann], die er selbst dem Adressaten unterstellt, nicht aber auf Eigenschaften, die dieser objektiv, als faktischer rezipiert hat" (Deppermann/Blüh dorn 2013, S. 8). Zu recipient design in institutioneller Mehrparteieninteraktion siehe au ßerdem Hitzler (2013) oder Schmitt/Knöbl (2013).
was sagen kann, formuliert sie noch eine Frage an die Patientin, welche den beschriebenen Sachverhalt bestätigen soll. Diese Strategie hat Erfolg und die Patientin bestätigt die Ausführungen der Mutter. Daneben muss die Mutter aber auch reagieren, da sie selbst diese Information gegeben hat, selbst wenn sie bei der ersten Erwähnung die Patientin als Zeugin angeführt hat. Die Mut ter bestätigt, dass ihr das von Seiten der Tochter so mitgeteilt wurde, und präzisiert die Aussage dadurch, dass sie noch eine Zeitangabe nennt, die an fangs nicht genannt wurde. So hat das Jucken bereits vor ein paar Tagen ein gesetzt und dauert seitdem an. Die Antwort bzw. die verifizierte Antwort der Patientin ratifiziert der Arzt sofort, wodurch sich der zweite Teil des Beitrags und die Ratifikation durch den Arzt überlappen. Nach einer elfsekündigen Pause, in der er sich erneut der körperlichen Untersuchung widmet, stellt er nun eine Frage an die Mutter:
061 A 01 oh ( .) warn das GLEICH solche bläschen oder; 062 M 13 (0.72) NEE-=des sah ERSCHT aus wie stiche;
063 A 01 (3.49) also die sin ja jetz FLÜSsig [(ausgefüllt)-=ne, 064 M 13 [JAja ( .) jaja;
065 (1.01)
M 13 NEE-
M 13 ( .) die die sahen vorher aus
M 13 also im prinzip wie so kleine hm
M 13 wie kleine +++ +++ +++ ah da hat sie was GSTOCHen irgendwie;
A 01 ( .) hmhm
071 ( 1. 27)
072 p - 13 (un/hm) da
073 ( 1. 64)
074 p - 13 oder war es ( .) <<piano> (dunkler) > 075 ( 1. 64)
076 A 01 in der mitte is da so en ( .) schwarze PÜNKTchen,
Dass sich diese Frage nach dem Aussehen der Hautirritation nun an die Mut ter richtet, erkennt man bereits daran, dass sich das Stimmregister ändert. Während die vorausgegangenen Fragen in der Realisierung 11 Ähn lichkeit mit dem elterlichen Motherese" (Bose/Kurtenbach 2014, S. 146) aufwiesen, ist die se Frage weniger melodisch, sachlicher, die Klangfarbe ist etwas dunkler und der Arzt wird zum Ende der Intonationsphrase auch etwas leiser (vgl. z.B. Bose 2001, S. 284). Die Mutter scheint hier auch die richtige Ansprechpartne rin zu sein, da sie die Stelle am Oberschenkel sicher besser als die Patientin in Augenschein nehmen konnte und bereits darauf verwiesen hat, dass sie eine Entwicklung festgestellt hat, was auf eine regelmäßige Sichtung schließen lässt. Aus diesem Grund ist diese Frage ohnehin etwas heikel, da die Mutter ja bereits auf das Aussehen der Hautirritation eingegangen ist. Dementspre chend reagiert die Mutter auch zunächst mit einem markierten NEE (Z. 062) und reformuliert dann die anfangs geschilderte Äußerung mit des sah ERSCHT
11
aus wie stiche; (Z. 062). Der Arzt macht sie nach einer längeren Pause sodann auf die Flüssigkeit aufmerksam, mit denen die Bläschen angefüllt sind. Er rahmt diese Information mittels ja (Z. 063) als eine bekannte Tatsache und verweist darauf, dass die Bläschen zurzeit diese Eigenschaft aufweisen. Da mit beachtet er auch die Entwicklung, von der berichtet wurde. Die Mutter bestätigt diese Entdeckung durch ein doppeltes jaja" .56 Dadurch zeigt sie ihre Zustimmung zu dem Postulierten an, verweist auf ihren eigenen Wis sensstand und drängt auf den Fortgang der 11 Sequenz" (Barth-Weingarten 2011, S. 301). Nach einer Sekunde doppelt die Mutter dann erneut nach. Sie wiederholt die Verneinung und elaboriert ihre Antwort nochmals. Dieses Mal reagiert der Arzt mit einer zweisilbigen Rückmeldung. Die Untersuchung wird anschließend weiterverfolgt. Dann sagt die Patientin etwas Unverständ liches. Bei dem zweiten Beitrag bezieht sie sich auf jeden Fall auf die Hautpar tie. Das erfolgt selbstinitiiert. Es hört sich so an, als würde sie etwas zum farb lichen Erscheinungsbild sagen. Ob sich der Arzt beim nächsten Online kommentar auf die Äußerung der Patientin bezieht oder auf seine eigene Ent deckung, kann aufgrund der Unverständlichkeit der Äußerungen nicht ge klärt werden. Nach einer längeren Pause setzt der Arzt schließlich mit der Diagnosemitteilung an.
Der Arzt orientiert sich sowohl während der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration als auch der Untersuchung auf die Patientin. Die Mutter meldet sich nach der Aktivierung durch die Patientin zu Wort und steuert auch Informationen bei, die zumeist nicht erfragt wurden. Zum Teil lässt sie sich das Gesagte dann auch von der Trägerin der Symptome bestäti gen und führt die Tochter auch zwischendurch als Zeugin an. Anfangs orien tiert sich der Arzt zwischen Liege und Tisch. Er wendet sich den Gesprächs beteiligten zu oder notiert sich etwas in der Patientenakte. Nachdem die körperliche Untersuchung mit der Aufforderung zeig mal HER, (Z. 020) einge leitet wurde, richtet er sich völlig auf die Patientin aus und geht mit der Pati entin eine Interaktionsdyade ein (vgl. Schmitt 2012, S. 45):
56 Zur Unterscheidung von „jaja" und „ja ja" vgl. Barth-Weingarten (2011). Barth-Weingar ten gibt an, dass mit „jaja" Bezug auf die epistemischen Rechte einer Person genommen wird, Äußerungen zum Teil bestätigt werden und auf ein Fortfahren gedrängt wird. Ge nau diese Funktionen weist das zweimalige „jaja" auch in diesem Kontext auf.
-A-
1 s- I 1
Schreibtisch
Diagnosemitteilung 67
Abb. 5 I Skizze des Behandlungsraums in APEG _13 während der körperlichen Untersuchung
Die Interaktionsdyade wird bis zum Schluss der körperlichen Untersuchung beibehalten.
Der Arzt realisiert ein Häsitationsphänomen, atmet nochmals etwas länger ein und beginnt schließlich mit der Diagnosemitteilung.
Fallbeispiel 3: APEG_13 (A-Pw5-M; ca. 5:43min); D (02:19.58-02:43.40); 02:19.58-02:43.40
001 A 01
002 A 01
hm.
0
(.) hh es gibt zwei MÖGlichkeiten-
003 |
A |
01 |
Eine (.) (kann) es ne herPESinfektion-=0 h |
||
004 |
M |
13 |
HMhm, |
||
005 |
A |
01 |
(.) dann: würd des eigentlich WEH tun |
||
006 |
A |
01 |
(0.76) des WUNdert mich; |
||
007 |
A |
01 |
(0.26) dass ihr des nich WEH tut-=ne; |
||
008 |
A |
01 |
(.) also wie ne GÜRtelrose, |
||
009 |
M |
13 |
(0.22) HMhm, |
||
010 |
A |
01 |
(.) |
0 h |
(0.24) und (ds) andere MÖGlichkeit |
011 |
A |
01 |
es sin (.) GRASmilben- |
||
012 |
|
|
( 1. 41) |
||
013 |
M |
13 |
des würd ja für die spielPLA[TZthe]orien spreche;=ne, |
||
014 |
A |
01 |
[und |
||
015 |
A |
01 |
des spricht (.) eher dafür- |
||
016 |
A |
01 |
weil es JUCKT un- |
||
017 |
A |
01 |
(0.85) eben auch nich WEH tut; |
Die Vorbereitung enthüllt schon, dass für ihn die Diagnosemitteilung nicht so einfach zu realisieren ist, und die Einleitung legt offen, warum die Diagnose mitteilung nicht so einfach darzulegen ist (Z. 001-002). Nach der Beschwer-
denschilderung und Beschwerdenexploration sowie der körperlichen Un tersuchung erscheinen zwei Diagnosen möglich. Bei den nachfolgenden Äußerungen beginnt er mit der Diagnoseoption, die er bereits im Rahmen der körperlichen Untersuchung schon erwähnt und auch als wahrscheinlicher als die beiden subjektiven Krankheitstheorien der Mutter präsentiert hat (Z. 003). Dadurch, dass er hier explizit zu einer Diagnosemitteilung ansetzt, wird die ser Verdacht im Nachhinein noch einmal deutlich als prädiagnostische Mittei lung gerahmt und von der Position und den Argumenten, die er nun eben falls aufführt, auch gleich als eine inzwischen nicht mehr haltbare Theorie aufgezeigt. Dass es sich jedoch um einen starken Verdacht gehandelt hat, kann man daran sehen, dass er ein Symptom bestimmt, welches zu dem Krankheitsbild notwendigerweise gehört und im vorliegenden Fall aber fehlt. Durch den Konjunktiv bei der Nennung des Ausbleibens des Symptoms un ternimmt der Arzt bereits eine Abwahl des ersten Diagnosevorschlags und verstärkt die Abwahl durch den Hinweis darauf, dass das Ausbleiben dieses Symptoms ihn WUNdert (Z. 006). Damit verdeutlicht er, dass der Verdacht ziemlich stark gewesen ist. Durch die Verwunderung, die er beschreibt, wer den zudem auch die Nachfragen während der körperlichen Untersuchung legitimiert, die er auf den ersten Blick möglicherweise unnötig gestellt hat, da er die Information ja eigentlich bereits hatte. Er geht daraufhin mit der Stim me nach unten und eröffnet der Mutter einen Slot zum Übernehmen des Re derechts (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Diese hat nur auf die Nennung des ersten Diagnoseverdachts eine Rückmeldung realisiert und reagiert an dieser Stelle nicht verbal. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass der Arzt die Ursache seiner Verwunderung nochmals herausstellt. Außerdem hängt er auch ein question tag an. Er nennt dazu noch ein bekanntes Krankheitsbild (Z. 008), um seine Ausführungen zu veranschaulichen. Nach einer kurzen Pause erfolgt nun eine Rückmeldung durch die Mutter (Z. 009). Die Ratifika tion der Mutter erfolgt allerdings etwas zögerlich. Da bisher nur die erste Möglichkeit der beiden angekündigten offengelegt wurde, ist das jedoch auch nicht besonders überraschend. Die zweite Option wird nun nach der Ratifika tion dargelegt. Auch hier setzt der Arzt kurz ab, atmet nochmals ein, macht erneut eine kurze Pause und präsentiert dann den zweiten Diagnoseverdacht und kündigt vorher an, dass nun die zweite Theorie folgt (Z. 010-011). Diese Option wird nicht weiter eingeschränkt und es werden weder Argumente für diese Option noch dagegen vorgebracht.
Nach einer langen Pause von 1,41 Sekunden ergreift dann die Mutter das Rederecht und reagiert mit einer Schlussfolgerung auf diese Präsentation (Z. 013). Sie konstatiert, dass diese zweite Theorie ihrer Theorie entsprechen würde, wobei sie ihre Theorie auf eine Verortung der Ursache auf den besuch ten Spielplatz reduziert. Dadurch, dass sie hier von einer 11Theorie" spricht, bezieht sie sich auf ihre eigene subjektive Krankheitstheorie, ohne dies noch mal explizit zu nennen. Diesen Zusammenhang hatte der Arzt nicht herge-
stellt, zumal es sich auch nach dieser Diagnoseoption nicht um Stiche handeln würde. Auch sie fordert nun erneut eine Reaktion des Arztes ein. Dieses Mal reagiert der Arzt recht schnell und knüpft an ihren Beitrag insofern an, als er das von ihr verwendete Verb aufgreift (Z. 015). Anstatt jedoch die Gleichset zung der zweiten Theorie mit der subjektiven Krankheitstheorie der Mutter zu bestätigen, bekräftigt er, dass die zweite von ihm präsentierte Option wahrscheinlicher als die erste dargelegte Theorie ist. Somit arbeitet er mit dem Kohäsionsmittel der partiellen Rekurrenz, obgleich seine Äußerung nicht zu dem Beitrag der Mutter, sondern zu seinen eigenen Ausführungen kohärent ist.57 Dass der Arzt sich hier nicht auf die subjektive Krankheitstheo rie der Mutter bezieht, sondern mit der Diagnosemitteilung fortfährt, wird auch durch die nächsten beiden Intonationsphrasen deutlich, in denen er zwei Symptome darlegt, die eher (Z. 015) für die zweite Theorie sprechen. Da bei unterstützt er zunächst die zweite Option durch weil es JUCKT (Z. 016) und wählt dann durch die dritte Nennung des Umstandes, dass die Hautirri tation nich WEH tut; (Z. 017), die erste Option nochmals ab.
11
11
11
In der Dissertation von Schöler wird der Befall von Grasmilben - oder auch Herbstmilben - beim Menschen als Trombidiose oder Trombiculose bezeich net", welcher sich 11 unter Umständen [mit einer] bis zu 14 Tage andauernden und mit starkem Juckreiz einhergehenden Dermatose in Form rötlicher Pa peln" (Schöler 2003, S. 1) äußert, die - laut der Aufklärungsbroschüre 11 Merk blatt zur Herbstmilbe - Erreger zur Trombidiose", welches vom Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt 2004 herausgege ben wurde, - aufgrund der Ähnlichkeit durchaus mit einem Mückenstich" verwechselt werden kann (vgl. Merkblatt zur Herbstmilbe 2004, S. 2). Auch Schöler erwähnt, dass die Grasmilben u.a. wegen 11 verspätet auftretenden Stichsymptomen" häufig nicht als 11Verursacher der Trombidiose [...] gesehen oder eindeutig identifiziert" (Schöler 2003, S. 5) werden. In dem Aufklärungs bogen der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft werden auch die [b]evorzugt befallene[n] Körperteile" - nämlich u.a. die Oberschenkel- und die Symptomatik von Grasmilbenbefall benannt (siehe Merkblatt zur Herbst milbe 2004, S. 2). So setzt etwa nach deren Ausführungen nach ,,4 bis 36 Stun den" ein 11 starker Juckreiz" ein, der sich nach 11 zwei bis drei Tagen" noch in tensivieren kann (ebd.).
Therapieplanung
Der Arzt geht nun zur Therapieplanung über und verfolgt dabei die anfäng lich vermutete Herpesinfektion nicht weiter, wodurch er die Abwahl dieser Diagnoseoption untermauert.
57 Zu den Textualitätskriterien vgl. De Beaugrande/Dressler (1981, S. 3-14) oder auch Linke/ Nussbaumer/Portmann (2001, S. 215-229).
Fallbeispiel 4: APEG_13 (A-Pw5-M; ca. 5:43min); Th (02:44.03-05:29.55); 02:44.03-05:29.55
001 |
A |
01 |
da machen se mal (.) ne woche lang ne cortisonCRE:M drauf; |
|
002 |
M |
13 |
HMhm, |
|
003 |
|
|
(0.83) |
|
004 |
A |
01 |
un dann zeigen sie mir das noch MAL |
|
005 |
M |
13 |
(.) hmHM, |
|
006 |
A |
01 |
da gehn die MILben zwar nich von weg; |
|
007 |
A |
01 |
0 (.) hh aber der mensch is en FEH:Lwirt. |
|
008 |
A |
01 |
für die GRASmilben; |
|
009 |
M |
13 |
(.) H[Mhm- ] |
|
010 |
A |
01 |
0 [ h ]des heißt- |
|
011 |
A |
01 |
(.) die WOLLN eigentlich gar nich zum menschen; |
|
012 |
A |
01 |
aber die MERken des++++++ nich so recht; |
|
013 |
A |
01 |
0 h |
(.) des heißt sie gehn von SELBS weg; |
014 |
|
|
( 0. 55) |
|
015 |
A |
01 |
aber es NIMMT die entzündungsreaktion |
|
016 |
M |
13 |
HMhm? |
|
017 |
A |
01 |
un inner WOche schau ich mir das noch mal an. |
|
018 |
M |
13 |
(0.27) oKAY? |
|
019 |
A |
01 |
ja? |
|
020 |
P |
13 |
(.) O:kay? |
|
021 |
|
|
( 0. 41) |
|
022 |
P |
13 |
rufen wir AN; |
|
023 |
|
|
(5. 77) |
|
024 |
P |
13 |
wuäh:-=h0 |
|
025 |
P |
13 |
(.) un kurz HINstelln |
|
026 |
|
|
( 0. 6) |
|
027 |
M |
13 |
+++ |
|
028 |
|
|
( 0. 53) |
|
029 |
M |
13 |
GUT machst du des- |
|
030 |
|
|
((Mutter und Patientin blödeln herum, während die Mutter die Patientin weiter anzieht und der Arzt sich Notizen macht; ca. 109.41s)) |
|
031 |
A |
01 |
so:- |
|
032 |
M |
13 |
(.) wie oft mach_ma des DRAUF, |
|
033 |
P |
13 |
(.) ((schnieft)) |
|
034 |
A |
01 |
zweimal am TAG- |
|
035 |
M |
13 |
(0.57) oKAY- |
|
036 |
|
|
( 0. 3) |
|
037 |
M |
13 |
a[lles KLAR- |
|
038 |
A |
01 |
[und in ein ]er woCHE: |
|
039 |
|
|
( 0. 37) |
|
040 |
P |
13 |
((schnieft)) |
|
041 |
M |
13 |
(0.36) ja- |
|
042 |
A |
01 |
(0.58) seh ich sie WIEder:- |
043 M 13 ( 0. 29) alles KLAR-
044 (0.81)
045 M 13 [mach_mer ]doch GLATT;
-
046 p 13 [ja,
047 M 13 ( .) g[ä-
-
048 p 13 [EI ]ne woche.
049 (1. 4)
-
050 p 13 is doch ganz LEICHT-
051 (0.48)
052 M 13 HMhm;
053 (1. 6)
054 M 13 Okay-
Die Therapieplanung, die der Arzt nun unterbreitet, umfasst zwei Schritte: Als erste Maßnahme empfiehlt der Arzt eine medikamentöse Behandlung mit Cortison (Z. 001). Als Nächstes soll ein Folgetermin vereinbart werden (Z. 004). Durch die Angabe der Dauer der Verabreichung der Salbe und dem Hinweis auf den darauffolgenden Termin bei ihm, wird ungefähr einge grenzt, wann dieser vereinbart werden soll. Warum ein erneuter Termin ange setzt wird, bleibt an dieser Stelle jedoch unklar.
Beide Schritte werden dennoch von der Mutter mit zweigipfligen Rückmelde signalen ratifiziert (Z. 002/005), wodurch erst einmal eine Bereitschaft unter stellt werden kann, diesen zweischrittigen Vorschlag umzusetzen. Nach der Ratifikation erklärt der Arzt, warum die Cortisoncreme das Mittel der Wahl darstellt. Er erwähnt, dass diese Creme nur gegen die entzündungsreaktion (Z. 015) eingesetzt wird, da die GRASmilben (Z. 008) nach einer gewissen Zeit, ohne dass etwas eingesetzt werden muss, verschwinden. Den Grund dafür gibt er damit an, dass es sich bei dem menschen (Z. 011) um einen FEH:Lwirt (Z. 007) handelt. Dann wiederholt er die Aufforderung, in einer Woche erneut bei ihm vorbeizuschauen:
017 A 01 un in ner WOche schau ich mir das noch mal an.
018 M 13 (0.27) oKAY?
019 A 01 ja?
020 p - 13 ( .) O:kay?
021 (0.41)
022 p - 13 rufen wir AN;
Die Mutter reagiert nach einer kurzen Pause mit oKAY? (Z. 018). Diese Rück meldung klingt etwas unsicher. Das könnte damit zusammenhängen, dass der Arzt zwar den Einsatz des Medikaments begründet, aber den Grund für einen weiteren Besuch auch in der Wiederholung nicht angibt.
An sich handelt es sich bei einem Grasmilbenbefall um einen harmlosen Be fund. Das unterstreicht der Arzt beispielsweise dadurch, dass er den Befall nicht behandelt. Dennoch wird auch in dem Merkblatt zur Herbstmilbe emp-
fohlen, bei einem Befall 11unbedingt ein[en] Arzt zu Rate zu ziehen", wenn es 11[ d]urch das Kratzen im Bereich der Stichstellen [zu] Infektionen" gekommen ist (siehe Merkblatt zur Herbstmilbe 2004, S. 3). Deswegen ist es möglich, dass bei dem Folgetermin überprüft werden soll, ob die bereits aufgetretene Ent zündung an den Einstichstellen abgeklungen ist oder ob eine Sekundärinfek tion vorliegt und eine Nachbehandlung erforderlich ist. Da eine Trombidiose üblicherweise nicht länger als zwei Wochen anhält und bereits seit einer Wo che besteht, fiele der Termin zudem genau auf das Datum, an dem die Trom bidiose abgeklungen sein müsste (vgl. Schöler 2003, S.1). Daneben kann na türlich bei einem Folgetermin somit überprüft werden, ob sich die Diagnose bewahrheitet hat. Ein Grund dafür, warum dies nicht expliziert wird, bleibt spekulativ und lässt sich anhand des Gesprächs nicht belegen.
Der Arzt fordert durch ein nachgedoppeltes Frageanhängsel mit stark steigen der Grenzintonation nach der zögerlichen Rückmeldung der Mutter lediglich eine weitere Reaktion ein. Nun reagiert aber die Patientin, die wie die Mutter ein O:kay? (Z. 020) realisiert, welches dieses Mal jedoch wegen der Dehnung und der etwas gequetschten Realisierung gelangweilt klingt. Nach einer relativ kurzen Pause doppelt sie nochmals nach und verspricht, anzurufen (Z. 022). Anschließend produziert sie dann auch noch eine ausgebaute Antwort mit dem Hinweis auf die von ihnen in der Zukunft ausgehende Handlung, die einem Sprechstundentermin nach ihrem Erfahrungswert vorausgeht, nämlich, dass man wieder in der Praxis anruft und sich einen Termin geben lässt (Z. 022). Bei diesem Versprechen nimmt sie mittels kollektivem Wir ihre Mutter mit in die Pflicht.58
Die Patientin und die Mutter interagieren beim Anziehen miteinander, wobei die Patientin u.a. verschiedene Handlungen beschreibt und mit der Mutter herumalbert. Derweil notiert der Arzt etwas in der Karteikarte der Patientin und stellt ein Rezept aus. Anschließend übergibt der Arzt der Mutter das Re zept und leitet damit die Beendigung der Erstkonsultation ein. Die Mutter erkundigt sich beim Ergreifen des Rezeptes noch nach der Anwendung der Salbe, wobei unklar bleibt, wen das kollektive Wir (Z. 032) in diesem Fall um fasst, gerade nachdem sie sich zu Anfang explizit als Agierende oder Verant wortliche für die Behandlung mit Medikamenten positioniert hat:
031 A 01 so:-
M 13 ( .) wie oft mach ma des DRAUF,
-
p 13 ( .) ((schnieft))
A 01 zweimal am TAG-
035 M 13 (0. 57) oKAY-
036 (0. 3)
58 Zum „kollektiven Wir" vgl. Kapitel 8, in dem gezeigt wird, dass das kollektive Wir eine aktivierende Funktion besitzt.
M 13 a[lles KLAR-
A 01 [und in ein ]er woCHE:-
039 (0.37)
040 p - 13 ((schnieft))
041 M 13 (0. 36) ja-
A 01 (0.58) seh ich sie WIEder:-
M 13 (0. 29) alles KLAR-
044 (0.81)
045 M 13 [mach_mer ]doch GLATT;
046 p - 13 [ja,
047 M 13 ( .) g[ä-
048 p- 13 [EI ]ne woche.
049 (1. 4)
050 p - 13 is doch ganz LEICHT-
051 (0.48)
052 M 13 HMhm;
053 (1. 6)
054 M 13 Okay-
Der Arzt beantwortet ihr die Frage mit einer Angabe zur Häufigkeit. Wäh rend die Mutter dies noch ratifiziert, erneuert der Arzt die Anweisung zum Vorbeikommen, wobei er die entscheidende Information dehnt, eine längere Pause macht und dann den Folgetermin hervorhebt, indem er das WIEder: (Z. 042) akzentuiert und dehnt. Die nochmalige Wiederholung der Aufforde rung zeigt, dass eine bestätigende Rückmeldung von der Mutter und nicht von der Tochter erwartet wurde, die ja bereits signalisiert wurde. Bevor der Arzt den zweiten Teil der Äußerung realisiert, hat die Mutter ein Rückmelde signal produziert und nach der Beendigung der Aufforderung realisiert sie zum Arzt gewandt mit alles KLAR- (Z. 043) eine markierte Bestätigung und mit [mach_mer ]doch GLATT; (Z. 045) zur Tochter eine Aussage, die die Bereit schaft zum Beherzigen des Rats ein weiteres Mal unterstreicht. Sie verwendet wie die Patientin das kollektive Wir und bezieht diese bei dem Versprechen eine zukünftige Handlung betreffend mit ein. Der Einsatz des kollektiven Wirs kommt auch hier einer Aktivierung der Patientin gleich, die daraufhin wiederholt, dass der Folgetermin [EI]ne wache. (Z. 048) später erfolgen soll und dann zu einer Bewertung dieser Aufgabe ansetzt, wobei sie diese als ganz LEICHT (Z. 050) einstuft, was die Mutter ratifiziert. Dass Mutter und Tochter dies hier so markiert behandeln, hängt sicherlich mit der mehrfachen Wieder holung der Aufforderung durch den Arzt zusammen und der damit verbun denen Nachdrücklichkeit, die nicht weiter expliziert wird. Durch die Bewer tung der Patientin, aber auch die Prosodie der Rückmeldungen der Patientin, die als gelangweilt interpretiert werden können, signalisiert sie, dass die mehrmalige Wiederholung der Aufforderung von ihr als unnötig empfunden wird. Der Hinweis der Mutter an die Patientin, der die gesteigerte Bereitschaft ausdrückt, sich nochmals in der Praxis einzufinden, ist mehrfachadressiert
(vgl. Hartung 2001)59 und bearbeitet die durch den Arzt offensichtlich infrage gestellte Therapietreue der Mutter. Durch ein weiteres Okay (Z. 054) erklärt die Mutter dann ihre Bereitschaft, mit der Gesprächsbeendigung fortzu fahren.
Anschließend erhält die Patientin durch den Arzt noch eine Belohnung und zieht sich mit Hilfe der Mutter die Jacke an. Der Arzt, der noch etwas geordnet hat, wendet sich zuerst der Mutter und dann der Patientin zu und verabschiedet sich von beiden.
Die Diagnosemitteilung wird der Mutter präsentiert, wie auch der Vorschlag einer Therapie. Daneben wird sie als Zuständige für die Durchführung der Maßnahmen behandelt. Als die Patientin Bereitschaft signalisiert, sich thera pietreu zu zeigen, wird deutlich, dass der Arzt an dieser Stelle auf die Ab sichtserklärung der Mutter wartet und die Rückmeldung der Patientin nicht ausreicht, auch wenn er bisher den Beiträgen beider Parteien Aufmerksamkeit geschenkt und - im Gegensatz zu Beiträgen oder Fragen der Mutter - regel mäßig sofort auf Äußerungen der Patientin reagiert hat.
Anhand eines Fallbeispiels, das in diesem Kapitel systematisch untersucht wurde, konnte nun auch exemplarisch aufgezeigt werden, dass die Redebe teiligung der Kinder zum einen 11 phasenweise" (Tates/Meeuwesen 2000,
S. 159; vgl. Schwabe 2006a, S. 50 oder Pantell et al. 1982, S. 398) und 11 gekop pelt an die Handlungsaufgaben" schwankt, zum anderen in bestimmten Se quenzen auch das Einschreiten einer anderen Person nachvollziehbar und vielleicht sogar erwartbar ist (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 5ff.; Tates/ Meeuwesen 2000, S. 159 oder Schwabe 2006, S. 50). Betrachtet man die 11 Ge sprächsmitte" (Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 284) des Gesprächs APEG_13 wird klar, dass man schwerlich von einer quantitativen Analyse auf die Beschaffenheit eines Gesprächs schließen kann. Denn so hat die Mutter nach dem Arzt zwar einen relativ hohen Redeanteil, dies ist aber interaktiv nicht unbedingt relevant. Sie übernimmt, nachdem der Arzt seine Fragen zu nächst nur an die Patientin richtet, zu großen Teilen die Beschwerdenschilde rung und Beschwerdenexploration, berichtet während der Untersuchung von subjektiven Krankheitstheorien, stellt Fragen zu prädiagnostischen Mitteilun gen und zur Therapieplanung. Dabei hat die Mutter sich zwar in der Anam nesephase das Rederecht 11 erkäm pft", sich dabei aber nicht in einen Rede rechtsstreit mit der Patientin begeben, sondern die Adressatenproblematik mit dem Arzt ausgehandelt, zumal sie zuvor von der Patientin selbst aktiviert wurde. Eine Ausgrenzung durch die Mutter fand dabei jedoch nicht statt, an-
59 Vgl. außerdem den Abschnitt 8.5 zu Mehrfachadressierung als Mittel in Kapitel 8.
ders als dies in der Studie von Davis aufgezeigt wurde (vgl. Davis 1982).60 Es handelte sich eher um eine Aushandlung von epistemischer Autorität und Zuständigkeit, die an der Oberfläche nachvollziehbar ist. Während der Unter suchung befindet der Arzt sich in einer Interaktionsdyade (Schmitt 2012,
S. 45) mit der Patientin, die er fast durchgehend beibehält. Dies ist durch die Orientierung des Arztes auf die körperliche Befunderhebung legitimiert (ten Have 1990) und wird dadurch unterstrichen, dass der Arzt Aufforderungen an die Patientin oder Onlinekommentare realisiert. Er akzeptiert die Über nahme des turns der Mutter in der Phase der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration und wählt diese auch bei prädiagnostischen Mitteilungen, der Diagnosemitteilung sowie der Therapieplanung klar als Adressatin aus. Hier ist es dann die Patientin, die sich selbstbestimmt zu Wort meldet. Analog zur körperlichen Untersuchung, in der die Interaktionsdyade mit der Patientin aufrechterhalten bleibt, bleibt in den Handlungsschema komponenten der Diagnosemitteilung sowie der Therapieplanung die Fokus sierung auf die Interaktion mit der Mutter bestehen. Der Arzt fordert von der Mutter eine Ratifikation ein, nicht von der Patientin. Bei der Beendigung sind wie bei der Begrüßung wieder alle Gesprächsteilnehmer gleichermaßen beteiligt.
Wie zuvor festgehalten wurde, ist der Redeanteil des Arztes gemeinhin am höchsten, während die Redebeteiligung des Patienten am geringsten ausfällt. Das ist nach Quasthoff zum einen „auf das Ausmaß [zurückzuführen], in dem entsprechende Gesprächsgegenstände in der Interaktion eine Rolle spielen" (Quasthoff 1990, S. 74) und darauf, dass die Gesprächsbeteiligten „einen der Beteiligten als für die Interaktion Verantwortlichen [definieren] und[...] ihn mit entsprechenden Sonderrechten aus[statten]" (ebd., S. 76). Dabei scheint es auch zunächst einmal gleichgültig zu sein, ob es sich um eine dyadische oder eine triadische Kommunikationssituation handelt. Der Arzt erhält durch das
,,Erscheinen" des Patienten in dessen Praxis „einen Behandlungsauftrag" (Spranz-Fogasy 2010, S. 27-39), einhergehend mit „erhöhte[n] Durchführungs rechte[n], die sich vor allem in dessen initialen Interaktionshandlungen aus drücken" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 95).
60 Die Ausgrenzung der Patienten wurde in dieser Studie, wie auch in der vorausgegangenen Studie von Strang (1979), in der dasselbe Material herangezogen wurde, für die unter schiedlichen Altersstufen festgestellt. Davis sieht für diesen Ausschluss die erwachsenen Gesprächsbeteiligten verantwortlich. Aronson/Rundström (1988) identifizieren in einer anderen Studie für die Eingrenzung oder Ausgrenzung der Kinder die Gesprächsführung und den Erziehungsstil der Eltern als entscheidend, während der Einfluss der Ärzte als konstant beschrieben wird. Stivers (2001) sieht dahingegend die Verwantwortung eher auf der Seite der Ärzte und auch van Dulmen (2004) begründet die Ausgrenzung durch eine Überforderung mit der triadischen Kommunikationssituation auf Seiten der Ärzte.
In einem dyadischen AGP kann man jedoch relativ klar
Inhalte [ausmachen], deren Entfaltung dem Arzt aufgrund seines Fachwissens, seiner diagnostischen und therapeutischen Aufgaben, kurz: aufgrund seiner Zuständigkeit, obliegen und solche Inhalte wie subjektive Befindlichkeiten, Be schwerden, Vorgeschichten etc., zu denen nur der Patient Zugang hat, für die er zuständig ist. (Quasthoff 1990, S. 74)
Das ist bei einem ärztlichen Gespräch mit triadischer Struktur nicht mehr ganz so einfach zu trennen. Zwar gibt es auch hier bestimmte Inhalte, die nach Quasthoff 11 der Zuständigkeit [des Arztes] obliegen" und die meisten Phasen des Gesprächs bestimmen, weswegen es auch nicht verwunderlich ist, dass die meisten Redeanteile auch im pädiatrischen Gespräch mit triadischer Struktur auf den 11 Agenten" (vgl. Ehlich/Rehbein 1980) der Institution entfal len (vgl. Quasthoff 1990, S. 74), aber die triadische Gesprächssituation bein haltet per se eine diffizile und konfliktträchtige Struktur. Die Patienten haben natürlich grundsätzlich den alleinigen 11 Zugang" zu den 11 subjektive[n] Be findlichkeiten, Beschwerden, Vorgeschichten etc." (Quasthoff 1990, S. 74), da sie 11 unmittelbar von diesem Problem betroffen" (Reiterneier 1994, S. 230) sind. Darüber hinaus werden
Selbstzuschreibungen[...] in der Sprachgemeinschaft als Ausdruck einer hoch gradig verlässlichen Wissensform behandelt, was sich in einem signifikanten epistemischen Kredit ausdrückt: Selbstzuschreibungen werden in der Regel nicht korrigiert und bezüglich der Einschätzung seiner eigenen mentalen Zu stände hat der Sprecher das letzte Wort. (Michel/Newen 2007, S. 2)
Dies trifft jedoch zum einen nur auf II voll sozialisierte Subjekte" (Deppermann 2015, S. 14) zu. Kinder werden 11 in den westlichen Gesellschaften" gemeinhin nicht zwangsläufig 11 als nicht kritisierbare Experten für ihre eigenen mentalen und emotionalen Zustände[...] behandelt", wie man dies den Erwachsenen zu gesteht (vgl. ebd., S. 13f.). So ist es möglicherweise auch nicht verwunderlich, wenn die Patienten, die natürlich prinzipiell 11 einen in einzigartiger Weise un mittelbaren epistemischen Zugang zu den Inhalten ihres eigenen Geistes habe[n]" (Lauer 2010, S. 6), trotz epistemischer Autorität (vgl. z.B. Heritage/ Raymond 2005) sich nicht mehr als die Eltern verbal am Gespräch beteiligen. Zum anderen sind die Eltern nicht nur verantwortlich für die Kinder. Sie haben auch die erste Schilderung der Kinder mitbekommen, die Kinder vor dem Sprechstundengespräch beobachten und eigene Erfahrungen mit dem kranken Kind sammeln können (vgl. z.B. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 28ff.). Die Einschätzung der Eltern bezüglich der Schilderungen und/oder die eigenen Beobachtungen der Eltern sind der Grund für den Arztbesuch. Dem nach sind der Sprechstunde bereits erste Abwägungen und Beurteilungen des Allgemeinzustandes durch die Eltern vorausgegangen. Folglich entfällt die epi stemische Autorität bezüglich der Krankheitsgeschichte nicht ausschließlich auf die Kinder. Auch Eltern haben Erfahrungen mit dem kranken Kind gemacht
und können eigene Beobachtungen zur Krankheitsgeschichte einbringen - wenn sie nicht sogar allein auf Beobachtungen zurückgreifen können -, die vom Kind gar nicht gemacht wurden, wobei auch „in bestimmten Situationen [...] Beobachter ähnliche Erlebnisse habe[n] wie das betroffene Subjekt, [ob wohl] die Intensität und Qualität wesentlich verschieden [ist] und[...] zu ande ren mentalen Zuständen [führt]" (Michel/Newen 2007, S. 2). Darüber hinaus verfügen die Eltern schon aufgrund ihrer Erfahrungen mit eigenen Krankhei ten über mehr Krankheitswissen als die Kinder, können aber auch Informatio nen zu familiären Vorbelastungen angeben.
Beispielhaft wird hier auch ein Ausschnitt aus dem Gespräch APEG_06 her angezogen, in welchem der Arzt während der körperlichen Untersuchung eine Ausschlussdiagnose formuliert, die von der Mutter sofort mit dem Hin weis auf eigenes Wissen unterstützt wird:
Fallbeispiel 5:
APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); BE (00:01.95-03:03.01) 02:03.79-02:16.02
025 |
A |
01 |
(.) also BLINDdarm is nichts |
026 |
M |
06 |
(.) ja beine konnt se anWINkeln; |
027 |
M |
06 |
((lacht)) (.) ((Lachansatz)) |
028 |
|
|
( 0. 2) |
029 |
M |
06 |
0 hh (2.85) muss ma da AUCH erbrechen |
030 |
A |
01 |
(0.7) ja- |
031 |
M |
06 |
(.) ja, |
032 |
A |
01 |
(0.22) ja MUSS nich; |
033 |
A |
01 |
aber KAN[N; |
034 |
M |
06 |
[ja, l |
Die Reaktion der Mutter M_06 lässt darauf schließen, dass sie über das nötige Krankheitswissen verfügt, um diese Ausschlussdiagnose zu bestätigen. Der beschriebene Sachverhalt ist zudem ein Indiz dafür, dass sie auch vor der Konsultation des Arztes auf die Anzeichen einer „Blinddarmentzündung" ge achtet hat (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.; aber auch Heritage/ Raymond 2005). Eltern beobachten die Kinder mit ihren Problemen und glei chen das Beobachtete und von den Kindern Gehörte oder bei den Kindern Beobachtete mit ihrem Krankheitswissen ab. Dieser Ausschnitt unterstreicht, dass Eltern für die Ärzte in vielerlei Hinsicht wichtige Ansprechpartner darstellen.
Darüber hinaus konstatieren Heritage und Raymond, ,,dass Personen unter bestimmten Umständen angesichts ihrer sozialen Rolle Anspruch gegenüber der epistemischen Autorität des Empfindens anderer geltend machen und auch zugestanden bekommen" (Winterseheid 2015a, S. 197f.).61 Das gilt im
61 Mit Bezug auf Heritage/Raymond (2005, S. 20).
Besonderen für die für die Kinder Verantwortlichen. Die Eltern - und auch betreuende Großeltern - haben zweifelsohne diese besondere Rolle inne (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28ff.). Dass die Konsultation des Arztes stattfindet, fällt ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Eltern, die dazu verpflichtet sind, zum Wohle des Kindes zu handeln. Diese Entscheidung ist aber in mehrerlei Hinsicht angreifbar. So kann sich etwa im Lauf der Sprech stunde herausstellen, 11 dass der Arztbesuch völlig unnötig war oder viel eher hätte erfolgen müssen oder auch, dass eigene Maßnahmen nutzlos oder sogar schädlich gewesen sein könnten" (ebd., S. 29). Somit handelt es sich bei jedem Arztbesuch faktisch gleichzeitig auch um eine potenziell facebedrohende Si tuation für die Eltern.
Goffman definiert face als einen 11 positive[n] soziale[n] Wert" (Auer 1999,
S. 150; Hervorhebung im Original), welchen 11 eine Person durch ein konsis tentes Verhalten für sich beansprucht bzw. der ihr aufgrund dieses Verhaltens zugeschrieben wird" (ebd.). Daneben 11 fordert" jeder einzelne 11 seine Zu schauer auf, den Eindruck, den er bei ihnen hervorruft, ernst zu nehmen" (Goffman 1991[1959], S. 19).
Gesichtswahrendes Verhalten spielt nach Goffman auf die eine oder andere Wei se in jeder sozialen Beziehung und daher in jedem sozialen Handeln eine zentrale Rolle. Jede Interaktion bietet den Handelnden die Möglichkeiten und legt ihnen die Verpflichtung auf, ihr eigenes face zu wahren und sich zugleich so zu verhal ten, daß dies auch dem Interaktionspartner möglich ist. (Auer 1999, S. 150f.)
Damit wird das face der einzelnen Personen hergestellt und muss interaktiv aufrechterhalten werden. Mit der Pflege des eigenen und des fremden face sind die Gesprächsbeteiligten dauerhaft während der Interaktion beschäftigt und in erster Linie darum bemüht, einen Zwischenfall abzuwehren, einen sol chen zu übergehen oder diesen zu vertuschen (vgl. Goffman 1994, S. 21-24). Denn 11 [w]enn eine Störung eintritt, können wir feststellen, daß die Selbstdar stellungen, auf die eine Persönlichkeit aufgebaut wurde, diskreditiert wer den" (Goffman 1991[1959], S. 222). Sollte dies nicht möglich sein, muss diese Störung korrigiert werden. (vgl. Goffman 1994, S. 24-30).
Neben der alle antreibenden Suche nach der Diagnose dessen, was die Patientin 11 quält", herrschen demnach unterschiedliche Orientierungen bei den Gesprächsbeteiligten vor, die ebenso das Gespräch prägen:
Die Mütter in beiden angeführten Beispielen versuchen, Informationen zu präsentieren, die aus der eigenen Erfahrung wie den Beobachtungen im Vor feld herrühren, und engagieren sich bei der Suche nach einer Diagnose. Bei den Äußerungen der Mutter in APEG_13 zieht sich zudem der moralische Diskurs durch. Sie verweist regelmäßig auf ihre Verantwortlichkeit, die sie ernst nimmt, und signalisiert, dass durch die Reaktion des Arztes dieses Selbst-/Fremdbild auf dem Prüfstand steht (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28-30).
Zwischenfazit 7g
Die Patientin ist Lieferantin von Symptomen und präsentiert sich auch als diese: Sie nimmt die Aufforderung an, die Anamnese mit dem Arzt zu bestrei ten und beginnt, nachdem sie ihm von dem sie quälenden Leiden berichtet hat, ihre Kleider auszuziehen, damit der Arzt die Hautstelle selbst in Augen schein nehmen kann. Damit stellt sie sich mit ihren fünf Jahren zudem als er fahrene Patientin dar und zeigt dieses an der Handlung, die prospektiv auf die Untersuchung hin ausgerichtet ist (vgl. Winterseheid 2015a, S. 201), wo durch sie sich als eine Patientin präsentiert, die weiß, dass die körperliche Untersuchung der Anamnese folgt und sie dafür bestimmte Vorbereitungen treffen muss, zu denen man sie nicht auffordern muss (vgl. auch Spranz-Fo gasy/Winterscheid i.Ersch.). Ferner beansprucht sie aber nicht die alleinige Wissenshoheit bezüglich der Hautirritation. Das macht sie dadurch deutlich, dass sie von einem gemeinsamen Nichtwissen spricht, womit sie ihre Mutter im Rahmen der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration aktiviert und sich auch nicht mit ihr in einen Rederechtstreit begibt, als diese das Rederecht tatsächlich übernimmt. Sie zeigt weiterhin durch das Singen und Summen an, dass sie nicht beabsichtigt, das Rederecht erneut zu über nehmen, und dass sie auch nicht annimmt, dass dies von ihr verlangt wird. Ob sie keine weiteren Informationen liefern kann oder erwartet, dass nun die Mutter berichtet, eine Untersuchung direkt anschließt etc., kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. Dass sie sich jedoch nicht weiter zuständig fühlt, kann ausgeschlossen werden, da sie sich für eine weitere Phase vorbereitet und dem Gespräch trotz des Singens und der Interjektionen folgt und beispielsweise auch sofort reagiert, als der Arzt zur Untersuchung überleitet. Auch ihre Mitarbeit im Rahmen der Therapieplanung signalisiert eine aktive Beteiligung der Patientin (vgl. auch Winterseheid 2015a). Gleich zeitig stilisiert sie sich zum Ende des Gesprächs als eine Person, die für die Einhaltung der verordneten Maßnahmen mitverantwortlich ist und diesbe züglich auch Zusagen machen kann. So verspricht sie beispielsweise, dass sie einen weiteren Termin telefonisch vereinbaren werden.
Der Arzt begibt sich auf die Suche nach der Diagnose, ist aber stetig bemüht, die epistemische Autorität der Patientin zu wahren, gleichzeitig auf die Sor gen der Mutter sowie deren epistemischen Autorität einzugehen und die je weiligen Zuständigkeiten zu berücksichtigen. Das gelingt ihm in den meisten Fällen. 62 Lediglich bei der zweiten Frage wird durch die Mutter bezogen auf die Adressierung eine Korrektur vorgenommen. 63 Jedoch nicht nur der Arzt befindet sich im Spagat in dieser Triade, der auf beide Gesprächsbeteiligten eingehen muss und zugleich ihre Beteiligungsrollen und Verantwortungsbe reiche berücksichtigen muss, auch die Mutter befindet sich in einer besonde-
62 Im Gegensatz zu der von van Dulmen (2004) aufgestellten These, dass Ärzte aufgrund der Mehrpersonenkonstellation mit dieser Situation überfordert sind.
63 DieAdressierung in den Erstkonsultationen wird in Kapitel 8 weiter vertieft.
ren Situation, indem sie als Mutter und Verantwortliche an dem Gespräch beteiligt ist (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). Sie ist verantwortlich für die Patientin und damit auch für deren Gesundheit zuständig. Zudem ist die Mutter die erste Ansprechpartnerin, Beobachterin der Symptome und des Be findens der Tochter und die Person, die zuerst subjektive Krankheitstheori en64 entwickelt und diese angenommene Symptomatik behandelt (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 16-27). Sie ist darüber hinaus zuständig für die Therapie, die sich aus der Erstkonsultation und der darin entwickelten Therapieplanung des Arztes ergeben. Sie präsentiert sich als verantwortungs bewusste und besorgte, wenn auch nicht übermäßig besorgte Mutter, die erst am Punkt, an dem sie sich ihrer eigenen Hilflosigkeit bewusst wird, den Arzt aufsucht (vgl. ebd., S. 28ff.). Deswegen tritt sie als die Mutter der Symptom trägerin auf, aber auch als eine, die selbst Trägerin einer Beobachtungsge schichte ist und nicht mehr weiterweiß. Sie unterstützt in dieser Situation in dem Sinne, dass sie Informationen liefert, die über das von der Patientin Ge sagte hinausgehen und präsentiert Beobachtungen und Theorien. Dabei muss sie darauf achten, dass die Theorien nicht zu fachmännisch geäußert werden, um dem Arzt nicht seine fachliche Kompetenz streitig zu machen. Das sieht man auch daran, dass sie den Fachbegriff der von ihr vermuteten Ursache erst nennt, nachdem der Arzt nicht auf die Theorie reagiert. Daneben werden Äußerungen, die prädiagnostische Mitteilungen oder Diagnosen des Arztes sind, nicht direkt angezweifelt oder bestätigt. Dies geschieht sehr zurück haltend.
Neben der Adressierung, die die Gesprächsbeteiligten in einer triadisch-päd iatrischen Kommunikationssituation zu bewältigen haben, konnte man in diesem Beispiel ebenfalls nachvollziehen, dass bestimmte Handlungsschema komponenten im pädiatrischen Arzt-Patient-Gespräch eher mit einer oder auch mit beiden Parteien verhandelt werden .65
64 An diesem Beispiel hat man überdies verfolgen können, wie präsent selbst abgewählte subjektive Krankheitstheorien sein können. Deswegen wird im Kapitel 9 der Fokus auch auf subjektiven Krankheitstheorien sowie weiteren Initiativen der Eltern liegen, die im triadisch-pädiatrischen Gespräch angesprochen oder angedeutet werden. Es handelt sich bei subjektiven Krankheitstheorien, Untersuchungsvorschlägen etc. eigentlich durchge hend um Initiativen der Eltern. Lediglich im Gespräch APEG_13 wird eine subjektive Krankheitstheorie durch eine Patientin eingebracht, welche allerdings gleich von der Mut ter als ihre eigene Theorie identifiziert wird.
65 Aus diesem Grund erscheint eine Überarbeitung des Handlungsschemas notwendig; vgl. hierzu Spranz-Fogasy/Winterscheid (2013) und Kapitel 6.
HANDLUNGSSCHEMA DER TRIADISCH PÄDIATRISCHEN KOMMUNIKATION
Die Beispielanalyse legt nahe, dass es auffallende Unterschiede zwischen ei nem als typisch einzuordnenden dyadischen Erstgespräch und einem typi schen Erstkonsultationsgespräch in der pädiatrischen Praxis gibt, auch wenn sich die von Spranz-Fogasy als 11 idealtyp ische Abfolge" (Spranz-Fogasy 2005,
S. 20) an Handlungen herauskristallisierten Handlungsschemakomponenten ebenfalls in einem pädiatrischen Arzt-Patient-Gespräch wiederfinden. 66
Dies lässt sich auf die 11 triadische Gesprächskonstellation" zurückführen, die 11 für eine gesplittete Gesprächspartnerschaft mit unterschiedlichen An sprechpartnern und komplementären Sequenzierungsaufgaben [sorgt]" (Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.; vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). So stellen etwa in dyadischen Erstgesprächen gemeinhin 11 Begrüß ung und Gesprächseröffnung[...] de[n] Beginn der Beschwerdenexploration" (Spranz Fogasy 2005, S. 21) dar, während 11 in der Kinderarztpraxis regelhaft zunächst eine ausdrückliche Begrüßung des Patienten und des/der begleitenden Er wachsenen statt[findet], bevor der Arzt sich schließlich nach dem Grund des Besuchs erkundigt" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6). In allen Gesprä chen findet eine Begrüßung aller Gesprächsbeteiligten statt und auch die Ge sprächsbeendigung erfolgt unter allen Gesprächsbeteiligten.
In APEG_13 haben nacheinander die Patientin und dann die Mutter die Beschwerdenschilderung übernommen. In der Phase der körperlichen Unter suchung fand eine Fokussierung des Arztes auf die Patientin statt. Online kommentare (vgl. z.B. Heritage/Stivers 1999), prädiagnostische Mitteilungen (vgl. z.B. Spranz-Fogasy 2014) und die Diagnose werden der Mutter mitgeteilt und auch in der Handlungsschemakomponente der Therapieplanung wählt der Arzt die Mutter als Adressatin aus. In Bezug auf die Beteiligung der Ge sprächsbeteiligten in der Beispielanalyse kann diese als typisch für triadisch pädiatrische Erstkonsultationsgespräche festgestellt 67 und auch die Aufga benverteilung innerhalb des Gesprächs kann im Vergleich zu den anderen Interaktionen des Analysekorpus als prototypisch ausgemacht werden.
Es kann mitunter aber auch vorkommen, dass der anwesende Elter zuerst mit der Beschwerdenschilderung beginnt und der Arzt sich anschließend an den Patienten wendet und von diesem noch Informationen erfragt. Im Unter schied zum Gespräch APEG_13 wird in einigen Gesprächen im Rahmen der Therapieplanung auch den Patienten ihre Aufgabe im Rahmen der Therapie
66 Verkürzt dargestellt wurde diese Variation des Handlungsschemas auch in Spranz Fogasy/Winterscheid (2013, S. 5-8).
67 Vgl. Kapitel 5 oder Spranz-Fogasy/Winterscheid (2013, S. 29) und z.B. die Ergebnisse der Studie von Aronsson/Rundström (1988).
erläutert oder sie werden ebenfalls zur Therapie - etwa zu Vorlieben bezüg lich der Darreichungsform von Medikamenten - befragt.
11
Allein schon die Fokussierung des Arztes während der jeweiligen Hand lungsaufgaben auf die einzelnen Gesprächsbeteiligten spricht für die Erwei terung der klassischen Handlungsschemakomponenten. Daneben fällt auf, dass die Patientin P_13 in APEG_13 nach ihrer Beschwerdenschilderung be ginnt, sich für die körperliche Untersuchung vorzubereiten (vgl. Beispielana lyse in Kap. 5). Das hängt mit ihrem Wissen bezogen auf diesen Interaktions typen zusammen und deckt sich auch mit den Beobachtungen hinsichtlich aller erhobenen Interaktionen in der pädiatrischen Praxis, in welchen aus nahmslos eine körperliche Untersuchung der Patienten stattfindet (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). Analog zu diesen Beobachtungen stel len auch Güthoff und Rosenecker im Kapitel 11 Anamneseerhebung" ihres Leitfadens fest, dass 11 sich in der Regel die körperliche Untersuchung des Kin des anschließt" (Güthoff/Rosenecker 2008, S. 8), wohingegen eine körperliche Untersuchung in dyadischen Arzt-Patient-Gesprächen mit Erwachsenen häu fig unterbleibt und 11 in dyadischen Arzt-Patient-Gesprächen oft schon die Schilderung der Beschwerden und eine kurze Fragerunde genügt" (Spranz Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6; vgl. Hampton et al. 1975). Ferner ist diese Se quenz 11 allein schon deshalb interaktional auffällig, da sie regelmäßig mit ei ner Umpositionierung der Gesprächsbeteiligten im Raum zusammenfällt" sowie auch durch entsprechende Ankündigungen oder Aufforderungen ein geleitet und aufgelöst wird (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). So empfiehlt es sich aufgrund der Analysen der triadisch-pädiatrischen Erstkon sultationsgespräche, die körperliche Untersuchung als eigenständige Hand lungsschemakomponente zu betrachten, 68 obwohl [ d]ie körperliche Unter-
68 Nowak (2010) und Lalouschek (2013) haben sich sogar in Anlehnung an die damalige Ausarbeitung von Byrne/Long (1978[1976]) dafür ausgesprochen, die körperliche Unter suchung im Handlungsschema ärztlicher Gespräche als eigenständige Handlungssche makomponente zu verankern. Nowak hat zudem darauf hingewiesen, dass zu dieser Komponente 11 im deutschsprachigen Raum" (Nowak 2010, S. 185) - im Gegensatz zu 11 neuere[n] US-amerikanische[n] Arbeiten" (ebd.) - 11 zu wenig Primärforschung vorliegt" (ebd. S. 342). Overlach bezieht sich hingegen bei dem prototypischen Verlauf eines Ge sprächs auf ten Have (1989, 2002) und Spranz-Fogasy (1987) und rechnet die körperliche Untersuchung dementsprechend zur Beschwerdenexploration dazu, während er den Be schwerdenvortrag als eigenen Punkt aufführt: 1) Begrüßung/Gesprächseröffnung (open ing - relating to the patient) 2) Beschwerdenvortrag (complaint - discovering the reason for attendance) 3) Beschwerdenexploration und Untersuchung (examination or test - conducting a verbal or physical examination or both) 4) Diagnosemitteilung (diagnosis
consideration of the patient's condition) 5) Therapieplanung und Verordnung (treat ment or advice -detailing treatment or further investigation) 6) Verabschiedung (closing
terminating). Den Beschwerdenvortrag sieht Overlach als 11 Monolog" und in der Ver antwortung des Patienten, der 11 mindestens eine Beschwerde vorbringt, die als Anlass für den Arztbesuch ausreichend ist (und als Begründung oder account dafür auch erforder lich [ist])" (Overlach 2008, S. 174f.).
suchung zwar direkt keine sprachliche Handlung ist], [...] aber durch sprachliche Handlungen begleitet [wird]" (Nowak 2010, S. 338).
In den aufgezeichneten Gesprächen wird meistens von den Ärzten nach der allgemeinen Begrüßung eine der beiden Gesprächsparteien - in etwa 72% aller Gespräche handelt es sich dabei um die Patienten - explizit als nächster Sprecher ausgewählt. Allein durch den Adressatenwechsel von Seiten des Arztes sind die Phasen der Begrüßung und der Gesprächseröffnung anders als im dyadischen Arzt-Patient-Gespräch klar voneinander zu unterscheiden (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6).69 Die Komponente der Be schwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration, in der es - nach Spranz-Fogasy- darum geht, 11 das spezifische Fallwissen über die Beschwer den seitens des Patienten und das allgemeine medizinische Wissen des Arztes für die Zwecke des Gesprächs angemessen abzugleichen" (Spranz-Fogasy 2005, S. 21), wird - aus ärztlicher Perspektive - zu großen Teilen mit den El tern bestritten. Tatsächlich kommen der Aufforderung des Arztes nur 32% der Patienten nach. In diesen Fällen übernehmen nach durchschnittlich 16,25 Se kunden die Eltern das Rederecht und fahren mit der Beschwerdenschilde rung fort. In anderen Fällen beginnen die Eltern, starten beide Parteien gleich zeitig und hin und wieder geben die Kinder den Auftrag auch gleich an die Eltern weiter. Gelegentlich wird auch noch eine andere Sequenz - beispiels weise eine Smalltalk-Sequenz - eingeschoben. Entweder durch Aufforderun gen eines der aktiven Sprecher oder eigeninitiativ meldet sich dann ebenfalls die gerade verbal passivere Partei zu Wort. Deswegen ist diese Zweiteilung im Handlungsschema zu berücksichtigen. In allen Arzt-Patient-Gesprächen beim Kinderarzt erfolgt anschließend eine körperliche Untersuchung.70 Die se Komponente wird dadurch eingeleitet, dass der Arzt sich an den Patienten wendet und die Handlungsschemakomponente anbietet und/oder ihn bittet, sich für diese vorzubereiten. Zumeist wird - abhängig vom Raum, in dem die Interaktion stattfindet - damit einhergehend ein Positionswechsel des Patien ten und des Arztes vollzogen (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). Der anwesende Elternteil wendet sich in der Regel der Liege zu, auf der die Unter suchung stattfindet. Der Arzt und der Patient bilden in dieser Phase eine eigene 11 lntera ktionsdyade" (Schmitt 2012, S. 45). Während der Untersuchung findet eine Fokussierung des Arztes auf den Patienten statt. Gelegentlich stellt der Arzt auch Fragen an das Elternteil oder teilt dem Elternteil Befunde mit. Geschieht dies, wird das Elternteil sodann zumeist gebeten, sich der Liege zu nähern. Oft nutzen die Eltern diese Phase allerdings auch, um dem bisher Erfragten oder Geschilderten noch etwas hinzuzufügen, nicht erwähnte Über-
69 Zur Frage der Adressierung bei der Aufforderung mit der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration zu beginnen vgl. Kapitel 8.
70 In den Transkripten wird die körperliche Untersuchung im Folgenden mit „kU" ab gekürzt.
legungen anzubringen oder eigene Erfahrungen mit dem kranken Kind dar zulegen (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). Die Äußerungen des Arztes, der mitunter sogar auf die Äußerungen außerhalb dieser Dyade nicht reagiert, richten sich derweilen in der Regel weiterhin an den Patienten. Die Diagnosemitteilung erfolgt im Allgemeinen nach Beendigung der Unter suchung und der Auflösung der für die Untersuchung mit dem Patienten ein gegangenen Interaktionsdyade. Der Arzt beendet diese Phase üblicherweise, indem er den Patienten bittet, sich wieder anzukleiden, und selbst wieder auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz nimmt. Allein dadurch, dass sich der Patient während des Anziehens nicht in unmittelbarer Nähe des Schreib tisches befindet, aber auch wegen der Verantwortlichkeit der Eltern, erscheint es nur folgerichtig, dass die Eltern adressiert werden, wenn die Diagnosemit teilung erfolgt, aber auch reagieren, wenn diese gänzlich ohne Adressatenbe zug stattfindet (vgl. Kap. 5 und Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). Kongru ent verhält es sich bei der Aushandlung der Therapieempfehlung. Dass verschiedene Phasen im pädiatrischen Gespräch - üblicherweise vor allem diese beiden Phasen - mehr oder weniger 11 dyadisch" bestritten werden, wur de auch in verschiedenen anderen Studien (z.B. bei Tates 2001) festgestellt. Während die Medikamentenverordnung, Symptome, die noch hätten auftre ten können oder möglicherweise noch auftreten werden, erwartbare Neben wirkungen etc. eher mit den Eltern besprochen werden, legt der Arzt die Aus wirkungen und Symptome, genauso wie die konkrete Handlungsempfehlung, oft wieder den Kindern als den unmittelbar Betroffenen offen. Gewöhnlich reagieren diese jedoch nicht darauf. Die Phasen der Gesprächsbeendigung und der Verabschiedung werden dann wieder von allen Parteien bestritten.
Auch in den einzelnen Komponenten ist die Beteiligung nicht konstant: So gibt es zumeist zwei Phasen in den Handlungsschemakomponenten Be schwerdenschilderung- und Beschwerdenexploration sowie der Therapiepla nung. Dabei handelt es sich zwar um keine eigenständigen Handlungssche makomponenten,diese Phasen sollten aber nichtsdestoweniger aufgenommen werden.
Diese Feststellungen erzwingen die Differenzierung der Handlungsstruk tur pädiatrischer Erstkonsultationsgespräche gegenüber ärztlichen Gesprächen mit erwachsenen Patienten (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 5-9):
s: ."c' C. C = |
Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration (in zwei Phasen}
Körperliche Untersuchung
Diagnose Therapieplanung(in zwei Phasen) |
Gesprächsbeendigungund Verabschiedung |
Begrüßung Gesprächseröffnung
Abb. 6 I Differenzierung des Handlungsschemas ärztlicher Gespräche für triadisch-pädiatrische Gespräche
Von ärztlicher Seite wird der triadischen Interaktionssituation dadurch Rech nung getragen, dass der Arzt mittels Fokussierung oder expliziter Adressie rung (vgl. z.B. Hartung 2001) - schematisch - bestimmte Phasen eher mit der einen oder anderen Partei und in bestimmten Phasen mit beiden Parteien aus handelt. Doch auch eine deutlich adressierte Frage oder Aufforderung wird nicht zwangsläufig von der adressierten Partei beantwortet oder bedient. In einigen Fällen reagiert die nicht adressierte Partei. Dies kann nach Aushand lung der Parteien geschehen oder auch durch eine selbstinitiierte Übernahme. Daneben gibt es auch Fragen oder Aufforderungen, die nicht klar adressiert werden. Auf die Adressierung sowie Rederechtsübernahmen oder Rede rechtsaushandlungen wird in den nächsten Kapiteln 7 und 8 näher eingegan gen. An dieser Stelle soll nur darauf verwiesen werden, dass während des Gesprächs in der Kinderarztpraxis mit triadischer Struktur bei einem kons tanten Interaktionsensemble (vgl. Goffman 1983, aber auch Schmitt 2012 oder Schmitt/Deppermann 2007) jeweils nur die 11 Gestaltun g" desselbigen variiert (vgl. Bauer 2009, S. 63), die aber durch ihre Regelhaftigkeit Beachtung inner halb des Handlungsschemas finden muss.
VERGLEICH ZWEIER INTERAKTIONEN MIT EINER DIVERGIERENDEN PATIENTENBETEILIGUNG
Untersucht man nun die Redebeteiligung anhand der Handlungsschema komponenten für die triadisch-pädiatrische Kommunikation, so fällt zuerst auf, dass sich die Patienten generell sowohl in der Schemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration sowie der körperli chen Untersuchung verbal am stärksten beteiligen. Die verbale Beteiligung der Patienten in den Schemakomponenten der Diagnosemitteilung und The rapieplanung ist entweder sehr gering oder nicht existent. Durchschnittlich gestaltet sich die Redebeteiligung der Patienten in der Kernphase des tria disch-pädiatrischen Gesprächs unter Berücksichtigung der Handlungssche makomponente folgendermaßen:
Beschwerdenschilderung ■ Untersuchung ■ Diagnose ■ Therapieplanung
Abb. 71 Durchschnittliche Redebeteiligung der Patienten in Bezug auf die Handlungsschemakomponenten für das triadisch-pädiatrische Gespräch
Global betrachtet sind die Redebeteiligung der Patientin in den Schemakom ponenten der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration so wie der körperlichen Untersuchung über die gesamten Interaktionen des Analysekorpus etwa gleich hoch. Danach fällt die Beteiligung der Patienten stark ab, was jedoch hinsichtlich der Handlungsaufgaben - wie in den Kapi teln 5 und 6 festgestellt wurde - auch nicht verwunderlich ist.
Allerdings sagt das Diagramm (Abbildung 7) nicht viel aus, denn im Ana lysekorpus gibt es Interaktionen, in denen die Patienten eine sehr hohe Rede beteiligung während der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexplora tion aufwiesen und die Beteiligung während der Untersuchung dann deutlich geringer war. In anderen Gesprächen ist die Beteiligung zu Anfang des Ge sprächs sehr gering und während der körperlichen Untersuchung dann deut lich höher. Dies ist jedoch nur eine Tendenz, denn es gibt auch Interaktionen,
wie APEG_06, in der die Patientin sich nur sehr wenig im Rahmen der Be schwerdenschilderung und Beschwerdenexploration beteiligt und die verba le Beteiligung während der körperlichen Untersuchung ebenfalls sehr gering ausfällt. Daneben gibt es einige Gespräche, in denen die Beteiligung der Pati enten in der Schemakomponente Beschwerdenschilderung und Beschwer denexploration ungefähr so hoch ist wie in der Schemakomponente körperli che Untersuchung.
Um die Redebeteiligung der Patienten etwas genauer zu betrachten, werden nun beispielhaft Daten zweier Interaktionen betrachtet, die sich hinsichtlich der Beteiligung der Patienten stark unterscheiden. Hierfür werden nacheinander die Interaktion, die sich durch eine sehr niedrige Redebeteiligung einer Patien tin auszeichnet, und die Interaktion, in welcher sich die Patientin vergleichs weise aktiv beteiligt, gegenübergestellt (vgl. Abbildung 8).71 Bei dem Vergleich der beiden Interaktionen fällt auf, dass beide Patientinnen während der Beschwerdenschilderung/-exploration, der körperlichen Untersuchung wie auch der Therapieplanung verbal aktiv beteiligt sind. Homogen verhält es sich bezüglich der Beteiligung der Patientinnen - wie im Übrigen auch bei den an deren untersuchten Gesprächen - während der Diagnose in den Gesprächen. Diese Komponente wird grundsätzlich zwischen den erwachsenen Beteiligten verhandelt. Weiterhin kann man feststellen, dass die Beteiligung der Patientin nen während der Kernphase des Gesprächs abnimmt (vgl. dazu auch Kap. 4). Diese Feststellungen decken sich mit den Feststellungen aus den Kapiteln 4 und 5. Die Beteiligung der sie zu begleitenden Eltern ist in der Schemakompo nente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration annähernd gleich. Während inAPEG_04 der Arzt einen geringeren Redebeitrag als die Pa tientin hat, ist der Redebeitrag des Arztes in APEG_17 deutlich höher. In den nachfolgenden Schemakomponenten ist die Redebeteiligung des Arztes jeweils sehr ähnlich, es variiert nur die Beteiligung der Eltern bzw. der Patientinnen. Typisch ist außerdem, dass die Beteiligung der Eltern während der körperli chen Untersuchung abnimmt oder gar nicht vorhanden ist. Heterogen erscheint jedoch die Beteiligung der Patientinnen in den anderen Phasen der 11 Gesprächs mitte" (Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 284) dieser beiden Gespräche. Gerade die interaktive Beteiligung der Patientinnen während der Beschwer denschilderungund Beschwerdenexploration divergieren maximal. Um Unter schiede zwischen diesen Gesprächen herauszuarbeiten, werden nun diese bei den Gespräche etwas eingehender betrachtet.
71 Im Analysekorpus gibt es zwar noch zwei Gespräche, in denen eine noch geringere Re debeteiligung der Patienten vorliegt, da sich zum einen diese beiden Interaktionen stark von den anderen Interaktionen unterscheiden, und zum anderen die beiden für die Ge genüberstellung ausgewählten Interaktionen verschiedene gleiche Parameter aufweisen und somit für einen Vergleich optimale Voraussetzungen bestehen. Besonders vorteilhaft für eine Gegenüberstellung ist zudem, dass beide Gespräche bei demselben Arzt stattge funden haben und die beiden Patientinnen jeweils neun Jahre alt sind.
Beschwerdenschilderung und
Beschwerdenexploration (APEG_04)
Beschwerdenschilderung und
Beschwerdenexploration (APEG_l7)
körperliche Untersuchung
(APEG_04)
körperliche Untersuchung
(APEG_17)
Diagnosemitteilung
(APEG_04)
Diagnosemitteilung
(APEG_17)
Therapieplanung
(APEG_04)
Therapieplanung
(APEG_17)
Arzt ■Patientin ■ Vater
VVeerrgglleeiicchh zzwweeiieerr IInntteerraakkttiioonneenn mmiitt eeiinneerr ddiivveerrggiieerreennddeenn PPaattiieenntteennbbeetteeiilliigguunngg 8899
AAbbbb.. 88 |I GGeeggeennüübbeerrsstteelllluunngg ddeerr RReeddeebbeetteeiilliigguunngg vvoonn AAPPEEGG__0044 uunndd AAPPEEGG_1177
Interaktion mit einer relativ niedrigen Redebeteiligung seitens der Patientin
Bei dem Gespräch APEG_17 handelt es sich um ein Gespräch, das durch eine relativ niedrige Redebeteiligung seitens der Patientin geprägt ist. Die neun jährige Patientin hat Kopfschmerzen. Die Schmerzen sind akut. Wie in den meisten Gesprächen wird die Patientin durch den Arzt ausgewählt (vgl. Kap. 6), die Beschwerden zu schildern, wegen denen diese Erstkonsultation anbe raumt wurde. Die Patientin antwortet zunächst auf die Fragen des Arztes. Nach kurzer Zeit greift die Mutter ein und übernimmt das Rederecht.
Fallbeispiel 6:
APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); BE (00:06.51-01:00.69) 00:08.11-00:37.16
001 |
A |
02 |
0 h |
(.) querida was is mit DIR, |
|
002 |
P |
17 |
(1.52) ich hab (0.34) ganz starke KOPFschmerzen |
|
|
003 |
A |
02 |
(.) KOPFschmerzen hasch-=ja, |
|
|
004 |
|
|
(1. 55) |
|
|
005 |
M |
17 |
<<piano> was [is (denn/dann/damit) >] |
|
|
006 |
A |
02 |
[seit WANN ]is n [d |
l es, |
|
007 |
XX |
|
[+++ |
|
|
008 |
P |
17 |
<<piano> (da) > (0.34) |
|
|
009 |
M |
17 |
<<piano> seit>, |
|
|
010 |
P |
17 |
(1. 37) |
|
|
011 |
M |
17 |
GEStern. |
|
|
012 |
A |
02 |
(0.81) seit GEStern is [d ]es; |
|
|
013 |
M |
17 |
[ja; |
|
|
014 |
A |
02 |
0 h |
(.) un hasch auch FIEber gehabt, |
|
015 |
P |
17 |
(0.91) BISSchen; |
||
016 |
M |
17 |
(.) BISS[chen- |
||
017 |
A |
02 |
[biss ]chen(.) wie [ab |
||
018 |
M |
17 |
[SIEbenund]dreißig, |
||
019 |
M |
17 |
so leicht erHÖHT; |
||
020 |
A |
02 |
(.) nö;=des s NORmal |
||
021 |
A |
02 |
[SIEbenunddre]ißig isch norm[al; |
||
022 |
M |
17 |
[isch OKAY, l |
||
023 |
M |
17 |
[isch in] [ORDnung; |
024 A 02
025 M 17
[ h bei dem warme wetter dar[f_s so]gar auch etwas Höher sein;
0
[OKAY;
026 |
A |
02 |
[nee des is oK ]AY |
027 |
M |
17 |
[GUT.=dann is o] |
028 |
A |
02 |
ja; |
029 |
A |
02 |
oh |
030 |
M |
17 |
und (.) Übelk |
031 |
M |
17 |
(.) irgendwie is ihr immer SCHW[IND]lig |
032 A 02 [ h l
0
Interaktion mit relativ niedriger Redebeteiligung der Patientin g1
033 |
A |
02 |
(0.51) SCHWINdel auch; |
034 |
A |
02 |
[hä, l |
035 |
M |
17 |
[geNAU; ] |
036 |
A |
02 |
0 0 (.) h h un hasch au[ch h |
037 |
M |
17 |
[aber seit ]GEStern schon- |
038 |
A |
02 |
(.) hm ja-=un hasch auch des gefühl gehabt du musch |
|
|
|
BRECHen, |
039 |
p - |
17 |
(0. 77) |
040 |
A |
02 |
[ja. l |
041 |
M |
17 |
[ja- l |
042 |
A |
02 |
(.) gut; |
Die Patientin reagiert auf die Aufforderung, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen, welche in Form einer offenen Frage realisiert wurde, erst nach einer Pause von 1,52 Sekunden, geht dann aber mit ich hab (0.43) ganz starke kopfSCHMERzen- (Z. 002) auf den Grund des Arztbesuchs ein. Der Arzt bestä tigt diesen Sachverhalt und erkundigt sich bei ihr nach einer weiteren Pause nach der Dauer des Leidens. Diese beiden längeren Pausen (Z. 002/004) scheint die Mutter jeweils als 11Vorfall" (Schmitt 1997, S. 56) einzustufen und wendet sich beinahe simultan zur nächsten Äußerung des Arztes mit einer Frage an die Patientin, um diese zum Weiterreden zu aktivieren. 11 [D]as Un
11
terlassen von erwarteten und erwartbaren Aktivitäten" kann als Vorfall" in
terpretiert werden, der eine Unterstützungssequenz nach sich ziehen kann (vgl. Schmitt 1997, S. 56). Dadurch, dass sich die nächste Frage des Arztes und die Frage der Mutter überlappen, führt die Mutter ihre Frage nicht zu Ende und 11 repariert" somit 11 als Unterbrochene selbst [...] die Situation" (Linke/ Nussbaumer/Portmann 2001, S. 270). An der Frage der Mutter (Z. 005) kann man, obwohl diese abgebrochen und auch nicht bearbeitet wird, nachvollzie hen, dass die Mutter außerdem auch die knappe Antwort der Tochter reparie ren will, indem sie eine Information erfragt, die diese bisher noch nicht ge nannt hat. Formal hat die Patientin die Frage des Arztes nämlich beantwortet. Aufgrund ihrer Erfahrung mit Arzt-Patient-Gesprächen weiß die Mutter je doch, 11 dass Antworten, die auf das Nötigste reduziert sind, Ausnahmen dar stellen" und sogar 11 dokumentieren [...], dass Patienten weitergehende Motive einer ärztlichen Frage entweder nicht verstehen oder sie aber unter interakti onstypologischen oder Beziehungsgesichtspunkten als deplatziert bewerten" (Spranz-Fogasy 2010, S. 102)72 und versucht die Patientin mittels der Frage zum Elaborieren der Äußerung zu bewegen. Auch als die Patientin auf die nächste Frage des Arztes nach der Dauer der Beschwerden zu einer Antwort ansetzt und durch einen Wortabbruch sowie das Ausbleiben eines neuerli chen Versuchs, der konditionellen Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) nachzu kommen, sowie durch den Blick zu ihrer Mutter ihre Unsicherheit signali siert, versucht die Mutter zunächst, sie dabei zu unterstützen, der Aufforderung
72 Siehe dazu auch Stivers/Heritage (2001, S. 151).
des Arztes selbst nachzukommen. Ähnlich wie Schmitt dies für „Ausbil dungssituationen" beschreibt, ,,formuliert und handelt [der Unterstützer] nicht für den Betroffenen, sondern spornt ihn an und schickt ihn auf den Weg, dies selbst zu tun" (Schmitt 1997, S. 74). Sie wiederholt dafür die Präposition seit (Z. 009), um die Patientin zu aktivieren, die erfragte Information selbst zu geben.
Dafür wendet sie sich durch eine leichte Drehung des gesamten Körpers nun ebenfalls der Patientin zu. Auch der Arzt hat sich als Reaktion auf den leise realisierten Wortabbruch nach vorne gebeugt.
Nachdem die Patientin jedoch der konditionellen Relevanz nach einer Pause von 1,37 Sekunden immer noch nicht nachkommt, liefert die Mutter nun selbst die Antwort. Nichtsdestoweniger adressiert der Arzt die Patientin bei der nächsten Frage erneut. Diese blickt kurz zur Mutter, bevor sie auf die Frage mit BISSchen; (Z. 015) antwortet. Nach der Bekräftigung durch die Mut ter (Z. 016) setzt der Arzt zu einer Präzisierungsfrage hinsichtlich der ermit telten Körpertemperatur an.73 Er bricht die Frage allerdings ab, da die Mutter die Information (Z. 018), die er gerade erfragen wollte, selbst einbringt. Durch diese Antwort relativiert die Mutter indes die zuvor getätigte Aussage, da es sich bei einer Körpertemperatur von 37°C tatsächlich nicht um Fieber han delt. Auch wenn die Mutter die Antwort der Patientin wiederholt hat, stuft sie das Messergebniss, nach dessen Nennung schließlich als einen Wert ein, der unter die Kategorie „erhöhte Temperatur" fällt (Z. 019), womit sie eine leichte inhaltliche Korrektur des Gesagten vornimmt.74 Dem genannten Wert sowie der Einordnung des Wertes widerspricht der Arzt nun jedoch entschieden und stellt zum einen heraus, dass der ihm mitgeteilte Wert nicht von der Nor malform abweicht (Z. 021) und damit noch nicht einmal erhöht sei, aber sogar
73 Zu den verschiedenen Fragetypen im Rahmen eines ärztlichen Gesprächs vgl. z.B. Spranz-Fogasy (2005, S. 35-44).
74 Auch wenn Korrekturen und Reparaturen in den triadischen Erstkonsultationen häufig vorkommen und auch je nach Partei, die diese realisiert, ganz anders ausfallen, kann in dieser Arbeit nicht eingehend auf diese eingegangen werden; vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen in Kap. 8 und Winterscheid/Kook (i.Vorb.), in dem auch auf dieses Bei spiel eingegangen wird.
bei diesen sommerlichen Temperaturen noch höher sein könnte und immer noch der Normalform entsprechen würde (Z. 024):
017 |
A 02 |
[biss ]chen(.) wie [ab |
018 |
M 17 |
[SIEbenund]dreißig, |
019 |
M 17 |
so leicht erHÖHT; |
020 |
A 02 |
(.) nö;=des_s NORmal |
021 |
A 02 |
[SIEbenunddre]ißig isch norm[al; |
022 M 17
023 M 17
024 A 02
[isch OKAY, l
[isch in] [ORDnung;
[ 0 h bei dem ]warme
025 M 17
wetter dar[f_s so]gar auch etwas Höher sein; [oKAY; ]
Bei diesen Ausführungen wendet der Arzt sich nun der Mutter zu, die ja das Abweichen von der Normalform bestätigt und auch bei der neuerlichen Ein ordnung ebenfalls eine Abweichung von der Normalform festgestellt hatte. Nach der Einstufung des Wertes und den Ausführungen des Arztes führt die Mutter noch weitere Symptome an. Indem sie ab dieser nun anstatt der Pati entin die weitere Beschwerdenschilderung übernimmt und von der Tochter in der dritten Person spricht, lassen sich hier gleich zwei interaktive Praktiken ausmachen, die Schwabe in pädiatrischen Sprechstunden herausgearbeitet hat, nämlich das 11 Sprechen für jemanden" - wodurch 11 eine klare Sprecher auswahl interaktiv übergangen wird" (Z. 036/040) - und das 11 Sprechenüber jemanden" - wodurch die 11 Beteiligung der Referenzperson, die somit zum Gegenstand des Gesprächs wird, für den folgenden Zug erschwert" (Z. 029/ 030/036) wird (Schwabe 2006a, S. 282). Bei der nächsten Frage des Arztes, die der Arzt erneut an die Patientin (Z. 038) richtet, reagieren beide mit intensi vem Nicken. Die Mutter blickt dabei zur Patientin und die Patientin zum Arzt. Der Arzt ratifiziert diese Antwort, während die Mutter die Antwort noch verbalisiert, und leitet dann zur körperlichen Untersuchung über:
Fallbeispiel 7: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); BE (00:06.51-01:00.69) 00:37.16-01:00.69
043 A 02 (.) 0 h (.) A:Lso (.) jetz müss mer mal gucken;=querida, 044 A 02 jetz musch du mal deinen (.) pulli ausZIEHN-
045 A 02 (.) setsch dich da NAUF- 046 (5.89)
047 M 17 ähm-=MAgenschmerzen sagt se hat se auch- 048 A 02 (0.26) HMhm,
049 (1.05)
050 M 17 gell,=HIER oben hasch du gsagt in der MITte tut s dir
<<piano> weh>;
Während die Patientin sich auszieht und damit für die Untersuchung vorbe reitet, erwähnt die Mutter noch ein weiteres Symptom, von dem ihr die Pati-
entin berichtet hat (Z. 047). Dabei spricht sie zunächst über die Patientin und fordert anschließend eine Bestätigung durch die Patientin ein, die auch mit tels Kopfnicken durch die Patientin erfolgt. Der Arzt nutzt die Vorbereitungs zeit, um Notizen in der Patientenakte der Patientin zu machen. Als er sich der Patientin zuwendet, stellt er der Patientin noch eine weitere Frage:
Fallbeispiel 8: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); kU (01:15.10-03:31.68) 01:15.10-01:22.28
001 A 02 0 h was haschen geGESSe heut morge,
002 |
M |
17 |
(.) ((schmatzt)) [GAR ni]x ((Lachansatz)) |
003 |
P |
17 |
[nix |
004 |
A |
02 |
NIX gegessen; |
005 |
A |
02 |
(.) un geTRUNke, |
006 |
P |
17 |
( 0. 32) |
007 |
M |
17 |
WASser; |
008 |
|
|
( 0. 45) |
009 |
M |
17 |
en BISSchen,= |
010 |
M |
17 |
=aber ganz WEnich- |
011 |
A |
02 |
(.) WASser hasch [getrunken; |
012 |
M |
17 |
[HIER nu ] [r; |
013 |
A |
02 |
[(wart); |
014 |
A |
02 |
[(komm) sitz erseht mal, |
015 |
M |
17 |
[(ansonst hat sie nix) |
016 |
A |
02 |
(.) so- |
017 |
|
|
( 0. 32) |
018 |
A |
02 |
(wart) |
019 |
A |
02 |
((stöhnt)) [((unverständlich)) |
020 |
M |
17 |
[grad so n ]SCHLUCK; |
021 |
M |
17 |
en KLEines, |
022 |
A |
02 |
(0.22) ja. |
023 |
|
|
(44.72) |
024 A 02 0 h gut-=jetz LEG dich mal hin-= |
|||
025 |
A |
02 |
=mim kopf daNÜber- |
026 |
A |
02 |
(.) oder SO isch egal ja, |
027 |
A |
02 |
(.) so; |
028 |
|
|
( 4. 73) |
029 |
A |
02 |
hasch DURCHfall ghabt |
030 |
P |
17 |
(0.28) nee- |
031 |
A |
02 |
(.) nee- |
Infolge der Unterstützungsbemühungen der Mutter kommt es nun zu einem Rederechtskampf zwischen Mutter und Tochter (Z. 002/003); die Mutter bricht ihre Äußerung nicht ab, als sie mitbekommt, dass ihre Tochter der kon ditionellen Relevanz nachkommt und ansetzt, die Frage selbst zu beantwor ten. Der Arzt hält das Ergebnis fest und wendet sich mit einer weiteren Frage (Z. 005) an die Patientin, die dieses Mal die Mutter alleine beantwortet (Z. 007).
Nach der Antwort durch die Mutter wendet sich der Arzt mit Aufforde rungen an die Patientin, während die Mutter ihre Antwort noch elaboriert. Der Arzt reagiert schließlich auf die Präzisierungsbemühungen der Mutter, indem er ihr gegenüber anmerkt, dass es egal (Z. 026) sei. Daraufhin beteiligt sich die Mutter in der Schemakomponente der körperlichen Untersuchung nicht mehr verbal. Der Arzt formuliert Fragen und Aufforderungen, die sich jeweils an die Patientin richten, die auch entsprechend - aber erneut einsilbig und zum Teil auch nur sehr leise - antwortet oder durch den Vollzug der ge forderten Handlung reagiert.
Die Diagnose wird typischerweise mit der Mutter besprochen und auch die Therapieplanung wird, obwohl diese zunächst mit einer an beide adressierten Aussage beginnt, mit der Mutter verhandelt (siehe auch Kap. 5 und 6).
Eine Anweisung des Arztes innerhalb der Therapieplanung leuchtet der Patientin, die sich währenddessen wieder ankleidet, nicht sogleich ein. Diese Instruktion (Z. 017) wird im Anschluss an die Absage an den von der Mutter erfragten Schulbesuch der Patientin realisiert. Als der Arzt die Frage der Mutter beantwortet, ruht der Blick des Arztes noch auf der Patientenakte. Mutter und Patientin haben sich dem Arzt zugewendet.
Als Reaktion auf die Instruktion des Arztes (Z. 017) zieht die Patientin ihr Gesicht in Falten und wendet sich dann mit einem fragenden Gesichtsaus druck der Mutter zu:
Fallbeispiel 9: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); Th (03:55.09-05:08.24) 04:19.41-04:36.00
A 02 un vor allem au net so in die HITZ dann-=n[e,
M 17 [ j l a,
019 (0.83)
020 p - 17 <<geflüstert> WIEso >- 021 M 17 (0.72)
A 02 oh
M 17 ( .) ni[cht
A 02 [du ]sollsch net so naus in die hitz in die SONN, 025 p - 17 ( .) ACH so-
026 A 02 ( .) wen[n-
027 M 17 [((Lachansatz))
028 A 02
029 M 17
030 P 17
031 A 02
032 A 02
033 A 02
034
(.) da ]nn wird dein kopfweh noch ÄRger wenn dir die sonne auf die birne knallt;=h[m,
[((Lachansatz))
(.) HMhm,
(0.7) muss ma bissle LANGsam machen-
(.) muss en bissel im (0.21) 0 h (.) im SCHATTe halte hh0
(8.83)
Die Patientin blickt die Mutter unverwandt an, nachdem diese die Empfeh lung des Arztes ratifiziert hat (Z. 018). Als die Mutter nicht zu ihr hinüber blickt, erfragt sie den Grund für diese Anordnung mit einem geflüsterten WIEso (Z. 020). Die Nachfrage wird dadurch hochgestuft, dass sie nun nicht nur mimisch expressiv ausdrückt, dass ihr diese Empfehlung nicht einleuch tet, sondern auch noch den Kopf nach vorne beugt und die geöffnete Hand nach vorne streckt.
Da die Mutter die Therapieplanung nicht hinterfragt oder sich gegen die vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen ausgesprochen hat, kann angenommen werden, dass der Mutter der Hintergrund der Verordnung bekannt ist. Die Mutter dreht den Kopf kurz zur Patientin, wendet sich dann jedoch erneut dem Arzt zu. Der Arzt, der trotz Absenkens der Stimme und seiner aktuellen Orientierung bezüglich des Festhaltens der Befunde und der Therapieplanung in der Krankenakte die Frage der Patientin verstanden hat, beantwortet die Nachfrage, indem er die Verordnung zunächst nochmals wiederholt und sie dann gegenüber der Patientin begründet, obwohl diese bereits auf die Wieder holung mit der Interjektion ACH so (Z. 025) reagiert hat. Damit behandelt sie die Wiederholung als Antwort auf ihr Unverständnis und signalisiert damit, dass hier ein Verständnisproblem vorgelegen hat. Der Arzt reagiert mit der Begründung aber einerseits auf die Frage der Patientin und andererseits auf die nonverbale Signalisierung von Unverständnis. Er hat zwar bis zur Formu lierung der Frage auf seine Karteikarte geblickt, sich dann aber der Patientin zugewendet, die nach der Frage ihr Gesicht verzogen hat, indem sie die Nase krausgezogen hat, und diesen Gesichtsausdruck beibehält, als sie sich zuerst auf die Mutter und schließlich nach dem Ansetzen des Arztes auf ihn ausrich tet. Auch die Hand, die sie sich auf die Brust gelegt hat, nachdem der Arzt sich anschickt, ihre Frage zu beantworten, bleibt erst einmal dort ruhen.
Interaktion mit relativ niedriger Redebeteiligung der Patientin g7
Bemerkenswert bei diesem Gespräch ist die geringe Redebeteiligung der Pati entin, die zunächst - wenn auch nach längeren Pausen - auf die Fragen des Arztes antwortet. Die Pausen gleich zu Anfang des Gesprächs, der Wortab bruch und der damit einhergehende Blick zur Mutter sowie die Knappheit der Patientenantworten bringen die Mutter dazu, die Patientin zu unterstützen. Spätestens als die Antworten der Mutter und der Patientin sich aber überlap pen, sind die Beiträge der Mutter nicht mehr als unterstützend zu werten, da
die zentrale Funktion von Unterstiitzungen im Gespräch [...] die Hilfe zur Selbsthilfe [ist]: Die Betroffenen sollen so schnell wie möglich wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu vertreten. (Schmitt 1997, S. 70)
Die Patientin reagiert auf diesen Rederechtsstreit, indem sie der Mutter bei der nächsten Frage das Rederecht gänzlich überlässt und wenn überhaupt auf Fragen an sie nur noch nonverbal reagiert. Unterstützungssequenzensind oh nehin nicht unproblematisch, denn
[d]ie manifesten Hilfsbemühungen der Unterstützer bearbeiten und beheben die Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen nicht nur, sondern machen diese auch in interaktiv relevanter Weise manifest: Unterstützungen sind strukturell ambiva lent. (Schmitt 1997, S. 62)
Durch das wiederholte Eingreifen der Mutter auf Fragen, die vom Arzt durch weg an die Patientin gerichtet werden, wird die Kompetenz der Patientin he rabgestuft. Nachdem der Arzt die Information der Mutter als Reparandum (vgl. Schegloff!Jefferson/Sacks 1977, S. 363) identifiziert und eine Korrektur des Gesagten vornimmt, übernimmt die Mutter schließlich die Beschwerden schilderung und antwortet fortan - zunächst simultan - anstelle der Patientin. Wie auch in der Beispielanalyse in Kapitel 5 scheint das face der Mutter be droht, woraufhin sie sich stärker einbringt. Erst in der Interaktionsdyade während der Untersuchung und nach dem Eingreifen des Arztes, der die Ela borierungen der Mutter beendet, beantwortet die Patientin - wenn auch nur einsilbig - wieder die Fragen des Arztes. Eine Frage zu den vom Arzt ausge breiteten Maßnahmen in der Handlungsschemakomponente Therapiepla nung wird von ihr, allerdings nur leise, hinterfragt, wobei sich die Nachfrage auch nur an die Mutter richtet. Außer dieser Nachfrage und den Rückmel dungen auf die Reaktion des Arztes erfolgen von ihr in dieser Schemakompo nente dann keine weiteren interaktionsrelevanten Beiträge.
Diesem Gespräch, das sich durch eine sehr niedrige Beteiligung der Pati entin auszeichnet, wird nun das Gespräch mit der höchsten Redebeteiligung seitens einer Patientin gegenübergestellt, um in der Gegenüberstellung Un terschiede und Gründe für diese herauszustellen.
Interaktion mit einer relativ hohen Redebeteiligung seitens der Patientin
Anders als im vorangehenden Beispiel beteiligt sich die ebenfalls neunjähri ge Patientin, die Beschwerden beim Schlucken hat, im nächsten Beispiel (APEG_04) ausgesprochen aktiv am Gespräch, obgleich die Beschwerden akut sind und die Frage nach dem Leiden der Patientin nicht ausdrücklich an die Patientin gerichtet wird.
Fallbeispiel 10: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:05.62-00:49.03
001 A 02
-
002 p 04
-
003 p 04
-
004 p 04
005 A 02
-
006 p 04
-
007 p 04
008 A 02
-
009 p 04
010 A 02
-
011 p 04
was gibt_s für proBLEme. (1.11) beim SCHLUcken-
(.) DA: hab ich immer so: was-
(0.35) 0 h (.) so was komisches im OHR und hier auch im hals;
[be ]im SCHLUcken?
[oh
(.) j [a- l
[tut] s im hals WEH?
0
(.) h JA,
un was is da im OHR beim schluck[en,
[0 h (.) wenn ich so
|
SCHLUcke, |
|
012 |
A 02 |
((Lachansatz)) (.) ja- |
013 |
p 04 - |
(.) dann tut s im hals un (.) hals und im OHR weh |
014 |
A 02 |
(.) im OHR weh;= |
015 |
A 02 |
=in BEiden ohren, |
016 |
p 04 - |
(0.56) ja, |
017 |
A 02 |
(.) ja; |
018 |
A 02 |
(.) 0 h gut; |
019 |
A 02 |
seit WANN is des denn, |
020 |
p 04 - |
(0.45) seit ungeFÄH:R- |
021 |
p 04 - |
0h (.) VORgestern- |
022 |
p 04 - |
(.) ode[r ]GEStern; |
023 |
A 02 |
[hm, l |
024 |
|
(0.24) |
026 |
A |
02 |
(.) 0 hh |
027 |
|
|
( 0. 59) |
028 |
V |
04 |
oh |
025 A 02
gut;
h0 un war auch FIEber,
Interaktion mit relativ hoher Redebeteiligung der Patientin 99
029 |
|
(0.87) |
||||
030 |
p 04 - |
das WIS[sen wir nich un]ser thom (0.3) [thermoME:ter |
||||
|
|
|
(.) |
0 h |
halt |
|
031 |
A |
02 |
|
|
[ hh 0 |
|
032 |
A |
02 |
|
[((lacht)) |
||
033 |
A |
02 |
oh |
|
||
034 |
p - |
04 |
(0.31) äh:- |
|
||
035 |
p - |
04 |
(.) is die batterie LEER. |
|
||
036 |
A |
02 |
(0.4) gut. |
|||
037 |
A |
02 |
(.) oh ho |
|||
038 |
V |
04 |
na ja also](.) die letzte messung ergab SIEbenundreißig |
|||
|
|
|
komma eins-= |
|||
039 |
V |
04 |
=des war WANN, |
|||
040 |
P |
04 |
(0.68) hm-=das WEISS ich nich; |
Obgleich hier durch den Arzt bei der Frage nach dem Grund für den Besuch kein Sprecher explizit gewählt wurde, antwortet die neun Jahre alte Patientin. Dies erfolgt jedoch erst nach einer Pause von 1,11 Sekunden. Sie beschreibt, dass es sich beim SCHLUcken- (Z. 002) merkwürdig im OHR und [. ] auch im
hals; (Z. 004) anfühle. Der Arzt stellt die weiteren Fragen (verständnissichem der und präzisierender Natur) zunächst nur an die Patientin, die diese auch beantwortet. Obwohl die Patientin mit Konzepten arbeitet, die schwer medi zinisch einzuordnen sind, wie der Umschreibung als etwas komisches (Z. 004) oder auch mit seit ungeFÄH:R- (Z. 020) der Korrektur der Datumsangabe (Z. 021-022) nur ungenaue Angaben zur Dauer des Leidens macht, wählt we der der Arzt explizit den Vater als nächsten Sprecher aus, noch erfolgt eine Selbstwahl des Vaters. Erst nachdem die Patientin auf gemeinsames Nicht wissen (Z. 030) rekurriert (vgl. Kap. 8.4) und den Vater damit indirekt als Sprecher wählt, reagiert dieser. Er widerspricht der Patientin nicht direkt, sondern informiert den Arzt lediglich über die letzte Messung. Der Anschluss mit na ja also (Z. 038) impliziert dennoch eine Relativierung des Gesagten. Da er angibt, den genauen Zeitpunkt der Messung nicht mehr zu kennen, gibt er den turn sogleich mittels einer Frage wieder an die Patientin ab. An dieser Stelle kann man wie in dem vorausgegangenen Beispiel eine Unterstützungs sequenz ausmachen, die die Patientin selbst initiiert. Die Patientin gibt an, dass die Frage des Arztes nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann. Das Aktivierende liegt auch in der Körperhaltung begründet: Bevor die Pati entin auf das Nichtwissen eingeht, war sie auf den Arzt ausgerichtet, und während sie nun auf die Frage reagiert, sieht sie den Vater kurz an und wen det sich dem Vater nach den Ausführungen auch zu.
Schon allein durch die Referenz auf ein nichtwissendes Kollektiv, zu dem der Vater mit Sicherheit gehört, ist er in der Pflicht, Informationen, die zur Klä rung beitragen könnten, zu eröffnen, aber die Ausrichtung der Patientin auf ihn unterstützt diese Aufforderung zudem (vgl. Bauer 2009, S. 131). Facebe drohend (vgl. z.B. Brown/Levinson 1987, S. 65ff.; Goffman 1967) ist dieser Hinweis auf das unterstellte Nichtwissen nicht zwangsläufig, da zwar das Messen der Temperatur in den Verantwortungsbereich der Eltern fällt, aber da die Patientin ja bereits einen Grund genannt hat, warum eine Messung nicht durchgeführt werden konnte und die Symptomatik auch noch nicht lan ge vorliegt, sondern erst ein oder zwei Tage, muss eine solche Äußerung nicht notwendigerweise repariert werden.75 Aber der Vater relativiert die Aussage der Patientin in mehrerlei Hinsicht: Zum einen relativiert er, dass gar keine Messung erfolgreich durchgeführt werden konnte, und erwähnt eine Mes sung, die vor dem misslungenen Versuch stattgefunden hat. Dadurch wird auch impliziert, dass das Thermometer vor ein paar Tagen noch intakt war und die Störung erst am gestrigen oder heutigen Tag aufgetreten ist. Dass diese Messung im Rahmen dieser Krankheitsgeschichte erfolgte, kann vor ausgesetzt werden, da sie ansonsten nicht erwähnenswert gewesen wäre. Zum anderen weist er implizit zurück, dass hier ein völliges Nichtwissen vor liegt. Die vorausgegangene Messung, die aufgrund des Zeitrahmens (Z. 021- 022) noch nicht lange zurückgelegen haben kann, und bei der lediglich eine erhöhte Temperatur ermittelt wurde (Z. 038), stuft die Dringlichkeit bezüg lich einer Ermittlung dieses Wertes zudem herab. Anschließend gibt er mit einer Frage zu dieser Messung das Rederecht an die Patientin zurück. Die Patientin kann hierzu aber auch keine Aussage machen und merkt dies an. Da bezüglich dieses Punktes nun tatsächlich ein kollektives Nichtwissen vorliegt, schließt der Arzt diese Sequenz mit GUT. (Z. 042) ab. Daran anschließend be richtet der Vater noch von einem weiteren Symptom (Z. 041-045), das bisher noch nicht genannt wurde, und legt dem Arzt eine subjektive Krankheitsthe orie offen (Z. 050-064), die durch den Arzt aber sogleich verworfen wird (Z. 066):76
75 Zu Reparaturen und Korrekturen in triadisch-pädiatrischen Interaktionen vgl. Exkurs im Kapitel 8 und Winterscheid/Kook (i.Vorb.).
76 Vgl. hierzu auch Kapitel 9.
Interaktion mit relativ hoher Redebeteiligung der Patientin 1O1
Fallbeispiel 11: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:49.03-01:18.42
V 04 (0.36) 0 h ][weil ]begleitend ham wir nämlich noch(.) DIEse woche,
A 02 GU l [T.
V 04 (0.42) war sie sehr ( .) erSCHÖPFT; 044 A 02 (0.32) aHÄ,
045 V 04 (0.46) sie lag eigentlich meistens auf dem SOfa; 046 (0.39)
047 A 02 aha,
048 (0.27)
A 02 oh l
V 04 un ]d in dem zusammenhang <<leiser> wo hab ich des > ne FRAge,
V 04 0 h weil sie hatte doch hier- en PILZ, 052 V 04 (0.4) m[an sieht s l ja KAUM noch- 053 A 02 [ja- l
V 04 oh l
A 02 j Ja-
056 V 04 (0.26) und äh:m
057 V 04 (0.22) da ham wir DANN-
058 V 04 (0.62) oh die
V 04 das hier das GRiseo c[e te h ]undertfünfundzwanzig milligramm verschrieben [bekommen; l
A 02 [oh
A 02 [das g
riseofulVIN- 062 A 02 JA;
A 02 hmhm
V 04 ob das irgendWIE ( .) im zusammenhang zu dem erschöpfungs[zustan]d [(hier) steht l
A 02 [hm
A 02 [NEE eigentli l eh net; 067 A 02 nee.
068 V 04 (na) [dann pack ich s glei wieder EIN l
Anschließend leitet der Arzt zur körperlichen Untersuchung über. Während der körperlichen Untersuchung formuliert der Arzt lediglich Aufforderungen an die Patientin, denen sie nachkommt, ratifiziert ihre Reaktionen und repa riert eine nicht korrekt ausgeführte Handlung. Einmal formuliert die Patien tin eine Vermutung, auf die der Arzt auch eingeht. Der Arzt wendet sich nach der Diagnosemitteilung, die dem Vater mitgeteilt, anschaulich dargelegt und benannt wird (Z. 001), an die Patientin und legt ihr gegenüber offen, welche spürbaren Auswirkungen der diagnostizierte virusinfekt (Z. 001) für sie hat (Z. 002):
Fallbeispiel 12: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); D (04:02.50-04:29.17); 04:02.87-04:08.03
A 02 °h also das is en ganz HARMloser virusinfekt,
A 02 der HALS en bissel gerötet des tut dir beim schlucken weh-
Dass die Auswirkungen im Gegensatz zur Diagnosemitteilung der Patientin dargelegt werden, kann man bereits an der Veränderung der Stimmvarietät erkennen, indem der Arzt etwa bei der Ausführung der erfahrbaren Sympto matik etwas leiser spricht und die Intonationsphrase etwas melodischer reali siert w ird.77 Zudem duzt er denAdresssatenbei seinen Ausführungen (Z. 002), woraus geschlossen werden kann, dass er sich bezüglich dieses Punktes nun wieder der Patientin zugewandt hat. Durch die Hinwendung zur Patientin geht er darauf ein, dass die Patientin ein unklar skizziertes Konzept präsen tiert hat und von etwas gesprochen hat, was sie im Rahmen der Beschwerden schilderung als komisches (Fallbeispiel 10; Z. 004) Phänomen eingestuft hat, wodurch das Symptom als etwas beschrieben wird, das mit ihrem bisherigen Erfahrungsschatz nicht in Einklang zu bringen war.
Am Anfang der Therapieplanung wendet er sich zuerst an den Vater (Z. 001), nennt dann die konkrete Maßnahme an die Patientin gewandt (Z. 003/004) und wendet sich schließlich für die Begründung der vorgeschla genen therapeutischen Maßnahme erneut an den Vater (Z. 006-009):
Fallbeispiel 13: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); Th (04:29.48-06:39.28); 04:29.60-05:01.83
001 |
A |
02 |
( .) und des ( .) EINzige was man da machen kann (.) und |
002 |
p |
04 |
machen (0.23) SOLLte, ( .) oh |
A 02 is dass du NAsentropfen 004 A 02 (0.68) JA?
005 (1.74)
nimmsch;
006 |
A |
02 |
damit die schleimhäute in dem verbindungsgang |
|
|
|
abSCHWILLT; |
007 |
A |
02 |
( .) des wieder AUFgeht- |
008 |
p |
04 |
( .) oh |
009 |
A |
02 |
un da wieder die LUFT reingeht, |
010 |
A |
02 |
(0.72) un[d äh |
011 |
p |
04 |
[ich hab schon mal NA]sentropfen genommen; |
012 |
A |
02 |
( .) JA; |
013 |
A |
02 |
( .) des solltescht du DREImal am tag jetz nehmen noch- |
77 Vgl. z.B. Bose (2001, S. 284): Der Arzt realisiert die Diagnosemitteilung noch bevor die Gesprächsbeteiligten an den Tisch zurückkehren. Hier wurde mit der Patientin verein bart, dass diese Sequenz nicht gefilmt wird. Im Feldtagebuch wurde jedoch festgehalten, dass der Arzt sich hierbei zur Patientin wendet.
Interaktion mit relativ hoher Redebeteiligung der Patientin 103
014 |
A 02 |
(.) |
0 h |
so e WOche lang |
015 |
A |
02 |
(.) NE? |
|
016 |
p - |
04 |
oh |
|
017 |
A |
02 |
un ansonschten en harmloser viRUSinfekt; |
|
018 |
A |
02 |
(.) da is sie au bissle SCHLAPP- |
|
019 |
A |
02 |
(0.68) un ja die HALSschmerzen- |
|
020 |
A |
02 |
sie hätt jetz genauso gut auch FIEber haben können |
|
021 |
A |
02 |
hat sie jetz NET- |
|
022 |
A |
02 |
(0.53) weil se_s einfach jetz mal so (0.25) 0 h (0.85) |
auf ne LEICHte art h0 durchmacht;
Darauf, dass der Arzt sich für die Begründung der Medikamentenverord nung dem Vater zuwendet, reagiert die Patientin und weist den Arzt darauf hin, dass sie schon mal NAsentropfen genommen; (Z. 011) habe. Diesen Verweis auf die eigene Kompetenz der Patientin bearbeitet der Arzt damit, dass er der Patientin die Einnahmeempfehlung nochmals offenlegt (Z. 013-015) (vgl. Winterseheid 2015a). Als Nächstes wendet er sich dann allerdings wieder an den Vater, demgegenüber er die Diagnose wiederholt (Z. 017), andere Symp tome nennt, die sie auch hätte haben können, und dem Vater die Auswirkun gen der Krankheit schildert (Z. 018-022). Die Patientin stellt dem Arzt des Weiteren selbstinitiativ Nachfragen, die der Arzt bearbeitet und einherge hend mit der Ausstellung des Rezeptes auch ihr gegenüber die Dosierungs empfehlung bezüglich der Nasentropfen wiederholt (Z. 035):
Fallbeispiel 14: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); Th (04:29.48-06:39.28); 05:29.16-05:37.19
p - 04 un bis wann muss ich den NEHmen-
A 02 (0.93) ((schnalzt)) ( .) die NAsentropfen solltest du eine woche lang (0.55) nehmen-
A 02 [j Ja?
037 p - 04 [ja-
038 (1. 34)
A 02 0 hhh hh0
p - 04 <<piano> bis nächsten DONNerstag >;
Die Patientin zeigt an, dass sie diese ihr gegenüber nochmals geäußerte Anweisung verstanden hat, indem sie auf den entsprechenden Wochentag (Z. 040) verweist, bis zu dem sie das verordnete Medikament einnehmen muss.
Die Redebeteiligung der Patientin innerhalb des Gesprächs ist relativ hoch. Obgleich die Antworten zum Teil wenig aufschlussreich für den Arzt sein mögen, die Patientin hin und wieder auch längere Pausen macht und auch Nichtwissen formuliert, ergreift der Vater erst das Wort als diese auf gemeinsames Nichtwissen rekurriert und ihn aktiviert. Er übergibt den turn vorerst mittels einer Frage wieder an die Patientin, ergreift dann aber doch
das Rederecht, um noch ein unerwähnt gebliebenes Symptom und eine sub jektive Krankheitstheorie anzuführen. Die Patientin übernimmt nicht nur zu großen Teilen alleine die Beschwerdenschilderung, sie meldet sich auch in der Phase der Therapieplanung zu Wort, verweist explizit auf ihre Kompetenz und erfragt noch verschiedene Informationen, z.B. zur Darreichung etc. (vgl. Winterseheid 2015a).
Zwischenfazit
Den beiden untersuchten Gesprächen ist gemeinsam, dass es sich um neun jährige Patientinnen handelt, die mit einem Elternteil denselben Arzt aufsu chen und die Beschwerdenschilderung auch jeweils anfangs übernehmen. Bedingt durch das Alter dürften also beide Patientinnen ein ähnliches Erfah rungswissen mit Krankheiten und pädiatrischen Erstkonsultationen haben. Die Patientinnen haben beide akute Schmerzen, die jedoch nicht so ausge prägt sind, dass sie die Beschwerdenschilderung nicht übernehmen könnten. Trotzdem zählt das Gespräch APEG_17 zu den Gesprächen, in denen die Pa tientin eine sehr niedrige Redebeteiligung aufweist. Die Redebeteiligung der Patientin in APEG_04 ist hingegen die höchste im Analysekorpus.
Bereits bei der quantitativen Gegenüberstellung konnte bezüglich der Re debeteiligung festgestellt werden, dass Interaktionen, in denen die Beteili gung der Patienten höher ausfällt, die Patienten schon am Anfang des Ge sprächs aktiver waren und den Schluss nahelegten, dass der Anfang des Gesprächs für die Beteiligung der Patienten für das gesamte Gespräch ent scheidend ist. Daraufhin wurden die aufgenommenen Interaktionen qualita tiv untersucht, um dieser These nachzugehen. Auffallend ist, dass beide Pati entinnen nicht mehr das Rederecht in der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration übernehmen, nach dem die Eltern das Rederecht einmal übernommen haben. Nach Kämpfen ums Rederecht, wenn die Eltern statt der Kinder mit der Schilderung der Be schwerden beginnen, oder nach Unterstützungssequenzen fahren die Eltern mit der Beschwerdeschilderung fort, obwohl nach Quasthoffs 11 Prinzip der Zuständigkeit" das Rederecht eigentlich (vor allem) in der Phase der Be schwerdenschilderung und Beschwerdenexploration wieder an den Patien ten als den 11 Expe rten" der eigenen Beschwerden zurückfallen müsste, der ja als einziger die Symptome wirklich hat (Quasthoff 1990, S. 74). In Fällen, in denen die Symptome nur den Eltern aufgefallen sind, wenn etwa keine spür bare Beeinträchtigung vorliegt und die Anzeichen nicht durch das Kind wahrgenommen wurden, obliegt die Wissenshoheit über die Symptome den Eltern. In den aufgenommenen Interaktionen ist das Kind jedoch der unmit telbare Betroffene, bemerkt Symptome und Zeichen der Krankheit und ist demnach derjenige, dem die Wissenshoheit über diese zugeschrieben werden muss. In beiden in diesem Kapitel vorgestellten Gesprächen handelt es sich
Zwischenfazit 1Q5
um Symptome, die hauptsächlich den Patienten selbst aufgefallen sind. Die Patientin P_17 leidet aufgrund eines Virusinfekts unter Kopfschmerzen, Ma genschmerzen und Schwindel, lediglich die Folgen der Appetitlosigkeit und die Tatsache, dass die Patientin kaum etwas getrunken hat, hat die Mutter im Vorfeld beobachten können. Die Patientin P_04 hat wegen eines Tubenmittel ohrkartarrhs, der ebenfalls viral bedingt ist, Schmerzen beim Schlucken und hin und wieder auch ein unangenehmes Gefühl im Ohr/Gehörgang. Der Va ter kann nur den Erschöpfungszustand der Patientin feststellen. In den bei den dargelegten Gesprächen haben die Eltern den Arzt mit ihren Kindern aufgesucht, weil diese über Schmerzen geklagt haben, wobei die Wissensho heit über ihr Leiden somit zunächst einmal bei den Patienten selbst liegt.78 Diese wird auch von den beiden Elternteilen in den Beispielen nicht explizit angegriffen. Vielmehr scheinen die Eltern häufig darauf zu reagieren, ob eine Unterstützung durch sie notwendig zu sein scheint oder verlangt wird (vgl. Stivers 2001). Im ersten Beispiel dieses Kapitels scheint die Mutter bereits recht früh einen oder mehrere Vorfälle ausgemacht zu haben, die sie als un terstützungsbedürftig einstuft. Während im zweiten Beispiel eher eine impli zite Fremdwahl durch die Tochter stattfindet, nachdem sie bereits einige Fra gen des Arztes beantwortet hat. Die Vorfälle, die die Elternteile jeweils motivieren, die Beschwerdenschilderung nun anstelle der Kinder zu über nehmen, waren zudem mehr oder weniger facebedrohend. Das deckt sich mit Ergebnissen von Aronsson und Rundström, die einerseits Einbeziehung und Ausschluss der Patienten mit Facebedrohungen und andererseits mit dem Er ziehungsstil der Eltern in Verbindung bringen (vgl. Aronsson/Rundström 1988). Im zweiten hier in diesem Kapitel präsentierten Beispiel findet die Übernahme des Rederechts durch den Vater zu einem späteren Zeitpunkt statt. Zudem fiel die Redebeteiligung der Patientin - vor allem, weil diese sich auch in der Phase der Therapieplanung eigeninitiativ zu Wort meldet und sogar Nachfragen an den Arzt stellt - in der gesamten Interaktion deutlich höher aus. Zwar beantwortet die Patientin in APEG_17 dem Arzt während der Untersuchung auch weitere Fragen, dies geschieht jedoch nur einsilbig. Zudem wendet sie sich nach der Diagnose lediglich flüsternd an ihre Mutter, obgleich sich die Frage ja unmittelbar auf das vom Arzt Referierte bezieht und somit auch von diesem hätte erfragt werden können.
Die Fokussierung des Arztes im Rahmen der Beschwerdenschilderung/ exploration liegt beim Patienten, obgleich die Eltern in dieser Handlungssche makomponente zumeist die Möglichkeit erhalten, ebenfalls etwas zur Be schwerdenschilderung beizutragen. In beiden Gesprächen findet in der Schemakopmponente der körperlichen Untersuchung eine Fokussierung auf die Interaktionsdyade Arzt-Patient statt. Wenn die Eltern sich dennoch zu Wort melden, erfolgt häufig keine Reaktion der Ärzte oder ein abschließender
78 Vgl. hierzu auch das Zwischenfazit in Kapitel 5.
Kommentar des Arztes (vgl. auch ten Have 1990; Spranz-Fogasy/Winter scheid i.Ersch. und Kap. 6). Analog dazu ist die Fokussierung in der Diagno semitteilung auf die Eltern ausgerichtet und auch in der Handlungsschema komponente der Therapieplanung eher auf die Eltern. Bei einer Erklärung für bisher unerklärliche Symptome oder einer Verabreichung, die selbst vom Pa tienten auszuführen ist, findet eine Adressierung und/oder auch ein kurzer Blickkontakt mit dem Patienten statt. Die Aushandlung erfolgt dessen unge achtet mit dem anwesenden Elternteil.
In APEG_17 sind die Konzepte - Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Schwindel - von vorneherein klar. Die unterbreiteten Maßnahmen wie die Verabreichung eines schmerzlindernden Saftes sowie Schonung, die auch das Fernbleiben von der Schule einschließt, sind Verordnungen, die der Pati entin aufgrund des Alters bekannt sein dürften. Allerdings erscheint der Pa tientin eine Empfehlung des Arztes aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung als nicht evident. Sie versucht zunächst, von der Mutter eine Erklärung für die Empfehlung, die Hitze zu meiden, zu erhalten und erhält sie schließlich durch den Arzt. In APEG_04 liegen Beschwerden vor, die von der Patientin selbst als merkwürdig eingestuft wurden. Diese Einordnung motiviert den Hinweis des Arztes an die Patientin im Rahmen der Diagnosemitteilung. Die vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen die Schonung und das Einnehmen von Nasentropfen. Während die Verabreichung eines Arzneistoffes aus der Gruppe der Nichtopioid-Analgetika, der der Patientin in APEG_17 verordnet wird, eindeutig in die Verantwortung der Mutter fällt, kann die Einnahme von Nasentropfen, welche in APEG_04 verordnet werden, durchaus durch die neunjährige Patientin selbst vorgenommen werden. Dies merkt die Pati entin auch an und fordert dies auch für sich ein, wodurch sie nicht nur auf ihren Expertenstatus (vgl. Winterseheid 2015a, S. 201) verweist, sondern auch auf ihre interaktive Rolle in dieser Handlungsschemakomponente. Die Pati entin weist den Arzt auch darauf hin, dass die Therapieplanung durchaus auch mit ihr erfolgen kann.
Über das gesamte Analysekorpus hinweg- hier exemplarisch an zwei Bei spielen sowie in der Beispielanalyse (vgl. Kap. 5) gezeigt - sieht man, dass die Redebeteiligung der Patienten deutlich höher ausfällt, wenn sie sich zu Anfang der Interaktion aktiv beteiligen (können). In den Fällen, in denen die Kinder früh das Rederecht abgeben oder sich die Eltern einschalten, ist auch die Betei ligung im Laufe des Gesprächs niedriger. 79 Auf spätere Aufforderungen oder Fragen des Arztes reagieren diese zwar, jedoch deutlich reduzierter.80
Trotz Fokussierung des Arztes auf einen der beiden Gesprächsbeteiligten sind zudem die Symptomatik, das Erfahrungswissen bezüglich dieser Symp-
79 Aus diesem Grund wird im Kapitel 8.1 näher auf die Aufforderung zur Beschwerden schilderung eingegangen.
so Ärztliche Fragen sowie strategische Mittel zur Aktivierung einer gerade nicht aktiven Gesprächspartei werden in den Kapiteln 8.2 bis 8.5 dargelegt.
Zwischenfazit 107
tomatik, die Therapieplanung sowie das Erfahrungswissen die Maßnahmen betreffend für die Beteiligung der Patienten entscheidend. Darüber hinaus scheinen neben der Adressierung durch den Arzt auch die Aufforderungen, Orientierungen etc. der Patienten und der Eltern ausschlaggebend zu sein. Bauer postuliert, dass „Praktiken der Fokussierung und der Adressierung[ ]
innerhalb der gegebenen sozialen Situation die Partizipationsstrukturen der Interaktion [schaffen], d.h. sie sind Instrumente der Gestaltung des Interakti onsensembles" (Bauer 2009, S. 63).
ADRESSIERUNG IN TRIADISCH-PÄDIATRISCHEN GESPRÄCHSSITUATIONEN
Gerade in einer triadischen Gesprächssituation ist die Adressierung eine komplexe und konfliktträchtige Aufgabe, die die drei Gesprächsparteien während der pädiatrischen Erstkonsultation zu bewältigen haben.
Rede ist in Face-to-Face-Kommunikation gerichtet an ein Gegenüber. Damit aus der einzelnen Rede ein Dialog werden kann, hat ein Sprecher die Aufgabe zu lösen, daß sich das Gegenüber angesprochen und damit zu einer Reaktion verpflichtet fühlt. Diese Aufgabe wird als Adressierung bezeichnet und muß für jede Äußerung gelöst werden, wenn ein Gespräch nicht zum Erliegen kom men soll. (Hartung 2001, S. 1348)
Die Adressierung findet auf II verschiedenen Ebenen" statt, welche aus der Ausrichtung des Körpers bzw. des Gesichtes auf den Gesprächspartner, 11 [s]prachlichen Adressierungsformen", z.B. 11 nom inale Benennungen" oder auch 11 Personalpronomen", und der 11 Äußerungsgestaltung" bestehen (Har tung 2001, S. 1348f.).
Üblicherweise sitzen sich die Gesprächsbeteiligten in den Handlungsschema komponenten der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexplorati on sowie der Therapieplanung einander gegenüber .81 Der Arzt sitzt auf der einen Seite des Tisches und ihm gegenüber sitzen der Patient sowie die Beg leitperson(en).82 So kann nonverbal die Adressierung zumeist in dieser Phase eindeutig nachvollzogen werden. Dies ist dann allerdings nicht so ein fach, wenn der Arzt z.B. etwas in der Patientenakte notiert, oder etwa in der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung gerade mit der Untersuchung des Patienten beschäftigt ist. In dieser Konstellation der triadischen Gespräche beim Kinderarzt kann allerdings schon alleine durch
81 In den Handlungsschemakomponenten der Begrüßung, der Gesprächseröffnung, der Ge sprächsbeendigung und der Diagnosemitteilungsitzen zumeist nicht alle Gesprächsbetei ligten. Während die Patienten und die Eltern etwa vor dem Beginn der Interaktion in der Regel bereits im Behandlungszimmer sitzen, betritt der Arzt den Raum und beginnt mit der Begrüßung regelmäßig, bevor er auf seinem Stuhl Platz genommen hat. Auch in der Schemakomponente der Diagnosemitteilung ist entweder der Arzt noch am Reinigen der Hände und/oder Instrumente oder der Patient ist noch mit dem Anziehen der Kleidungs stücke, die vor der körperlichen Untersuchung abgelegt wurden, beschäftigt.
82 In drei Gesprächen verhält es sich etwas anders. In einem Gespräch sitzt die Patientin auf dem Schoß des Vaters, obgleich ein weiterer Stuhl vorhanden ist, und in zwei Gesprächen sitzen die Patienten bereits auf einer Liege, während die Eltern danebenstehen oder da nebensitzen. Das ist dann durch den Raum begründet oder die Orientierung der Ge sprächsbeteiligten, die eine Untersuchung schon vorbereitet haben, bevor der Arzt das Zimmer betreten hat.
11O Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
das Duzen und Siezen innerhalb der Beiträge angezeigt werden, wer der Ad ressat der Äußerung ist, da jeder Gesprächsbeteiligte einen der beiden ande ren Gesprächspartner duzt und einen Gesprächspartner siezt: Der Arzt duzt das Kind, denn unter seinen Patienten befinden sich in der Regel keine Er wachsenen. Die Eltern und Großeltern werden hingegen gesiezt. Eltern, Großeltern und Kinder duzen sich untereinander, während der Arzt gesiezt wird. Lediglich in den Gesprächen, in denen etwa beide Elternteile oder ne ben dem Vater auch die Großmutter anwesend sind, kann es theoretisch zu Missverständnissen bei der Adressierung führen, wenn keine weiteren Mittel eingesetzt werden. Dennoch bleibt auch in diesen Situationen klar zu unter scheiden, welche der Parteien angesprochen wird. Dadurch, dass die drei Ge sprächsbeteiligten einen unterschiedlichen Wissensstand haben, lässt sich mitunter auch anhand des Adressatenzuschnitts (vgl. z.B. Hartung 2001,
S. 1352 oder Hitzler 2013) eine Aussage zum Adressaten machen. Dass auf der Oberfläche bestimmte Phasen nur mit einem der beiden Gesprächsbeteiligten verhandelt werden, bedeutet allerdings nicht, dass man auf eine phasenweise dyadische Gesprächssituation schließen kann (vgl. z.B. Hartung 2001, S. 1352- 1354). Alle drei Beteiligten sind sich dessen bewusst, dass sie sich nicht nur mit einem Gesprächspartner unterhalten, sondern auch immer vor einem zweiten Gesprächspartner. Dass den Gesprächsbeteiligten das bewusst ist, kann man einerseits auf der nonverbalen Ebene beobachten, Anzeichen hier für kann man aber auch an bestimmten verbalen Phänomenen festmachen. Dies soll in diesem Kapitel genauer untersucht werden. Dabei soll zunächst die Aufforderung zur Beschwerdenschilderung (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Win terscheid 2013, S. 9-13; Spranz-Fogasy 1988 oder Robinson/Heritage 2006) nä her betrachtet werden, dann werden Adressierungen des Arztes während der Beschwerdenschilderung und der körperlichen Untersuchung in den Fokus genommen sowie die Adressierung untereinander. Schließlich wird die 11 Mehrfachadressieru ng" (Hartung 2001, S. 1352-1354) in diesem Interaktions typ thematisiert, in den Fällen, in denen etwa der dritte Gesprächsbeteiligte 11 mitangesprochen" wird oder Äußerungen in einer 11 dyadischen" Gesprächs situation für den dritten Gesprächsbeteiligten ausgehandelt oder vorbereitet werden.
Der Arzt hat zunächst einmal 11 qua Rolle" die gesprächsstrukturierende Rolle inne (Winterseheid 2015a, S. 197; siehe auch Quasthoff 1990, S. 76). Der Arzt strukturiert die Interaktion, indem er zu den jeweiligen Handlungsschema komponenten überleitet und auch durch Fragen die jeweiligen Gesprächs partner auswählt, mit denen er bestimmte Handlungsaufgaben ausführen möchte, und wer ihm als aktiver Gesprächsbeteiligter einzelne Frage beant worten soll. Dies unterscheidet sich jedoch nicht von anderen Arzt-Patient Gesprächen, in denen auch 11 [e]twa 80% aller Initiativen[...] von den Ärzten aus[gehen]" (Haferlach 1994, S. 10). Die Gesprächsbeteiligten in einer triadi schen Gesprächssituation können allerdings das Rederecht untereinander
aushan deln: 83 So kann sich ein Patient weigern, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen, da ein Vertreter anwesend ist, der die Beschwerdenschilde rung trotz konditioneller Relevanz (vgl. Kallmeyer/Schütze 1976, S. 14f.) für ihn übernehmen kann, oder er kann, nachdem er der Aufforderung nachge kommen ist, den anderen Gesprächspartner aktivieren, der die Rolle des akti ven Sprechers dann für ihn übernehmen kann. Gleichzeitig kann sich auch die eine Partei selbstinitiativ einschalten und für die andere Partei berichten oder Fragen beantworten.
Aufforderung zur Beschwerdenschilderung
Die Gesprächsmitte wird üblicherweise durch eine Aufforderung des Arztes eingeleitet, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen.84
Bei einer eindeutigen Adressierung und einer als Frage formulierten Auf forderung übernimmt die Beschwerdenschilderung üblicherweise jeweils die adressierte Gesprächspartei. Prototypisch kann dies z.B. an der Interaktion APEG_16 nachvollzogen werden:
Fallbeispiel 15: APEG_16 (A-Pm5-M; ca. 2:45min); BE (00:01.97-00:22.23); 00:01.97-00:11.46
A 02 was is mit DIR patrice;
-
p 16 (0. 96) <<piano> ich hab nen zeckenBISSen >·
-
p 16 ( .) <<piano> (am rücken) ( .) ((unverständlich)) ZEckenbiss >-
-
A 02 (0.37) du hast n ZEckenbiss-
Der Arzt wendet sich mit einer 11 inha ltliche[n] Frage" (Spranz-Fogasy 1987,
S. 298; Hervorhebung im Original) explizit an den Patienten, den er mit der Aufgabe betraut, die Beschwerdenschilderung selbst zu übernehmen.
Die Eröffnung selbst mit der Aufforderung zur Beschwerdenschilderung kann dann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein: als direktive Frage nach konkreten Beschwerden oder dem Grund des Arztbesuches, als rituelle Frage nach dem Befinden, als Erzählaufforderung oder, in seltenen Fällen, als nichtverbales sich-zur-Verfügung stellen, wie es Ripke praktiziert hat (Ripke 1996; zur Diffe renzierung von Eröffnungszügen siehe Spranz-Fogasy 1987; 2005 und Robin son/Heritage 2006). (Busch/Spranz-Fogasy 2014, S. 341)
Dass der Patient Adressat dieser Frage ist, wird zum einen durch das Duzen offenbar, aber auch durch die Nennung des Namens (Z. 001). Zum anderen beginnt der Arzt mit der Aufforderung, als er noch die Hand des Patienten hält, den er zuvor explizit begrüßt hat. Bevor der Arzt jedoch seine Aufforde-
83 Vgl. Ausführungen zur Triade in Kapitel 1.
84 Zu Gesprächseröffnungen in medizinischen Erstgesprächen vgl. Spranz-Fogasy (1987).
112 Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
rung in Form einer offenen Frage beendet hat, hat er dem Patienten den Rü- cken zugedreht und sich auf den Schreibtisch ausgerichtet, zu dem er sich orientiert:
Aufforderung zur Beschwerden-
schilderung
Patient antwortet
Der Patient beginnt nach einer längeren Pause mit der Beschwerdenschilde- rung. Dass der Patient hier nicht sofort einsetzt, liegt sicherlich daran, dass während der Aufforderung eine Orientierung des Arztes auf den Schreibtisch hin stattfindet und der Arzt ihm kurzzeitig den Rücken zuwendet. Der Pati- ent spricht sehr leise, weswegen der Arzt sich, bevor er sich auf seinen Stuhl setzt, mit einer 180°-Drehung wieder zum Patienten wendet. Der Arzt wie- derholt das Verstandene, obwohl der Patient bereits fortgefahren ist. Dass eine Wiederholung des Gesagten durch den Arzt stattfindet, ist bei zweckge- richteten Interaktionen mit jungen Patienten nicht ungewöhnlich, aber sicher- lich auch der sehr leise realisierten Beschwerdenschilderung geschuldet (vgl. Sachweh 2000, S. 153ff.).85 Des Weiteren ist „eine große Menge von Wiederho- lungen“ auch ein „Elemen[t] der Babysprache“ (Sachweh 2000, S. 145).
Obwohl die Orientierung des Arztes den Patienten merklich irritiert, be- ginnt der Patient mit der Beschwerdenschilderung, nachdem der Arzt ihn ex- plizit dazu aufgefordert hat, diese selbst zu übernehmen.
In insgesamt sieben Interaktionen des Analysekorpus findet eine solche explizite Aufforderung - sogar mit nominaler Adressierung86- an den Patien- ten statt. In sechs der Fälle übernimmt dann auch der adressierte Patient. Lediglich in einem Gespräch gibt die Patientin den Auftrag an den sie beglei- tenden Vater weiter, der sich anfangs dagegen wehrt, aber schließlich der Aufforderung der Patientin, die auch durch den Arzt unterstützt wird, nachkommt:
Die Autorin vergleicht dieses Verfahren von Pflegekräften mit Patienten in der Altenpfle- ge und Müttern mit ihren Kindern.
Zu nominaler Adressierung vgl. Kapitel 9.
Fallbeispiel 16: APEG_0S (A-Pw8-V; ca. 4:30min); BE (00:04.25-00:56.61); 00:04.25-00:21.48
001 A 01 so.
002 A 01 (0. 75) hannAH-
003 A 01 (0.66) WAS is los mit dir,
-
004p 08 ( 1. 24)
005 V 08 sag.
-
006 p 08 (0.41)
A 01 erZÄHL-
V 08 ( .) <<piano> (erzähl) >
009 A 01 oh (0. 51)
V 08 ich WEISS es net;
V 08 ( .) komm bitte S[AG.
-
p 08 [<<piano> doch >.
V 08 ( .) auf [jetz-
014 |
p - |
08 |
[pap |
l a |
du WEISST (0.3) [+++ |
015 |
A |
01 |
|
|
[oh |
ALS[o(.) erzählen sie-
016 V 08 [also erstens hat sie ]heute morgen ne ziemlich beLEGte zunge gehabt;
017 A 01 (0.38) ja
018 V 08 (0.32) und dann klagt sie auch ZWEI tagen darüber dass sie-
019 (0.2)
020 p- 08 <<geflüstert> DREI >,
Auch in diesem Beispiel wird die Patientin mit einer expliziten Namensnen nung dazu aufgefordert, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen. Nach einer längeren Pause unterstreicht der Vater die Aufforderung des Arztes mit einem sag. (Z. 005). Da die Patientin auf die zweite Aufforderung auch nicht reagiert, doppelt der Arzt nach einer kurzen Pause nach und fordert die Pati entin erneut zum Berichten auf (Z. 007), was der Vater dann vermutlich leise wiederholt (Z. 008) und nach einer weiteren kurzen Pause auch begründet, warum die Patientin die Beschwerdenschilderung selbst gestalten solle: Er gibt an, diese nicht für sie bestreiten zu können, da er nicht über das nötige Wissen verfüge (Z. 010), woraufhin er sie nochmals bittet, der Aufforderung des Arztes nachzukommen (Z. 011). Die Patientin reagiert darauf, indem sie angibt, dass das Argument des Vaters nichtig ist und er durchaus in der Lage sei, die Beschwerdeschilderung zu übernehmen (Z. 014). Der Vater kommt schließlich der Aufforderung der Patientin nach, nachdem der Vater die Pati entin ein weiteres Mal aufgefordert hat, die Patientin das Argument des Va ters noch elaborierter zurückgewiesen und der Arzt ihn nun auch dazu aufge fordert hat (Z. 013-015). Kurz nachdem der Arzt die Aufforderung nun an den Vater adressiert, hat dieser simultan zur Aufforderung mit der Beschwerden schilderung begonnen.
114 Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
In einem einzigen Fall werden die Eltern explizit dazu aufgefordert, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen. Auch diese Aufforderung ge- schieht explizit und wird durch die adressierten Eltern umgesetzt, indem sie mit der Beschwerdenschilderung beginnen.
In zwei Gesprächen werden beide Parteien adressiert. In beiden Fällen über- nimmt die Mutter die Beschwerdenschilderung, obwohl in der Interaktion APEG_09 sogar noch eine Korrektur der Adressierung vorgenommen wird:87
Fallbeispiel 17: APEG_09 (A-Pw7-M; ca. 6:16min); BB (00:12.01-00:54.20); 00:12.01-00:19.71
001 |
A_02 |
°h (0.31) was treibt euch HER-= |
002 |
A_02 |
=was is mit DIR-=hm, |
003 |
M_09 |
(.) sie hat (.) einen AUSschlag-=h° |
004 |
A_02 |
°hh (0.4) der sieht aber HÜBSCH aus. |
005 |
M 09 |
GELL, |
Hier werden ausdrücklich beide Parteien mit einer „offenen Frage" nach dem Auslöser für den Entschluss befragt, den Arzt aufzusuchen (Spranz-Fogasy 1987, S. 298; Hervorhebung im Original). Der Arzt schließt mit Latching8 eine weitere Frage an, in welcher nur die Patientin dazu aufgefordert wird, von den Beschwerden, die mit dem Auslöser, nach dem in der ersten Frage gefragt wurde, identisch sein dürfte, zu berichten. Dass hier eine Korrektur bezüglich der Adressierung stattfindet, wird auch durch den Fokusakzent deutlich, der in der zweiten Intonationsphrase auf DIR (Z. 002) liegt. Verstärkt wird diese Aufforderung durch den question tag, der an diese Frage angeschlossen ist. Diese Korrektur ist jedoch nicht erfolgreich, da die Mutter nach einer Mikro- pause mit der Beschwerdenschilderung beginnt.
87 Hieraus kann jedoch keine Regel abgeleitet werden, da sich eine Aufforderung mit kol- lektivem Adressaten nur zweimal im Analysekorpus findet und in APEG_14 vor dem Eintreten des Arztes in das Sprechzimmer zudem eine Aushandlung zwischen Mutter und Patientin stattgefunden hat, bei der verabredet wurde, dass die Mutter den Bericht übernehmen wird.
8 Bei Latching handelt es ich um einen schnellen, unmittelbaren Anschluss einer neuen Intonationsphrase desselben oder eines anderen Sprechers (vgl. dazu Selting et al. 2009,
S. 376 oder Schmidt/Schütte/Winterscheid 2016, S. 61).
Die erste Frage wird noch realisiert, als der Arzt im Begriff ist, sich zu setzen. Die Mutter ist bereits im Blickkontakt mit dem Arzt, während die Patientin noch auf den Schreibtisch sieht. Noch im Setzen realisiert der Arzt die zweite Frage, mit der er die Adressierung korrigiert und beugt sich schließlich simul tan zum question tag nach vorne und auch auf dieselbe Höhe wie die Patientin. In vier Gesprächen des Analysekorpus wird eine Frage oder Aufforderung realisiert, ohne dass eine klare Adressierung vorgenommen wird, z.B. in
APEG_31:
Fallbeispiel 18: APEG_31 (A-Pw5-M; ca. 11:45min); BE (00:06.59-02:08.12); 00:06.59-00:15.29
001 |
Ä 03 |
[WIE is l es |
002 |
M 31 |
[HAllo. |
003 |
|
( 0. 42) |
004 |
M 31 |
((schmatzt)) (0.23) nich so GUT; |
005 |
Ä 03 |
JA-=wenn de hier so kommst außer der <<seufzend> REihe >- |
006 |
M 31 |
ja ( .) dann is es <<lachend> NICH so gut >· |
007 |
M 31 |
((Lachansatz)) 0 hh [ganz (äh) ]dollen HUSten seit sonntag- |
008 |
Ä 03 |
[ich Höre; |
Hier reagiert - wie auch in einem weiteren Fall - die Mutter auf die 11 offene Frage" (Z. 001) der Ärztin mit einem Verweis darauf, dass der Zustand der Pa tientin nicht dem Normalzustand entspricht, ohne bereits auf die Symptome einzugehen (Z. 004). Dass sie hier nicht explizit von der Patientin spricht, ist unnötig, da das Gespräch in einer pädiatrischen Praxis stattfindet. Nicht zuletzt deswegen, weil ihr die Krankenakte der Patientin vorliegt und sie zudem si cherlich von den Arzthelferinnen wie bei jedem anderen Sprechstundenge spräch eine grobe Einordnung der Beschwerden erhalten hat, bevor sie das Sprechzimmer betreten hat. Die Äußerung der Mutter wird bestätigt und auf genommen, aber an die Patientin adressiert (Z. 005). In diesem Fall wird die Äußerung der Mutter so behandelt wie die Äußerung der Patientin, obwohl diese sie nicht geäußert hat.89 Trotz Adressierung der Patientin fährt die Mutter dann jedoch mit der Beschwerdenschilderung fort.
In zwei der Interaktionen reagiert hingegen der Patient, z.B. bei APEG_04 und in APEG_33:
Fallbeispiel 19: APEG_33 (A-Pm4-V/G; ca. 13:42min); BE (00:08.24-01:37.73); 00:08.24-00:13.86
001 Ä 03 WAS is denn jetz; 002 Ä 03 WIE geht_s_n;
003 P 33 (.) (we) HIER geht s ja kurz;
89 Vgl. Abschnitt 8.5 zur Mehrfachadressierung als Mittel.
004 P 33 °h (.) kurz (.) AUa:-
005 Ä 03 kurz AUa has de da;
Auch in diesem Fall nimmt die Ärztin eine Selbstreparatur (vgl. z.B. Scheg loff!Jefferson/Sacks 1977) vor, die nicht so explizit ist wie in Fallbeispiel 17; doch während in der ersten offenen Frage der Ärztin nach dem Grund für den Arztbesuch gefragt wird, wird in der zweiten Frage nach dem Befinden des Patienten gefragt, sodass auch hier eine Reparatur bezüglich der Adres sierung vorgenommen wird. In diesem Fall übernimmt dann auch der Patient.
Wird die Aufforderung, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen, nicht in Form einer Frage formuliert, so antworten hingegen die Eltern, selbst wenn bei den Aussagen die Patienten direkt adressiert werden, wie z.B. bei APEG_32:
Fallbeispiel 20: APEG_32 (A-Pw7-M; ca. 7:34min); BE (00:54.69-01:49.61); 00:54.69-01:01.21
001 Ä 03 0 h ha ja jai ( .) [und jetz has l - de BAUCH[weh; 002 M 32 [((Lachansatz)) l
M 32 [oh
Ä 03 ja;
M 32 also g[estern fing- s er]st mal an dass [sie ganz hef[tige KOPF
006 p - 32 [((summt))
007 p - 32 [((summt)) l
008 p - 32 [((summt))
009 Ä 03 [((schnalzt)) Urin i]s gut ( .) ja,
Die Ärztin leitet zur Beschwerdenschilderung über und hält dabei fest, was sie über den vorliegenden Fall bereits weiß. Dies wird als Feststellung präsen tiert. Dabei geht sie am Ende der Intonationsphrase noch nicht einmal mit der Stimme nach oben. Die Mutter reagiert - wie in einem zweiten Beispiel - auf die 11 imp lizite Aufforderung" (Spranz-Fogasy 1987, S. 298; Hervorhebung im Original) und beginnt mit der Beschwerdenschilderung, obgleich die Patien tin adressiert ist.
Handelt es sich also um eine klare Aufforderung oder Frage mit einer explizi ten Adressierung, so übernimmt der jeweilige Adressat. Bei einer kollektiven Adressierung oder Fragen, die allgemein gestellt werden und die nicht mit einer klaren Adressierung einhergehen, reagieren eher die Eltern. Eine Aus nahme stellt z.B. APEG_04 (Falbeispiel 10) dar. Sind Fragen oder Aufforde rungen hingegen nicht klar als solche formuliert (auch wenn die Adressie rung eindeutig ist), übernehmen regelmäßig die Eltern die Beschwerden schilderung.
Ärztliche Fragen 117
Etwa in der Hälfte der Interaktionen im Analysekorpus übernehmen die Patien ten das Rederecht und berichten selbst von ihren Beschwerden. In beinahe allen Fällen werden die Eltern im Laufe der Handlungsschemakomponente durch die Patienten selbst oder durch eine von den Eltern als reparaturbedürftig wahrgenommene Situation aktiviert, die Beschwerdenschilderung zu überneh men, oder sie übernehmen diese Aufgabe selbstinitiativ (vgl. hierzu auch die Kap. 5 und 7). In der Hälfte der Interaktionen übernehmen die Eltern die Be schwerdenschilderung auch von Anfang an. Üblicherweise halten sich die Pati enten zurück, wenn die Eltern an deren Stelle die Beschwerdenschilderung übernehmen und reagieren dann, wenn sie von den Eltern oder den Ärzten dazu aufgefordert werden. Lediglich in zwei Interaktionen des Analysekorpus gibt es eine Selbstwahl der Patienten. In drei Gesprächen signalisieren die Pati enten nach der Übernahme sogar, dass sie sich nicht mehr bereithalten, um eine aktive Sprecherrolle zu übernehmen, indem sie leise singen oder summen, nach dem das anwesende Elternteil begonnen hat zu berichten (vgl. hierzu Kap. 5).
Gleich welche Partei berichtet und das Rederecht für sich beansprucht, hat der Arzt dennoch immer die Möglichkeit, bei seinen Fragen einen Adressaten und dabei auch den gerade nicht aktiven Gesprächsbeteiligten auszuwählen.
Rehbein stellt heraus, dass ,,[d]ie ärztliche Frage[ ...] der Schlüssel zum Wissen des Patienten [ist]" (Rehbein 1993, S. 321; Hervorhebung im Original), denn auch wenn der Patient „die sprachliche Form seines (vom Arzt gesuchten) Wissens [nicht] kennt", so „übermittelt er in seinen Antworten [doch] ein Wis sen, genauer, er bestätigt, widerlegt, präzisiert usw. das in der Frage des Arztes präsentierte Wissen und lenkt[ ] dessen professionellen Wissensprozeß hinsicht
lich seines konkreten Falles in einer spezifischen Weise" (ebd.; Hervorhebung im Original).
Der Arzt kennt charakteristische Beschwerden, die mit einer Krankheit verbun den sind, empfindet sie jedoch - im Unterschied zum Patienten - nicht selbst. Bestimmte Beschwerden gelten als Symptome für bestimmte Krankheiten. An dererseits empfindet der Patient keine Symptome. Für den Arzt kommt es dar auf an, im Verlauf der Kommunikation die Beschwerden in Symptome zu über führen, um sein professionelles Wissen anzuwenden. (Rehbein 1993, S. 332)90
Gerade in den Handlungsschemakomponenten Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration sowie der körperlichen Untersuchung stellt der Arzt hauptsächlich Fragen. In fünf Gesprächen richten sich die Fragen des Arztes ausschließlich an die Patienten. In nur einem Gespräch gibt es aus-
90 Der Autor verweist hier auf den Artikel von Rehbein (1987), in welchem eine II Unterschei dung von Beschwerden und Symptomen" (Rehbein 1993, S. 332) vorgenommen wird.
schließlich Fragen an die Mutter. In den restlichen zehn Gesprächen werden Fragen an beide Gesprächsbeteiligten gerichtet.
In dem Gespräch APEG_02, wie in vielen anderen Beispielen, sieht man, dass der Arzt seine Fragen ganz gezielt an die entsprechenden Parteien adressiert und dies nicht immer mit dem gerade aktuellen Sprecher oder mit dem akti veren Sprecher zusammenhängt, sondern vor allem mit den Fragen, die ge stellt werden:
Fallbeispiel 21: APEG_02 91 (A-Pmll-V; ca. 11:15min); BE (00:00.00-02:51.32);
00:00.00-02:51.32
001 |
P |
02 |
(0.62) |
also wenn ich jetz (.) EINatme; |
002 |
P |
02 |
(0.42) |
da[nn tu]t s HIER ganz arg (.) weh; |
003 A 01
004 A 01
( 0. 43)
[ 0 h l
005 P 02
006 A 01
007 P 02
008 P 02
009 P 02
010 P 02
011 P 02
012 P 02
013 A 01
014 V 02
015
016 A 01
017 A 01
018 P 02
019 P 02
020 A 01
021 P 02
022 P 02
023 A 01
025 |
V |
02 |
(0.23) 0 hh (.) seit zw FENster auf halb; |
026 |
A |
01 |
(0.24) ähm JA- |
027 |
V |
02 |
(0.24) geÖFFnet weil- |
028 |
V |
02 |
0h es so WARM war; |
029 |
A |
01 |
(3 .18) |
030 |
V |
02 |
vorher wars ZU-= |
024 A 01
h[m in dem beREICH;
[seit WANN hast n ]des denn,
(0.82) äh seit GEStern-=
=aber GEStern hat s-
(0.45) nich wirklich WEH getan;
(.) 0 hh (0.69) da habe ich (mir) geDACHT des geht gelech
(.) äh äh des geht dann MORgen wieder vorbei aber
(1.73) dann;
(5. 28)
0 h (0.89) heute morgen hat sich beKLAGT
( 0. 56)
0 hh (0.56) und wie isses in der NACHT SCHLÄFSde da;
( 1. 0 5) äh: JA (.) da-
(.) 0 h [ähm (nee) ]
[WACHST nicht ]auf.
(0.31) 0 h (0.63) NEE in der nacht; (.) nee-=da WACH ich nich auf. (0.24) gut;
0 h (.) schläft er mit OFFenem fenster,
ei drei tagen habe ich die
91 Bei diesem Gespräch hat der Arzt den Raum betreten, bevor alle Geräte angeschaltet wer den konnten. Deswegen fehlen hier in der Aufnahme die Begrüßung sowie die Aufforde rung zur Beschwerdenschilderung,die jedoch explizit an den Patienten adressiert war.
Ärztliche Fragen 11g
031 V 02
=aber seit (.) wie gesagt seit drei vier tage seit diese 0 h Hitze kam;=
032 |
V |
02 |
=hab ich dann von Oben bisschen so; |
033 |
V |
02 |
[((schnalzt)) ](klappen des) |
034 |
A |
01 |
[HMhm, ] |
035 |
A |
01 |
0 hh und wenn de RENNST, |
036 |
A |
01 |
is dann SCHLIMMer- |
037 |
P |
02 |
(1.02) äh: ich habs noch nich ausPRObiert; |
038 |
A |
01 |
(1.39) und (.) welche Etage wohnen se |
039 V 02
040 A 01
(0.66) 0 h (.) <<piano> zwei>
(0.67) [ZW ]Eite-
041 |
V |
02 |
[zwei; ] |
042 |
|
|
( 0. 56) |
043 |
A |
01 |
die treppen kommste GUT hoch, |
044 |
P |
02 |
(.) HMhm- |
045 |
A |
01 |
(0.42) Oder tuts da mehr weh |
046 |
P |
02 |
(0.47) ((schnalzt)) (0.63) äh: hm |
047 |
P |
02 |
(0.5) hm WEISS ich nich- |
048 |
A |
01 |
(0.44) WEISSte nicht; |
049 |
A |
01 |
dann tuts auch nich MEHR weh |
050 A 01
051 P 02
052 A 01
(.) h (.) haste auch HUSten (0.79) mhmh,
0
(0.33) 0 h (.) un haste des gefühl dass de nich gut
|
ATmen kannst- |
||
053 |
P |
02 |
(1.0) also wenn ich ATme, |
054 |
P |
02 |
wenn i[ch(.) ]TIEF einatme, |
055 |
A |
01 |
[oh |
056 |
P |
02 |
[dan]n tuts hier GANZ ar[g weh, |
057 A 01
058 A 01
[ 0 h l
[ja-
059 A 01 (0.2) 0 h (.) jetz zieh dich einfach mal AUS obenrum;
060 |
A |
01 |
dann HORCH ich dich ab; |
061 |
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( 4. 06) |
062 |
A |
01 |
darfst dich da oben DRAUFsetzen- |
((während der Patient sich umzieht und der Arzt sich noch Notizen macht, nutzt der Vater die Situation, um eine Korrektur an seinem Bericht vorzunehmen und von den Ereignissen des Tages zu berichten))
075 A 01
076 A 01
(0.43) 0 h gut jetz will ich grad noch nach den TESten schauen die: (.) mit ihm gemacht worden sind;
die allerGIE[test Je,
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V 02 |
[<<piano> ah ja>; ] |
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V 02 |
ah des+++ wissen weil die AUgen immer (sagt/so) tut weh- |
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V 02 |
immer NOCH- |
080 |
V 02 |
AB ab und zu mal; |
081 |
A 01 |
(2.93) im moment hat er den (.) cetiriZINsaft noch-=ne, |
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V 02 |
(.) ja, |
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A 01 |
( 0. 81) |
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V 02 |
KRIEGT er ab un zu mal-= |
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V 02 |
=aber nich so dass er jeden TAG ein bis zweimal kriegt |
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er; |
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A 01 |
(2.88) da war ja alles ( .) neGAti: :v:- |
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A 01 |
(1. 37) oh ( .) die GRÄser lei:cht- |
088 |
A 01 |
und da grad noch bei den BLUTergebnissen schauen; |
((Der Vater nennt noch etwas, was er beobachtet hat und mit den Augen des Patienten zu sammenhängt. Der Arzt sieht sich die Augen des Patienten an und stellt eine Diagnose be züglich des beschriebenen Problems.))
110 A 01 jetzt HORCH ich mal ab;=
In APEG_02 berichtet der Patient von seinen Beschwerden. Er beschreibt, wann er unter Schmerzen leidet, und nimmt bereits eine Lokalisierung des Schmerzortes vor. Der Arzt stellt nach einer kurzen Pause die erste Nachfrage an den Patienten (Z. 006), die simultan zu einer weiteren Intonationsphrase des Patienten geäußert wird. Der Patient beantwortet die Frage des Arztes bezüglich des Zeitpunkts, seitdem die Beschwerden bestehen, doppelt nach (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 270), nennt aber die Information, die simultan zur Frage des Arztes geäußert wurde, nicht noch einmal. Er fügt der knappen Antwort, die aus einer Zeitangabe besteht, aber mit einem schnellen Anschluss noch hinzu, dass die Schmerzen zwar seit GEStern (Z. 007) vorliegen, die Schmerzen in dieser Intensität aber noch nicht am Vor tag festzustellen waren und er die Schmerzen gestern auch noch ganz anders eingeschätzt hat (Z. 008-012). Nach der Beantwortung der Frage durch den Patienten entsteht eine Pause von 5,28 Sekunden, die der Vater damit beendet, dass er eine andere Antwort auf die Frage präsentiert, die klar seiner Position entspricht, da er nur davon berichtet, was der Patient ihm bezüglich der Be schwerden am heutigen Tag mitgeteilt hat (Z. 014). Dadurch, dass er darauf verweist, dass ihm die Schmerzen erst am heutigen Tag mitgeteilt wurden, diese aber bereits am Vortag in einer abgemilderten Form bestanden, unter stützt er die epistemische Autorität (vgl. z.B. Heritage/Raymond 2005) des Patienten hinsichtlich der Beschwerden. Die gleichbleibende Intonation sig nalisiert, dass der Vater hier weitersprechen möchte, aber nachdem der Vater nach beinahe einer Minute das Wort nicht nochmals ergriffen hat, erkundigt sich der Arzt nun noch nach einem weiteren Parameter beim Patienten: Dabei greift er diese Information des Vaters nicht auf, sondern erkundigt sich beim Patienten, wie dieser schlafe (Z. 016-017). Der Patient reagiert irritiert, bestä tigt aber, dass er nachts schlafe. Die Irritation des Patienten ist sicherlich Ur sache dafür, dass der Arzt seine Frage nochmals in einer anderen Form for muliert, wobei der Patient dem Arzt mit seiner Irritation bereits die eigentliche Frage nach dem Durchschlafen (Z. 020) schon beantwortet hat. Dementspre chend wird diese Frage vom Patienten auch verneint (Z. 022). Die nächste Fra ge (Z. 024) des Arztes schließt an die vorhergegangene Frage an. Er erkundigt sich jedoch nach einer weiteren Variable, die den Schlaf des Patienten beein-
flussen könnte, nämlich nach der Stellung des Fensters. Dass die Eltern auf die situativen Bedingungen stärker Einfluss nehmen als der Patient, kann ver mutet werden, zudem kann es auch möglich sein, dass die Eltern das Fenster schließen, wenn der Patient eingeschlafen ist. Somit ist hier der Wechsel des Adressaten nachvollziehbar. Der Vater elaboriert, wann und warum ein Wechsel bei der Handhabung der Fensterstellung in den letzten Tagen statt fand (Z. 25-033). Nach der Antwort auf die Frage stellt der Arzt nun eine Fra ge (Z. 035), die thematisch nicht mit dem Schlafen zusammenhängt und auch nicht mit der Raumsituation, sondern mit einer Aktivität, die durch den Pati enten ausgeführt wird, und richtet die Frage auch wieder an den Patienten. Der Patient gibt an, dass er seit dem Aufkommen der Schmerzen noch nicht gerannt sei und somit keine Auskunft darüber geben kann, ob dabei eine Ver schlechterung eintrete (Z. 037). Die nächste Frage wird erneut an den Vater gestellt (Z. 038). In dieser wird eine Information zur Wohnsituation erfragt. Der Vater antwortet. Die Frage (Z. 043/045) des Arztes bezüglich der empfun denen Anstrengung beim Treppensteigen, um die Wohnung zu erreichen, geht nun wiederum an den Patienten. Erneut liegt der Fokus auf der körper lichen Anstrengung und deren Auswirkungen auf den Körper. Der Patient produziert verschiedene Signale, die anzeigen, dass ihm die Antwort auf die se Frage schwerfällt, bevor er dann angibt, dass er auch zu dieser Frage keine Aussage machen kann (Z. 044/046/047). Der Arzt wiederholt die Antwort des Patienten und formuliert dann den Schluss, den er aus der Antwort ziehen kann (Z. 048/049). Dann erkundigt er sich nach weiteren Symptomen beim Patienten. Er erkundigt sich nach dem Vorhandensein von Husten (Z. 050) und auch nach dem Vorhandensein von Atemnot (Z. 052). Nachdem der Pati ent auch diese Fragen beantwortet hat, leitet der Arzt zur Untersuchung über. Nachdem der Arzt den Patienten aufgefordert hat, sich für die körperliche Untersuchung vorzubereiten, ergänzt der Vater noch etwas. Der Arzt geht nicht auf diesen Bericht ein, sondern kündigt an, dass er in den Unterlagen noch nach Testergebnissen sehen möchte, die vor dem Arzt-Patient-Gespräch ermittelt wurden und in der Patientenakte liegen. Der Vater greift infolgedes sen ein weiteres Symptom auf, das nicht mit der gerade beschriebenen Symp tomatik zusammenhängt, aber ein Problem darstellt, das in einem früheren Arzt-Patient-Gespräch stattgefunden hat und den Anlass für die allerGIE[test] e (Z.076) dargestellt hat. Durch das leise geäußerte «piano> ah ja>; (Z. 077) auf die Erwähnung des Allergietests signalisiert er seine Überraschung über die sen ärztlichen Hinweis und zeigt das plötzliche Erinnern infolge dieses Hin weises bezüglich eines Symptoms, welches er ansprechen wollte und das auch mit dem durch den Arzt erwähnten Allergietest in Verbindung steht. Dass es sich aber auch um ein Symptom handelt, das losgelöst von der bishe rigen Schilderung existiert und jetzt an dieser Stelle auch nicht erwähnt wer den sollte, wird durch den Ausruf in der Zeile 077 darüber hinaus deutlich. Das Symptom, auf das er nun eingeht, wurde bereits in einem früheren Arzt-
Patient-Gespräch verhandelt. Dies wird durch die Erläuterung deutlich, dass das Phänomen, nämlich die Probleme mit den Augen, weiterhin besteht (Z. 079). Dadurch wird klar, dass es sich nicht nur um eine Symptomatik handelt, die bereits angesprochen, sondern sogar behandelt wurde oder als eine Symptomatik eingestuft wurde, die inzwischen von alleine verschwun den sein sollte, weil der Hinweis darauf, dass das Problem weiterhin besteht, ansonsten nicht notwendig gewesen wäre. Der Vater doppelt dann jedoch nochmals nach und beschreibt das Auftreten als eines in einer abgemilderten Form. Daraufhin erkundigt sich der Arzt beim Vater nach der Verabreichung des verschriebenen Safts (Z. 081). Dieser geht auf die Frage ein, indem er zu nächst angibt, noch von dem Saft zu haben, und dann einräumt, dass der Pa tient jedoch nicht regelmäßig davon erhält. Der Arzt reagiert darauf, indem er sich nun den Testergebnissen widmet und dies dadurch kundtut, dass er die Ergebnisse verliest (Z. 086/087). Danach erklärt der Arzt, sich noch weitere Untersuchungsergebnisse anzusehen. Diese Ankündigung nimmt der Vater zum Anlass, über ein weiteres Problem zu sprechen, das bisher nicht themati siert wurde, aber durch den Vater bereits durch den Anschluss an den Hin weis auf die Allergietests in die Nähe dieser Tests gerückt wurde. Bevor sich der Arzt nun der körperlichen Untersuchung widmet, die im Zusammenhang mit der Symptomatik steht, die den Grund für das Arzt-Patient-Gespräch dar stellt, widmet er sich zunächst der Untersuchung dieses Problems und formu liert auch hinsichtlich dieses Problems eine Diagnose.
Im Rahmen des Handlungsschemas der Beschwerdenschilderung und Be schwerdenexploration stellt der Arzt in APEG_02 die meisten Fragen an den Patienten. Dabei geht es um den Zeitraum der Beschwerden, Symptome, die erwartbar wären, sowie um denkbare Auswirkungen. Drei Fragen richtet der Arzt explizit an den Vater: Die Frage nach der Fensterstellung in der Nacht, der Anzahl der Stockwerke, die der Patient zur Wohnung zu erklimmen hat, sowie nach der Verabreichung des früher verordneten Medikaments. Die Fensterstellung kann sich ändern, nachdem der Patient eingeschlafen ist und auch die Vergabe von Medikamenten fällt eindeutig in den Zuständigkeitsbe reich des Vaters. Die Frage nach den Stockwerken hätte der Patient möglicher weise auch beantworten können, aber da die Frage zweifellos vom Vater be antwortet werden kann, hat der Arzt hier die Partei gewählt, die ihm mit Sicherheit eine korrekte Antwort geben kann (vgl. Stivers/Majid 2007, S. 426).92
Betrachtet man alle ärztlichen Fragen des Analysekorpus, die vor der Diagno semitteilung geäußert werden, so werden die Patienten üblicherweise nach der zeitlichen Dauer die Symptomatik betreffend gefragt. Dabei kann es sich um den Zeitpunkt handeln, in dem die Symptomatik aufgefallen ist, aber auch um einen Zeitraum oder auch um die Tageszeiten, wenn der Verdacht
92 Stivers und Majid beziehen sich dabei auf Clayman (2002) und Stivers/Robinson (2006).
naheliegt, dass die Symptomatik nicht durchgehend vorhanden ist oder erst im Laufe des Tages einsetzt. Wird hingegen nach der Häufigkeit der Sympto matik über einen längeren Zeitraum hinweg gefragt, so werden die Eltern dazu befragt. Betrifft die Symptomatik einen kurzen Zeitraum, werden hinge gen ausschließlich die Patienten dazu befragt.
Genauso regelmäßig werden die Patienten darum gebeten, die betroffene Körperregion oder den Schmerzort genauer zu lokalisieren. Auch dies liegt ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der Patienten. In keinem der 16 Ge spräche des Analysekorpus werden die Eltern zu der genauen Schmerzlokali sation herangezogen. In anderen Fällen werden die Patienten auch danach gefragt, ob die Untersuchung Schmerzen hervorrufe, da dies die Eltern nicht fühlen können, sind auch diese Fragen ohne Ausnahme an die Patienten ad ressiert. Dasselbe gilt auch für Fragen nach der Art der Schmerzen oder der Intensität. Auch diese werden durchweg an die Patienten selbst adressiert. Daneben werden die Patienten nach Handlungen gefragt, die die Schmerzen auslösen, oder nach aus der Symptomatik sich ergebenden Sachverhalten, wie eine mögliche Beeinträchtigung des Schlafs etc. sowie auch die Verbesse rung der Symptomatik durch zuvor verabreichte Medikamente, wobei in ei nem von drei Fällen diese Frage auch dem begleitenden Elternteil gestellt wurde. Des Weiteren werden Patienten danach gefragt, ob die Nahrungsauf nahme und die Flüssigkeitsaufnahme funktioniere, wie eigene Reaktionen auf Schmerzen aussehen, wie ihr Gewicht ist und auch eine Scherzfrage wird an die Patienten gerichtet. Eine beschriebene Reaktion einer Patientin auf die berichteten Schmerzen wird bei dieser nochmals nachgefragt und überdies noch eine Bestätigung durch die Mutter eingefordert.
Fragen nach der Beschaffenheit des Stuhls - das wird in zwei Gesprächen abgeklärt - werden einmal an den Patienten und einmal an die Eltern adres siert. Die Adressierung in Bezug auf diese Frage könnte mit dem Alter der Patienten zusammenhängen: So werden die Eltern einer dreijährigen Tochter nach der Beschaffenheit des Stuhls gefragt, einem fünfjährigen Patienten wird die Beantwortung der Frage hingegen bereits zugetraut. 93 In einem Gespräch, indem Probleme mit den Toilettengängen thematisiert werden, wird die Pati entin auch danach gefragt, ob der Toilettengang vor Ort erfolgreich verlaufen sei, ihr ein Drang bewusst sei, ihr dieser auch so früh bewusst werde, dass sie es noch rechtzeitig auf die Toilette schaffe und ob sie merke, wenn die Hose nass sei. Auch Fragen zu weiteren Symptomen werden an beide Parteien ge stellt. Dabei werden die Patienten nach dem Vorhandensein von Husten und Schnupfen, Atemnot, Halsschmerzen, Jucken, Übelkeit, Durchfall und nach Fieber gefragt. Abgesehen von der Frage nach dem Fieber handelt es sich um direkt erfahrbare Symptome, die die Patienten am eigenen Leib verspüren
93 Da aber nur zwei Interaktionen vorliegen, in denen diese Frage realisiert wird, kann dies nur angenommen werden.
und die zum Teil auch nicht sichtbar sind, wie etwa die Übelkeit oder Hals weh. Andere Symptome, wie Schnupfen oder Husten, sind von der Umwelt erlebbar sowie auch Reaktionen auf die Symptome, wie das Kratzen einer juckenden Stelle. Aber auch das Ermitteln des Fiebers wird sicherlich in Ab sprache mit den Kindern ermittelt und nicht heimlich gemessen. Somit wer den die Kinder sicher auch über das Ergebnis der Messung informiert und können über diesen Sachverhalt Auskunft geben. Zu dem Abweichen von ei ner Normalform hinsichtlich der Körpertemperatur werden indes auch die Eltern befragt. Abgesehen von der Frage nach Durchfall oder Schnupfen, wer den die Eltern eher nach abstrakteren Symptomen gefragt, wie dem Stridor bei Atemwegserkrankungen, Schleim bei Husten, verklebten Augen oder der Lichtempfindlichkeit der Patienten. Die Eltern können das Laufen der Nase beobachten oder die Reaktionen, die etwa im Nasenputzen besteht, bemer ken, aber auch den Stridor oder das Abhusten von Schleim hören. Die ver klebten Augen können Eltern aus der Fremdperspektive sogar deutlicher er fahren als die betroffenen Patienten. Das Konzept von Lichtempfindlichkeit kann durch die Eltern in dem Sinne erfahren werden, dass sie beobachtet ha ben, dass die Kinder sich unter der Bettdecke verkriechen, einen Ort aufsu chen, der etwas dunkler ist, oder selbst eine Verdunklung herbeiführen oder wünschen. Diese Information wäre von den Kindern deutlich schwieriger zu erhalten, da das Konzept erst einmal erklärt werden müsste und die Anzei chen dafür auch erst definiert werden müssten.
Beide Gesprächsparteien werden jeweils zudem um Konkretisierung ge beten, die den eigenen Bericht oder den Bericht der anderen Gesprächspartei betreffen. Daneben werden verständnissichernde Fragen an den beschreiben den Gesprächspartner gestellt. In einem Fall werden beide Gesprächsbeteilig te gleichzeitig angesprochen, als der Arzt sich nach dem Vorhandensein eines Blutdruckmessgerätes erkundigt. Die jugendliche Patientin und ihre Mutter werden dabei von dem Arzt als Kollektiv angesprochen, wobei sie geduzt werden, womit naheliegend ist, dass in diesem Fall eher die Patientin ange sprochen ist, da die Mutter in dem Gespräch nicht geduzt wird. Es reagieren auch beide, aber die Patientin ist diejenige, die weiß, wer ein Blutdruckmess gerät, das sie sich ausleihen könnten, besitzt.
Neben den schon behandelten Symptomen werden die Eltern zu eigenen Beobachtungen befragt: die Beschaffenheit des Stuhls, des Hustens, das Aus sehen einer Hautirritation oder auch die mögliche Sichtung der vermuteten Würmer. Überdies erkundigt sich der Arzt bei den Eltern nach verabreichten Medikamenten, vorausgegangenen Untersuchungen bei einem anderen Arzt sowie der Krankheitsgeschichte der Patienten. Auch werden die Eltern nach kranken Klassenkameraden gefragt, wobei die Frage durch diese entweder an die Patienten weitergegeben oder zumindest mit den Patienten verhandelt wird. Des Weiteren werden die Eltern zu Rahmenbedingungen, wie dem Stockwerk, in welchem sie wohnen, der Stellung des Fensters im Kinderzim-
mer während der Nacht oder dem Gesamteindruck des Zustandes der Kinder gefragt.
Die Betrachtung der Fragen des Arztes zeigt, dass die Ärzte bestimmte Fragen jeweils mit den Eltern und bestimmte Fragen immer mit den Patienten klären. Nur wenige Fragen scheinen in Abhängigkeit des Alters der Patienten mit den Patienten oder den Eltern verhandelt zu werden. Rahmenbedingungen, abstrakte Konzepte, bestimmte Symptome, Beobachtungen der Symptomatik, der Krankheitsgeschichte, Untersuchungen bei einem anderen Arzt oder Op tiker sowie zur Medikamentenvergabe, die im Vorfeld stattgefunden haben, werden mit den Eltern abgeklärt, während die Patienten zu wahrnehmbaren Symptomen, dem Schmerzort, der Art der Schmerzen sowie der Intensität der Schmerzen, eine Besserung auf die von den Eltern verabreichten Medikamen te, der Dauer der Symptome, wenn es sich um eine akute Symptomatik han delt, aber auch Reaktionen auf die Schmerzen sowie Handlungen, die den Schmerzen vorausgehen, befragt werden.
Die Ärzte richten ihre Fragen also ganz nach dem Prinzip der Zuständig keit und nach der Vorstellung davon, von wem erwartet wird, dass eine ad äquate Antwort gegeben werden kann, an den entsprechenden Gesprächs partner (vgl. Quasthoff 1990 oder Stivers/Majid 2007). Ob die Patienten gerade besonders aktiv sind oder sich als kompetente Sprecher präsentiert haben, scheint somit nicht das entscheidende Kriterium für die Wahl des Adressaten bei den Fragen zu sein, sondern die Frage, die geklärt werden soll. Auch gibt es offensichtlich Fragen, die durchaus beide Parteien gleich zuverlässig beant worten können, wie etwa die Frage nach dem Vorhandensein von Schnupfen und der Beschaffenheit des Stuhls (fester Stuhl oder Durchfall). In sechs Ge sprächen des Analysekorpus erkundigt sich der Arzt nach Fieber. In den an deren zehn Gesprächen wurde auf die Körpertemperatur von Seiten der El tern oder der Patienten bereits eingegangen oder Fieber ist als Symptom nicht erwartbar, wie z.B. bei regelmäßig wiederkehrenden Kopfschmerzen oder Schmerzen beim Einatmen. In vier der Interaktionen werden die Patienten selbst nach dem Vorhandensein von Fieber gefragt. Die Patientinnen sind zwischen sieben und neun Jahre alt und der Frage nach dem Fieber ist min destens eine Frage vorausgegangen. In zwei Fällen haben die Patienten selbst die Beschwerdenschilderung übernommen, in zwei Fällen haben die Eltern die Beschwerdenschilderung bestritten. In drei Fällen haben die Patientinnen die Frage(n) zuvor selbstständig bearbeitet. In dem vierten Fall ist eine Unter stützungssequenz vorausgegangen. In einem Fall wird die Frage nur von der Patientin beantwortet, die Mutter hat die konditionelle Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) für die Patientin dadurch hochgestuft, indem sie selbst die Patientin nochmals zum Antworten aufgefordert hat. In einem anderen Fall hat die Patientin nicht auf die Frage geantwortet und in zwei Fällen haben die Eltern der Antwort der Patientinnen noch etwas hinzugefügt. In einem der beiden Fälle widerspricht der Vater der Patientin insofern, dass zwar keine
neuerliche Messung stattfinden konnte, aber es davor eine Messung gegeben hat, über die man Auskunft geben kann (vgl. Kap. 7). In dem anderen Ge spräch fügt die Mutter der Aussage der Patientin, der sie zustimmt, indem sie die Bewertung der Patientin wiederholt, noch das genaue Messergebnis hin zu (vgl. Kap. 7).
Um eine verlässliche Aussage zu treffen, liegen nicht genügend Interakti onen vor, allerdings kann man feststellen, dass in den Interaktionen, in denen die Fragen nach Fieber an die Eltern gerichtet werden, die beiden Kinder jün ger sind als die Patientinnen, die vom Arzt nach dem Vorhandensein von Fieber gefragt werden. Der Patient in APEG_33 ist vier Jahre alt und die Pati entin in APEG_06 ist fünf Jahre alt. Allerdings hat die fünfjährige Patientin dem Arzt zuvor auch signalisiert, dass sie sich momentan nicht in der Lage fühlt, Fragen zu beantworten und auch der Patient in APEG_33 hat, nachdem er dem Arzt eine Frage beantwortet hat, begonnen zu summen. Durch die nach folgende Ergänzung des Vaters wird eine Bewertung des erfragten Sachver halts dargestellt, da der Patient nur bestätigt hat, dass das Symptom vorliegt, aber nicht in welcher Intensität dieses auftrat. Die Ärztin stellt die nächsten Fragen an den Vater, der auch antwortet und mit der Beschwerdenschilde rung anstelle des Patienten fortfährt. Während dieser Schilderung durch den Vater beginnt der Patient zu singen und signalisiert der Ärztin damit, dass er sich im Moment nicht als aktiver Gesprächsbeteiligter versteht (vgl. Kap. 5). Die Ärztin stellt die Fragen in dieser Phase daraufhin auch nur noch an den Vater. Erst in der Phase der körperlichen Untersuchung stellt sie wieder eine Frage an den Patienten. In beiden Fällen, in denen die Eltern also nach dem Vorhandensein von Fieber gefragt werden, haben die Kinder dem behandeln den Arzt zuvor signalisiert, dass die Eltern (von einem bestimmten Zeitpunkt an) die aktiven Gesprächspartner darstellen und sie der Interaktion eher pas siv beiwohnen. Beide Patienten werden auch nach einer ersten Frage nicht nochmals in dieser Phase, sondern erst wieder in der Phase der körperlichen Untersuchung durch den Arzt befragt. Ob nun die Fragen aufgrund des Alters nicht an die Patienten gerichtet werden, ist demnach mehr als fragwürdig.
Auch kann man feststellen, dass bestimmte Fragen eher generell an die Patienten gerichtet werden, während andere Fragen eher mit den Eltern ver handelt werden. Auch das spricht nicht dafür, dass das Erfragte im Zusam menhang mit dem Alter des Patienten steht. Selbst wenn man prinzipiell da von ausgehen kann, dass die Patienten über das Messergebnis - wenn nicht über den genauen Wert, dann doch sicher darüber, ob Fieber festgestellt wur de oder nicht - informiert wurden und auch Auskunft darüber geben können, wird dies im Rahmen einer triadischen Gesprächssituation verhandelt. Die Eltern sind dabei und können Informationen, die die Patienten nicht geben, die aber für den Arzt relevant sind, noch ergänzen, denn es werden alle Punk te in dieser besonderen Kommunikationssituation immer vor einem Dritten verhandelt (vgl. Bauer 2009, S. 131). Es sind alle drei Gesprächsbeteiligten -
im Gegensatz zu gedolmetschter Kommunikation, zu der Sator und Gülich feststellen (vgl. Sator/Gülich 2013, S. 403),94 dass vermittelte Kommunikation dennoch als dyadisch einzustufen ist, weil die Dolmetscher-gestützte Kom munikation dem üblichen Arzt-Patient-Gespräch recht nahekommt - zu jeder Zeit des Gespräches ratifizierte Gesprächsbeteiligte (vgl. z.B. Goffman 1981,
S. 128). Demzufolge ist auch die gerade nicht adressierte Partei trotzdem rati fizierter Rezipient (ebd.). Aus diesem Grund ist auch der jeweils gerade nicht aktiv beteiligte Sprecher verpflichtet, etwas zu korrigieren, wenn ihm dies notwendig erscheint.s9
Exkurs: Reparaturen und Korrekturen
11
11
Reparaturen und Korrekturen tauchen nahezu in jedem Gespräch auf, denn kein Gespräch verläuft durchweg reibungslos. In den meisten Fällen werden diese jedoch nicht wahrgenommen, falls sie nicht besonders markiert werden. Für Kotschi 11 präsentieren [Korrekturen] insofern eine extreme Form der Wie deraufnahme, als der Sprecher mit ihnen nach der Formulierung von q eine völlige Abkehr von p zum Ausdruck bringen möchte" (Kotschi 2001, S. 1345). Als Reaktion auf den Artikel 11Th e preference for self-correction in the organisa tion of repair in conversation" von Schegloff/Jefferson/Sacks (1977), in welchem die Autoren dafür plädieren, von dem Begriff 11 Korrek tur" Abstand zu nehmen und empfehlen, stattdessen eher von Reparaturen zu sprechen, nennt Kotschi im Hinblick auf Korrekturen neben den Rephrasierungen und den Reinterpre tationen auch Reformulieren und filtert aus verschiedenen Untersuchungen zudem die 11 Aufteilung in die drei Gruppen der 'Ausdruckskorrekturen', der 'Formulierungskorrekturen' und der 'Inhaltskorrekturen"' heraus (vgl. Kotschi 2001, S. 1345-1348). Andere Autoren, wie etwa Auer, folgen jedoch der Begriffs empfehlung von Schegloff, Jefferson und Sacks (vgl. Auer 1999, S. 143). Auer führt an, dass es sich bei Reparaturen ja auch um 11 beliebige Elaborierungen, Detaillierungen oder Reformulierungen [handeln kann], deren Grund nicht un bedingt ersichtlich ist", wobei 11 Reparanda [...] nicht offensichtlich falsch sein [müssen]" (ebd.; Hervorhebung im Original). In Anlehnung an Schegloff, Jef ferson und Sacks wird im Folgenden ebenfalls der Begriff 11 Rep aratur" verwen det, da dieser nicht nur the replacemant of an 'error' or 'mistake' by what is 'correct'" einschließt, sondern etwa auch Phänomene, in denen neither contin-
94 Mit Bezug auf Traverso (2002, S. 91).
95 Reparaturen in triadisch-pädiatrischen Erstkonsultationen sind ein spannendes Untersu chungsfeld, da alle Gesprächsbeteiligten auf eine andere Art und Weise reparieren. Dabei unterscheiden sich die Reparaturen nicht nur auf der Oberfläche, sondern auch inhalt lich. In dem Analysekorpus von 16 Interaktionen befinden sich -wenn manvonSelbstre paraturen absieht - einige Fremdreparaturen, die die Eltern vollführen, einige Reparatu ren der Ärzte und auch ein paar Reparaturen der Patienten selbst. Dies kann in diesem Rahmen jedoch nicht weiter ausgeführt werden (siehe z.B. Winterscheid/Kook i.Vorb.).
gent upon error, nor limited to replacement" vorliegt (Schegloff!Jefferson/Sacks 1977, S. 363). Dazu gehört, dass etwas als Reparandum ausgemacht wird (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977). Anschließend erfolgt eine Reparaturinitiierung und die Durchführung der Reparatur, woraufhin eine Ratifizierung erfolgt (ebd.). So 11 erm öglichen es [Reparaturen], auch noch im zweitbesten Fall - quasi im zweiten Anlauf - Intersubjektivität herzustellen" (Auer 1999, S. 143). Für Reparaturen sind folgende Punkte entscheidend: zum einen der Grad der Re paratur, ob ein Sachverhalt grundlegend korrigiert, repariert, oder nur einge schränkt wird. So gibt es Realisierungsformen, in denen einer Aussage klar widersprochen und ein anderer Sachverhalt dargelegt wird, aber auch Fälle, in denen nur eine andere Gewichtung vorgenommen, eine Antwort oder ein Bei trag hoch- oder herabgestuft, ergänzt oder nur zum Teil korrigiert wird (vgl. Winterscheid/Kook i.Vorb.). Zum anderen ist auch die Art der Reparatur ele mentar. Es gibt Reparatursequenzen, in denen die Reparaturen markiert voll zogen, und andere, in denen die Reparaturen sehr zurückhaltend vorgenom men werden (vgl. ebd.).
Die Reparaturen in den triadisch-pädiatrischen Erstkonsultationen wer den in Abhängigkeit des Sprechers sehr unterschiedlich realisiert (vgl. ebd.). Beispielhaft soll eine Reparatursequenz präsentiert werden, in der die Mutter die Antwort der Patientin zwar nicht korrigiert, aber doch elaboriert und de tailliert und damit eine neue Definition des erfragten Zustands vorschlägt (Auer 1999, S. 143):
Fallbeispiel 22: APEG_34 (A-Pw6-M; ca. 11:56min); BE (00:19.29-01:59.94); 01:21.58-01:30.37
032 Ä 03 (1. 36) is es denn nach dem SAFT besser geworden hannah,
-
033 p 34 (0. 21) ja;
034 Ä 03 (0.32) ja-
035 Ä 03 (0.52) na bin ich ja FROH.
036 (0.59)
-
M 34 ja-=jetz has des
M 34 is es wieder en bisschen geKOMmen;=gell,
M 34 hast du geSAGT,
Ä 03 hmhm;
041 Ä 03 (0.22) <<piano> hmhm >;
In diesem Fall erkundigt sich die Ärztin bei der Patientin danach, ob die Ein nahme des Medikaments, welches ihr ihre Mutter im Vorfeld verabreicht hat te, eine Besserung zur Folge hatte (Z. 032). Dies wird von der Patientin ledig lich bejaht (Z. 033). Die Ärztin wiederholt die Antwort der Patientin, wobei sie diese z.T. prosodisch (Z. 034) nachahmt, und kommentiert den selbst ange sprochenen und von der Patientin bestätigten Zustand mit dem Verweis auf die eigene Freude darüber. Zwischen der Ratifikation und der Kommentie rung der Antwort der Patientin liegen jeweils kürzere Pausen und nach Ab-
11
schluss des Kommentars geht sie deutlich mit der Stimme herunter. Die Mut ter hätte also durchaus zu einem früheren Zeitpunkt eingreifen können, schaltet sich aber erst nach einer Pause von 0,59 Sekunden ein, indem sie zu nächst ebenfalls mit einem ja- (Z. 037) ansetzt und die von ihr als Reparan dum ausgemachte Bestätigung repariert, innerhalb der sie allerdings einen Satzabbruch vollzieht. Hier sieht man auch, dass das einleitende 'ja' im Vor Vorfeld keine Bestätigung einer vorhergehenden Aktivität darstellt, sondern vorrangig interaktive Funktionen auf der Ebene der Gesprächsorganisation erfüllt" (Meer 2007, S. 9). Jedoch ist die Besserung nicht per se das Reparan dum, das im Rahmen der Fremdreparatur der Mutter bearbeitet wird, son dern die anhaltende Besserung, die durch die einfache Bestätigung suggeriert wird. So definiert sie die Bestätigung der erfragten Besserung als eine dauer hafte Besserung und repariert diese Darstellung dann infolge der Reparatur als eine kurzfristige. Die in der Frage präsupponierten Inhalte stehen dem von der Tochter bestätigten Sachverhalt nicht gegensätzlich gegenüber. In beiden Ansätzen wendet sie sich an die Tochter, von der sie sich auch den erwähnten Sachverhalt mittels eines Frageanhängsels bestätigen lässt. Da durch dass die Frage an die Tochter adressiert ist, liegt die konditionelle Rele vanz bei der Tochter, die reagieren muss.% Dass sie die Tochter bei der Repa ratursequenz miteinbezieht, eine Bestätigung durch die Tochter verlangt und die Mutter im Prinzip nur auf eine Aussage der Tochter verweist und ihre epistemische Autorität (z.B. Heritage/Raymond 2005) anerkennt, ist für die Patientin in gewisser Weise rehabilitierend und faceschonend (siehe z.B. Brown/Levinson 1987, S. 65ff.; Goffman 1967). Nichtsdestoweniger lässt sie durch den Verweis auf den Zitatcharakter der Aussage eigentlich keine ande re Aussage der 11 Zeugin", die sie hier anführt, zu. Dadurch, dass die Mutter explizit darauf verweist, dass sie dies von der Tochter so gehört habe, kann die Patientin hier eigentlich keine andere Aussage machen, da sie sich damit selbst widersprechen würde. Damit wird die Antwort durch die Mutter kon trolliert und die Patientin kontrafaktisch in die Reparatursequenz der Mutter eingebunden. Nach dieser 11 inszenierten" Dyade (vgl. auch Kap. 8.5) erfolgen zwei Rückmeldesignale durch die Ärztin. Während sie jedoch auf die Ant worten der Patientin sehr expressiv und mit einer Bewertung reagiert, fällt hier eine Bewertung der reparierenden Aussage aus und die Rückmeldung ist auf ein Minimum reduziert. Damit wird die Patientin auch durch die Ärztin als primäre Quelle etabliert und ein Arbeitsbündnis mit der Patientin aufgebaut.
96 Trotz der Adressierung handelt es sich hier nicht um eine tatsächliche Frage an die Toch ter, sondern um eine Frage vor der Ärztin, die eine Information für die Ärztin enthält. Das ist schon allein am Wortlaut festzumachen, da die Mutter der Patientin gegenüber auch erwähnt, dass es sich hierbei nicht nur um einen Zustand handelt, der von der Mut ter angenommen, sondern von ihr selbst im Vorfeld so dargestellt wurde. Dieser Punkt wird in Abschnitt 8.5 genauer betrachtet.
13O Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
Die Reparatur findet damit gleichzeitig auf mehreren Ebenen statt. Die Mutter widerspricht zwar nicht der Tatsache, die von der Tochter bestätigt wurde, nämlich, dass auf den von ihr gegebenen Saft eine Besserung eingetre ten ist, berichtigt aber den von der Mutter angenommenen Schluss der Ärztin und auch die naheliegende Interpretation, dass dieser Zustand nun auch so fortbestehe. Durch die Reparatur manifestiert sie auch diesen Rückschluss auf eine dauerhafte (langanhaltende) Besserung, der sie widerspricht. Des Weite ren weiß sie aus ihrer Erfahrung mit Ärzten, dass Ärzte auch auf Ja-Nein Fragen mehr als eine einfache Bestätigung oder Verneinung erwarten und die Tochter diese Erwartung nicht erfüllt hat (vgl. Spranz-Fogasy 2010). Dass sie diese Annahme, die von der Mutter unterstellt wurde oder der sie vorbeugen will, repariert, hat jedoch noch einen weiteren Aspekt. So ist die Bestätigung der Tochter auch potenziell facebedrohend für die Mutter, da die Tochter durch ihre Aussage die Legitimation des Arztbesuches infrage gestellt hat (siehe z.B. Heritage/Robinson 2006), für den tendenziell die Mutter verant wortlich ist (vgl. Zwischenfazit in Kap. 5). Wenn der Saft zu einer Besserung geführt hat, ist eine Konsultation des Arztes nicht mehr unbedingt notwen dig. Eine Verschlechterung des Zustands nach einer vorausgegangenen Bes serung jedoch sehr wohl. Sie bestreitet damit nicht, dass tatsächlich eine Bes serung eingetreten ist, worüber die Patientin ja zweifelsohne auch die epistemische Autorität alleine innehat, aber sie berichtet dann noch von einer neuerlichen Verschlechterung, die nicht von ihr festgestellt, sondern von der Patientin selbst so angegeben wurde. Dabei verwendet sie aber auch eine Mo dalisierung und stuft die Reparatur damit nochmals etwas herab. Damit gibt es zwar eine Reparatur des Gesagten, aber die beschriebene Veränderung wird nicht als besonders stark beschrieben.
Dieser Einschub soll belegen, dass jede der Gesprächsparteien in einer triadi schen Gesprächssituation dazu aufgerufen ist, zu reparieren, wenn ihr dies notwendig erscheint und dem auch alle drei Gesprächsparteien nachkom men, selbst wenn dies hin und wieder zeitlich verzögert passiert. Damit kann die Wahl eines bestimmten Adressaten bei den verschiedenen Fragen tatsäch lich auf die Präferenz für Antworten zurückgeführt werden (vgl. Stivers/Ma jid 2007, S. 426)97, aber auch darauf, dass die Ärzte Fragen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Patienten diese selbstständig beant worten können, in dieser Phase eher an die Patienten adressieren, wohl wis send, dass die Eltern daneben sitzen und einerseits reparierend eingreifen und auch andererseits weitere Informationen nennen können, wenn dies not wendig erscheint. So hat etwa in APEG_17 die Patientin auf die Frage nach Fieber angedeutet, dass „ein bisschen" Fieber vorgelegen hat (vgl. Kap. 7).
97 Hierbei verweisen die Autoren auch auf die Studien von Clayman (2002) und Stivers/ Robinson (2006).
Diese Information scheint unbefriedigend, sodass der Arzt sich infolge bei der Mutter danach erkundigt, um welche Temperatur es sich nun gehandelt hat:
Fallbeispiel 23: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:11min); BB (00:06.51-01:00.69); 00:21.02-00:26.48
014 |
A |
02 |
°h (.) un hasch auch FIEber |
gehabt, |
015 |
P |
17 |
(0.91) BISSchen; |
|
016 |
M |
17 |
(.) BISS[chen- ] |
|
017 |
A |
02 |
[biss ]chen(.) wie |
[ab ] |
018 |
M |
17 |
|
[SIEbenund] |
|
|
|
dreißig, |
|
019 |
M |
17 |
so leicht erHÖHT; |
|
Auch wenn die Mutter hier bereits vor der Beendigung der Frage die zu erfra- gende Antwort liefert, kann man an dieser Interaktion sehen, dass der Arzt sofort nach der Beantwortung der Frage den Kopf zur Mutter dreht und sie bereits nonverbal als nächsten Sprecher auswählt:
Die Mutter antizipiert die Frage, die noch nicht abschließend realisiert wurde, und beantwortet die Frage im Sinne des Arztes. Dies ist eine Reaktion auf das Hinwenden des Arztes nach der Frage nach dem Vorhandensein von Fieber, woraufhin eine solche Frage erwartbar ist, und dem Ansatz.
Selbst wenn Fragen auch aufgrund der Anforderungen an unterschiedliche Gesprächsbeteiligte gerichtet werden, können Fragen zugleich dazu benutzt werden, einen anderen Gesprächsbeteiligten zu Wort kommen zu lassen, der jetzt gerade nicht aktiv war, z.B. wenn die Eltern die Beschwerdenschilderung übernommen haben. Dies geht dann oftmals mit einer expliziten Namensnen- nung einher.
So hat etwa in APEG_09 die Mutter die Beschwerdenschilderung über- nommen. Der Arzt hat lediglich einen kurzen Kommentar realisiert und die Mutter ansonsten nur mittels Rückmeldesignalen in ihrer Sprecherrolle bestä- tigt. Nachdem die Mutter andeutet, mit der Beschwerdenschilderung schlie-
ßen zu wollen, formuliert er seine erste Frage explizit an die Patientin, indem er die Frage direkt an die Patientin adressiert und zudem ihren Namen nennt.
Fallbeispiel 24: APEG_09 (A-Pw7-M; ca. 6:16min); BE (00:12.01-00:54.20); 00:30.77-00:41.66
016 M 09 [oh l ( o.21) un gleichzeitig hat se aber auch en andern SAFT ( .) angefangen zu trinken;
017 A 02 ( .) HMhm.
M 09 ( .) ((schmatzt)) jetzt weiß ich NICHT-
-
-
-
M 09 also JUcken tut s nicht; 020 A 02 oh ( .) juckt s NET inara, 021 p 09 (0.27) mhM[H, l
A 02 [N ]EE-=gut.
A 02 ( .) FIEber hasch auch keins ghabt;
Die Mutter hat den Arzt, ohne darauf zu verweisen, woher sie diese Informa tion hat, bezüglich des Fehlens eines erwartbaren Symptoms informiert (Z. 019). Aber bei dem Hinweis auf das Symptom dreht die Mutter den Kopf zur Patientin und spricht zudem etwas leiser, wodurch sie die Patientin als Autorin der Information stilisiert.
Es ist wahrscheinlich, dass die Patientin ihr mitgeteilt hat, dass die Hautirritati on nicht von einem Juckreiz begleitet wird. Gleichzeitig könnte sie auch beob achtet haben, dass die Patientin nicht an den betroffenen Regionen kratzt. Der Arzt erkundigt sich daraufhin bei der Trägerin der epistemischen Autorität (vgl. Heritage/Raymond 2005 oder das Zwischenfazit in Kap. 5) nochmals da nach (Z. 020). Denn die Patientin ist die einzige, die wirklich Auskunft darüber geben kann, ob ein Juckreiz vorliegt. Die Verwendung des Namens kann dazu eingesetzt werden, ,,die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners" - also der Angesprochenen - zu „wecken" (Spiegel 1995, S. 73). In diesem Fall wird da durch die Patientin aktiviert, die gerade nicht verbal aktiv beteiligt war. Auf die Frage, die von der Patientin beantwortet wird, formuliert der Arzt eine weitere Frage an die Patientin, mit der dieses Mal keine Namensnennung einhergeht (Z. 023). Das erscheint an dieser Stelle des Gesprächs nun auch nicht mehr not wendig, da die Patientin bereits als diejenige Gesprächspartnerin bestimmt wurde, die ihm seine Fragen beantworten soll und nun aktive Sprecherin ist.
Noch deutlicher ist es in den Fällen, in denen eine „Umadressierung" eine Frage betreffend stattfindet:
Fallbeispiel 25: APEG_32 (A-Pw7-M; ca. 7:34min); BE (00:54.69-01:49.61); 01:32.84-01:40.09
045 M 32 0 h ]w[obei ICH denk-=
046 |
Ä 03 |
[KOMM wir |
][gucken mal, |
047 |
M 32 |
|
[=sie war ja auch ]total |
|
|
SCHLAFtrunken;= |
|
048 |
M 32 |
=irgend[wann denk ]ich können DIE des auch gar nich [mehr so richtich auseinanderhalten- |
|
049 |
Ä 03 |
[jaja |
|
050 |
Ä 03 |
[war sie denn heute auf TOilette sch ]on gew[esen, |
|
051 |
M 32 |
[oh |
|
052 |
Ä 03 |
has du heut schon mal Pipi gemacht finja, |
Die Mutter hat im Rahmen der Beschwerdenschilderung davon berichtet, dass die Patientin darüber geklagt hat, dass diese u.a. Beschwerden beim pipi MACH]en; (Z. 042) habe. Daneben erwähnt sie erste Maßnahmen und geht auf subjektive Krankheitstheorien (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013; Birkner 2006 und Kap. 9) ein. Die Patientin hat sich währenddessen nicht aktiv an der Beschwerdenschilderung beteiligt. Sie hat sogar durch Summen und Singen angezeigt, dass sie davon ausgeht, dass von ihr eine andere Beteiligung nicht erwartet wird (vgl. hierzu auch Kap. 5). Die Mutter gibt weiterhin an, dass die Patientin ihr gegenüber mitgeteilt hat, dass das Medikament für keine Erleichterung gesorgt hat, sie von der Wirkungslosig keit aber nicht völlig überzeugt ist. Die Aussage, wonach die Patientin auf das Medikament angeblich nicht angesprochen haben soll, wird durch die Mutter dadurch in Zweifel gezogen, dass sie erklärt, dass die Patientin zum Zeit punkt der Aussage übermüdet war und wie alle Kinder, die SCHLAFtrunken (Z. 047) sind, des auch gar nich [mehr so richtich auseinanderhalten-(Z. 048) kön nen. Damit spricht sie ihr für diesen Moment die epistemische Autorität (vgl. Heritage/Raymond 2005) über die Einschätzung ihrer eigenen Beschwerden ab. Daraufhin erkundigt sich die Ärztin zunächst bei der Mutter danach, ob denn heute schon ein Toilettengang stattgefunden hat. Obgleich die Mutter am Ende der Intonationsphrase deutlich einatmet und damit signalisiert, dass sie gewillt ist, diese Frage zu beantworten, stellt die Ärztin die Frage nun er neut an die Patientin, in diesem Fall jedoch mit Nominalisierung. Der Adres sat dieser Frage wird geduzt, sodass sofort deutlich wird, dass die Patientin adressiert wird, aber die Korrektur der Adressatin wird durch die Namens nennung zudem hervorgehoben. Bei der Umformulierung der Frage wird auch das Fragedesign angepasst (vgl. z.B. Hartung 2001, S. 1352): Die Ärztin erkundigt sich bei der Patientin nicht mehr danach, ob sie vor dem Arztbe such schon aufTOilette (Z. 050) gewesen ist, sondern ob sie heut schon mal Pipi gemacht (Z. 052) hat. Dadurch präzisiert sie ihre Frage einerseits, denn sie er kundigt sich nicht nur nach einem Toilettengang, sondern erfragt zudem, was die Patientin dort gemacht habe. Andererseits ist ein Toilettengang auch ab-
strakter. Dies dürfte jedoch von der Patientin trotzdem verstanden werden. Sie nimmt also eine Präzisierung bei der Umformulierung der Frage vor so wie eine Umadressierung der Frage. Es handelt sich dabei allerdings nicht nur um eine Selbstreparatur, sondern auch um eine Fremdreparatur (vgl. z.B. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977). Sie repariert damit den Zustand, dass die Mutter die Sprecherrolle während der Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration gänzlich übernommen hat. Zudem wider spricht sie damit auch der Einschätzung der Mutter, die der Patientin zumin dest temporär die epistemische Autorität bezüglich der temporären Einschät zung der Symptomatik abspricht, indem sie die Patientin auswählt und ihr damit die epistemische Autorität zumindest für das am heutigen Tag Gesche hene zugesteht sowie die Einschätzung bezüglich der Symptomatik am heu tigen Tag. Damit negiert sie zwar die Einschätzung der Mutter nicht direkt, unterstellt der Patientin aber für den jetzigen Zeitpunkt die epistemische Au torität über ihre eigenen Beschwerden.
Auch in APEG_03 wird die Namensnennung zu diesem Zweck eingesetzt. Hier ist der Namensnennung jedoch eine Frage an die Patientin vorausgegan gen, die nicht von der Patientin beantwortet wurde. So wohnt dieser Namens nennung auch eine Reparatur an der Turnübernahme durch den Vater inne (vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen).
Fallbeispiel 26: APEG_03 (A-Pw3-M/V/S; ca.27:02min); BE-Teil 2 (08:13.44-10:02.15);
08:13.44-08:37.29
001 A 01 SO-=has du- s geSCHAFFT-
002 p- 03 ( 1. 0)
003 A 01 war - s Nötig? 004 p- 03 (0.41)
V 03 joa des war jet also wieder mal (0.68) [so wie- s SEIN soll-=ne-
M 03 [na JA wenn- s-
007 (0.3)
A 01 gu[t;
V 03 [so ]gar geHALten die ganz e zei[t-
A 01 [j Ja-
011 (0.56)
V 03 und ( .) HM?
V 03 ( .) (lass darf ich dann)
A 01 du camilla wie is es dann-= 015 A 01 =merkst du- s AUCH?
016 p- 03 (1. 57)
017 A 01 wann du zur toilette musst IMmer? 018 p- 03 (1.71)
A 01 nich IMmer-
A 01 ( .) wie is des DENN;
021 P 03 (1.54)
022 A 01 kommt das denn ganz PLÖTZlich,
Die Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration wurde demnach bisher nur zwischen den erwachsenen Parteien verhandelt, die auch durch den Arzt dazu aufgefordert wurden, die Beschwerdenschilderung zu über nehmen. Sechs Minuten nach Beginn der Interaktion meldet sich die Patientin mit dem Hinweis darauf, dass sie auf die Toilette muss, und verlässt anschlie ßend mit dem Vater das Zimmer, um die Toilette aufzusuchen. Der Arzt wen det sich nach dem Weggang der Patientin der Therapieplanung zu und unter bricht diese, um zur Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration zurückzukehren, als die Patientin wieder anwesend ist. Als die Patientin nun jedoch nicht verbal auf die Frage des Arztes reagiert,98 die an sie adressiert wurde und der Vater sich schließlich anstelle der Patientin zu Wort meldet, insistiert der Arzt mit Hilfe der Namensnennung, um den Eltern zu signalisie ren, dass nun die Patientin antworten soll. Der Arzt verweist nun durch die Namensnennung und das vorangestellte du (Z. 014) darauf, dass er zur Klä rung der nächsten Frage eine Antwort der Patientin erhalten möchte. Er beugt sich vor und blickt bei den nachfolgenden Fragen jeweils die Patientin direkt an. Er wartet darüber hinaus jeweils bis eine Reaktion der Patientin erfolgt. Deren Reaktionen sind jedoch fortlaufend nonverbal. Die Eltern halten sich nach der Frage des Arztes mit vorangestellter Namensnennung allerdings zu rück und reagieren erst wieder, als der Arzt sie direkt anspricht, auch wenn die Patientin jeweils erst nach recht langen Pausen reagiert und das auch nur nonverbal.
Die nominale Adressierung wird zumeist dann eingesetzt, wenn ein Spre cher - vorwiegend der Patient - aktiviert werden soll, der gerade nicht aktiver Sprecher ist. Dieses Mittel erfolgt jedoch in der Regel nicht losgelöst von an deren Mitteln. Unterstützt wird eine solche Aktivierung generell durch die nonverbale Hinwendung des Arztes zum Patienten, die üblicherweise darin besteht, dass er den Blick nicht von dem Patienten löst und sich entweder deutlich sichtbar vorbeugt oder zum Patienten hindreht. Weiterhin wird die Stimmvarietät (vgl. Bose/Kurtenbach 2014, S. 146) angepasst und der Adres satenzuschnitt sowie die pronominale Form unterstützen die Adressierung zusätzlich.
So kann der Arzt durch die Adressierung die Beteiligung der Gesprächs beteiligten in gewisser Weise steuern. Ferner gibt es auch Verfahren, mit de nen sich die Gesprächsbeteiligten gegenseitig aktivieren. Beispielsweise schafft das kollektive Wir Raum für den anderen Gesprächsbeteiligten, der
98 Da sich jedoch die beiden Gesprächsbeteiligten gerade erst wieder an den Platz bewegen und der Vater die Patientin simultan zu den beiden Fragen verdeckt, indem er sich zwi schen die Kamera und die Patientin schiebt, kann man leider zu diesem Punkt die Hal tung der Patientin nicht verfolgen.
gerade verbal nicht aktiv ist, nimmt den jeweils Anderen aber auch stärker in die Pflicht, etwas anzufügen, wenn er dieser Aussage nicht gänzlich zustimmt.
Gerade der Einsatz bestimmter 11 Personalpronomen", die den Anderen mit berücksichtigen, wie das 11 kollektive Wir", belegt, dass für die einzelnen Ge sprächsbeteiligten die triadische Situation immer präsent ist (vgl. Fischer 2000, S. 125). Elias postuliert:
Es gibt kein „Ich" ohne „Du", ,,Er" oder „Sie" ohne „Wir", ,,Ihr" oder „Sie". Man sieht, wie irreführend der Gebrauch solcher Begriffe wie ,,Ich" oder „Ego" unabhängig von den anderen Positionen im Beziehungsgeflecht ist, auf die die übrigen Fürwörter hinweisen.
In der Tat ist der Satz der persönlichen Fürwörter der elementarste Ausdruck für die fundamentale Bezogenheit jedes Menschen auf andere, für die fundamentale Gesellschaftlichkeit jedes menschlichen Individuums. (Elias 2009[1970], S. 134)
Daneben hat das kollektive Wir auch eine aktivierende Funktion (vgl. auch Bauer 2009, S. 127). Ähnlich wie bei der Beispielanalyse zu APEG_13 (vgl. Fallbeispiel 2/Kap. 5) verwendet die Patientin in APEG_04 ein kollektives Wir, als sie angibt, dass neben ihr auch das sie begleitende Elternteil, eventuell sogar beide Elternteile, keine Aussage treffen können, ob bei ihr eine Körper temperatur vorliegt, deren Einstufung unter das Symptom Fieber fallen wür de (vgl. Fallbeispiel 10):
Fallbeispiel 27: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:33.08-00:52.33
026 A 02 ( .) 0 hh ho un war auch FIEber,
027 (0. 59)
028 V 04 oh
029 (0. 87)
p 04 das WIS[sen wir nich un]ser thom (0.3) [thermoME:ter
( .) 0 h halt
0
A 02 [ hh
032 |
A |
02 |
|
[((lacht)) |
033 |
A |
02 |
oh |
|
034 |
p |
04 |
(0. 31) äh:- |
|
035 |
p |
04 |
( .) is die batterie LEER. |
|
036 |
A |
02 |
(0.4) gut. |
|
037 |
A |
02 |
( .) oh ho |
|
V 04 na ja also l ( .) die letzte messung ergab SIEbenundreißig komma eins-=
V 04 =des war WANN,
p 04 (0.68) hm-=das WEISS ich nich;
Kollektives Wir 137
V 04 (0.36) 0 h ][weil ]begleitend ham wir nämlich noch(.) DIEse woche,
042 A 02 GU ] [T.
Die Patientin gibt an, nicht im Stande zu sein, auf die Frage des Arztes ant worten zu können und schließt andere Personen, aber auf jeden Fall den an wesenden Vater, mit ein. Hierfür nennt sie auch eine Begründung. Der Arzt signalisiert (Z. 036), dass er sich mit dieser Antwort zufriedengibt und dieses mögliche Symptom nicht weiterverfolgen wird; bevor er dann jedoch die nächste Frage stellen kann, schaltet sich der Vater ein (Z. 038), der die Aussage seiner Tochter nicht in Zweifel zieht, aber sie insofern repariert (vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen in Kap. 8), dass keine Informationen bezüg lich der Körpertemperatur vorliegen. Die ihm bekannte Information fügt er an und bezieht auch die Patientin mit ein, die er zur Angabe des Datums be fragt, da ihm dieses gerade nicht präsent sei. Er korrigiert dabei nicht die vor her getätigte Angabe, fügt dieser aber etwas hinzu und repariert damit die Darstellung in wenigen Punkten (vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrektu ren): So verweist er auf eine vorausgegangene Messung, die in dem Zeitraum stattgefunden haben muss, in dem die Symptome schon vorlagen, sonst wür de es sich nicht um eine relevante Information handeln. Da die Symptomatik laut der Patientin bisher nur ein bis zwei Tage besteht, muss die Messung in diesem Zeitraum erfolgt sein (vgl. auch Fallbeispiel 10). Dass hier kein Fieber festgestellt wurde, ist relevant bei der Frage nach Fieber, da wegen der zeitli chen Nähe zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin kein Fieber vorliegt, ein Vorhandensein von Fieber aber eher unwahrscheinlich erscheint, zumal die Messung sicher durchgeführt wurde, als bereits Beschwerden vorgelegen haben und diese durch die Pati entin auch thematisiert wurden. Somit wird dem Eindruck vorgebeugt, dass es hier nur eine erfolglose Messung gegeben hat. Der Verweis auf die letzte Messung und das Messergebnis widerlegen auch das völlige Nichtwissen be züglich dieses Symptoms. Nachdem der Vater auf diesen Punkt eingegangen ist, übernimmt er das Rederecht und bringt nun noch eine weitere Beschwer de zur Sprache, auf die die Patientin nicht eingegangen ist (Z. 041).
Ähnlich wie bei APEG_04 verhält es sich auch bei APEG_l5. Auch hier wird der anwesende Vater durch den Patienten aktiviert, der das kollektive Wir verwendet, als er davon berichtet, warum ein Besuch in der Praxis erfolgt:
Fallbeispiel 28: APEG_15 (A-Pm5-V; ca. 6:15min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:33.08-00:52.33
010 P 15 =und (.) wir ich hab jetz ein WURMmittel bekommen Oll P 15 das hat aber 0 hh (.) nich geWIRK[T-
012 A 02 [0 h
013 P 15
014 A 02
015
016 V 15
017 A 02
deswe[gen sind wir N]OCH mal hier-
[h O l
( 0. 4)
geNAU;
0 hh (0.49) äh:: h0
und]
018 |
V |
15 |
(.) die SALbe konnten wir auch nich nehmen |
019 |
V |
15 |
(0.35) WEIL äh- |
020 |
V |
15 |
(.) er sachte die BRENNT so arg; |
021 |
|
|
( 0. 35) |
022 |
P |
15 |
HMhm, |
In diesem Fall lässt sich der Vater ebenfalls durch das kollektive Wir aktivie ren, bekräftigt aber nur die Darstellung des Patienten (Z. 016). Er ergreift nach einer längeren Pause dann das Wort und fügt noch eine Information an, die der Patient im Rahmen der bisherigen Beschwerdenschilderung noch nicht erwähnt hatte (Z. 017-020). Auch er verwendet im Übrigen das kollektive Wir, womit er nun ebenfalls den Patienten aktiviert (Z. 022), der dann das vom Vater Dargestellte bestätigt. Zusätzlich führt er den Patienten auch als Autor der Aussage an.
In ähnlicher Weise setzt die Mutter das kollektive Wir in APEG_34 auf die Frage der Ärztin ein und verweist auf gemeinsames Wissen, wobei sie ver mutlich die Patientin miteinschließt:
Fallbeispiel 29: APEG_34 (A-Pw6-M; ca. 11:56min); BE (00:19.29-01:59.94); 01:30.37-01:59.74
042 |
Ä |
03 |
((schmatzt)) 0 h (.) geht in ihrer KLASse. |
043 |
Ä |
03 |
sin da viele INfek[te, |
M 34 [((schnalzt)) 0 h
Ä 03 ham se was
M 34 ähm h0
]geHÖRT,
Ä 03 (0.39) weil wir merken s schon in den letzten
t[agen wieder das ]s die inf[ekte KOMmen,]
P 34 [((schnieft)) ]
M 34 [also wir WI]
[Ssen dass
Ä 03 [un auch die (.) GRÖS]Seren nich [nur die ganz KLEI] nen;=[ne-]
051 M 34
052 M 34
[hm hm-
[0h ](.) also wir wissen dass EIN anderes ki:nd (.) ist auch KRANK-
M 34 ich glaub die hatte auch FIEber-
M 34 (0.23) 0 h ein ANde[res war auch (nich)
055 P 34
M 34 naDINE,
M 34 oder?
[du meinst na ]DINE?
Kollektives Wir 13g
058 |
p 34 - |
(0.73) |
059 |
M 34 |
die war GESter[n auch nich d]a;=gell, |
060 |
Ä 03 |
[hmhm; |
061 |
M 34 |
die war ZWEI tage jetz schon nicht da |
062 |
M 34 |
also nehm ich an dass sie F[IEber hat; |
063 |
Ä 03 |
[hmhm; |
064 |
p 34 - |
unt (.) aNNA war nur an einem tag nich d[a; |
065 |
M 34 |
[ja=] aber anna hatte BAUCHschmerzen hannah- |
066 |
M 34 |
ich glaub [des war was ANde]res; |
067 |
Ä 03 |
[((Lachansatz)) |
Auf die Frage der Ärztin nach Krankheitsfällen in der Klasse, für deren Beant wortung die Ärztin die Mutter ausgewählt hat, reagiert diese mit einem Hin weis auf gemeinsames Wissen. Durch die Nachdoppelung der Ärztin setzt die Mutter ein zweites Mal an und markiert damit die erste Reaktion als Un terbrechung (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 270). Dabei behält sie auch beim zweiten Ansatz die Formulierung mit kollektivem Wir bei. Sie führt an, dass ihnen ein Fall bekannt sei, bei dem angenommen werden kann, dass auch hier ein Infekt vorliege und darüber hinaus auch ein weiterer Fall bekannt sei, bei dem möglicherweise auch ein Infekt vorliegen könnte (Z. 052- 054). Bevor sie die Informationen bezüglich dieses zweiten Falls präsentieren kann, erkundigt sich die Patientin danach, welche Schulkameradin die Mutter meint und schlägt ihr auch gleich eine Schulkameradin vor (Z. 055). Die Mut ter bestätigt die Vermutung der Patientin. Somit kann man nachvollziehen, dass tatsächlich kollektives Wissen vorliegt (Z. 056-057), denn auch die Pati entin hätte diesen Fall angeführt. Daraufhin präsentiert die Mutter gegenüber der Ärztin die Indizien (Z. 059/061/062), welche für einen Infekt sprechen könnten. Sodann schlägt die Patientin noch eine weitere Schulkameradin vor, die vom Unterricht ferngeblieben ist (Z. 064). Durch das kollektive Wir hat die Mutter, die von der Ärztin als Adressatin ausgewählt wurde, um die Frage zu klären, die Patientin aktiviert, die sich fortan einbringt. Die Patientin erfragt die Details dieser Antwort und signalisiert damit, dass sie mitarbeitet oder mitarbeiten will. Nachdem dieses Detail geklärt ist, beteiligt sich die Patientin weiterhin an der Beantwortung der Frage, die eigentlich nicht an sie adres siert worden war. Die Mutter reagiert sofort und erklärt ihr, dass diese Klas senkameradin nicht in die Aufzählung gehört, da diese wegen eines anderen Symptoms, das auf ein anderes Krankheitsbild schließen lässt, zu Hause ge blieben ist (Z. 065). Dadurch hat sie gezeigt, dass sie für eine solche Frage tatsächlich der richtige Ansprechpartner ist, da sie sowohl von den Kindern weiß, die nicht am Unterricht teilgenommen haben, wie auch zum Teil von den Krankheiten oder Symptomen, die die Kinder zum Fernbleiben vom Un terricht gezwungen haben, obgleich die Patientin ja ebenfalls über die In formation verfügt, welche Kinder nicht anwesend waren. Dass hier die mit
Arzt-Patient-Gesprächen erfahrenere Gesprächsteilnehmerin angesprochen wurde, zeigt auch die Aushandlung dieses zweiten Namens sowie der Lach ansatz der Ärztin (Z. 067), da es bei dieser Aufstellung nicht darum ging, alle Krankheitsfälle zu nennen, wie die allgemeine Frage vermuten ließ, sondern eine Aufstellung davon gewünscht war, welche Klassenkameraden noch von dieser Erkältungswelle betroffen sind/sein könnten.
Mit Hilfe des kollektiven Wirs der Mutter und der epistemischen Autori tät, die die Mutter ihr in diesem Falle zugesprochen hat, wird die Patientin aktiviert. Sie versucht, ihre Mutter bei der Beantwortung der Frage zu unter stützen, nachdem sie sich erst einmal mit der Nachfrage auf denselben Stand mit der Mutter gebracht hat, wobei sie auch schon hier gezeigt hat, dass sie bereit ist, die Frage mit der Mutter gemeinsam zu beantworten.
Der Einsatz des kollektiven Wir durch Patienten und Eltern dokumentiert einerseits die triadische Struktur und zieht andererseits jeweils eine Aktivie rung des Patienten oder des Elters nach sich. Somit belegen auch diese Beob achtungen, dass man pädiatrische Gespräche nicht als phasenweise dyadisch behandeln kann, wie dies beispielsweise Cahill und Papageorgiou (vgl. z.B. Cahill/Papageorgiou 2007, S. 910) postuliert hatten (vgl. auch Tates/Meeuwe sen 2001, siehe auch Kap. 1.2 und Traverso 2002).
11
Das kollektive Wir wird jedoch nicht nur von Patienten und Eltern einge setzt, auch die Ärzte verwenden es. Zu dem Einsatz des kollektiven Wir durch 11 Agenten" (vgl. Ehlich/Rehbein 1980) der Institution gegenüber Patienten wurden schon verschiedene Beobachtungen festgehalten, siehe etwa Sach weh (2000, S. 308f.). Deswegen wird an dieser Stelle nur sehr knapp darauf eingegangen. Es handelt sich darüber hinaus auch nicht um ein Phänomen, das man vornehmlich in der triadischen Kommunikation findet. In pädiatri schen Interaktionen wird das kollektive Wir z.B. systematisch bei der Überlei tung zur Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung ein gesetzt. Analog zur Pflegesituation, in der das 11 solidarisch[e] wir" dazu eingesetzt wird, um 11 die Gemeinschaftlichkeit der Pflegehandlung" hervor zuheben, welches tatsäch lich beide Interagierenden" (ebd., S. 197)99 mitein schließt, beschreibt das kollektive Wir an dieser Schaltstelle eine Ankündi gung zu einer gemeinsamen Handlung, die nun im Folgenden durch den Arzt und den Patienten durchzuführen ist. Auch wenn der Ausführende der Arzt ist, ist dieser dennoch auf die Mitarbeit des Patienten angewiesen, der den Aufforderungen des Arztes nachkommen muss und für die Lokalisie rung des Schmerzortes etc. zuständig ist. Zum anderen kann es die Angst nehmen, wenn man die Patienten als Beteiligte der nun folgenden Hand lungsschemakomponente einführt. Damit unterscheidet sich der Einsatz nicht unbedingt von dem Einsatz in nicht-pädiatrischen Interaktionen. Aller dings kann in der triadisch-pädiatrischen Kommunikation das kollektive Wir
99 Sachweh verweist hier auch auf Baßler (1996, S. 65).
Kollektives Wir 141
mitunter zweierlei leisten: Während der Patient in die Pflicht genommen wird, die Untersuchung gemeinsam mit dem Arzt zu bestreiten,100 grenzt das vom Arzt eingesetzte kollektive Wir die andere Partei aus, etwa bei der Auf forderung zur Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersu chung überzugehen. Verstärkt wird dies überdies durch den Ortwechsel, den Patienten und Ärzte infolgedessen vollziehen.
In APEG_17 stellt der Arzt beispielsweise eine Frage an die Patientin, die die Patientin nur nonverbal beantwortet und die durch die Mutter dann im An schluss verbal beantwortet wird, wobei sich diese Antwort mit der Sicherung des Ergebnisses überlappt. Anschließend informiert der Arzt die Patientin da rüber, dass nun die körperliche Untersuchung folgen wird und fordert sie zu deren Vorbereitung auf:
Fallbeispiel 30: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); BE (00:06.51-01:00.69); 00:39.32-00:54.68
038
039 |
A 02
p 17 - |
(.) hm ja-=un hasch auch des gefühl gehabt du musch BRECHen, (0. 77) |
|||
040 |
A 02 |
[ja. l |
|||
041 |
M 17 |
[ja- l |
|||
042 |
A 02 |
(.) gut; |
|||
043 |
A |
02 |
(.) |
0 h |
(.) A:Lso (.) jetz müss mer mal gucken;=querida, |
044 |
A |
02 |
jetz musch du mal deinen (.) pulli ausZIEHN- |
||
045 |
A |
02 |
(.) setsch dich da NAUF- |
||
046 |
|
|
(5. 89) |
Da der Arzt die Patientin - sogar mit einer nominalen Adressierung - direkt anspricht, wird deutlich, dass die Patientin ein Teil des kollektiven Wirs dar stellt, während die Mutter nicht zwangsläufig angesprochen wird. Wenn der Arzt die Patientin direkt anspricht, wird die Mutter sogar eher ausgegrenzt. Dass der Arzt die Patientin hier mit Namen anspricht, kann eine Reaktion darauf sein, dass die Mutter sich zuvor auch dann aktiv beteiligt hat, wenn die Patientin nach Symptomen gefragt wurde, und etwa auch die vorausge gangene Frage an die Patientin, auf die die Patientin nur nonverbal reagiert hat, mitbeantwortet hat. Doch auch wenn die nominale Anrede wegfällt, wis sen die Gesprächsbeteiligten zumeist aufgrund ihrer Erfahrung, dass es im Folgenden zu einer „Interaktionsdyade" (Schmitt 2012, S. 45) zwischen dem Arzt und dem Patienten kommt und die Eltern in der Phase der körperlichen Untersuchung nicht zwangsläufig beteiligt sind (vgl. auch Spanz-Fogasy/ Winterseheid i.Ersch.) Die Eltern werden aus diesem Grund auch explizit hin zugeholt, wenn der Arzt ihnen etwas zeigen möchte, womit zumeist dann schon die Diagnosemitteilung vorbereitet wird.
100 Auch hier handelt es sich also um die Aktivierung einer Partei.
Mehrfachadressierung als strategisches Mittel
Neben den Aufgaben, die auf die einzelnen Gesprächsparteien in einem tria dischen Gespräch beim Kinderarzt zukommen, gibt es auch einige Strategien, die die Gesprächsparteien nur in dieser besonderen Gesprächssituation ein setzen können. Bestimmte Phänomene, wie das Sprechen übereinander, sol len an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, da dies z.B. Schwabe für einen Interaktionstyp im Rahmen der pädiatrischen Kommunikation, aber auch Sator sowie Sator und Gülich für gedolmetschte Arzt-Patient-Kommunikati on bereits dargestellt haben (vgl. z.B. Schwabe 2006a; Sator 2013; Sator/Gülich 2013). Solch eine 11 Doppelrolle" berücksichtigt Goffman bei seinen 11 Partizipa tionskategorien", wenn 11 über ein Mitglied des Interaktionsensembles gespro chen wird (vgl. Bauer 2009, S. 126).101
Im Folgenden soll es um zwei Strategien gehen, welche in den pädiatrischen Gesprächen mehrfach eingesetzt werden und auch nur aufgrund der Beteili gungsstruktur eingesetzt werden können.
So wie im Fallbeispiel 18 wird auch in APEG_17 eine Äußerung als die Äußerung eines Anderen behandelt:
Fallbeispiel 31: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); kU (01:15.10-03:31.68) 01:15.10-01:23.82
001 A 02 0 h was hasch_n geGESSe heut morge,
002 |
M 17 |
(.) ((schmatzt)) [GAR ni]x ((Lachansatz)) |
003 |
p 17 - |
[nix |
004 |
A 02 |
NIX gegessen; |
005 |
A 02 |
(.) un geTRUNke, |
006 |
p 17 - |
( 0. 32) |
007 |
M 17 |
WASser; |
008 |
|
( 0. 45) |
009 |
M 17 |
en BISSchen,= |
010 |
M 17 |
=aber ganz WEnich- |
011 |
A 02 |
(.) WASser hasch [getrunken; |
012 |
M 17 |
[HIER nu ] [r; |
013 |
A 02 |
[(wart); |
Nachdem der Arzt die Patientin gebeten hat, sich für die Untersuchung vor zubereiten, hat die Mutter noch ein Symptom erwähnt, von dem bisher nicht berichtet wurde. Der Arzt reagiert darauf, indem er sich, als er sich von seinen Notizen der Patientin zuwendet, nach den Lebensmitteln und Getränken er kundigt, die die Patientin am heutigen Tag zu sich genommen hat. Auf die erste Frage antworten die Mutter und die Patientin simultan (Z. 002/003). Auf die zweite Frage reagiert nur noch die Mutter, die angibt, dass die Patientin bisher lediglich WASser; (Z. 007) zu sich genommen hatte. Die Antwort wird
101 Bauer bezieht sich auf Goffman (1981).
noch weiter präzisiert, insofern als sie noch Mengenangaben ergänzt. Der Arzt beendet diese Aushandlung, indem er sich an die Patientin wendet und ihr gegenüber festhält, dass sie heute nur WASser (Z. 011) zu sich genommen hat. Damit wendet er sich einer anderen Untersuchung zu, behandelt aber die Antwort der Mutter und deren Nachdoppelungen als die Aussage der Patien tin, wobei er die epistemische Autorität der Patientin unterstreicht, die ihm über diesen Sachverhalt Auskunft geben kann. Außerdem unterstreicht er mit dieser Behandlung die Interaktionsdyade, die er mit der körperlichen Unter suchung eingeleitet hat.
Ein anderes Phänomen im Rahmen der Mehrfachadressierung, welches nur in Mehrparteieninteraktionen auftreten kann, ist das Sprechen vor einer drit ten Person. Spiegel beschreibt dies auch für den Unterrichtskontext, wenn Schüler miteinander diskutieren und dies vor den Lehrern machen, die 11 als Adressaten mit gemeint" sind, als 11 eine Art von Doppeladressierung" (Spie gel 2006, S. 34). Auch dieses findet sich hin und wieder in den Interaktionen beim Kinderarzt. Ein paar interessante Fälle werden hier beispielhaft darge legt. Dabei wird jeweils herausgearbeitet, was mit dem Sprechen vor einer Person in diesen Kommunikationssituationen geleistet werden kann.
In APEG_14 wendet sich etwa die Mutter der Patientin nochmals zu, nach dem der Arzt die Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenex ploration für beendet erklärt und zur nächsten Phase übergeleitet hat und vorher nicht noch einmal auf die subjektive Krankheitstheorie eingegangen ist,102 die die Mutter dem Arzt am Anfang der Beschwerdenschilderung (Z. 021-024) präsentiert hat:
Fallbeispiel 32: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); BE (00:07.16-07:32.92); 00:30.57-00:49.95 und 06:42.49-07:21.52
015 M 14 un des HÄUFT sich halt-=JA,= 016 M 14 =un ich hab GSAGT-=
M 14 =SO,=jetz müss ma mal zum ARZT gehn-
-
M 14 weil so geht s ja net auf dauer WEiter-=ne- 019 A 02 (0.31) hmHM;
020 M 14 ( .) geNAU-= 0 h
M 14 ( .) jetz DACHT ich ähm-
M 14 ( .) sie hat jetz ihre periüde seit nem halben jahr- 023 A 02 ( .) HMhm,
M 14 ( .) also kann ja dann einfach auch mit dem WACHStum zusammenhängen-=ne,
M 14 oh
A 02 hmHM,
M 14 ( .) WEISS net ts ähm-
102 Zu subjektiven Krankheitstheorien vgl. Kapitel 9; dieses Beispiel wurde auch bei Win terscheid/Kook i.Vorb. dargestellt.
028 |
|
M |
14 |
(0.47) ob man BLUT untersuchen (.) sollte- |
029 |
|
M |
14 |
oder oder oder vielleicht mal (en/äh) en Eisenwert; |
030 |
|
|
|
(0.54) |
031 [ ... |
] |
A |
02 |
[gu]ck mer |
273 |
|
A |
02 |
(1.73) 0 h (.) so-=jetz tun wir mal unterSUchen |
274 |
A |
02 |
(0.75) ziehst dich mal dein HEMD aus, |
|
275 |
A |
02 |
(.) +++ dich da HOCH, |
|
276 |
A |
02 |
(0.57) zum unterSUchen; |
|
277 |
M |
14 |
(.) ich glaub du hast auch ziemlich stark deine TAge |
|
|
|
|
wenn du se hasch; |
|
278 |
M |
14 |
kann des SEIN, |
|
279 |
p |
14 |
(0.21) ja also an Einem tag schon- |
|
280 |
M |
14 |
( .) JAja des ( .) sie:- |
|
281 |
M |
14 |
( .) des is ziemlich HEFtig manchmal-=ne, |
|
282 |
|
|
(0.89) |
|
283 |
A |
02 |
und des steht aber mit den kopfschmerzen nich in |
|
|
|
|
Zusammenhang damit dass du da deine tage has- |
|
284 |
A |
02 |
oder WIE is en des; |
|
285 |
P |
14 |
(0.23) äh:::- |
|
286 |
P |
14 |
(0.24) keine AHn[ung; |
|
287 |
A |
02 |
[habt ]ihr noch nich |
|
288 |
A |
02 |
(.) hast du noch nich drauf geACHtet; |
|
289 |
P |
14 |
(0.29) also (.) es is manchmal da (.) VO:R- |
|
290 |
P |
14 |
(0.46) meistens is es davor oder es KOMMT dann (.) nach |
|
|
|
|
(.) drei tagen; |
|
291 |
|
|
( 0. 34) |
|
292 |
M |
14 |
deine TAge; |
|
293 |
M |
14 |
(.) meinsch dass des damit zusammenHÄNGT; |
|
294 |
P |
14 |
(.) also (0.34) +++ es is es nich IMmer deswegen; |
|
295 |
M |
14 |
JAha; |
Da eine Bearbeitung der subjektiven Krankheitstheorie (Z. 021-024) durch den Arzt ausgeblieben ist, bringt die Mutter die Theorie nochmals zur Spra che, indem sie sich mit einer Frage an die Patientin wendet. Die Mutter wartet die Vorbereitung der Patientin nicht ab, sondern wendet sich nach einer Mik ropause an die Patientin, um diese zur Intensität ihrer Menstruation zu befra gen (Z. 277). Dies geschieht mittels einer Vermutung der Mutter, die sich die se von der Patientin bestätigen lässt. Nachdem die Patientin diesen von der Mutter angenommenen Sachverhalt bestätigt hat, hält die Mutter diese Tatsa che nochmals fest. Dabei nimmt sie eine Veränderung in der Wortwahl vor. Anstatt der Umschreibung ziemlich stark (Z. 277) verwendet sie nun die Kate gorisierung ziemlich heftig (Z. 281), wodurch die Beschreibung noch einmal dramatischer ausfällt. Gleichzeitig verweist sie auf die epistemische Autorität der Patientin. Dadurch, dass die Patientin, die mit der epistemischen Autori tät ausgestattet ist, über diese Sachlage zu urteilen, diese antizipierte Sachlage verifiziert, wird dieser Punkt hochgestuft. Auch die Tatsache, dass die Mutter
nach der Periode der Patientin fragt, signalisiert ein weiteres Mal, dass sie ei nen Zusammenhang zwischen den regelmäßig vorkommenden Blutungen und den Kopfschmerzen für wahrscheinlich hält. Dass sie auf diesen Zusam menhang zweimal hinweist, zeigt auch, dass sie weiterhin von dieser Theorie überzeugt ist und dass bisher noch nicht auf diese Theorie eingegangen wur de. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Arzt in einer anderen Phase des Gesprächs noch auf die subjektive Krankheitstheorie eingegangen wäre. Die Patientin bestätigt den formulierten Eindruck. Eine Hinwendung zur Pa tientin ist auch deswegen sehr geschickt, da eine weitere Nennung gegenüber dem Arzt heikel sein könnte, da dies die Nichtbeachtung deselbigen hervor heben würde. 11 Levinson [...] bezeichnet den {nicht adressierten, aber eigent lich gemeinten Rezipienten} als target" (Bauer 2009, S. 125).103 Durch diese Strategie kann die Mutter eine faceschonende Wiederholung der Theorie rea lisieren und diese durch die Hochstufung insofern etablieren, dass nun der Arzt auf diese Theorie eingeht und die Phase der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration nochmals eröffnet, indem er Fragen zu die ser pubertären Entwicklung stellt, bevor er dann erneut zur körperlichen Un tersuchung überleitet (vgl. Winterscheid/Kook i.Vorb.).
In diesem Fall führt diese Strategie zum Erfolg, insofern als der Arzt der subjektiven Krankheitstheorie nachgeht, die durch die Mutter ein zweites Mal eingebracht wurde. In einem anderen Fall erkundigt sich die Mutter beim Arzt nach der Diagnosemitteilung danach, wie sie nun weiter vorgehen sol len, womit sie die Therapieplanung einleitet:
Fallbeispiel 33: APEG_06 (A-PwS-M; ca. 07:S0min); Th (03:03.01-07:30.75); 03:03.01-03:22.17
001 M 06 was können wer MAchen- 002 (0.23)
M 06 TRINken,
M 06 ( .) obwohl ses erBRICHT-
M 06 also es is richtig es muss richtig au[A machen;
A 01 [NEE-=je ]tzt
WARten se erst mal ab mit dem trinken und-
A 01 (1.01) der geben se jetz en zäpfchen gegen Übelkeit und erbrechen,
008 M 06 (0.37) HMhm-
009 (1. 33)
M 06 ((unverständlich))
A 01 und ers
A 01 wenn das zäpfchen
-
013 p 06 ( .) ((stöhnt))
]t(.) ne dreiviertelstunde daNA:CH geWIRKT hat;
014 M 06 1. 1 <<flüstert> is ja GUT >;
015 (0.52)
103 Bauer bezieht sich auf Levinson (1988, S. 170) und hält fest, dass Goffman zwar diese Möglichkeit ebenfalls berücksichtigt, dafür jedoch keine Begrifflichkeit gewählt hat.
Die Mutter schlägt dem Arzt eine Möglichkeit vor und nennt die vermutete Reaktion darauf sowie ein Argument gegen ein solches Vorgehen. Es handelt sich also nicht um eine einfache Frage, sondern um eine Frage, die eine fiktive Aushandlung beinhaltet und zugleich einen Widerspruch gegen den selbst gemachten Vorschlag enthält. An der Frage kann man ablesen, dass es hier nicht nur darum geht, der Patientin zu helfen, sondern auch um ihre eigene Aufgabe bei der Therapie, da sie sich danach erkundigt, was sie beide nun zu tun haben. An diesem Vorstoß ist zudem die Wortwahl der Mutter interes sant: Sie spricht nicht von Schmerzen, sondern zitiert die Tochter oder wählt zumindest mit au[A machen (Z. 005) eine Formulierung, bei der sie eine kind liche Ausdrucksweise imitiert. Dadurch wird diese Äußerung als eine behan delt, die von der Patientin kommen könnte, bereits erfolgte oder zu erwarten wäre. Die Mutter begibt sich damit in eine Rolle einer Fürsprecherin. Ferner wird das Argument durch richtig (Z. 005) auch noch hochgestuft.
Sie wendet sich zwar für diese Frage an den Arzt, der auch als Experte für die Therapieplanung zuständig ist und durch die Patientin und ihre Mutter mit dem 11 Behan dlungsauftr ag" (Spranz-Fogasy 2010, S. 14) ausgestattet wur de (vgl. Quasthoff 1990, S. 74), aber diese Argumentation richtet sich ebenso an die Patientin, der gegenüber sie nach der Erstkonsultation die Maßnahmen vertreten muss. Dieser Vorschlag basiert auf der Empfehlung oder dem Rat, den Kindern bei Erbrechen immer wieder etwas zu trinken zu geben, damit diese keine Austrocknungserscheinungen aufweisen (vgl. z.B. Renz-Polster/ Menche/Schäffler 2012, S. 183 u. 317). Daneben hat der Arzt genau dies im zweiten Teil der körperlichen Untersuchung überprüft.
So erkundigt sie sich zum einen danach, welche Maßnahmen nun zu voll ziehen sind und schließt sich als Beteiligte genauso ein wie die Patientin und legt eine fiktive Argumentation dar, die sich möglicherweise so ereignen könnte, wenn die Empfehlung tatsächlich beinhaltet, dass sie darauf achten solle, dass die Patientin etwas trinkt, um Austrocknungserscheinungen zu verhindern, oder vielleicht bereits in dieser Form stattgefunden hat. Durch die Nachdoppelung, mit der sie die Folgen einer solchen angenommenen Empfehlung darlegt und eine kindliche Ausdrucksweise wählt, macht sie sich zudem zu einer Anwältin ihrer Tochter (vgl. hierzu auch Schwabe 2006a,
S. 119-147). Die Mutter sorgt also dafür, dass der Arzt ein für sie wichtiges Thema anspricht, zu dem sie im Vorhinein vor der Patientin Bedenken ange meldet hat. Der Arzt reagiert und widerspricht der Mutter zunächst, aller dings schiebt er den Vorschlag der Mutter nur auf und verweist darauf, dass nur eine kurze Pause eingelegt werden soll, bevor der Patientin erneut etwas zu trinken angeboten werden soll, aber er bestreitet nicht, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die unternommen werden muss (Z. 006/007/011/012). Der erste Schritt liegt jedoch seiner Meinung nach in der Vergabe des Zäpf chens (Z. 007/011).
Aber nicht nur die Eltern, sondern auch die Ärzte greifen zu dieser Strategie. In einem Fall wird dies sogar sehr elaboriert durchgeführt: Vorausgegangen ist dieser Phase eine Reihe von Empfehlungen, wie man bei einer Migräne attacke nach seinem Dafürhalten vorgehen kann. Es handelt sich um drei Maßnahmen, wobei die eine eine erlernbare Technik ist und die andere ein Vorgehen mit Medikamenten beschreibt sowie die dritte das Daheimbehalten der Patientin, so wie dies bisher auch schon gemacht wurde, gefolgt von ei nem Plädoyer, mit der Diagnose maßvoll umzugehen. Daneben wurden u.a. verschiedene Untersuchungen besprochen, die noch vorgenommen werden sollen, um weitere mögliche Erkrankungen auszuschließen.
Am Ende der Therapieplanung fasst der Arzt dann nochmals zusammen:
Fallbeispiel 34: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); Th (22:12.61-33:27.10); 29:14.07-31:46.95
274 A 02 (1. 09) aber mit GANZ goßer wahrscheinlichkeit is des äh
(0.33) migräne,
275 A 02 (0. 23) oh (0. 49) äh: die no net so ( .) ty pisch is wie bei nem erWACHsenen aber des is altersbedingt-
A 02 (0.54) oh (0. 54) un des WICHtigschte an der migräne is-
A 02 dass ma sich da nich REINsteigert;
278 M 14 (0. 34) HMhm,
A 02 (0.55) sie kennen des alle diese DAmen-
A 02 <<expressiv> HACH ich hab jetz wieder MEine migräne >·
281 (0. 24)
A 02 oh (0. 41) <<lachend> jaha >-
A 02 oh ( .) also da kann man sich auch REINstei gern-
A 02 ma kann die auch richtig KULtivieren-
A 02 [un dann hat man l die auch GANZ oft-
M 14 [hmHM-
287 A 02 ( .) ja,
M 14 HMhm,
A 02 ( .) oh ( .) un bei allen möglichen PASSenden un unp
<<lachend> passenden gelegenheiten >-
A 02 oh also man muss damit auch UMgehen [lernen;
M 14 [HMhm,
A 02 ( .) also des is schon ne ( .) erKRANkung-
A 02 oh ( .) die ( .) absolut ERNST zu nehm[en ]is-
294 M 14 [ja-
A 02 un wo man also auch was da ( .) gegen TUN soll-=0 h
A 02 (0.22) aber äh ( .) eben daGEgen tun soll und und net sich da sich so richtig reinbegeben;
A 02 dann ( .) kann man des risch[tich schön k]ulti [VIERN- l
M 14 [äh ja,
299 |
M |
14 |
[ h l (.) ja JA:- 0 |
||
300 |
M |
14 |
(.) des is es HALT |
||
301 |
M |
14 |
ja ich [DENK- ] |
||
302 |
A |
02 |
[ja- l |
||
303 |
M |
14 |
(.) mit freundinnen (.) treffen GEHT |
||
304 |
A |
02 |
(.) ja; |
||
305 |
M |
14 |
hm, |
||
306 |
M |
14 |
(0.33) in die schule gehn (.) geht NICH |
||
307 |
M |
14 |
als[o ](.) es is natürlich SO- |
||
308 |
A |
02 |
[j a; l |
||
309 |
M |
14 |
(.) da muss ma den UMgang vielleicht mit lern[en-=ja, |
||
310 |
A |
02 |
[ja: |
||
311 |
M |
14 |
so [is es ]einfach- |
||
312 |
A |
02 |
[ja:- |
||
313 |
M |
14 |
(.) ((unverständlich)) |
||
314 |
A |
02 |
geNAU des is es-=j[a, l |
||
315 |
M |
14 |
[äh ]ä, |
||
316 |
A |
02 |
des is Eines der probleme, |
||
317 |
M |
14 |
ja, |
||
318 |
A |
02 |
un auch die persönliche einstellung die jetz (0.2) der |
||
|
|
|
beTROFfene hat- |
||
319 |
A |
02 |
(.) j [a- l |
||
320 |
M |
14 |
[j l a- |
||
321 |
M |
14 |
(.) JAja, |
||
322 |
A |
02 |
(0.47) wenn ich natürlich immer <<expressiv> HACH jetz |
||
|
|
|
geht s mir wieder so sch[lecht >-] |
||
323 |
M |
14 |
[ja: |
||
324 |
A |
02 |
((lacht)) |
||
325 |
|
|
(0.29) |
||
326 |
A |
02 |
0 h |
ja, |
|
327 |
M |
14 |
ja- |
||
328 |
A |
02 |
( 0. 5) ( (unverständlich)) |
||
329 |
|
|
( 0. 9) |
||
330 |
M |
14 |
ja- |
||
331 |
A |
02 |
(1.75) ich weiß nich wie das HEUT is |
||
332 |
A |
02 |
also ähm- |
||
333 |
A |
02 |
(.) |
0 h |
(0.55) äh:- |
334 |
A |
02 |
(3.01) so in der SCHUle; |
||
335 |
A |
02 |
bei den mädchen wenn die ihre TAge ham |
||
336 |
A |
02 |
(un/gut) also äh- |
||
337 |
A |
02 |
(.) manche können ja NIE sport machen-=ja, |
||
338 |
A |
02 |
und an[dere den]en macht des überhaupt nix aus [also |
||
339 |
M |
14 |
[HMhm- |
||
340 |
M |
14 |
[hmHM- |
||
341 |
A |
02 |
(0.31) des is auch so ne sache der EINstellung; |
||
342 |
M |
14 |
HMh[m, |
||
343 |
A |
02 |
[j Ja un- |
||
344 |
A |
02 |
(.) |
0 h |
so is des mit der Migräne auch- |
345 |
A |
02 |
[ja, |
346 |
M |
14 |
[HMhm, |
347 A 02
348 A 02
0 h also ich LEide (.) au-
(.) zum teil leide ich auch so (.) wie viel drunter wie ich mich da so richtig REINb[egebe; ]
349 |
M |
14 |
[ja |
350 |
A |
02 |
ja- |
351 |
M |
14 |
ähm- |
352 |
M |
14 |
( O. 8) ja; |
353 |
A |
02 |
(0.5) und (.) des is (.) da des is auch WICHtig-=ne |
354 A 02
355 A 02
also da 0 h ne etwas LOCKere einstellung zu finden und da: äh sich net selber so ins UNglück äh:: zu stürzen oder so-=j[a,
356 |
M |
14 |
[h ]m okay, |
|
357 |
|
|
(0.35) |
|
358 |
M |
14 |
gut; |
|
359 |
|
|
( 0. 71) |
|
360 |
A |
02 |
vor allem auch für die des is auch für die progNO:se auch wi[chtig- |
|
361 |
M |
14 |
[HMhm |
|
362 |
A |
02 |
(.) ja, |
|
363 |
A |
02 |
0 h |
(.) wenn ich s äh: (.) des so richtig kultiVIEre; |
364 |
A |
02 |
DANN wird des immer schlimmer;=j [a, ] |
|
365 |
M |
14 |
[hmH]M- |
|
366 |
A |
02 |
(0.31) ich muss s schon des (.) verSUchen des etwas locker zu se[hn- |
|
367 |
M |
14 |
[hm ][HM- |
|
368 |
A |
02 |
[oka ]y sagen ich hab halt den SCHEISS- |
|
369 |
A |
02 |
°h okay damit muss ich LEben- |
|
370 |
A |
02 |
[ja- |
|
371 |
M |
14 |
[hmHM-] |
|
372 |
A |
02 |
°h ich kann auch was dagegen TUN- |
|
373 |
A |
02 |
(.) ich kann meine muskelreLAXation machen- |
|
374 |
A |
02 |
(0.71) gehört übrigens auch SPORT- |
|
375 |
A |
02 |
(.) geHÖRT dazu-=ne, |
|
376 |
|
|
(0.59) |
|
377 |
A |
02 |
ja- |
|
378 |
A |
02 |
und und und so en AUSgleich |
|
379 |
M |
14 |
(.) HMhm; |
|
380 |
A |
02 |
(.) SPORT zum beispiel als (.) ausgleich gegenüber dem |
0 h (.) ganzen tag in der schule hocken nachmittags hocken un hausaufgaben machen un s[o, ]
381 M 14 [j ]a-
382 A 02 °h [dann is es (.) n]atürlich (.) ä[h: ] grad
383 |
M |
14 |
[((lacht)) |
384 |
M |
14 |
|
we[nn manne mig]räne hat nich förderlich dann noch stunden lang vor der GLOTze [zu ]hocken-=
[JA (.) gut-
385 |
M |
14 |
[JAja- |
386 |
M |
14 |
[HMhm-] |
387 |
A |
02 |
=des verSTÄRKT des dann eher noch, |
388 A 02
[sondern ]da muss man was t (0.2) 0 h zum AUSgleich machen-
389 M 14 [hmHM,
390 A 02 ( 1. 03) kaPIERT-
-
391 p 14 ( .) HMhm,
392 A 02 ja,
Der Arzt formuliert nochmals mit Hinweis auf seine Überzeugung die ver mutete Diagnose (Z. 274) und eine verkürzte Darstellung der Argumentation (Z. 275). Dann wiederholt er sein Plädoyer für den Umgang mit dieser Dia gnose (Z. 277). Die Mutter reagiert mit einem Rückmeldesignal auf diese Eröffnung.
Daraufhin legt der Arzt ein Beispiel dar, bei dem er sich auf eine Personen gruppe bezieht, die er mit diese DAmen- (Z. 279) umschreibt. Dass hier eine negative Wertung vorbereitet wird, erkennt man daran, dass er vor die bei spielhaft angeführte Personengruppe das Pronomen diese (Z. 279) setzt. Der Hinweis auf die DAmen- (Z. 279), einer eigentlich äußerst respektvollen Be zeichnung für Frauen, verweist darauf, dass er diese Frauen nicht mit den ihm gegenübersitzenden Frauen - insbesondere nicht mit der minderjährigen Patientin - gleichsetzt, wodurch er dieses Negativbeispiel faceschonender einführt (vgl. hierzu auch Brown/Levinson 1987, S. 65ff. und das Zwischenfa zit in Kap. 5). Mit 11 alle" spricht er nichtsdestoweniger beide Gesprächsbetei ligten an. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Patientin wirklich diese Art von Damen, auf die der Arzt hier Bezug nimmt, kennt. Damit dürfte eher der Wissensbestand der Mutter angesprochen sein. Hier spricht er zwar beide Gesprächsparteien an, wendet sich jedoch nur an die Mutter, die er erst einmal durchgehend fixiert.
Die herangezogene Personengruppe wird als klischeehaft bezeichnet und eine beispielhafte Äußerung produziert, bei der diese Damen imitiert werden (Z. 280). Dass diese Äußerung den DAmen- (Z. 279) zuzuschreiben ist, kann man auch daran erkennen, dass der Arzt in eine höhere Stimmlage wechselt und diesen Ausspruch so expressiv, deutlich lauter und schneller realisiert, dass schon allein die Modalität anzeigt, dass sich diese Äußerung von den anderen Äußerungen und der Funktion der anderen Äußerungen abhebt. Hier wird nicht über die Behandlung der Krankheit oder metakommunikativ
über die Art und Weise gesprochen, wie man mit dieser Erkrankung umge- hen muss, sondern ein Negativbeispiel angeführt.
A_02 (0.55) sie kennen des alle diese DAmen-
A_02 <<expressiv> HACH ich hab jetz wieder MEIne migräne >; 281 (0.24)
Diese expressive Darstellung gibt dem Arzt jedoch die Möglichkeit und dem damit einhergehenden Wechsel der „Interaktionsmodalität“, ähnlich wie bei Scherzkommunikation (z.B. Schütte 1991), aus diesen Ausführungen entstan- dene Konsequenzen zurückzunehmen, da er sich darauf berufen kann, dass die nachgeahmten Damen nicht mit den anwesenden Frauen identisch sind und eine Dramatisierung der Erkrankung durch die Patientin nicht ausgeübt wird (vgl. Kallmeyer 1979). Anschließend fordert er lachend eine Rückmel- dung durch die Mutter ein, der er sich sofort nach dem Apex seiner Bewe-
gung wieder zuwendet und den Blick auch nicht mehr von ihr wendet, bis er sich wieder auf den Tisch aufstützt und sogar etwas in ihre Richtung vorbeugt:
A 02 oh (0.41) <<lachend> jaha >-
A 02 oh ( .) also da kann man sich auch REINsteigern-
A 02 ma kann die auch richtig KULtivieren-
A 02 [un dann hat man l die auch GANZ oft-
M 14 [hmHM- 287 A 02 ( .) ja,
M 14 HMhm,
A 02 ( .) oh ( .) un bei allen möglichen PASSenden un unp
<<lachend> passenden gelegenheiten >-
A 02 oh also man muss damit auch UMgehen [lernen;
M 14 [HMhm,
Die eingeforderte Rückmeldung bleibt aus. Deswegen bietet er nun auch noch eine Interpretation des Vorgeführten an (Z. 282-289). Er rahmt diese vorge führte Haltung als ein Beispiel für das beschriebene REINsteigern- (Z. 283), womit man eine solche Diagnose auch richtig KULtivieren- (Z. 284) könne und man damit noch viel häufiger unter Kopfschmerzen leiden würde. Damit knüpft er direkt an den Anfang der Beschwerdenschilderung an, bei dem die Mutter angegeben hat, dass die Patientin regelmäßig unter Kopfschmerzen leide und dies inzwischen recht oft vorkomme. Hierauf reagiert die Mutter nun auch wieder. Der Arzt führt diesen Punkt dennoch weiter aus und plä diert anschließend für eine bestimmte Haltung bezüglich der diagnostizierten Migräne (Z. 290), wobei er sich weiterhin der Mutter zuwendet. Auch hierauf erfolgt eine Rückmeldung der Mutter. Daraufhin hebt er hervor, dass es sich unabhängig von den Ausführungen, bei denen er die Betroffene möglicher weise in ein negatives Licht gerückt haben könnte, indem er jeweils Personen nachgeahmt hat, die mit ihren Erkrankungen nicht so umgehen, wie er dies präferieren würde, um ne (.) erKRANkung- (Z. 290) handelt, die auch absolut ERNST zu nehm[en Jis- (Z. 293) und die man auch behandeln sollte:
A 02 ( .) also des is schon ne ( .) erKRANkung-
A 02 oh ( .) die ( .) absolut ERNST zu nehm[en ]is-
294 M 14 [ja-
A 02 un wo man also auch was da ( .) gegen TUN soll-=0 h
A 02 (0.22) aber äh ( .) eben daGEgen tun soll und und net sich da sich so richtig reinbegeben;
A 02 dann ( .) kann man des risch[tich schön k]ulti [VIERN- l
298 M 14
299 M 14 [0 h
l (.) ja JA:-
[äh ja,
Er hebt den Punkt der Behandlung hervor, indem er diese Phrase in der nächsten Intonationsphrase wiederholt und in der Wiederholung auch der Fokusakzent auf dem daGEgen (Z. 296) liegt, während in der ersten Intonati onsphrase noch das TUN (Z. 295) hervorgehoben wurde. Er betont also die Handlung, die auszuführen ist, wobei die Wahl der Maßnahme hier keine Rolle spielt. Ziel sollte es sein, die Migräne so einzudämmen. Erneut spricht er auch an dieser Stelle vom richtig reinbegeben; (Z. 296) und vom schön k]ulti[VIERN-] (Z. 297), wodurch er nochmals auf das Beispiel verweist. Zum Ende der Intonationsphrase blickt er - simultan zu k]ulti[VIERN-] (Z. 297) - das erste Mal wieder zur Patientin, dreht den Kopf dann aber gleich wieder zur Mutter.
Nach seinen Äußerungen sind diese Entgegnungen auf diese Erkrankung kontraproduktiv, da man die Krankheit somit mehr ins Bewusstsein rückt und dann noch mehr darunter leiden würde. Die Mutter reagiert jetzt in kür zeren Abständen und pflichtet dem Arzt nun bei. Allerdings wird 11 durch ver stärktes Rückmeldeverhalten" mitunter auch ein 11 gesteige rtes Interesse [an gezeigt] und damit auch der Wunsch zu sprechen angemeldet" (Linke/ Nussbaumer/Portmann 2001, S. 269). Nachdem sie dem Arzt beigepflichtet hat, formuliert sie ein Beispiel, welches zeigt, dass auch nach ihrer Meinung der Umgang mit der Krankheit noch gelernt werden muss:
299 |
M |
14 |
[ h l (.) ja JA:- 0 |
300 |
M |
14 |
(.) des is es HALT |
301 |
M |
14 |
ja ich [DENK- ] |
302 |
A |
02 |
[ja- l |
303 |
M |
14 |
(.) mit freundinnen (.) treffen GEHT |
304 |
A |
02 |
(.) ja; |
305 |
M |
14 |
hm, |
306 |
M |
14 |
(0.33) in die schule gehn (.) geht NICH |
307 |
M |
14 |
als[o ](.) es is natürlich SO- |
308 |
A |
02 |
[j a; l |
309 |
M |
14 |
(.) da muss ma den UMgang vielleicht mit lern[en-=ja, |
310 |
A |
02 |
[ja: |
311 |
M |
14 |
so [is es ]einfach- |
312 |
A |
02 |
[ja:- |
313 |
M |
14 |
(.) ((unverständlich)) |
314 |
A |
02 |
geNAU des is es-=j[a, |
315 |
M |
14 |
[äh ]ä, |
Damit ratifiziert die Mutter die Botschaft, die offensichtlich anschaulich ge macht werden sollte, und bringt dies mit dem vorliegenden Fall zusammen. Sie leitet dieses Beispiel für einen unverhältnismäßigen Umgang mit ja ich [DENK-] (Z. 301) ein und stuft diese Unterstützung und Auslegung seiner Worte damit etwas herunter, indem sie es als ihre eigenen Gedanken rahmt (Z. 301). Dass die beiden Situationen einander gegenübergestellt werden, ist bereits am Aufbau der beiden Äußerungen zu sehen. Freundinnen werden der Schule gegenübergestellt, das Treffen und das Gehen sind Bewegungs verben, die angepasst und lexikalisch korrekt gebraucht wurden. Die voran gestellten Phrasen werden im Rückblick eingestuft als wahrnehmbar oder nicht, wobei diese von der Tochter getroffene Einschätzung am Ende der In tonationsphrase steht und jeweils betont wird. Dies wird mit dem Verb 11 ge hen" und der Verneinung ausgedrückt. Dadurch werden sie strukturell wie derholt und damit die Vergleichbarkeit und die ungleichmäßige Entscheidung deutlich herausgestellt. Nachdem sie diesen Kontrast nochmals hochgestuft und mit stilistischen Mitteln deutlich herausgestellt hat, bietet sie dies als ihre Interpretation seiner Worte an, indem sie seine Feststellung man muss damit auch UMgehen [lernen; ] (Z. 290) wiederholt und dabei nur eine kleine Umstel lung vornimmt, ihn aber bis auf das Hedging zitiert. Der Arzt pflichtet ihr bei und verstärkt die Reaktion auch. Während er anfangs nur mit 11 ja" reagiert, stellt er mit geNAU des is es j[a,] (Z. 314) fest, dass die Mutter das verstanden hat, was er ausdrücken wollte, und definiert diesen Sachverhalt als Eines der probleme, (Z. 316):
314 |
A |
02 |
geNAU des is es-=j[a, l |
|
315 |
M |
14 |
[äh ]ä, |
|
316 |
A |
02 |
des is Eines der probleme, |
|
317 |
M |
14 |
ja, |
|
318
319 |
A
A |
02
02 |
un auch die persönliche einstellung die jetz (0.2) der beTROFfene hat- (.) j [a- l |
|
320 |
M |
14 |
[j l a |
|
321 |
M |
14 |
(.) JAja, |
|
322 |
A |
02 |
(0.47) wenn ich natürlich immer <<expressiv> HACH jetz geht_s mir wieder so sch[lecht >-] |
|
323 |
M |
14 |
[ja: |
|
324 |
A |
02 |
((lacht)) |
|
325 |
|
|
( 0. 29) |
|
326 |
A |
02 |
0 h |
ja, |
327 |
M |
14 |
ja- |
|
328 |
A |
02 |
( 0. 5) ( (unverständlich)) |
|
329 |
|
|
( 0. 9) |
|
330 |
M |
14 |
ja- |
Während die Mutter das Beispiel ausführt, nickt der Arzt hin und wieder leicht. Bevor er ihr mit geNAU (Z. 314) beipflichtet, nickt er jedoch sehr ex-
pressiv. Der Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Beispiel nur um Eines der probleme, (Z. 316) handele, zeigt, dass er sich nur zu einem Teil verstanden fühlt. Ein weiterer Punkt wird von ihm daraufhin mit der einstellung (Z. 318) der Migränepatienten benannt. Obgleich beides miteinander zusammen hängt, trennt der Arzt dies, und nachdem Konsens bei dem ersten Punkt be steht, versucht er nun ein weiteres Mal, Konsens bezüglich des zweiten Punk tes, der vorher bereits expressiv dargestellt wurde, mit den Damen, die sich in die Krankheit REINsteigern (Z. 283), herzustellen. Erneut blickt der Arzt kurz, bevor er die einstellung (Z. 318) realisiert, zur Patientin hinüber und wendet den Blick dann sofort wieder ab.
Erneut imitiert er daraufhin die von ihm als klischeehaft eingeführten Frauen, die unter Migräne leiden, wobei er dies weiterhin aus der Ich-Per spektive heraus vollzieht und ein weiteres Mal mit der Interjektion HACH (Z. 280) einleitet. Dieses Mal variiert er allerdings den Wortlaut und verweist darauf, dass es dem fiktiven Betroffenen nicht gut gehe (Z. 322). Auch wenn diese Initiation erneut in einer hohen Stimmlage vorgenommen wird und auch expressiv präsentiert wird, ist dieser Wechsel der Modalität nicht so aus geprägt wie bei der ersten Verwendung des Stilmittels.
Die Mutter reagiert dieses Mal etwas häufiger. Nach den Ausführungen lacht der Arzt, dreht den Kopf nochmals kurz in die Richtung der Patientin, ver weilt jedoch wiederum nicht bei der Patientin. Somit kann man hier nicht mit Sicherheit feststellen, dass er die Patientin an dieser Stelle tatsächlich ansieht.
Daraufhin zieht er ein neues Beispiel heran. Der Arzt doppelt nach einer Bestätigung des Gesagten nach und präsentiert das Beispiel dieses Mal etwas weniger expressiv. Dadurch zeigt er an, dass er das, was er ausdrücken woll te, als noch nicht verstanden einschätzt. Obgleich die Mutter nun deutlich gesteigerter auf diese Exemplifizierung eines Negativbeispiels reagiert hat, zeigt der Arzt, dass hier aus seiner Sicht noch kein Konsens über diesen ihm wichtigen Punkt besteht, und führt hier noch ein weiteres Beispiel an. Auch dieses Mal bezieht er sich auf weibliche Personen, spricht jetzt aber nicht mehr von DAmen (Z. 279), sondern von mädchen (Z. 335):
A 02 (1.75) ich weiß nich wie das HEUT is-
A 02 also ähm-
333 A 02 ( .) oh (0.55) äh:-
334 A 02 (3.01) so in der SCHUle;
335 |
A |
02 |
bei den mädchen wenn die ihre TAge ham |
336 |
A |
02 |
(un/gut) also äh- |
337 |
A |
02 |
(.) manche können ja NIE sport machen-=ja, |
338 |
A |
02 |
und an[dere den]en macht des überhaupt nix aus [also |
339 |
M |
14 |
[HMhm- |
340 |
M |
14 |
[hmHM- |
Er leitet dieses weitere Beispiel durch eine Rahmung ein, die das Beispiel als eine persönliche Erfahrung stilisiert, die sich zudem vor längerer Zeit zuge tragen hat (Z. 331). Er wählt dieses Mal ein Beispiel, das zwar aus einem an deren Kontext stammt, aber näher an der Lebenswirklichkeit der Patientin ist. Im ersten Beispiel stilisiert er einen einer bestimmten Gruppe an Frauen zuge schriebenen Umgang mit dieser Diagnose, wobei er eine beispielhafte Aussa ge realisiert, die diesen Frauen zugeschrieben wird. Bei diesem Beispiel han delt es sich - trotz Belegqualität - um kein schlagendes Beispiel, da die Patientin sich nicht selbst als eine Person, die die Kopfschmerzen dramati siert, dargestellt und auch die Mutter die Patientin nicht so präsentiert hat. (Eine inhaltliche Nähe besteht natürlich trotzdem wegen des Zusammen hangs zwischen den Kopfschmerzen und dem Fernbleiben bzw. Teilnehmen; siehe Fallbeispiel 32.) Dieses Beispiel ist somit auch potenziell facebedrohen der und vielleicht vom Arzt auch deswegen nicht als erstes herangezogen worden, da die Patientin auch eines der dargestellten Mädchen sein könnte, die, wenn sie ihre Periode hat, den Sportunterricht nicht mehr besucht (Z. 334- 337). Das wurde im bisherigen Gespräch zwar nicht erörtert, ist aber aufgrund der noch nicht lange zurückliegenden Menarche auch eher unwahrscheinlich. Hier gelingt der Vergleich nur besser, da eine tatsächlich vorliegende und sich auf den Körper auswirkende Tatsache dramatisiert und infolgedessen für den Nichtbesuch des Sportunterrichts verantwortlich gemacht wird. Dieses Mal fällt die Patientin nun also in dieselbe Personengruppe, das Leiden ist hier jedoch ein anderes, während im ersten Beispiel, auf das zweimal zurückge griffen wurde, die Erkrankung dieselbe war, die Personengruppe jedoch eine andere. Das Beispiel wird durch den Arzt auch als nicht so ganz gesichert eingeführt, wie er das bei den ersten Beispielen eingeführt hat, welche er bei allen als bekannt vorausgesetzt hat, und sich beim zweiten konstruierten Fall selbst als jemand stilisiert, der nicht weiß, ob sich das, was er im Folgenden ausführen möchte, immer noch so verhält oder nur vor einer gewissen Zeit so verhalten hat (Z. 331). Immer noch setzt er diese Mädchen nicht mit der Pati entin gleich, auch wenn dieses Mal eine Verortung in der Schule stattfindet. Erneut wird dieses Beispiel erklärt und ausgeführt. In diesem Beispiel unter scheidet er die Mädchen, die wegen ihrer Menstruationsbeschwerden NIE spart machen (Z. 337) können, von der anderen Gruppe Mädchen, die damit ganz anders umgehen (Z. 338). Durch diesen vergleichbaren Fall, den der Arzt vorbringt, greift er die Haltung der Patientin erneut nicht direkt an. Er zeigt aber auf, dass die Einstellung, wie im präsentierten Fall zu diesen real
existierenden Einschränkungen auch dramatisiert werden können und er eine andere Herangehensweise empfehlen würde, da sich ansonsten die Be troffenen selbst ins UNglück (Z. 355) stürzen. Simultan zu NIE (Z. 337) voll führt der Arzt nochmals eine gestische Unterstützung, die jedoch in diesem Fall nicht so ausladend erfolgt wie zuvor.
Daraufhin lässt er die Hände wieder auf den Schreibtisch fallen. Weiterhin richtet er sich ausdrücklich an die Mutter, blickt - während er aus (Z. 338) re alisiert - die Patientin aber nochmals an, nachdem er von der zweiten Gruppe Mädchen berichtet hat, die dem Negativbeispiel gegenübergestellt werden. Weiterhin handelt es sich auch bei dem Beispiel um Personen, bei denen Symptome vorliegen, die eventuell auch sehr stark sein können und damit eine erhebliche Einschränkung für die Personen bedeuten. Durch die Über treibung und das Hervorheben dieser Übertreibung kennzeichnet er den Ne gativfall als solchen und präsentiert den zweiten als präferiert. Bei dem dar auffolgenden Resümee stellt er eine Vergleichbarkeit hinsichtlich der beiden Krankheitsbilder heraus (Z. 344):
A 02 (0.31) des is auch so ne sache der EINstellung;
M 14 HMh[m,
A 02 [j l a un-
A 02 ( .) oh so is des mit der Migräne auch-
345 A 02 [ja,
M 14 [HMhm,
A 02 oh also ich LEide ( .) au-
A 02 ( .) zum teil leide ich auch so ( .) wie viel drunter wie ich mich da so richtig REINb[egebe; l
349 M 14 [ja-
A 02 ja-
M 14 ähm-
352 M 14 (0.8) ja;
Er stellt fest, dass es sich bei Menstruationsbeschwerden wie auch bei Migrä neattacken vor allem um die EINstellung (Z. 341) der Betroffenen dreht und man auch anders auf die Beschwerden reagieren kann. Dass er ein weiteres Beispiel heranzieht, zeigt, dass der Arzt der Meinung ist, die Mutter noch nicht auf die Weise, die er erhofft hat, abgeholt zu haben. Keiner der beiden Gesprächsparteien hat davon berichtet, dass die Patientin übermäßig ihr Lei den herausgestellt hat; die Reaktion der Patientin bestand laut Beschwerde schilderung darin, dass sie sich ins Bett gelegt hat. Der Umgang mit der
Krankheit, den der Arzt von der Einstellung entkoppelt hat, wurde durch die Mutter stärker unterstützt, die deutlich gezeigt hat, dass es ihr Missfallen er regt, wenn die Patientin sich mit Freundinnen trifft, aber nicht in die Schule geht und dann auch drei Tage lang absent ist. Die Einstellung wurde weder von der Mutter, noch von der Patientin selbst negativ hervorgehoben. In die sem zweiten Beispiel wird beides wieder miteinander kombiniert; die Einstel lung beeinflusst den Umgang.
Danach subsumiert der Arzt alles Gesagte nochmals in seiner Empfehlung für die Zukunft:
353 |
A |
02 |
(0.5) und (.) des is (.) da des is auch WICHtig-=ne |
354 |
A |
02 |
also da 0 h ne etwas LOCKere einstellung zu finden |
355 |
A |
02 |
und da: äh sich net selber so ins UNglück äh:: zu stürzen oder so-=j[a, |
356 |
M |
14 |
[h ]m okay, |
357 |
|
|
(0.35) |
358 |
M |
14 |
gut; |
359 |
|
|
( 0. 71) |
360 |
A |
02 |
vor allem auch für die des is auch für die progNO:se auch wi[chtig- |
361 |
M |
14 |
[HMhm |
362 |
A |
02 |
(.) ja, |
Er empfiehlt, zu einer Einstellung zu gelangen, mit der Erkrankung gelasse ner umzugehen, damit man sich nicht unglücklich macht (Z. 353-355). Die Erkrankung ist zwar existent und wird durch ihn nicht geleugnet, aber die Einstellung gegenüber der Krankheit wird als entscheidend beschrieben für den Verlauf der Krankheit. Auch nach der Redewendung blickt er kurz zur Patientin und dreht sich dann wieder zur Mutter um. Dass aber nicht nur die Krankheit mit dem erwähnten UNglück (Z. 355) gemeint ist, stellt die Nach dopplung des Arztes heraus, der die Prognose zusätzlich hervorhebt und er neut durch eine Wenn-dann-Konstruktion exemplifiziert:
363 |
A |
02 |
0 h (.) wenn ich s äh: (.) des so richtig kultiVIEre; |
364 |
A |
02 |
DANN wird des immer schlimmer;=j [a, ] |
365 |
M |
14 |
[hmH]M- |
366 |
A |
02 |
(0.31) ich muss s schon des (.) verSUchen des etwas locker zu se[hn- |
367 |
M |
14 |
[hm ][HM- |
368 |
A |
02 |
[oka ]y sagen ich hab halt den SCHEISS- |
369 |
A |
02 |
0h okay damit muss ich LEben |
370 |
A |
02 |
[ja- |
371 |
M |
14 |
[hmHM- ] |
372 |
A |
02 |
0 h ich kann auch was dagegen TUN- |
Sein Plädoyer lautet: Durch das Reinsteigem in diese Erkrankung wird sie
schlimmer (Z. 364). Aus diesem Grund empfiehlt er eine entspanntere Einstel-
lung und imitiert nun einen betroffenen Menschen, der die präferierte Einstel lung gegenüber der Migräne zeigt, der die Krankheit akzeptiert und etwas da gegen (Z. 296/372) tut. Diese Imitation wird durch die Verwendung des Ichs verstärkt. Dass die Krankheit nicht heruntergespielt werden soll, zeigt er da durch, dass er die Migräne hier als SCHEISS (Z. 368) bezeichnet, was ebenfalls aus dem Mund einer Betroffenen kommen könnte. An diesem Punkt beschreibt er nun nochmals, was man gegen die Kopfschmerzen unternehmen kann, und nennt zuerst nochmals eine Entspannungstechnik, die er auch als erste Maß nahme eingeführt hat, und erwähnt noch eine Maßnahme, die er bisher nicht erwähnt hatte, nämlich Sport, der für en AUSgleich- (Z. 378) sorgt gegenüber dem In-der-Schule-Sitzen und dem Vor-den-Hausaufgaben-Sitzen:
A 02 oh ich kann auch was dagegen TUN-
A 02 ( .) ich kann meine muskelreLAXation machen-
A 02 (0.71) gehört übrigens auch SPORT-
A 02 ( .) geHÖRT dazu-=ne, 376 (0.59)
A 02 ja-
A 02 und und und so en AUSgleich-
379 M 14 ( .) HMhm;
A 02 ( .) SPORT zum beispiel als ( .) ausgleich gegenüber dem oh ( .) ganzen tag in der schule hocken nachmittags hocken un hausaufgaben machen un s[o, l
M 14 [j Ja-
A 02 oh [dann is es ( .) n]atürlich ( .) ä[h:
grad we[nn manne mig]räne hat nich förderlich dann noch stunden lang vor der GLOTze [zu ]hocken-=
383 M 14
384 M 14
385 M 14
386 M 14
[((lacht))
[JAja-
[HMhm
[JA (.) gut-
387 A 02
388 A 02
=des verSTÄRKT des dann eher noch,
[sondern ]da muss man was t (0.2) 0 h zum AUSgleich machen-
389 M 14 [hmHM,
390 A 02 ( 1. 03) kaPIERT-
391 p 14 ( .) HMhm,
392 A 02 ja,
Neben dem Ausgleich, für den der Sport sorgen kann, stellt er nun auch eine Tätigkeit heraus, die nicht so förderlich ist, das Vor-der-Glotze-Sitzen. Alle
drei Aktivitäten beschreibt er mit hocken (Z. 380) als Tätigkeiten, die im Sitzen ausgeführt werden, und hebt den SPORT (Z. 374) als Tätigkeit hervor, bei der nicht gesessen wird. Dass sie außer dem Schulsport keinen Sport macht, wird hier durch den Arzt angenommen oder wurde in einem früheren Gespräch eruiert, da dies bisher nicht im Rahmen der Sprechstunde thematisiert wurde. Allerdings gab es im Rahmen der Vorbereitung für die körperliche Untersu chung einen provozierenden Kommentar des Arztes auf eine unerwartete Frage der Patientin bei dem auch der Sport im Fokus stand. Dass die Mutter als Reaktion auf diese Darstellung der ständig an den Hausaufgaben sitzen den Tochter lacht, hängt jedoch nicht mit dem Bezug auf diesen Kommentar zusammen, sondern damit, dass während der Schemakomponente der Be schwerdenschilderung und Beschwerdenexploration eruiert wurde, dass die Patientin nicht sehr lange mit den Hausaufgaben beschäftigt ist. Die Formu lierung nachmittags (Z. 380) legt nahe, dass die Patientin den ganzen Nachmit tag mit den Hausaufgaben beschäftigt wäre. Der Arzt geht darauf allerdings nicht ein, sondern führt seine Empfehlung fort. Parallel dazu tätschelt die Mutter der Patientin auf den Oberschenkel und lehnt sich daraufhin etwas zurück. Damit einhergehend nickt sie allerdings ein paar Mal, möglicherwei se um dem Missverständnis vorzubeugen, sich an der Aushandlung nicht weiter zu beteiligen. Die weiteren Tätigkeiten, die im Sitzen stattfinden, wer den als verschlimmernde Faktoren eingestuft, während ein AUSgleich (Z. 378) durch den Arzt angeraten wird. Auch wenn diese Empfehlungen generell ver allgemeinernd formuliert wurden und der Austausch durchgehend mit der Mutter stattfand, wendet sich der Arzt nun - auch mit dem ganzen Körper - der Patientin zu und beugt sich stark nach vorne, wobei er sich bei ihr danach erkundigt, ob sie, was gerade zwischen der Mutter und ihm verhandelt wur de, kaPIERT- (Z. 390) habe. Zudem verharrt er in dieser Position bis die Pati entin die Frage mit einer Bestätigung beantwortet hat und zeigt damit, dass alle anderen Äußerungen, obgleich sie nicht adressiert war, dennoch für sie bestimmt gewesen sind:
Die Patienten sind, auch wenn die Diagnosemitteilung und die Therapiepla nung in erster Linie mit den Eltern verhandelt werden, immer noch ratifizierte Gesprächsbeteiligte (vgl. Goffman 1981, S. 128), die auch - zumindest legt es die Äußerung des Arztes nahe - immer noch in der Pflicht stehen, dem Erörter ten zu folgen und die Therapie schließlich auch umzusetzen/zu befolgen (vgl.
z.B. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen in Kap. 8). Die Patientin reagiert
auch sehr schnell mit einem bestätigenden zweisilbigen Rückmeldesignal (Z. 391). Daraufhin beendet der Arzt seine Ausführungen.
Während der Therapieplanung bei APEG_14 präsentiert der Arzt gegen über der Mutter Negativbeispiele von Frauen oder Mädchen, die die Krank heitsanfälle dramatisieren und in einer vom Arzt nicht präferierten Art mit den jeweiligen Symptomen umgehen. Dabei handelt es sich bei den ersten beiden Beispielen jeweils um eine stereotypische Darstellung einer Situation bei Frauen mit derselben Diagnose, die in einer nichtpräferierten Art und Weise mit dieser umgehen. Im dritten Beispiel wird eine Situation präsentiert, bei der die Agenten in einem ähnlichen Alter wie die Patientin sind, aber das Beschwerdenbild ein anderes ist, obwohl es inhaltliche Parallelen gibt. Auch diese Beispiele wurden jeweils gegenüber der Mutter aufgespannt, aber es handelt sich um eine aufwändige Vermittlung einer Botschaft, die sich haupt sächlich an die Patientin richtet. Dass diese Empfehlung bezüglich des Um gangs sich an die Patientin richtet, wird überdeutlich, als der Arzt sich an die Patientin wendet und diese fragt, ob sie verstanden habe, was er ausführlich präsentiert hat (Z. 390). Dass ihm dieser Punkt überdies sehr wichtig ist, kann man daran ablesen, dass er sich zum einen sehr viel Zeit für die Darlegung der Beispiele nimmt und er die Ausgestaltung der Beispiele auch mimisch, gestisch und prosodisch sehr stark markiert vornimmt. Aber die Vermittlung einer Einstellung ist eine komplexe Angelegenheit und deswegen nimmt der Arzt sich auch so viel Zeit, um der Patientin und ihrer Mutter seine Empfeh lung nahezubringen. Auch die Nachfrage bei der Patientin vollzieht er proso disch wie nonverbal auf eine markierte Art und Weise. Der Arzt wirft sich hierbei fast über den Tisch und wendet sich hier auch ausdrücklich an die Patientin, während die Beispiele nach der Ankündigung der Mutter gegen über eröffnet wurden. Dafür verwendet er eine laute und gequetschte Stimm lage, verwendet extreme Tonhöhensprünge und spricht rhythmisierend mit vielen Akzenten. Er übernimmt diese Rolle und führt diesen Punkt, auf den er hinaus möchte, unterhaltend und übertrieben ein.
Es handelt sich bei diesem Beispiel um eine „Exaltation", die durch zwei
,,Äußerungen von gesteigerter emotionaler Expressivität" (Kallmeyer 1979,
S. 549) geprägt wird. Kallmeyer führt aus, dass „Exaltation (in der zu Sequen zen expandierten Form) ein [...] wechselseitig zu konstituierendes Interakti onsschema" darstellt, welches „auf der Ebene der Interaktionsmodalität" (ebd., S. 556) anzusiedeln ist. Dabei gibt es eine „Vorbereitung" (ebd., S. 544) in dem Sinne, dass schon von Anfang an die Bedenken der Mutter wegen des häufigen Fernbleibens der Patientin vom Unterricht immer wieder erwähnt wurden und in dieser Handlungsschemakomponente zuvor schon darüber verhandelt wurde, wie eine Entscheidung getroffen werden kann, ab wann die Symptomatik ein Fernbleiben von der Schule unbedingt notwendig er scheinen lässt. In dieser Sequenz finden sich typischerweise „keine manifes ten Aushandlungs- und Angleichungsprozesse", denn,,[e]s geht nicht darum,
Übereinstimmung durch Verhandlung zu gewinnen, sondern die Geteiltheit der definierenden Kategorien wird vorausgesetzt, und die Unterstellung der schon gegebenen Reziprozität wird in markanter Weise manifestiert" (ebd.,
S. 561). In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, dass die Mut ter durch die verminderten Rückmeldesignale anzeigt, dass sie dieser Darle gung nicht völlig zustimmt, auch wenn aufgrund der vorausgegangenen Äu ßerungen bezüglich des Fernbleibens eine Kooperation in dieser Sache anzunehmen gewesen wäre und sie in der vorausgegangenen Phase, in der der Arzt bereits darauf eingegangen ist, dass man sich nicht bei Auftauchen der Migräne drei Tage ins Bett legen soll, sondern überprüfen muss, ob man nicht doch in der Lage ist, am sozialen und schulischen Leben teilzunehmen, ihn expressiver unterstützt hat. So fand zuvor eigentlich 11 eine strukturelle Absicherung" (ebd., S. 561) statt. Allerdings erwähnt sie auch ein Beispiel, das einen Umgang mit der Symptomatik präsentiert, den sie als nicht optimal einstuft und im Rahmen dieser Beschreibung greift sie auch eine Formulie rung des Arztes auf, die sie nur minimal variiert und damit als zu diesen Ausführungen zugehörig beschreibt. Sie unterstützt die Ausführungen des Arztes jedoch nicht ausgeprägt und ihr Beispiel ist auch auf einer anderen Ebene angesiedelt. Während der Arzt Beispiele von einem von ihm als nicht präferierten Umgang von stereotypisierten Gruppen anführt, bezieht sich die Mutter auf einen konkreten Fall, der sich so abgespielt hat und reagiert auch erst elaborierter auf die ernstgemeinten und sachlichen Ausführungen, die der Arzt im Anschluss präsentiert. Das bedeutet, dass die Exaltation, deren 11Träger" (ebd., S. 555) der Arzt ist, durch die Mutter nicht 11 abgelehnt", aber auch nicht vollkommen 11 mitvollzogen" (ebd., S. 557) wird. Sie arbeitet erst wieder richtig mit, als der Arzt auf die Botschaft eingeht, die er eigentlich mit diesem Beispiel vermitteln wollte. Deswegen handelt es sich auch nicht um eine 11 harmonische Exaltation" (ebd., S. 559), sondern eher um eine 11 [e]insei tige Exaltation" (ebd., S. 562). Typisch hingegen ist, dass mit der Exaltation 11 der spezifische Charakter [der] Präsentationsform durchbrochen" (ebd.,
S. 563) wird. 11 Realisierungen von Modalitätsschemata sowie Modalitätsver änderungen werden häufig prosodisch markiert, so wie Modalität überhaupt in erster Linie durch Prosodie ausgedrückt wird" (Spiegel 1995, S. 235). Wei terhin 11 bleibt [die definierende soziale Kategorie] die Exaltationssequenz über konstant" (Kallmeyer 1979, S. 559). Kallmeyer berücksichtigt jedoch auch 11 kompliziertere Fälle, in denen Wechsel stattfinden, aber dabei handelt es sich dann um Veränderungen im Sinne von Steigerungen, um ein Heran tasten oder aber um mehrere Exaltationssequenzen, die zu komplexen Struk turen zusammengeschlossen werden" (ebd.). So verhält es sich in diesem Fall. Der Arzt beschreibt den Fall, dass jemand unverhältnismäßig mit einer be stimmten Symptomatik umgeht. Da der erste Vorstoß keine besonderen Rückmeldungen hervorruft, variiert der Arzt das entworfene Szenario und tastet sich vor, um seine Botschaft zu übermitteln.
Zwischenfazit 163
Auch hier wird das Sprechen voreinander dazu eingesetzt, um einen Rat vor der Patientin zu diskutieren und ihr damit eine Empfehlung mitzugeben, auch wenn die Übermittlung der Botschaft mit anderen Mitteln erfolgt. Hier wird dies jedoch markiert und groteske Übertreibung vorgenommen und die se Sequenz damit besonders hervorgehoben. Der Arzt schlüpft zeitweise in andere Rollen, um die Botschaft, die er vermitteln möchte, darzustellen. Durch die Nachfrage, die sich ausnahmsweise an die Patientin richtet, been det er diese Sequenz und signalisiert damit allen Beteiligten, dass das Spre chen vor der Patientin tatsächlich direkt an sie gerichtet war und sie sich die vermittelte Botschaft zu Herzen nehmen soll.
Das Sprechen voreinander wird eingesetzt, um Themen zu platzieren, SKTs erneut anzuführen, um bestimmte Argumentationen vor den Patienten schon abzuarbeiten und die Instanz des Arztes damit zu bemühen, aber auch faceschonende Empfehlungen auszusprechen. In einigen Fällen erweist sich das unmittelbar als erfolgreiche Strategie, in anderen Fällen wird dieser Er folg eingefordert und in wieder anderen Fällen kann eine Auswirkung dieser Strategie nicht in der Interaktion selbst festgestellt werden.
In den Kapiteln 4, 5 und 7 konnte gezeigt werden, wie entscheidend eine Re debeteiligung der Patienten am Anfang der Handlungsschemakomponente Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration für die Redebeteili gung der Patienten innerhalb der gesamten Interaktion ist. Deswegen wurde der Aufforderung des Arztes bezgl. der Übernahme der Beschwerdenschilde rung sowie der Adressierung in diesem Kapitel nachgegangen. In diesem Zu sammenhang konnte herausgearbeitet werden, dass u.A. die Formulierung der Frage oder Aufforderung dabei elementar ist. Fragen oder Aufforderun gen, die klar als solche formuliert waren und explizit an die Patienten adres siert waren, wurden von den Patienten bearbeitet. Andernfalls reagierten hin gegen zumeist die Eltern. Somit kann der Arzt bereits mit dieser ersten Frage oder Aufforderung die Beteiligung der Patienten im gesamten Gespräch be einflussen. Auch durch ärztliche Fragen können nicht aktive Parteien aktiviert werden. Die Fragen vor einer Diagnosemitteilung richteten sich in den Daten jedoch zumeist in Abhängigkeit des zu erfragenden Sachverhalts entweder an die eine oder andere Partei. Die vorgestellten Formen der Adressierung sind
ausgenommen des vom Arzt eingesetzten kollektiven Wirs - entweder nur in einer triadischen Kommunikationssituation notwendig oder strategisch sinnvoll. Gleichzeitig stehen für die Adressierung sehr viele Ressourcen zur Verfügung, sodass auch im triadisch-pädiatrischen Gespräch zumeist eine klare Adressierung eines der beiden anderen Gesprächsbeteiligten vorge nommen werden kann. Explizite Adressierungen, wie die nominale Adressie rung, sind markierte Verwendungsformen und werden zumeist in diesen Fäl-
len gebraucht, in denen die Partei - meistens der Arzt - sicherstellen will, dass auch nur die adressierte Partei reagiert oder eine Selbst- oder Fremdwahl des jeweils anderen Gesprächsbeteiligten reparieren will. Das kollektive Wir wird in der Regel für die Aktivierung einer anderen Partei eingesetzt und auch die verschiedenen Formen der Mehrfachadressierung können strategisch einge setzt werden, wenn etwa eine subjektive Krankheitstheorie erneut erwähnt werden soll, nachdem diese durch den Arzt bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Bearbeitung erfahren hat und damit auch zur 11 Entlastun g" eingesetzt werden kann (Fischer 2000, S. 127).
Gerade die triadische Gesprächssituation eröffnet viele strategische Mög lichkeiten (vgl. Fischer 2000, S. 127) und ist eine für alle Gesprächsbeteiligten in Bezug auf die Beteiligungsstruktur zudem diffizile Situation. Keiner der Beteiligten darf das Gefühl erhalten, ausgegrenzt zu werden. Dem Arzt kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. 11 Der Arzt in der pädiatrischen Pra xis sieht sich in seiner Gesprächsführung also stets gehalten, die doppelte Ge sprächspartnerschaft zu berücksichtigen" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 7). Den Patienten wohnt in vielerlei Hinsicht die epistemische Autorität inne, außerdem wollen sie darüber informiert werden, welche Untersuchun gen mit ihnen vorgenommen werden, welche Diagnose der Arzt stellt und welche Maßnahmen auf sie zukommen werden. Durch die sozialen Rollen sind jedoch auch die Eltern in einer besonderen Position, sodass der Arzt auch sie in entsprechender Art und Weise einbeziehen muss (vgl. ebd., S. 31).
INITIATIVEN DER ELTERN BEZÜGLICH UNTERSUCHUNG, DIAGNOSE UND THERAPIEPLANUNG
Dadurch, dass die Eltern bereits im Vorfeld die Symptome der Patienten be obachten konnten oder über diese informiert waren und die Patienten sowie deren Krankheitsgeschichte kennen, haben diese bereits in der Regel subjek tive Krankheitstheorien aufgestellt (vgl. Einzelfallanalyse Kap. 5 und Fall beispiel 34), Krankheitstheorien ausgeschlossen und in vielen Fällen auch bereits mit Medikamenten versucht, die Symptomatik zu behandeln (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). Üblicherweise erfolgt der Arztbesuch, wenn Eltern sich ihrer Hilflosigkeit bewusst werden, zumal sie auch für die Patienten verantwortlich sind (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 28ff.). Diese besondere Situation muss durch die Ärzte berücksichtigt wer den, auch wenn die Hilflosigkeit typisch für jegliche Erstkonsultationen ist, da „der Patient in den institutionellen Interaktionsraum kommt, um Hilfe ge gen die Krankheit zu erhalten" (Rehbein 1993, S. 317). Wie man z.B. an den vorgestellten Ausschnitten und auch der Beispielanalyse gesehen hat, liegen zumeist subjektive Krankheitstheorien vor, die vor dem Gespräch aufgestellt wurden und nicht nur häufig angesprochen werden, sondern trotz Abwahl (vgl. Beispielanalyse/Kap. 5; Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013) in auffälliger Weise dennoch präsent sind und aufrechterhalten werden. Diesem Interakti onstyp wohnt schon alleine durch die besondere Verantwortlichkeit der El tern eine Brisanz inne, die häufig auch mit den Gedanken und Maßnahmen in Verbindung steht, die im Vorfeld aufgestellt wurden.
Subjektive Krankheitstheorien
In den meisten pädiatrischen Erstkonsultationen ist vor der Konsultation des Arztes bereits eine Behandlung der Beschwerden erfolgt oder zumin dest eine, wenn nicht sogar mehrere, subjektive Krankheitstheorien aufge stellt worden (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 16). Diese wer den in den Erstkonsultationsgesprächen zum Teil gleich während der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Be schwerdenexploration erwähnt, zum Teil wird/werden diese jedoch erst später angedeutet (vgl. ebd., S. 15-27).104 Bei einer subjektiven Krankheits theorie (SKT) handelt es sich um
104 In diesem Artikel wurde auch bereits auf drei der hier aufgeführten Beispiele (APEG_06/ APEG_13/APEG_14) eingegangen.
ein System krankheitsbezogener Vorstellungen, Überzeugungen und Bewer tungen[, die e]in Mensch bildet [...], wenn er mit einer Krankheit konfrontiert wird. Kernstücke des Konzepts sind Vorstellungen über die Verursachung ei ner Krankheit und über die Beeinflussbarkeit. (Wüstner 2001, S. 309)
Diese subjektiven Krankheitstheorien (SKT) wurden im Vorfeld aufgestellt und zum Teil wurde auch schon durch die Eltern der Versuch unternommen, diese von ihnen angenommene Erkrankung zu behandeln (vgl. z.B. Spranz Fogasy/Winterscheid 2013, S. 16).
Durch die Äußerung solcher Selbstdiagnosen bewegt sich der Patient in einem Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich, der eigentlich der des Arztes ist, dem es aufgrund seiner Ausbildung, seines Fachwissens und nicht zuletzt seines Sta tus als Experten obliegt, Informationen über medizinische Sachverhalte und Umstände zu vermitteln, die Ursache einer Krankheit aufzuzeigen und schließ lich auch die Diagnose zu stellen. (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 100)
Im Folgenden wird nun untersucht, wie diese subjektiven Krankheitstheorien eingebracht werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Dabei werden zu nächst die subjektiven Krankheitstheorien und die Bearbeitung der subjekti ven Krankheitstheorien sowie die Auswirkungen eines solchen Vorstoßes auf das folgende Gespräch abhängig von der Phase, in der die Theorien das erste Mal angedeutet oder erwähnt wurden, betrachtet. Anschließend werden die Unterschiede der SKT in Bezug auf die Handlungsaufgaben und die Struktur betrachtet sowie die Reaktion des Arztes und die Auswirkungen auf das Gespräch.
In den untersuchten Gesprächen (n=16) gab es zehn Interaktionen, in denen mindestens eine SKT erwähnt wird. Tatsächlich wird in sechs Interaktionen lediglich eine SKT von den Eltern erwähnt, in zwei Interaktionen werden zwei SKT präsentiert und in zwei Interaktionen sind es sogar drei subjektive Krankheitstheorien.
Allein elf Krankheitstheorien des Analysekorpus werden dabei in der Phase Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration oder zumin dest vor der körperlichen Untersuchung vorgebracht. In einem Fall wird so gar eine subjektive Krankheitstheorie vor dem Sprechstundengespräch eröff net und auch verfolgt. Vier subjektive Krankheitstheorien werden erst nach der Diagnosemitteilung (in der Handlungsschemakomponente der Diagnose mitteilungoder in der Therapieplanung) erwähnt. Lediglich in einem Drittel der aufgezeichneten Interaktionen wird keine SKT angedeutet, wobei das nicht bedeuten muss, dass keine solche Theorie aufgestellt wurde.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
Üblicherweise kommen die Eltern bereits mit subjektiven Krankheitstheorien in die Praxis. Ob diese bei der Anmeldung oder der Vereinbarung des Ter mins schon angesprochen werden, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, da diese nicht systematisch aufgezeichnet wurden. In dem GesprächAPEG_32 wird allerdings durch die Ärztin eine Untersuchung angesprochen, die vor dem Sprechstundengespräch aufgrund der subjektiven Krankheitstheorie durchgeführt wurde. Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt der Ärztin vor, bevor sie das Sprechzimmer betritt. Somit kann bei diesem einen Beispiel fest gestellt werden, dass es eine Verhandlung der subjektiven Krankheitstheorie bei der Anmeldung gegeben haben muss.
Hierbei handelt es sich jedoch um einen Sonderfall. Üblicherweise werden die subjektiven Krankheitstheorien in der Erstkonsultation verhandelt, auch wenn sie möglicherweise bei der Anmeldung schon angedeutet und dem Arzt auch schon durch die Sprechstundenhilfe mitgeteilt wurden.
Dennoch kann hier eine Beteiligung der Ärztin an dieser Aushandlung nicht vorausgesetzt werden:
Fallbeispiel 35: APEG_32 (A-Pw7-M; ca. 7:34min); BE (00:54.69-01:49.61); 00:54.69-01:07.36
Ä 03 0 h ha ja jai ( .) [und jetz has l - de BAUCH [weh; l
M 32 [((Lachansatz))
M 32 [oh
Ä 03 ja;
M 32 also g[estern fing- s er]st mal an dass [sie
ganz hef[tige KOPF
007 p - 32 [((summt)) l
008 p - 32 [((summt))
009 p - 32 [((summt)) y
010 Ä 03 [((schnalzt)) Urin i]s gut ( .) ja, 011 M 32 is so
M 32 ( .) n[a da bin l ich ja s]ehr FROH-=
Ä 03 [hmhm
M 32 =nee-=sie ha[tte kop]fsch[merzen ganz doll GESter[n; l
Ä 03 [hmhm
p - 32 [((singt)) oh ((singt)) 017 Ä 03 [h ][mhm
Die Formulierung des Untersuchungsergebnisses ist so reduziert (Z. 010), dass daraus abgeleitet werden kann, dass den anwesenden Erwachsenen die se Information zum Ausschluss der subjektiven Krankheitstheorie ausreicht und diese Information nicht weiter spezifiziert werden muss. Folglich kann auch davon ausgegangen werden, dass die Ärztin im Vorfeld entweder von
der Mutter oder von den Arzthelferinnen über diese subjektive Krankheits theorie sowie über das Untersuchungsergebnis informiert wurde. Die Mutter gibt an, über diese Nachricht bezüglich ihrer subjektiven Krankheitstheorie erleichtert zu sein (Z. 012). Diese Bewertung des Untersuchungsergebnisses unterstreicht die Annahme, dass diese kurze Rückmeldung ausreicht, um die subjektive Krankheitstheorie zu entkräften. Auch wenn hier keine Aussage über die Präsentation der subjektiven Krankheitstheorie gemacht werden und auch nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, wem gegenüber die sub jektive Krankheitstheorie präsentiert wurde, kann festgehalten werden, dass gerade aufgrund der minimalistischen Rückmeldung eine subjektive Krank heitstheorie vor der Sprechstunde präsentiert wurde, der das Praxisteam nachgegangen ist. Die Mutter fährt dann auch mit der Beschwerdenschilde rung fort und nennt zunächst die Symptome.
In zwei Fällen werden die Symptome gleich schon in Verbindung mit der SKT angeführt, wie in der Beispielanalyse (vgl. auch Kap. 5) wird auch in APEG_31 gleich zu Anfang die subjektive Krankheitstheorie präsentiert:
Fallbeispiel 36: APEG_31 (A-Pw5-M; ca. 11:45min); BE (00:06.59-02:08.12); 00:06.59-00:35.37
001 |
Ä |
03 |
[WIE is l es |
002 |
M |
31 |
[HAllo. |
003 |
|
|
( 0. 42) |
004 |
M |
31 |
((schmatzt)) (0.23) nich so GUT; |
005 |
Ä |
03 |
JA-=wenn de hier so kommst außer der <<seuf |
|
|
|
zend> REihe >- |
006 |
M |
31 |
ja (.) dann is es <<lachend> NICH so gut>· |
007 |
M |
31 |
((Lachansatz)) 0 hh [ganz (äh) ]dollen HUSten seit |
|
|
|
sonntag- |
008 |
Ä |
03 |
[ich Höre; |
009 |
P |
31 |
((hustet)) |
010 |
M |
31 |
(.) der sich nich wirklich LÖST |
011 |
Ä |
03 |
[so ]TROCKN ne |
012 |
M |
31 |
[+++ l |
013 |
P |
31 |
((hustet)) |
014 |
M |
31 |
ganz TROCKN- |
015 |
M |
31 |
[ganz F]EST- |
016 |
Ä |
03 |
[hmhm l |
017 |
P |
31 |
((hustet)) |
018 |
M |
31 |
hatte (.) en ziemlich bösen pseudoKRUPP (am äh) |
|
|
|
sonntagnacht; |
019 |
P |
31 |
((hustet)) |
020 |
M |
31 |
MONtach gings so halbwe[gs- |
021 |
Ä |
03 |
[0h ](.) i[ssiejaei] |
022 M 31
gentlich ALT für ne;
[ähm
023 |
M 31 |
(0.26) ja [++++++ ]aber trotzdem es war ganz SCHLIMM; |
|
024 |
p 31 - |
[((hustet)) |
|
025 |
M 31 |
[sie hat ]ganz schlimm äh (zog/so) kaum LUFT (.) [bekommen;] [ne, ] |
|
026 |
Ä 03 |
[hmhm |
|
027 |
Ä 03 |
[hmhm |
][0 h Jauch beim EINatmen dieses ((macht |
|
|
einen inspiratorischen Stridor nach)) |
|
028 |
Ä 03 |
(.) un da[nn |
|
029 |
M 31 |
[jaja, l |
|
030 |
|
( 0. 23) |
|
031 |
M 31 |
j[aja l |
|
032 |
Ä 03 |
[hm ]hm |
|
033 |
|
( 0. 4) |
034 M 31 0 h ((schmatzt)) also war ziemlich heftig also (ähm)
Anders als in der Beispielsanalyse wird die subjektive Krankheitstheorie hier jedoch nicht als eine Theorie dargestellt, die anfangs verfolgt wurde. Die Mut ter benennt die subjektive Krankheitstheorie ausdrücklich bei der Benennung der Symptome. Dafür beschreibt sie eine Steigerung von einem dollen HUSten (Z. 007), der sich nich wirklich LÖST- (Z. 010) bis zu einem Hustenanfall, den sie als pseudoKRUPP (Z. 018) präsentiert und sogar noch dadurch hochstuft, in dem sie ihn als ziemlich bösen pseudoKRUPP (Z. 018) beschreibt. Gerade das Adjektiv 11 böse" als Beschreibung für ein Symptom führt auch zu einer Drama tisierung und Hochstufung der Symptomatik. Durch die Benennung leistet die Mutter zudem eine sehr klare Einordnung der Symptomatik. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die Ärztin sich infolge dieser Nennung nach bestimm ten Symptomen erkundigt, die zu diesem Krankheitsbild gehören und durch die Mutter jeweils auch bestätigt werden. Die Mutter verwendet bei der Dar bietung der subjektiven Krankheitstheorie keine Modalisierungen und auch keine epistemischen Verben. Anders als bei der Beispielanalyse wird diese subjektive Krankheitstheorie überdies als noch aktuell beschrieben und auch nicht wieder zurückgenommen.
In den meisten Fällen werden subjektive Krankheitstheorien in triadisch pädiatrischen Erstkonsultationen im Rahmen der Handlungsschemakompo nente der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration oder vor der körperlichen Untersuchung offengelegt, jedoch erst nach der Symptom präsentation. Dabei lassen sich drei unterschiedliche Präsentationsformen aus machen, die im Folgenden präsentiert werden:
Im Erstkonsultationsgespräch APEG_06 deutet die Mutter ihre subjektive Krankheitstheorie an, indem sie ein Lebensmittel benennt, welches sie für die Beschwerden der Patientin verantwortlich macht.
Die Präsentation der subjektiven Krankheitstheorie erfolgt relativ un markiert:
Fallbeispiel 37: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); BE (00:01.95-00:45.41); 00:20.57-00:36.09
024 |
M |
06 |
(.) nur wenn se was geTRUNken hat; |
025 |
M |
06 |
(.) oder was geGESsen hat. |
026 |
A |
01 |
(0.51) JEdes mal erbrechen- |
027 |
M |
06 |
IMmer wieder danach erbrechen-=ja, |
028 |
A |
01 |
(0.6) auch durchFALL- |
029 |
M |
06 |
(.) NEE noch nich-= |
030 |
M |
06 |
=aber j[etz hat ]se grad (0.22) en bisschen gePUPST |
und des riecht schon (.) STARK;
031 p- 06 [((stöhnt)) l
032 (1.9)
033 M 06 es heißt nich gestern hat se [MAIS ]gegessen aber; 034 A 01 [oh
035 A 01 ( .) auch FIEber;
In APEG_06 werden - wie in den meisten Fällen - im Rahmen der Beschwer denschilderung zunächst die Symptome erörtert, der Zeitpunkt und auch das regelhafte Auftreten des Erbrechens nach dem Essen oder Trinken. Der Zusammenhang mit der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme wird durch die Mutter herausgestellt (Z. 024-025). Der Arzt sichert diesen Zusammen hang (Z. 026) und erkundigt sich dann nach einem weiteren Symptom (Z. 028). Eine längere Pause, die nach den beiden Fragen entsteht, als der Arzt sich etwas notiert, nutzt die Mutter, um ein Nahrungsmittel zu erwäh nen, welches am Vortag durch die Patientin konsumiert wurde (Z. 033). Dass dieses Lebensmittel - nämlich MAIS (Z. 033) - als potenzieller Auslöser für die Mutter infrage kommt, ist deswegen offensichtlich, da sie das Lebensmit tel erwähnt, als nach dem Hinweis auf die Lebensmittelaufnahme keine Fra gen zu konsumierten Lebensmitteln erfolgte, hier auch nur ein einziges Le bensmittel aufgeführt wird und die Patientin sich sicherlich nicht nur von Mais ernährt haben wird. Zudem legt auch die Realisierung mit dem Fokus akzent auf MAIS (Z. 033) nahe, dass mit dem Hinweis auf das Lebensmittel eine neue Information eingeführt wird. Dass dieser am Vortag konsumiert wurde, ist ebenfalls eine Information, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dieses Lebensmittel mit der Reaktion des Körpers zusammenhängt. Auffällig ist, dass sie den Hinweis auf das Lebensmittel einwirft, nachdem der Arzt mittels einer weiteren Frage den Fokus bereits von der Nahrungs mittel- und Flüssigkeitsaufnahme zu einem anderen Symptom verschoben hat. Eingeleitet wird die Theorie etwa durch die Diskursmarkerkonstruktion es heißt nich (Z. 033), durch die sie signalisiert, dass sie bei dem nun folgen den Punkt auf etwas vorausgehendes Bezug nimmt, das sich anders verhält, als bisher dargelegt wurde. Obgleich dieser Anschluss eigentlich als Kohäsi-
onsmittel gelten kann,105 bleibt hier der Skopus unklar. Sie nennt ein Lebens mittel, welches die Tochter am Vortag konsumiert hat, und beendet die Into nationsphrase mit einem aber (Z. 033), wodurch sie andeutet, dass sie etwas Widersprechendes einfließen lassen oder andeuten möchte. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen Abbruch, sondern um eine Analepse (vgl. z.B. Blatz 1896 oder Helmer 2016). Prosodisch zeigt die Mutter, dass sie dieses Argument nicht weiter ausführen möchte. Mit dem aber (Z. 033) entkräftet sie die subjektive Krankheitstheorie jedoch sogleich nach deren Nennung wieder. Diese subjektive Krankheitstheorie wird somit mehrfach in ihrer Re levanz herabgestuft.
In APEG_04 wird eine andere Präsentationsform gewählt. Auch hier werden erst die Symptome dargelegt. Hier wird eine subjektive Krankheitstheorie je doch insofern markiert eingebracht, als diese als solche gerahmt wird und mit einer Frage einhergeht, mit der nach der Einschätzung des Arztes gefragt wird, ob eine solche Theorie haltbar sei:
Fallbeispiel 38: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:49.66-01:25.14
V 04 (0. 36) oh [weil ]begleitend ham wir nämlich noch ( .)
DIEse woche,
A 02 GU[T.
V 04 (0.42) war sie sehr ( .) erSCHÖPFT;
044 A 02 (0.32) aHÄ,
045 V 04 (0.46) sie lag eigentlich meistens auf dem SOfa;
046 (0.39)
047 A 02 aha,
048 (0.27)
A 02 oh
V 04 und in dem zusammenhang <<piano> wo hab ich des > ne FRAge,
-
V 04 0 h weil sie hatte doch hier en PILZ, 052 V 04 (0.4) m[an sieht s l ja KAUM noch- 053 A 02 [ja- l
V 04 oh
A 02 ja-
056 V 04 (0.26) und äh:m
057 V 04 (0.22) da ham wir DANN-
058 V 04 (0.62) oh die
V 04 das hier das GRiseo c[e te h ]undertfünfundzwanzig milligramm verschrieben [bekommen; l
A 02 [oh
A 02 [das g ]riseofulVIN-
A 02 JA;
105 Zu den Textualitätskriterien vgl. z.B. De Beaugrande/Dressler (1981, S. 3-14).oder Linke/ Nussbaumer/Portmann (2001, S. 215-225).
A 02 hmhm
V 04 ob das irgendWIE ( .) im zusammenhang zu dem erschöpfungs[zustan]d (hier) steht
A 02 [hm
A 02 NEE eigentlich net;
A 02 nee.
V 04 (na) [dann pack ich s glei wieder EIN 069 A 02 [des könnt- s glaub ich NICHT; 070 A 02 0 hh
V 04 ( .) ((schmatzt)) oh
A 02 GUT.=JETZT tun mer mal untersuchen-=
A 02 =jetz musch du mal dei:n (0.57) JACke un dein hemd ausziehn,
A 02 un kommsch e mal da NAUF,
Die subjektive Krankheitstheorie wird hier als Frage formuliert, indem der Vater auf ein vor kurzem verschriebenes Medikament verweist und sich ex plizit nach möglichen Nebenwirkungen erkundigt, die mit den vorliegenden Symptomen übereinstimmen. Er leitet diese subjektive Krankheitstheorie mit der einleitenden Phrase und in dem zusammenhang (Z. 050) ein und stellt damit schon eine kohäsive Verknüpfung zwischen dem vorher beschriebenen Sym ptom und der folgenden Frage her. Er schiebt die Vorgeschichte nochmals ein und stellt nach der Präsentation der SKT die Frage, ob der Arzt diese subjek tive Krankheitstheorie für möglich halten würde. Während er diese Frage for muliert, beugt er sich zu seinem Rucksack und sucht das entsprechende Me dikament. Er verweist nochmals auf die Diagnose eines kürzlich stattgefundenen Arztbesuchs. Dabei hebt er mit Hilfe der Partikel doch (Z. 051) hervor, dass er von etwas Bekanntem berichtet, sodass daraus geschlossen werden kann, dass wegen dieses noch nicht lange zurückliegenden Problems derselbe Arzt aufgesucht wurde. Der Hinweis darauf, dass man diese Be schwerden, die durch einen Pilz hervorgerufen wurden, kaum noch wahr nehmen könne, signalisiert dem Arzt, dass das Mittel folglich angewendet wurde und darüber hinaus auch angeschlagen hat. Durch diesen Verweis kann man überdies aber auch auf den zeitlichen Rahmen des letzten Besuchs, des Anwendens des Präparats etc. schließen. Der letzte Arztbesuch liegt dem nach noch nicht lange zurück. Der Vater hat inzwischen das Medikament im Rucksack gefunden und nennt nun die genaue Bezeichnung des Präparats. Auch wenn diese Frage durch die Rahmung und das Hervorholen der Medi kamentenpackung elaboriert eingebracht und damit auch hochgestuft wird, findet durch die Realisierung der Frage mit der Modalisierung - durch das irgendwie (Z. 064) - wieder eine Herabstufung statt. Durch die Frage wird eine konditionelle Relevanz hergestellt, durch die der Arzt in der Pflicht steht, auf diese Theorie zu reagieren (vgl. Schegloff 2007).
Auffällig ist, dass er die Formulierung in dem zusammenhang (Z. 050) und
im zusammenhang (Z. 064) zweimal bei der Klärung seiner subjektiven
Krankheitstheorie einsetzt. Bei der ersten Erwähnung leitet er von der Nen nung eines Symptoms zur subjektiven Krankheitstheorie über. Er nimmt noch einen Einschub vor, in dem er auf die Vorgeschichte eingeht, die als bekannt vorausgesetzt wird, und formuliert die subjektive Krankheitstheo rie dann explizit, wobei er ebenfalls die Phrase erneut verwendet, um noch mals eine Verbindung zwischen Medikament und dem letzten - von ihm er wähnten - Symptom herzustellen.
Im Sprechstundengespräch APEG_03 präsentiert die Mutter erst einmal die Situation und die Folgen sowie die eigene Belastung aufgrund dieser Situati on, die sie als dramatischer als bei dem schon länger zurückliegenden Besuch beschreibt, bei der im Übrigen auch noch weniger Beschwerden vorlagen. Da raufhin führt sie die subjektive Krankheitstheorie ein, die sie allerdings nicht als ihre Theorie angibt, sondern als fremde:
Fallbeispiel 39: APEG_03 (A-Pw3-MN; ca. 27:02min); BE (00:14.34-06:19.09); 00:58.36-01:35.07 & 01:56.91-02:35.82
054 |
M |
03 |
(0.67) nachdem wir bei IHnen waren- |
055 |
M |
03 |
hatten wir en elterngespräch im KINdergarten also allgemeines entwicklungsgesprä[ch-] |
056 |
A |
01 |
[H [Mhm, |
057 |
M |
03 |
[und dann ]kam das gespräch natürlich auch DArauf; |
058 |
M |
03 |
(0.22) 0 hh (0.2) und äh:m die hatten uns halt auch mit angesprochen dass wir so zu so ner PSYchologischen beratungsstelle g (.) trotzdem gehen- |
059 |
M |
03 |
(0.69) ((schnalzt)) die camilla 0 h (0.35) die konnt in |
|
|
|
dem moment natürlich auch nich viel AUSrichten- |
060 |
M |
03 |
(0.43) weil ich gesacht hab; |
061 |
M |
03 |
(.) also nach IHRM (1.06) ermessen- |
062 M 03
063 A 01
064 M 03
(0.2) 0 h (0.55) is des halt noch ähm (.) ent WICKlungs[bedingt bei i]hr,
[HMhm,
und dann (.) ham die jetz auch keinen größeren (0.68) wert irgendwie dadrauf gelegt das noch zu verTIEfen;
065 |
M |
03 |
0 h |
ham uns nur noch TIPPS gegeben wie wir halt auch mim |
[ ... |
] |
|
|
kindergarten da umgehen können- |
074 |
|
M |
03 |
=ich mein ich verst (.) ich verSTEHS auch dass die |
|
|
|
|
Erzieherinnen da halt nich ganz so begeistert |
|
|
|
|
dr[über sin- |
075 |
|
A |
01 |
[HMh ][m; |
076 |
|
M |
03 |
[mi ]t neunzig kindern und dann hab ich |
|
|
|
|
noch SO was- |
077 |
|
M |
03 |
(1.07) un: die hatten mich halt auch noch mal drauf |
|
|
|
|
angeSPROCHen- |
078 |
M |
03 |
(0.62) weil SIE irgendwie der meinung sin dass es halt |
|
|
|
(.) eventuell psychisch (.) halt bedingt wäre, |
079 |
M |
03 |
(.) jetzt wollt ich erst mal wieder mit IHnen drüber |
|
|
|
sprechen bevor wir halt (.) eventuell noch mal (.) zu |
|
|
|
ner beratung gehn oder, |
080 |
M |
03 |
(0.63) was wer jetz TUhun sollen ((Lachansatz)) |
081 |
A |
01 |
(0.75) also erFAHrungsgemäß:- |
082 |
A |
01 |
(0.43) kommt man da WEnig voran; |
083 |
|
|
(0.74) |
084 |
M |
03 |
womit, |
085 |
A |
01 |
(0.38) [mit d ]er(.) mit (.) ARbeit (an) psychischer |
|
|
|
ursachen- |
086 |
M |
03 |
[(mit der) |
087 |
|
|
(1. 34) |
088 |
A |
01 |
sie können das versuchen |
089 |
M |
03 |
(.) oh |
090 |
A |
01 |
(.) insbesondere dann wenn es auch mit EINkoten |
|
|
|
kombiniert i[s-] |
091 |
M |
03 |
[HM ]hm- |
092 |
A |
01 |
(0.27) aber erfahrungsgemäß (0.69) is des ne |
|
|
|
schiene die man zwar versucht (.) |
|
|
|
man[chmal noch A ]U[Sz ]unutzen |
|
|
|
aber- |
093 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
094 |
M |
03 |
[((unverständlich)) ] |
095 |
A |
01 |
(3.33) man kommt nich WEiter- |
096 |
A |
01 |
0h (.) was hilft is einmal die ZEIT(.) 0 h (0.28) |
|
|
|
zweitens (0.4) stuhl DÜNN stellen- |
097 |
A |
01 |
dass (.) halt wirklich regelmäßig zur toilette gehen |
|
|
|
MUSS- |
Diese subjektive Krankheitstheorie wird impliziert, aber durch den Hinweis auf die Fachrichtung der beratungsstelle (Z. 058) muss die subjektive Krank heitstheorie nicht weiter spezifiziert werden. Eine solche Institution wird üb licherweise aufgesucht, wenn ein Leiden vorliegt oder vorzuliegen scheint, das nicht auf körperliche Ursachen zurückzuführen ist. Die Formulierung der Mutter lässt den Schluss zu, dass sie den Erzieherinnen in diesem Gespräch auch die damalige Einschätzung des Arztes mitgeteilt hatte, da diese die Empfehlung trotzdem (Z. 058) aussprachen. Durch halt und trotzdem (Z. 058) wird die SKT einerseits heruntergestuft, da die SKT als eine Theorie einge führt wird, die sich von der Einschätzung des Arztes unterscheidet, die aber gegenüber den Erzieherinnen dennoch angeführt wurde. Andererseits wird die Theorie auch hochgestuft, da die Erzieherinnen ja die Empfehlung vertre ten, obgleich ihnen ganz offensichtlich die Diagnose und Therapieplanung des Arztes mitgeteilt wurden. Des Weiteren beschreibt die Mutter, dass sie dennoch der Empfehlung der Erzieherinnen gefolgt seien und den Termin wahrgenommen hätten, wobei sie auch dort die damalige Empfehlung des
Arztes offengelegt hätte. Die angeführte Therapieempfehlung führte offen sichtlich dazu, dass der Termin nicht als ergiebig empfunden wurde, da die Beratenden die Empfehlung des Arztes als solche akzeptierten und den Eltern lediglich TIPPS gegeben (Z. 065) hatten, wie mit der Situation umgegangen werden kann. Wenn sie die Krankheitstheorie gänzlich abgelehnt hätten, hät te ein Besuch bei der PSYchologische beratungsstelle (Z. 058) wahrscheinlich nicht stattgefunden. Somit kann eine Unterstützung dieser Theorie durch die Eltern zumindest in Ansätzen angenommen werden. In der Zeile 074 benennt die Mutter dann auch die Urheberinnen dieser subjektiven Krankheitstheorie und positioniert sich zugleich zu dieser Empfehlung. Sie äußert zum einen Verständnis für deren Drängen infolge der Theorie und äußert in Zeile 079 auch die Bereitschaft, erneut die empfohlene Institution aufzusuchen. Die subjektive Krankheitstheorie wird erst in Zeile 078 tatsächlich konkretisiert. Hierbei wird ein weiteres Mal nicht klar, wie die Mutter selbst zu dieser The orie steht. Durch verschiedene Abtönungspartikel, wie irgendwie (Z. 078) oder halt (Z. 078) und eventuell (Z. 078) stuft sie die Theorie der Erzieherinnen her unter. Auch der Einsatz des Konjunktivs drückt eine gewisse Distanzierung aus (Z. 078). Die Mutter gibt dafür an, die ärztliche Diagnose und Therapie empfehlung abwarten zu wollen, bevor beschlossen werden soll, welche Ak tivitäten nun verfolgt werden sollen; dass eine Option aber die Zuhilfenahme der psychologischen Beratungsstelle darstellt, wird auch erwähnt (Z. 079).
Andere subjektive Krankheitstheorien werden erst nach der Diagnosemittei lung - in diesen Fällen dann zumeist in der Handlungsschemakomponente der Therapieplanung- eröffnet:
Fallbeispiel 40: APEG_16 (A-Pm5-M; ca. 2:45min); Th (00:43.93-02:19.45); 01:01.61-01:46.15
017 |
A |
02 |
(1.07) des isch ne ganz leichte entzündung DA: |
018 |
A |
02 |
(.) en kleines pu Pickele, |
019 |
A |
02 |
(0.29) un dass sich des net weiter ausbreitet einfach |
|
|
|
diese (0.41) polyvidonolsalbe mit nem PFLASter drauf; |
020 |
A |
02 |
so n_paar TAge und [dann is des (pickele weg) ] |
021 |
M |
16 |
[oKAY-=das kann also au ]mal |
|
|
|
sein dann muss ich nich gleich borrel[iosePAnisch] werden un so- |
022 |
A |
02 |
[nein NEIN- |
023 |
A |
02 |
NEIN des sieht jetzt zunächst nich nach borreliose aus |
024 |
A |
02 |
des sieht aus wie wenn (.) 0 h DA: en bisschen- |
025 |
A |
02 |
(0.41) ((schmatzt)) vielleicht en bisschen dreck in die |
|
|
|
kleine (.) einstich BISSstelle gekommen is un- |
026 |
A |
02 |
des is so ne- |
027 |
A |
02 |
0hh (.) das ÄH:- |
028 |
A |
02 |
(0.38) brauch mer jetz noch nich an borrelIOse denken; |
029 A 02
(.) h an borreliose [muss ]man denken
0
[wenn des ]jetz (0.2) immer GRÖßer wird ein richtiger (0.24) roter fleck-
030 |
M |
16 |
[ ((stöhnt)) ] |
031 |
M |
16 |
[wenn des-] |
032 |
A |
02 |
der immer GRÖßer wird immer größer wird |
033 |
M |
16 |
(.) ja, |
034 |
A |
02 |
(.) und dann äh: (0.24) in der Mitte auch wieder |
035 |
A |
02 |
(0.38) BLASS wird- |
036 |
A |
02 |
sodass es dannen roter RING is |
037 |
|
|
( 0. 45) |
038 |
M |
16 |
oKAY, |
IndemGespräch APEG_16 wird bisher nur der Zeckenbiss als Grund für den Arztbesuch genannt sowie die Veränderung der Bissstelle. Die subjektive Krankheitstheorie, ein vorliegender Borreliose-Verdacht der Mutter, wird erst erwähnt, nachdem der Arzt seine Diagnose sowie die Therapieempfehlung ein zweites Mal benannt hat. Sie greift die Diagnose und die danach realisier te Therapieempfehlung des Arztes explizit nicht an, indem sie im Vorlauf mit dem oKAY (Z. 021) eine tendenziell eher zustimmende Ratifizierung der Dia gnose vornimmt und dann festhält, dass eine solche Diagnose folglich bei ei ner sogearteten Symptomatik auch eine Möglichkeit darstellen könne. Durch diese Äußerung hat sie bereits eine weitere mögliche Diagnose impliziert, die sie daneben auf die sogeartete Symptomatik als zumindest naheliegend ein stuft. Diese subjektive Theorie wird im Folgenden expliziert. Mittels also (Z. 021) bezieht sie sich auf das zuvor Ausgeführte, aus dem sie nun eine Schlussfolgerung ableitet. Die subjektive Krankheitstheorie wird somit als vo rausgegangen präsentiert und dadurch hochgestuft, dass sie beschreibt, dass die subjektive Krankheitstheorie im Vorfeld auch eine emotionale Reaktion bei ihr hervorgerufen hat, was sie durch die Wortneuschöpfung borrel[iose PAnisch] (Z. 021) zum Ausdruck bringt. Die Reaktion auf die im Vorfeld auf gestellte subjektive Krankheitstheorie oder die voreilige Theoriebildung selbst wird hier als überzogen dargestellt (Z. 021). Dass der Verdacht, es könnte sich um eine Borrelioseinfektion handeln, sofort in ihr keimt, wenn eine Bissstelle sich rötet, beschreibt sie durch das gleich (Z. 021), aber auch durch die Einführung der Theorie, die für sie als naheliegend eingeführt wird, womit eine Hochstufung des Verdachts angestellt wird und ebenso dazu bei trägt, den Verdacht der Mutter als Extremwert zu präsentieren. Dadurch greift die Mutter die Diagnose des Arztes nicht an, schließlich folgt sie ihm in seinen Ausführungen und stellt den eigenen Verdacht als übereilt und als nicht mehr existent heraus. Die Frage bezieht sich außerdem nicht auf den vorliegenden Fall, sondern generalisierend auf solche Fälle. So handelt es sich zwar auf der Textoberfläche um eine Nachfrage zur Diagnose, durch die dar in übermittelte SKT offenbart sie aber auch die Theorie, die hier nun noch-
mals als Theorie, aber 11 auch nicht als konkurrierend eingebracht" (Spranz Fogasy/Winterscheid 2013, S. 24) wurde. Dadurch, dass sie den Verdacht nach der wiederholten Diagnosemitteilung einbringt, signalisiert sie jedoch auch, dass die subjektive Krankheitstheorie noch präsent ist oder es einen anderen Grund dafür gibt, diese nun doch zu nennen. Somit kann die Frage so ver standen werden, dass die Mutter eine Rückversicherung einfordert, um für ähnliche Situationen die Lage besser einschätzen zu können oder um eine Reaktion auf ihre subjektive Krankheitstheorie zu erhalten, welche einen Arztbesuch, der rückwirkend nicht zwingend erforderlich zu sein scheint, rechtfertigt (vgl. Heritage/Robinson 2006).
Bei dem Erstkonsultationsgespräch APEG_14 bringt die Mutter im Rahmen der Handlungsschemakomponente der Diagnosemitteilung eine dritte Krankheitstheorie zur Sprache, die sie zuvor nicht erwähnt hat. Allerdings gab es bereits während des Gesprächs immer wieder Beiträge der Mutter, in denen sie das Fernbleiben der Patientin von der Schule problematisiert. Au ßerdem gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass die Mutter bestimmte Punkte angibt, die sie als heikel erachtet:
Fallbeispiel 41: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); D (17:44.93-22:12.61); 21:04.20-22:12.61
131 A 02
132 A 02
133 M 14
134 A 02
135 A 02
136 M 14
137 P 14
138 A 02
139 M 14
140 A 02
0 h (0.2) un deswegen äh kann AUCH jetz äh ne migräne (0.62) äh zum beispiel verstärkt sein-
(0.35) in PHAsen wo s stressig i[s,
[H ]Mhm;
(0.83) und sie kann SELtener sein;
(0.63) äh (0.43) in phasen wo s äh (0.41) keinen stress gibt oder in den FErien kann des besser sein oder so
=ja,
(.) HMhm,
oh
(.) oder wenn sie sagen wo_s in der schule großen stress gab in der grundschule dann war des (0.3) ((räuspert sich)) 0 h (.) äh (0.4) ÄRger als (.) nachher wo se dann die schule gewechsel[t hat, ]
[HMhm-
un (.) die atmosphäre war wieder wieder [+++
141 |
M |
14 |
[ija gut ]wenn oft is es ja so verABreden kann se sich-=ja, |
|
142 |
M |
14 |
(0.33) man[chmal-=]ja, |
|
143 |
A |
02 |
[JAja, |
|
144 |
M |
14 |
[als ]o- |
|
145 |
A |
02 |
[j a; l |
|
146 |
M |
14 |
0 h |
(.) es war so (.) letztens dass dass de den ganzen |
147 M 14
nachmittag mit freundinnen zusammen WARST;=
=und dass ihr noch LÄNger zusammenbleiben wolltet-=
148 |
M |
14 |
=und dann kommt se heim und hat total KOPFschmerzen-= |
||
149 |
M |
14 |
=sag ich ja WIE, |
||
150 |
M |
14 |
oh ( .) ja. |
||
151 |
|
|
(0.25) |
||
152 |
M |
14 |
un dann war se drei tage KRANK- |
||
153 |
A |
02 |
JA [ja, |
||
154 |
M |
14 |
[des KO]NNT ich dann nich mehr- |
||
155 |
M |
14 |
oh des äh ((Lachansatz)) (0.31) unterstell dann |
||
|
|
|
manchmal so <<lachend> simulantentum >;= |
||
156 |
M |
14 |
=aber des des is es GLAUB ich nich-=[ja, |
||
157 |
A |
02 |
[ja, |
||
158 |
M |
14 |
es is es is dann WIRKlich so dass es ihr |
||
|
|
|
[dann ]schlecht geht so. |
||
159 |
A |
02 |
[((schnieft)) |
||
160 |
A |
02 |
ja alSO, |
||
161 |
M |
14 |
0 h |
(.) in der SCHUle kann ses halt nich abschalten-=ja, |
|
162 |
M |
14 |
wenn se sich dasitzt und konzentrieren muss dann äh |
||
|
|
|
dann (0.25) sin die (.) PRÄsent- |
||
163 |
M |
14 |
(.) wenn se sich mit freundinnen trifft kann man |
||
des vielleicht noch mal 0 h (.) WEGdrücken hasch du |
|||||
|
|
|
gsagt;=gä, |
|
|
164 |
P |
14 |
( 0. 22) |
|
|
165 |
A |
02 |
ja-=[gut des hängt davon ab wie |
]STARK s |
|
|
|
|
[halt grad is;=ne, |
|
|
166 |
M |
14 |
[dann kann man des en BISsel |
||
167 |
M |
14 |
[kann man ((unverständlich)) ]ABlenken |
||
|
|
|
so-=n[e,=] |
||
168 |
A |
02 |
[j l [a; l |
||
169 |
M |
14 |
[=ab]er (.) GUT; |
||
170 |
|
|
( 0. 25) |
||
171 |
M |
14 |
da SIN se |
||
172 |
|
|
( 0. 3) |
Während die erste subjektive Krankheitstheorie der Mutter sich auf einen körperlichen Aspekt bezog und die zweite subjektive Krankheitstheorie den vorliegenden Stress und gleichzeitig einen Bezug zum schulischen Alltag be rücksichtigt, legt sie nun eine dritte subjektive Krankheitstheorie offen, die eine Erkrankung gänzlich ausschließt und damit extrem facebedrohend für die Patientin ist. Die Simulations-Theorie (Z. 155) wird jedoch erst präsentiert, nachdem der Arzt eine Diagnosemitteilung eröffnet hat, die eine echte Er krankung zugrunde legt, auch wenn diese bisher noch nicht mit völliger Si cherheit aufgestellt wurde. Durch den Zeitpunkt der Präsentation greift die Mutter mit ihrer subjektiven Krankheitstheorie das face der Patientin in einer deutlich abgemilderten Form an. Die Präsentation der subjektiven Krank heitstheorie geschieht dann aber recht elaboriert. Sie verweist auf eine Situati on, die sie darstellt, und führt die Patientin als Zeugin dieser Darstellung an, indem sie einen Teil der Einführung an diese adressiert. Mit dieser Darstel-
11
lung erklärt sie ihr zwischenzeitlich auftretendes Unverständnis der erlebten Ereignisse. Zudem rahmt sie diese subjektive Krankheitstheorie damit, dass sie angibt, dass es sich um einen Verdacht handelt, der nur hin und wieder aufkam und von dem sie eigentlich auch nicht restlos überzeugt ist (Z. 155- 158). Durch den Hinweis darauf, dass ihr die subjektive Krankheitstheorie schon mehrfach in den Sinn gekommen ist (Z. 155), stuft sie die Theorie aller dings auch hoch. Der Präsentation geht ein Lachansatz voraus und sie wird auch lachend realisiert. Schwitalla hat festgehalten, dass Lachen ganz unter schiedliche Funktionen haben kann und auch zum Schutz des fremden Face" sowie zum 11 Schutz des eigenen Face" gebraucht wird (Schwitalla 2001, S. 333- 337). Das Tempus der Aussage, dass sie ihr des äh((Lachansatz)) (0.31) unterstell dann manchmal (Z. 155) weist daneben nicht auf eine inzwischen abgewählte SKT hin. Neben der Rahmung und dem Zeitpunkt der Präsentation nimmt die Mutter aber durch die Revision dieser Theorie eine Herabstufung der sub jektiven Krankheitstheorie vor. Mit schnellem Anschluss wird dann aber so fort nach der Präsentation der SKT darauf verwiesen, dass sie diese Theorie nicht oder nicht mehr verfolgt:
M 14 °h des äh ((Lachansatz)) (0.31) unterstell dann manchmal so <<lachend> simulantentum >;=
M 14 =aber des des is es GLAUB ich nich-=[ja,
157 A 02 [ja,
Weiterhin attestiert sie der Patientin auch die Echtheit der Symptome, welche nun im Gegensatz zur Präsentation dieser dritten Theorie auch nicht modali siert genannt werden. Dies unterstützt sie durch das Adverb WIRKlich (Z. 158), auf dem auch der Fokusakzent liegt. Zudem bekräftigt sie die Ab wahl durch eine Erklärung der Patientin zu dieser von ihr empfundenen Dis krepanz zwischen der Beobachtung und der Rückmeldung der Patientin, die sie zuerst als eigene Herleitung einführt (Z. 162-163) und nach der Zitation der Erklärung auch darauf verweist, dass die Begründung durch die Patientin selbst so realisiert wurde. Die Patientin wird dann erneut durch hasch du gsagt;=gä, (Z. 163; siehe auch Z. 165 und 167) als Zeugin herangezogen.
Strukturell gibt es offensichtlich zwei Zeitpunkte, in denen SKTs üblicherwei se präsentiert werden: den Moment, nachdem die Symptome dargelegt wur den, und nach der Diagnosemitteilung des Arztes.
Interessant sind aber auch die Beispiele, in denen von dieser zeitlichen Ordnung abgewichen wird. Bei APEG_32 findet eine Untersuchung vor dem Erstkonsultationsgespräch statt. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese SKT oder sogar beide Krankheitstheorien bei der Anmeldung erwähnt wurden. Unabhängig davon, ob die Ärztin hierbei involviert war oder nach träglich informiert wurde, liegt ihr noch vor Beginn des Gespräches der Be fund vor und somit ist ihr auch vorher die SKT bekannt. Anhand der redu zierten Rückmeldung und der Bewertung durch die Mutter kann jedoch
geschlossen werden, dass die subjektive Krankheitstheorie der Ärztin mitge teilt wurde und der Mutter auch die Mitteilung der Ergebnisse ausreichen, um zu verstehen, dass sich die subjektive Krankheitstheorie nicht bewahrhei tet hat.
In den beiden Beispielen, in denen die Krankheitstheorien zur Benennung der Symptomatik herangezogen werden, leistet die Nennung der subjektiven Krankheitstheorien ein Anschaulich-werden der Symptome. Selbst wenn eine solche Theorie wieder zurückgenommen wird, sorgt die Nennung der sub jektiven Krankheitstheorie dafür, dass die Beschwerden, die es zu schildern gilt, dadurch greifbarer werden. So liefert die SKT Pseudokrupp in APEG_31 bereits ein sehr detailreiches Bild der Symptomatik. Die Nachfragen der Ärz tin bezüglich bestimmter Symptome werden allesamt bestätigt, was anschau lich macht, dass diese Benennung der Symptome durch die Mutter hier ein sehr genaues Bild davon vermittelt, wie sich die Beschwerden der Patientin im Vorfeld geäußert haben. Dass sich die Mutter hier auch sehr sicher ist, dass es sich um dieses Krankheitsbild handelt, ist ein weiterer Grund für die sofor tige Nennung der subjektiven Krankheitstheorie in diesem Fall.
Andere Krankheitstheorien - sowohl nach der Symptompräsentation wie auch nach der Diagnosemitteilung - werden sehr vorsichtig eingebracht und entweder deutlich herabgestuft oder als Frage formuliert.
Die subjektiven Krankheitstheorien, die erst nach der Offenlegung der Di agnose geäußert werden, werden jedoch nicht grundlos erst in dieser Phase geäußert. Entweder handelt es sich um eine für die Mutter naheliegende sub jektive Krankheitstheorie, die trotz alledem bisher noch nicht - noch nicht einmal als Ausschlussdiagnose - bearbeitet wurde, die Diagnose einen Arzt besuch prinzipiell nicht notwendig erscheinen lässt oder es sich um eine face bedrohende subjektive Krankheitstheorie handelt, die zuvor entkräftet wur de. Die Mutter inAPEG_l4 präsentiert dem Arzt zunächst zwei faceschonende subjektive Krankheitstheorien und nennt diejenige Theorie, die das face der Patientin angreifen würde, zu einem Zeitpunkt, an dem der Arzt die Diagno se bereits gestellt hat. Die subjektive Krankheitstheorie wird auch nicht als beachtenswerte Möglichkeit eingebracht, sondern als Theorie, an die die Mut ter prinzipiell nicht glaube. Auch die subjektiven Krankheitstheorien, die nach der Diagnosemitteilung offengelegt werden, werden klar benannt.
Die meisten subjektiven Krankheitstheorien erfahren während ihrer Präsen tation mehrere Formen der Hoch- und Herabstufung, außer die Urheber der Theorie sind sich sehr sicher, wie dies in APEG_31 zu beobachten ist. Dies geschieht zumeist - wie oben dargelegt - durch den Einsatz von epistemi schen Verben und unter dem Einsatz verschiedener Modalpartikeln, die er kennen lassen, dass es sich hierbei nur um Vermutungen handelt. Bei den meisten subjektiven Krankheitstheorien kann man den Einsatz von epistemi schen Verben beobachten, die zu einer Herabstufung der SKT beitragen,
da hier in der Regel darauf verwiesen wird, dass die verantwortliche(n) Person(en) sich etwas gedacht oder überlegt hat/haben, wodurch die Theorie als solche offengelegt wird und sich von dem abhebt, was man definitiv weiß. Auch Modalisierungen stufen die SKT herab und werden ebenfalls in den meisten Fällen eingesetzt. Genauso herabstufend ist es, wenn Eltern gleich wertige, also gleich wahrscheinliche subjektive Krankheitstheorien einführen oder andeuten, dass die gerade offenbarte Krankheitstheorie eine von vielen ist oder man auch Einwände dagegen vorbringen könnte, die jedoch in den Fällen des Analysekorpus dann nicht ausgeführt wurden. Das verwendete Tempus kann ebenso zur Herabstufung beitragen. So kann mittels Tempus angezeigt werden, ob es sich um eine Theorie handelt, die noch aktiv verfolgt wird, oder um eine Theorie, die man im Vorfeld aufgestellt hat und die sich nicht als haltbar erwiesen hat oder nun nicht mehr haltbar ist. Neben den verschiedenen Methoden der Herabstufung lassen sich zumeist bei den ein zelnen Beispielen auch Mittel der Hochstufung finden. Das können Hinweise auf eine vorausgegangene Behandlung der Erkrankung der Patienten sein, da dies anzeigt, dass die Eltern im Vorfeld von der Theorie so überzeugt gewe sen sein müssen, dass sie die Medikation als adäquat empfunden haben. Die ses Mittel ist jedoch janusköpfig, denn wenn das Medikament geholfen hätte, wäre ein Besuch beim Arzt nicht mehr notwendig, weswegen mit der Nen nung einer Medikation in den meisten Fällen zugleich auch eine Herabstu fung der Theorie einhergeht. Andere Mittel der Hochstufung sind die Beru fung auf Erfahrungen mit der Patientin, mit anderen Kindern oder selbst gemachte Erfahrungen und eigene Beobachtungen sowie die Verwendung von Fachbegriffen, einer dramatischen Wortwahl- wie der Beschreibung der Panik der Mutter in APEG_16 mittels der Wortneuschöpfung borreliose PAnisch (Fallbeispiel 40; Z. 021). Dies ist dann z.B. der Fall, wenn etwa eine Theorie im Präsens dargestellt wird. In einem Beispiel holt der Vater das Me dikament oder die Verpackung des Medikaments, das er für ein beobachtetes Symptom verantwortlich macht, hervor und benennt parallel dazu die vor ausgegangene Diagnose wie auch das verschriebene Präparat. Das Hervorho len des Medikaments macht die SKT anschaulich und enthüllt auch die Vor bereitung der Präsentation. Gerade dieses Maß an Vorbereitung stuft die SKT zusätzlich hoch. Auch eine Einleitung oder Rahmung der SKT als solche führt zur Hochstufung der subjektiven Krankheitstheorie. Eine Präsentation Dritter kann ebenfalls eine Hochstufung bedeuten, wenn es sich um einen oder meh rere Experten handelt. Bei dem Fall im Analysekorpus, in dem eine subjektive Krankheitstheorie Dritter präsentiert wurde, wird die Theorie von Kindergar tenerzieherinnen benannt. Die Erzieherinnen haben sicherlich schon viele Er krankungen oder Probleme mitbekommen und haben damit eine gewisse Erfahrung mit Krankheiten und natürlich auch eine Krankheitsgeschichte. In diesem Beispiel wird zu Anfang nicht klar, ob die Mutter die Theorie der Er zieherinnen nur zitiert oder gleichsam einstuft.
In fünf Fällen werden die subjektiven Krankheitstheorien im Übrigen als Fragen formuliert, wodurch eine konditionelle Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) für den Arzt besteht, zu reagieren.
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Krankheitstheorien
In einigen Fällen reagieren die Ärzte nicht unmittelbar auf die Eröffnung ei ner subjektiven Krankheitstheorie. Das heißt jedoch nicht, dass die subjekti ven Krankheitstheorien gar nicht durch die Ärzte bearbeitet werden.
So geht der Arzt etwa in der Beispielanalyse zwar nicht sofort auf die sub jektiven Krankheitstheorien der Mutter ein, reagiert bei der körperlichen Un tersuchung aber insofern auf die Theorie, indem er seine Diagnoseoption in Bezug zu den subjektiven Theorien setzt, die er als wahrscheinlicher einstuft. Auch in APEG_06 (vgl. Fallbeispiel 37) bearbeitet der Arzt die subjektive Krankheitstheorie bezüglich einer Reaktion auf ein bestimmtes Lebensmittel nicht sofort, sondern erkundigt sich zunächst nach einem weiteren Symptom:
033 M 06 es heißt nich gestern hat se [MAIS ]gegessen aber;
034 |
A |
01 |
[0 h |
035 |
A |
01 (.) auch FIEber; |
|
Dadurch, dass er an dieser Stelle nicht weiter auf die Möglichkeit eingeht, dass die Störung des Magen-Darm-Trakts in Verbindung mit der Einnahme eines bestimmten Lebensmittels steht, sondern nach dem Vorhandensein von Fieber fragt, signalisiert er der Mutter, dass er von diesem Zusammenhang nicht überzeugt ist. Des Weiteren offenbart er während der körperlichen Un tersuchung sowohl eine Ausschlussdiagnose wie auch Untersuchungsergeb nisse, mit denen er eine Diagnose vorbereitet, die sich von der subjektiven Krankheitstheorie der Mutter unterscheidet (vgl. z.B. Heritage/Stivers 1999). Damit reagiert er in gewisser Weise auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter, denn Heritage und Stivers haben aufgezeigt, 11 dass man mit Hilfe von Onlinekommentaren, also indem der Arzt das jeweils bei der Untersuchung Festgestellte mitteilt, Widerstand auf Seiten der Patienten und ggf. ihrer Be gleitpersonen abbauen kann" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 30; vgl. Heritage/Stivers 1999):
Fallbeispiel 42: APEG_06 (A-PwS-M; ca. 7:S0min); kU (00:59.09-03:02.73); 02:02.49-02:23.24
A 01 na das is ja PRima-
A 01 ( .) also BLINDdarm is nichts- 026 M 06 ( .) ja beine konnt se anWINkeln; 027 M 06 ((lacht)) ( .) ((Lachansatz)) 028 (0.2)
029 M 06 0 hh (2.85) muss ma da AUCH erbrechen-
030 A 01 (0.7) ja-
031 M 06 ( .) ja,
A 01 (0.22) ja MUSS nich;
A 01 aber KAN[N;
M 06 [ja, l
035 ( 1. 49)
-
036 A 01 bauch is aber sons schön WEICH; 037 A 01 ( .) aber gluckern tut s ORdentlich;
-
038 A 01 also da geht so n magenDARMinfekt ( .) los;=ne,
Auch wenn der Arzt die subjektive Krankheitstheorie nicht sofort bearbeitet, reagiert er dennoch auf die Theorie der Mutter, indem er bei der Mutter einen möglichen Widerstand gegenüber einer Diagnose bearbeitet, die sich nicht mit deren subjektiver Theorie deckt. Er benennt eine Ausschlussdiagnose (Z. 025) und leitet seine Diagnose damit ein, dass er Untersuchungsergebnisse nennt. Es gibt jedoch keine explizite Bearbeitung dieser Theorie.
In anderen Fällen werden die subjektiven Krankheitstheorien aber durch den Arzt sofort nach deren Einführung behandelt, so etwa in APEG_31 (vgl. Fall beispiel 36):
M 31 hatte ( .) en ziemlich bösen pseudoKRUPP (am äh) sonntagnacht;
p - 31 ((hustet))
M 31 MONtach gings so halbwe[gs-
Ä 03 [oh l ( .) i[s sie ja eil gentlich ALT für ne;
M 31 [ähm
M 31 (0.26) ja [++++++ ]aber trotzdem es war ganz SCHLIMM;
024 p - 31 [((hustet))
025 M 31 [sie hat ]ganz schlimm äh (zog/so) kaum LUFT ( .)
[bekommen;] [ne, l 026 Ä 03 [hmhm
Ä 03 [hmhm l [ 0 h Jauch beim EINatmen dieses ((macht einen inspiratorischen Stridor nach))
Ä 03 ( .) un da[nn
M 31 [jaja, l
In diesem Beispiel weist die Ärztin die Mutter nach der Eröffnung der subjek tiven Krankheitstheorie darauf hin, dass die Patientin laut ihrem Experten wissen (vgl. Janich/Birkner 2014 und Kap. 2.2) nicht mehr zu der Gruppe - nämlich der Kleinkinder - gehört, die gefährdet ist, Pseudokruppanfälle zu bekommen. Sie relativiert diese Äußerung im Rahmen des Einwandes aller dings durch eigentlich (Z. 021) und stuft ihren Einwand damit selbst herab. Nachdem die Mutter allerdings ihrem Einwand widerspricht und auf die Ein ordnung beharrt, erfragt die Ärztin bestimmte Symptome, die mit diesem Krankheitsbild gemeinhin zusammenhängen.
Im Erstkonsultationsgespräch APEG_04 (vgl. Fallbeispiel 38) realisiert der Arzt zunächst eine Absage auf die vorgebrachte subjektive Krankheitstheorie des Vaters, der vermutet, dass ein vorliegendes Symptom von der Einnahme eines in einem früheren Sprechstundengespräch verordneten Medikaments herrührt. Allerdings wird diese Absage gleich insofern modalisiert, indem er die Absage mit eigentlich (Z. 066) realisiert und damit einschränkt:
V 04 ob das irgendWIE ( .) im zusammenhang zu dem erschöpfungs[zustan]d (hier) steht
A 02 [hm
A 02 NEE eigentlich net;
A 02 nee.
V 04 (na) [dann pack ich s glei wieder EIN
-
A 02 [des könnt s glaub ich NICHT;
Außerdem schwächt er diese Absage beim folgenden Beitrag durch den einge setzten Konjunktiv und den Hinweis auf seine eigene Vermutung abermals ab. Warum diese so allgemein ausfällt, kann nicht geklärt werden, da der beschrie bene Erschöpfungszustand der Patientin tatsächlich laut Beipackzettel, den der Vater ja dabei hat, hin und wieder bei der Einnahme des Medikaments auftre ten kann.106 Die Äußerung des Arztes kann sich darauf beziehen, dass er bestrei tet, dass Nebenwirkungen, die laut Beipackzettel 11 [g]elegent lich"nach der Ein nahme dieses verschriebenen Medikaments auftreten können (vgl. Fußnote 106), tatsächlich auftreten oder aber, dass er bereits eine Vorstellung davon hat, was der Patientin fehlt und er diese Nebenwirkung deswegen ausschließt. Der Arzt begründet die Ablehnung jedoch nicht und zeigt durch Modalpartikel und den Einsatz von epistemischen Verben an, dass er sich bei der Ablehnung auch nicht völlig sicher ist, sondern lediglich annimmt, dass diese Symptome nicht von der Einnahme des Medikaments herrühren.
Auch in APEG_03 (vgl. Fallbeispiel 39) reagiert der Arzt auf die aufwändig durch die Mutter eingebrachte subjektive Krankheitstheorie Dritter, welche anfangs auch nur aus der zitierten Therapieempfehlung der Erzieher abgelei tet werden kann. Der Arzt reagiert nach der impliziten Aufforderung, ihnen mitzuteilen, wie in dieser Sache weiter zu verfahren ist und gibt an, dass nach seiner Erfahrung der Besuch einer psychologischen Beratung nicht den ge wünschten Erfolg hat (Z. 081-086):
M 03 ( .) jetzt wollt ich erst mal wieder mit IHnen drüber sprechen bevor wir halt ( .) eventuell noch mal ( .) zu ner beratung gehn oder,
M 03 (0.63) was wer jetz TUhun sollen ((Lachansatz))
A 01 (0.75) also erFAHrungsgemäß:-
A 01 (0.43) kommt man da WEnig voran;
106 Vgl. https://www.apotheken-umschau.de/Medikamente/Beipackzettel/griseo---ct- 125mg-Tabletten-37584 01.html (Stand: 20.3.2016).
083 |
|
|
(0.74) |
|
084 |
M |
03 |
womit, |
|
085 |
A |
01 |
(0.38) [mit d ]er(.) mit (.) ARbeit (an) |
psychischer |
|
|
|
ursachen- |
|
086 |
M |
03 |
[(mit der) |
|
087 |
|
|
(1. 34) |
|
088 |
A |
01 |
sie können das versuchen |
|
089 |
M |
03 |
(.) oh |
|
090 |
A |
01 |
(.) insbesondere dann wenn es auch mit EINko |
|
|
|
|
ten kombiniert i[s-] |
|
091 |
M |
03 |
[HM ]hm- |
|
092 |
A |
01 |
(0.27) aber erfahrungsgemäß (0.69) is des ne |
|
|
|
|
schiene die man zwar versucht (.) |
|
|
|
|
man[chmal noch A ]U[Sz |
]unutzen |
|
|
|
aber- |
|
093 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
|
094 |
M |
03 |
[((unverständlich)) ] |
|
095 |
A |
01 |
(3.33) man kommt nich WEiter- |
|
096 |
A |
01 |
0h (.) was hilft is einmal die ZEIT(.) 0 h (0.28) |
|
|
|
|
zweitens (0.4) stuhl DÜNN stellen- |
|
097 |
A |
01 |
dass (.) halt wirklich regelmäßig zur toilette gehen |
|
|
|
|
MUSS- |
Die Formulierung [mit d]er(.) mit(.) ARbeit (an) psychischer ursachen-(Z. 085), die auf die Aufforderung der Mutter erfolgt, ist zweideutig. Einerseits kann sie ge lesen werden als Einstellung zur Sinnlosigkeit gegenüber psychischer Behand lungen im Zusammenhang mit Einnässen und Einkoten, obgleich möglicher weise psychische Probleme vorliegen, und andererseits als eine Absage der Behandlung psychischer Probleme in Bezug auf diese hier vorliegenden Prob leme, weil der Arzt nicht davon ausgeht, dass in diesem Fall tatsächlich psychi sche Probleme vorliegen. Unabhängig von der Lesart spricht er sich im ersten Impuls gegen die Therapieempfehlung der Erzieher aus (Z. 081-085), betont dann aber, dass es nichtsdestoweniger auf einen Versuch ankomme, wenn eine solche Maßnahme parallel erfolge (Z. 088-090). So stuft er diese Maßnahme auch wieder etwas hoch, indem er das neu hinzugekommene Symptom als Be gründung anführt, diese Therapie zusätzlich in Betracht zu ziehen (Z. 090).
092 |
A |
01 |
(0.27) aber erfahrungsgemäß (0.69) is des ne schiene die man zwar versucht (.) man[chmal noch A ]U[Sz aber- |
]unutzen |
093 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
|
094 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
] |
095 |
A |
01 |
(3.33) man kommt nich WEiter- |
|
096 A 01
097 A 01
0h (.) was hilft is einmal die ZEIT(.) 0 h (0.28) zweitens (0.4) stuhl DÜNN stellen-
dass (.) halt wirklich regelmäßig zur toilette gehen MUSS-
Anschließend stuft er diese Maßnahme dann jedoch wieder herab, als er da rauf hinweist, dass es sich nur um eine zusätzliche Maßnahme handeln sollte, was durch das noch (Z. 092) hervorgehoben wird, und er darauf verweist, dass diese Maßnahme üblicherweise auch nicht erfolgreich sei (Z. 095). Diese Absage an diese Maßnahme und damit möglicherweise auch an die subjekti ve Krankheitstheorie wird mehrfach verstärkt. Dies geschieht zum einen durch die Konstruktion mit zwar (Z. 092) und aber (Z. 092), wodurch der Arzt nun wieder die Maßnahme herabstuft, aber auch durch die Einleitung, wobei er mittels aber (Z. 092) eine Absage vorbereitet und sich bei dieser zudem auf seine Erfahrung beruft (Z. 092). Auch die Therapievorschläge, die er im Fol genden anführt und denen er einen Erfolg attestiert, wodurch er der Thera pieplanung vorausgreift, stufen diese Maßnahme erneut herab.
Im Erstkonsultationsgespräch APEG_16 (vgl. Fallbeispiel 40) reagiert der Arzt ebenfalls auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter, beantwortet dabei aber nicht die Frage auf der Textoberfläche, sondern behandelt es als Präsentation der SKT:
021 M 16 [oKAY-=das kann also au ]mal
|
sein dann muss ich nich gleich borrel[iosePAnisch] werden un so- |
||
022 |
A |
02 |
[nein NEIN |
023 |
A |
02 |
NEIN des sieht jetzt zunächst nich nach bor |
024 |
A |
02 |
reliose aus- des sieht aus wie wenn (.) 0 h DA: en biss |
|
|
|
chen- |
025 |
A |
02 |
(0.41) ((schmatzt)) vielleicht en bisschen dreck in die |
|
|
|
kleine (.) einstich BISSstelle gekommen is un- |
026 |
A |
02 |
des is so ne- |
027 |
A |
02 |
0hh (.) das ÄH:- |
028 |
A |
02 |
(0.38) brauch mer jetz noch nich an borrelIOse denken; |
029 |
A |
02 |
(.) 0 h an borreliose [muss ]man denken |
|
|
|
[wenn des ]jetz (0.2) immer GRÖßer wird ein richtiger (0.24) roter fleck- |
030 |
M |
16 |
[ ((stöhnt)) ] |
031 |
M |
16 |
[wenn des-] |
032 |
A |
02 |
der immer GRÖßer wird immer größer wird |
033 |
M |
16 |
(.) ja, |
034 |
A |
02 |
(.) und dann äh: (0.24) in der Mitte auch wieder |
035 |
A |
02 |
(0.38) BLASS wird- |
036 |
A |
02 |
sodass es dannen roter RING is |
037 |
|
|
(0.45) |
038 |
M |
16 |
oKAY, |
Obgleich sich diese Frage nicht in erster Linie auf die hier vorliegende Situa tion, sondern auf den generellen Verdacht einer Borreliose bei einer roten Stelle nach einem Zeckenbiss bezieht (Z. 021), bearbeitet der Arzt diese Frage als Eröffnung einer subjektiven Krankheitstheorie: Die Antwort auf die Fra-
ge hätte so aussehen können, dass er bestätigt, dass bei einer Rötung nach ei nem Zeckenbiss noch nicht gleich an Borreliose gedacht werden muss. Der Arzt wählt jedoch explizit die subjektive Krankheitstheorie ab und geht nicht auf die Generalisierung ein, sondern bezieht sich weiterhin auf den vorliegen den Fall, den er in dieser Situation nicht als verdächtig im Hinblick auf eine Borreliose einstuft (Z. 022-023). Allerdings gibt er auch an, dass er sich dabei auf den derzeitigen Eindruck beziehe und deutet durch zunächst (Z. 023) an, dass sich dieser Eindruck durchaus ändern könne. Dabei beschränkt er sich weiterhin auf den vorliegenden Fall und formuliert eine Hypothese, warum es in diesem Fall zu einer Entzündung gekommen sein kann, wobei er auf seinen Seheindruck verweist (Z. 024-025): Er gibt an, dass bei dieser Entzün dung vielleicht en bisschen dreck in die kleine (.) einstich BISSstelle gekommen (Z. 025) ist. Erneut betont er, dass ein Borrelioseverdacht in diesem Moment noch nicht geboten ist, schließt diesen Fall allerdings auch nicht kategorisch aus und erklärt, dass die Stelle weiterhin beobachtet werden muss (Z. 026- 042). Anschließend geht er darauf ein, wie die Bissstelle aussehen und sich verändern würde, wenn eine Borreliose vorliegen würde. Sollte die Hautpar tie sich dementsprechend verändern, erteilt er der Mutter den Auftrag, sich erneut zu melden- (Z. 042). Er grenzt dann diesen hypothetischen Fall aber von dem vorliegenden ab und erneuert seine bereits zweimal genannte Dia gnose, an der er weiterhin festhält (Z. 043-044).
Der Arzt reagiert auf die Frage der Mutter, indem er die subjektive Krank heitstheorie der Mutter sofort zu entkräften versucht. Allerdings wählt er die se nur für diesen Moment ab und erklärt, dass dieser Verdacht zwar noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, aber sich bisher nicht aufdrän ge. Dadurch, dass die subjektive Krankheitstheorie aufrechterhalten wird, indem diese weiterhin als Möglichkeit genannt wird, stuft er die subjektive Krankheitstheorie der Mutter hoch, obwohl er sie abwählt. Durch den mehr maligen Verweis auf das derzeitige Erscheinungsbild, das nicht dem einer Borrelioseinfektion entspreche, stuft er die subjektive Krankheitstheorie dann wieder herab.
Subjektive Krankheitstheorien werden unterschiedlich bearbeitet. Das hängt damit zusammen, dass die Theorien in bestimmten Phasen genannt werden, aber auch damit, dass diese in unterschiedlicher Art und Weise vorgebracht werden: Krankheitstheorien, die nach der Symptompräsentation - vor allem in der Phase der körperlichen Untersuchung, in der der Fokus des Arztes auf der Untersuchung liegt (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 21; sie he auch ten Have 1990) - eingebracht werden, scheinen besonders fruchtlos eingebracht zu werden. Auch wenn die Ärzte auf diese subjektiven Krank heitstheorien reagieren, werden diese in der Regel nicht ausgehandelt. Bei subjektiven Krankheitstheorien, die als Benennung der Symptome eingesetzt oder nach der Diagnosemitteilung erwähnt werden, ist die Wahrscheinlich-
keit, dass der Arzt sofort auf die Theorien reagiert, deutlich höher. Generell lässt sich jedoch feststellen, dass die subjektiven Krankheitstheorien, die mit einer großen Sicherheit eingebracht oder im Rahmen einer Frage präsentiert werden, in der Regel sofort bearbeitet werden. Dies trifft ferner eher auf die Theorien zu, die zur Symptombeschreibung verwendet oder erst nach der Diagnosemitteilung realisiert werden. Krankheitstheorien, die selbst durch die Eltern oder Patienten abgewählt oder herabgestuft wurden, auch wenn diese Herabstufung auch mit einer oder mehreren Hochstufungen einher geht, werden in der Regel nicht sofort durch den Arzt bearbeitet.
Die Ärzte reagieren eher auf Krankheitstheorien, die Bestandteil einer konkreten Frage sind, die eine Vorbereitung erkennen lassen, als noch ver folgte Theorie präsentiert oder mit großer Sicherheit eingebracht werden. Auf die Präsentation von Krankheitstheorien, die als unsicher oder bereits abge wählt offengelegt werden, gehen die Ärzte meistens nicht explizit ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Ärzte auf diese subjektiven Krankheitstheori en nicht reagieren. In den Fällen, in denen die Ärzte Indizien dafür finden, dass eine andere Erkrankung vorliegt, als vermutet wurde, bereiten sie dies mittels Onlinekommentaren, Ausschlussdiagnosen oder vorläufigen Diagno severmutungen vor.
Ausschlaggebender für die Reaktion als die Platzierung im Gespräch scheint demnach nach näherer Betrachtung die Art und Weise der Erwäh nung zu sein, die aber natürlich auch mit der Handlungsschemakomponente im Zusammenhang steht.
Die Patienten selbst sind in die Aushandlung von subjektiven Krankheits theorien in der Regel nicht eingebunden. Lediglich in einem Fall des Analyse korpus nennt eine Patientin eine subjektive Krankheitstheorie, die durch die Mutter jedoch auch nachträglich als ihre eigene identifiziert wird (vgl. hierzu Kap. 5).
Folgen für die Interaktion
Werden die subjektiven Krankheitstheorien durch den Arzt sofort bearbeitet, wie dies in APEG_04 der Fall ist (vgl. Fallbeispiel 38), wird die subjektive Krankheitstheorie im Gespräch nicht weiterverfolgt. Dies kündigt der Vater in APEG_04 sogar selbst an und packt überdies symbolisch die mitgebrachte Me dikamentenpackung, die simultan zur Präsentation der subjektiven Krank heitstheorie hervorgeholt wurde, wieder ein, was er ebenfalls kundgibt:
066 |
A |
02 |
NEE eigentlich net; |
067 |
A |
02 |
nee. |
068 |
V |
04 |
(na) [dann pack ich s glei wieder EIN |
069 |
A |
02 |
[des könnt s glaub ich NICHT; |
Nachdem der Arzt signalisiert hat, dass er diese subjektive Krankheitstheorie nicht für wahrscheinlich hält (Z. 066-067), kündigt der Vater an, dass er das mitgebrachte Medikament wieder in den Rucksack legen wird (Z. 068). Diese beschriebene Handlung führt er auch prompt aus. Entsprechend seiner An kündigungen wird die subjektive Krankheitstheorie durch den Vater auch in der weiteren Interaktion nicht weiterverfolgt.
In den meisten Interaktionen, in denen subjektive Krankheitstheorien nicht explizit bearbeitet werden, müssen Ärzte dagegen der 11 Skepsis gegenüber Diagnosen oder rekursive[n] Schleifen" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 30) begegnen. So reagiert die Mutter in dem Erstkonsultationsgespräch APEG_14 etwa auf die Überleitung des Arztes zur körperlichen Untersu chung mit einer Wiederaufnahme der noch nicht bearbeiteten subjektiven Krankheitstheorie (vgl. ebd., S. 25ff. und Winterscheid/Kook i.Vorb.):
Fallbeispiel 43: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); BE (00:07.16-07:32.92); 00:30.57-01:07.36 & 06:49.01-07:09.98
M 14 un des HÄUFT sich halt-=JA,=
M 14 =un ich hab GSAGT-=
M 14 =SO,=jetz müss ma mal zum ARZT gehn-
-
M 14 weil so geht s ja net auf dauer WEiter-=ne-
019 A 02 (0. 31) hmHM;
020 M 14 ( .) geNAU-= 0 h
M 14 ( .) jetz DACHT ich ähm-
M 14 ( .) sie hat jetz ihre periüde seit nem halben jahr-
023 A 02 ( .) HMhm,
M 14 ( .) also kann ja dann einfach auch mit dem WACHStum zusammenhängen-=ne,
M 14 oh
A 02 hmHM,
M 14 ( .) WEISS net ts ähm-
M 14 (0.47) ob man BLUT untersuchen ( .) sollte-
M 14 oder oder oder vielleicht mal (en/äh) en EI senwert;
030 (0.54)
031 A 02 [gu]ck mer
032 M 14 [+++ l
033 A 02 [EINS nach ]em ANdern;
034 M 14 [++++++ +++
035 M 14 ( .) HMhm;
036 (0. 22)
M 14 ((lacht))
A 02 (0. 28) WANN hat des angefangen-
039 p - 14 (0.67) äh;
040 p- 14 (0.42) ach SO:-
A 02 [mit diesen ]KOPFschmer[zen;
-
p 14 [oh
-
-
p 14 [oh l ( .) ÄH:: also- 044 p 14 (0.61) in letzter zeit is es ziemlich ARG;
- -
p 14 ( .) aber (0.52) so RICHtig angefangen hat s vielleicht so im-
P 14 (.) vor_m (0.54) viertelJAHR,
A 02 (1.27) vor_nem VIERteljahr;
P 14 ja-
[ ... ]
A 02 (.) +++ dich da HOCH,
A 02 (0.57) zum unterSUchen;
M 14 (.) ich glaub du hast auch ziemlich stark deine TAge wenn du se hasch;
M 14 kann des SEIN,
-
p 14 (0.21) ja also an Einem tag schon-
M 14 ( .) JAja des ( .) sie:-
M 14 ( .) des is ziemlich HEFtig manchmal-=ne, 282 (0.89)
A 02 und des steht aber mit den kopfschmerzen nich in Zusammenhang damit dass du da deine tage has-
-
-
A 02 oder WIE is en des; 285 p 14 (0.23) äh:::-
-
p 14 (0.24) keine AHn[ung;
A 02 [habt ]ihr noch nich
A 02 ( .) hast du noch nich drauf geACHtet;
Der Arzt hat auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter bisher nicht re agiert und durch die Überleitung zur körperlichen Untersuchung auch signa lisiert, dass er diese Theorie im Moment nicht bearbeiten wird. Die subjektive Krankheitstheorie besteht darin, dass die Mutter einen Zusammenhang zwi schen dem Beginn der regelmäßig auftretenden Kopfschmerzen und dem Einsetzen der Menarche hergestellt hat (Z. 021-024). Die Mutter hat mit dem Hinweis darauf, dass nun etwas folgt, was sie sich überlegt hat (Z. 021), die subjektive Krankheitstheorie eingeleitet und nach der Information, dass die Patientin seit nem halben jahr (Z. 022) ihre periOde (Z. 022) hat, die subjektive Krankheitstheorie formuliert, die darin besteht, dass die Kopfschmerzen mit der Entwicklung der Patientin, was sie mit WACHStum (Z. 024) umschreibt, zusammenhängen könnte. Die Mutter schließt ein Frageanhängsel an, womit sie eine Reaktion des Arztes einfordert. Der Arzt reagiert mit einem Rückmel designal, woraufhin die Mutter Untersuchungsvorschläge unterbreitet (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 26f.).107
Auf diese reagiert der Arzt (vgl. auch Kap. 9.3) und beginnt nun mit Nach fragen zur Symptomatik. Dabei erfragt er etwa die Dauer der Beschwerden, zu der sich die Mutter bisher nicht geäußert hat, kommt aber zunächst nicht mehr auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter zu sprechen.
107 Das Beispiel wurde bereits in Kapitel 8 angeführt.
Nachdem der Arzt die Patientin bittet, sich für die körperliche Untersu chung vorzubereiten und damit signalisiert, dass er die Handlungsschema komponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration ab schließen möchte, reaktiviert die Mutter die subjektive Krankheitstheorie. Sie spricht den Arzt jedoch nicht erneut auf ihre Hypothese an oder erinnert die sen an die bereits eingebrachte Theorie, sondern wendet sich an die Patientin mit einer Frage (siehe auch Kap. 8), wobei sie sich eine Vorannahme von die ser mit ich glaub du hast auch ziemlich stark deine TAge wenn du se hasch; (Z. 277) bestätigen lässt (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 26f. und Win terscheid/Kook i.Vorb.). Sie führt den erfragten Umstand, die Intensität der Menstruation, als eine Vermutung ein, die allein die Patientin als Trägerin der epistemischen Autorität (vgl. Heritage/Raymond 2005) bezüglich dieses Sach verhalts sicher beantworten kann. Dass dieser vermutete Umstand mit dem verhandelten Problem durch die Mutter in Bezug zueinander gesetzt wird, ist augenscheinlich, da der Umstand ansonsten nicht in der Arztpraxis verhan delt werden müsste und auch durch die Erwähnung ihrer subjektiven Krank heitstheorie bereits als Hypothese etabliert wurde. Die Patientin bestätigt - trotz Einschränkung - den von der Mutter vermuteten Umstand, woraufhin die Mutter zu einer Steigerung ansetzt und die Menstruation nun statt ziem lich stark (Z. 277) mit ziemlich HEFtig (Z. 281) umschreibt. Der Arzt wendet sich nun ebenfalls an die Patientin, die von der Mutter als diejenige Person stilisiert wurde, die über einen möglichen Umstand hinsichtlich der Menstru ation genauer Auskunft geben kann, der aber auch selbstverständlich die epi stemische Autorität über beide Phänomene innewohnt (Z. 283). Diese Strate gie der Mutter erweist sich insofern als erfolgreich, als dass der Arzt die subjektive Krankheitstheorie der Mutter nun ganz explizit mit den Gesprächs beteiligten aushandelt.
In diesem Fall konnte die Mutter die subjektive Krankheitstheorie durch eine Wiederaufnahme etablieren. Dies ist jedoch häufig nicht so. In APEG_06 ver weist die Mutter z.B. auf ihre subjektive Krankheitstheorie, die durch den Arzt nicht explizit bearbeitet wird (vgl. Fallbeispiel 37 oder Spranz-Fogasy/Winter scheid 2013, S. 22-25). Der Arzt bereitet während der Schemakomponente der körperlichen Untersuchung mittels Onlinekommentaren und einer Ausschluss diagnose eine abweichende Diagnose vor (vgl. Heritage/Stivers 1999):
Fallbeispiel 44: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); kU (00:59.09-03:02.73); 02:17.52-02:37.76
-
036 A 01 bauch is aber sons schön WEICH; 037 A 01 ( .) aber gluckern tut s ORdentlich;
-
A 01 also da geht so n magenDARMinfekt ( .) los;=ne,
-
M 06 ( .) gibt s
-
M 06 ( .) is grad im umLAUF, 041 A 01 (0.62)
042 M 06 ja
043 (3.13)
044 M 06 wei[l erst hab ich ]geDACHT- 045 A 01 [PRima; l
M 06 (0.53) weil ich MAIS gekocht hab-=ne,
M 06 des wissmer jetz dass ihr DES zu viel war;=ne- 048 ( 1. 85)
M 06 was heißt ZU viel,
-
M 06 ( .) dass se s [(net verträgt)
A 01 [weit AUF ]machen den mund;
Direkt im Anschluss an die Diagnosemitteilung, die im Rahmen der körperli chen Untersuchung mitgeteilt wird, hinterfragt die Mutter die Diagnose: Da bei stellt sie sich als eine erfahrene Person dar, die weiß, dass Magen-Darm infekte zumeist in Form einer Grippewelle grassieren und viele Menschen in kürzester Zeit betroffen sind. Dies verdeutlicht sie mit der Frage is_grad im umLAUF, (Z. 040). Der Arzt reagiert nur nonverbal, bestätigt aber diese An nahme, was die Mutter mit einer Rückmeldung mit steigender Grenzintona tion quittiert und somit erneut anzeigt, dass ihr der Umstand, dass gerade ein Magen-Darm-Infekt umgehen soll, nicht bekannt ist, wodurch sie zum ande ren die Diagnosemitteilung erneut vorsichtig in Zweifel zieht. Als darauf kei ne Reaktion des Arztes erfolgt, nennt sie nun - eingeleitet mit einem wei[l (Z. 044) - ihre subjektive Krankheitstheorie ein weiteres Mal, obgleich der Arzt die Diagnose schon gestellt hat. Dies erfolgt dieses Mal elaboriert. Erneut nennt sie den von ihr ausgemachten Verursacher, nämlich ein spezielles Le bensmittel (Z. 046), welches bereits in der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration benannt wurde. Dann verweist sie auf ein kollektives Wir (siehe Kap. 8.4), wobei nicht klar ist, wen dies alles einschließt, und beschreibt, dass dieses kollektive Wir über Wissen bezüglich einer gewissen Unverträglichkeit der Patientin gegenüber diesem bestimmten Lebensmittel verfüge. Außerdem führt sie noch eine selbstinitiier te Selbstkorrektur (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977) durch, bei der sie her ausstellt, dass die Patientin nicht ZU viel (Z. 049) von dem entsprechenden Lebensmittel zu sich genommen habe, sondern die Patientin das Lebensmittel generell (net verträgt) (Z. 050). Da die SKT erneut angeführt wird, nachdem sie bereits Zweifel an der Diagnose des Arztes angedeutet hat, und die subjektive Krankheitstheorie das zweite Mal nun auch im Rahmen einer Begründungs struktur eingeführt wird, wird die Theorie hochgestuft. Gleichzeitig stuft die Mutter die Theorie jedoch auch herab, indem sie darauf verweist, dass die Auf stellung der Theorie im Vorfeld stattgefunden hat: wei[l erst hab ich ]geDACHT (Z. 044). Auch mit Hilfe der Tempuswahl sowie durch erst (Z. 044) wird die subjektive Krankheitstheorie als eine vormals aufgestellte und nun verworfe ne Theorie behandelt, wodurch eine Herabstufung der SKT stattfindet.
Erneut geht der Arzt jedoch nicht weiter auf die subjektive Krankheitsthe orie ein, sondern widmet sich nun dem zweiten Teil der körperlichen Unter suchung, bei der mögliche Folgen der diagnostizierten Erkrankung festge stellt werden sollen.
Auch wenn die subjektive Krankheitstheorie nun in der weiteren Interak tion nicht mehr erwähnt wird, realisiert die Mutter noch zwei Hinweise dar auf, dass sich die aufgestellte Diagnose nicht mit ihren Erfahrungen dieses Krankheitsbild betreffend vereinbaren lässt:
Fallbeispiel 45: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); Th (03:03.01-07:30.75); 05:19.18-05:28.66
107 M 06 108
109 M 06
110 A 01
-
111 p 06
112 A 01
113 M 06 114
((schmatzt)) also es geht grad RUM;
( 0. 26)
weil des is anscheinend der ERste fall im kindergarten
=ne,
( 1. 8)
äh
(.) wird wahrscheinlich NICH der einzige bleiben; (.) ((stöhnt)) (.) ((schnalzt))
( 0. 55)
Als der Arzt sich nach der Therapieverordnung Notizen in der Patientenakte macht, signalisiert sie erneut, dass sie Zweifel bezüglich der Diagnose hegt (Z. 107-109). Sie äußert nochmals ihr Erstaunen bezüglich der Diagnose, da der aus ihrer Sicht erwartbare Umstand, dass im Falle eines Magen-Darm-Infekts eine Grippewelle anzunehmen ist und neben der Patientin auch andere Kinder betroffen sein müssten, als aus ihrer Sicht ausgeblieben beschrieben wird. Ob sie zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs noch an der Diagnose zweifelt oder nur ihren vorherigen Zweifel ausdrückt, kann nicht mit Sicherheit ausgemacht werden, zumal sie in der vorausgehenden Intonationsphrase nochmals fest hält, dass nach dieser Diagnose davon auszugehen sei, dass eine Grippewelle umgehe (Z. 107). Mit der Formulierung is anscheinend der ERste fall im kinder garten (Z. 109) konkretisiert sie ihre Referenz bezüglich bekannter Krankheits fälle. Sie unterstreicht aber auch, dass dieser Hinweis nicht konkurrierend ein gebracht wird, indem sie durch die Bezeichnung als ERste fall (Z. 109) die Diagnose nun als solche annimmt. Durch das Adverb anscheinend (Z. 109) sig nalisiert sie darüber hinaus, dass es möglich ist, dass weitere Kinder betroffen sind, auch wenn es im Moment so aussieht, als wäre ihre Tochter die Einzige in der Einrichtung, die von einem Magen-Darm-Infekt betroffen ist. Durch die sen neuerlichen Hinweis zeigt sie allerdings ein weiteres Mal an, dass sich die ser singuläre Fall bei einem Magen-Darm-Infekt nicht mit ihrem Weltwissen deckt. Mit dem Hinweis auf eine konkrete Zahl führt sie auch implizit die Agenten der Institution als Zeugen an und durch das Frageanhängsel fordert sie dazu ein weiteres Mal auch vom Arzt eine Reaktion ein. Hier reagiert nun
der Arzt und erwähnt gegenüber der Mutter, dass er davon ausgeht, dass noch weitere Kinder betroffen sind oder betroffen sein werden, wodurch eine Grip pewelle implizit angenommen und ihr Argument entkräftet wird. Der Arzt wendet sich daraufhin erneut der Dokumentation zu.
Nach einer Weile geht die Mutter ein weiteres Mal auf die Diagnose ein:
Fallbeispiel 46: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); Th (03:03.01-07:30.75); 05:40.33-05:50.26
M 06 ich mein ich hab ja SCHON-
M 06 1. 1 magen darm mäßig bei der fleur v[iel aber ]SO;
A 01 [HMhm,
M 06 (0. 26) oh ( .) des st (0.51) also sie erbricht FÜNFmal hintereinander;=ne,
125 (0.57)
126 M 06 das hab ich noch nich erLEBT dass es so rausSCHWILLT;
Nach einer längeren Phase, in der der Arzt Notizen in der Patientenakte macht und die Mutter sich der Patientin widmet, setzt die Mutter erneut an und verweist auf ihre Kompetenz, die aus der Erfahrung mit diesem Krank heitsbild resultiert. Als Beweis verweist sie auf die Erfahrungen mit der Schwester der Patientin, die bereits häufig von Magen-Darm-Infekten betrof fen gewesen sei und ein geeignetes Beispiel darstellt, da diese Information für den Arzt nachvollziehbar ist, da die Schwester der Patientin ebenfalls Patien tin bei diesem Kinderarzt ist. Mittels ja (Z. 121) verweist sie darauf, dass dem Arzt bekannt sein müsste, dass sie bezüglich dieses Krankheitsbildes einige Erfahrungen gesammelt hat (vgl. auch Reineke 2016, S. 81-131). Dadurch dass ihm dieser Umstand bekannt sein müsste und sie dies auch explizit hervor hebt, macht sie ihn nun selbst zu einem Zeugen dieser Hochstufung. Nach dem sie die eigene Erfahrung hochgestuft und dies durch einen Umstand belegt hat, der dem Arzt bereits bekannt ist, beschreibt sie nun die Abwei chungen dieser Symptome von den üblichen. Dies gestaltet sie durch die Ak zentuierung, aber dann auch durch die besonders expressive Wortwahl: raus SCHWILLT; (Z. 126) wirkt beunruhigend und ist auch keine Beschreibung, die man üblicherweise bei der Beschreibung von Erbrechen erwartet. Auch der Hinweis auf das mehrfach hintereinander vorkommende Erbrechen stel len die Außergewöhnlichkeit der Symptomatik heraus.
Auch wenn die subjektive Krankheitstheorie bereits in der Phase der Beschwerdenschilderung angedeutet wurde, wird sie 11 erst nach einer Aus schlussdiagnose und einer diagnostischen Vermutung des Arztes [als solche] offengelegt" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 22). Die 11 sub jektive Krank heitstheorie, die im Vorfeld aufgestellt wurde, [bleibt] im Hintergrund wirk sam" (ebd.), obgleich die subjektive Theorie schließlich als eine Theorie aus gebreitet wird, die nun nicht mehr angenommen wird (Z. 109) (vgl. ebd.,
S. 22ff.). Nichtsdestoweniger verweist die Mutter regelmäßig auf die als ekla tant beschriebenen Abweichungen von Beobachtungen und dem Erfahrungs wissen, auf welches sie mehrfach referiert, und zeigt dadurch an, dass sie Zweifel gegenüber der Diagnose hegt, auch wenn sie auf der Textoberfläche angibt, trotz dieser Widersprüchlichkeiten dem Arzt hinsichtlich der Diagno se zu folgen (Z. 109) (vgl. ebd., S. 24f.).
Wenn die Ärzte nicht auf subjektive Krankheitstheorien eingehen, hat dies zumeist Auswirkungen auf das gesamte Gespräch. In den meisten Fällen fin det dann eine Wiederaufnahme durch die Eltern statt und auch Widerstand gegenüber prädiagnostischen Mitteilungen oder Diagnosen kann man beob achten, denn in den meisten Fällen deckt sich die subjektive Krankheitstheo rie nicht mit der im Gespräch aufgestellten Diagnose. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Eltern zumeist beschließen, einen Arzt zu konsultieren, wenn sich die eigenen aufgestellten subjektiven Krankheitsthe orien nicht als haltbar erweisen oder ergriffene Maßnahmen nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 27-30).
Mitunter können Wiederaufnahmen jedoch auch ein Hinweis darauf sein, dass die Bearbeitung der subjektiven Krankheitstheorie nicht ausreichend war:
So wurde in APEG_03 zwar die von der Mutter zitierte subjektive Krank heitstheorie - oder zumindest der daraus resultierende Therapievorschlag - der Erzieherinnen bearbeitet (vgl. Fallbeispiel 39), die Mutter bringt die subjektive Krankheitstheorie dennoch erneut ein, nachdem der Arzt den An wesenden signalisiert hat, dass er nun zur körperlichen Untersuchung schrei ten möchte:
Fallbeispiel 47: APEG_03 (A-Pw3-MN; ca. 27:02min); BE -Teil2 (08:13.44-10:02.15); 09:36.30-10:02.15
069 M 03 also sie hatt jetz auch (noch) ne GÜRtelrose, 070 M 03 was JA ( .) eve
071 M 03 (0.21) Oder-
072 M 03 (1.79) kannst,
M 03 (0.87) des is ja eher auch so dass sie eventuell (1.12) PSYchisch (war/da) (0.26) belastet is,
M 03 (0.49) dass SO was (0.2) mit kommen kann,
075 M 03 (0.22) Oder-
076 M 03 (0.65) (kann) man des mit darauf (2.01) zurückFÜHren- 077 M 03 oder pff würden sie jetz sagen eher NICH-
078 V 03 komm,
079 (1.37)
080 M 03 aber dass man SO was in DEM alter hat-=oder- 081 A 01 (0.56) KOMMT schon mal häufiger vor-
082 A 01 (0.39) komm,
Nach der Überleitung zur nächsten Handlungsschemakomponente ergreift die Mutter nochmals die Initiative und bringt die zuvor schon einmal implizit und einmal explizit erwähnte subjektive Krankheitstheorie nun als Theorie ein, die als Schlussfolgerung aus einer vorliegenden Erkrankung abgeleitet werden könne. Das Auftreten der bei der Patientin diagnostizierten Krankheit wird aufgrund des Alters der Patientin als auffällig beschrieben und von der Mutter zugleich als Beleg dafür herangezogen, dass die Patientin offensicht lich doch ein psychisches Problem habe. Hier verweist sie nun nicht mehr auf die Erzieherinnen, die diese Theorie aufgestellt haben, sondern präsentiert die subjektive Krankheitstheorie als eine, auf die man aufgrund der Gegeben heiten schließen könne. Erneut beansprucht sie jedoch auch hier keine Urhe berschaft an dieser Theorie. Die Nennung der subjektiven Krankheitstheorie geht erneut mit Modalitätspartikeln, wie eventuell (Z. 070/073), einher. Mit den Frageanhängseln - jeweils als oder (Z. 071/075/080) realisiert - fordert sie den Arzt zu einer Reaktion bezüglich der subjektiven Krankheitstheorie auf. Der Arzt reagiert auch, bearbeitet aber auch hier die subjektive Krankheits theorie nicht explizit, sondern negiert lediglich die Schlussfolgerung, dass bei einer Gürtelrose auf eine solche Krankheit geschlossen werden muss, wo durch er das Argument entkräftet (Z. 081). Dabei reagiert er auf die allge meingültige Feststellung und beruft sich darauf, dass dies 11 schon mal" pas siere, wodurch er der Dramatik der Beschreibung entgegenwirkt. Durch die Verwendung von häufiger (Z. 081) bestreitet er überdies die Singularität dieses Ereignisses.
Dass die subjektive Krankheitstheorie noch nicht wirklich bearbeitet wurde, führt dann im Rahmen der Therapieplanung zu einer weiteren Wiederaufnahme:
Fallbeispiel 48: APEG_03 (A-Pw3-M/V; ca. 27:02min); Th -Teil3 (15:18.37-26:56.62); 23:33.39-23:53.67
358 |
V |
03 |
jo-=SCHAU mer mal-=ne, |
359 |
M |
03 |
na GUT; |
360 |
M |
03 |
ja:- |
361 |
M |
03 |
jetz- |
362 |
M |
03 |
(.) bin ich irgendwie erst mal mit der GÜRtelrose so en bissel- |
363 M 03 (.) hh 0 |
|||
364 |
V |
03 |
beSCHÄFtigt; |
365 |
M |
03 |
[beSCHÄFtigt |
366 |
A |
01 |
[ja gut; |
367 |
M |
03 |
und w[eil ich Jauch WILL dass sie- |
368 |
A |
01 |
[hm, |
369 |
M |
03 |
(.) ja |
370 |
|
|
(1. 32) |
371 |
V |
03 |
((schnieft)) |
372 |
M |
03 |
ich |
]WEISS [nich- |
373 |
V |
03 |
|
[((schnieft)) |
374 |
M |
03 |
Oder- |
|
375 |
M |
03 |
is des NICH:- ((Abbruch)) |
|
376 |
|
|
( 1. 27) |
|
377 |
M |
03 |
WIR sind da ja auch angespannt-=ne |
|
378 |
M |
03 |
(.) wenn- |
|
379 |
|
|
( 0. 35) |
|
380 |
A |
01 |
NÖ:-[waRUM- |
|
381 |
M |
03 |
[(mit solchen SA) |
|
382 |
|
|
( 0. 44) |
|
383 |
V |
03 |
hm- |
|
384 |
M |
03 |
(.) ((Lachansatz)) |
|
385 |
A |
01 |
((Lachansatz)) ich hoffe sie sind dann bald ganz entSPANNT- |
Am Ende der Therapieplanung greift die Mutter die SKT zwar nicht noch einmal explizit auf, verweist allerdings darauf, indem sie noch ein weiteres Mal die Erkrankung der Patientin nennt, die einen Beleg für die SKT darstellt. Dadurch aktiviert sie die SKT nochmals indirekt, da sie die Gürtelrose ja als Beleg für die subjektive Krankheitstheorie angeführt hatte. Auch erwähnt die Mutter hier lediglich, dass sie noch mit dieser Erkrankung beSCHÄFtigt (Z. 365) sei. Dieser Äußerung ist eine kollaborative Satzergänzung des Vaters vorausgegangen (Z. 364). Dadurch dass hier beide Eltern dasselbe Verb ver wenden, wird ein Konsens der Eltern präsentiert. Die längere durch ein Ein atmen gefüllte Pause signalisiert hingegen, dass es Probleme bei der Realisie rung gibt. Warum sie angibt, noch mit der GÜRtelrose (Z. 362) beSCHÄFtigt (Z. 365) zu sein, wird des Weiteren nicht weiter ausgeführt. Möglich wäre, dass diese Erkrankung noch nicht ausgestanden ist oder die Strapazen dieser Erkrankung für sie immens waren. Dies kann anhand des Gesprächs jedoch nicht abgelesen werden. Anschließend geht sie auf einen weiteren Punkt ein, den sie mit und w[eil (Z. 367) anschließt, wobei sie Bedenken gegenüber der Therapieplanung anmeldet, wodurch auf der Textoberfläche eine Beziehung zur SKT hergestellt wird. Dadurch, dass die Mutter immer wieder neu an setzt, Modalisierungen wie irgendwie und bissel (Z. 362) realisiert und längere Pausen macht, wird augenscheinlich, dass hier etwas ausgeführt wird, was potenziell heikel ist. Während bei der ersten Nennung der vormals diagnosti zierten Erkrankung der Patientin die subjektive Krankheitstheorie noch abge leitet wurde (vgl. Fallbeispiel 47), wird auf die Erkrankung in dieser Sequenz nur hingewiesen, wodurch die subjektive Krankheitstheorie, die für die Mut ter in Verbindung mit dieser Krankheit steht, als pars pro toto erneut einge bracht wird. Der Arzt geht erneut nicht auf die subjektive Krankheitstheorie ein, sondern lediglich auf ihre Bedenken bezüglich der Therapieplanung und prognostiziert lediglich einen Therapieerfolg, der für eine Entspannung der Situation sorgen werde (Z. 385). Daraufhin geht er nochmals auf die Thera-
pieverordnung ein und fordert die Eltern nun dazu auf, sich auch an diese zu halten. Dies ist eine Reaktion auf vermutete Non-Compliance der Eltern durch den Arzt. Die Eltern haben teilweise durch reduzierte Rückmeldesigna le, aber auch durch explizite Hinweise ihren Zweifel ausgedrückt. Sitzwohl (2004) bezieht sich auf eine Studie von Korsch, wenn er festhält, dass 11 ledig lich 16%" derjenigen, die mit der Arzt-Patient-Kommunikation unzufrieden waren, compliant sind (vgl. ebd., S. 7). Er konstatiert, dass 11 Ratsch läge"nicht angenommen und verordnete Arzneimittel nicht angewandt werden und so mit 11 in Österreich jährlich Medikamente im Wert von mehreren 100 Millionen Euro im Müll landen" (ebd.). Erst als der Arzt die Verordnung erneut zusam menfasst und damit die Verabschiedung einleitet, kommt er nun doch auf die Empfehlung der Erzieherinnen zurück, die mit der durch die Mutter wieder aufgenommenen subjektiven Krankheitstheorie verknüpft ist, und beschreibt, warum er diese Maßnahme nicht für sinnvoll erachtet:
Fallbeispiel 49: APEG_03 (A-Pw3-M/V; ca. 27:02min); Th -Teil3 (15:18.37-26:56.62); 25:21.34-26:00.72
A 01 un dann beRICHten sie in fünf wochen mal:-
V 03 ((räuspert sich))
A 01 (0.7) wie s geWORden is-
V 03 bin ich da mal GSPANNT;=ja-
A 01 aber MACHen sie- s jetz wirklich-=
A 01 =ziehen se s DURCH-
439 (0.44)
440 M 03 HMhm-
441 (0.2)
442 A 01 auch wenn sie jetz beDENken h[aben-
443 M 03 [((Lachansatz))
444 A 01 ( .) ((lacht))
445 A 01 (0.21) und sie des beLAStend empfi nden-=0 h
446 (6. 31)
447 M 03 oh
448 (0. 31)
449 A 01 und SIE durchblickt das ganze nich;
450 (0.69)
M 03 ja-
A 01 deswegen BRINGT da: auch ne psychotherapie wenig-=ne,
V 03 HM[hm, l
A 01 [we ]il-
A 01 oh (0. 36) wie woll man diese PLÖTZlichen zusammenziehungen beeinflussen-
A 01 und dass se des nich MERKT-
A 01 (.) 0 h (.) is nun mal S0-
A 01 weil das so PLÖTZlich [kom ]mt-
M 03 [HMhm-]
460 (2.91)
Im Rahmen der Diagnosemitteilung hat der Arzt zwar bereits körperliche Gründe für die Problematik angeführt, dies aber nicht in Bezug zu pyschi schen Problemen oder bezüglich einer therapeutischen Behandlung erörtert. Das holt er an dieser Stelle nach und stellt nun heraus, nachdem er die Eltern erneut in die Pflicht genommen hat, der Verordnung nachzukommen (Z. 437/438), warum seine medikamentöse Behandlung erfolgsversprechender ist (Z. 449/452/454-458). Er unterstreicht diese Aufforderung mit dem Adverb wirklich (Z. 437). Diese Aufforderung macht noch einmal deutlich, dass er die Therapietreue als gefährdet ansieht. Die Mutter reagiert hier nun mit einer Rückmeldung. Daraufhin nennt der Arzt sogar die Gründe, warum die The rapietreue möglicherweise gefährdet ist. Er führt angenommene Bedenken aufseiten der Eltern sowie eine vermutete Belastung durch das Verfolgen der Therapie an (Z. 442-445). Auf diese Konkretisierung der Gründe, die der Arzt darlegt, reagiert die Mutter mit einem Lachansatz (Z. 443), entgegnet ansons ten aber nichts. An diesem Punkt kommt der Arzt nun nochmals auf den von der Mutter zitierten Therapievorschlag, der mit der subjektiven Krankheits theorie der Erzieherinnen zusammenhängt, zu sprechen, welchen er nun am Ende des Gesprächs das erste Mal deutlich ablehnt. Diese Ablehnung wird damit begründet, dass diese Maßnahme in dem vorliegenden Fall völlig sinn los wäre, da das Problem etwas sei, auf das die Patientin keinen Einfluss habe, weil es sich um ein rein körperliches Problem handele (Z. 454-458). Der Arzt legt dabei den Fokus auf die Zeitlichkeit, die das besondere Problem dieser Symptomatik sei (Z. 455-458). Gerade, weil diese Kontraktion so schnell erfol ge, habe die Patientin keine Möglichkeit zu reagieren (Z. 455-458). Durch die wörtliche Wiederaufnahme von PLÖTZlich (Z. 458) wird dies hervorgehoben und dadurch, dass in beiden Intonationsphrasen der Fokusakzent jeweils auf PLÖTZ (Z. 455/458) liegt, zusätzlich markiert.
Das gesamte Gespräch über gibt es Phasen, in denen Rückmeldungen der Eltern ausbleiben oder nur sehr leise und zurückhaltend realisiert werden, aber auch einige durch die Eltern vorgebrachte Argumente gegen einen sofor tigen Beginn oder eine generelle Bereitschaft, die Medikamente einzusetzen, sowie möglicherweise konkurrierende Therapievorschläge. Der Arzt geht hin und wieder darauf ein, fordert auch jeweils Reaktionen der Eltern ein, ent kräftet auch bisweilen die Argumente der Eltern, spricht der Patientin oder den Eltern Mut zu und wendet sich dann am Ende der Interaktion auch direkt an die Eltern, um sie nun eindringlich dazu aufzufordern, die Therapie tat sächlich umzusetzen. Gerade am Ende des Gesprächs - nachdem die Mutter ein weiteres Mal auf die Gürtelrose verwiesen hatte, die sie an einem früheren Zeitpunkt des Gesprächs mit der subjektiven Krankheitstheorie in Verbin dung gebracht hatte - reagiert er aber nun ganz vehement auf die angenom mene Non-Compliance oder zumindest den Verdacht, dass hier die Compli ance in Gefahr ist, und erteilt das erste Mal dem subjektiven Therapievorschlag eine klare Absage. Die subjektive Krankheitstheorie bearbeitet er auch hier
nur implizit, indem er aufgrund der von ihm ausgemachten Diagnose eine den Körper betreffende Ursache nennt. Dass er diesen erhöhten Aufwand be treibt, lässt vermuten, dass er die elliptischen Äußerungen, die Pausen, die Modalisierungen, die angesetzten Begründungen als Zweifel an Diagnose oder Therapie und/oder die Erwähnung der Gürtelrose als pars pro toto aufge fasst hat für die bereits zuvor erwähnte subjektive Krankheitstheorie, welche offensichtlich weiterhin aktiv ist. Das würde auch erklären, warum der Arzt nun nochmals am Ende des Gesprächs auf die zu Anfang gleich eingebrachte subjektive Krankheitstheorie eingeht. Die Theorie wurde anfangs als Hypo these Dritter dargelegt. Diese wird durch den Arzt zwar bearbeitet, wobei anfangs offenbleibt, ob er der Maßnahme oder der subjektiven Krankheitsthe orie dahinter widerspricht. Als die Mutter die subjektive Krankheitstheorie - dieses Mal als Schlussfolgerung aus einer vorliegenden Erkrankung - erneut nennt, wird schon allein durch die Wiederaufnahme offensichtlich, dass die subjektive Krankheitstheorie weiterhin für möglich gehalten wird und es sich tatsächlich nicht nur um eine subjektive Krankheitstheorie Dritter handelt. Bei der Wiederaufnahme gibt es zusätzlich keinen weiteren Hinweis auf Drit te, vielmehr wird die subjektive Krankheitstheorie als Schlussfolgerung aus der vorliegenden Situation - insbesondere der diagnostizierten Erkrankung der Patientin - präsentiert. Der Arzt widerspricht der subjektiven Krankheits theorie an dieser Stelle noch nicht, produziert aber einen Einspruch bezüglich der dargelegten Argumentationskette. Während des gesamten Gesprächs re alisieren die Eltern immer wieder Einsprüche und Argumente gegenüber der Therapieplanung sowie Phasen, in denen eine reduzierte Rückmeldung der Eltern zu beobachten ist. Dies zieht sich durch das gesamte Gespräch hin durch. Der Arzt reagiert darauf, indem er immer wieder den Einwänden wi derspricht und bei der Diagnosemitteilung explizit auf eine körperliche Ursa che verweist, wodurch er faktisch der SKT widerspricht. Nachdem die Mutter ein weiteres Mal auf die subjektive Krankheitstheorie mittels Stichwort hinge wiesen hat, widerspricht der Arzt klar einer solchen Maßnahme und themati siert, dass er davon ausgeht, dass die Gesprächsbeteiligten der Therapiemaß nahmen kritisch gegenüberstehen und er ihnen versichert, dass diese Abhilfe schaffen werden. Durch die sehr späte Bearbeitung der SKT bleibt diese wäh rend der gesamten Interaktion 11 im Hintergrund wirksam" (Spranz-Fogasy/ Winterseheid 2013, S. 22).
Subjektive Krankheitstheorien gibt es in den meisten pädiatrischen Gesprächen und sie werden - wenn sie genannt werden - in der Regel durch die Eltern vorgebracht. Abhängig von dem Zeitpunkt und der Art und Weise, wie diese präsentiert werden, werden die subjektiven Krankheitstheorien durch den Arzt bearbeitet. Werden diese Theorien ausreichend bearbeitet (siehe APEG_04) - dabei ist im Übrigen egal, ob die Bearbeitung durch den Arzt positiv oder nega tiv ausfällt-, erfolgt keine Wiederaufnahme mehr durch die Eltern. In den Fäl-
len, in denen der Arzt nicht explizit oder nicht ausreichend auf die subjektiven Krankheitstheorien reagiert, kommen die Eltern zumeist erneut auf diese zu sprechen (vgl. z.B. APEG_03/APEG_06/APEG_14). In den meisten Fällen wer den subjektive Krankheitstheorien nicht sofort bearbeitet, weswegen sich diese 11 Schlüsselthemen [Hervorhebung im Original] [...] durch die einzelnen Gesprä che" und die damit verbundenen 11 Aushan dlungsp rozesse" unnötig in die Län ge ziehen (vgl. Birkner 2006, S. 176f.). Während die Mutter in APEG_06 ihre subjektive Krankheitstheorie trotz Wiederaufnahmen nicht etablieren kann, wird die subjektive Krankheitstheorie der Mutter in APEG_14 nach der Wie deraufnahme durch den Arzt bearbeitet. Demzufolge kann 11 das wenig respon sive Verhalten des Arztes dazu[führen], dass die [Eltern] eher skeptisch auf die Diagnosemitteilung [Hervorhebung im Original] reagier[en]" (Spranz-Fogasy/ Winterseheid 2013, S. 21).
Dass die Eltern die subjektiven Krankheitstheorien mehrfach nennen, kann daneben aber auch damit zusammenhängen, dass die subjektive Krank heitstheorie angeführt wird, weil diese das späte Erscheinen (APEG_13) oder das frühe Erscheinen (APEG_32) in der ärztlichen Praxis legitimiert. 11 Die Po sitionierung und Formulierung von Selbstdiagnosen erfordert deshalb viel Sensibilität" durch die Ärzte (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 100). Wenn sub jektive Krankheitstheorien 11 bereits frühzeitig im Gespräch ermittelt werden", kann das demnach 11 diagnostisch wertvoll" sein und gleichzeitig 11 störende[n] Einflüsse[n] verdeckter Orientierungen" vorbeugen (Spranz-Fogasy/Winter scheid 2013, S. 29f.). 11 Die mangelnde Berücksichtigung elterlicher Überlegun gen entwertet[...] das elterliche Engagement und ist der Therapiebereitschaft und damit der Compliance [hingegen] nicht förderlich" (ebd., S. 27; vgl. auch Brinker 2006).
Subjektive Ausschlusstheorien
Neben den subjektiven Krankheitstheorien gibt es auch Krankheitsbilder, die durch die Eltern im Vorfeld ausgeschlossen wurden.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
In APEG_0S wird z.B. keine subjektive Krankheitstheorie präsentiert, dafür aber eine Ausschlusstheorie.
Fallbeispiel 50: APEG_0S (A-Pw8-V; ca. 4:30min); kU (01:00.26-01:40.60); 01:17.35-01:36.33
012 A 01 zeig mal her deine (.) AUgen- 013 A 01 (2.48) warn die auch verKLEBT,
014 (0.29)
015 V 08 nee-
016 |
A |
01 |
(0.45) hm. |
017 |
V |
08 |
meinen sie SO irgendwie auf (.) äh |
018 |
|
|
(1. 77) |
019 |
V |
08 |
na; |
020 |
|
|
( 1. 82) |
021 |
V |
08 |
wie HEISST S |
022 |
|
|
( 0. 31) |
023 |
V |
08 |
des TYpische bei kindern wo die augen verklebt sind; |
024 |
|
|
( 1. 49) |
025 |
V |
08 |
NA egal- |
026 |
|
|
( 0. 53) |
027 |
V |
08 |
ähm- |
028 |
A |
01 |
(.) <<piano> (du kannst) > |
029 |
V |
08 |
(.) DAnach sah_s jedenfalls nich aus; |
Der Vater in APEG_0S präsentiert während der Untersuchung eine Aus schlussdiagnose, bei der er Formulierungsschwierigkeiten angibt. Initiiert wird dies durch eine Frage des Arztes danach, ob die Augen auch ver KLEBT (Z. 013) gewesen seien. Der Vater beantwortet zunächst die Frage, indem er den erfragten Zustand verneint (Z. 015), und bearbeitet dann den Verdacht, den er hinter der Frage vermutet. Der Vater nimmt hinter der Frage des Arz tes einen Abgleich der Symptome an, die bei einer Bindehautentzündung vor kommen, mit den vorliegenden Symptomen. Dies leitet er damit ein, dass er sich bei dem Arzt explizit danach erkundigt, ob diese Frage nach einer Zu standsbeschreibung eigentlich eine Frage nach einem Symptom, welches mit einer bestimmten Krankheit zusammenhängt, sei (Z. 017-023). Bei der Formu lierung dieser Frage gibt der Vater jedoch Formulierungsschwierigkeiten an, die darin bestehen, dass ihm der Name des Krankheitsbildes, von dem er vermutet, dass der Arzt dieses mit seiner Frage abgleicht, nicht mehr präsent ist. Er produziert ein Häsitationsphänomen sowie eine Pause und manifes tiert durch diese Verzögerung seine Formulierungsprobleme. Durch die In terjektion na; (Z. 019) signalisiert er dem Arzt überdies, dass er den Namen der Krankheit prinzipiell kennt und diesen trotzdem im Moment nicht nen nen kann, wobei er auch eine gewisse Ungeduld oder Ungläubigkeit ob die ses Vorfalls ausdrückt. Dabei fordert er den Arzt mit wie HEISST _S- (Z. 021) auf, ihm bei der Formulierung zu helfen (vgl. z.B. Schegloff!Jefferson/Sacks 1977, S. 375). Als jedoch auf die Reparaturinitiierung keine Reaktion durch den Arzt erfolgt, der weiterhin mit der Untersuchung der Patientin beschäf tigt ist, liefert der Vater noch weitere Informationen, die dem Arzt bei der Fremdreparatur behilflich sein könnten (Z. 023); (vgl. auch Schegloff!Jeffer son/Sacks 1977, S. 375). Als auch hierauf keine Reaktion des Arztes erfolgt, erklärt der Vater den Versuch der Benennung sowie der Reparatur mit NA egal- (Z. 025) für gescheitert und hält fest, dass das angenommene Krank-
heitsbild, das nach seiner Auffassung durch den Arzt abgeklärt wurde, seiner Meinung nach ausgeschlossen werden kann (Z. 029).
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Ausschlusstheorien
Der Arzt unterstützt den Vater in APEG_0S bei der Formulierung trotz Reparatu rinitiierung nicht und reagiert auch nicht auf die Ausschlusstheorie des Vaters, sondern erklärt der Patientin nach einer längeren Pause, dass die Untersuchung nun beendet ist und sie sich wieder zu ihrem Vater setzen dürfe (Z. 033-034). Das 11 Fehlen vokaler Reaktionen" kann zurückgeführt werden auf das 11 Befaßtsein mit der Durchführung einer technisch orientierten Untersuchung" (ten Have 1990, S. 107). Nachten Have zeigen fehlende Reaktionen, dass die Informationen als 11 lokal irrelevant behandelt wurden", was damit zusammenhängt, dass
1.) ein Informationsaustausch in dem spezifischen Moment nicht ansteht oder daß 2.) die betreffende Information nicht explizit erfragt worden ist oder daß 3.) die Information Teil einer Klage über Beschwerden ist - sei sie wiederholend oder kontrastierend ausgeführt- oder daß 4.) die Pointe der Darstellung noch nicht deutlich gemacht wurde. (ebd., S. 118)
In diesem Beispiel treffen mehrere Punkte zu. So ist diese Information nicht erfragt worden und der Arzt hat derzeit auch noch nicht die Diagnose ver handelt, da er noch mit der körperlichen Untersuchung beschäftigt ist. Ten Have stellt auch die Vermutung an, dass das Fehlen der verbalen Reaktion als 11 eine mögliche, spezifische Strategie zur Behandlung solcher Situationen an gesehen werden [kann]" und damit eine 11 Strategie des passiven Duldens und Wartens [ist], bis sich eine Gelegenheit ergibt, zu anderen Aktivitäten überzu gehen" (ebd., S. 118). Nachdem der Vater seine Ausführungen beendet hat, schließt der Arzt auch die Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung ab.
Folgen für die Interaktion
Die durch den Vater während der Untersuchung ausgeschlossene Erkran kung wird durch den Arzt nicht weiter bearbeitet. In der Handlungsschema komponente Diagnosemitteilung teilt der Arzt dem Vater nun mit, dass er davon ausgeht, dass es sich um eine allergische Reaktion handele.
In der Phase der Therapieplanung beschreibt der Arzt dann ein zwei schrittiges Vorgehen. Er kündigt an, der Patientin nun erst einmal Cortison haltige Augentropfen aufzuschreiben, die gegen die Symptome seien, und erklärt weiter, dass er seiner angenommenen und in der Handlungsschema komponente der Diagnosemitteilung auch dargelegten Diagnose nachgehen werde, sollten die Symptome nach dem Abklingen erneut auftauchen. Auf die
Nachfrage des Vaters zu den verordneten Augentropfen, beschreibt der Arzt, dass die Bindehäute entzündet wären, woraus geschlossen werden kann, dass der Vater mit der Vermutung, der Arzt könne eine Bindehautentzün dung annehmen, richtig lag:
Fallbeispiel 51: APEG_08 (A-Pw8-V; ca. 4:30min); Th (02:24.15-04:17.86); 02:46.65-03:08.62
V 08 (0.33) un des heißt DIEse (.) augentropfen gegen was sind die dann oder,
A 01 (0.28) 0 h die nehmen einfach ihren entzün dungsrei[z-
015 |
V |
08 |
[<<piano> OKAY>, |
016 |
A |
01 |
sie:- |
017 |
V |
08 |
(.) ja gibt_s einen e[nt |
018 |
A |
01 |
[bindeHÄUt]e sind einfach- |
019 |
|
|
( 0. 24) |
020 |
A |
01 |
sin ganz leicht geFÄSSindiziert- |
021 |
A |
01 |
°h un si]n auch TROckener- |
022 |
V |
08 |
HMhm, |
023 |
A |
01 |
(.) und_s (.) des beHEben die augentropf[en ]dann- |
024 |
V |
08 |
[hm- |
025 |
|
|
(3.17) |
026 |
V |
08 |
des heißt die vermutung is dass es (.) ne BINdehautentzündung is- |
027 |
A |
01 |
(2.49) |
028 |
V |
08 |
°h |
Vermeintlich hat der Arzt also die Diagnose aufgestellt, die der Vater zuvor ausgeschlossen hatte. Allerdings hat der Arzt den Vater nicht darüber aufge klärt, dass es eine ganze Reihe verschiedener Bindehautentzündungen gibt und sich die hier angenommene von der Bindehautentzündung unterschei det, die der Vater ausgeschlossen hatte (vgl. Roche 2003, S. 356f.). Der Thera pievorschlag des Arztes gibt bereits einen Hinweis darauf, dass unterschied liche Erkrankungen anzunehmen sind: Die von ihm angenommene Binde hautentzündung, die er als TYpische (Z. 023) Kinderkrankheit umschreibt, wird in der Regel mit Antibiotikum behandelt, während der Arzt ja eine kurz zeitige Behandlung mit einem Cortison-haltigen Präparat vorschlägt. Corti son wird häufig bei allergischen Reaktionen eingesetzt. So wird auf der Seite www.allergie-ratgeber.de Cortison als 11 das am besten wirksame Antiallergi kum" bezeichnet.108 Dort wird auch darauf hingewiesen, dass Cortison-halti ge Präparate - insbesondere 11 Augentrop fen" -, 11 nur kurzfristig angewendet werden [sollten]" (vgl. Fußnote 109). Dieser Umstand könnte aus der Emp fehlung abgeleitet werden, erneut vorbeizukommen, wenn die Beschwerden wieder auftauchen sollten, sowie der Ankündigung, ihr in diesem Fall dann
108 Vgl. www .allergie-ratgeber.de/antiallergisch-wirksame-medikamente/ (Stand: 20.8.2017).
antiallergische Augentropfen zu verordnen. Dies kann damit zusammenhän gen, dass 11 [b]ei circa einem Viertel aller Patienten, die Corticoide systemisch oder lokal verordnet bekommen, [...] der Augendruck etwa zwei Wochen nach Therapiebeginn an[steigt]".109 Somit stehen auch diese Augentropfen, die zunächst eingesetzt werden sollen, im Zusammenhang mit der noch nicht verifizierten Diagnosemitteilung des Arztes, aber nicht mit der Ausschlussdi agnose des Vaters. Die Nachfrage des Vaters, ob es sich demnach um eine Bindehautentzündung handele, wird nur nonverbal beantwortet. Der Arzt blickt zur Patientenakte, schreibt etwas und nickt einmal bestimmt, wobei er den Blick nicht von der Patientenakte abwendet. Daraufhin stellt der Vater keine weiteren Fragen, die mit der Ausschlussdiagnose oder der Diagnose des Arztes zusammenhängen. Der Arzt notiert sich noch etwas in der Patienten akte und geht schließlich auf die Verordnung ein:
Fallbeispiel 52: APEG_08 (A-Pw8-V; ca. 4:30min); Th (02:24.15-04:17.86); 03:26.30-04:17.86
036 A 01 vier ( .) mal am TA:G- 037 V 08 (0.34) Bitte-
A 01 ( .) viermal a[m TA:G-
V 08 [VIERmal am tag;
040 (4.11)
041 p 08 <<piano> was >,
042 (1. 5)
A 01 un eine woche LANG-
A 01 ( .) soll[t s ]dann Wider erwartend nich besser werden:-
V 08 [HMhm;
A 01 dann (.) seh ich sie WIEder-
A 01 °hh (0.25) Oder wenn es nach absetzen der augentropfen dann wieder schlimmer wird;
V 08 <<piano> oKAY >,
049 V 08 ( .) h[m,
050 A 01 [n l e,
051 (7.84)
052 ((Unterbrechung durch die Arzthelferin; ca. 12.92s)) 053 (6.57)
054 A 01 oh (0.35) gut?
055 V 08 (0.28) oKAY,
A 01 rezept gibt s DRAUßen noch-
[
A 01 darf ich ihr noch ne BREzel [gebe l n, 058 V 08 0 h ja KLAR,
Der Vater reagiert während der Therapieplanung sehr verhalten, was den Arzt dazu veranlasst, ein Frageanhängsel zu formulieren, um eine weitere Reaktion des Vaters einzufordern. Diese bleibt allerdings aus. Da in diesem
109 www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=42282 (Stand: 20.8.2017)
Moment eine Arzthelferin den Raum betritt und mit dem Arzt interagiert, kann hier keine Aussage dazu getroffen werden, ob der Arzt in einem Falle, in welchem keine Unterbrechung erfolgt wäre, diese zurückhaltende Reaktion noch bearbeitet hätte. Als die Arzthelferin den Raum wieder verlassen hat, leitet der Arzt die Gesprächsbeendigung ein, die durch den Vater ratifiziert wird (Z. 054-058).
In dieser Erstkonsultation wurde zwar keine subjektive Krankheitstheorie an gedeutet oder dargelegt, aber es wurde ein Krankheitsbild ausgeschlossen. Dass diese ausgeschlossene Erkrankung nicht identisch ist mit der diagnosti zierten Erkrankung, wurde durch den Arzt nicht bearbeitet. Birkner hat dar auf hingewiesen, dass 11[ d]ie Anerkennung und Beachtung von SKT [gemeint sind subjektiven Krankheitstheorien]" Auswirkungen auf die 11 Com plian ce", also die Therapietreue der Patienten, haben (Birkner 2006, S. 159). Die redu zierte Rückmeldung auf die Nachfrage bezüglich des verordneten Präparats, sowie einer Theorie des Vaters die Diagnose betreffend, die scheinbar iden tisch mit der selbst ausgeschlossenen Erkrankung ist, legen nahe, dass sich eine Nichtbeachtung einer ausgeschlossenen Krankheitstheorie ebenfalls un günstig auf die Therapietreue auswirken kann. In diesem Fall wurde keine subjektive Krankheitstheorie, wohl aber eine Ausschlusstheorie dargelegt. In anderen Interaktionen werden jedoch sowohl subjektive Krankheitstheorien wie auch Ausschlusstheorien präsentiert. Ausschlussdiagnosen findet man im Analysekorpus nur in der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung. Dies kann durch Fragen nach bestimmten Symptomen erfol gen, bei denen die Eltern einen Abgleich mit einem bestimmten Krankheits bild annehmen, welches sie selbst ausschließen, oder nach prädiagnostischen Diagnoseoptionen sowie Ausschlussdiagnosen des Arztes, die durch die eige ne Ausschlusstheorie unterstützt oder angezweifelt werden. In den Fällen, in denen subjektive Ausschlusstheorien präsentiert werden, reagiert der Arzt entweder nur relativ knapp oder bearbeitet diese gar nicht, was sicherlich da mit zusammenhängt, dass diese in der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung offengelegt werden, in der der Arzt sich mit dem Patienten in eine Interaktionsdyade begeben hat und primär der körperlichen Untersuchung nachgeht (vgl. Schmitt 2012, S. 45 oder auch ten Have 1990, S. 107).
Subjektive Untersuchungsvorschläge
Da im Analysekorpus nur ein einziges Gespräch zu finden ist, in welchem dem Arzt ein Untersuchungsvorschlag dargelegt wird, kann auch nur dieser singuläre Fall beschrieben und auch keine Regelmäßigkeit daraus abgeleitet werden.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
Es kann festgehalten werden, dass dieser Vorschlag in der Phase vor der kör perlichen Untersuchung realisiert wird, was strukturell einleuchtend ist, da Vorschläge zur Untersuchung, die nach dem Abschluss der Untersuchung eingebracht würden, hochgradig facebedrohend (vgl. Brown/Levinson 1987,
S. 65ff.; Goffman 1967) sein dürften, da dem Arzt andernfalls faktisch unter stellt würde, er hätte die Untersuchung nicht gründlich genug durchgeführt. Folglich bleibt nur eine Präsentation vor der körperlichen Untersuchung. Die Mutter geht zudem auf diesen Vorschlag nicht gleich zu Anfang der Be schwerdenschilderung ein, sondern erst nach der Präsentation der Sympto matik sowie ihrer subjektiven Krankheitstheorie:
Fallbeispiel 53: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); BE (00:07.16-07:32.92); 00:30.57-00:53.45
015 M 14 un des HÄUFT sich halt-=JA,= 016 M 14 =un ich hab GSAGT-=
M 14 =SO,=jetz müss ma mal zum ARZT gehn-
M 14 weil so geht- s ja net auf dauer WEiter-=ne- 019 A 02 (0.31) hmHM;
020 M 14 ( .) geNAU-= 0 h
M 14 ( .) jetz DACHT ich ähm-
M 14 ( .) sie hat jetz ihre periüde seit nem halben jahr- 023 A 02 ( .) HMhm,
M 14 ( .) also kann ja dann einfach auch mit dem WACHStum zusammenhängen-=ne,
M 14 oh
A 02 hmHM,
M 14 ( .) WEISS net ts ähm-
M 14 (0.47) ob man BLUT untersuchen ( .) sollte-
M 14 oder oder oder vielleicht mal (en/äh) en Eisenwert; 030 (0.54)
031 A 02 [gu]ck mer
032 M 14 [+++ l
033 A 02 [EINS nach ]em ANdern; 034 M 14 [++++++ +++
035 M 14 ( .) HMhm;
036 (0.22)
M 14 ((lacht))
A 02 (0.28) WANN hat des angefangen-
Der Arzt hat mittels Rückmeldesignalen bisher die Mutter lediglich in ihrer Sprecherrolle bestätigt und auch auf die Darlegung der subjektiven Krank heitstheorie (Z. 021-024) produziert der Arzt nur ein zweigipfliges Rück meldesignal. Daraufhin setzt die Mutter an, um dem Arzt Vorschläge zu un terbreiten, welche Untersuchungen ihrer Meinung nach gemacht werden
könnten. Sie führt dies mit dem Diskursmarker WEISS net (Z. 027) ein, produ ziert dann ein Häsitationsphänomen und eine kurze Pause, bevor sie ihm den Vorschlag unterbreitet. Zuerst schlägt sie, nachdem sie auf ihr Nichtwissen - also ihren Laienstatus - verwiesen hat, recht allgemein eine Blutuntersuchung (Z. 028) vor, wobei sie zudem auch die verantwortliche Person für eine solche Untersuchung ausspart. Danach wird sie etwas konkreter, indem sie einen speziellen Wert vorschlägt, der bei der Untersuchung des Blutes möglicher weise besonders in den Blick genommen werden soll. Bei einer Blutuntersu chung würde auch ein Eisenwert bestimmt werden, aber die Mutter bringt diese durch die Konjunktion oder (Z. 029) sogar als zweite Option ein. Herab gestuft wird diese konkretere Nennung der Untersuchungsmöglichkeit durch die dreimalige Wiederholung der Konjunktion, die signalisiert, dass die Mut ter Schwierigkeiten bei der Realisierung des Vorschlags hat, sowie auch durch das mal, das vielleicht (Z. 029) und durch die Tatsache, dass sie den unbe stimmten Artikel verwendet, wenn sie von dem Eisenwert (Z. 029) spricht. Dieser Vorschlag ist, auch wenn das nicht mit kohäsiven Mitteln angezeigt wird, dennoch kohärent,110 denn ein Eisenmangel, auf den die Mutter hier sicherlich anspielt, obwohl auch ein zu hoher Eisenwert problematisch sein kann, kann eventuell mit der Menstruation zusammenhängen,111 welche die Mutter ja zuvor als mögliche Ursache für die Symptomatik beschrieben hat (Z. 022-024).
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Untersuchungsvorschläge
Der Arzt, der in dem Gespräch APEG_l4 sowohl nach der Symptompräsenta tion wie auch nach der Offenlegung der subjektiven Krankheitstheorie noch keine Anzeichen erkennen lässt, das Rederecht für sich in Anspruch zu neh men, meldet sich nun nach der Eröffnung des Untersuchungsvorschlags oder
-je nach Interpretation - der zwei Untersuchungsvorschläge zu Wort. Er sig nalisiert der Mutter, dass sie mit dem Untersuchungsvorschlag dem Hand lungsschema vorausgreift (Z. 033), bearbeitet diesen Vorschlag jedoch an die ser Stelle nicht weiter und beginnt nun damit, weitere Informationen zu den Symptomen zu erfragen, wodurch er den angemerkten Umstand zusätzlich unterstreicht.
110 Zu den Textualitätskriterien vgl. De Beaugrande/Dressler (1981, S. 3-14).oder auch Linke/ Nussbaumer/Portmann (2001, S. 215-229).
111 Vgl. https://www.ugb.de/eisenmangel-eisenbedarf/eisenmangel-eisenpraeparate/ (Stand: 20.8.2017).
Die Mutter geht daraufhin nicht noch einmal auf den subjektiven Untersu chungsvorschlag ein, aber der Arzt kommt in der Interaktion noch zweimal auf diesen zu sprechen. Das erste Mal erfolgt in der Handlungsschemakom ponente der körperlichen Untersuchung, nachdem er den Blutdruck der Pati entin gemessen hat, der als leicht erhöht identifiziert wurde:
Fallbeispiel 54: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); kU (07:52.81-17:44.35); 12:49.08-13:12.44
-
165 A 02 bist du AUFgeregt, 166 p 14 ( .) oh (0. 46) nee- 167 (0.46)
-
168 p 14 alSO: ( .) hm ein klein bisschen;
169 (9.67)
-
170 p 14 0 hh hh0 ( .) 0 hh
171 (0.57)
172 A 02 hundertVIERzisch-
173 A 02 (0.58) oh (0. 31) zu ACHzich;
174 (1.1 7)
175 A 02 ho
176 (1 .19)
177 A 02 oh (0. 21) habt ihr en blutDRUCKmessgerät da heim,
178 (0.37)
In der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung erkun digt sich der Arzt vor der Mitteilung des Testergebnisses der gerade durchge führten Blutdruckmessung danach, ob die Patientin AUFgeregt (Z. 165) sei, und bittet die beiden Gesprächsbeteiligten anschließend, zukünftig den Blut druck regelmäßig zu messen (Z. 177ff.).
Nachdem die Gesprächsbeteiligten das Vorhandensein eines Blutdruck messgeräts festgestellt haben und auf verschiedene Faktoren das Gerät be treffend eingegangen sind, ordnet der Arzt diese einzelne Messung noch mals ein und kommt dabei auch auf den Untersuchungsvorschlag der Mutter zurück:
Fallbeispiel 55: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); kU (07:52.81-17:44.35); 14:06:82-14:30.37
A 02 [mit dem WERT ]kann ich jetz-
M 14 [jaJA,
A 02 mit [diesem ]EINz[el ]nen wert [kann ich jetz ]nich viel anfangen;
M 14 [nee-
M 14 [ja; l
237 |
M |
14 |
|
[ja |
238 |
M |
14 |
j a, |
|
239 |
A |
02 |
ho |
|
240 |
XX |
|
oh |
|
241 |
A |
02 |
(.) da BRAUCH mer werte die ihr daheim immer mal wieder |
|
|
|
|
messt; |
|
242 |
A |
02 |
und dann [macht ]ihr mal ne LISte; |
|
243 |
M |
14 |
[HMhm; ] |
|
244 |
A |
02 |
wo ihr des aufschreibt-=ne. |
|
245 |
A |
02 |
(.) dass wer einfach mal SEhen- |
|
246 |
A |
02 |
0h (1.03) ob des sonst ganz norMAL is un jetz halt nur |
|
|
|
|
hier in der praxissituation erhöht is- |
|
247 |
A |
02 |
des ist ja ganz häufig der FALL. |
|
248 |
M |
14 |
HMhm, |
|
249 |
A |
02 |
(0.22) ((schnalzt)) 0 h (.) vor allem wenn die mutter |
|
|
|
|
dann noch so sachen sagt wie man könnt ja mal BLUT |
|
|
|
|
abnehmen und so; |
|
250 |
A |
02 |
((lacht)) |
|
251 |
M |
14 |
((lacht)) |
|
252 |
A |
02 |
((lacht)) |
|
253 |
M |
14 |
geNAU; |
Der Arzt hebt hervor, dass die Messung des Blutdrucks in einer ungewohnten Situation - nämlich in der Praxis - bekanntermaßen oftmals zur Ermittlung falscher Werte führt (Z. 246-247), aber nach einer kurzen Pause kommt er auch auf die Frage zurück, die er der Patientin direkt nach der Messung des Blutdrucks gestellt hat, nämlich der Frage nach einer möglichen Aufregung (Z. 165). Er konstatiert, dass auch die Ankündigung möglicher Untersuchun gen durch die Mutter den Blutdruck nach oben getrieben hat (Z. 249).
■
■■
-A-
<§>
Kamera
Schreibtisch
Der Arzt beginnt mit der Äußerung (Z. 249) in dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzt (-A-).
Abb. 9 I Skizze des Behandlungsraums in APEG 14 während der körperlichen Untersuchung
■
-A'-
<§>
Kamera
Abb. 1 D I Skizze des Behandlungsraums in APEG _14 während der körperlichen Untersuchung'
Dabei läuft er - simultan zur Äußerung - um die Liege herum, wobei er die Mutter ansieht, bis er sich im Zenit des Laufwegs befindet. Dann orientiert er sich um, fokussiert den Punkt an, den er ansteuert und dreht sich dann, als er an der bestimmten Stelle steht (-A'-), erneut zur Mutter um, bevor er mit dem nächsten Untersuchungsschritt beginnt und sich dann wieder auf die Patien tin hin orientiert. Der Arzt identifiziert den Vorschlag der Mutter als eine der möglichen Ursachen für den Gemütszustand und damit den erhöhten Blut druck der Patientin. Damit identifiziert er den Vorschlag als möglicherweise zusätzlich kontraproduktiv für seine Untersuchung. Dabei geht er im Übri gen erneut nicht darauf ein, dass die Untersuchung - so wie auch die subjek tiven Krankheitstheorien - eigentlich im 11 Aufgaben- und Zuständigkeitsbe reich" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 100) des Arztes liegt. Selbst wenn hier dieRollenübernahmenichtthematisiertwird,wirddieFormulierungeinesUnter suchungsvorschlags dennoch als potenziell negativ dargestellt. Das Lachen des Arztes signalisiert hier auch eine potenzielle face-Bedrohung der Mutter, die ebenfalls mit Lachen reagiert, denn 11[ e ]igene Handlungen, die aus eigener und objektiver Sicht Verfehlungen sind, werden durch lachendes oder lä chelndes Sprechen als nicht so schlimm dargestellt" (Schwitalla 2001, S. 337). Schwitalla hebt daneben hervor, dass das Lachen verschiedene Funktionen haben kann und neben dem 11 Schutz des fremden Face" (ebd., S. 333f.) u.a. auch zum 11 Schutz des eigenen Face" (ebd., S. 336f.) eingesetzt werden kann. So ist das Lachen der Mutter an dieser Stelle einzuordnen. Anschließend fährt der Arzt mit der Untersuchung der Patientin fort.
Nachdem der Arzt die Phase der körperlichen Untersuchung beendet, die Patientin wieder auf dem Stuhl neben ihrer Mutter Platz genommen hat und der Arzt um den Schreibtisch herum zu seinem Platz läuft, geht er nun ein zweites Mal auf den einen Untersuchungsvorschlag ein, den er bereits in der Phase der körperlichen Untersuchung zitiert hat:
Fallbeispiel 56: APEG_14 (A-Pw11-M; ca. 33:44min); D (17:44.93-22:12.61); 17:44.93-18:07.45
001 |
A_02 |
°h BLUT nehmen wir heute keins ab; |
002 |
A_02 |
(0.99) und zwar deswegen weil FREItagnachmittag is; |
003 |
A_02 |
(1.3) freitagnachmittag haben die LAbors zu- |
004 |
M_14 |
HMhm, |
005 |
A_02 |
(0.29) wenn ich jetz blut abnehme dann steht des des ganze wochenende RUM; |
006 |
M_14 |
(.) hmHM, |
007 |
A_02 |
das macht das ergebnis nich BESser; |
008 |
M_14 |
MHmh, |
009 |
A_02 |
(0.44) °h (0.21) a:ber (0.51) wir nehmen BLUT ab, |
010 |
M_14 |
HMhm, |
011 |
A_02 |
°h (0.21) da muss sie aber noch MAL en termin ausmachen, |
012 |
A_02 |
(.) du einfach nur zum blutABnehmen kommst-=ja, |
013 |
P 14 |
(0.22) |
Bevor der Arzt noch auf die angenommene Diagnose eingeht, bearbeitet er, dass der Untersuchungsvorschlag der Mutter nicht bei der körperlichen Un- tersuchung berücksichtigt wurde. Bei der zweiten Bearbeitung des Arztes verweist er darauf, dass er zwar beabsichtigt, dem Vorschlag zu folgen, die äußeren Umstände dies aber verhindern, da ein FREItagnachmittag (Z. 002) für eine solche Untersuchung denkbar ungünstig sei (Z. 002/003). Anschlie- ßend wendet er sich an die Autorin dieses Vorschlags und verkündet ihr, dass die Patientin, von der er in der dritten Person spricht, hierfür einen erneuten termin ausmachen (Z. 011) müsse. Damit hat er ein weiteres Mal die Mutter adressiert, aber die Tochter als agierende Person ausgemacht (vgl. hierzu auch Kap. 8). Für die nächste Intonationsphrase wendet er sich, nicht nur mit- tels des Körpers, nun der Patientin zu, die er auch adressiert und ihr gegen- über den Grund für den weiteren Arzttermin nochmals explizit benennt (Z. 012). Die Mutter reagiert indes ebenfalls, indem sie sich zurücklehnt:
Nachdem die Mutter den Untersuchungsvorschlag nach der Symptompräsen- tation und der Offenlegung der SKT produziert hat, reagiert der Arzt nur inso- fern, dass er diesen Vorschlag als noch zu früh einstuft, aber ansonsten nicht weiter darauf eingeht. Während der körperlichen Untersuchung äußert er sich kritisch gegenüber der Realisierung dieses Vorschlags durch die Mutter, the-
matisiert jedoch ein weiteres Mal nicht die Rollenübernahme durch die Mut ter, sondern verweist auf den Eindruck, den diese Äußerung auf die Patientin gemacht haben könnte. Nach dem Abschluss der körperlichen Untersuchung greift er dann aber den Vorschlag der Mutter auf und signalisiert das erste Mal, dass er ebenfalls der Ansicht ist, dass diese Untersuchung noch unter nommen werden sollte, auch wenn diese im Rahmen dieses Sprechstunden besuchs nicht mehr durchgeführt werden soll.
Da es sich jedoch um einen singulären Fall in den aufgezeichneten Interaktio nen handelt und in den anderen Interaktionen des Korpus keine weiteren Un tersuchungsvorschläge präsentiert werden, kann nicht abgeleitet werden, wie Ärzte üblicherweise auf Untersuchungsvorschläge von Eltern oder Patienten eingehen.
Eltern haben sich im Vorfeld nicht nur bereits subjektive Krankheitstheorien überlegt, sondern sich auch häufig mit bestimmten Medikamenten auseinan dergesetzt, kennen Medikamente aus früheren Fällen, schließen auf bestimmte Maßnahmen oder Medikamente aus den bisherigen Ausführungen und haben auch in einigen Fällen Medikamente bereits im Vorfeld erfolglos eingesetzt. Diese Therapievorschläge werden zumeist nach der Diagnose oder im Rah men der Therapieplanung eingebracht, wenn der Arzt bereits Maßnahmen vorgeschlagen hat. Lediglich in einem Fall wird ein Therapievorschlag, näm lich der Therapievorschlag Dritter, zusammen mit der subjektiven Krankheits theorie schon in der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilde rung präsentiert (vgl. Fallbeispiel 39).
In den 16 Interaktionen des Analysekorpus werden 15 Therapievorschläge geäußert, welche allerdings in acht Interaktionen realisiert werden. In fünf Gesprächen wird jeweils ein Vorschlag vorgebracht, in drei Interaktionen werden zwei und in einem Gespräch sogar fünf Vorschläge durch die Eltern aufgezeigt.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
Alle Therapievorschläge - außer dem Therapievorschlag Dritter -, welche ausschließlich durch die Eltern oder Großeltern eingebracht wurden, werden erwähnt, nachdem der Arzt die Therapieplanung eingeleitet hat.
So gibt es etwa Therapievorschläge, die auf Maßnahmen beruhen, die bereits im Vorfeld eingesetzt wurden, wie etwa bei APEG_l5, aber auch Maßnahmen, die zuvor bereits mit anderen Personen angedacht waren. Hier hat der Arzt die Therapieplanung vorgestellt, die verfolgt werden soll, bis die Untersuchungs-
ergebnisse vorliegen, woraufhin der Vater einen Therapievorschlag einbringt, der auf einem erfolgreich eingestuften Einsatz eines Mittels beruht:
Fallbeispiel 57: APEG_15 (A-Pm5-V; ca. 06:15min); Th (02:48.92-06:08.69); 04:47.73-05:39.97
082 |
A |
02 |
[0 h (.) und bis dahin nur SITZbäder |
|
083 |
V |
15 |
[HMhm- |
|
084 |
A |
02 |
(0.24) und mit [bepanthen ]EINcremen- |
|
085 |
V |
15 |
[BEpanthe:n- |
|
086 |
A |
02 |
DANN seh mer- |
|
087 |
A |
02 |
(.) sin da irgendwelche bakterien oder keime oder |
|
|
|
|
irgendWAS- |
|
088 |
A |
02 |
0h (0.22) u:nd dann äh: (0.77) müssen wer beSPRECHen |
|
|
|
|
(0.2) je nachdem wie wer [weitermac ]hen;=ne, |
|
089 |
V |
15 |
[alles KLAR- |
|
090 |
V |
15 |
(.) 0 h äh:m: (0.55) WAS ham wer genommen |
|
091 |
V |
15 |
wir ham BAbypuder (0.45) ge[habt- |
|
092 |
P |
15 |
[j a, |
|
093 |
V |
15 |
das hat er mal am Abend- |
|
094 |
A |
02 |
j [a, |
|
095 |
V |
15 |
[wo ]wo er ja gesagt hat es wär so GAN[Z sch]limm |
|
096 |
P |
15 |
[(ja) |
|
097 |
V |
15 |
[und][0 h ](0.29) DANN hab ich ihm babypuder gegeben |
|
098 |
A |
02 |
[j a, l |
|
099 |
A |
02 |
[oh |
|
100 |
A |
02 |
ja, |
|
101 |
V |
15 |
(.) und dann GING S |
|
102 |
V |
15 |
(.) [Oder, |
|
103 |
A |
02 |
[oh |
|
104 |
P |
15 |
HMhm, |
|
105 |
A |
02 |
0 h (.) kann man auch emal MAchen- |
|
106 |
A |
02 |
(0.52) ((schnalzt)) (.) b[eim pu]der is immer en |
|
|
|
|
bisschen PROble:m- |
|
107 |
V |
15 |
[ja- |
|
108 |
A |
02 |
(0.45) also auf der NACHT-= |
|
109 |
A |
02 |
=in der NACHT geht des ganz gut; |
|
110 |
A |
02 |
(.) T[A ]GSüber jetz bei dem WETTer- |
|
111 |
V |
15 |
[ja- l |
|
112 |
A |
02 |
°h (.) wenn der rumrennt und vielleicht SCHWITZT und |
|
|
|
|
[so ]ho, |
|
113 |
V |
15 |
[ja- l |
|
114 |
A |
02 |
°h (.) äh: dann sich (.) wenn sich der schweiß dann mit |
|
|
|
|
PUder vermischt des wirkt wie schmirgelsand; |
|
115 |
V |
15 |
(.) Oka[y- |
|
116 |
A |
02 |
[0 |
h ]also tagsüber würd ich des lieber NICH |
machen,
A 02 °h (.) so in der nacht wenn er im bett liegt is des oKAY,
V 15 HMhm,
A 02 aber tagsüber ( .) äh tagsüber lieber nur [ä ]h CREM.
V 15 [Okay- l
121 A 02 ( .) ne?
Der Arzt wiederholt die Empfehlung (Z. 082-084), die er vorher ausgespro chen hat, und kündigt an, dass nach dem besprochenen Zeitraum die Ursa chen durch das Labor bestimmt worden sein müssten und sie, wenn die Er gebnisse vorliegen, weitere Maßnahmen beschließen werden (Z. 086). Diese zukünftige Therapieplanung wird dabei als eine gemeinschaftliche Handlung projiziert. Der Vater ratifiziert diese Ausführungen mit [alles KLAR-] (Z. 089) und setzt dann an, mit einem eigenen Vorschlag, der bereits im Einsatz war, aber von dem bisher noch nicht berichtet wurde. Er geht darauf ein, dass sie mit babypuder (Z. 097) die Schmerzen lindern konnten (Z. 101). Diese Wirk samkeit lässt er sich dann - mit Hilfe des Frageanhängsels [Oder,] (Z. 102) - von dem Patienten bestätigen. Dieser Aufforderung kommt der Patient auch sofort nach und bestätigt die positive Wirkung des eingesetzten Puders (Z. 104). Diese Maßnahme muss nicht konkurrierend, sondern kann auch als ergänzende Maßnahme zur Disposition gestellt werden.
In APEG_06 wurde das Mittel zwar noch nicht eingesetzt, die Mutter be schreibt aber, dass dieser Therapievorschlag bereits im Vorfeld entwickelt wurde, und beruft sich dabei auch auf eine weitere - nicht näher bestimmte
Person, mit der dieser Vorschlag besprochen wurde:
Fallbeispiel 58: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); Th (03:03.01-07:30.75); 06:36.39-06:54.51
158 |
A |
01 |
ich schreib ihnen noch die SCHWÄcheren zäpfchen auf;= |
159 |
A |
01 |
=da können sie auch nach VIER stunden schon eins |
|
|
|
geben;=[ne, |
160 |
M |
06 |
[HM ]hm, |
161 |
|
|
(2. 78) |
162 |
M |
06 |
und ibeROgast nich, |
163 |
A |
01 |
(0.48) BRIN[GT ni]ch[ts- |
164 |
M |
06 |
[da |
165 |
M |
06 |
[ne Je? |
166 |
A |
01 |
(2 .13) |
167 |
M |
06 |
hattn wer nämlich schon überlegt ob wir DIE schnell holn |
|
|
|
un- |
168 |
|
|
( 0. 43) |
169 |
A |
01 |
DES bringt überhaupt nichts |
170 |
|
|
( 1. 7) |
171 |
p - |
06 |
((stöhnt)) |
Auch in dieser Interaktion erfolgt der Therapievorschlag, nachdem der Arzt die Therapieverordnung nochmals zusammengefasst hat. Sie bringt nun noch ein weiteres Medikament ein, das vorher noch nicht Gegenstand der Therapiepla-
nung war. Durch die Beiordnung und (Z. 162) knüpft sie an die Verordnung zuvor an. Durch das nich, (Z. 162) bearbeitet sie bereits eine Dispräferenz des Arztes dem Medikament gegenüber. Durch die steigende Grenzintonation zeigt auch die Mutter in diesem Gespräch, dass sie diesen Therapievorschlag zur Disposition stellt.
In APEG_03 hat der Arzt die Therapieplanung ebenfalls bereits dargelegt und nochmals auf zwei Untersuchungsergebnisse verwiesen, die nicht dem ent sprechen, was durch die Medikamente erreicht werden soll:
Fallbeispiel 59: APEG_03 (A-Pw3-M/V; ca. 27:02min); Th-Teil 3 (15:18.37-26:56.62);
23:05.84-23:13.44
327 |
A |
01 |
0 (.) h (.) der sollte absoLUT [leer s]e |
|
328 |
V |
03 |
|
[kann- l |
in
329 V 03
330 A 01
kann man da v erNÄH:rungsmäßig was machen o[der ge]ht [des nur-]
[ 0 h l
331 |
A |
01 |
[ja KLAR |
332 |
A |
01 |
SCHLA[ckenarme ]kost |
333 |
V |
03 |
[+++ |
334 |
A |
01 |
des hab ich ihnen UNten [auch <<piano> auf]geschrieben >· |
335 |
M |
03 |
[ja:- |
Hier erkundigt sich der Vater danach, ob die Möglichkeit besteht, das vom Arzt beschriebene Ziel auch auf einem anderen Weg zu erreichen, nämlich, indem man die Ernährung der Patientin umstellt (Z. 329). Es muss jedoch nicht sein, dass er in diesem Gespräch den Therapievorschlag konkurrierend einbringt. Dieser Therapievorschlag wird als Frage realisiert, sodass für den Arzt die konditionelle Relevanz besteht, auf diese Frage zu antworten (vgl. Schegloff 2007). Indem er in Betracht zieht, dass nur die Verordnung des Arz tes verfolgt werden solle, bereitet er allerdings eine mögliche dispräferierte Reaktion vor.
In APEG_33 kündigt die Großmutter den Therapievorschlag sogar vorher an und bringt diesen nun konkurrierend oder zumindest als Maßnahme, die vor der von der Ärztin empfohlenen Therapieplanung erfolgen soll:
Fallbeispiel 60: APEG_33 (A-Pm4- V/G; ca. 13:42min); Th (04:11.85-13:34.75); 08:35.58-09:16.67
Ä 03 ( .) naTÜRlich nich [ja-
G- 33 [ich hab no]ch eine andere frage,=
G- 33 =bevor wir mit c[ortis]on losgehen ( .) könnte man V V so etwas wie mutter kind KUR (0.6) äh mal mach[en dass (so)-
212 |
Ä 03 |
[oh |
213 |
Ä 03 |
[((schnalzt)) KANN man ]machen-=ja- |
214 G 33
215 Ä 03
216 Ä 03
ja 0 h (.) des wäre vielleicht äh äh [äh ]bestimmt ratsam für IHN (.) 0 h denn wenn äh
[bestimm]te richtlinien (.) wir haben;
[ja-
[oh
217 G 33
218 Ä 03
219 Ä 03
220 G 33
221 Ä 03
((schmatzt)) 0 h [äh
[HMhm,
LERnen do[rt-
[HM ][hm,
](.) verHALtens [wei sen-
[oh
222 G 33
[ h ]dass man EINfach mal (.)
0
si[ch l
223 |
Ä |
03 |
[((schmatzt)) 0 h ](.) kann man MAchen- |
||
224 |
Ä |
03 |
das äh können sie bei ihrer krankenkasse beANtragen |
||
225 |
G |
33 |
HM[hm, |
||
226 |
Ä |
03 |
[+++ |
||
227 |
Ä |
03 |
0 h |
(.) ähm manchmal ham die krankenkassen |
|
bestimmte (.) ähm mutter kind häuser mit denen sie ZUsammenarbeit[en, ] |
|||||
228 |
G |
33 |
[H |
][Mhm, |
|
229 |
Ä |
03 |
|
[dann mü][ssen |
]wir so was |
|
|
|
AUSfülln- |
||
230 |
P |
33 |
[((hustet)) |
||
231 |
Ä |
03 |
[fragen ]sie ihre frau oder ihre tochter einfach mal [NACH-=]ne, |
||
232 |
G |
33 |
[HMhm? |
||
233 |
G |
33 |
[HMhm? ] |
||
234 |
Ä |
03 |
0 h |
(.) was man DA: |
|
235 |
G |
33 |
hm, |
||
236 |
Ä |
03 |
(.) und wir füllen des gerne AUS; |
||
237 |
Ä |
03 |
hat er sicherlich ne indikaTION für weil er [einfac][h jetz of]t krank i[s- |
||
G 33 [ja, l
V 33 [ HMhm,
240 G 33 [HMhm, ]
241 ( 0. 3)
242 Ä 03 ne-
An diesen Metakommentar (Z. 210) schließt die Großmutter mit einem schnel len Anschluss die Frage an, obgleich sie sich durch diese Ankündigung prinzi piell bereits das Rederecht für die Frage gesichert hat. Sie leitet die Frage nach dem Befürworten der Ärztineinermutter kind KUR (Z. 211) mit dem Hinweis ein, dass sie diese einer Kur mit c[ortis]on (Z. 211) vorziehen würde, obgleich das bisher verhandelte und vom Vater auch schon befürwortete Mittel über haupt kein Cortison enthält, was auch schon auf ihre eigene Nachfrage hin ver handelt wurde. Neben den Hochstufungen realisiert die Großmutter zwar auch Herabstufungen, durch die Verwendung des Konjunktivs, der Realisierung von Pausen, der Häsitationsphänomena, Abbrüchen und dem Hinweis darauf,
dass die vorgeschlagene Kur als eine Möglichkeit von mehreren dargestellt wird. Daneben wird der Therapievorschlag jedoch klar gegenüber anderen Me dikamenten in Opposition gesetzt.
In einigen Fällen werden Therapievorschläge als Fragen formuliert oder als Frage eingeführt bzw. eine Frage angeschlossen. Entweder wird hinterfragt, warum bestimmte Medikamente oder Arzneimittelgruppen nicht eingesetzt werden oder ob andere Maßnahmen nicht eventuell auch erfolgsverspre chend sein könnten. Andere Vorschläge werden sehr unmarkiert als Feststel lung eingebracht. In allen Fällen werden die Ärzte entweder durch die For mulierung, mittels Grenzintonation oder den Aufwand bei der Formulierung dazu aufgefordert, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern. So wird z.T. darauf verwiesen, dass bestimmte Arzneimittel bereits erfolgreich eingesetzt wur den oder noch vorrätig sind. Wieder andere Vorschläge werden von der Dia gnosemitteilung oder der vorausgegangenen Therapieplanung abgeleitet. Obwohl die Eltern prinzipiell diejenigen sind, die die Therapievorschläge ein bringen, produziert im Analysekorpus auch einmal die ebenfalls anwesende Großmutter einen Therapievorschlag.
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Therapievorschläge
In APEG_l5 reagiert der Arzt mit einer zurückhaltenden Zustimmung und gibt an, dass die beschriebene und schon eingesetzte Maßnahme auch emal (Z. 105) eingesetzt werden kann. Dass der Arzt an dieser Stelle jedoch nur eine eingeschränkte Zustimmung realisiert, signalisiert von Anfang an, dass der Arzt diesem Produkt in dem Zusammenhang eher kritisch gegenübersteht:
105 |
A |
02 |
0 h (.) kann man auch emal MAchen- |
106 |
A |
02 |
(0.52) ((schnalzt)) (.) b[eim pu]der is immer en bisschen PROble:m- |
107 |
V |
15 |
[ja |
108 |
A |
02 |
(0.45) also auf der NACHT-= |
109 |
A |
02 |
=in der NACHT geht des ganz gut; |
110 |
A |
02 |
(.) T[A ]GSüber jetz bei dem WETTer- |
111 |
V |
15 |
[ja- l |
114 |
A |
02 |
0 |
h (.) äh: dann sich (.) wenn sich der schweiß dann mit |
115 |
V |
15 |
PUder vermischt des wirkt wie schmirgelsand; (.) Oka[y- |
|
116 |
A |
02 |
[0h ]also tagsüber würd ich des lieber NICH |
117 A 02
118 V 15
machen,
112 |
A |
02 |
0 h (.) wenn der rumrennt und vielleicht SCHWITZT und |
|
|
|
[so ]ho, |
113 |
V |
15 |
[ja- l |
0 h (.) so in der nacht wenn er im bett liegt is des oKAY,
HMhm,
A 02 aber tagsüber (.) äh tagsüber lieber nur [ä ]h CREM.
V 15 [Okay-]
121 A O 2 ( . ) ne?
Er geht aber auch sofort darauf ein, warum der Einsatz nicht ohne Weiteres empfehlenswert ist, und unterscheidet dabei zwei Zeiträume, die für seine Antwort relevant sind. So ist ein Einsatz in der Nacht ganz gut (Z. 109) mög lich, was allerdings auch keine generelle Zustimmung bedeutet. Daraufhin stellt er den Negativfall vor, der vor allem am Tag, an welchem man aktiver ist als in der Nacht, und gerade im Zusammenhang mit den derzeitigen Tem peraturen eintreten kann (Z. 110). Diese Situation führt er näher aus, indem er auf eine typische Handlung, die von Kindern häufig ausgeführt wird, ein geht, die zur Folge hat, dass man SCHWITZT (Z. 112). Damit hat er den Ein wand gegenüber einer Anwendung dieses Produktes vorbereitet, da bei die sen Voraussetzungen ein Gemisch aus schweiß (Z. 114) und PUder (Z. 114) entstehen würde, welches die sowieso schon angegriffenen Hautpartien noch weiter reizen würde (Z. 114). Besonders plastisch wirkt diese Ausführung durch die Gleichsetzung dieses Gemisches mit schmirgelsand (Z. 114). In sei nem Resümee unterscheidet er, dass dies keine geeignete Maßnahme wäre, die am Tag eingesetzt werden solle, aber für die Linderung über die Nacht durchaus eingesetzt werden könne. Auch in der Wiederholung hebt der Arzt hervor, dass dieses Mittel nicht von ihm präferiert wird, auch wenn er angibt, dass dies auch emal (Z. 105) angewandt werden kann, zumal der Vater ja be reits angekündigt hat, dass es bereits vor dem Arztbesuch erfolgreich einge setzt wurde. Sein präferiertes Mittel wurde zuvor bereits erörtert. Folglich verweist er an dieser Stelle nur nochmals durch den Hinweis auf CREM (Z. 119) auf die von ihm empfohlene Therapieplanung.
Solche einschränkenden Zustimmungen findet man bei Fällen, in denen angegeben wird, dass Therapievorschläge zu einem späteren Zeitpunkt ein gesetzt werden können, wenn bestimmte Symptome abgeklungen, neue Sym ptome hinzugekommen sind oder diese Maßnahmen weder als schädlich noch als besonders hilfreich dargestellt werden.
Im Gegensatz dazu gibt es auch Therapievorschläge, denen der Arzt explizit widerspricht, wie dem Therapievorschlag der Mutter in APEG_06:
M 06 und ibeROgast nich,
A 01 (0.48) BRIN[GT ni]ch[ts-
M 06 [da
M 06 [ne Je?
Der Arzt reagiert ablehnend und bestreitet mit BRINGT nichts- (Z. 163) die Wirksamkeit des Medikaments im Zusammenhang mit der diagnostizierten Krankheit, führt die Ablehnung dann jedoch nicht weiter aus.
Dass Ärzte die Therapievorschläge der Eltern ablehnen, ist in sieben Fällen der 15 vorgebrachten Therapievorschläge des Analysekorpus zu beobachten. Die Ärzte reagieren jedoch nicht nur ablehnend auf solche Vorschläge. Es gibt auch Vorschläge, die unterstützt werden.
In APEG_33 etwa reagiert die Ärztin sofort mit Zustimmung auf den The rapievorschlag der Großmutter. Dies geschieht sogar simultan zur Äußerung der Großmutter, die noch zu einer Begründung für diesen Vorschlag ange setzt hat.
211 G 33 =bevor wir mit c[ortis]on losgehen ( .) könnte man V V so etwas wie mutter kind KUR (0.6) äh mal mach[en dass (so)-
212 |
Ä 03 |
[oh |
213 |
Ä 03 |
[((schnalzt)) KANN man ]machen-=ja- |
Die Ärztin reagiert auf die Frage der Großmutter, die diese nach ihrer Ein schätzung bezüglich einer Therapiemaßnahme gefragt hat, indem sie bestä tigt, dass diese von der Großmutter genannte Option verfolgt werden könnte (Z. 213). Nachdem die Großmutter die Begründung noch ausgeführt hat, setzt die Ärztin erneut an und zeigt die Zustimmung durch die wörtliche Wieder aufnahme ihrer ersten Reaktion von neuem an:
Ä 03 [((schmatzt)) oh l ( .) kann man MAchen-
Ä 03 das äh können sie bei ihrer krankenkasse beANtragen-
G 33 HM[hm, 226 Ä 03 [+++
Ä 03 oh ( .) ähm manchmal ham die krankenkassen
bestimmte ( .) ähm mutter kind häuser mit denen sie ZUsammenarbeit[en, l
G 33 [H l [Mhm,
Ä 03 [dann mü][ssen ]wir so was AUSfülln-
p 33 [((hustet))
Ä 03 [fragen l sie ihre frau oder ihre tochter einfach mal
[NACH-=]ne,
G 33 [HMhm?
G 33 [HMhm? l
Ä 03 oh ( .) was man DA:-
G 33 hm,
Ä 03 ( .) und wir füllen des gerne AUS;
Ä 03 hat er sicherlich ne indikaTION für weil er [einfac][h jetz of]t krank i[s-
G 33 [ja, l
V 33 [ HMhm,
G 33 [HMhm, l
241 (0.3)
242 Ä 03 ne-
Nach der Zustimmung geht sie zudem gleich auf die nächsten Handlungs schritte ein, die zu verfolgen sind, wenn dem Therapievorschlag der Groß mutter nachgegangen werden soll (Z. 224-236), und liefert schließlich selbst eine Begründung dafür, warum die vorgeschlagene Maßnahme auch ihrer Sicht nach sinnvoll sein könnte (Z. 237). Die Bereitschaft, diesem Vorschlag zu folgen, signalisiert sie durch die Wiederholung der Äußerung, dass sie die Familie bei den anstehenden Handlungen unterstützen will (Z. 229/236) und diese Unterstützung bei der Durchführung des Therapievorschlags auch ger ne (Z. 236) leisten wird. Zudem wird die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme her vorgehoben, da sie selbst zu einer Begründung ansetzt (Z. 237) und durch das Adverb sicherlich (Z. 237) die Sinnhaftigkeit auch hochstuft.
Dass dem Therapievorschlag ohne jegliche Einschränkung zugestimmt wird, findet man bei den 15 Therapievorschlägen nur dreimal, wobei in zwei Fällen durch den Arzt dargelegt wird, dass dieser von den Eltern eingebrach te Therapievorschlag auch einen Teil der Verordnung des Arztes darstellt und nur noch nicht präsentiert wurde. So verhält es sich auch bei APEG_03:
V 03 kann man da V erNÄH:rungsmäßig was machen o[der ge]ht [des nur- l
A 01 [oh l
A 01 [ja KLAR-
A 01 SCHLA[ckenarme l kost- 333 V 03 [+++
334 A 01 des hab ich ihnen UNten [auch <<piano> auf] geschrieben >·
335 M 03 [ja:-
Der Arzt reagiert noch simultan zur Äußerung des Vaters mit einer uneinge schränkten Zustimmung mit ja KLAR- (Z. 331). Dabei verstärkt das Adverb KLAR (Z. 331) die Zustimmung zum dargelegten Therapievorschlag dadurch, dass diese Theorie ohne Einschränkung unterstützt wird. Allerdings wird dieser Therapievorschlag damit auch herabgestuft, da dieser Vorschlag als 11 selbstverstän dlich" dargestellt wird. Der Arzt erörtert diesen Therapievor schlag des Vaters ferner nicht weiter, sondern nennt nur noch das Stichwort SCHLA[ckenarme ]kost- (Z. 332). Warum das Stichwort genügt, begründet er in der nächsten Intonationsphrase. Eine Verhandlung dieses Therapievor schlags ist deswegen unnötig, da diese Maßnahme bereits eingeplant, auf dem Therapiebogen bereits vermerkt worden und dort im Einzelnen nachzu lesen sei (Z. 334).
Die Therapievorschläge, die in der Regel die Eltern/Großeltern anführen, wer den von den Ärzten ausnahmslos bearbeitet. Obgleich diese Therapievorschlä ge zumeist explizit eingebracht werden, scheint die Art und Weise der Realisie rung dabei unerheblich zu sein, da auch unmarkierte Erwähnungen behandelt werden. Die Therapievorschläge werden in etwa der Hälfte der Fälle grundle-
gend abgelehnt, in fünf Fällen wird eine eingeschränkte Zustimmung produ ziert oder der Therapievorschlag etwas abgewandelt. Nur in drei Fällen findet eine uneingeschränkte Zustimmung durch den Arzt statt, wobei in zwei Inter aktionen darauf verwiesen wird, dass dieser Vorschlag ohnehin bereits ange dacht war.
In zwei Interaktionen bringen die Eltern einen abgelehnten Therapievorschlag erneut ein.112 In einem Fall findet dann eine nachträgliche Zustimmung des prä sentierten Therapievorschlags statt. In einem Fall betrifft dieser Vorschlag Be schwerden, die zusätzlich zu den Beschwerden, wegen derer der Arzt aufge sucht wurde, angeführt und durch den Arzt als nicht behandlungsbedürftig eingestuft wurden. Hier gibt der Vater an, die Beschwerden bereits mit Hilfe eines Tees zu behandeln. Dies wird erst nach der Wiederaufnahme dieser Er wähnung als eine Maßnahme behandelt, die fortgeführt werden kann.
In dem Erstkonsultationsgespräch APEG_06 wiederholt der Arzt nach der Elaborierung des Vorschlags jedoch seine Ablehnung:
162 |
M |
06 |
und ibeROgast nich, |
163 |
A |
01 |
(0.48) BRIN[GT ni]ch[ts |
164 |
M |
06 |
[da |
165 |
M |
06 |
[ne Je? |
166 |
A |
01 |
(2.13) |
167 |
M |
06 |
hattn wer nämlich schon überlegt ob wir DIE schnell holn un- |
168 |
|
|
( 0. 43) |
169 |
A |
01 |
DES bringt überhaupt nichts |
170 |
|
|
( 1. 7) |
Hier hat die Mutter ein Medikament erwähnt, das sie bisher nicht eingesetzt hat, aber von dessen heilender Wirkung sie in Bezug auf diesen Krankheits fall offensichtlich überzeugt ist. Bei Iberogast® handelt es sich zwar tatsächlich um ein Medikament für 11 Magen-Darm-Erkr ankungen", diese werden jedoch in der Packungsbeilage näher beschrieben als 11 funktionelle[n] und motilitäts bedingte[n] Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizmagen- und Reizdarmsyn drom sowie zur unterstützenden Behandlung der Beschwerden bei Magen schleimhautentzündung (Gastritis)". 113 Diese Beschreibung der zu behan delnden Erkrankungen zeigt deutlich, dass das Medikament für andere
112 In APEG_03 (Fallbeispiel 39) bringen die Eltern zwar zunächst eine Maßnahme ein, die auch zum Teil befolgt wurde, wobei sie dann die SKT dahinter benennen und im Ge spräch dann auch weiterhin aufgreifen. Der Arzt bearbeitet die SKT zunächst nur impli zit und geht erst zum Schluss explizit auf die SKT und die Therapieplanung ein.
113 www.iberogast.de/beipackzettel/index.html (Stand: 20.8.2017)
Krankheiten den Magen betreffend eingesetzt wird, nicht jedoch bei einem Magen-Darm-Infekt. Der Arzt reagiert auf diese Eröffnung des Therapievor schlages entsprechend seines Fachwissens, indem er bestreitet, dass das Me dikament in diesem Fall zu einer Heilung der Symptome beitragen könne. Er führt die Gründe dafür jedoch nicht aus. Die Mutter reagiert auf die Ableh nung überrascht und fragt mittels [ne]e (Z. 165) und einer stark steigenden Grenzintonation nochmals nach. Da der Arzt darauf nicht reagiert, berichtet sie von einer Überlegung, die im Vorfeld mit einer weiteren Person entwickelt wurde. Die Person wird jedoch nicht weiter benannt. Der entwickelte Plan sah vor, das durch den Arzt gerade abgelehnte Mittel zu besorgen und vermut lich einzusetzen. Dadurch, dass die Mutter erneut ansetzt und sogar noch eine weitere Person benennt, die ihre Einschätzung teilt, stuft sie diesen The rapievorschlag hoch und veranlasst den Arzt dazu, die getätigte Ablehnung nochmals zu wiederholen und dieses Mal noch etwas zu explizieren. Siebe zieht sich dabei zwar erneut auf das durch sie selbst eingebrachte und durch den Arzt abgelehnte Mittel, referiert aber nur mit einer Proform darauf. Auch der Arzt nennt das Mittel nicht, sondern referiert ebenfalls nur mit einer Pro form darauf und wiederholt dann seine Ablehnung gegenüber der Therapie planung. Die wörtliche Wiederaufnahme verstärkt er noch durch das Adverb überhaupt (Z. 169). Verbal reagiert die Mutter auf diese neuerliche Ablehnung nicht mehr und blickt weiterhin in dieselbe Richtung.
Während dieser Sequenz gibt es keinerlei Blickkontakt zwischen den Ge sprächsbeteiligten. Der Arzt schüttelt simultan zur Ablehnung (Z. 163 und 169) energisch den Kopf, blickt aber nicht von der Patientenakte auf, während die Mutter ihn weiterhin ansieht. Die Patientin hat den Kopf auf die Lehne des Stuhls gelegt und blickt wie die Mutter in die Richtung des Arztes.
Q
Da der Gesichtsausdruck der Mutter in dieser Sequenz nicht erfasst wurde, kann auf das Ausbleiben einer weiteren Reaktion der Mutter nicht weiter ein gegangen werden.
Therapievorschläge der Eltern werden in der Regel durch den Arzt bearbeitet. In zwei Fällen kommt es zu einer Wiederaufnahme, die alle nach der Ableh nung der Therapieoption erfolgen. In einem der Fälle gesteht der Arzt dem Vater schließlich zu, den bisher schon eingesetzten Tee auch weiterhin zu ver-
abreichen. In dem anderen Fall erneuert der Arzt seine Ablehnung. In ande- ren Fällen, wie etwa APEG_15 (vgl. Fallbeispiel 57) wird der Grund der parti- ellen Absage bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahme erläutert, doch im APEG_06 wird nicht darauf eingegangen, warum das vorgeschlagene Medi- kament nicht förderlich sein wird. Auf die ablehnende Reaktion des Arztes findet nochmals eine Hochstufung des Vorschlags durch die Mutter statt. Der Arzt stuft daraufhin auch seine Absage hoch, führt aber weiterhin keinen Grund an, warum dieses Arzneimittel nicht einzusetzen sei.
In den wenigsten Fällen entsprechen die Diagnosen den subjektiven Krank- heitstheorien, die im Vorfeld durch die Eltern aufgestellt wurden. Nicht bear- beitete subjektive Krankheitstheorien können sich - wie oben bereits festge- stellt - negativ auf die Compliance von Patienten und Eltern auswirken (vgl. Birkner 2006, S. 159). In den Fällen, in denen die subjektiven Krankheitstheo- rien gleich bearbeitet werden, werden die subjektiven Krankheitstheorien später nicht mehr von den Eltern aufgegriffen und es finden sich keine Signa- le, die auf eine Non-Compliance der Patienten oder Eltern schließen lassen. Ähnlich wie mit unbearbeiteten subjektiven Krankheitstheorien verhält es sich auch mit Nachfragen oder Ausschlussdiagnosen, die durch die Ärzte nicht (ausreichend) bearbeitet werden. Hierauf reagieren die Eltern häufig mit Wiederholungen ihrer Theorien, der Reduktion von Rückmeldesignalen, Widersprüchen, der Angabe von Zweifeln sowie mit Nachfragen bezüglich der Diagnose, der Therapie, der Ausschlussdiagnosen oder der prädiagnosti- schen Mitteilungen. In einigen Gesprächen gab es auch Reaktionen der Ärzte auf eine mögliche Non-Compliance der Eltern. So produzieren die Ärzte wäh- rend der körperlichen Untersuchung Onlinekommentare, prädiagnostische Mitteilungen sowie Ausschlussdiagnosen (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 30; siehe auch Heritage/Stivers 1999). Werden subjektive Krankheits- theorien häufiger vorgebracht oder hochgestuft, werden diese in der Regel dann zu einem späteren Zeitpunkt durch den Arzt bearbeitet, außerdem wird auch dann eine mögliche Non-Compliance mitunter explizit angesprochen. Untersuchungsvorschläge wurden bis auf einen einzigen Fall keine weiteren festgehalten, sodass hierzu keine Aussage getroffen werden kann. Vorschläge die Therapieplanung betreffend gab es jedoch einige. In etwa der Hälfte der Fälle haben die Ärzte diese unterstützt oder einschränkend befürwortet. In der anderen Hälfte der Fälle wurde der Vorschlag grundlegend abgelehnt. Dies geschah zumeist mit einer Begründung. In zwei der Fälle wurden die Vorschläge nochmals wiederholt und hochgestuft, jedoch nur in einem Fall zeigte diese Wiederholung eine Variation hinsichtlich der Empfehlung des Arztes. Im Falle der Therapieoptionen, die von den Eltern und der Großmut- ter eingebracht wurden, lässt sich beobachten, dass diese alle sofort durch die
Zwischenfazit 225
Ärzte bearbeitet wurden. Wurde die Ablehnung durch die Ärzte begründet und nicht nur auf ihre Nutzlosigkeit hin zurückgewiesen, wurden die Vor schläge auch nicht mehr aufgegriffen. Nur bei einer grundlegenden Absage ohne Erklärung wurden diese erneut angeführt.
In der Arbeit wurde zuerst in einem knappen Literaturüberblick (Kap. 1) her- ausgearbeitet, wie mannigfaltig die medizinischen Interaktionstypen und die Analysen triadisch-pädiatrischer Daten sind, weswegen die Daten aus der pädiatrischen Praxis mit triadischer Beteiligungsstruktur auch nur bedingt mit anderen medizinischen oder anderen pädiatrischen Daten vergleichbar sind (vgl. Winterscheid 2015a). Daran anschließend erfolgte die Darstellung der methodischen Vorgehensweise (Kap. 2) und der Datengrundlage (Kap. 3) sowie eine erste quantitative Analyse der erhobenen pädiatrischen Gespräche (Kap. 4). Aufgrund der bei der Sichtung und der durch die quantitative Ana- lyse gewonnenen Erkenntnisse, wurden bereits einige Beobachtungen bezüg- lich der Beteiligung festgehalten, aber auch schon verschiedene Parameter ausgemacht, die für die Länge sowie die Beteiligung der Patienten ausschlag- gebend sein könnten. Zum einen konnte festgehalten werden, dass die Inter- aktionen, an denen eine Ärztin beteiligt war, deutlich länger dauerten als die Interaktionen, an denen ein Arzt teilnahm. Daneben konnte angenommen werden, dass auch die Beschwerden sowie die Bearbeitung von subjektiven Krankheitstheorien einen Einfluss auf die Dauer der Gespräche hatten und der Stellenwert einer solchen Bearbeitung bereits vermutet wurde. Die Betei- ligung der Gesprächsbeteiligten wurde dann im Rahmen der quantitativen Analyse für die einzelnen Handlungsschemakomponenten näher untersucht. Dabei zeigte sich einerseits, dass die Beteiligung der Patienten abhängig von den Handlungsschemakomponenten und damit den Handlungsaufgaben im Rahmen dieser zu- oder abnimmt, aber auch, dass Interaktionen, in denen die Patienten im Rahmen der Handlungsschemakomponente der Beschwerden- schilderung und Beschwerdenexploration einen höheren Redeanteil auf- weisen, sich dadurch auszeichnen, dass die Redebeteiligung der Patienten insgesamt höher ist und die Patienten sich auch in den späteren Handlungs- schemakomponenten mehr einbringen. Dies wurde in den nachfolgenden Kapiteln an der Beispielanalyse einer Kernphase einer Interaktion (vgl. Brin- ker/Sager 1996, S. 94) sowie an zwei Interaktionen, die auffällig sind, heraus- gearbeitet. Anhand der Einzelfallanalyse einer Kernphase eines triadisch-pä- diatrischen Gesprächs (Kap. 5), welche sich notwendigerweise nach einer quantitativen Analyse aufdrängte, wurde u.A. gezeigt, dass zudem eine De- taillierung des Handlungsschemas medizinischer Kommunikation für die tri- adische Interaktion in der Kinderarztpraxis aufgrund der „gesplittete[n] Ge- sprächspartnerschaft mit unterschiedlichen Ansprechpartnern und komple- mentären Sequenzierungsaufgaben“ (Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.; vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013) vorgenommen werden muss, was im Anschluss der Beispielanalyse ausgeführt wurde (Kap. 6). Außerdem wurden im Rahmen der Beispielanalyse einige Aspekte beleuchtet, die als auffällig
228 Resümee und Ausblick
eingestuft wurden, wie etwa die Adressierung in dieser besonderen Kommu- nikationssituation oder auch erneut die Relevanz der Bearbeitung von subjek- tiven Krankheitstheorien; diese Aspekte wurden über das gesamte Korpus hinweg untersucht und die Ergebnisse in den Kapiteln 8 und 9 präsentiert. Zunächst wurde jedoch den Einflüssen auf die Redebeteiligung der Patienten nachgegangen. Hier stellte sich heraus, dass die Patienten sich nicht mehr aktiv am Gespräch beteiligen, wenn die Eltern die Beschwerdenschilderung erst einmal übernommen haben. Um dies zu verdeutlichen, wurden zwei In- teraktionen mit maximalem Kontrast (Kap. 7) näher betrachtet und Unter- schiede insbesondere in Bezug auf die Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration sowie die Folgen für die weitere Interaktion herausgearbeitet. In den zwei folgenden Kapiteln wurden dann spezielle Phänomene (die Adressierung in der triadisch-pädia- trischen Interaktion (Kap. 8) sowie Initiativen der Eltern - inklusive der sub- jektiven Krankheitstheorien - (Kap. 9)) bearbeitet, die vor allem auch mit der besonderen Situation und den Rollen der Gesprächsbeteiligten zusammen- hängen. Zunächst wurden in Kapitel 8 die Aufforderungen der Ärzte in Bezug auf die Übernahme der Beschwerdenschilderung untersucht. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass Aufforderungen, mit der Beschwerden- schilderung zu beginnen, in den meisten Fällen nur dann von den dazu auf- geforderten Patienten bearbeitet wurden, wenn diese klar als Aufforderungen oder Fragen formuliert waren sowie ausdrücklich an sie adressiert wurden. Wurden Fragen oder Aufforderungen an beide Parteien adressiert, war eine Adressierung unklar oder die Aufforderung/Frage nicht explizit, so reagier- ten zumeist die Eltern. Ebenfalls reagierten die Eltern nur, wenn Aufforde- rungen direkt an sie gerichtet wurden, was jedoch nur einmal vorkommt. Gespräche, in denen hinsichtlich der Aufforderung zur Beschwerdenschil- derung eine Korrektur der Adressierung vorgenommen wurde, wurden zum Teil durch die Eltern und zum Teil durch die Patienten selbst bearbeitet.
Sator und Gülich haben festgestellt, dass bei Arzt-Patient-Interaktionen
mit Familiendolmetscher
häufig alle am Gespräch beteiligten Parteien überfordert sind: die PatientInnen, die trotz geringer Deutschkenntnisse versuchen, sich verständlich zu machen, und die zum Gesprächsgegenstand werden, über den entschieden wird, die dolmetschenden Familienangehörigen, denen die Aufgabe der Dolmetschung übertragen wird, obwohl ihnen die dazu notwendige Neutralität und Dol- metschkompetenz fehlt, und die ÄrztInnen, die trotz sichtbaren Bemühens um eine gute Verständigung unter den derzeitigen Bedingungen im Gesundheits- wesen an Grenzen stoßen. (Sator/Gülich 2013, S. 410)
Auch wenn die von Sator und Gülich untersuchten Gespräche eine große Ähnlichkeit mit den untersuchten Interaktionen aufweisen, ließ sich eine sol- che Überforderung in den erhobenen Kinderarztgesprächen nicht feststel-
len. 114 In den aufgezeichneten Interaktionen gehen die Ärzte routiniert mit diesem Interaktionstyp und der damit einhergehenden - aber auch alltägli chen - Beteiligungsstruktur um. Hier handelt es sich um die Normalformei nes Arzt-Patient-Gesprächs beim Kinderarzt, wenn drei Gesprächsbeteiligte anwesend sind. Dennoch gibt es auch Phänomene, die nur aus dieser Beteili gungsstruktur resultieren, wie die Auswirkungen einer frühen Übernahme der Beschwerdenschilderung durch die Eltern auf die Beteiligung der Patien ten, da diese sich nur sehr selten selbstinitiativ zu Wort melden und auch nur noch sehr einsilbig auf Fragen reagieren, wenn die Eltern die Beschwerden schilderung einmal übernommen haben. Dies hängt auch zum Teil mit der Aufforderung der Ärzte zum Gesprächsbeginn zusammen. Auf die Beteili gung der Eltern wie der Patienten kann durch den Arzt z.B. auch durch Fra gen etwas regulierend eingegriffen werden; daneben konnte eine Analyse der ärztlichen Fragen auch verdeutlichen, dass es bestimmte Fragen gibt, die of fensichtlich in den Zuständigkeitsbereich des Patienten und andere, die in den Zuständigkeitsbereich der Eltern fallen (vgl. Kap. 8.2 und auch Quasthoff 1990). Die Ärzte stellen die Fragen folglich abhängig vom erfragten Inhalt zumeist an einen bestimmten Gesprächsbeteiligten. Dies hängt mit der von den Ärzten verfolgten 11 Präferenz für Antworten" (Stivers/Majid 2007, S. 426) sowie der epistemischen Autoriät (vgl. Heritage/Raymond 2005) zusammen. Nur ein paar wenige Fragen wurden in den verschiedenen Interaktionen an die eine oder andere Partei gerichtet. In diesen Fällen muss dann auch der Kontext berücksichtigt werden. Weiterhin wurde gezeigt, was Namensnen nungen, die Verwendung des kollektiven Wirs, aber auch Mehrfachadressie rungen leisten können und diese tatsächlich eine 11 Entlastung" für die Ge sprächsparteien darstellen können (Fischer 2000, S. 127): Bei diesen Analysen stellte sich heraus, dass gerade Namensnennungen dann eingesetzt wurden, wenn sichergestellt werden sollte, dass die gewählte Partei antwortet oder wenn eine andere als die gerade aktive Partei zum Sprechen aufgefordert werden soll. Die Verwendung des kollektiven Wirs ließ sich bei allen drei Par teien feststellen und zog jeweils eine Aktivierung einer der Parteien nach sich. Die Mehrfachadressierung erwies sich beispielsweise als strategisch geschick tes Mittel, um bestimmte Punkte (nochmals) faceschonend (vgl. z.B. Goffman 1994, S. 17ff.) einzubringen. Im neunten Kapitel wurden verschiedene Initiati ven der Eltern und Großeltern genauer betrachtet. Solche Initiativen der El tern oder der Großeltern ließen sich in nahezu allen Interaktionen ausmachen. Diese Tatsache, aber auch dass nicht bearbeitete subjektive Krankheitstheori en, Ausschlussdiagnosen und ohne Begründung abgelehnte Therapievor schläge 11 im Hintergrund wirksam" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 22) sind, die Dauer des Gesprächs beeinflussen und sich negativ auf die Compli-
114 Van Dulmen (2004) hat an ihren untersuchten Daten allerdings ebenfalls eine Überforde rung der Ärzte mit der triadischen Kommunikationssituation festgestellt.
230 Resümee und Ausblick
ance der Eltern bzw. der Patienten auswirken können (vgl. Birkner 2006,
S. 159), wenn diese nicht zeitnah bearbeitet werden, verdeutlichen die Not- wendigkeit einer Bearbeitung dieser Initiativen durch den Arzt. Ob eine sol- che Bearbeitung positiv oder negativ ausfällt, ist dabei im Übrigen unerheb- lich, solange eine ausreichende Bearbeitung stattfindet. Gleichzeitig konnte aber auch dargelegt werden, dass die Bearbeitung der Initiativen der Eltern durch den Arzt sowohl von der Präsentation wie auch von dem Zeitpunkt abhängt, in dem die Theorien präsentiert werden.
Das Material ist sehr reich an verschiedenen untersuchenswerten Phäno- menen. In dieser Arbeit wurden zunächst die augenscheinlichsten berück- sichtigt. Dabei sind jedoch einige auch sehr spannende Aspekte nicht (elabo- riert) berücksichtigt worden, wie etwa die Art und Weise von Reparaturen oder Korrekturen der einzelnen Gesprächsbeteiligten in Abhängigkeit von Reparierendem und des Reparandums, was hier nur sehr knapp ange- sprochen werden konnte. Ebenfalls interessant sind bestimmte Formulie- rungsmuster, aber auch die Funktion der Diskursmarker in diesem Interak- tionstyp. Die Übergänge innerhalb der verschiedenen Handlungsschema- komponenten wären ebenfalls untersuchenswert. Bestimmte Handlungs- schemakomponenten, wie die Therapieplanung oder die körperliche Unter- suchung, wurden darüber hinaus bisher in den Studien zur medizinischen Kommunikation noch sehr stiefmütterlich behandelt und sind ebenfalls sehr facettenreich und interessant (vgl. Nowak 2010, S. 342; vgl. Spranz-Fogasy/ Winterscheid i.Ersch.). Selbst wenn Aspekte der epistemischen Autorität hin und wieder aufgegriffen wurden, könnten diese auch noch stärker im Fokus einer Arbeit stehen. Die quantitative Analyse hat zwar ergeben, dass sich nicht etwa die jüngeren Patienten eher zurückhalten und sich die älteren Pa- tienten intensiver ins Gespräch einbringen, aber sicherlich gibt es markante Unterschiede in der Antwortqualität innerhalb der jeweiligen Altersgrup- pen. Dies müsste man dann auch anhand des jeweiligen Krankheitsbildes bestimmen und näher untersuchen, da sich auch die jeweiligen Beschwerden innerhalb der verschiedenen Interaktionen stark voneinander unterscheiden, wie etwa äußerlich auftretende Hautphänomene, wie ein Hautausschlag, der eventuell noch nicht einmal Schmerzen bereitet, und Schmerzen, die zwar nicht sichtbar, aber für die Patienten deutlich wahrnehmbar sind, wie Kopf- oder Bauchschmerzen. In Abhängigkeit der zu beschreibenden Sym- ptome und des Alters der Patienten könnte man demnach die Antworten der Patienten untersuchen und überprüfen, ob es in diesem Zusammenhang einen Unterschied in dem Antwortverhalten der Patienten in Bezug auf ihr Alter gibt.
Erhoben wurden neben den Erstkonsultationsgesprächen auch U-Unter- suchungen, in denen ebenfalls regelmäßig Problemdarstellungen stattfinden. Ein Vergleich dieser im Rahmen von U-Untersuchungen vorgebrachten Prob- lemdarstellungen mit den Beschwerdenschilderungen in den Erstkonsultati- onsgesprächen, die ja ausschließlich wegen der Beschwerden arrangiert wur- den, wäre ebenfalls äußerst interessant, da die Problemdarstellungen jeweils ganz anders präsentiert werden.
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„Eisenpräparate: zu viel Eisen kann schaden" (o.J.): www.ugb.de/eisenmangel- eisenbedarf/eisenmangel-eisenpraeparate/ (Stand: 20.8.2017).
Fenistil. www.fenistil.de/produkte/zur-aeusserlichen-anwendung/fenistil-gel. shtml (Stand: 21.9.2017).
FOLK. http://agd.ids-mannheim.de/folk.shtml (Stand: 21.9.2017). FOLKER. http://agd.ids-mannheim.de/folker.shtml (Stand: 21.9.2017).
GAT 2 Handbuch. http://agd.ids-mannheim.de/download/cgat_handbuch_ version_1_0.pdf (Stand: 21.12.2016).
Griseo. https://www.apotheken-umschau.de/Medikamente/Beipackzettel/griseo---ct- 125mg-Tabletten-3758401.html (Stand: 21.9.2017).
Iberogast. www.iberogast.de/beipackzettel/index.html (Stand: 21.9.2017).
Literaturliste zur Medizinischen Kommunikation. https://ids-pub.bsz-bw.de/ files/5071/Spranz-Fogasy_Becker_Menz_Literatur_zur_Medizinischen_ Kommunikation_Bibliografie_2014.pdf (Stand: 15.6.2018).
„Merkblatt zur Herbstmilbe - Erreger der Trombidiose" (2004): www.tll.de/ainfo/ pdf/milb1004.pdf (Stand: 21.9.2017).
Pharmazeutische Zeitung. www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=42282 (Stand: 20.8.2017).
ANHANG I: ÜBERSICHT ANALYSEKORPUS
In terak tion |
D au er (ca. m in) |
G esp räch s- b eteiligte |
B esch w erd en |
D iagn ose |
APEG_02 |
11:15 |
A_01 Pm11 V |
verschiedene Beschwer- den; hauptsächlich Schmerzen beim Luft- holen, Magen-Darm- Beschwerden, Schmer- zen beim Laufen etc. |
Interkostal- neuralgie |
APEG_03 |
27:02 |
A_01 Pw3 M/V |
Einnässen, Einkoten, Probleme mit den Erzieherinnen |
plötzliches Zusammenziehen der Muskeln |
APEG_04 |
07:09 |
A_02 Pw9 V |
beim Schlucken Beschwerden im Hals- und Ohrbereich |
grippaler Infekt |
APEG_06 |
07:50 |
A_01 Pw5 M |
Bauchschmerzen und Erbrechen |
Magen-Darm- Infekt |
APEG_08 |
04:30 |
A_01 Pw8 V |
belegte Zunge, Jucken der Augen und Erschöpfungszustand |
Bindehautent- zündung (möglicherweise durch Allergie hervorgerufen) |
APEG_09 |
06:16 |
A_02 Pw7 M |
Ausschlag |
Ringelröteln |
APEG_13 |
05:43 |
A_01 Pw5 M |
Hautirritation, die sich verändert hat |
vermutlich Grasmilben |
APEG_14 |
33:44 |
A_02 PW11 M |
wiederkehrende Kopfschmerzen, die mehrere Tage dauern |
vermutlich Migräne |
APEG_15 |
06:15 |
A_02 Pm5 V |
Jucken am Po |
- |
APEG_16 |
02:45 |
A_02 Pm5 M |
Veränderungen der Bissstelle nach Zeckenbiss |
Entzündung |
APEG_17 |
05:11 |
A_02 Pw9 M |
Kopfschmerzen |
Virusinfekt |
APEG_30 |
15:07 |
Ä_03 Pw6 M |
Ohrenschmerzen |
Entzündung |
APEG_31 |
11:45 |
Ä_03 Pw5 M |
heftige Hustenanfälle/ trockener Husten |
Kehlkopf- entzündung |
APEG_32 |
07:34 |
Ä_03 Pw7 M |
Bauchschmerzen und Brennen beim Wasserlassen |
Magen-Darm- Infekt |
APEG_33 |
13:42 |
Ä_03 Pm4 V/G |
Husten und Halsschmerzen |
Entzündung |
APEG_34 |
11:56 |
Ä_03 Pw6 M |
Fieber und Kopfschmerzen |
grippaler Infekt |
ANHANG II: VERWENDETE TRANSKRIPTIONSZEICHEN
(siehe cGAT-Konventionen in der Version 1.1 (Schmidt/Schütte/Winterscheid i.Ersch.) basierend auf den GAT-2-Konventionen (Selting et al. (2009))
des geht gelech |
Gesagtes wird so notiert, wie es realisiert wurde; dabei wird Kleinschreibung verwendet. |
BAUCHweh; |
Großschreibung ist für Fokusakzente reserviert; hier wird jeweils die ganze Sprechsilbe groß geschrieben. |
GRIseo ce te hundertfünfundzwanzig |
Buchstaben, Abkürzungen, Zahlen etc. werden ausgeschrieben. |
mach mer |
Klitisierungen (Verschleifungen) werden mit Unterstrich („_") dargestellt. |
äh ähm |
Häsiationsphänomene werden so notiert, wie sie auch realisiert wurden. |
(war/da) (denn/dann/damit) |
Alternativlautungen werden mit einfachen runden Klammern und Schrägstrich notiert. |
(.) <<piano> (am rücken) (.) ((unverständlich)) ZEckenbiss >- |
Vermuteter Wortlaut wird in einfachen Klammern notiert; Unverständliches in doppelten runden Klammern. |
ja [++++++ ]aber trotzdem es [((hustet)) ] |
Ein unverständliches Wort mit zwei Silben wird mit 2 x 3 Kreuzen dargestellt; „+++" entspricht einer Silbe. |
((lacht)) (.) ((Lachansatz)) ((schnieft))
(.) |
Beschreibungen werden in doppelten runden Klammern notiert.
Mikropausen, also kurze Pausen unter 0,2 Sekunden, werden mit einfachen runden Klammern und einem Punkt dargestellt. |
(1.23) |
Längere Pausen werden gemessen. Der exakte Wert in Sekunden wird in einfachen runden Klammern notiert. |
Anhang 249
°h h° °hh hh° °hhh hhh° |
Hörbares Ein-/Ausatmen bis zu 0,5 Sekunden Dauer wird mit einem „h" und einem „°" davor (für Einatmen) und einem „°" danach (für Ausatmen) notiert; zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden Dauer wird „hh" notiert und bis zu einer Sekunde Dauer „hhh". |
fr[anziska hat ]BAUCHweh; [((stöhnt)) ] |
Eckige Klammern zeigen an, an welcher Stelle eine Simultanpassage beginnt und wann diese endet. |
äh: JA (.) da- neGAti::v:- |
Dehnungen werden mit Doppel- punkten notiert; bis 0,5 Sekunden wird ein Doppelpunkt, zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden werden zwei und über 0,8 Sekunden werden drei Doppelpunkte notiert. |
<<gedrückt> hm JA >- <<geflüstert> WIEso >- <<lachend> NICH so gut >; |
Beschreibungen der Art und Weise werden mit Spitzklammern notiert; zudem wird angezeigt, worauf sich die Beschreibung bezieht. |
was gibt s für proBLEme. (1.11) beim SCHLUcken- (.) DA: hab ich immer so: was- (0.35) °h (.) so was komisches im OHR und hier auch im hals; [be ]im SCHLUcken? [...] |
Tonhöhenbewegungen am Ende von Intonationsphrasen: „?" wird für eine stark steigende, „," für eine steigende, „—" für eine gleichbleibende, „;" für eine fallende und „." für eine stark fallende |
[tut] s im hals WEH? (.) °h JA, |
Grenzintonation notiert. |
nö;=des s NORmal- is es wieder en bisschen geKOMmen;=gell, |
Vorlauf- und Nachlaufelemente werden mit „=" angehängt und in derselben Zeile wie die vorausgegangene/folgende Intonationsphrase notiert. |
(.) im OHR weh;= =in BEIden ohren, |
Latching (schneller Anschluss) wird mit zwei „=" angezeigt, die nach der vorausgegangenen Intonationsphrase und vor der schnell angeschlossenen Intonationsphrase notiert werden. |
TRIADISCH-PÄDIATRISCHE KOMMUNIKATION IN DER KINDERARZTPRAXIS
In Studien zu pädiatrischer Interaktion wird immer wie- der die niedrige Redebeteiligung der jungen Patient/innen, deren Leiden in den ärztlichen Gesprächen verhandelt werden, herausgestellt. In einigen triadisch-pädiatrischen Erstkonsultationen, die sich in mehreren Punkten signi- fikant von dyadischen Erstgesprächen unterscheiden, ist allerdings die Beteiligung der Patient/innen deutlich hö- her. Eine Kombination aus quantitativer und konversati- onsanalytischer Untersuchung von Erstkonsultationen in der pädiatrischen Praxis zeigt, dass der Aufforderung zur Beschwerdenschilderung dabei eine entscheidende Be- deutung zukommt, weswegen der Formulierung beson- dere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Doch die herausfordernde Situation birgt nicht nur Stolpersteine, sondern kann auch von allen Interaktionspartner/innen als strategisches Mittel eingesetzt werden. Eine interaktive Relevanz haben überdies elterliche Initiativen. An meh- reren Beispielen wird gezeigt, welche erheblichen Kon- sequenzen eine Nicht-Bearbeitung oder eine nicht ausrei- chende Bearbeitung für die jeweilige Interaktion hat.
ISBN 978-3-937241 -59-3
ARBEITEN UND MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPUACHE
Winterscheid: Triadisch-pädiatrische Kommunikation in der Kinderarztpraxis
TRIADISCH-PÄDIATRISCHE KOMMUNIKATION IN DER KINDERARZTPRAXIS
IN S T IT U T F Ü R
D E U T S C H E S P R A C H E
ARBEITEN UNO MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE BAND 53
ARBEITEN UND MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE
Jenny Winterseheid
..
TRIADISCH-PADIATRISCHE KOMMUNIKATION
IN DER KINDERARZTPRAXIS
(D INSTITUT FÜR
DEUTSCHE SPRACHE
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Zugleich Dissertation der Universität Mannheim.
ARBEITEN UND MATERIALIEN ZUR DEUTSCHEN SPRACHE
Herausgegeben vom Institut für Deutsche Sprache
Band 53
ISBN: 978-3-937241-59-3 · ISSN: 2196-4157
Redaktion: Melanie Steinle Satz: Norbert Volz
@ 2018 Institut für Deutsche Sprache
R 5, 6-13
68161 Mannheim www.ids-mannheim.de
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Gemeinschaft
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Herstellung und Vertrieb im Eigenverlag.
DANK!
An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy, für die Betreuung während der gesamten Promotion und bei Prof. Dr. Angelika Storrer für die kurzfristige Übernahme des Zweitgut achtens bedanken sowie bei einigen Kolleginnen und Kollegen der Univer sität Mannheim und des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim für ihre wertvollen Anregungen und motivierenden Worte, ganz besonders aber bei Dr. Wilfried Schütte, Prof. Dr. Arnulf Deppermann-Martini, Dr. Reinhold Schmitt, Dr. Ralf Knöbl, Dr. Nadine Proske, Dr. Axel Schmidt, Jürgen Immerz und Melanie Steinle.
Mein außerordentlicher Dank gebührt überdies den Ärztinnen und Ärzten, den Praxisteams sowie den Patienten und Patientinnen und ihren Eltern, für ihre Bereitschaft, mein Dissertationsprojekt zu unterstützen!!
Außerdem danke ich meinen wundervollen Freunden, die mir zu jeder Zeit ein offenes Ohr geliehen und es mir nie übelgenommen haben, wenn ich mich mal wieder in meine Bücher vergraben oder mich mit meinem Laptop verab redet hatte, meinen Eltern und Schwiegereltern, durch die dieses Unterneh men die größtmögliche Unterstützung erfahren hat, die man sich nur vorstel len kann, sowie meinem Bruder für die tiefsinnigen Gespräche und seinen geschwisterlichen Beistand.
Aber am meisten bedanke ich mich bei meinem Ehemann und besten Freund, Dennis Winterseheid, und unserem großartigen Sohn! Beide haben mich auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützt und gleichzeitig immer wieder daran erinnert, was das Wichtigste im Leben ist!
INHALT
Quantitative Untersuchung des Analysekorpus 33
Exkurs: Korrelation zwischen der Redebeteiligung und dem Alter
Handlungsschema der triadisch-pädiatrischen Kommunikation 81
Vergleich zweier Interaktionen mit einer divergierenden Patientenbeteiligung 87
Interaktion mit einer relativ niedrigen Redebeteiligung seitens
der Patientin 90
Interaktion mit einer relativ hohen Redebeteiligung seitens
der Patientin 98
Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen 109
Initiativen der Eltern bezüglich Untersuchung, Diagnose
und Therapieplanung 165
Subjektive Krankheitstheorien 165
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 167
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive
Krankheitstheorien 182
Subjektive Ausschlusstheorien 201
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 201
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive
Ausschlusstheorien 203
Subjektive Untersuchungsvorschläge 206
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 207
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Untersuchungsvorschläge 208
Subjektive Therapievorschläge 213
Verortung im Handlungsschema und Präsentation 213
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive
Therapievorschläge 218
Anhang I: Übersicht Analysekorpus 247
Anhang II: Verwendete Transkriptionszeichen 248
EINLEITUNG UND LITERATURÜBERBLICK
Diese Arbeit befasst sich mit der triadisch-pädiatrischen Interaktion in der allgemeinen Kinderarztpraxis, da es zu diesem Interaktionstyp bisher kaum Studien gibt und es sich schon allein wegen der besonderen Beteiligungs struktur, die diesen Interaktionen inhärent ist, um ein sehr spannendes For schungsgebiet handelt.
Pädiatrische Gespräche weisen gegenüber anderen ärztlichen Gesprächen mit Patienten einige Besonderheiten auf, die spezifische Gesprächsaufgaben in spe zifischen Beteiligungskonstellationen und mit spezifischen Bedingungen er zeugen. (Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.)
In Mehrparteiengesprächen müssen die Gesp rächsbeteiligten 1 den anderen Gesprächsbeteiligten generell jeweils explizit anzeigen, wer auf Fragen ant worten oder bestimmte Aufgaben übernehmen soll. Durch die klassische tria dische Gesprächssituation bei Arzt-Patient-Gesprächen in der Kinderarztpra xis liegen jeweils unterschiedliche Rollen, aber auch unterschiedliches Erfahrungs- und Krankheitswissen vor. Damit sieht sich jeder Gesprächsbe teiligte im Sprechstundengespräch bei seinem 11 Äußeru ngsentw urf" mit der Herausforderung konfrontiert, 11 dass verschiedene (potentielle) Empfänger über unterschiedliches Wissen verfügen, das auch auf unterschiedliche Weise von de[m] Produzent[en] geteilt wird" (Hitzler 2013, S. 113).
Zunächst erfolgt ein Literaturüberblick (Kap. 1) über Studien zur medizi nischen wie zur pädiatrischen Kommunikation, in welchem bereits auf die strukturellen Besonderheiten der Kommunikationssituation in einem Arzt Patient-Gespräch beim Kinderarzt eingegangen und Unterschiede zu an deren Interaktionstypen herausgestellt werden (vgl. auch Winterseheid 2015a). Anschließend wird kurz auf die methodische Herangehensweise (Kap. 2) sowie auf die Daten (Kap. 3), die die Grundlage dieser Arbeit darstellen, eingegangen.
Die Untersuchung beginnt mit einer quantitativen Analyse (Kap. 4) der bei den Kinderärzten in der rheinfränkischen und alemannischen Sprachregi on erhobenen Daten, um diese Ergebnisse mit den Ergebnissen anderer Studi en vergleichen zu können, in denen ebenfalls quantitative Analysen unter nommen wurden, auch wenn quantiative Analysen eigentlich nicht im Rahmen einer konversationsanalytischen Arbeit durchgeführt werden. Eine quantitative Auswertung zwingt sich aber auch deswegen auf, da etwa die Gesprächsbeteiligung der drei Parteien in den triadisch-pädiatrischen Sprech stundengesprächen stark differiert und sich gerade die Patienten an den In-
1 In dieser Arbeit wird - außer wenn auf einzelne Fälle Bezug genommen wird - zwecks besserer Lesbarkeit für die Gesprächsbeteiligten das generische Maskulinum verwendet, das aber für beide Geschlechter gelten soll.
1O Einleitung und Literaturüberblick
teraktionen deutlich weniger verbal beteiligen als die anderen Gesprächsbe teiligten. In diesem Kapitel sollen die Gesprächsbeteiligung auch in Bezug auf einzelne Phasen näher betrachtet und erste Erkenntisse bezüglich des Interak tionstyps festgehalten werden. Des Weiteren wird anhand einer Einzelfall analyse (Kap. 5) eine Interaktion in Gänze betrachtet. Die Einzellfallanalyse soll den Interaktionstyp greifbar machen und verschiedene elementare As pekte, die in den folgenden Kapiteln näher beleuchtet werden, hervorheben. In diesem Kapitel werden die Gesprächsorganisation und die Bearbeitung der Handlungsaufgaben im Fokus stehen, aber auch wesentliche Eigenschaf ten dieser besonderen Interaktion, bestimmte Prozesse, die typisch für einzel ne Handlungsschemakomponenten sind oder sich auch durch das gesamte Gespräch ziehen, wie etwa das Problem der Adressierung und die Initiativen der Eltern. Aufgrund der Erkenntnisse dieser Einzelfallanalyse wird eine Va riation des Handlungsschemas (Kap. 6) p räsentiert. 2 Einflussreiche Faktoren für die Beteiligung der Patienten werden durch eine Gegenüberstellung von zwei Extrembeispielen (Kap. 7) verdeutlicht. Aufgrund der Erkenntnisse die ser Analysen werden in den Kapiteln 8 und 9 verschiedene Phänomene be leuchtet, die nicht nur Auswirkung auf die Dauer der Interaktionen und die Beteiligung der Patienten haben, sondern typisch für den Interaktionstyp triadisch-pädiatrischer Erstkonsultationen sind.3 Diese Phänomene - Augen merk liegt besonders auf der Adressierung (Kap. 8) sowie den Initiativen der Eltern (Kap. 9) - werden jeweils mittels einer systematischen Analyse im ge samten Analysekorpus untersucht. Exemplarisch werden dann in den nächs ten beiden Kapiteln die Phänomene anhand von Fallbeispielen exemplifiziert und Regelhaftes für diese Interaktionsmerkmale abgeleitet. Da die erhobenen Daten eine Fülle an Phänomenen beinhalten, die man untersuchen könnte, wird - neben einem Resümee der Erkenntnisse der Arbeit - in einem abschlie ßenden Kapitel (Kap. 10) auf verschiedene Fragestellungen eingegangen, die man ebenfalls anhand der erhobenen Daten oder anderen pädiatrischen Daten eingehender erforschen könnte.
Medizinische Kommunikation
,,'Medizinische Kommunikation' durchdringt alle Bereiche des medizini schen Handelns in vielfältigen Formen" (Nowak/Spranz-Fogasy 2008, S. 80). Da aber die medizinische Kommunikation so mannigfaltig ist, findet in den Studien jeweils eine Fokussierung auf einen bestimmten Interaktionstyp - wie Anamnesegespräche, Visitengespräche, Schichtübergaben etc. - an sich,
2 Eine grobe Darstellung des Handlungsschemas findet man auch in Spranz-Fogasy/ Winterseheid (2013).
3 Michael Schmidt und Michaela Wagner-Menghin schlagen - analog zur Beschreibung in der EVA-Abrechnung- den Begriff „Erstkonsultation" vor, der im Rahmen dieser Arbeit verwendet wird. Vielen Dank für den konstruktiven Austausch!
bestimmte Handlungsaufgaben der einzelnen Gesprächsbeteiligten, aber auch nur einzelne Strukturen statt:
Der Bereich der medizinischen Kommunikation ist nur schwerlich als homoge nes Feld zu fassen, denn die unter diesem Oberbegriff gesammelten Gesprächs typen unterscheiden sich z. T. massiv im Hinblick auf den Ort des Geschehens, den Krankheitstyp, die Patientengruppe und das Handlungsziel. Gesprächsor te sind z. B. Kliniken oder Arztpraxen; die Krankheitstypen können von einer einfachen Erkältung bis hin zu schweren chronischen Erkrankungen reichen und mögliche gesondert zu betrachtende Patientengruppen sind z. B. nicht deutschsprachige Patienten, ganz alte oder ganz junge Patienten. Das ge sprächskonstitutionierende Handlungsziel hängt eng mit der Typisierung des Gesprächs zusammen: Anamnese-, Aufklärungs- oder Visitengespräche z. B. werden durch jeweils andere Zielsetzungen bestimmt. Jeder dieser Punkte kann dabei im Fokus einer linguistischen Untersuchung stehen. (Overlach 2008, S. 171f.)
Daneben gibt es auch medizinische Interaktionen, in denen nicht mit den Pa tienten, sondern über den Patienten gesprochen wird, 11 Mitglieder unter schiedlicher Gesundheitsberufe" (Busch/Spranz-Fogasy 2014, S. 335) beteiligt sind, die vermittelt und nicht face-to-face oder schriftlich stattfinden. Deswe gen überrascht es nicht, dass die neuste Version der 11 Bibliografie zur Medi zinischen Kommunikation" seit Anfang 2014 nun bereits 5.220 Einträge umfasst. 4
Einen besonderen Stellenwert nimmt dabei jedoch die Arzt-Patient-Kom munikation ein, die 11 [i]m Zentrum früherer wie heutiger medizinischer Kommunikation [...] steht" (Busch/Spranz-Fogasy 2014, S. 339). Haferlach stellt heraus, dass 11 die Thematik [gemeint ist die Arzt-Patient-Kommunikati on] meist unter spezielleren Aspekten, die von der jeweiligen Fachdisziplin bestimmt sind, behandelt wurde" und nennt mit der Analyse der 11 asymmet rischen Struktur", die vor allem in der Soziologie zu diesen Interaktionen un tersucht wurde, ein Beispiel für einen solchen Gesichtspunkt (Haferlach 1994,
S. 6). Gleichzeitig kritisiert er, dass bei linguistischen Studien - im Gegensatz zu medizinischen Studien und Artikeln - kein Praxisbezug hergestellt wird (vgl. ebd., S. 6f.). So versucht etwa der Facharzt Sitzwohl generell zur Verbes serung der 11 Arzt-Patient-Kommunika tion" beizutragen und wendet sich im Rahmen seines Artikels hauptsächlich an seine 11 Kollegen" (Sitzwohl 2004). Auch Köhle, Obliers und Koerfer haben sich auf die Diagnosemitteilung für ihren Leitfaden (vgl. Köhle/Obliers/Koerfer 2010) fokussiert und Rosenecker und Schmidt haben einen Leitfaden herausgegeben, in dem Artikel zur 11 Päd iatrischen Anamnese, Untersuchung, Diagnose" gesammelt werden (Rosen ecker/Schmidt 2008).
4 Vgl. http://hypermedia.ids-mannheim.de/pragdb/Litera tur_zur_Medizinischen_ Kommunikation_Version 2014.pdf (Stand: 21.11.2016).
„In der Linguistik wurden medizinische Themen zunächst im Rahmen der Fachsprachenforschung behandelt", später rückten dann Gespräche an verschiedenen „institutionellen Orten (Krankenhaus, Allgemeinpraxis) und [die] verschiedenen Interaktionstypen (Anamnese, Visite)" sowie bestimmte Krankheitsbilder und Personengruppen in den Fokus der Analysen (Nowak/ Spranz-Fogasy 2008, S. 82 oder auch Löning 2001). Zudem wies Menz auf der
16. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung am 21. März 2012 in Mannheim darauf hin, dass „in den letzten Jahrzehnten" auch Bestrebungen feststellbar sind, nach denen „Systematisierungsversuche unternommen [werden], um die mannigfaltigen gesprächsanalytischen Studien, die in den letzten Jahr zehnten entstanden sind, zu konsolidieren" und „gesprächsanalytische Er kenntnisse auch außerhalb der Gesprächsforschung nutzbar zu machen" (zi tiert in Winterscheid/Kook/Schöffler 2012, S. 72f.). Beispielhaft kann man hier etwa die Studien von Gülich und Schöndienst anführen, in denen herausge funden wurde, ,,daß Patienten, die an unterschiedlichen Formen von Epilep sie leiden, auch unterschiedlich sprechen" (Hackenbroch 1999, S. 156).s Auf grund der Tatsache, dass ,,[d]ie Differenzen[...] so ausgeprägt [sind], daß eine detaillierte linguistische Analyse eine überraschend genaue Diagnose des Epilepsie-Typs möglich mach[t]", konnte so „eine neue Form der Epilepsie Diagnostik entwickelt" (Gülich/Schöndienst 1999, S. 221) werden. Nowak plädiert darüber hinaus für ,,[s]ystematische Metastudien", um „verlässliche, studienübergreifende Ergebnisse den Fachdiskussionen in der Gesprächsfor schung und in den Forschungsdisziplinen der Anwendungsbereiche zur Ver fügung [zu] stellen und damit eine wesentlich differenziertereund komplexe re Erforschung und Darstellung verbaler Kommunikation als bisher [zu] ermöglichen" (Nowak 2010, S. 345). Des Weiteren stellt er fest, dass gerade Metastudien „auch die präzisere Identifizierung noch offener Forschungsfra gen und fehlender Forschungsergebnisse [ermöglichen]" (ebd.). Verschiede ne Autoren haben sich mit einzelnen Handlungsschemakomponenten be schäftigt. Z.B. haben Gebel und Speck die „Gesprächseröffnungsphase" in Therapiegesprächen sowie die Überleitung zur Gesprächsmitte untersucht (vgl. Gebel/Speck 1991) und Peräkylä hat sich mit Diagnosemitteilungen aus einandergesetzt (vgl. Peräkylä 2006). Doch auch wenn diese Komponenten sehr trennscharf zu sein scheinen, gibt es auch hier strukturelle Unterschiede,
z.B. zwischen einer Diagnosemitteilung innerhalb einer Erstkonsultation und eines Sprechstundentermins, der die Diagnosemitteilung zum Inhalt hat:
5 Diese Erkenntnisse wurden z.B. in Gülich/Schöndienst (1999) zunächst als „Hypothes[e]" (ebd., S. 221) dargelegt. An dieser Stelle wurde jedoch bereits die Theorie aufgestellt,
,,dass bestimmte Anfallstypen in nicht ganz zufälliger Weise mit Formulierungsmerkma len in Beziehung stehen" und diese Erkenntnisse sowie weitere Ergebnisse bei der Unter suchung dieser Daten für eine Diagnostik gewinnbringend sein können (ebd.).
Die Untersuchungen, die sich mit Diagnosemitteilungen befassen, gehen alle samt davon aus, dass es sich bei der Diagnose um eine eigene Handlungsphase, ein eigenständiges event (Byrne/Long 1976) handelt. Dabei beziehen sich die Autoren aber auf das klassische Erstgespräch, nicht auf den mittlerweile etab lierten eigenständigen Gesprächstyp 11 Diagnosemitteilungsgespräch", zu dem es u. W. noch keine gesprächslinguistischen Arbeiten gibt. (Spranz-Fogasy/Be cker 2015, S. 108; Hervorhebung im Original)6
Außerdem gibt es nicht in jedem Erstkonsultationsgespräch auch Diagnose mitteilungen, entweder weil im Rahmen der Erstkonsultation die Diagnose noch nicht ermittelt werden konnte oder weil trotz feststehender Diagnose diese dem Patienten 11 nicht mitgeteilt wird, sondern vom Patienten allenfalls,
z.B. aus Therapievorschlägen, erschlossen werden kann" (Spranz-Fogasy
1987, S. 293).
11
Häufig wurden auch 11 Eigenscha ften" der Gespräche untersucht, die da mit zusammenhängen, dass es sich bei medizinischer Kommunikation um institutionelle Kommunikation handelt, weil [m]it institutioneller Kommu nikation [...] grundlegende andere kommunikative Charakteristika einher [gehen] als mit alltäglichen Gesprächen außerhalb institutioneller Settings" (Menz/Sator 2011, S. 415).
Institutionen sind Formen des gesellschaftlichen Verkehrs zur Bearbeitung ge sellschaftlicher Zwecke; sie verlangen eo ipso Kommunikation zwischen Ak tanten. Welche Formen des sprachlichen Handelns diese Erfordernisse im ein zelnen ausbilden, ist sowohl nach den aktuellen Zwecken wie nach der jeweiligen Geschichte der Institution unterschiedlich. (Ehlich/Rehbein 1980, S. 338)
Neben dem 11 Zweck" prägt auch das 11 Aktantenwissen"(Ehlich/Rehbein 1980,
S. 344) die Interaktion und ist 11 [k]onstitutiv für diese Rollen" (Menz/Sator 2011, S. 415) der Gesprächsbeteiligten. Das 11 Expertentum" regelt die 11 Zu ständigkeit" (Quasthoff 1990, S. 73): Während der Arzt 11 aufgrund seines Fachwissens" für die 11 diagnostischenund therapeutischen Aufgaben[ ...] zu ständig ist", ist der Patient für die 11 subjektive Befindlichkeit, Beschwerden, Vorgeschichte etc." verantwortlich" (ebd., S. 74), worauf auch die 11 Aufgaben verteilung" (Menz/Sator 2011, S. 415) beruht.
11 Die Sprache in Institutionen ist weitgehend in repetitiven Abläufen orga nisiert, die durch die institutionsspezifischen Zwecke gesteuert werden" (Eh lich/Rehbein 1980, S. 342). Klüber, Motsch und Spranz-Fogasy haben sich mit den 11 Fragerechte[n]" der Patienten im Rahmen von 11 anästhesiologische[n] Aufklärungsgespräche[n]" (Klüber/Motsch/Spranz-Fogasy 2012, S. 240) be-
6 Unter Erstgespräch sind im Übrigen 11 solche Gespräche zwischen Arzt und Patient [zu ver stehen], in denen gesundheitliche Probleme des Patienten zum ersten Mal oder - nach einer abgeschlossenen Behandlungsphase - erneut besprochen werden" (Spranz-Fogasy 1987,
S. 293). In dieser Arbeit wird der Begriff 11 Erstkonsulta tionen" verwendet (vgl. Fußnote 3).
schäftigt. Die Autoren führen „vier verschiedene Formen" an „Angebote[n] der Ärzte" auf, nämlich „tag questions [Markierung im Original]", ,,Pausen",
,,syntaktische Fragen" und „Konditionalsätze" die jedoch aufgrund der Rea lisierung, wenn überhaupt nur gelegentlich angenommen werden (vgl. ebd.,
S. 253-262). Sie belegen zudem, dass „Frageangebote" regelmäßig zu spät er folgen, weil die ,,[e]igeninititative[n] Patientenfragen" vorher - hauptsächlich in der „Aufklärungsphase" - realisiert werden, ,,größtenteils gesprächsstruk turell ungünstig platziert" werden und somit auch nicht zum Fragen einladen (Klüber/Motsch/Spranz-Fogasy 2012, S. 262-264). ,,Während ärztliche Fragen [...] schon häufig und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten untersucht wurden" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 102), etwa von Rehbein, der die ärztlichen Fragen in Abgrenzung zu Alltagsfragen untersucht (vgl. Rehbein 1993), stehen Patientenantworten eher selten im Fokus wissenschaftlicher Un tersuchungen (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 102). Dies begründen Spranz-Fogasy und Becker zum Teil damit, ,,dass Antworten im Unterschied zu Fragen kein leicht bestimmbares formales Format besitzen" (ebd.). Spranz Fogasy konnte aber - wie auch Stivers und Heritage (vgl. Stivers/Heritage 2001) - feststellen, dass es „relativ zum Frageskopus im engeren linguisti schen Sinne einen regelmäßigen 'Überschuss' in Patientenantworten" (Spranz-Fogasy 2010, S. 82) gibt. Stivers und Heritage kamen in ihren Unter suchungen zu dem Schluss, dass die Patienten die Antworten „regelmäßig zur Darstellung lebensweltlicher Aspekte nutzen, die nicht direkt erfragt wurden, für die Patienten jedoch im Rahmen ihrer Beschwerdengeschichte eine bedeutsame Rolle spielen" (Spranz-Fogasy 2010, S. 102; vgl. auch Stivers/ Heritage 2001). Spranz-Fogasy hat darüber hinaus herausgefunden, dass die Patienten häufig auch auf „Präsuppositionen ärztlicher Fragen, ärztliche Re levanzstrukturen oder, vielfach mit solchen Aspekten verbunden, 'next-tum questions'" (Spranz-Fogasy 2010, S. 103) reagieren. Daneben sind Patien tenantworten, ,,die auf das Nötigste reduziert sind" (ebd., S. 102), sehr selten und dokumentieren zumeist, dass die Patienten etwas als „kritische Ereignis se, wie heikle, z.B. intime Gesprächsgegenstände, konkurrierende Deutungen oder konfliktäre Handlungsorientierungen" interpretieren oder die Antwor ten „im sequentiellen Kontext eines Fragenkatalogs" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 103) realisieren.
Andere Autoren haben sich eher mit bestimmten Phänomenen, die sich auf der Textoberfläche befinden, oder mit Gesprächsstrukturen auseinander gesetzt, die typisch für diese Kommunikationssituationen sind: So beschäftigt sich Overlach etwa damit, ,,wie Schmerzen im Gespräch dargestellt werden" und „wie und an welcher Position im Gespräch [diese Konstruktionen] einge setzt werden" (Overlach 2008, S. 169f.).
11
Ebenso wie bei der medizinischen Kommunikation handelt es sich auch bei pädiatrischer Kommun ikation7 um ein Hyperonym über viele sich zum Teil eklatant voneinander unterscheidenden Interaktionstypen" (Winterseheid 2015a, S. 189). Unter pädiatrischer Interaktion versteht man das
medizinische[] Fachgebiet, das sich mit der Erkennung u. Behandlung (ein schließlich Prävention, Schutzimpfung, pädiatr. Intensivmedizin, Sozialpädia trie) aller körperlichen u. seelischen Erkrankungen sowie Reifungsstörungen des Kindes von der Geburt bis zum Abschluss seiner somatischen Entwicklung befasst. (Rache 2003, S. 1001)
Die pädiatrische Kommunikation nimmt aber in gewisser Weise eine beson dere Stellung im Rahmen der medizinischen Kommunikation ein, u.a. schon allein deswegen, weil in der Regel 11 Kinderund Jugendliche sich nicht eigen ständig und unabhängig im medizinischen System bewegen" (Schwabe 2006a, S. 15) und daher meist durchweg eine triadische Gesprächssituation vorliegt, wenn man von der Interaktion unter 11 Agenten" (Ehlich/Rehbein 1980) der Interaktion absieht.
Die triadische Gesprächssituation stellt die Gesprächsbeteiligten vor ge wisse Herausforderungen, die innerhalb der Interaktion zu bewerkstelligen sind.
Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts taucht an verschiedenen Stellen, in ver schiedenen Disziplinen der Sozial- und Geisteswissenschaften die Beobach tung auf, dass die Grundlagentheorie dieser Wissenschaftsgruppe möglicher weise nicht darum herumkommt, neben dem 11 Anderen" (und damit der Intersubjektivität) und neben dem Transsubjektiven (11 d as Dritte") die Figur und Funktion 11 des Dritten", des dritten Sozius, des personalen Dritten syste matisch mit einzubeziehen. Die beiden Bahnbrecher in diesem Zusammenhang sind Simmel und Freud, Simmel mit der Entdeckung des Dritten als Quelle originärer 11 For m en der Wechselwirkung" (Simmel 1968a [1908]), Freud mit der 11 ödip alen" Konstellationsanalyse familialer Sozialisationsdramen (Freud 1930 [1916]). (Fischer 2010, S. 139)
Simmel hat bereits 1908 festgestellt, dass ein hinzukommender Dritter einen entscheidenden Unterschied ausmacht, wobei er sich auf drei verschiedene Konstellationen bezieht: den 11 Unparte iische[n]" (Simmel 1908, S. 102-111) oder den 11Vermittler" (ebd.), den 11Tertius gaudens" (ebd., S. 111-119) sowie eine Person des 11 Divide et impera" (ebd., S. 119-133). Lindemann weist da rauf hin, dass sich 11 [i]n diese Typologie[...] auch seine Analyse des Fremden einordnen (Simmel 1983, S. 509ff.)" (Lindemann 2010, S. 494) ließe. Zu dieser Konstellation schreibt Simmel:
7 Zu einem Überblick über die Auseinandersetzung mit pädiatrischer Kommunikation vgl.
z.B. Winterseheid (2015a, S. 188-193).
Die Einheit von Nähe und Entferntheit, die jegliches Verhältnis zwischen Men schen enthält, ist hier zu einer, am kürzesten so zu formulierenden Konstellati on gelangt: die Distanz innerhalb des Verhältnisses bedeutet, daß der Nahe fern ist, das Fremdsein aber, daß der Feme nah ist. (Simmel 1908, S. 685)
Denn derjenige, 11 der aus der Feme zu einer Gemeinschaft stößt, [tritt] zu mindestens zwei miteinander Vertrauten" (Fischer 2000, S. 119) hinzu. Erst durch den Fremden kommt es zu
eine[r] Rotation der Perspektiven: der Neuankömmling realisiert auch den Blick des Dritten, der ihn selbst, den Ersten sowohl wie den Anderen beobach tet, der das Unvergleichbare vergleicht, der damit die Basiserfahrung von Neu tralität und Distanz, Gleichheit und Austauschbarkeit auslöst. (Fischer 2010, S. 142)
Simmel postulierte, dass 11 der Unterschied der Zweierverbindung zu den mehrgliedrigen dadurch bestimmt [wird], daß jenes Verhältnis, als Einheit aus seinen Individuen, zu jedem der Teilnehmer anders steht, als mehrglied rige Gebilde zu den ihrigen" (Simmel 1908, S. 73). Gleichzeitig ist 11 [d]ie So zialtheorie [...] mit der Figur des Dritten oder der dreifachen Kontingenz gleichsam komplett, ab dem Vierten, Fünften wiederholen und komplizieren sich dyadische und triadische Figurationen" (Fischer 2010, S. 131).
Traverso problematisiert hingegen, dass man 11 ein Gespräch zwischen drei Gesprächspartnerinnen" nicht einfach als triadische Kommunikation einstu fen dürfe und auch eine Arzt-Patient-Interaktion u.U. aufgrund der Rollen - etwa bei gedolmetschter Interaktion - als dyadische Interaktion eingestuft werden müsse, selbst 11 wenn drei Personen daran beteiligt sind" (Sator/ Gülich 2013, S. 403)8. Dem widersprechen Sator und Gülich in Bezug auf ge dolmetschte Arzt-Patient-Interaktionen und halten fest, 11 dass es an verschie denen Stellen im Gespräch Anlässe gibt, Aspekte der triadischen Kommuni kation, der Dolmetschtätigkeit und der Patientenbeteiligung ausdrücklich darzustellen" (Sator/Gülich 2013, S. 404). Traverso hat hinsichtlich dieses Interaktionstyps darauf verwiesen, dass es sich hier zwar prinzipiell um eine Interaktion handelt, die der prototypischen - dyadischen - Situation sehr ähnlich ist, aber es durchaus Situationen geben kann, in denen es sich anders verhält (vgl. Traverso 2002, S. 97-98):
Ces formes d'echange mettent bien en evidence le fait que l'intermediaire ne se cantonne nullement dans un role de traducteur, mais qu'il occupe bien celui d'interlocuteur apart entiere. (Traverso 2002, S. 98)
Dabei stellen Sator und Gülich verschiedene Formen der Patientenbeteiligung heraus, die von einem Modell, in dem die Patienten weitgehend relativ auto nom interagieren oder der professionelle Dolmetscher lediglich das Geäußer te übersetzt, bis zu einem Modell reichen, in dem 11 sich [zwischen dem Laien-
8 Die Autoren beziehen sich auf Traverso (2002, S. 91).
dolmetscher, der zur Familie des Patienten gehört, und dem Arzt] eine so markante Kommunikationsbeziehung [etabliert], dass der Patient/die Patien tin weitgehend unbeteiligt bleibt und somit ausgeschlossen wird" (Sator/ Gülich 2013, S. 404-406). Die beiden Autorinnen weisen ebenfalls darauf hin, dass 11 au ch mit professioneller Dolmetschung interaktive Schwierigkeiten einher[gehen], die wohl u. a. mit der mangelnden Erfahrung der Ärztinnen als Teilnehmerinnen in einer gedolmetschten Interaktion zu tun haben" (ebd.,
S. 409), wodurch ersichtlich wird, dass auch diese Kommunikation unbedingt als triadische Kommunikationssituation betrachtet werden muss.
Während die Teilnehmerrollen in einer dyadischen Arzt-Patient-Kommu nikation klar definiert sind, ist der Teilnehmerstatus der einzelnen Gesprächs beteiligten in einer triadischen Kommunikationssituation generell eher unbeständig:
Basal sieht sich die sprachpragmatische Kommunikationsforschung gerade in ihrem Fokus, der 11 face-to-face-Interak tion", genötigt, das dyadische Dialogmo dell, in dem zwei (und nur zwei) einbezogen sind, zu überschreiten und syste matisch neben den Gesprächsteilnehmern auf der Rezipientenseite Figuren des 11 offiziellen Zuhörers" oder des 11 Publikums", aber auch des 11 Lau schers" oder des 11 Statisten", von der Produktion her aber den 11 Sprecher" und den 11 Urhe ber", in dessen Namen er spricht und den er zitiert, zu unterscheiden (Goffman 1981). (Fischer 2000, S. 105)
11
Goffman hat mit seinem Footing-Konzept einen Beschreibungskatalog des Teilnehmerstatus der Gesprächsbeteiligten zur Verfügung gestellt (vgl. Goff man 1981, S. 124-159). Bei der pädiatrischen Kommunikation in der Kinder arztpraxis zwischen Arzt, Patient und Begleitperson handelt es sich um eine ' Begegn un g', von Goffman auch 'fokussierte Interaktion' genannt", in der sich die Gesprächsbeteiligten 11 gegenseitig als ratifizierte Teilnehmer an der Be arbeitung eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus sehen und anerkennen" (Auer 1999, S. 156-157; Hervorhebung im Original).9 Da die Interaktionen je weils in dem Sprechzimmer des Arztes stattfinden und die Tür zum Sprech zimmer in der Regel geschlossen ist, gibt es weder potenzielle nicht ratifizierte Zuhörer (,,bystanders"), die der Interaktion absichtlich folgen (,,eavesdrop ping"), noch Personen, die die Interaktion zufällig belauschen (,,overhearing") (Goffman 1981, S. 132). Aber es gibt in der triadischen Kommunikation häufig Sequenzen, in denen einer der Gesprächsbeteiligten adressiert (,,adressed") und ein anderer nicht adressiert (,,unadressed") wird (ebd., S. 133). Dazu stellt Fischer fest, dass triadischen Gesprächssituationen auch eine 11 Entlastung" der Gesprächsbeteiligten innewohnt, die aus der 11 Wahlfreiheit [des Sprechers] zwischen dem Einen oder dem Anderen" (Fischer 2000, S. 127) resultiert.
Ähnliche Situationen außerhalb der pädiatrischen Praxis gibt es etwa bei
medizinischen Interaktionen mit einem Dolmetscher. Am ehesten lassen sich
9 Auer bezieht sich auf Goffman (1964, S. 135).
die pädiatrischen Erstkonsultationen mit gedolmetschten Interaktionen ver gleichen, bei denen ein Familienangehöriger die Aufgabe übernommen hat, die Beiträge des Arztes und des Patienten zu übersetzen: denn „die Familien dolmetscherinnen [steuern] v. a. eigenständige inhaltliche Beiträge" (Sator/ Gülich 2013, S. 408) bei. Ähnlich wie die Elternteile, die die minderjährigen Patienten begleiten, ,,wissen sie über die Erkrankung der Patientinnen im All gemeinen gut Bescheid" und „leiden[...] oft auch mit darunter", weswegen deren Beiträge auch „durchaus für Diagnose und Therapie relevant sein" (ebd.) können. Sator und Gülich weisen in diesem Zusammenhang auf zwei potenzielle Probleme hin: ,,Zum einen wird dadurch u. U. der Experten-Sta tus der Patientinnen für ihre eigene Krankheit eingeschränkt" (ebd.) und
,,[z]um anderen besteht [...] die Gefahr, dass Familiendolmetscherinnen ihre eigenen gesundheitlichen Probleme zur Sprache bringen und damit die ärztliche Aufmerksamkeit von der Patientin abzuziehen versuchen" (ebd.,
S. 408f.). Darüber hinaus ,,[müssen] thematische Initiativen der Patientinnen, die die professionelle Dolmetscherin selbstverständlich dolmetscht, [...] in Gesprächen unter Beteiligung von Familiendolmetscherinnen erst den Filter der Familienangehörigen passieren" (ebd., S. 408). Beides findet sich ebenfalls in pädiatrischer Kommunikation.
Ein weiterer entscheidender Aspekt, der pädiatrische Kommunikation von medizinischer Kommunikation mit erwachsenen Patienten unterscheidet, ist, dass die jungen Patienten vielfach noch nicht „das notwendige Krankheitswis sen" (Winterseheid 2015a, S. 189) sowie „ein soziokulturell vermitteltes ge meinsames Handlungswissen" besitzen, welches die Gesprächsbeteiligten in die Lage versetzt, ,,zu wissen, was jeweils von ihnen an Beteiligungsleistungen erwartet wird und welche Beteiligungsleistungen sie von den anderen erwar ten können" (Schröder/Reiterneier/Notdurft 1994, S. 9; vgl. auch Greene/Adel mann 2013, S. 139). Allerdings gibt es natürlich auch junge Patienten, die eine längere Krankheitsgeschichte aufweisen, weswegen solche Patienten - gerade Patienten „mit chronischen Erkrankungen" - über „selektive Elemente des Ex pertenwissens [verfügen], ohne allerdings dessen Komplexität und interne Vernetzung zu besitzen" (Brünner/Gülich 2002, S. 21). Solche Voraussetzun gen begegnen einem jedoch weniger in der Kinderarztpraxis, sondern eher in pädiatrischen Praxen oder Kliniken mit einer speziellen Fachrichtung.
Auch wenn die Beschäftigung mit pädiatrischer Kommunikation in den letzten Jahren zugenommen hat, wurde „der Gesprächstyp pädiatrisch[e] Kommunikation bisher aus interaktionistischer Perspektive [immer noch] re lativ selten zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht" (Schwabe 2006a,
S. 44). Diese Analysen zeichnen sich zudem häufig dadurch aus, dass „Kom munikationssituationen im medizinischen Kontext mit Kindern untersucht werden, die exzeptionell oder in irgendeiner Weise gestört sind" (Winter seheid 2015a, S. 189). In einem Großteil der Untersuchungen liegt bei den jungen Patienten eine Beeinträchtigung vor, die zumeist schon über einen
längeren Zeitraum in einer Fachpraxis oder Klinik behandelt wird (vgl. Win terseheid 2015a).10 Schwabe hat beispielsweise Aufnahmen in der Klinik mit Anfallspatienten analysiert (vgl. Schwabe 2006a). Hier sind in der Regel auch Eltern anwesend, schon allein deswegen, weil diese die Patienten aufgrund von 11 weiten Anfahrtswege[n]" (ebd., S. 15) häufig zur Klinik fahren müssen, wobei es auch Phasen gibt, in denen der Arzt mit dem Patienten alleine redet. Bei Streeck wurden Interaktionen mit Patienten, die unter 11 Spina bifida", ei ner angeborenen Behinderung, oder an 11 Muskelkr ankheiten" leiden, unter sucht (Streeck 2002, S. 174). Diese Gespräche fanden in der Klinik oder 11 in einer ambulanten neuropädiatrischen Sprechstunde" (ebd., S. 174f.) statt. Die in der Studie von Aronsson und Rundström untersuchten Gespräche wurden in einer Fachklinik für Allergien aufgenommen (vgl. Aronsson/ Rundström 1988).
Auch liegen in vielen Untersuchungen psychische Probleme oder Verhal tensstörungen vor oder die untersuchten Interaktionen finden im Rahmen einer Therapie statt (vgl. Winterseheid 2015a, S. 189).11 Daneben gibt es einige untersuchte Interaktionen, in denen die jungen Patienten oder deren Begleit personen 11 aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage [sind], mit den ande ren Gesprächsbeteiligten" in ausreichendem Maße zu kommunizieren (Win terseheid 2015a).12 Neben sprachlichen Einschränkungen können dafür auch ganz alltägliche Gründe vorliegen, wie das Alter oder fehlende Sprachkennt nisse (vgl. z.B. Koh et al 2005; Leanza 2007; Babur/Chilla/Meyer 2008). Es gibt darüber hinaus Studien, in denen bei den untersuchten Patienten sowohl Sprachschwierigkeiten wie auch eine 11 Sprachentwicklungsstöru ng" vorlie gen (z.B. Babur/Chilla/Meyer 2008).
Es gibt nur sehr wenige Studien, in denen Interaktionen in der Kinderarzt praxis im Fokus stehen, diese sind jedoch recht selten (vgl. z.B. Stivers 2001 oder Tates/Meeuwesen 2000). Wie bereits in einer Auseinandersetzung mit den Studien zur pädiatrischen Kommunikation dargelegt, lassen sich diese Studien jedoch nicht ohne Weiteres vergleichen (vgl. Winterseheid 2015a,
11
S. 190-198), etwa da 11 [g]erade bei früheren Studien[...] die Rolle der Kinder nicht explizit untersucht [wurde]" (ebd., S. 189),13 weil [r]esearch focuses
10 Die Autorin bezieht sich beispielhaft auf die Studien von Schwabe (2006a), Streeck (2002), von Aronsson/Rundström (1988) und Tannen/Wallat (1986).
11 Vgl. dazu z.B. die Studien van Dulmen (2004) und O'Reilly (2008).
12 Vgl. beispielsweise auch die Studien von Gordon et al. (2009), Tiitinen/Ruusuvuori (2014) oder Babur/Chilla/Meyer (2008). Daneben gibt es natürlich auch einige Interaktionen, in denen die Kinder zwar den 11 Gesprächsgegenstand" darstellen, aber an der Interaktion selbst nicht beteiligt sind (Winterseheid 2015a, S. 189), weil diese noch nicht geboren wurden (Abramsky et al. 2001) oder bereits verstorben sind bei Gesprächen mit hinter bliebenen Eltern (z.B. Bellali/Papadatou 2007).
13 Vgl. hierzu u.a. die Studien von Aronsson/Rundström (1988), van Dulmen (2004) und O'Reilly (2008).
mainly on dyadic interactions between adults" (Tates/Meeuwesen 2001,
S. 839), und sich diese auch mit der Zeit verändert hat. So konnten etwa Mee uwesen und Kaptein nachweisen, dass die Ärzte in der zweiten Erhebungs phase in den Neunziger Jahren patientenorientierter agierten als in den Inter aktionen, die knapp zehn Jahre zuvor aufgezeichnet wurden (vgl. Meeuwesen/ Kaptein 1996). Hier konnte - obwohl in beiden Phasen nur eine geringe Pati entenbeteiligung vorlag - eine zunehmende Beteiligung der Patienten festge stellt werden, die aus einer verstärkten Adressierung der Patienten resultier te, sich aber hauptsächlich auf die Phase der körperlichen Untersuchung bezieht (vgl. ebd.). Diese Tendenz konnte zwar bei der Replikation dieser Stu die, die etwa fünf Jahre später stattfand, nicht vollständig nachgewiesen wer den, dennoch zeigen die Analysen der Longitudinalstudie, dass es „gesell schaftliche Veränderungen binnen weniger Jahre gibt, die sich [...] auf die Beteiligung der Kinder auswirken und eine Gegenüberstellung verschieden alter Daten für gewisse Fragestellungen ausschließen" (Winterseheid 2015a,
S. 191, mit Bezug auf Tates/Meeuwesen 2000). Gleichzeitig verbietet sich in vielen Fällen ein Vergleich verschiedener Studien, da ,,[t]hese studies use different methods to reach these estimates" (Cahill/Papageorgiou 2007, S. 908; vgl. z.B. Tates/Meeuwesen 2000). Außerdem divergieren häufig entscheiden de Einflussgrößen (Winterseheid 2015a, S. 191-198):
So definieren Tates und Meeuwesen beispielsweise das Alter der Patienten als entscheidenden Faktor für unterschiedliche Ergebnisse, was sie anhand ihrer Studie festmachen, die ergeben hat, dass „die Beteiligung sowie die Kompetenzzuschreibung durch die Ärzte konstant zum Alter ansteigen" (Winterseheid 2015a, S. 191), stellen aber auch fest, dass Untersuchungsergeb nisse häufig aufgrund des unterschiedlichen Durchschnittsalters der Patien ten divergieren (vgl. Tates/Meeuwesen 2000). Dass auch die vorliegenden Beschwerden der Patienten schon für unterschiedliche Voraussetzungen sor gen, kann man etwa anhand der von Schwabe untersuchten Interaktionen darlegen. Hier „legt [...] bereits die Krankheitsgeschichte nahe, dass es sich hier um eine besondere Situation handelt, die sich gerade hinsichtlich der epi stemischen Autorität erheblich von Interaktionen in der gemeinpädiatrischen Praxis abheb[t]" (Winterseheid 2015a, S. 198; vgl. auch Schwabe 2006a). Denn obgleich normalerweise „den Patienten die Wissenshoheit über ihre Leiden obliegt", (Winterseheid 2015a, S. 196) weil „jede Person einen in einzigartiger Weise unmittelbaren epistemischen Zugang zu den Inhalten ihres eigenen Geistes" hat und prinzipiell „die beste Beobachterin der Inhalte ihres eigenen Geistes ist" (Lauer 2010, S. 6), wird dies Patienten unter bestimmten Umstän den nicht zugestanden oder liegt bezüglich bestimmter Punkte bei den Eltern (vgl. Winterseheid 2015, S. 198 und Heritage/Raymond 2005). Schwabe führt an, dass Anfallspatienten „die eigentlichen Anfälle" oftmals nicht mitbekom men und der Arzt somit bei der „Rekonstruktion der Symptome auf die Dar stellung von Beobachtern des Anfalls angewiesen ist" (Schwabe 2006a, S. 15).
Auch denkbar sind Erstkonsultationen, die aufgrund einer nur von den Eltern bemerkten Problematik arrangiert wurden, oder dass Eltern noch zusätzliche Beobachtungen gemacht haben, die das von den Kindern Wahrgenommene übersteigen. Innerhalb dieses Spektrums liegen unterschiedliche Anforderun gen gegenüber den einzelnen Gesprächsbeteiligten vor, die selbstverständlich die jeweilige Interaktion prägen. Diese Voraussetzungen wirken sich etwa darauf aus, inwieweit 11 Selbstzuschreibun gen" des Betroffenen, die 11 sich in einem signifikanten epistemischen Kredit ausdrück[en]" und bezüglich derer der Einzelne üblicherweise 11 das letzte Wort" (Michel/Newen 2007, S. 2) hat, anerkannt werden oder überhaupt Inhalt der Interaktion darstellen, denn mit dem 11 epistemischen Kredit" geht zudem das 11 Prinzip der Zuständigkeit" (Quasthoff 1990) einher. Weiterhin wirkt sich ein unterschiedlich ausgeprägtes 11 Kran kheitswissen" (Winterseheid 2015a, S. 189) entscheidend auf die Interak tion aus; hier gibt es etwa eine Dichotomie zwischen Kindern, die äußerst sel ten beim Arzt waren, und Kindern, die sich bereits intensiv mit einer Erkran kung auseinandergesetzt haben oder auseinandersetzen mussten, weil etwa 11 chronisch[e] Erkrankungen" vorliegen (Brünner/Gülich 2002, S. 21). Eben falls elementar ist die Kultur im Rahmen derer die Interaktion stattfindet. Bei spielhaft können hierzu die Erkenntnisse von Stivers zum Antibiotikumein satz in amerikanischen Sprechstundengesprächen beim Kinderarzt angeführt werden, 11 weil die Rahmenbedingungen in den USA sich gerade hinsichtlich des untersuchten Phänomens maximal zu denen in Deutschland unterschei den" (Winterseheid 2015a, S. 192), worauf die Autorin selbst verweist, indem sie auf die vom Alexander Proje kt14 ermittelten Resistenzen verschiedener Länder hinweist und festhält, dass gerade die Werte in den USA und Deutsch land stark voneinander abweichen (Stivers 2007, S. Sf.). Stivers stellt zwei ver schiedene Szenarien heraus, die einen kontraindizierten Einsatz von Antibio tika zur Folge haben (ebd., S. 188f.): Dies ist einerseits der bereits vor dem Arztbesuch existierende 11Wunsch nach der Verordnung eines Antibiotikums" (Winterseheid 2015a, S. 192), aber auch der während der Sprechstunde auf keimende Wunsch, 11 nachdem etwa die Legitimität des Arztbesuches infrage gestellt wurde oder die Krankheit des Kindes durch den Arzt eine Verharm losung erfährt" (Winterseheid 2015a, S. 192; vgl. Stivers 2008, S. 187). In den von Winterseheid in Deutschland erhobenen Daten geht der Verordnung ei nes Antibiotikums jeweils eine Erklärung voraus, weshalb zu diesem Mittel geraten wird, oder eine solche wird sofort nach der Empfehlung realisiert (vgl. Winterseheid 2015a, S. 193). 11 Gerade dieser erhöhte Aufwand[...] macht deutlich, dass [der Arzt] davon ausgeht, dass es sich bei der vorgeschlagenen Medikation eher um eine dispräferierte Empfehlung handelt" (ebd.). Dass es
14 Es handelt sich um ein Projekt, im Rahmen dessen 11 Daten zur Resistenzsituation" aus 11 23 Ländern" ausgewertet werden (https://www.aerzteblatt.de/archiv/30977/Alexander Projekt-Resistenzen-nehmen-weltweit-zu).
sich hierbei um gesellschaftliche Phänomene handelt, kann man nicht nur an den von Stivers zitierten Resistenzen ablesen (vgl. Stivers 2007), sondern z.B. auch an Empfehlungen in medizinischen Ratgebern:
[W]enn Sie Bedenken gegen einen Behandlungsvorschlag haben (etwa Antibio tika), so ist es für den Arzt besser, wenn Sie ihm Ihre Gedanken mitteilen, als dass Sieden verordneten Saft einfach im Kühlschrank alt werden lassen oder in den Abfluss kippen. (Renz-Polster/Menche/Schäffler 2012, S. 18)
Hier werden Antibiotika als Beispiel für eine dispräferierte Verordnung er wähnt und dieser Rat 11 dokumen tiert ebenfalls, dass die Einstellung gegen über Antibiotika in der deutschen Bevölkerung generell nicht so positiv ist bzw. so positiv wahrgenommen wird, wie dies in den USA der Fall zu sein scheint" (Winterseheid 2015a, S. 192-193).
Um eine angemessene Analyse anstellen zu können, ist es demnach un umgänglich, 11 die Bedingungen zu kennen, unter denen [die Interaktionen] stattfinden" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 3). Denn 11 je nachdem, in welchen institutionellen Kontexten, mit welchen Krankheitsbildern, in wel chen Krankheitsstadien, mit welchen Patientengruppen oder in welchen Rol lenkonstellationen sie stattfinden", 11 verändern [sich auch] die Gesprächsauf gaben, die Bedingungen verständlicher Kommunikation und die Möglichkeit der Absicherung von Gesprächsergebnissen" (ebd., S. 3f.).
Aus diesem Grund wurde für diese Arbeit nur die triadische Interaktion beim Kinderarzt zwischen Arzt, Patient und mindestens einer erwachsenen Begleitperson, welche sich von anderen medizinischen Interaktionen grund legend unterscheidet, als Untersuchungsgegenstand gewählt. Eingegrenzt wird der Untersuchungsgegenstand zudem auf Erstkonsultationsgespräche, da dieser Interaktionstyp bereits sehr facettenreich ist und eine Fülle an Phä nomen beinhaltet, die analysierenswert sind.
METHODE UND METHODISCHES VORGEHEN
Für diese Arbeit wurde ein konversationsanalytischer Ansatz gewählt. 11 Zu Beginn der 70er Jahre wurde die conversation analysis auch außerhalb der amerikanischen Soziologie bekannt, so auch im deutschen Sprachraum, wo bei sie hier zunächst v. a. auf das Interesse der Linguisten und weniger das der Soziologen stieß" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 123). Dies ist vor allem auf
Kallmeyer und Schütze zurückzuführen, die die Konversationsan alyses1 in
der Tradition der 11 von Harvey Sacks und Emanuel Schegloff inaugurierte[n] 'formale[n]' bzw. 'empiristische[n]' Konversationsanalyse, welche die Se quenzialität der sprachlichen Interaktion in den Vordergrund des Interesses stellt", sehen, den Gegenstandsbereich aber insofern ausweiten, indem sie die 11 Erforschung aller Bereiche sprachlicher Kommunikation" fordern und sich nicht nur 11 auf die tagtäglichen Situationen der 'Unterhaltung"' beschränken (Kallmeyer/Schütze 1976, S. 4f.; Hervorhebung im Original). Dabei beziehen sie sich auf 11 drei bereits relativ scharf konturierte Forschungsansätze" (ebd.,
11
S. 5f.): In der 11 Forschungsrichtung von Harvey Sacks, Emanuel Schegloff, Gail Jefferson, Jim Schenkein, Roy Turner und ihren Schülern" standen bis dato vor allem die 11 form alen Strukturen des Gesprächsablaufs" im Fokus, während die 11 ethnolinguistisch-anthropolo gische[n] Forschungstradition der Ethnographie des Sprechens (John Gumperz, Dell Hymes, Susan Ervin-Tripp, Joel Sherzer und einer Anzahl weiterer Forscher)" nachging, wobei sie 11 die Funktionen des Sprachgebrauchs interessiert" und die 11 Dimensionen der Sprechsituation, in welche die faktischen Kommunikationsabläufe eingebet tet sind," in die Analyse einbeziehen, sowie [d]ie 'kognitive' bzw. 'interpre tativ-ethnomethodologische' Soziologie von Aaron Cicourel, Bud Mehan, Don H. Zimmermann und andere", die sich in Anlehnung an 11 Fragestellun gen, die von Alfred Schütz und Harold Garfinkel aufgeworfen wurden", 11 mit den Bedeutungsproduktions- und Interpretationsprozessen in sprachlichen Interaktionen" beschäftigten (ebd., S. 5). In der Tradition von Garfinkel ste hend 11 [basiert d]ie Entwicklung der conversation analysis [...] auf den Prä missen der Ethnomethodologie" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 121). 11 Für die eth nomethodologische Gesprächsanalyse spiegelt sich in identifizierbarer Ge ordnetheit die systematische Arbeit der Beteiligten wider" (ebd., S. 124).
'Konstitution der sozialen Wirklichkeit im sozialen Handeln' heißt für Garfin kel, daß wir das, was wir im alltäglichen Handeln als vorgegebene soziale Tat-
15 Später wurden häufig Konversationsanalyse und Gesprächsanalyse synonym verwen det, wobei Olbertz-Siitonen darauf verweist, dass „eine Reihe von Arbeiten und Einfüh rungen [...] für sich in Anspruch [nehmen] ,,gesprächsanalytisch zu sein bzw. Methoden der „Gesprächsanalyse" zu nutzen" und „keineswegs eine[m] einzigen methodologi schen Ansatz" verfolgen. (Olbertz-Siitonen 2009, S. 116; vgl. Bergmann 1981, S. 32).
sachen, als objektive Sachverhalte, als unabhängig von unserm Zutun existie rende Realitäten wahrnehmen und behandeln, erst in unseren Handlungen und Wahrnehmungen als solche produzieren. (Bergmann 1981, S. 11)
Olbertz-Siitonen ergänzt - unter Berufung auf Bergmann (1994) und Scheg loff/Ochs(Thompson (1996) - außerdem die Einflüsse des 11 interak tionsan aly tischen Ansatz[es] Goffmans" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 117). Auch Goffman befasste sich eher mit 11 der gewöhnlichen Alltagsinteraktion", 11 verzichtete [aber] bei seinen Analysen fast gänzlich auf Audio- und Videoaufnahmen [und] stützte sich in seinen Beschreibungen auf Beobachtungen, Berichte, er dachte Situationen, Feldnotizen u.ä." (ebd., S. 118). In den letzten Jahren 11 zeichn et sich darüber hinaus die Bedeutung eines multimodalen Analysean satzes ab" (ebd., S. 132), den etwa Schmitt und Deppermann verfolgen (vgl. Schmitt 2015 und Deppermann 2013). So hält Deppermann beispielsweise fest, dass sich 11 lntera ktion von Angesicht zu Angesicht[...] nicht rein sprach lich [vollzieht]" und somit 11 [d]ie leiblich-räumliche Verfasstheit von Interak tionen[...] ihre eigenen Verstehensaufgaben mit sich [bringt], etwa das Fest stellen, ob Interaktionspartner verfügbar sind, die Koordination von Handlungsvorbereitungen und leibliche Aktivitäten oder die Signalisierung von nächsten Handlungsschritten" (Deppermann 2014, S. 290).
Kallmeyer und Schütze postulieren in ihrem Artikel zur Konversations- analyse (vgl. Kallmeyer/Schütze 1976, S. 6-16):
Zum einen legen wir die Kernvorstellung der formal bzw. empiristisch orien tierten Konversationsanalytiker zugrunde, [...] daß die beobachtbaren Formen der Gesprächsorganisation als Mittel zur Lösung von strukturellen Aufgaben erklärbar sind.[...] Zum anderen gehen wir davon aus, daß Gesprächsorganisa tion immer unter der Voraussetzung der Handlungs- und Bedeutungskon stitution bzw. im Hinblick darauf geschieht. (Kallmeyer/Schütze 1976, S. 6)
Dabei betonen sie den 11 dialogischen Charakter" als Interaktionsvorausset zung sowie 11 ein ausreichendes Maß an Kooperation", 11 das eigene Verstehen von Partneräußerungen sowie die Verständlichkeit eigener Äußerungen für den Partner" (ebd., S. 9) und die Zeitlichkeit. Zu dieser Aufgabe gehören auch die 11 Organisation des Sprecherwechsels", 11 das Prinzip der 'konditionellen Relevanz"' etc. (vgl. ebd., S. 14f.). 11 Zur Aufgabenkontur der Konstitution der artiger vollausgebauter Handlungsschemata" verweisen Kallmeyer und Schütze auf 11 lnterpretationsprozesse, nämlich der Prüfung, ob die wesentli chen Komponenten des Handlungsschemas erfüllt sind" (ebd., S. 15-21). Dabei beziehen sich die Autoren auf die 11 Cicour elsche Tradition der Konver sationsanalyse", bei der 11 die grundlegenden Voraussetzungen der Bedeu tungsproduktion und -interpretation für die abzuwickelnde sprachliche In teraktion" 11 im Vordergrund des Interesses stehen" (ebd., S. 23).
Folglich ist das 11 Ziel des Analytikers [...] zu ergründen, welche interakti ven Aufgaben mit einer erkennbaren Regelmäßigkeit bewältigt werden und
welcher Methoden sich die Gesprächspartner bei der Herstellung dieser Ord nung bedienen" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 124). Dabei ist der 11 Ausgan gspunkt der Gesprächsforschung[...] weder die ideologische Spekulation, wie Gesprä che angeblich sind oder sein sollen, noch die Orientierung an schriftsprachli chen oder rhetorischen Standards, sondern die detaillierte Untersuchung authentischer Gespräche" (Deppermann 2004, S. 21). Denn bei der Konver sationsanalyse handelt es sich um 11 eine Beobachtungswissenschaft, die fakti sches Handeln untersucht" (ebd., S. 18). Da sich aber Interaktionen unter an derem dadurch auszeichnen, dass sie flüchtig sind, ist es geboten, die Interaktionen möglichst umfassend aufzuzeichnen.
So wurde zwar des Öfteren kritisiert, dass die Konversationsanalyse bis her noch 11 keinen Regelkatalog" aufweise, bestimmte Prämissen sind jedoch für die konversationsanalytische Arbeit konstitutiv: 11 dies betrifft zum einen den Datentyp (1), zum anderen den Umgang (2) mit diesem speziellen Daten material" (Ayaß 2008, S. 346).16 Bei dem Analysegegenstand soll es sich um Daten 11 von natürlichen Interaktionssituationen" handeln (Ayaß 2008, S. 346).
Unter dem Gesichtspunkt der Natürlichkeit sind Interaktionen aufzuzeichnen, die auch außerhalb einer Erhebungssituation vorkommen, und sie sind so auf zuzeichnen, wie sie außerhalb einer Erhebungssituation vorkommen. (Schu 2001, S. 1015)
Das betrifft verschiedene Kriterien: Die Interaktionen sollen nicht für den Zweck der Aufnahme arrangiert werden. Außerdem darf durch die Erhebung der Daten nicht zu sehr in die Interaktion eingegriffen werden. Eingriffe wä ren etwa bestimmte Vorgaben für die Gesprächsbeteiligten, aber auch gravie rende Umpositionierungen von Sitzgelegenheiten etc. Des Weiteren darf die Aufnahme nicht zu sehr in den Fokus gerückt werden, z.B. durch eine zu präsente Platzierung der Aufnahmegeräte oder durch den Einsatz von Head sets, Tonangeln etc.17 Im Gegensatz dazu steht die Anforderung, dass für eine adäquate Analyse der Daten 11 Aufnahm en guter technischer Qualität" (Depper mann 2008, S. 24; Hervorhebungen im Original) benötigt werden. Dazu ge hört auch, dass 11 diejenigen visuellen Informationen, die für das Handeln der Gesprächsteilnehmer ausschlaggebend sind", ebenfalls erfasst werden (ebd.). Somit ergibt sich bezüglich der beiden Postulate immer ein 11 Spannungsver hältnis", weswegen auch immer nur annähernd natürliche Daten erhoben werden können, wenn eine gewisse Qualität der Aufnahmen sichergestellt werden soll (ebd., S. 25), damit die Interaktion, 11 da sie als Aufzeichnung quasi eingefroren ist, wieder und wieder abgespielt und dem analytischen Zugriff der Interpretation zugänglich gemacht werden" (Ayaß 2008, S. 346) kann. Weiterhin sollen die Daten transkribiert werden: 11Transkriptionen sind de-
16 Vgl. z.B. Deppermann, der ebenfalls ein vorhersehendes Methodendefizit bemängelt (2008, S. 8).
17 Vgl. hierzu auch die Ausführungen Labovs zum Beobachterparadoxon (1972, S. 209).
tailgenau, sie enthalten Versprecher, dialektale Färbungen, Stockungen etc., das Material wird also nicht bereinigt" (ebd., S. 347). Zur Transkription gibt es verschiedene Konventionen. In den letzten Jahren haben sich jedoch- vor al lem im deutschsprachigen Raum - die GAT2-Konventionen von Selting et al. (2009) für die Transkription der Daten in der Konversationsanalyse durchge setzt. Daneben gibt es auch einige Editoren, die die Transkription der Daten unterstützen sollen. Dazu halten die Autoren der GAT2-Konventionen fest, dass 11 [z]um Transkribieren mit Transkriptionsprogrammen (Editoren) [...] andere Eingabekonventionen notwendig sein [können], mit denen GAT2 zwar kompatibel sein soll[...] die es aber nicht festlegen will und kann" (ebd., S. 354f.).
Bergmann hält zu diesem Arbeitsschritt fest:
Dieser erfahrungsgemäß sehr zeitraubende Arbeitsschritt ist zumindest aus zweierlei Gründen erforderlich. Erstens ist die Analyse am Material darauf an gewiesen, daß das Material selbst in einer problemlos verfügbaren, bearbeitba ren, zergliederbaren, vergleichbaren, memorierbaren (?) und rasch rezipierba ren Form präsent ist, und diese Bedingungen werden am ehesten dadurch erreicht, daß aus dem Nacheinander des Interaktionsablaufs das Nebeneinan der eines fixierten Beschreibungstextes wird, daß also, mit anderen Worten, der transitorische Charakter eines Gesprächsgeschehens in der 11 eingefrorenen" Dauerhaftigkeit eines Notats aufgehoben wird. Zweitens werden Transkripte deshalb benötigt, weil ethnomethodologische und konversationsanalytische Arbeiten der Verpflichtung unterworfen sind, dem Leser einen Nachvollzug der Analyse anhand des dem Autor selbst zur Verfügung stehenden Datenma terials zu ermöglichen. (Bergmann 1981, S. 19)
Bei der Analyse des so erhobenen und bearbeiteten Materials soll ferner auf
11 apriorisch[e] Hypothesen [verzichtet]" (Deppermann 2008, S. 11) werden. 11 Besonders charakteristisch für die Gesprächsanalyse ist ihr radikales Empi rieverständnis", das bedeutet, dass 11 Fragestellungen, Konzepte und Hypothe sen materialgestützt zu entwickeln" (ebd., S. lüf.; Hervorhebungen im Ori ginal) sind. Dies basiert 11 auf dem rekonstruktiven Erkenntnisinteresse der Gesprächsanalyse, das darin besteht, solche Prinzipien der Organisation und der Sinnbildung in Gesprächen zu entdecken, denen die Interaktionsteilneh mer im Vollzug von Gesprächen folgen" (ebd., S. 19; Hervorhebung im Origi nal). Das ist vergleichbar mit der von verschiedenen Künstlern - wie z.B. Meister Eckhart, Leon Battista Alberti und Michelangelo - beschriebenen Ar beitsweise, 11 daß der Stein selbst das ihm gemäße Bild in sich trage, daß die künftige Figur also im Stein verborgen liege", aber nicht durch diesen erschaf fen, sondern nur hervorgeholt werde (Wagner 2001, S. 174).
Dabei gibt es bestimmte 11 Eigenschaften", die allen Interaktionen innewoh nen; diese 11 Merkmale" sind (Deppermann 2008, S. 8):
Konstitutivität: Gesprächsereignisse werden von den Gesprächsteilnehmern aktiv hergestellt.
Prozessualität: Gespräche sind zeitliche Gebilde, die durch die Abfolge von Aktivitäten entstehen.
Interaktivität: Gespräche bestehen aus wechselseitig aufeinander bezogenen Beiträgen von Gesprächsteilnehmern.
Methodizität: Gesprächsteilnehmer benutzen typische, kulturell (mehr oder weniger) verbreitete, d.h. für andere erkennbare und verständliche Metho den, mit denen sie Beiträge konstruieren und interpretieren sowie ihren Austausch miteinander organisieren.
Pragmatizität: Teilnehmer verfolgen in Gesprächen gemeinsame und indivi duelle Zwecke, und sie bearbeiten Probleme und Aufgaben, die unter ande rem bei der Organisation des Gesprächs selbst entstehen.
(Deppermann 2008, S. Sf.; Hervorhebungen im Original)
Darüber hinaus 11 besteht der erste entscheidende Schritt darin, in dem Unter suchungsmaterial bestimmte Gleichförmigkeiten oder Regelhaftigkeiten auf zufinden, also durch Beobachtung eine Geordnetheit oder Struktur festzustel len" (Bergmann 1981, S. 21) und die Untersuchungsergebnisse schließlich 11 anh and von Transkriptionsausschnitten" nachvollziehbar aufzubereiten (Olbertz-Siitonen 2009, S. 127).
Ausgehend von diesen Prämissen wurden Daten bei verschiedenen Kinder ärzten erhoben, gesichert, umbenannt, maskiert und inventarisiert. Nach der intensiven Feldarbeit wurde ein Arbeitskorpus zusammengestellt, die ausge wählten Interaktionen transkribiert, Einzellfallanalysen vorgenommen, und datengestützt Fragestellungen entwickelt. Aufgrund der Beobachtungen im Feld sowie den ersten Ergebnissen der Einzelfallanalysen wurden weiterhin eine quantitative Analyse vorgenommen, die üblicherweise nicht zu einer konversationsanalytischen Arbeit gehört, in diesem Zusammenhang jedoch geboten schien, und die Hypothesen anhand des gesamten Korpus unter sucht, Strukturen und Regelhaftes herausgearbeitet.
DATENGRUNDLAGE UND FRAGESTELLUNGEN
Das der Arbeit zugrundeliegende Korpus setzt sich aus 35 Erstkonsultationen und U-Untersu chungen 18 mit triadischer Struktur aus der pädiatrischen Pra xis zusammen. Diese Gespräche liegen alle als Audio- und zum Teil auch als Videoaufnahmen vor. Die Aufnahmen wurden bei vier verschiedenen Kin derärzten der rheinfränkischen und alemannischen Sprachregion erhoben. Alle Gesprächsbeteiligten wurden vor der Erhebung um Erlaubnis gefragt. Das Einverständnis wurde auch in Form von schriftlichen Einverständniser klärungen festgehalten. Wenn Eltern oder die Patienten Einwände gegen die Akquise hatten, wurde entweder (phasenweise) auf den Einsatz der Videoka mera oder auch auf die komplette Aufnahme des Gesprächs verzichtet. Ent scheidend war, dass es sich um eine triadische Kommunikationssituation handelte. Dabei war es zwar irrelevant, ob es sich bei der Begleitperson um einen Elternteil oder einen Erziehungsberechtigten bzw. einen Vormund han delte, in der Regel wurden die Kinder aber von einem oder beiden Elterntei len (hin und wieder auch zusätzlich von den Großeltern) begleitet. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Aufnahmen zwischen 2,5 und 16 Jahre alt.
Von den 35 Gesprächen wurden 16 Gespräche für die Analyse herangezo gen. Entscheidungskriterien hierfür waren das Alter der Kinder sowie die Vollständigkeit und Qualität der Aufnahmen. Aufnahmen mit Kindern unter drei Jahren wurden ebenso nicht berücksichtigt wie Aufnahmen mit vielen Nebengeräuschen: Aufnahmen mit Kindern unter drei Jahren weisen eine sehr geringe Redebeteiligung der Patienten auf, Aufnahmen, die sich durch sehr laute Nebengeräusche auszeichnen, wurden deswegen aussortiert, da nicht gewährleistet werden konnte, dass alle Kommentare, Bemerkungen etc. gehört bzw. richtig verstanden werden.19 Kulturelle Hintergründe waren kein Ausschlusskriterium, allerdings wurde bei der Erhebung darauf geachtet, dass die Beteiligten alle des Deutschen soweit mächtig waren, dass eine durch Sprachschwierigkeiten erschwerte Kommunikationssituation ausgeschlossen werden konnte. Ausgeklammert wurden für die Analyse die Aufnahmen der V-Untersuchungen, auch wenn zumeist in diesen Untersuchungen ebenfalls Probleme zur Sprache kamen. Da diese jedoch anders behandelt werden, hät ten sie die Untersuchung verzerrt.20
18 Bei U-Untersuchungen handelt es sich um Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern, die in von den Krankenkassen vordefinierten Abständen erfolgen und in denen untersucht wird, ob sich die Kinder entsprechend ihres Alters entwickeln, damit Probleme, Störun gen und Auffälligkeiten möglichst früh erkannt und eventuell behandelt werden können.
19 Zum ,,Verständlichkeitspostulat" siehe Schu (2001, S. 1015).
20 Beispielsweise werden bei den U-Untersuchungen die Kinder während der Untersu chung zumeist nicht direkt angesprochen. Entweder werden die Fragen oder Bemerkun gen allgemein formuliert oder die Eltern werden eindeutig als Adressat gewählt. In den
Bei den erhobenen Interaktionen handelt es sich um annähernd natürliche Gespräche, die nicht 11 für den Forschungszweck arrangier[t]" (Schu 2001,
S. 1019) und auch nicht elizitiert wurden (vgl. Schu 2001 oder auch Kap. 2). Die Gesprächsbeteiligten wussten, bevor die Interaktion stattfand, dass sie aufgenommen, zu welchem Zweck die Daten erhoben werden und wie mit diesen Daten weiter verfahren werden sollte. Das gebietet sich allein auf grund ethischer Gründe (vgl. Schu 2001), aber auch wegen gesetzlicher Vor gaben: So steht im Bürgerlichen Gesetzbuch, dass Aufnahmen einer 11 vorherige[n] Zustimmung (Einwillung)" bedürfen, wobei die Gesprächsbe teiligten zudem auf die Möglichkeit eines 11 Widerru fs" hingewiesen werden müssen(§ 183 BGB). Weiterhin regelt das Bundesdatenschutzgesetz, dass die se 11 Einw illigung [...] nur wirksam [ist], wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht", die Gesprächsbeteiligten über den 11 vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung" informiert wurden und die 11 Erklä rung schriftlich" festgehalten wird(§ 4a BDSG).
In der Regel wurden vor der Interaktion Sprecherinformationen und im Anschluss an die Interaktionen auch noch Metadaten zum Ereignis festgehalten.
Das Audiogerät wurde jeweils auf dem Schreibtisch der Ärzte positioniert, da die Gesprächsbeteiligten sich zumeist um den Tisch herum gruppieren. Da die Sprechstundenzimmer oft sehr klein waren und darüber hinaus jedes Mal eine Umpositionierung im Raum durch mindestens zwei der Gesprächsbetei ligten stattfand, war es geboten, dass die Forscherin in den Gesprächen, in denen ein Mitschnitt mittels einer Videokamera vereinbart worden war, selbst im Raum war und die Kamera führte. In den Erstkonsultationen, die nur mit Hilfe eines Audioaufnahmegeräts festgehalten wurden, hat die Forscherin die Aufnahme gestartet, bevor die Ärzte das Sprechzimmer betraten, und dann selbst das Sprechzimmer verlassen. Das betrifft allerdings nur ein Viertel der aufgezeichneten Gespräche.
Die vorherige Aufklärung, aber auch die Präsenz der Forscherin oder das Aufstellen des/der Aufnahmegeräte(s) wirken sich selbstverständlich auf die
11 Natü rlichkeit" aus und widersprechen dem Postulat von Labov (Schu 2001,
11
S. 1015), nach dem 11 the aim of linguist research in the community" darin be steht, 11 to find out how people talk when they are not being systematically observed", wobei die Daten nur 11 by systematic observation" erhoben werden können, worin dann auch das observer's paradox" besteht (Labov 1972,
S. 209). Deppermann hält zwar fest, dass 11 [j]e besser die Aufnahmequalität und je umfassender die registrierten Daten sein sollen, desto größer wird der Aufnahmeaufwand und desto präsenter und daher störender werden die Be dingungen der Aufnahme für die Untersuchten", aber auch, dass 11 erfah-
ärztlichen Sitzungen, die extra anberaumt wurden, weil es ein Problem im Vorfeld gab, wurden hauptsächlich die Patienten während der Untersuchung adressiert.
Datengrundlage und Fragestellungen 31
rungsgemäß zumindest bei Tonaufnahmen die Aufmerksamkeit für die Tat sache, aufgenommen zu werden, bereits nach einigen Minuten rapide abnimmt" (Deppermann 2008, S. 25). Auch verweist Olbertz-Siitonen darauf, 11 dass die Bedeutung der Aufzeichnungsgeräte für die Beteiligten schnell in den Hintergrund rückt, insbesondere, wenn die Gesprächspartner z. B. eine bestimmte Aufgabe zu bearbeiten haben o.ä., weil sie ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden (müssen)" (Olbertz-Siitonen 2009, S. 128.). Das zeichnet Arzt-Patient-Interaktionen im Besonderen aus. Auch Flader gibt für 11Therapiegespräche" an, dass
Psychoanalytiker, die zum Zwecke der Therapieforschung mit einem Ton bandgerät arbeiten, versichern, daß sie eine durch das Tonbandgerät verur sachte Veränderung des Behandlungsgesprächs nicht feststellen können. Pati enten, die einer Aufzeichnung zugestimmt haben, 'vergessen' in der Regel das laufende Band ziemlich schnell. (Flader 1987, S. 20)
So konzentrieren sich die Gesprächsbeteiligten - auch in den erhobenen Da ten - auf die jeweiligen Handlungsaufgaben, sodass nur ausgesprochen sel ten Reaktionen auf die Aufnahmesituationen erfolgen.
Die Transkriptausschnitte zu den 16 Daten des Analysekorpus wurden mit dem für das Forschungs- und Lehrkorpus (FOLK) entwickelten Tran skriptionseditor FOLKER21 sowie nach den cGAT-Konventionen in der Versi on l. l22 als Basistranskripte in literarischer Umschrift erstellt.23 Parallel zur Transkription wurden die Daten überdies maskiert. Dabei wurden für die Siglen die Patienten und deren Begleiter durchgezählt, auch um deren Bezie hung zueinander zu verdeutlichen. Die Patienten wurden mit 11 P" abgekürzt, die Mutter mit 11 M" , der Vater mit 11V", eine außerdem anwesende Schwester mit 11 S" und eine zusätzlich anwesende Großmutter mit 11G" .
21 Der Transkriptionseditor FOLKER kann kostenlos und nach einer einmaligen Registrie rung unter http://agd.ids-mannheim.de/folker.shtml (Stand: 17.8.2017) heruntergeladen werden.
22 Die cGAT-Konventionen (Schmidt/Schütte/Winterseheid 2016) bauen auf den GAT2-Kon ventionen (vgl. Selting et al. 2009) auf und wurden lediglich für die Transkription mit ei nem Editor und basierend auf Erfahrungen im FOLK-Projekt, in welchem das Forschungs und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (http://agd.ids-mannheim.de/folk.shtml; Stand: 17.8.2017) aufgebaut wird und das in der Abteilung Pragmatik des Instituts für Deutsche Sprache angesiedelt ist, minimal variiert. Die erste Version kann unter http://agd. ids-mannheim.de/download/cgat_handbuch_version_l_0.pdf (Stand: 17.8.2017) herun tergeladen werden. Die zweite Version vom 23.6.2016 (Schmidt/Schütte/Winterseheid i.Ersch.) wird demnächst ebenfalls über die AGD-Homepage bereitgestellt werden.
23 Da die Lautstärkeveränderung, Veränderungen der Stimmqualität und die Artikulation auch für die Analyse entscheidend waren, wurden zum Teil auch Phänomene notiert, die üblicherweise erst auf der Ebene des Feintranskripts berücksichtigt werden.
Beispielsweise wurde im Gespräch APEG_3324 der Patient P_33 von sei nem Vater V_33 und der Großmutter G_33 begleitet.
Die Ärzte wurden mit 11 A" , die Ärztinnen mit 11 Ä" abgekürzt und ebenfalls durchgezählt. Da die Ärzte jedoch an mehreren Interaktionen beteiligt waren, wurde deren Nummerierung über die Interaktionen hinweg beibehalten.
Wurden die Namen in den Interaktionen benutzt, wurde ein Maskenname eingesetzt. Die Pseudonyme der Patienten, Eltern etc. wurden in Abhängig keit des Geschlechts, der Silbenanzahl und dem Kulturkreis, aus dem der Name stammt, gebildet.s2
Wie im Literaturüberblick (Kap. 1) dargelegt wurde, gibt es kaum Untersu chungen zur triadischen Kommunikation in einer in Deutschland ansässigen Kinderarztpraxis. Vermehrt wurden in den letzten Jahren pädiatrische Ge spräche unter besonderen Bedingungen betrachtet. Dabei ist diese Kommuni kationssituation schon allein durch die triadische Gesprächssituation und die damit einhergehenden 11 spezifische[n] Gesprächsaufgaben" außergewöhnlich, denn alle Gesprächsbeteiligten sind permanent während der Interaktion ge fordert, 11 die unterschiedlichen Kenntnisse und Zuständigkeiten aller Beteilig ten in für die Zwecke des Gesprächs ausreichendem Maß abzugleichen und Verständigung und Gesprächsergebnisse abzusichern" (Spranz-Fogasy/Win terscheid i.Ersch.). Die der Arbeit zugrundeliegenden Fragestellungen sind, wie die Beteiligten mit dieser besonderen Situation - gerade auch in Bezug auf die Adressierung und Rederechte der Parteien - umgehen, insbesondere des wegen, weil bei der Datenerhebung im Feld augenscheinlich wurde, wie we nig die Patienten in der doch vor allem für sie elementaren Situation selbst verbal agieren, sowie welche konfliktären und heiklen Elemente in diesem In teraktionstyp regelmäßig vorkommen und wie auf diese reagiert wird.
24 Die Gespräche wurden ebenfalls durchgezählt. Die Bezeichnung APEG berücksichtigt die triadische Struktur, die mindestens aus einem Arzt, einem Patienten und einem El ternteil besteht.
25 Analog zu den Maskierungsbemühungen, die im FOLK-Projekt herausgearbeitet wur den (vgl. Winterseheid 2015b).
QUANTITATIVE UNTERSUCHUNG DES ANALYSEKORPUS
Bei der Arbeit mit pädiatrischen Daten ist von Anfang an besonders augen scheinlich, dass der auf die Patienten entfallende Redeanteil in einem Arzt Patient-Eltern-Gespräch, welches zum Zweck einer Erstkonsultation anbe raumt wurde, durchweg sehr gering ist und sich zudem im Lauf des Gesprächs auch noch reduziert (vgl. z.B. Aronsson/Rundström 1988; Tates/Meeuwesen 2000; Stivers 2001). Entsprechend den konversationsanalytischen Prämissen, wurden Interaktionen erhoben, dokumentiert, transkribiert und ausgehend vom Material Analysen angestellt, die im Folgenden dargestellt werden. Vor einer qualitativen Analyse findet jedoch zunächst eine quantitative Analyse der Analysedaten statt.
Hierfür wurde - ebenfalls mit Hilfe des Transkriptionseditors FOLKER (vgl. Fußnote 21) - der verbale Gesprächsanteil der drei Parteien innerhalb der Kernphase (vgl. Brinker/Sager 1996, S. 94)26 der Erstkonsultationsgesprä che ermittelt, da die Phasen der Begrüßung und der Verabschiedung immer zwischen allen Parteien aktiv bestritten werden. Bei der Kernphase der Ge spräche wird zwischen Pausen und Sequenzen unterschieden, in denen sich jemand verbal beteiligt, da der Fokus aufgrund der Vergleichbarkeit erst ein mal auf das Verbale gelegt wurde. Ebenfalls keine Berücksichtigung findet in diesem Schritt das zeitweise oder permanente Summen, Singen, Stöhnen, Wimmern oder Jaulen von Patienten. Das liegt daran, dass diese Phänomene, die bei einer qualitativen Analyse natürlich unbedingt berücksichtigt werden müssen und auch interaktionsrelevant sind, bei einer rein quantitativen Ana lyse zu Ergebnissen führen würden, die sich nicht adäquat vergleichen lassen, da in diesen Gesprächen die Kinder keineswegs größere Teile des Gesprächs bestreiten, sondern vielmehr sogar z.B. durch ihr Wimmern auf ihre Verfas sung verweisen und damit gleichzeitig anzeigen, dass sie sich zurzeit nicht imstande fühlen, selbst an bestimmten Phasen des Gesprächs aktiv mitwirken zu wollen/können und/oder auch dass sie nicht annehmen, dass eine Mitwir kung ihrerseits von den anderen Parteien erwartet oder sogar gewünscht wird.
Um dies zu belegen, wird ein Ausschnitt aus einem Gespräch herangezo gen, in dem die Patientin immer wieder schluchzt, wimmert und stöhnt und damit natürlich die eigene Betroffenheit gegenüber den anderen Gesprächs-
26 Im Folgenden wird nur die Kernphase der Erstkonsultationsgespräche in der pädiatri schen Praxis untersucht, da sowohl die Phase der Begrüßung wie auch die Phase der Verabschiedung generell zwischen allen drei Parteien verhandelt werden und dass nach der Begrüßung ganz 11explizit [eine Person] ausgewählt" wird, die die nächste Phase mit dem Arzt bestreiten soll (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6).
beteiligten unterstreicht. Darüber hinaus beteiligt sie sich nicht an der Aus handlung bezüglich der Beschwerden, wie dies in dem folgenden Ausschnitt nachvollzogen werden kann:
Fallbeispiel 1: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 07:50min); BE (00:01.95-00:45.41); 00:01.95-00:19.6027
001 |
M |
06 |
((stöhnt)) |
002 |
A |
01 |
was is ]LOS; |
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M |
06 |
oh |
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|
( 0. 37) |
005 |
A |
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halloHO? |
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M |
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fr[anziska hat ]BAUCHweh; |
007 |
P |
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[((stöhnt)) |
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A |
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(0.71) franzisk[a seit ]WANN has des denn, |
009 |
M |
06 |
[hm JA- l |
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P |
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(0.23) ((winselt)) |
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( 0. 21) |
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M |
06 |
um ZWÖLfe rum; |
013 |
M |
06 |
(.) al[S l O: - |
014 A 01
015 M 06
[ 0 h l
(0.31) im KINDergarten hast auch schon gebrochen ge,
016 |
P |
06 |
(.) <<gedrückt> hm JA>- |
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M |
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ja- |
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|
( 0. 2) |
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M |
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u[n um zwölfe ]hab ich sie dann abjeHOLT- |
020 |
A |
01 |
[<<piano> oh JE>· |
021 |
M |
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(0.96) 0 hh so um halb zwölf has de des erste mal geBROCHen;= |
Berücksichtigt man das Stöhnen und Wimmern der Patientin im Gespräch APEG_06 bei der quantitativen Auswertung nicht, so liegt ihre Gesprächsbe teiligung bei ca. 1,55% anstatt bei ca. 3,3%.
Die Gespräche variieren in ihrer Länge extrem. Im zugrunde gelegten Analy sekorpus gibt es jedoch zwei Gespräche, die mit ca. 27 und ca. 34 Minuten überdurchschnittlich lange dauern. Diese Gespräche wurden bei zwei unter-
27 Die Hinweise zu den Transkriptausschnitten werden stets nach demselben Schema no tiert: Zunächst werden die Interaktion, die Gesprächsbeteiligten (dabei werden die Ärzte jeweils mit 11 A" und die Ärztinnen mit 11 Ä", die Mütter mit 11 M", die Väter mit ,,V", die Großmütter mit 11G" und die Patienten mit 11 P" abgekürzt; bei den Patienten wird zusätz lich das Alter sowie deren Geschlecht (m/w) angegeben) sowie die Dauer der Interaktion benannt; anschließend findet eine Verortung im Handlungsschema statt (dabei steht
11BB" für Beschwerdenschilderung/-exploration, 11 D" für Diagnosemitteilung und 11Th"
für Therapieplanung) und eine Angabe dazu, wann diese Handlungsphase beginnt und wann sie endet; schließlich wird eine Angabe zu Beginn und Ende des folgenden Aus schnitts gemacht.
schiedlichen Ärzten geführt. Gemeinsam ist diesen beiden Gesprächen, dass die Fälle auf unterschiedliche Art problematisch sind. In dem einen der bei den Fälle (APEG_03) wird ein Problem präsentiert, welches ferner auch von den Eltern und den Erzieherinnen der Einrichtung, die die Patientin besucht, als Belastung empfunden wird, welche ebenfalls Thema dieser Erstkonsulta tion ist und damit als zweites Problem ebenfalls behandelt wird (vgl. Kap. 9). Dass die Patientin einnässt, ist zwar in einem früheren Gespräch schon einmal thematisiert worden. Damals wurde jedoch vereinbart, erst einmal abzuwar ten und noch nichts zu unternehmen. Als die Eltern den Arzt nun ein weiteres Mal aufsuchen, besteht das Problem weiterhin, hat sich aber durch die Tatsa che, dass noch Einkoten hinzugekommen ist, verschlimmert. Nun soll eine medikamentöse Behandlung folgen, von der die Eltern - auch zum Ende des Gesprächs - nicht wirklich überzeugt sind. Im Gespräch wird thematisiert, was sich seit dem letzten Gespräch ereignet hat, es werden Aussagen anderer Personen wiedergegeben und auch die Bedenken der Eltern ausgebreitet. Ne ben dem vorliegenden Problem werden Reaktionen Dritter und Widerstände der Eltern auf die Therapieplanung des Arztes bearbeitet. Das zweite längere Gespräch (APEG_14) ist von der Suche nach einer Diagnose geprägt, die auch am Ende des Gesprächs nicht mit Sicherheit feststeht. Wiederkehrende 11 Schm erzen im Kopfbereich bzw. Kopfnervenbereich [kommen] als Leit oder Begleitsymptom zahlreicher allgemeiner oder organgebundener Krank heiten" (Roche 2003, S. 1040) vor. Der Arzt nimmt bezüglich der regelmäßi gen Kopfschmerzen der Patientin daher einige Untersuchungen vor. Er nennt zwar am Ende des Gesprächs eine vermutete Diagnose, kündigt aber weitere Untersuchungen an, um diese Diagnose zu verifizieren und andere mögliche Ursachen auszuschließen. Darüber hinaus verweist er aber bereits in diesem Gespräch auf verschiedene Therapiemaßnahmen und plädiert für einen be stimmten Umgang mit dem vorläufig diagnostizierten Krankheitsbild.
Das Gespräch (APEG_16), welches mit ca. 3 Minuten das kürzeste in dem Analysekorpus darstellt, ist eine Erstkonsultation wegen einer kleinen Ent zündung der Bissstelle infolge eines Zeckenbisses, die schnell festgestellt wird, zumal der Patient bereits ausgezogen ist und auf der Liege sitzt, als der Arzt den Raum betritt. Die Ursache für die Entzündung muss nicht geklärt werden, da die Mutter darauf verwiesen hat, an dieser Stelle im Vorfeld selbst eine Zecke entfernt zu haben.
Ein weiteres Gespräch (APEG_02) fällt deswegen auf, weil dort neben dem Problem, wegen welchem der Arzt aufgesucht wurde, noch weitere Pro bleme angesprochen, untersucht werden und auch eine Therapieplanung be züglich dieser Probleme stattfindet. Es ist jedoch trotzdem nicht überpropor tional lang, sondern dauert nur ca. 11 Minuten.
Klammert man diese vier auffälligen Erstkonsultationsgespräche aus, so dauern die Erstkonsultationsgespräche durchschnittlich bei dem Arzt A_0l ca. 6 Minuten, beim Arzt A_02 ca. 6,25 Minuten bei der Ärztin Ä_03 ca. 12
Minuten. Dies entspricht auch in etwa der durchschnittlichen Dauer eines allgemeinen dyadischen Arzt-Patient-Gesprächs in Deutschland, welches durchschnittlich etwa 8 Minuten lang ist (vgl. Deveugele et al. 2002, S. 475). Dass die Gespräche bei der Ärztin in der Regel doppelt so lange dauern wie bei den beiden Ärzten, liegt daran, dass in diesen Gesprächen in der Regel mehr Beziehungskommunikation (vgl. z.B. Holly 2001) betrieben wird. Dies deckt sich auch mit anderen Studien zu Arzt-Patient-Gesprächen mit Ärzten und Ärztinnen, nach denen Ärztinnen sich mehr Zeit nehmen und auch einen anderen Kommunikationsstilpflegen (vgl. z.B. Sieverding/Kendel 2012; Weiß flog et al. 2014). An dieser Stelle soll jedoch auf die Gesprächsführung der Ärzte bzw. Ärztinnen nicht weiter eingegangen und diese schon gar nicht bewertet werden,28 da das Analysekorpus aufgrund der Größe nicht repräsen tativ ist und eine solch komplexe Analyse anhand des Materials auch nicht aussagekräftig wäre. In diesem Kapitel werden nur die quantitativen Zahlen gegenübergestellt und erste Beobachtungen, die möglicherweise für die un terschiedliche Dauer der Daten verantwortlich sind, festgehalten, die dann in den weiteren Kapiteln näher untersucht werden.
Anhand dieser ersten Beobachtungen lassen sich somit zwei Parameter ableiten, die für die Länge des Arzt-Patient-Gesprächs entscheidend sein kön nen: der behandelnde Arzt sowie die Erkrankung des Patienten. Handelt es sich um eine einfach zu stellende Diagnose, wie etwa eine Entzündung, die sichtbar und deren Ursache auch schon bekannt ist, so ist das Gespräch deut lich kürzer als die standardmäßig ermittelte Dauer eines Arzt-Patient-Ge sprächs. Eine Erstkonsultation mit einem Krankheitsbild - wie häufig auftre tende Kopfschmerzen-, welches verschiedene Ursachen haben kann, nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch. Ebenfalls dauern Gespräche länger, wenn in dem Erstkonsultationsgespräch auch Beziehungskommunikation (vgl. z.B. Holly 2001) betrieben wird.
Eine Analyse des Redeanteils hat des Weiteren ergeben, dass der Redean teil der Ärzte in den Gesprächen des Analysekorpus bei durchschnittlich etwa 38,7%, der der Eltern etwa bei 23% und die Beiträge der Patienten lediglich bei ca. 5,2% liegen. In der restlichen Zeit (etwa 30,9%) findet keinerlei verbale Aktivität statt. Zumeist betrifft das die Phasen, in denen der Arzt sich etwas notiert, ein Rezept ausstellt oder den Patienten untersucht. In anderen Studi en zu pädiatrischen Gesprächen - wie etwa bei Aronsson/Rundström (1988)
- wurden ähnliche Werte ermittelt. Dass es sich bei diesen Daten jedoch nur um durchschnittliche Werte handelt, kann man mit Abbildung 1 veranschau lichen. Tatsächlich variieren die Werte nämlich von Gespräch zu Gespräch mitunter stark:
28 Schon allein deswegen, weil es sich bei der Konversationsanalyse nicht um eine 11 norma tive Wissenschaft" (Deppermann 2004, S. 20) handelt, aber auch weil die Dauer eines Gesprächs nichts über die Qualität eines Gesprächs aussagt Hierfür müssten weitere Parameter berücksichtigt werden.
80 ,00%
70,00%
60,00%
50,00%
40,00%
30,00%
20,00%
10,00%
0,000/o
Arzt - Patient - Elter (&Großeiter)
Abb. 11 Redeanteile in den Analysedaten (ohne Pausen)
Die Redebeteiligung der drei Parteien ist dabei jedoch prinzipiell immer ähn lich verteilt. Der Arzt hat zumeist einen größeren Redeanteil als die Eltern und die Patienten haben den geringsten Redebeitrag. 29 In dem Analysekorpus gibt es nur drei Erstkonsultationen mit einer anderen Verteilung: In dem Ge spräch APEG_04 hat zwar der Arzt ebenfalls den größten Redebeitrag, es ent fällt jedoch der geringste Gesprächsanteil auf den anwesenden Elter, wäh rend in den anderen beiden Gesprächen - APEG_06 und APEG_32 -, in denen eine andere Beteiligung vorliegt, die Patienten zwar wie üblich einen gerin gen Gesprächsanteil aufweisen, die Redebeteiligung der Eltern aber jeweils die des Arztes übersteigt. In beiden Gesprächen handelt es sich um Beschwer den, die den Magen- und Darmtrakt betreffen. Ebenfalls ist den Gesprächen gemeinsam, dass die Eltern subjektive Krankheitstheorien aufgestellt haben, die durch den Arzt nicht bearbeitet werden. 30 Besonders gering ist die Beteili gung der Patienten etwa in den Gesprächen APEG_03 und APEG_06. Bei APEG_03 liegt ein Problem vor, das hauptsächlich die Eltern belastet. In APEG_06 zeigt die Patientin durch gelegentliches Wimmern und Schluchzen an, dass es ihr sehr schlecht geht. So entsteht der Eindruck, dass das Befinden der Patienten oder die Symptomatik, wegen der der Arzt aufgesucht wird, nicht nur einen Einfluss darauf hat, wie lange das Gespräch dauert, sondern auch auf die Beteiligung der Patienten.31 Gestützt wird diese Vermutung auch dadurch, dass die Symptomatik die Patientin in APEG_04 sehr wenig beein-
29 Dass Ärzte den höchsten Redeanteil in den Arzt-Patient-Gesprächen haben, ist jedoch nicht ungewöhnlich. So hält u.a. Haferlach (1994, S. 8) fest, dass n[d]er Patient[...] in be stimmten Phasen des Gesprächs nicht zu Wort [kommt]".
30 In Kapitel 9 werden die Initiativen der Eltern näher betrachtet und die Auswirkungen auf das Gespräch untersucht. (Zu subjektiven Krankheitstheorien siehe z.B. auch Spranz Fogasy 2013 oder auch Birkner 2006.)
31 In Kapitel 7 wird auf diese Unterschiede in Bezug auf die Redebeteiligung näher einge gangen und untersucht werden, wieso die Redebeteiligung sich in diesen Gesprächen von der Verteilung in den anderen Gesprächen unterscheidet.
trächtigt. Die Patientin klagt über leichte Beeinträchtigungen beim Schlucken, dennoch handelt es sich bei APEG_04 um die Interaktion mit der höchsten Redebeteiligung eines Patienten (vgl. Kap. 8).
Exkurs: Korrelation zwischen der Redebeteiligung und dem Alter der Patienten
Obwohl man aufgrund des gesteigerten Erfahrungswissens der Patienten, die 11 als (noch) nicht voll sozialisierte Subjekte gelten" (Deppermann 2015, S. 14), bezüglich dieses Interaktionstyps, Krankheitserfahrungen etc. erwarten wür de, dass der Redeanteil älterer Patienten höher ist als der jüngerer Patienten
- und z.B. Tates in einer Studie ermittelt hat, dass Ärzte ältere Patientendeut lich häufiger dazu bestimmen, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen (vgl. Tates 2001) -, lassen die quantitativen Auswertungen der erhobenen Da ten zunächst einmal keinen Rückschluss auf eine Korrelation zwischen dem Alter und der Redebeteiligung der Patienten zu. Durchschnittlich weisen die Gespräche mit neunjährigen Patienten zwar mit 6,53% die höchste Redebetei ligung der Patienten auf und die Gespräche mit den siebenjährigen Patienten mit 3,15% die niedrigste, dass diese Werte jedoch nicht aussagekräftig sind, sieht man an der Darstellung der Spannweite (range):
Alter |
Beteiligung (0) |
4 Jahre |
6,39% |
5 Jahre |
4,91 % |
6 Jahre |
4,81 % |
7 Jahre |
2,59% |
8 Jahre |
3,43% |
9 Jahre |
6,53% |
11 Jahre |
5,71 % |
Alter |
Beteiligung (ran!le) |
4 Jahre |
6,39% |
5 Jahre |
0,94 % - 9,14 % |
6 Jahre |
2,86 % - 6,76 % |
7 Jahre |
2,59% |
8 Jahre |
3,43% |
9 Jahre |
2,05 % - 11,00 % |
11 Jahre |
2,05 % - 9,36 % |
Tab. 11 Beteiligung in den Analysedaten (arithmetisches Mittel)
Tab. 21 Beteiligung in den Analysedaten
(range)
Anhand der stark voneinander abweichenden Extremwerte erkennt man, dass die Patienten sich nicht etwa mit zunehmendem Alter in gesteigertem Maße selbst vertreten, sondern dass es auch innerhalb der Altersgruppen (bspw. bei den neunjährigen Patienten) jeweils eine beachtenswerte Streuung gibt. Somit scheint das Alter nicht der entscheidende Faktor für die unter schiedlich stark ausgeprägte Redebeteiligung zu sein.32
32 Die quantitative Auswertung lässt einen Rückschluss von Alter und Beteiligung nicht zu, es ist aber zu erwarten, dass Alter und Erfahrung der Patienten Auswirkungen auf die Art und Weise der Beiträge der Patienten haben. Für solche Schlüsse liegen jedoch zum
Auffällig ist darüber hinaus, dass die Beteiligung der Patienten mit Fortschrei ten des Gesprächs immer geringer wird (vgl. Tates/Meeuwesen 2000, S. 159; Schwabe 2006a, S. 50; Pantell et al. 1982, S. 398). Um diese These zu überprü fen, müssen die Gespräche in sinnvolle Abschnitte eingeteilt werden, damit diese anschließend einander gegenübergestellt werden können. Um eine sinnvolle Unterteilung in den einzelnen Phasen der Kernphase (vgl. Brinker/ Sager 1996, S. 94) pädiatrischer Erstkonsultationen vorzunehmen, findet eine Orientierung an der klassischen 11 Handlungsstru ktur des ärztlichen Ge sprächs" statt, die anhand verschiedener - dyadischer - Erstkonsultationsge spräche für das Gespräch zwischen erwachsenen Patienten und den Ärzten von Spranz-Fogasy abgeleitet wurde (vgl. z.B. Spranz-Fogasy 2005, S. 20-23).
Unter einem Handlungsschema wird ein kulturell etablierter Vorstellungs zusammenhang von Gesellschaftsmitgliedern verstanden, der Angaben über konstitutive Bestandteile der komplexen Handlung enthält (11 w as dazu ge hört"), Angaben über die logische Struktur der Handlungsentwicklung (11 w as wann kommt") und Angaben über unerläßliche Beteiligungsvoraussetzungen der Handlungsausführenden enthält (11 w as man dazu braucht"). [...] Hand lungsschemata gelten diesem Ansatz zufolge als Ordnungsstrukturen, an denen sich Interaktionsteilnehmer in ihrem kommunikativen Handeln orien tieren. (Nothdurft 1984, S. 14f.)
Die für das ärztliche Erstgespräch ermittelten Handlungsschemakomponen ten, 11 die nacheinander von den Teilnehmern hergestellt und bearbeitet wer den", sind (Spranz-Fogasy 2005, S. 21):33
Begrüßung und Gesprächseröffnung
Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration
Diagnosestellung
Therapieplanung und -entwicklung
Gesprächsbeendigung und Verabschiedung.
Diese 11 komplexe Hierarchie von Aufgaben [wird] von den Gesprächspartnern gemeinsam, nacheinander und im Wechsel[...] bewältig[t]", wobei es sichle diglich um eine 11 idealtypische Abfolge" der 11 notwendigen und fakultativen Bestandteile einer komplexen Gesprächshandlung" mit bestimmten Hand lungsaufgaben für die Gesprächsbeteiligten handelt (Spranz-Fogasy 2005,
einen zu wenige Daten vor, zum anderen unterscheiden sich die Daten bereits bezüglich der Krankheitsbilder sehr voneinander, sodass eine solche Frage mit dem erhobenen Korpus darüber hinaus nicht zu klären wäre, sondern nur angenommen werden kann.
33 Diese Handlungsschemakomponenten haben sich in der deutschen Forschungsland schaft etabliert. Deswegen werden sie an dieser Stelle zunächst unreflektiert übernom men. Im Kapitel 6 soll die Übertragbarkeit der Handlungsschemakomponenten, die z.B. bei Spranz-Fogasy (2005) für Erstgespräche in der medizinischen Praxis herausgearbeitet wurden, auf den Interaktionstyp pädiatrisches Erstkonsultationsgespräch kritisch hin terfragt und angepasst werden.
S. 20). Ermittelt wurde diese Handlungsstruktur für ärztliche Gespräche an hand von 1160 Gesprächen, die bei fünf verschiedenen Ärzten und Ärztinnen unterschiedlicher Fachrichtung (Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Urolo gie) aufgezeichnet und sprachwissenschaftlich ausgewertet wurden" (ebd., S. 21).
Beschwerdenschilderung und Untersuchung ■Diagnose ■Th erapieplanung
Filtert man die verbale Beteiligung der Patienten in der Kernphase pädia trischer Erstkonsultationsgespräche nach der Herausarbeitung der Phasen und stellt diese einander gegenüber, so fällt auf, dass die durchschnittliche verbale Beteiligung gerade in der Phase der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration am höchsten ist, während die Beteiligung in den Phasen der Diagnose und der Therapieplanung nur sehr gering ausfällt:
Abb. 21 Durchschnittliche Redebeteiligung der Patienten in Bezug auf die Handlungsschemakomponenten in der Kernphase der pädiatrischen Kommunikation
In drei Gesprächen des Analysekorpus gibt es nur in der Phase der Beschwer denschilderung eine verbale Beteiligung der Patienten. In neun weiteren Ge sprächen gibt es nur eine Beteiligung in zwei Phasen: entweder nur in der Beschwerdenschilderung und der Diagnose oder in der Beschwerdenschilde rung und der Therapieplanung. In vier Gesprächen beteiligen sich die Patien ten in allen drei Handlungsschemakomponenten der Kernphase. Dabei ist festzuhalten, dass die verbale Beteiligung in beinahe allen Gesprächen in der Phase der Beschwerdenschilderung am höchsten ist.34 Außerdem gibt es in allen Gesprächen eine verbale Beteiligung der Patienten in der Phase der Be schwerdenschilderung, während in drei Gesprächen keine und in neun Ge sprächen auch nur in einer weiteren Phase der Kernphase eine Gesprächsbe teiligung der Patienten festzustellen ist.
34 Es gibt nur ein einziges Gespräch, in dem die verbale Beteiligung in der Phase der Dia gnose höher ist als in der Beschwerdenschilderung.
Die verbale Beteiligung der Patienten nimmt also während der Kernphase des Gesprächs nach und nach ab.35
Es greift aber nach den ersten Beobachtungen und ersten Untersuchungen (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013 und Winterseheid 2015a) zu kurz, die ungleichmäßige Verteilung der Redebeiträge einfach auf einzelne Phänomene der Ausgrenzung oder Einbeziehung zurückzuführen oder prin zipiell auf den Stil des Arztes (vgl. z.B. Tates et al. 2002, S. 12; van Dulmen 2004, S. 8), der Eltern (vgl. z.B. Aronsson/Rundström 1988, S. 186) oder ande rer einzelner Faktoren, wie dem Alter in Bezug auf die verhandelten Themen (vgl. z.B. Stivers/Majid 2007, S. 433; van Dulmen 2004, S. 8). Alle diese Punkte sind entscheidend, aber nicht für sich genommen, sondern gemeinsam zu betrachten.
Allerdings kann man bereits erste Erkenntnisse festhalten: Die Länge der Gespräche hängt offensichtlich von den behandelnden Ärzten und den Be schwerden der Patienten ab. Die Interaktionen, an denen eine Ärztin beteiligt ist, dauern üblicherweise doppelt so lang wie die Interaktionen mit einem Arzt. Schwer einzugrenzende Beschwerden oder die Präsentation mehrerer Beschwerden sowie die Gegenwehr von Eltern führen ebenfalls dazu, dass Interaktionen länger dauern. Die Beteiligung der Patienten ist nicht einheit lich, aber durchgehend geringer als die Beteiligung der erwachsenen Partei en. Auf den Arzt entfällt im Gespräch üblicherweise der höchste Redeanteil. Die quantitative Beteiligung der Patienten hängt nicht von deren Alter ab, wohl aber von deren Verfassung. Um die Ergebnisse der quantitativen Analy se, die bereits mit ein paar ersten Beobachtungen verknüpft wurden, besser einordnen zu können, folgt nun zunächst eine qualitative Beispielanalyse der Kernphase eines Gesprächs.
35 Dieser Punkt wird in den nächsten Kapiteln weiter verfolgt. Im Anschluss an die nun folgende Beispielanalyse, in der dies ebenfalls nachvollzogen werden kann, findet eine Differenzierung des Handlungsschemas sowie anhand zweier Beispiele ein noch etwas differenzierterer Blick auf die jeweilige Beteiligung der Patientinnen innerhalb einzelner Phasen und Handlungsschemakomponenten statt. Darüber hinaus werden in Kapitel 8 die Aufforderung zur Übernahme der Beschwerdenschilderung, die Reaktionen auf die se sowie verschiedene Strategien zur Aktivierung der Parteien untersucht.
In diesem Kapitel wird die Beispielanalyse der Kernphase eines Gesprächs vorgenommen, da es wichtig ist, an einem Beispiel den gesamten Verlauf ei nes solchen triadisch-pädiatrischen Gesprächs nachzuvollziehen, die einzel nen Phasen als solche herauszuarbeiten, bestimmte Prozesse nachvollziehbar zu machen und die Relevanz der Fragestellungen (vgl. Kap. 3) darzulegen. Dafür wird das Gespräch zunächst grob hinsichtlich verschiedener quantita tiver Gesichtspunkte eingeordnet und sequenziell analysiert.36 Dabei ist es nicht möglich, auf alle interessanten Phänomene einzugehen, es sollen aber bereits einige Besonderheiten dieses Interaktionstyps herausgearbeitet wer den, die anschließend in der weiteren Arbeit - dann in Bezug auf das gesamte Analysekorpus - weiterverfolgt werden.
Die Beispielanalyse wird an dem dreizehnten Erstkonsultationsgespräch (APEG_13) vorgenommen, welches am 19.6.2009 in einer Praxis im alemanni schen Sprachraum zwischen einem Arzt (A_Ol), einer fünfjährigen Patientin (P_13) und ihrer Mutter (M_l3) stattfand. Der Sprechstundentermin wurde vereinbart, weil die Patientin seit einer Woche einen Hautausschlag hat, der nicht nur nicht verschwindet, sondern sich überdies noch verändert.
Das Gespräch kann u.a. deswegen als typisch eingestuft werden, da es ca. 5% Minuten lang ist und die Erstkonsultationsgespräche bei Arzt A_Ol durch schnittlich 6 Minuten dauern. Außerdem liegt die Redebeteiligung des Arztes unter Berücksichtigung der Phasen, in denen nichts gesagt wird, im gesamten Gespräch bei 23%, die der Patientin bei 4% und die der Eltern bei 21%. In 52% des Gesprächs findet keine verbale Interaktion statt. Berücksichtigt man die Pausen nicht, so unterscheiden sich die quantitativen Parameter dieses Ge sprächs nur geringfügig von den durchschnittlichen Werten:
|
Arzt |
Patient |
Elter (& Großeiter) |
APEG_13 |
55,07% |
8,59% |
36,34% |
0 |
60,00% |
8,00% |
32,00% |
Tab. 3 I Vergleich des durchschnittlichen Redebeitrags mit dem Redebeitrag von APEG _13 (ohne Pausen)
36 Ebenso wie im vorausgegangenen Kapitel wird an dieser Stelle das Handlungsschema medizinischer Gespräche (vgl. Spranz-Fogasy 2005, S. 21) unreflektiert für eine Untertei lung herangezogen. Zunächst wird das Transkript zu der entsprechenden Handlungs schemakomponente en bloc dargestellt und anschließend analysiert. Im Zuge der Bei spielanalyse wird das Handlungsschema medizinischer Gespräche, das anhand von dyadischen Erstgesprächen aufgestellt wurde, daraufhin untersucht, ob es auch für tria disch-pädiatrische Gespräche herangezogen werden kann oder für diesen speziellen In teraktionstyp eine Variation erfahren muss.
44 Beispielanalyse
Auch bei der Betrachtung der einzelnen Handlungsschemakomponenten von APEG_13 sieht man, dass die Beteiligung der Patientin P_13 sich mit der durchschnittlichen Beteiligung der Patienten des Analysekorpus weitestge- hend deckt:
Abb. 3 | Vergleich des durchschnittlichen Redebeitrags mit dem Redebeitrag von APEG_13 (ohne Pausen) unter Berücksichtigung der Handlungsschemakomponenten
Abb. 4 | Skizze des Behandlungsraums in APEG_13
Die Patientin beteiligt sich in der Phase der Diagnosemitteilung nicht verbal. Dies ist jedoch auch nur in der Hälfte der Daten gegeben. Außergewöhnlich ist hingegen, dass die Patientin bereits auf der Liege sitzt, als der Arzt das Zimmer betritt. Üblicherweise sitzen die Patienten und die sie begleitenden Eltern auf den bereitgestellten Stühlen vor dem Tisch, der in dem Sprechzim- mer steht. Diese Interaktion findet jedoch in einem sehr kleinen Behandlungs- zimmer statt, in dem nur ein einziger Stuhl steht, den die Mutter während des gesamten Gesprächs belegt. Weiterhin stehen in diesem Zimmer eine Liege und in der Ecke ein kleiner Schreibtisch mit einem Computer. Da sich der einzige Stuhl am Rand befindet, ist die Positionierung der Parteien durch den
Raum quasi „vorgegeben" (Nolda 2006, S. 317) und somit zu erwarten. Die Patientin sitzt auf der Liege und der Arzt steht direkt vor der Liege.
Nach der Begrüßung aller Gesprächsbeteiligten erkundigt sich der Arzt bei der Patientin nach dem Grund für ihr Erscheinen und leitet damit die Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration ein.
Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration
Die Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Be schwerdenexploration ist häufig die längste Phase in einem triadisch-pädiat rischen Erstkonsultationsgespräch. In dieser Interaktion fordert der Arzt die Patientin explizit dazu auf, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen.
Fallbeispiel 2:
APEG_13 (A-PwS-M; ca. 5:43min); BE (00:06.80-02:08.12); 00:06.80-02:08.12
001 |
A |
01 |
was is los mit DIR, |
||
002 |
P |
13 |
(.) ich hab (.) so STiche |
||
003 |
A |
01 |
((schnalzt)) |
||
004 |
P |
13 |
(.) |
0 h |
(.) oder irgendwas so DA-= |
005 |
P |
13 |
=und wir wissen nicht WAS. |
||
006 |
A |
01 |
(0.73) seit WANN haste de[s denn, |
||
007 |
M |
13 |
[s seit l]etzten FREItag- |
||
008 |
M |
13 |
(.) da war_ma auf_m SPIELplatz un ich hab erst gedacht |
||
|
|
|
es wärn stiCHE; |
||
009 |
M |
13 |
(0.74) weil des eigentlich relativ |
||
010 |
M |
13 |
(.) JA,=es sah halt aus wie stiCHE |
||
011 |
M |
13 |
(0.21) un jetz wird des aber imMER |
||
012 |
M |
13 |
( 0. 49) |
||
013 |
P |
13 |
boa[ng |
||
014 |
M |
13 |
[imme]r(.) KOmischer- |
||
015 |
M |
13 |
un die gehn auch gar net WEG- |
||
016 |
M |
13 |
ich hab da mal mit feNIStilgel s probiert |
||
017 |
M |
13 |
aber des hat auch NIX gebracht- |
||
018 |
M |
13 |
und sie sagt es fängt jetzt auch an zu JUCKen; |
||
019 |
|
|
(2 .1 7) |
||
020 |
A |
01 |
zeig mal HER, |
||
021 |
|
|
( 8 .1) |
||
022 |
M |
13 |
dann hatte sie au mal ne HOse an die genau an der stelle |
||
|
|
|
en kopf hatte;= |
||
023 |
M |
13 |
=wo ich gedacht [hab ((unverständlich))] |
||
024 |
A |
01 |
[ziehs mal GANZ ]aus. |
||
025 |
|
|
( 0. 46) |
||
026 |
M |
13 |
ob des vielleicht irgendwie ä al[ler ]GIE oder was i [s, l |
||
027 |
P |
13 |
[(oh) |
028 |
P |
13 |
[ps]up[s |
|
029 |
M |
13 |
[so ]ä kontaktallerGIE? |
|
030 |
P |
13 |
(klitsch) |
|
031 |
|
|
(5.08) |
|
032 |
A |
01 |
hm; |
|
033 |
|
|
( 0. 52) |
|
034 |
M |
13 |
hm; |
|
035 |
|
|
(5. 0) |
|
036 |
A |
01 |
sind ja richtige BLÄ:Schen; |
|
037 |
A |
01 |
( 0. 24) |
|
038 |
M |
13 |
ge[ll; |
|
039 |
A |
01 |
[und ]in GRUPPen; |
|
040 |
|
|
( 0. 6) |
|
041 A 01 0 h (0.29) is eherne HERpesinfektion |
||||
042 |
|
|
( 0. 35) |
|
043 |
M |
13 |
ja EHRlich, |
|
044 |
A |
01 |
( 0. 7) |
|
045 |
XX |
|
((schnieft)) |
|
046 |
|
|
( 0. 2) |
|
047 |
M |
13 |
wo KRIEGT man so was? |
|
048 |
A |
01 |
(5.04) sons has de se nirgendWO; |
|
049 |
A |
01 |
[rutsch malen stück]chen RUNter- |
|
050 |
M |
13 |
[mhmh |
|
051 |
|
|
(1.28) |
|
052 |
M |
13 |
mhmh |
|
053 |
|
|
(2.89) |
|
054 |
A |
01 |
und es JUCKT, |
|
055 |
|
|
(1.0) |
|
056 |
M |
13 |
die LETZten tage sagt sie es juckt;=gä, |
|
057 |
M |
13 |
vorher hat s nich [geJUCKT, ] |
|
058 |
P |
13 |
[hm ][ja |
|
059 |
A |
01 |
|
[gu lt- |
060 |
|
|
(11.4) |
|
061 |
A |
01 |
oh ( .) warn das GLEICH solche bläschen oder; |
|
062 |
M |
13 |
(0.72) NEE-=des sah ERSCHT aus wie stiche; |
|
063 |
A |
01 |
(3.49) also die sin ja jetz FLÜSsig [(ausgefüllt)-=ne, |
|
064 |
M |
13 |
[JAja (.) jaja; |
|
065 |
|
|
(1.01) |
|
066 |
M |
13 |
NEE- |
|
067 |
M |
13 |
(.) die die sahen vorher aus |
|
068 |
M |
13 |
also im prinzip wie so kleine hm |
|
069 |
M |
13 |
wie kleine+++++++++ ah da hat sie was GSTOCHen irgendwie; |
|
070 |
A |
01 |
(.) hmhm |
|
071 |
|
|
(1.27) |
|
072 |
P |
13 |
(un/hm) da |
|
073 |
|
|
(1.64) |
|
074 |
P |
13 |
oder war es (.) <<piano> (dunkler) > |
075 ( 1. 64)
076 A 01 in der mitte is da so en (.) schwarze PÜNKTchen,
Nach der Begrüßung startet der Arzt mit der 11 inha ltliche[n] Frage" (Spranz Fogasy 1987, S. 298; Hervorhebung im Original) was is los mit DIR, (Z. 001).37 Schon allein durch die Formulierung der Frage wird zunächst einmal die Pa tientin adressiert und diese dazu aufgefordert, mit der Beschwerdenschilde rung zu beginnen. Das wird deswegen augenscheinlich, da üblicherweise die Patienten gedutzt, während die sie begleitenden Elternteile oder Großeltern gesiezt werden. 38
Die patientenseitige Schilderung soll gemeinhin dazu beitragen, das Wis sen bezüglich der Beschwerden 11 in einem interaktiven Prozeß in gemeinsa mes Wissen [umzuwandeln] und zwar mindestens so weit, daß der Arzt mit diesem Wissen und seinem typisierten professionellen Wissen therapeutische Schritte einleiten kann" (Spranz-Fogasy 1987, S. 295).
Zugleich wird mit der Frage aber auch der Wissensstand des Arztes wi dergespiegelt, mit dem er das Sprechzimmer betrat. Er erfragt Einzelheiten zu dem speziellen Umstand, der die Patientin in seine Praxis führt. Der Arzt setzt also bereits voraus, dass der Gesundheitszustand der Patientin von der Nor malform abweicht und die Patientin nicht wegen einer Vorsorgeuntersu chung, einer Impfung o.Ä. zu ihm gekommen ist. Der Arzt macht von diesem Wissen Gebrauch und positioniert sich zudem als Wissender (,,Selbstpositio nierung" (Lucius-Hoene/Deppermann 2004, S. 169; Hervorhebung im Origi nal)). Dass der Arzt bereits weiß, dass die Patientin wegen eines bestimmten Anliegens zu ihm kommt, liegt zum einen darin begründet, dass es in den meisten Praxen zum einen bestimmte Zeiten gibt, zu denen die Vorsorgeun tersuchungen, Impftermine etc. und in denen die Sprechstundentermine für akute Fälle stattfinden. Das heißt, dass der Arzt bereits durch die Tageszeit weiß, dass es sich nicht um eine Vorsorgeuntersuchung oder Impfung han delt. Zum anderen wird zumeist schon bei der Terminvereinbarung oder bei der Ankunft in der Praxis zwischen der Arzthelferin und den Eltern geklärt, weswegen der Arzt in diesem Fall aufgesucht wird. Diese Information wird festgehalten und dem Arzt in den meisten Fällen auch kurz vor Betreten des Behandlungszimmers mitgeteilt.
Die Patientin reagiert auf die an sie gerichtete Frage. Die erste Intona tionsphrase,39 die die Patientin produziert, ist bereits sehr implikativ. Denn sie benennt mit der Äußerung ich hab (.) so STiche- (Z. 002) zunächst einmal ein relativ handfestes medizinisches Phänomen, nämlich Stiche, welche als Ursa-
37 Zu Gesprächseröffnungen vgl. z.B. Spranz-Fogasy (1987) und Kapitel 8.1.
38 So verhält es sich auch in allen Interaktionen des Analysekorpus.
39 Bei einer Intonationsphrase handelt es sich um „eine zusammenhängende Einheit", die sich „durch einen als kohäsiv wahrgenommenen Tonhöhenverlauf" auszeichnet (Selting et al. 2009, S. 370).
ehe für den Arztbesuch angeführt werden.40 Bei einem Stich handelt es sich in diesem medizinischen Zusammenhang um eine Verletzung, die durch das Eindringen von etwas Spitzern, wie bspw. dem Stachel eines Tieres oder dem Dorn einer Pflanze, entstanden ist, und da hier das Präsens verwendet wird, auch noch sichtbar sein wird.
In dem Moment, in dem sie die Stiche erwähnt, vollzieht die Patientin eine Körperdrehung, sodass sie ihre linke Seite mehr in das Blickfeld des Arztes dreht, und fährt sich mit der linken Hand über eine bestimmte Stelle am lin ken oberen Oberschenkel.
11
11 11
Diese Aktivität gipfelt darin, dass sie sich in dem Augenblick, in welchem sie das Deiktikum DA- (Z. 004) realisiert, mit der flachen Hand auf diese Stelle auf ihrer Hose klopft, obgleich der Arzt zu diesem Zeitpunkt nicht sehen kann, worauf sie verweist, weil sie die Hose noch trägt. Damit lokalisiert sie jedoch bereits multimodal die entsprechende Stelle und deutet auch nonver bal auf ein wahrnehmbares Phänomen hin. Nachdem sie bei DA-(Z. 004) auf die entsprechende Stelle geklopft hat, streicht sie erneut über den Oberschen kel. Der Körper eines Patienten stellt in einer Erstkonsultation per se einen spezifische[n] Raum" dar, dessen Relevan z [...] noch vor dem Eintritt" in die tatsächliche Arzt-Patient-Interaktion etabliert" (Stukenbrock 2008, S. 2) wird. Durch die Beschwerdenschilderung und den Hinweis auf die betroffe ne Körperregion wird diese Stelle durch die Patientin zusätzlich durch verba le wie nonverbale Mittel 11 in den Aufmerksamkeitsfokus gerückt" (ebd.). Das Besondere an dieser Situation ist:
Beim Zeigen am eigenen Körper ist der Körper des Zeigenden identisch mit dem Körper, auf den gezeigt wird, so dass der Körper des Zeigenden zum se miotischen Doppelraum wird. Er ist sowohl zeigender Körper bzw. Zeigesubjekt also auch gezeigter Körper bzw. Zeigeobjekt. Das bedeutet, dass der Körper, der die Zeigegesten ausführt, zugleich der Verweis- bzw. Suchraum seiner eigenen Zeigegesten ist. (Stukenbrock 2008, S. 8; Hervorhebungen im Original)
Stukenbrock weist darauf hin, dass der Patient diese 11 Herstellung des Ver weisraums leisten und aufrechterhalten muss" (ebd., S. 9), was die Patientin in
40 Auf die 11 kogni tiv-pragmatischen Schemata" zu 11 Problempräsenta tion" (vgl. Nothdurft 1984) kann in dieser Arbeit - wie auch auf die 11 Lösungsentwicklung" - nicht eingegan gen werden (Kallmeyer 2014, S. 256).
diesem Fall einerseits über die Drehung des Körpers leistet und andererseits durch die Bewegung ihrer Hand über der entsprechenden Stelle sowie dem Klopfen durch diese auf diese Stelle und der simultanen Realisierung des Deiktikums. Die Drehung des Körpers führt dazu, die betroffene Stelle in den Blickraum des Arztes zu drehen, die Bewegung der Hand verengt den infrage kommenden Bereich auf eine begrenzte Hautpartie und mit dem Verbalen un terstützt sie diesen Bezug auf etwas Wahrnehmbares (vgl. z.B. Stukenbrock 2008; Schegloff 1984; Schmitt 2005; Deppermann/Schmitt 2007). Die Patientin selbst blickt den Arzt weiterhin an, kann aber natürlich ihre eigene Berührung der entsprechenden Stelle spüren (vgl. Stukenbrock 2008, S. 14).
11
Durch das als Demonstrativpronomen verwendete Adverb so (Z. 002/004) sowie das Indefinitpronomen irgendwas (Z. 004) zeigt sie aber auch an, dass es sich bei der Hautirritation um etwas handelt, das sich von Stichen in irgend einer Art und Weise unterscheidet. Durch diesen Heckenausdruck signalisiert die Patientin an dieser Stelle, dass sie sich nicht auf die eingeführte subjektive Krankheitstheorie festlegt .41 In der nächsten Intonationsphrase wird dann die Aufweichung noch weitergetrieben, indem sie mit =und wir wissen nicht WAS. (Z. 005) die Einordnung nun völlig zurücknimmt und gleichzeitig ein kollektives Nichtwissen der Hautirritation gegenüber postuliert. Dies wird noch dadurch gesteigert, dass sie das WAS (Z. 005) prosodisch markiert. Die Patientin lässt an dieser Stelle offen, inwiefern die Stiche sich von normalen" Stichen unterscheiden und was das Unbekannte ist, das sie nicht kennen. Die Konstruktion lässt weiterhin offen, ob sie das Symptom meint, das nicht ein geordnet werden kann, oder ob es darum geht, was nun zu tun sei. Mit der zunehmenden Form der Relativierung geht jedoch gleichzeitig auch eine stei gende Präzisierung einher. Es wird von der Patientin auf eine zuvor aufge stellte Annahme referiert, die besprochen und vor dem Sprechstundenge spräch schon wieder zurückgenommen wurde. Dass es sich um etwas handelt, was ausgehandelt wurde, wird dadurch klar, dass sie hier nicht nur von ih rem eigenen Nichtwissen spricht, sondern auch mittels kollektivem Wir (siehe auch Kap. 8.4) noch mindestens ihre Mutter miteinbezieht. Durch das Eingestehen des Unwissens legitimiert sie zum einen den Arztbesuch (,,doc torability", Heritage/Robinson 2006), da der Arzt Experte bei der Bestimmung des Phänomens und des weiteren Vorgehens ist und dem Nichtwissen der Laien Wissen entgegensetzen kann (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28ff.). Zum anderen schließt die Formulierung neben den verantwort lichen Personen auch die Patientin selbst mit ein. Dass die Patientin sich hier zum Kollektiv rechnet, symbolisiert ein selbstbestimmtes Agens (vgl. z.B. Kook 2015; Schwabe 2006b). Selbstbewusst präsentiert sie sich auch, indem
41 Wüstner (2001, S. 309) definiert subjektive Krankheitstheorien als ,,Vorstellungen über die Verursachung einer Krankheit und über die Beeinflussbarkeit". Zu subjektiven Krankheitstheorien vgl. auch Kapitel 9.
sie, als Trägerin der Symptome, selbst mit der Beschwerdenschilderung be ginnt. Darüber hinaus aktiviert sie nun mit der letzten Formulierung daneben auch die Mutter, die sich nach der Begrüßung zunächst verbal zurückgehal ten hatte. Denn 11 [ w ]enn ein Sprecher als Teamsprecher auftritt, ist er nicht der alleinige Eigner seines Beitrags", weswegen 11 seine (schweigenden) {Ko-Eig ner} ebenfalls Rechte auf diesen Beitrag haben und für dessen Inhalte und Konsequenzen mitverantwortlich sind" (Bauer 2009, S. 127).
Dieser Hinweis einer Person - hier der Patientin - auf das Ensemble, zu dem sie, aber auch eine weitere anwesende Person gehören, 11 erlaubt es den Teammitgliedern einzugreifen und z.B. Fehler zu korrigieren (auch an Stel len, die nicht für einen Sprecherwechsel geschaffen sind und auch wenn sie nicht als nächster Sprecher gewählt wurden)" (ebd.).
11
Die Patientin ist der Aufforderung des Arztes gefolgt und hat mit der Be schwerdenschilderung begonnen. Nachdem sie geendet hat, fällt das Re derecht (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974) aufgrund der 11 Sequential Orga nization of a Typical Three Part Structure", die aus 11 Initiation", 11 Reply" und Evaluation" besteht, 42 aber auch weil es sich bei dem Arzt um den steuern den Gesprächsbeteiligten dieser Interaktion handelt, der wegen seiner Profes sion mit den Rechten für diese Beteiligungsrolle ausgestattet ist, zunächst an den Arzt zurück (vgl. Quasthoff 1990), zumal die Patientin auch während der Bearbeitung den Blickkontakt zum Arzt aufrecht hält und sich nicht etwa der Mutter zuwendet.
Innerhalb des Gesprächs existieren bestimmte Gesprächsabschnitte, in de nen entweder der Patient oder der Arzt die 11 Zustän digkeit" hat (Overlach 2008, S. 173f.). Auf der Ebene der Gesprächsorganisation bedeutet das, dass nach dem Ende einer Ebene einer Diskurseinheit (oder einer TCU im weiteren Sinne) das Rederecht nicht frei disponibel ist, sondern an den oder die mo mentan zuständigen Sprecher zurückgeht (vgl. ebd., S. 173f.).
Der Arzt reagiert auch und geht zunächst nicht auf das Problematische in den bisherigen Äußerungen ein, sondern erfragt Informationen, die die Pati entin bisher nicht gegeben hat.43 Er fragt sie nach dem Zeitpunkt des Auftre tens dieser sichtbaren Veränderung am Körper (Z. 006). Damit reagiert er dennoch in mehrerlei Hinsicht auf die Äußerung der Patientin: Einerseits ist die Frage ganz klar an die Patientin adressiert. Die Patientin hat sich als dieje nige etabliert, die die Frage des Arztes beantwortet hat und beantworten konnte, und so wählt er sie erneut als Adressatin seiner nächsten Frage aus. Damit signalisiert er den Beteiligten, dass er ihr die Beantwortung der nächs-
42 Vgl. Mehan (1979), der selbst, indem er sich auf Shuy (1976), Doeblen (1979) und Fischer (1979) bezieht, angibt, dass es sich um eine Struktur handelt, die man auch in ärztlichen Gesprächen findet.
43 Dies ist jedoch keine Besonderheit pädiatrischer Gespräche. Auch in Arzt-Patient-Inter aktionen mit erwachsenen Patienten sind 11 typischerweise erste Problempräsentationen in der Regel unvollständig" (Kallmeyer 2014, S. 256).
ten Frage ebenfalls zutraut, denn Ärzte haben 11 a strong preference for answer over non-answer response" (Stivers/Majid 2007, S. 426).44 Dies kann - wie auch hier - bereits durch die Verwendung der zweiten Person Singular ge schehen, da Kinder in der westlichen Kultur geduzt werden. Andererseits zollt er ihrer Beschreibung in dem Sinne Anerkennung, dass er das Beschrie bene mit de[s (Z. 006) umschreibt und sich auch kohäsiv darauf bezieht. Somit hat er die Abwahl der Stiche nachvollzogen und bezieht sich auf das Unbe kannte, über das die Patientin ihn aufgeklärt hat.
Noch bevor der Arzt seine Äußerung beenden kann, wählt sich jedoch die Mutter selbst als Sprecherin (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Dass sie un terstellt, dass ihre Tochter den genauen Zeitpunkt nicht kennen kann, und sie deswegen eingreifen muss, kann an dieser Stelle ausgeschlossen werden, da sie in diesem Fall die Reaktion der Patientin hätte abwarten und dann ein schreiten können, wenn erkennbar geworden wäre, dass diese die Frage nicht beantworten kann. Eine explizite Abwahl der Patientin findet durch die Bean spruchung des Rederechts vor dem TRP (vgl. Sacks/Schegloff!Jefferson 1974)45 in jedem Fall statt, da sie der Tochter nicht die Möglichkeit lässt, auf die an diese gerichtete Frage zu reagieren. Die Selbstwahl der Mutter kann damit zusammenhängen, dass sie von der Tochter durch die Verwendung des kol lektiven Wirs dazu eingeladen wurde, sich an der Interaktion zu beteiligen, und damit, dass die Patientin nach ihrer Schilderung und simultan zu denn, (Z. 006) beginnt, sich für eine Untersuchung vorzubereiten, indem sie ihre Sitzposition verändert und damit beginnt, sich die Hose aufzuknöpfen und etwas herunterzuziehen. Dadurch signalisiert sie der Mutter und dem Arzt, dass sie ihre Schilderung beendet hat und sie sich für einen weiteren Schritt
- nämlich die körperliche Untersuchung - vorbereitet, den sie an dieser Stelle antizipiert.
Offensichtlich sieht die Mutter sich aber auch bezüglich der Krankheitsge schichte in der Verantwortung und meldet sich in dem Moment zu Wort, in
44 Hierbei verweisen die Autoren auch auf die Studien von Clayman (2002) und Stivers/ Robinson (2006).
45 Bei einem TRP handelt es sich um einen Punkt, an dem ein Sprecherwechsel möglich ist. Dieser kann durch intonatorische und semantische Mittel vom aktiven Sprecher ange zeigt werden.
dem es um die Chronologie der Geschehnisse etc. geht (vgl. Quasthoff 1990,
S. 70-75). Damit handelt es sich um eine Aushandlung über die Rechte bezüg lich des Auskunftgebens zu bestimmten Informationen. Das Eingreifen der Mutter käme in diesem Fall einer Korrektur der Adressierung durch den Arzt gleich,46 der die zuständige Person übergangen hat, zumal diese von der Pati entin auch noch aktiviert wurde. Die Erstbeschreibung der Symptomatik ist an den Körper der Patientin gebunden, womit ein 11 primary access to a target ed element of knowledge or information" einhergeht (Heritage 2012, S. 4). Deswegen liegt die epistemische Autorität bei der Thematisierung der Be schwerden ganz klar im Zuständigkeitsbereich des Kindes (vgl. z.B. Heritage/ Raymond 2005 und die Ausführungen im Zwischenfazit des Kapitels). Die Mutter stilisiert sich mit dem Einschreiten somit jedoch als Chronistin der Krankengeschichte und zeigt durch die Übernahme des Rederechts deutlich, dass die epistemische Autorität bzgl. des kognitiven Rahmens (Erinnerungen, Chronologie der Ereignisse, vorausgegangene Diagnosen) bei ihr liegt bzw. dass sie sich hier für zuständig erachtet und dies - nach ihrer Auffassung - nicht im Verantwortungsbereich des Kindes liegt. Es handelt sich um getrenn te Felder und die Rechteverteilung mit der epistemischen Autorität bezüglich dieser Felder. Alle Gesprächsbeteiligten scheinen bei der Erstbeschreibung der Meinung zu sein, dass dies in den Zuständigkeitsbereich der Patientin fällt. Schließlich stellt der Arzt die Frage an die Patientin, die darauf reagiert, ohne dies an die Mutter weiterzugeben, und die Mutter auch nicht in erkenn barer Form einschreitet. Allerdings scheint es bei der nächsten Frage zumin dest zwischen dem Arzt und der Mutter dissonante Einschätzungen darüber zu geben, wer nun diese Frage beantworten sollte. Dadurch, dass die Patien tin zuvor - und zwar bevor die Mutter das Wort ergriffen hat - signalisiert hat, dass sie die Beschwerdenschilderung abgeschlossen hat und sich gerade anschickt, die Hose auszuziehen, liegt hier trotz Übernahme einer Antwort, die der Arzt von der Patientin gefordert hatte, keine Rederechtskonkurrenz vor. Vielmehr treten die beiden Gesprächsbeteiligten hier quasi als Ensemble auf, das gleichermaßen die Anamnese übernimmt.
Die Mutter antwortet mit dem Hinweis [s seit l]etzten FREItag- (Z. 007) zunächst auf seine Frage nach dem Datum. Da der Sprechstundentermin ebenfalls an einem Freitag stattfindet, identifiziert die Mutter die Zeitdauer, seit der etwas festgestellt wurde, was von der Normalform abweicht, mit ei ner Woche. Sie beantwortet aber nicht nur die Frage des Arztes bezüglich des Auftretens der Beschwerden, sondern geht neben der zeitlichen Einordnung auch noch auf die Chronologie der Ereignisse ein:
46 Auf Korrekturen und Reparaturen kann in dieser Arbeit leider nur sehr knapp einge gangen werden. Zu Korrekturen und Reparaturen siehe Exkurs: Reparaturen und Kor rekturen in Kapitel 8.
007 M 13
008 M 13
[s seit l]etzten FREItag-
(.) da war_ma auf_m SPIELplatz un ich hab erst gedacht es wärn stiCHE;
Dabei wiederholt die Mutter die bereits von der Patientin genannte erste Ein schätzung der Hautirritation. Sie geht allerdings etwas narrativer und ausge bauter auf diese subjektive Krankheitstheorie (vgl. z.B. Birkner 2006 und auch Kap. 9) und die Umstände ein. Dass die Antwort der Mutter mehr beantwor tet, als der Arzt erfragt hat, ist des Weiteren nicht besonders hervorzuheben, da erfahrene Patienten in einem Arzt-Patient-Gespräch üblicherweise mehr antworten, als sie gefragt wurden (vgl. Spranz-Fogasy 2010). Regelmäßig sind die Antworten dabei auch 11 nicht nur quantitativ umfangreicher", sondern 11 au ch inhaltlich differenzierter und elaborierter" (ebd., S. 81). Sie nennt neben dem Zeitpunkt auch noch einen Ort, der von ihr mit der Hautirritation in Zusammenhang gebracht wird. Auffällig ist dabei, dass die Mutter zwar am Anfang der Intonationsphrase hinsichtlich der Handlungsbeschreibung das kollektive Wir der Patientin wiederholt, aber die Beurteilung der Hautirritati on als eigene Leistung präsentiert. Obwohl sie die subjektive Krankheitstheo rie, die die Tochter bereits erwähnt hatte, wiederaufgreift, löst sie an dieser Stelle das II wir" auf und verweist auf die eigene Autorenschaft der von der Tochter bereits erwähnten und nun erneut aufgegriffenen subjektiven Krank heitstheorie, die nebenbei auch von ihr als eine verworfene Theorie darge stellt wird. Subjektive Krankheitstheorien sind also 11 vermutet[e] Ursachen" (Wüstner 2001, S. 309), die eine Krankheit betreffen. Solche Krankheitstheori en wie auch die damit zusammenhängenden Wissenszuschreibungen fallen offenkundig nach ihrem Ermessen ebenso in ihren Zuständigkeitsbereich wie der Bericht über die Chronologie der Ereignisse, was somit ebenfalls durch sie repariert wird.
Nach einer Pause von 0,74 Sekunden fährt die Mutter fort, bricht die ange fangene Äußerung dann aber wieder ab. Nach einer Mikropause setzt sie dann erneut an, ohne die Gründe für die subjektive Krankheitstheorie weiter auszuführen und schließt mit JA,=es sah halt aus wie stichE (Z. 010) an. Hier liegt der Akzent erneut auf stiCHE (Z. 010), was ein Indiz dafür sein kann, wie präsent diese subjektive Krankheitstheorie bisher war/ist. Gleichzeitig steckt in beiden Äußerungen der Mutter zu den Stichen, dass die subjektive Krank heitstheorie bereits verworfen werden musste, denn es sah halt aus wie stiCHE (Z. 010), bedeutet, dass es nur so aussah, tatsächlich aber etwas anderes ist/ sein muss. Sie liefert dem Arzt aber bereits viele wertvolle Informationen, wie der Verweis auf etwas die Haut Betreffendes, was sich eher von der Haut ab hebt und sich auch von einer Erhebung unterscheidet. Auch die Ablehnung dieser selbst erwähnten subjektiven Krankheitstheorie verweist darauf, dass hier eine Beobachtung der Hautirritation stattgefunden hat, die den ersten Eindruck unwahrscheinlich erscheinen ließ. In dem zweiten Verweis der Mut ter auf die subjektive Krankheitstheorie wird ferner auf das Aussehen der Sti-
ehe eingegangen, was von dem Arzt möglicherweise nicht mehr nachvollzo gen werden kann, da sie auch die Beschaffenheit der Stiche als vorherig beschreibt. Damit liegt der Schluss nahe, dass sich das Aussehen der Stiche in der Zwischenzeit verändert hat. In der Zeile 11 erfolgt nun durch die Mutter erneut ein Anschluss mit un jetz (Z. 011). Das zeigt, dass sie weiterhin der Narration der chronistischen Perspektive verhaftet bleibt. Die Kausalität er scheint sekundär, sonst hätte sie möglicherweise ein 11 aber" vorangestellt. Die nächste Äußerung der Mutter jetz wird des aber imMER- [...]immer(.) KOmi scher- (Z. 011/014) erscheint dessen ungeachtet in sich nicht konsistent zu sein, denn zum einen macht sie durch das Tempus deutlich, dass es eine Ver änderung gibt, die gerade zu beobachten ist, zum anderen beschreibt immer (Z. 014) einen Prozess. Sie verweist darauf, dass sie den Termin in dem Mo ment vereinbart hat, in dem sie gesehen hat, dass es schlimmer wird. Die Reformulierung der Aussage der Tochter vollzieht sich also in mehreren Punkten ähnlich wie deren Beitrag: So wird jeweils dieselbe subjektive Krank heitstheorie eingeführt, die dann anschließend abgewählt wird. Ganz analog zur Aussage der Patientin findet nach der Abwahl der Stiche auch bei der Mutter eine andere Proform (vgl. z.B. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001,
S. 217f.) Verwendung. Sie spricht hier ebenfalls von des (Z. 009/011). Gleich zeitig handelt es sich bei der Abwahl der Stiche und der Fokussierung auf ein unbekanntes Phänomen um eine Relevanzhochstufung des Phänomens und damit um die Legitimierung, diesen Sprechstundentermin mit der Patientin wahrzunehmen. Des Weiteren beinhaltet die Darstellung unterdessen auch die Legitimierung, erst nach einer Woche zu kommen (doctorability), da sie die Symptome zunächst als harmlos kategorisiert hat. Somit wird die soziale Ka tegorie der Erziehungsberechtigten sowie eine mögliche Facebedrohung im plizit thematisiert.47 Es scheint also einen schmalen Grat zwischen der Einstu fung als übervorsichtig und unverantwortlich zu geben. So stellt die Mutter heraus, dass es eine Hautirritation gibt, die anfangs an normale Stiche erin nerte und damit keinen Grund dafür darstellte, zum Arzt zu gehen. Mit einer Veränderung der Hautirritation und der Abwahl der subjektiven Krankheits theorie wurde hingegen ein Arztbesuch notwendig. Somit ist die Darstellung der Chronologie der Ereignisse und Überlegungen auch eine Plausibili sierung der Ereignisse. Dies erklärt überdies, warum die STiche/stiCHE (Z. 002/010) jedes Mal in dieser prosodisch auffälligen Art von der Mutter ak zentuiert werden. Auch um das Fremdbild der verantwortungsvollen Mutter aufrechtzuerhalten, ist ein frühes Einschreiten strategisch wichtig, bevor ein gegenteiliger Verdacht aufkommen kann. Weiterhin wird durch die Mutter und die Patientin trotz Abwahl der Stiche etabliert, dass die Ursache für die
47 Das Konzept der „Face threatening acts" nach Brown/Levinson (1987, S. 65ff.) basiert auf dem Face-Konzept von Goffman (1967), zum Konzept der „doctorability" vgl. z.B. He ritage/Robinson (2006).
Hautirritation auf dem Spielplatz zu finden sei oder zumindest von etwas herrührt, was außerhalb des Hauses und in der Natur zu finden ist.
Die Patientin hüpft während der weiteren Anamnese, an der sie verbal nicht mehr beteiligt ist, auf der Liege herum und äußert ein boa[ng (Z. 013), das sich nicht auf das gerade Verhandelte bezieht .4 8 Dadurch zeigt sie an, dass sie sich nun anderweitig engagiert. Die Mutter blickt kurz zu ihrer Tochter und fährt dann fort. Nun formuliert sie eine Tatsache, die aus dem bereits Ausgeführten abgeleitet werden kann, und nennt darüber hinaus ein einge setztes Mittel, das zu keiner Besserung geführt hat:
015 |
M |
13 un die gehn auch gar net WEG- |
016 |
M |
13 ich hab da mal mit feNIStilgel s probiert |
017 |
M |
13 aber des hat auch NIX gebracht- |
Erneut folgt ein Anschluss mit 11und". Auch hier wird signalisiert, dass etwas Neues kommt. Das Neue wird damit erneut in die chronologische Abfolge der Ereignisse eingeordnet, wobei sie die Information auch mit 11 das heißt" hätte einführen können, denn wenn etwas immer(.) KOmischer (Z. 014) wird, bedeutet es auch, dass das Beschriebene noch vorhanden ist. In dieser Äuße rung bezieht sie sich nun - ersichtlich durch die Pluralform des Artikels (Z. 015) - auch wieder auf die stiCHE (Z. 010). Die subjektive Krankheitstheo rie erscheint dominant. Die Mutter kann sich bei ihrem Bericht nicht von der subjektiven Krankheitstheorie lösen. Sie referiert erneut auf die Stiche, auch wenn die Veränderung der vermeintlichen Stiche zu einer Abwahl der subjek tiven Krankheitstheorie geführt hat. Der Arzt hatte mit dem neutralen de[s (Z. 006) auf die Abwahl der Stiche durch die Patientin reagiert und sich damit auf das Unbekannte bezogen, das beschrieben wurde. Auch die Mutter ver wendet erst wieder an dieser Stelle das Demonstrativpronomen der 3. Person Plural, das zwar nicht geschlechtsmarkiert ist, aber durch die Verwendung des Plurals wieder auf die Stiche verweist, nachdem sie nach der Abwahl der Stiche, die sie selbst vorgenommen hatte, zunächst mit des (Z. 011) auf die Hautirritation referiert hat. Das zeigt, dass die Mutter ständig nach den ver meintlichen Stichen gesehen und das Phänomen nicht aus dem Blickfeld ver loren hat. Dabei wird auch die Voraussetzung für den erforderlichen Arztbe-
48 Diese Äußerung der Patientin stellt keine Reaktion auf das zuvor Gesagte dar. Der Bei trag gehört dennoch zur Interaktion, denn die Mutter reagiert durch ein kurzes Absetzen auf die Äußerung. Nur dadurch, dass auch dieser Beitrag im Transkript festgehalten wird, wird die Mikropause der Mutter nachvollziehbar, die sich kurz zur Patientin um blickt, bevor sie weiterredet. Ferner kann man diese und andere Äußerungen - trotz der Veränderung des 11 participation framework" (Goffman 1981) - nicht als Hinweise für das Abschalten der Kinder annehmen, da diese in den meisten Fällen dennoch sehr feinfüh lig auf das Geschehen reagieren, wohl aber als Anzeichen dafür, dass das Kind nicht da von ausgeht, dass es zur derzeitigen Phase etwas beitragen soll und akzeptiert, dass zu nächst einmal der Elter/die Eltern - in diesem Fall die Mutter - und der Arzt verbal miteinander interagieren.
such geschaffen, denn das, was am Oberschenkel der Tochter zu sehen ist, auch wenn es keine Stiche sind, ist nach einer Woche immer noch vorhanden und wird überdies auch noch KOmischer (Z. 014). Diese Aussage wird sehr dringlich präsentiert und die Stimmlage der Mutter geht bei den letzten Fest stellungen nun extrem nach oben.
Die Mutter bearbeitet während ihres bisherigen Berichts demnach perma nent unterschiedliche Anforderungen: die chronologische Rekonstruktion des bisherigen Krankheitsverlaufs und die Bearbeitung einer möglichen Be gründungs- und Vorwurfsstruktur, der sie sich ausgesetzt fühlt oder die sie als nötig erachtet. Daneben geht sie auf die subjektive Krankheitstheorie ein, verortet damit den Grund für die Hautirritation außerhalb des Hauses und rückt das Phänomen durch das Aussehen der Reaktion in die Nähe von Sti chen. Ab Zeile 15 berichtet nun die Mutter das erste Mal von einer wirklichen Maßnahme, stuft diese aber gleichzeitig herab, indem sie schildert, dass es sich hier lediglich um einen Versuch gehandelt hat. Die Mutter macht wenige oder sehr kurze Pausen und zeigt auch durch die gleichbleibende Tonhöhen bewegung am Intonationsphrasenende an, dass sie das Rederecht noch nicht wieder abgeben möchte (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Erneut spricht sie, als sie das eingesetzte Medikament erwähnt, nur von sich. Die Anwen dung von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln fällt nach Ansicht der Mutter demnach offensichtlich ebenso in ihre Zuständigkeit.
Durch den Verweis auf das eingesetzte Gel, welches häufig nach Insekten stichen verwendet wird,49 wird somit erneut der Bezug zu Stichen infolge des Spielplatzbesuchs hergestellt. Die Aufzählung der Mutter lässt vermuten, dass sie das Mittel eingesetzt hat, nachdem sich die Stiche bereits veränder ten. Es wäre jedoch auch möglich, dass das Gel bereits mit Auftreten der Hautirritationen eingesetzt wurde. Das kann aber an dieser Stelle nicht zwei felsfrei geklärt werden. Durch die Formulierung stellt sie erneut heraus, dass sie bei dem Hinzunehmen des Mittels die Agierende gewesen ist, womit sie sich erneut als Verantwortliche für ein weiteres Feld stilisiert. Sie ist zuständig für die Einordnung der Symptome, die ihr Kind betreffen, und die ersten Schritte, die mit Medikamenten in Verbindung stehen, deren Einsatz nicht vom Arzt verordnet werden muss. Doch die Maßnahme, die sie unternom men hat, hat nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, weswegen der Besuch beim Arzt notwendig wurde, nachdem die ihr zur Verfügung stehenden Mit tel ausgeschöpft sind. Auch hier wird damit die doctorability bearbeitet, da ihre Mittel nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben (vgl. Spranz-Fogasy/ Winterseheid 2013, S. 28-30). Zudem handelt es sich bei dem verwendeten Verb um ein nicht-faktives Verb, das den Misserfolg des Versuchs bereits im-
49 Bei Fenistil®-Gel handelt es sich um ein Gel, das - laut Packungsbeilage oder Homepage des Herstellers - sowohl bei „Insektenstichen, Sonnenbrand oder leichten Verletzungen" anzuwenden ist, aber auch ganz allgemein „wenn die Haut juckt und brennt" (www.fe nistil.de/produkte/zur-aeusserlichen-anwendung/fenistil-gel.shtml;(Stand: 17.8.2017).
pliziert. Nachdem also eine Einschätzung des Phänomens verworfen werden musste, ist ein fachkundiger Blick auf die Haut der Tochter notwendig gewor den, zumal nun ein weiteres Symptom hinzugekommen ist:
018 M 13 und sie sagt es fängt jetzt auch an zu JUCKen;
Hier zitiert sie nun die Patientin und führt diese als Autorin der Aussage an. Dies ist notwendig, da die Patientin die einzige ist, die tatsächlich von dem Juckreiz betroffen ist und nur sie selbst diese Veränderung verspüren kann. An dieser Stelle könnte sie die Tochter aktivieren und um Bestätigung oder Ausführung der Aussage bitten. Dies unterbleibt jedoch. Ein Juckreiz ist na türlich nicht untypisch, wenn man gestochen wurde, und widerspricht auch der Behandlung der Mutter mit dem Fenistil®-Gel nicht. Untypisch ist diese Reaktion allerdings deswegen, weil dieser Reiz erst nach einer gewissen Zeit auftritt. Die Prosodie und die Dringlichkeit, mit der die Mutter das neuerliche Symptom darstellt, legen den Schluss nahe, dass dieses neu aufgetretene Symptom den Ausschlag dafür gegeben hat, dass sie beschlossen hat/haben, zum Arzt zu gehen.
Die Mutter
stilisier[t] sich[...] als so kompetent und verantwortungsvoll, dass sie durchaus zwischen harmlosen und weniger harmlosen Beschwerden unterscheiden [kann] und auch nicht vorschnell einen Arzt konsultier[t], aber sofort einen Ter min beim Kinderarzt ausmach[t], wenn sie die Probleme nicht selbst in den Griff bekomm[t]. (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 29)
Ab Zeile 008 gibt es keine fallenden Grenzintonationen mehr, sondern nur noch weiterverweisende Grenzintonationen. Durch die Steigerung der Ereig nisse, die Wortwahl (z.B. KOmischer (Z. 014) sowie die permanente Abwahl der subjektiven Krankheitstheorie, die dann doch immer wieder als Referenz herangezogen wird) sowie die Variation der Stimme wird eine Dramaturgie in dem Bericht der Mutter aufgebaut, der auch in der Beschreibung neuer Symptome und ihrem gescheiterten Versuch der Selbstmedikation gipfelt. Diese Hochstufung könnte damit zusammenhängen, dass der Arzt sich be reits seinen Unterlagen zugewandt hat und sich Notizen in der Patientenakte macht. Dies ist in diesem Raum etwas ungünstig, da er sich hierzu zu seinem kleinen Tisch hin- und damit von den Gesprächsbeteiligten abwenden muss. Auch in der nachfolgenden Pause von ca. 2,17 Sekunden notiert der Arzt et was. Danach leitet er mit zeig mal HER, (Z. 020) zur körperlichen Untersu chung über, was nun wieder mit einer Hinwendung zur Patientin verbunden ist. Durch die Bitte, ihm das dargestellte Symptom zu zeigen, geht er sofort zur körperlichen Untersuchung über. Dass er sich hierzu direkt an die Patien tin wendet, ist im Rahmen der körperlichen Untersuchung nicht außerge wöhnlich, da es sich bei ihr ja um die Trägerin des Symptoms handelt. Dass sie sich ausziehen oder ausgezogen werden soll, muss jedoch nicht - wie in
anderen Interaktionen - extra verhandelt werden, da sie sich bereits zuvor auf die Untersuchung vorbereitet hat .50 Der Arzt untersucht daraufhin die betrof fene Hautpartie; es entsteht eine Pause von etwa 8,1 Sekunden. Danach folgen zwei Aktivitätszusammenhänge:
021 |
(8.1) |
022 |
M 13 dann hatte sie au mal ne HOse an die genau an der stelle en knopf hatte;= |
023 |
M 13 =wo ich gedacht [hab ((unverständlich))] |
024 |
A 01 [ziehs mal GANZ ]aus. |
025 |
(0.46) |
026 |
M 13 ob des vielleicht irgendwie ä al[ler ]GIE oder was |
027 P 13
i [s, l
[ (oh) l
028 P 13 [ps
029 M 13
up[s
[so ]ä kontaktallerGIE?
030 |
P 13 |
(klitsch) |
031 |
|
(5.08) |
032 |
A 01 |
hm; |
033 |
|
(0.52) |
034 |
M 13 |
hm; |
035 |
|
(5. 0) |
036 |
A 01 |
sind ja richtige BLÄ:Schen; |
037 |
A 01 |
( 0. 24) |
038 |
M 13 |
ge[ll; |
039 |
A 01 |
[und ]in GRUPPen; |
Während der Arzt die Patientin untersucht, berichtet die Mutter noch von ei ner weiteren subjektiven Krankheitstheorie, die vor dem Sprechstundenge spräch aufgestellt wurde. Neben der Vermutung, dass es sich um Stiche handeln könnte, die während der ganzen Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration präsent war, nennt sie nun noch eine zweite subjek tive Krankheitstheorie. Sie erklärt, dass ihr der Gedanke kam, dass diese Hautirritation auch durch den Kontakt mit einem von ihr definierten Auslö ser hervorgerufen worden sein könnte. Als Ursache nennt sie einen Hosen knopf, der genau an dieser stelle (Z. 022) an einer Hose angebracht sei, die die Patientin getragen hatte. Dass sie hervorhebt, dass der Knopf exakt dort ange bracht ist, stützt ihre Argumentation. Die Zeitspanne, in der und bis wann die Patientin die Hose getragen hatte, wird nicht benannt. Da sie diese Theorie im Kontext der Hautirritation anführt, kann sie nicht in der fernen Vergangen-
so Üblicherweise leiten die Ärzte zur körperlichen Untersuchung über, indem sie die Pati enten bitten, sich für die Untersuchung vorzubereiten. Die Vorbereitungssequenz der Patienten nutzen die Ärzte in der Regel für Notizen. In ein paar Fällen erwähnen die El tern in dieser kurzen Phase noch etwas, was bisher nicht genannt wurde, oder sie wieder holen einen bereits genannten Punkt (zur körperlichen Untersuchung siehe auch Spranz Fogasy/Winterscheid i.Ersch.).
heit getragen worden sein, sondern muss in der letzten oder vorletzten Wo che getragen worden sein.
Die Mutter hat zu Anfang der Präsentation das Sprechtempo etwas erhöht und realisiert auch zwei Intonationsphrasen mit schnellem Anschluss. Das ist möglicherweise eine Reaktion darauf, dass der Arzt so unvermittelt zur kör perlichen Untersuchung übergegangen ist. Die schnell angeschlossene Into nationsphrase ist nicht zu verstehen. Sie beginnt jedoch damit, dass sie aus diesem Zusammentreffen der Elemente einen Schluss gezogen hat (Z. 023). Der Beitrag der Mutter ist deswegen nicht ganz zu verstehen, weil der Arzt eine weitere Aufforderung simultan an die Patientin richtet. Er bittet die Pati entin, sich noch etwas weiter zu entkleiden, damit er die Stelle noch genauer in Augenschein nehmen kann. Die Patientin hatte die Hose heruntergezogen, damit der Arzt einen freien Blick auf die betroffene Partie hat. Durch diese Aufforderung signalisiert der Arzt beiden Gesprächsbeteiligten, dass sein Fokus gerade bei der körperlichen Untersuchung der Patientin liegt und nicht damit zu rechnen ist, dass er sich bezüglich der zweiten eingebrachten subjek tiven Krankheitstheorie äußert (ten Have 1990).
Nach einer Pause von 0,46 Sekunden, in der der Arzt mit der Untersu chung fortfährt, doppelte die Mutter nochmals nach (vgl. Linke/Nussbaumer/ Portmann 2001, S. 270). Die Schlussfolgerung, dass sie auch eine allergische Reaktion als wahrscheinlich erachtet, wurde bereits in der Beschreibung an gedeutet, aber noch nicht expliziert. Das holt sie nun nach. Diese Begründung wird jedoch mehrfach modalisiert. Sie schlägt vor, dass es sich um ä al[ler ]GIE oder so was (Z. 026), also etwas Ähnliches, handeln könnte. Gleichzeitig deutet sie durch die Modalisierungen vielleicht (Z. 026) und irgendwie (Z. 026) an, dass diese Schlussfolgerung nur eine weitere mögliche, jedoch keine zwin gende Schlussfolgerung sein muss und nennt, nach einer weiteren ausgeblie benen Reaktion, einen deutlich expliziteren Vorschlag, nämlich den einer kon taktallerGIE (Z. 029). Durch die Nennung des Fachausdrucks stuft sie nun ihr Wissen bezüglich solcher Phänomene hoch und durch die stark steigende Grenzintonation fordert sie nun noch deutlicher eine Reaktion des Arztes ein. Eine solche unterbleibt erneut. Die zweite präsentierte Krankheitstheorie ba siert ebenfalls auf der Annahme, dass es sich um eine harmlose Ursache für die Hautirritation handelt und impliziert ebenso eine Begründung dafür, wa rum der Arztbesuch erst nach einer Woche erfolgt. Allerdings ist nun die Ur sache für die Beschwerden nicht mehr außerhalb des Hauses zu finden.
Im Anschluss an die Präsentation der zweiten subjektiven Krankheitsthe orie realisiert die Patientin ein weiteres Mal eine Äußerung, die nicht mit der Interaktion zusammenhängt, mit der sie aber erneut zu erkennen gibt, dass sie davon ausgeht, dass von ihr keine verbale Reaktion erwartet wird.
Nach 5,08 Sekunden realisiert der Arzt eine Interjektion,51 welche die Mut ter nachahmt. Dies ist prosodisch nicht auf den Beitrag der Mutter zurückzu führen, sondern kann nur eine Reaktion auf die Untersuchung darstellen. Diese Art der Realisierung stellt bei Ehlich die 11 Grundform IV" dar, die durch eine 11 einfache Phonemform", eine 11 kontinuierlich [fallende] Tonstruktur" be schrieben werden kann (vgl. Ehlich 1986, S. 51; Hervorhebungen im Original). Mit dieser Interjektion realisiert der Arzt seine Überraschung, die darin be steht, dass das Entdeckte 11 in Nicht-Übereinstimmung mit den Erwartungen [...] steht" (ebd.). Nach einer weiteren Pause von 5 Sekunden formuliert der Arzt dann eine erste Beobachtung: sind ja richtige BLÄ:Schen; (Z. 036). Das ist kontrastiv zu dem vorher Geäußerten zu verstehen. Dabei ist nicht klar, ob er sich auf die Beschwerdenschilderung der Mutter, der Tochter oder die Schil derung beider bezieht. Er zeigt durch das ja (Z. 036) an, dass es sich um eine für alle evidente Feststellung handelt (vgl. Reineke 2016, S. 81-131), sich aber anders darstellt, als er dies erwartet hat. Die Beschreibung der Erhebungen als BLÄ:Schen (Z. 036) lässt erst einmal keinen Schluss zu, der auf Stiche hindeu ten könnte. Auch der Zusatz richtige (Z. 036) hebt den Unterschied zwischen einer typischen Reaktion auf Stiche und Bläschen deutlich hervor, die nicht nur nach genauerer Betrachtung zu erkennen sind, sondern eine auffällige Ausprägung haben. Er kontrastiert damit die Bläschen mit der erwartbaren Reaktion auf Stiche und zeigt durch die Äußerung überdies an, dass sich das Gesehene nicht mit seinen Erwartungen aufgrund der Beschwerdenschilde rung deckt. Dadurch unterstützt er aber dennoch die Einschätzung der Mut ter, die die Veränderung des Hautausschlags als eine Entwicklung beschreibt, die ihr immer KOmischer (Z. 014) erscheint und folglich damit schon mehrmals angedeutet hat, dass sich das Erscheinungsbild der Hautirritation nicht mehr mit ihrer Erfahrung bezüglich der Reaktion auf einen Stich oder Stiche deckt. Nach einer kurzen Pause bestätigt die Mutter die Äußerung des Arztes durch ein zustimmendes gell (Z. 038). Sie geht nicht auf die inhärente Diskrepanz zwischen Beobachtetem und Erwartetem ein, die der Arzt bearbeitet, sondern zeigt an, dass sich diese Beobachtung des Arztes mit dem von ihr geschilder ten Zustand deckt, der sich nicht mehr mit der subjektiven Krankheitstheorie der Stiche vereinbaren lässt.
Indem er auch prosodisch diese Entdeckung hervorhebt, stuft er das Phä nomen analog zur Beschreibung der Mutter hoch. Bei den Äußerungen des Arztes handelt es sich um klassische Onlinekommentare:
Online commentary is talk describes what the physician is seeing, feeling or hearing during physical examination of the patient. (Heritage/Stivers 1999, S. 1501)
51 Zu den verschiedenen intonatorischen Ausprägungen von 11 hm" vgl. Ehlich (1986).
Diese werden häufig eingesetzt, um die Patienten oder die Begleitpersonen zu beruhigen, den 11Widerstand auf Seiten der Patienten und ggf. ihrer Begleit personen ab[zu]bauen" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 30), wenn etwa die Legitimation für den Arztbesuch angegriffen wird oder der Arzt eine den Erwartungen widersprechende Diagnose oder Therapieempfehlung vorbe reitet (vgl. z.B. Heritage/Stivers 1999).
In diesem Fall bereitet er die Gesprächsbeteiligten darauf vor, dass die Diagnose möglicherweise von der subjektiven Krankheitstheorie der beiden präsentierten Krankheitstheorien abweichen wird. Die intensive Betrachtung der Hautpartie durch den Arzt, die auch nach diesem Onlinekommentar fort gesetzt wird, signalisiert den Gesprächsbeteiligten jedoch auch, dass hier noch keine Diagnose gefällt wurde, sondern dass der Arzt sich noch auf der Suche nach der Diagnose befindet. Simultan zur Bestätigung der Mutter er gänzt der Arzt noch eine weitere Information zur Anordnung der BLÄ:Schen; (Z. 036).
Nach einer Pause von 0,6 Sekunden, einem Einatmen und einer weiteren kurzen Pause formuliert er eine Vermutung, die als prädiagnostische Mittei lung (vgl. Spranz-Fogasy 2014) zu verstehen ist, da sie auch noch nicht als definitiv, wohl aber - durch das eher (Z. 041) - als wahrscheinlich realisiert wird:
040 (0. 6)
041 A 01 oh (0. 29) is eher ne HERpesinfektion-
042 (0.35)
043 M 13 ja EHRlich,
044 A 01 (0.7)
045 XX ((schnieft))
046 (0.2)
M 13 wo KRIEGT man so was?
A 01 (5.04) sons has de se nirgendWO;
049 |
A 01 |
[rutsch mal en stück]chen RUNter- |
050 |
M 13 |
[mhmh |
051 |
|
( 1. 28) |
052 |
M 13 |
mhmh |
Mit dem Adverb eher (Z. 041) rahmt er seine vorläufige Vermutung einer HERpesinfektion (Z. 041) aber nicht nur als wahrscheinlich, sondern auch im Kontrast zu den zuvor eingebrachten subjektiven Krankheitstheorien als wahrscheinlicher. Auch durch das Fortfahren mit der körperlichen Untersu chung sowie einer fortbestehenden Fokussierung auf die betroffene Hautpar tie zeigt er an, dass er an dieser Stelle noch keine Diagnose gestellt hat, da in diesem Fall eine Untersuchung keinen Sinn mehr ergeben würde .52 Dies ist
52 Bei bestimmten Krankheitsbildern müssen Folgen der Krankheit abgeklärt werden. In diesen Fällen findet dann eine Fokussierung auf einen anderen Aspekt oder eine andere Körperpartie statt (vgl. z.B. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.).
damit auch die erste Äußerung des Arztes, die Bezug nimmt auf die präsen tierten Krankheitstheorien. Das Ausbleiben einer sofortigen Reaktion auf die jeweiligen Krankheitstheorien wirkt auffallend, ist jedoch immer im Zusam menhang zu der vom Arzt als vorrangig behandelten Aufgabe zu betrachten (vgl. ten Have 1990).
Während die Mutter die durch den Arzt festgestellte Diskrepanz zwischen Erscheinungsbild und Erwartung des Arztes noch unterstützt hat, zumal sie eine solche Diskrepanz ebenfalls schon herausgestellt hatte, drückt sie aller dings nun mit EHRlich (Z. 043) und der steigendenden Grenzintonation ihre Überraschung über diese Vermutung aus. Das Adjektiv kann sich hier auf die angenommene Diagnose beziehen, die dafür stehen würde, dass sie die Situation falsch eingeschätzt hat. Die Mutter zweifelt die prädiagnostische Mitteilung nicht explizit an, führt jedoch an, dass sie sich nicht erklären kann, woher ihre Tochter eine Herpesinfektion haben sollte, wodurch die Schluss folgerung des Arztes dennoch leicht in Zweifel gezogen wird. Der Arzt re agiert aber auch auf diese Aussage nicht und fährt mit der Untersuchung fort. Hier doppelt sie nun nach und erkundigt sich beim Arzt danach, woher man so was (Z. 047) bekommen kann (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001,
S. 270). Durch die Nachfrage untermauert sie zum einen das eigene Erstaunen über diese mögliche Diagnose und zeigt überdies an, dass sie sich nicht vor stellen kann, weswegen ihre Tochter eine Herpesinfektion haben kann. Dane ben verdeutlicht sie durch die Frage, dass ihr diese mögliche Diagnose zwar nicht unmittelbar plausibel erscheint, aber dies auch mit ihrem Nichtwissen zusammenhängen kann (vgl. Deppermann 2015). Dadurch, dass sie angibt, nicht über das entsprechende Wissen zu verfügen, signalisiert sie überdies, dass sie nicht verantwortungslos gehandelt hat, als sie nicht früher zum Arzt gekommen ist, sondern dies außerhalb ihres Erfahrungswissens liegt. Viel mehr präsentiert sie sich als eine Mutter, die sich viele Gedanken gemacht hat, zwei harmlose Ursachen angenommen hat und nun an einem Punkt an gekommen ist, an dem sie nicht mehr weiß, ob diese Theorien haltbar sind (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28ff.). Auch durch die stark stei gende Grenzintonation fordert sie nun eine Reaktion des Arztes ein.
Der Arzt übergeht die konditionelle Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) und wendet sich nach einer Pause von 5,04 Sekunden erneut an die Patientin, die er zunächst darum bittet, ihm zu bestätigen, dass sie keine Bläschen an einer weiteren Stelle des Körpers hat, und schließlich noch darum, ihre Posi tion zu verändern. Diese beiden Aufforderungen erfolgen so schnell hinterei nander, dass die Antwort der Patientin, die sehr schnell erfolgt, simultan zur zweiten Aufforderung realisiert wird. Durch diese Aufforderungen signali siert er beiden Gesprächsbeteiligten, dass der Prozess der Befunderhebung immer noch nicht abgeschlossen ist. Die Patientin wird damit aufgefordert, ihn weiterhin bei der körperlichen Untersuchung zu unterstützen und der
Mutter wird gleichzeitig verdeutlicht, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht auf ihre Frage(n) eingehen wird (vgl. z.B. ten Have 1990).
Während der Untersuchung gibt es eine 11 lnteraktionsdyade" zwischen Arzt und dem Kind, die durch beide Gesprächsbeteiligte aufrechterhalten wird (Schmitt 2012, S. 45). Seine Aufforderungen richten sich an die Patientin, welche auch regelmäßig sofort reagiert. Der Arzt konzentriert sich bei der Untersuchung auf die Patientin und die von der Patientin angezeigte Haut partie. Erneut adressiert er die Patientin direkt und schreibt ihr auch die epis temische Autorität (siehe z.B. Heritage/Raymond 2005) zu, angeben zu kön nen, wie viele Bläschen sich an ihrem Körper befinden, obgleich diese Aussage sicherlich auch die Mutter hätte geben können, die ja bereits in ihrer Darstel lung verdeutlicht hat, dass sie die Hautirritation regelmäßig überprüft und betrachtet hat. Dessen ungeachtet wird dies vor der Mutter verhandelt, die einschreiten könnte, wenn sie über Informationen verfügen würde, welche sich mit der Antwort der Patientin nicht decken sollten (vgl. Bauer 2009,
S. 131). Sie sitzt etwas abseits, ist aber 11 körperlich und raumbezogen" anwe send (Schmitt 2012, S. 45). Die Mutter verfolgt das Geschehen sehr aufmerk sam, reagiert sofort auf die Aussagen des Arztes und beteiligt sich auch sonst aktiv. Allerdings reagieren die anderen beiden Gesprächsbeteiligten nicht gleich oder auch gar nicht auf ihre Beiträge. Nach einer Pause von 1,28 Sekun den wiederholt die Mutter die Rückmeldung der Patientin und unterstreicht damit deren Äußerung.
Dass der Arzt nicht sofort auf die Beiträge und auch nicht auf die Frage der Mutter reagiert, wird durch die Fokussierung auf die körperliche Untersu chung und die aufrechterhaltene Interaktionsdyade repariert, auf die der Arzt durch seine Nachfragen, die Aufforderungen an die Patientin sowie die Orien tierung auf die Hautirritation verweist.53 Des Weiteren hat der Arzt bisher nur Onlinekommentare und eine vermutete Diagnose präsentiert, somit ist es in diesem Moment noch nicht sinnvoll, nach möglichen Ursachen zu forschen.
Die Vorstöße der Mutter während der körperlichen Untersuchung werden qua Aktivität des Arztes und dessen Aufforderungen an die Patientin bearbei tet, was nur wegen dieser besonderen Konstellation und der Interaktionsdya de möglich ist.54 Er fährt mit der Untersuchung fort und versichert sich noch mals eines Symptoms, das die Mutter vor der körperlichen Untersuchung mit Bezug auf eine Aussage der Patientin erwähnt hat:
53 Das „Befaßtsein mit der Durchführung einer technisch orientierten Untersuchung" führt auch schonten Have an, als n[e]inen möglichen Grund für längeres Schweigen, also feh lendes, sprachliches Rezipientenverhalten, des Arztes" (ten Have 1990, S. 107). Auch Ha ferlach stellt verschiedene Vermeidungsstrategien der Ärzte vor, wie das Nichtreagieren auf Fragen (Haferlach 1994, S. 9).
54 Ten Have (1990); vgl. Ausführungen zur Triade im Kapitel 1 und zur Mehrfachadressie rung im Kapitel 8.
054 A 01 und es JUCKT,
055 (1. 0)
M 13 die LETZten tage sagt sie es juckt;=gä,
M 13 vorher hat s nich [geJUCKT,
P 13 [hm ] [ja
059 A 01
060 (11.4)
[gu lt-
Bei dieser Frage (Z. 054) handelt es sich um die erste Frage, die nicht aufgrund des Designs (des entsprechenden konjugierten Verbs, einem Anredeprono men etc.) offensichtlich an die Patientin gerichtet ist. Doch auch diese Frage richtet sich an die Patientin, was der Arzt durch die Art und Weise, wie die Frage realisiert wurde, verdeutlicht. Bauer beschreibt u.a. 11 das motherese Er wachsener gegenüber kleinen Kindern" 11 [a]ls besonders sinnfällige For[m] des recipient design" (Bauer 2009, S. 64; Hervorhebung im Original).55 Sach weh weist darauf hin, dass
[n]eben Kindern[...] auchAusländerlnnen, kranke und alte MenschenAdressa tinnen von bestimmten Elementen der Babysprache sein [können]" und es sich bei dieser um einen 11 Sprachstil [handelt], der durch eine auffällige Modulie rung der Stimme, durch geringe Komplexität, durch eine große Menge von Wiederholungen und einen kleinen, spezifischeren Wortschatz gekennzeichnet ist. (Sachweh 2000, S. 145)
Auf die Versicherungsfrage nach der bereits eingeführten Reaktion wartet die Mutter einen kurzen Augenblick ab, bevor sie antwortet, und beachtet damit die 11 Präferenz zur interaktiven Selbstvertretung" (Schmitt 1997, S. 61-66). Dies geschieht sicherlich zur II Unterstützung" der Patientin, an die sich diese Frage richtet und die an dieser Stelle nicht (gleich) reagiert (vgl. Schmitt 1997). Auch wenn sie für die Patientin antwortet, versucht sie die Patientin zu akti vieren, sich bei der Antwort auf die Frage des Arztes zu beteiligen, und leistet damit 11 Hilfe zur Selbsthilfe" (ebd., S. 70). Dieser Äußerung hängt sie ein 11 question tag" an und geht anschließend mit der Stimme nach oben. So akti viert sie zudem die Patientin, damit sie die Aussage bestätigt. Bevor diese et-
55 Unter recipient design werden 11 Praktiken" subsummiert, mit denen 11 Sprecher ihre Beiträ ge [...] schon antizipatorisch auf die vermeintlichen Verstehensvoraussetzungen ihrer Adressaten zu[schneiden]" (Deppermann 2014, S. 290). In Anlehnung an Deppermann/ Blühdorn (2013) wird in der Arbeit statt recipient design der Begriff Adressatenzuschnitt verwendet werden. Die Autoren heben die Notwendigkeit einer 11 terminologische[n] Ab- grenzung von 'Adressat' und 'Rezipient'" hervor, da n[d]er jeweilige Turn[...] auf spezi- fische Adressaten zugeschnitten ist", die von den 11 faktischen Rezipienten [...] zu unter- scheiden" sind sowie der Tatsache, dass n[d]er Sprecher [...] seinen Turn immer nur auf Eigenschaften zuschneiden [kann], die er selbst dem Adressaten unterstellt, nicht aber auf Eigenschaften, die dieser objektiv, als faktischer rezipiert hat" (Deppermann/Blüh dorn 2013, S. 8). Zu recipient design in institutioneller Mehrparteieninteraktion siehe au ßerdem Hitzler (2013) oder Schmitt/Knöbl (2013).
was sagen kann, formuliert sie noch eine Frage an die Patientin, welche den beschriebenen Sachverhalt bestätigen soll. Diese Strategie hat Erfolg und die Patientin bestätigt die Ausführungen der Mutter. Daneben muss die Mutter aber auch reagieren, da sie selbst diese Information gegeben hat, selbst wenn sie bei der ersten Erwähnung die Patientin als Zeugin angeführt hat. Die Mut ter bestätigt, dass ihr das von Seiten der Tochter so mitgeteilt wurde, und präzisiert die Aussage dadurch, dass sie noch eine Zeitangabe nennt, die an fangs nicht genannt wurde. So hat das Jucken bereits vor ein paar Tagen ein gesetzt und dauert seitdem an. Die Antwort bzw. die verifizierte Antwort der Patientin ratifiziert der Arzt sofort, wodurch sich der zweite Teil des Beitrags und die Ratifikation durch den Arzt überlappen. Nach einer elfsekündigen Pause, in der er sich erneut der körperlichen Untersuchung widmet, stellt er nun eine Frage an die Mutter:
061 A 01 oh ( .) warn das GLEICH solche bläschen oder; 062 M 13 (0.72) NEE-=des sah ERSCHT aus wie stiche;
063 A 01 (3.49) also die sin ja jetz FLÜSsig [(ausgefüllt)-=ne, 064 M 13 [JAja ( .) jaja;
065 (1.01)
M 13 NEE-
M 13 ( .) die die sahen vorher aus
M 13 also im prinzip wie so kleine hm
M 13 wie kleine +++ +++ +++ ah da hat sie was GSTOCHen irgendwie;
A 01 ( .) hmhm
071 ( 1. 27)
072 p - 13 (un/hm) da
073 ( 1. 64)
074 p - 13 oder war es ( .) <<piano> (dunkler) > 075 ( 1. 64)
076 A 01 in der mitte is da so en ( .) schwarze PÜNKTchen,
Dass sich diese Frage nach dem Aussehen der Hautirritation nun an die Mut ter richtet, erkennt man bereits daran, dass sich das Stimmregister ändert. Während die vorausgegangenen Fragen in der Realisierung 11 Ähn lichkeit mit dem elterlichen Motherese" (Bose/Kurtenbach 2014, S. 146) aufwiesen, ist die se Frage weniger melodisch, sachlicher, die Klangfarbe ist etwas dunkler und der Arzt wird zum Ende der Intonationsphrase auch etwas leiser (vgl. z.B. Bose 2001, S. 284). Die Mutter scheint hier auch die richtige Ansprechpartne rin zu sein, da sie die Stelle am Oberschenkel sicher besser als die Patientin in Augenschein nehmen konnte und bereits darauf verwiesen hat, dass sie eine Entwicklung festgestellt hat, was auf eine regelmäßige Sichtung schließen lässt. Aus diesem Grund ist diese Frage ohnehin etwas heikel, da die Mutter ja bereits auf das Aussehen der Hautirritation eingegangen ist. Dementspre chend reagiert die Mutter auch zunächst mit einem markierten NEE (Z. 062) und reformuliert dann die anfangs geschilderte Äußerung mit des sah ERSCHT
11
aus wie stiche; (Z. 062). Der Arzt macht sie nach einer längeren Pause sodann auf die Flüssigkeit aufmerksam, mit denen die Bläschen angefüllt sind. Er rahmt diese Information mittels ja (Z. 063) als eine bekannte Tatsache und verweist darauf, dass die Bläschen zurzeit diese Eigenschaft aufweisen. Da mit beachtet er auch die Entwicklung, von der berichtet wurde. Die Mutter bestätigt diese Entdeckung durch ein doppeltes jaja" .56 Dadurch zeigt sie ihre Zustimmung zu dem Postulierten an, verweist auf ihren eigenen Wis sensstand und drängt auf den Fortgang der 11 Sequenz" (Barth-Weingarten 2011, S. 301). Nach einer Sekunde doppelt die Mutter dann erneut nach. Sie wiederholt die Verneinung und elaboriert ihre Antwort nochmals. Dieses Mal reagiert der Arzt mit einer zweisilbigen Rückmeldung. Die Untersuchung wird anschließend weiterverfolgt. Dann sagt die Patientin etwas Unverständ liches. Bei dem zweiten Beitrag bezieht sie sich auf jeden Fall auf die Hautpar tie. Das erfolgt selbstinitiiert. Es hört sich so an, als würde sie etwas zum farb lichen Erscheinungsbild sagen. Ob sich der Arzt beim nächsten Online kommentar auf die Äußerung der Patientin bezieht oder auf seine eigene Ent deckung, kann aufgrund der Unverständlichkeit der Äußerungen nicht ge klärt werden. Nach einer längeren Pause setzt der Arzt schließlich mit der Diagnosemitteilung an.
Der Arzt orientiert sich sowohl während der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration als auch der Untersuchung auf die Patientin. Die Mutter meldet sich nach der Aktivierung durch die Patientin zu Wort und steuert auch Informationen bei, die zumeist nicht erfragt wurden. Zum Teil lässt sie sich das Gesagte dann auch von der Trägerin der Symptome bestäti gen und führt die Tochter auch zwischendurch als Zeugin an. Anfangs orien tiert sich der Arzt zwischen Liege und Tisch. Er wendet sich den Gesprächs beteiligten zu oder notiert sich etwas in der Patientenakte. Nachdem die körperliche Untersuchung mit der Aufforderung zeig mal HER, (Z. 020) einge leitet wurde, richtet er sich völlig auf die Patientin aus und geht mit der Pati entin eine Interaktionsdyade ein (vgl. Schmitt 2012, S. 45):
56 Zur Unterscheidung von „jaja" und „ja ja" vgl. Barth-Weingarten (2011). Barth-Weingar ten gibt an, dass mit „jaja" Bezug auf die epistemischen Rechte einer Person genommen wird, Äußerungen zum Teil bestätigt werden und auf ein Fortfahren gedrängt wird. Ge nau diese Funktionen weist das zweimalige „jaja" auch in diesem Kontext auf.
-A-
1 s- I 1
Schreibtisch
Diagnosemitteilung 67
Abb. 5 I Skizze des Behandlungsraums in APEG _13 während der körperlichen Untersuchung
Die Interaktionsdyade wird bis zum Schluss der körperlichen Untersuchung beibehalten.
Der Arzt realisiert ein Häsitationsphänomen, atmet nochmals etwas länger ein und beginnt schließlich mit der Diagnosemitteilung.
Fallbeispiel 3: APEG_13 (A-Pw5-M; ca. 5:43min); D (02:19.58-02:43.40); 02:19.58-02:43.40
001 A 01
002 A 01
hm.
0
(.) hh es gibt zwei MÖGlichkeiten-
003 |
A |
01 |
Eine (.) (kann) es ne herPESinfektion-=0 h |
||
004 |
M |
13 |
HMhm, |
||
005 |
A |
01 |
(.) dann: würd des eigentlich WEH tun |
||
006 |
A |
01 |
(0.76) des WUNdert mich; |
||
007 |
A |
01 |
(0.26) dass ihr des nich WEH tut-=ne; |
||
008 |
A |
01 |
(.) also wie ne GÜRtelrose, |
||
009 |
M |
13 |
(0.22) HMhm, |
||
010 |
A |
01 |
(.) |
0 h |
(0.24) und (ds) andere MÖGlichkeit |
011 |
A |
01 |
es sin (.) GRASmilben- |
||
012 |
|
|
( 1. 41) |
||
013 |
M |
13 |
des würd ja für die spielPLA[TZthe]orien spreche;=ne, |
||
014 |
A |
01 |
[und |
||
015 |
A |
01 |
des spricht (.) eher dafür- |
||
016 |
A |
01 |
weil es JUCKT un- |
||
017 |
A |
01 |
(0.85) eben auch nich WEH tut; |
Die Vorbereitung enthüllt schon, dass für ihn die Diagnosemitteilung nicht so einfach zu realisieren ist, und die Einleitung legt offen, warum die Diagnose mitteilung nicht so einfach darzulegen ist (Z. 001-002). Nach der Beschwer-
denschilderung und Beschwerdenexploration sowie der körperlichen Un tersuchung erscheinen zwei Diagnosen möglich. Bei den nachfolgenden Äußerungen beginnt er mit der Diagnoseoption, die er bereits im Rahmen der körperlichen Untersuchung schon erwähnt und auch als wahrscheinlicher als die beiden subjektiven Krankheitstheorien der Mutter präsentiert hat (Z. 003). Dadurch, dass er hier explizit zu einer Diagnosemitteilung ansetzt, wird die ser Verdacht im Nachhinein noch einmal deutlich als prädiagnostische Mittei lung gerahmt und von der Position und den Argumenten, die er nun eben falls aufführt, auch gleich als eine inzwischen nicht mehr haltbare Theorie aufgezeigt. Dass es sich jedoch um einen starken Verdacht gehandelt hat, kann man daran sehen, dass er ein Symptom bestimmt, welches zu dem Krankheitsbild notwendigerweise gehört und im vorliegenden Fall aber fehlt. Durch den Konjunktiv bei der Nennung des Ausbleibens des Symptoms un ternimmt der Arzt bereits eine Abwahl des ersten Diagnosevorschlags und verstärkt die Abwahl durch den Hinweis darauf, dass das Ausbleiben dieses Symptoms ihn WUNdert (Z. 006). Damit verdeutlicht er, dass der Verdacht ziemlich stark gewesen ist. Durch die Verwunderung, die er beschreibt, wer den zudem auch die Nachfragen während der körperlichen Untersuchung legitimiert, die er auf den ersten Blick möglicherweise unnötig gestellt hat, da er die Information ja eigentlich bereits hatte. Er geht daraufhin mit der Stim me nach unten und eröffnet der Mutter einen Slot zum Übernehmen des Re derechts (vgl. Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Diese hat nur auf die Nennung des ersten Diagnoseverdachts eine Rückmeldung realisiert und reagiert an dieser Stelle nicht verbal. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass der Arzt die Ursache seiner Verwunderung nochmals herausstellt. Außerdem hängt er auch ein question tag an. Er nennt dazu noch ein bekanntes Krankheitsbild (Z. 008), um seine Ausführungen zu veranschaulichen. Nach einer kurzen Pause erfolgt nun eine Rückmeldung durch die Mutter (Z. 009). Die Ratifika tion der Mutter erfolgt allerdings etwas zögerlich. Da bisher nur die erste Möglichkeit der beiden angekündigten offengelegt wurde, ist das jedoch auch nicht besonders überraschend. Die zweite Option wird nun nach der Ratifika tion dargelegt. Auch hier setzt der Arzt kurz ab, atmet nochmals ein, macht erneut eine kurze Pause und präsentiert dann den zweiten Diagnoseverdacht und kündigt vorher an, dass nun die zweite Theorie folgt (Z. 010-011). Diese Option wird nicht weiter eingeschränkt und es werden weder Argumente für diese Option noch dagegen vorgebracht.
Nach einer langen Pause von 1,41 Sekunden ergreift dann die Mutter das Rederecht und reagiert mit einer Schlussfolgerung auf diese Präsentation (Z. 013). Sie konstatiert, dass diese zweite Theorie ihrer Theorie entsprechen würde, wobei sie ihre Theorie auf eine Verortung der Ursache auf den besuch ten Spielplatz reduziert. Dadurch, dass sie hier von einer 11Theorie" spricht, bezieht sie sich auf ihre eigene subjektive Krankheitstheorie, ohne dies noch mal explizit zu nennen. Diesen Zusammenhang hatte der Arzt nicht herge-
stellt, zumal es sich auch nach dieser Diagnoseoption nicht um Stiche handeln würde. Auch sie fordert nun erneut eine Reaktion des Arztes ein. Dieses Mal reagiert der Arzt recht schnell und knüpft an ihren Beitrag insofern an, als er das von ihr verwendete Verb aufgreift (Z. 015). Anstatt jedoch die Gleichset zung der zweiten Theorie mit der subjektiven Krankheitstheorie der Mutter zu bestätigen, bekräftigt er, dass die zweite von ihm präsentierte Option wahrscheinlicher als die erste dargelegte Theorie ist. Somit arbeitet er mit dem Kohäsionsmittel der partiellen Rekurrenz, obgleich seine Äußerung nicht zu dem Beitrag der Mutter, sondern zu seinen eigenen Ausführungen kohärent ist.57 Dass der Arzt sich hier nicht auf die subjektive Krankheitstheo rie der Mutter bezieht, sondern mit der Diagnosemitteilung fortfährt, wird auch durch die nächsten beiden Intonationsphrasen deutlich, in denen er zwei Symptome darlegt, die eher (Z. 015) für die zweite Theorie sprechen. Da bei unterstützt er zunächst die zweite Option durch weil es JUCKT (Z. 016) und wählt dann durch die dritte Nennung des Umstandes, dass die Hautirri tation nich WEH tut; (Z. 017), die erste Option nochmals ab.
11
11
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In der Dissertation von Schöler wird der Befall von Grasmilben - oder auch Herbstmilben - beim Menschen als Trombidiose oder Trombiculose bezeich net", welcher sich 11 unter Umständen [mit einer] bis zu 14 Tage andauernden und mit starkem Juckreiz einhergehenden Dermatose in Form rötlicher Pa peln" (Schöler 2003, S. 1) äußert, die - laut der Aufklärungsbroschüre 11 Merk blatt zur Herbstmilbe - Erreger zur Trombidiose", welches vom Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt 2004 herausgege ben wurde, - aufgrund der Ähnlichkeit durchaus mit einem Mückenstich" verwechselt werden kann (vgl. Merkblatt zur Herbstmilbe 2004, S. 2). Auch Schöler erwähnt, dass die Grasmilben u.a. wegen 11 verspätet auftretenden Stichsymptomen" häufig nicht als 11Verursacher der Trombidiose [...] gesehen oder eindeutig identifiziert" (Schöler 2003, S. 5) werden. In dem Aufklärungs bogen der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft werden auch die [b]evorzugt befallene[n] Körperteile" - nämlich u.a. die Oberschenkel- und die Symptomatik von Grasmilbenbefall benannt (siehe Merkblatt zur Herbst milbe 2004, S. 2). So setzt etwa nach deren Ausführungen nach ,,4 bis 36 Stun den" ein 11 starker Juckreiz" ein, der sich nach 11 zwei bis drei Tagen" noch in tensivieren kann (ebd.).
Therapieplanung
Der Arzt geht nun zur Therapieplanung über und verfolgt dabei die anfäng lich vermutete Herpesinfektion nicht weiter, wodurch er die Abwahl dieser Diagnoseoption untermauert.
57 Zu den Textualitätskriterien vgl. De Beaugrande/Dressler (1981, S. 3-14) oder auch Linke/ Nussbaumer/Portmann (2001, S. 215-229).
Fallbeispiel 4: APEG_13 (A-Pw5-M; ca. 5:43min); Th (02:44.03-05:29.55); 02:44.03-05:29.55
001 |
A |
01 |
da machen se mal (.) ne woche lang ne cortisonCRE:M drauf; |
|
002 |
M |
13 |
HMhm, |
|
003 |
|
|
(0.83) |
|
004 |
A |
01 |
un dann zeigen sie mir das noch MAL |
|
005 |
M |
13 |
(.) hmHM, |
|
006 |
A |
01 |
da gehn die MILben zwar nich von weg; |
|
007 |
A |
01 |
0 (.) hh aber der mensch is en FEH:Lwirt. |
|
008 |
A |
01 |
für die GRASmilben; |
|
009 |
M |
13 |
(.) H[Mhm- ] |
|
010 |
A |
01 |
0 [ h ]des heißt- |
|
011 |
A |
01 |
(.) die WOLLN eigentlich gar nich zum menschen; |
|
012 |
A |
01 |
aber die MERken des++++++ nich so recht; |
|
013 |
A |
01 |
0 h |
(.) des heißt sie gehn von SELBS weg; |
014 |
|
|
( 0. 55) |
|
015 |
A |
01 |
aber es NIMMT die entzündungsreaktion |
|
016 |
M |
13 |
HMhm? |
|
017 |
A |
01 |
un inner WOche schau ich mir das noch mal an. |
|
018 |
M |
13 |
(0.27) oKAY? |
|
019 |
A |
01 |
ja? |
|
020 |
P |
13 |
(.) O:kay? |
|
021 |
|
|
( 0. 41) |
|
022 |
P |
13 |
rufen wir AN; |
|
023 |
|
|
(5. 77) |
|
024 |
P |
13 |
wuäh:-=h0 |
|
025 |
P |
13 |
(.) un kurz HINstelln |
|
026 |
|
|
( 0. 6) |
|
027 |
M |
13 |
+++ |
|
028 |
|
|
( 0. 53) |
|
029 |
M |
13 |
GUT machst du des- |
|
030 |
|
|
((Mutter und Patientin blödeln herum, während die Mutter die Patientin weiter anzieht und der Arzt sich Notizen macht; ca. 109.41s)) |
|
031 |
A |
01 |
so:- |
|
032 |
M |
13 |
(.) wie oft mach_ma des DRAUF, |
|
033 |
P |
13 |
(.) ((schnieft)) |
|
034 |
A |
01 |
zweimal am TAG- |
|
035 |
M |
13 |
(0.57) oKAY- |
|
036 |
|
|
( 0. 3) |
|
037 |
M |
13 |
a[lles KLAR- |
|
038 |
A |
01 |
[und in ein ]er woCHE: |
|
039 |
|
|
( 0. 37) |
|
040 |
P |
13 |
((schnieft)) |
|
041 |
M |
13 |
(0.36) ja- |
|
042 |
A |
01 |
(0.58) seh ich sie WIEder:- |
043 M 13 ( 0. 29) alles KLAR-
044 (0.81)
045 M 13 [mach_mer ]doch GLATT;
-
046 p 13 [ja,
047 M 13 ( .) g[ä-
-
048 p 13 [EI ]ne woche.
049 (1. 4)
-
050 p 13 is doch ganz LEICHT-
051 (0.48)
052 M 13 HMhm;
053 (1. 6)
054 M 13 Okay-
Die Therapieplanung, die der Arzt nun unterbreitet, umfasst zwei Schritte: Als erste Maßnahme empfiehlt der Arzt eine medikamentöse Behandlung mit Cortison (Z. 001). Als Nächstes soll ein Folgetermin vereinbart werden (Z. 004). Durch die Angabe der Dauer der Verabreichung der Salbe und dem Hinweis auf den darauffolgenden Termin bei ihm, wird ungefähr einge grenzt, wann dieser vereinbart werden soll. Warum ein erneuter Termin ange setzt wird, bleibt an dieser Stelle jedoch unklar.
Beide Schritte werden dennoch von der Mutter mit zweigipfligen Rückmelde signalen ratifiziert (Z. 002/005), wodurch erst einmal eine Bereitschaft unter stellt werden kann, diesen zweischrittigen Vorschlag umzusetzen. Nach der Ratifikation erklärt der Arzt, warum die Cortisoncreme das Mittel der Wahl darstellt. Er erwähnt, dass diese Creme nur gegen die entzündungsreaktion (Z. 015) eingesetzt wird, da die GRASmilben (Z. 008) nach einer gewissen Zeit, ohne dass etwas eingesetzt werden muss, verschwinden. Den Grund dafür gibt er damit an, dass es sich bei dem menschen (Z. 011) um einen FEH:Lwirt (Z. 007) handelt. Dann wiederholt er die Aufforderung, in einer Woche erneut bei ihm vorbeizuschauen:
017 A 01 un in ner WOche schau ich mir das noch mal an.
018 M 13 (0.27) oKAY?
019 A 01 ja?
020 p - 13 ( .) O:kay?
021 (0.41)
022 p - 13 rufen wir AN;
Die Mutter reagiert nach einer kurzen Pause mit oKAY? (Z. 018). Diese Rück meldung klingt etwas unsicher. Das könnte damit zusammenhängen, dass der Arzt zwar den Einsatz des Medikaments begründet, aber den Grund für einen weiteren Besuch auch in der Wiederholung nicht angibt.
An sich handelt es sich bei einem Grasmilbenbefall um einen harmlosen Be fund. Das unterstreicht der Arzt beispielsweise dadurch, dass er den Befall nicht behandelt. Dennoch wird auch in dem Merkblatt zur Herbstmilbe emp-
fohlen, bei einem Befall 11unbedingt ein[en] Arzt zu Rate zu ziehen", wenn es 11[ d]urch das Kratzen im Bereich der Stichstellen [zu] Infektionen" gekommen ist (siehe Merkblatt zur Herbstmilbe 2004, S. 3). Deswegen ist es möglich, dass bei dem Folgetermin überprüft werden soll, ob die bereits aufgetretene Ent zündung an den Einstichstellen abgeklungen ist oder ob eine Sekundärinfek tion vorliegt und eine Nachbehandlung erforderlich ist. Da eine Trombidiose üblicherweise nicht länger als zwei Wochen anhält und bereits seit einer Wo che besteht, fiele der Termin zudem genau auf das Datum, an dem die Trom bidiose abgeklungen sein müsste (vgl. Schöler 2003, S.1). Daneben kann na türlich bei einem Folgetermin somit überprüft werden, ob sich die Diagnose bewahrheitet hat. Ein Grund dafür, warum dies nicht expliziert wird, bleibt spekulativ und lässt sich anhand des Gesprächs nicht belegen.
Der Arzt fordert durch ein nachgedoppeltes Frageanhängsel mit stark steigen der Grenzintonation nach der zögerlichen Rückmeldung der Mutter lediglich eine weitere Reaktion ein. Nun reagiert aber die Patientin, die wie die Mutter ein O:kay? (Z. 020) realisiert, welches dieses Mal jedoch wegen der Dehnung und der etwas gequetschten Realisierung gelangweilt klingt. Nach einer relativ kurzen Pause doppelt sie nochmals nach und verspricht, anzurufen (Z. 022). Anschließend produziert sie dann auch noch eine ausgebaute Antwort mit dem Hinweis auf die von ihnen in der Zukunft ausgehende Handlung, die einem Sprechstundentermin nach ihrem Erfahrungswert vorausgeht, nämlich, dass man wieder in der Praxis anruft und sich einen Termin geben lässt (Z. 022). Bei diesem Versprechen nimmt sie mittels kollektivem Wir ihre Mutter mit in die Pflicht.58
Die Patientin und die Mutter interagieren beim Anziehen miteinander, wobei die Patientin u.a. verschiedene Handlungen beschreibt und mit der Mutter herumalbert. Derweil notiert der Arzt etwas in der Karteikarte der Patientin und stellt ein Rezept aus. Anschließend übergibt der Arzt der Mutter das Re zept und leitet damit die Beendigung der Erstkonsultation ein. Die Mutter erkundigt sich beim Ergreifen des Rezeptes noch nach der Anwendung der Salbe, wobei unklar bleibt, wen das kollektive Wir (Z. 032) in diesem Fall um fasst, gerade nachdem sie sich zu Anfang explizit als Agierende oder Verant wortliche für die Behandlung mit Medikamenten positioniert hat:
031 A 01 so:-
M 13 ( .) wie oft mach ma des DRAUF,
-
p 13 ( .) ((schnieft))
A 01 zweimal am TAG-
035 M 13 (0. 57) oKAY-
036 (0. 3)
58 Zum „kollektiven Wir" vgl. Kapitel 8, in dem gezeigt wird, dass das kollektive Wir eine aktivierende Funktion besitzt.
M 13 a[lles KLAR-
A 01 [und in ein ]er woCHE:-
039 (0.37)
040 p - 13 ((schnieft))
041 M 13 (0. 36) ja-
A 01 (0.58) seh ich sie WIEder:-
M 13 (0. 29) alles KLAR-
044 (0.81)
045 M 13 [mach_mer ]doch GLATT;
046 p - 13 [ja,
047 M 13 ( .) g[ä-
048 p- 13 [EI ]ne woche.
049 (1. 4)
050 p - 13 is doch ganz LEICHT-
051 (0.48)
052 M 13 HMhm;
053 (1. 6)
054 M 13 Okay-
Der Arzt beantwortet ihr die Frage mit einer Angabe zur Häufigkeit. Wäh rend die Mutter dies noch ratifiziert, erneuert der Arzt die Anweisung zum Vorbeikommen, wobei er die entscheidende Information dehnt, eine längere Pause macht und dann den Folgetermin hervorhebt, indem er das WIEder: (Z. 042) akzentuiert und dehnt. Die nochmalige Wiederholung der Aufforde rung zeigt, dass eine bestätigende Rückmeldung von der Mutter und nicht von der Tochter erwartet wurde, die ja bereits signalisiert wurde. Bevor der Arzt den zweiten Teil der Äußerung realisiert, hat die Mutter ein Rückmelde signal produziert und nach der Beendigung der Aufforderung realisiert sie zum Arzt gewandt mit alles KLAR- (Z. 043) eine markierte Bestätigung und mit [mach_mer ]doch GLATT; (Z. 045) zur Tochter eine Aussage, die die Bereit schaft zum Beherzigen des Rats ein weiteres Mal unterstreicht. Sie verwendet wie die Patientin das kollektive Wir und bezieht diese bei dem Versprechen eine zukünftige Handlung betreffend mit ein. Der Einsatz des kollektiven Wirs kommt auch hier einer Aktivierung der Patientin gleich, die daraufhin wiederholt, dass der Folgetermin [EI]ne wache. (Z. 048) später erfolgen soll und dann zu einer Bewertung dieser Aufgabe ansetzt, wobei sie diese als ganz LEICHT (Z. 050) einstuft, was die Mutter ratifiziert. Dass Mutter und Tochter dies hier so markiert behandeln, hängt sicherlich mit der mehrfachen Wieder holung der Aufforderung durch den Arzt zusammen und der damit verbun denen Nachdrücklichkeit, die nicht weiter expliziert wird. Durch die Bewer tung der Patientin, aber auch die Prosodie der Rückmeldungen der Patientin, die als gelangweilt interpretiert werden können, signalisiert sie, dass die mehrmalige Wiederholung der Aufforderung von ihr als unnötig empfunden wird. Der Hinweis der Mutter an die Patientin, der die gesteigerte Bereitschaft ausdrückt, sich nochmals in der Praxis einzufinden, ist mehrfachadressiert
(vgl. Hartung 2001)59 und bearbeitet die durch den Arzt offensichtlich infrage gestellte Therapietreue der Mutter. Durch ein weiteres Okay (Z. 054) erklärt die Mutter dann ihre Bereitschaft, mit der Gesprächsbeendigung fortzu fahren.
Anschließend erhält die Patientin durch den Arzt noch eine Belohnung und zieht sich mit Hilfe der Mutter die Jacke an. Der Arzt, der noch etwas geordnet hat, wendet sich zuerst der Mutter und dann der Patientin zu und verabschiedet sich von beiden.
Die Diagnosemitteilung wird der Mutter präsentiert, wie auch der Vorschlag einer Therapie. Daneben wird sie als Zuständige für die Durchführung der Maßnahmen behandelt. Als die Patientin Bereitschaft signalisiert, sich thera pietreu zu zeigen, wird deutlich, dass der Arzt an dieser Stelle auf die Ab sichtserklärung der Mutter wartet und die Rückmeldung der Patientin nicht ausreicht, auch wenn er bisher den Beiträgen beider Parteien Aufmerksamkeit geschenkt und - im Gegensatz zu Beiträgen oder Fragen der Mutter - regel mäßig sofort auf Äußerungen der Patientin reagiert hat.
Anhand eines Fallbeispiels, das in diesem Kapitel systematisch untersucht wurde, konnte nun auch exemplarisch aufgezeigt werden, dass die Redebe teiligung der Kinder zum einen 11 phasenweise" (Tates/Meeuwesen 2000,
S. 159; vgl. Schwabe 2006a, S. 50 oder Pantell et al. 1982, S. 398) und 11 gekop pelt an die Handlungsaufgaben" schwankt, zum anderen in bestimmten Se quenzen auch das Einschreiten einer anderen Person nachvollziehbar und vielleicht sogar erwartbar ist (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 5ff.; Tates/ Meeuwesen 2000, S. 159 oder Schwabe 2006, S. 50). Betrachtet man die 11 Ge sprächsmitte" (Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 284) des Gesprächs APEG_13 wird klar, dass man schwerlich von einer quantitativen Analyse auf die Beschaffenheit eines Gesprächs schließen kann. Denn so hat die Mutter nach dem Arzt zwar einen relativ hohen Redeanteil, dies ist aber interaktiv nicht unbedingt relevant. Sie übernimmt, nachdem der Arzt seine Fragen zu nächst nur an die Patientin richtet, zu großen Teilen die Beschwerdenschilde rung und Beschwerdenexploration, berichtet während der Untersuchung von subjektiven Krankheitstheorien, stellt Fragen zu prädiagnostischen Mitteilun gen und zur Therapieplanung. Dabei hat die Mutter sich zwar in der Anam nesephase das Rederecht 11 erkäm pft", sich dabei aber nicht in einen Rede rechtsstreit mit der Patientin begeben, sondern die Adressatenproblematik mit dem Arzt ausgehandelt, zumal sie zuvor von der Patientin selbst aktiviert wurde. Eine Ausgrenzung durch die Mutter fand dabei jedoch nicht statt, an-
59 Vgl. außerdem den Abschnitt 8.5 zu Mehrfachadressierung als Mittel in Kapitel 8.
ders als dies in der Studie von Davis aufgezeigt wurde (vgl. Davis 1982).60 Es handelte sich eher um eine Aushandlung von epistemischer Autorität und Zuständigkeit, die an der Oberfläche nachvollziehbar ist. Während der Unter suchung befindet der Arzt sich in einer Interaktionsdyade (Schmitt 2012,
S. 45) mit der Patientin, die er fast durchgehend beibehält. Dies ist durch die Orientierung des Arztes auf die körperliche Befunderhebung legitimiert (ten Have 1990) und wird dadurch unterstrichen, dass der Arzt Aufforderungen an die Patientin oder Onlinekommentare realisiert. Er akzeptiert die Über nahme des turns der Mutter in der Phase der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration und wählt diese auch bei prädiagnostischen Mitteilungen, der Diagnosemitteilung sowie der Therapieplanung klar als Adressatin aus. Hier ist es dann die Patientin, die sich selbstbestimmt zu Wort meldet. Analog zur körperlichen Untersuchung, in der die Interaktionsdyade mit der Patientin aufrechterhalten bleibt, bleibt in den Handlungsschema komponenten der Diagnosemitteilung sowie der Therapieplanung die Fokus sierung auf die Interaktion mit der Mutter bestehen. Der Arzt fordert von der Mutter eine Ratifikation ein, nicht von der Patientin. Bei der Beendigung sind wie bei der Begrüßung wieder alle Gesprächsteilnehmer gleichermaßen beteiligt.
Wie zuvor festgehalten wurde, ist der Redeanteil des Arztes gemeinhin am höchsten, während die Redebeteiligung des Patienten am geringsten ausfällt. Das ist nach Quasthoff zum einen „auf das Ausmaß [zurückzuführen], in dem entsprechende Gesprächsgegenstände in der Interaktion eine Rolle spielen" (Quasthoff 1990, S. 74) und darauf, dass die Gesprächsbeteiligten „einen der Beteiligten als für die Interaktion Verantwortlichen [definieren] und[...] ihn mit entsprechenden Sonderrechten aus[statten]" (ebd., S. 76). Dabei scheint es auch zunächst einmal gleichgültig zu sein, ob es sich um eine dyadische oder eine triadische Kommunikationssituation handelt. Der Arzt erhält durch das
,,Erscheinen" des Patienten in dessen Praxis „einen Behandlungsauftrag" (Spranz-Fogasy 2010, S. 27-39), einhergehend mit „erhöhte[n] Durchführungs rechte[n], die sich vor allem in dessen initialen Interaktionshandlungen aus drücken" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 95).
60 Die Ausgrenzung der Patienten wurde in dieser Studie, wie auch in der vorausgegangenen Studie von Strang (1979), in der dasselbe Material herangezogen wurde, für die unter schiedlichen Altersstufen festgestellt. Davis sieht für diesen Ausschluss die erwachsenen Gesprächsbeteiligten verantwortlich. Aronson/Rundström (1988) identifizieren in einer anderen Studie für die Eingrenzung oder Ausgrenzung der Kinder die Gesprächsführung und den Erziehungsstil der Eltern als entscheidend, während der Einfluss der Ärzte als konstant beschrieben wird. Stivers (2001) sieht dahingegend die Verwantwortung eher auf der Seite der Ärzte und auch van Dulmen (2004) begründet die Ausgrenzung durch eine Überforderung mit der triadischen Kommunikationssituation auf Seiten der Ärzte.
In einem dyadischen AGP kann man jedoch relativ klar
Inhalte [ausmachen], deren Entfaltung dem Arzt aufgrund seines Fachwissens, seiner diagnostischen und therapeutischen Aufgaben, kurz: aufgrund seiner Zuständigkeit, obliegen und solche Inhalte wie subjektive Befindlichkeiten, Be schwerden, Vorgeschichten etc., zu denen nur der Patient Zugang hat, für die er zuständig ist. (Quasthoff 1990, S. 74)
Das ist bei einem ärztlichen Gespräch mit triadischer Struktur nicht mehr ganz so einfach zu trennen. Zwar gibt es auch hier bestimmte Inhalte, die nach Quasthoff 11 der Zuständigkeit [des Arztes] obliegen" und die meisten Phasen des Gesprächs bestimmen, weswegen es auch nicht verwunderlich ist, dass die meisten Redeanteile auch im pädiatrischen Gespräch mit triadischer Struktur auf den 11 Agenten" (vgl. Ehlich/Rehbein 1980) der Institution entfal len (vgl. Quasthoff 1990, S. 74), aber die triadische Gesprächssituation bein haltet per se eine diffizile und konfliktträchtige Struktur. Die Patienten haben natürlich grundsätzlich den alleinigen 11 Zugang" zu den 11 subjektive[n] Be findlichkeiten, Beschwerden, Vorgeschichten etc." (Quasthoff 1990, S. 74), da sie 11 unmittelbar von diesem Problem betroffen" (Reiterneier 1994, S. 230) sind. Darüber hinaus werden
Selbstzuschreibungen[...] in der Sprachgemeinschaft als Ausdruck einer hoch gradig verlässlichen Wissensform behandelt, was sich in einem signifikanten epistemischen Kredit ausdrückt: Selbstzuschreibungen werden in der Regel nicht korrigiert und bezüglich der Einschätzung seiner eigenen mentalen Zu stände hat der Sprecher das letzte Wort. (Michel/Newen 2007, S. 2)
Dies trifft jedoch zum einen nur auf II voll sozialisierte Subjekte" (Deppermann 2015, S. 14) zu. Kinder werden 11 in den westlichen Gesellschaften" gemeinhin nicht zwangsläufig 11 als nicht kritisierbare Experten für ihre eigenen mentalen und emotionalen Zustände[...] behandelt", wie man dies den Erwachsenen zu gesteht (vgl. ebd., S. 13f.). So ist es möglicherweise auch nicht verwunderlich, wenn die Patienten, die natürlich prinzipiell 11 einen in einzigartiger Weise un mittelbaren epistemischen Zugang zu den Inhalten ihres eigenen Geistes habe[n]" (Lauer 2010, S. 6), trotz epistemischer Autorität (vgl. z.B. Heritage/ Raymond 2005) sich nicht mehr als die Eltern verbal am Gespräch beteiligen. Zum anderen sind die Eltern nicht nur verantwortlich für die Kinder. Sie haben auch die erste Schilderung der Kinder mitbekommen, die Kinder vor dem Sprechstundengespräch beobachten und eigene Erfahrungen mit dem kranken Kind sammeln können (vgl. z.B. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 28ff.). Die Einschätzung der Eltern bezüglich der Schilderungen und/oder die eigenen Beobachtungen der Eltern sind der Grund für den Arztbesuch. Dem nach sind der Sprechstunde bereits erste Abwägungen und Beurteilungen des Allgemeinzustandes durch die Eltern vorausgegangen. Folglich entfällt die epi stemische Autorität bezüglich der Krankheitsgeschichte nicht ausschließlich auf die Kinder. Auch Eltern haben Erfahrungen mit dem kranken Kind gemacht
und können eigene Beobachtungen zur Krankheitsgeschichte einbringen - wenn sie nicht sogar allein auf Beobachtungen zurückgreifen können -, die vom Kind gar nicht gemacht wurden, wobei auch „in bestimmten Situationen [...] Beobachter ähnliche Erlebnisse habe[n] wie das betroffene Subjekt, [ob wohl] die Intensität und Qualität wesentlich verschieden [ist] und[...] zu ande ren mentalen Zuständen [führt]" (Michel/Newen 2007, S. 2). Darüber hinaus verfügen die Eltern schon aufgrund ihrer Erfahrungen mit eigenen Krankhei ten über mehr Krankheitswissen als die Kinder, können aber auch Informatio nen zu familiären Vorbelastungen angeben.
Beispielhaft wird hier auch ein Ausschnitt aus dem Gespräch APEG_06 her angezogen, in welchem der Arzt während der körperlichen Untersuchung eine Ausschlussdiagnose formuliert, die von der Mutter sofort mit dem Hin weis auf eigenes Wissen unterstützt wird:
Fallbeispiel 5:
APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); BE (00:01.95-03:03.01) 02:03.79-02:16.02
025 |
A |
01 |
(.) also BLINDdarm is nichts |
026 |
M |
06 |
(.) ja beine konnt se anWINkeln; |
027 |
M |
06 |
((lacht)) (.) ((Lachansatz)) |
028 |
|
|
( 0. 2) |
029 |
M |
06 |
0 hh (2.85) muss ma da AUCH erbrechen |
030 |
A |
01 |
(0.7) ja- |
031 |
M |
06 |
(.) ja, |
032 |
A |
01 |
(0.22) ja MUSS nich; |
033 |
A |
01 |
aber KAN[N; |
034 |
M |
06 |
[ja, l |
Die Reaktion der Mutter M_06 lässt darauf schließen, dass sie über das nötige Krankheitswissen verfügt, um diese Ausschlussdiagnose zu bestätigen. Der beschriebene Sachverhalt ist zudem ein Indiz dafür, dass sie auch vor der Konsultation des Arztes auf die Anzeichen einer „Blinddarmentzündung" ge achtet hat (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.; aber auch Heritage/ Raymond 2005). Eltern beobachten die Kinder mit ihren Problemen und glei chen das Beobachtete und von den Kindern Gehörte oder bei den Kindern Beobachtete mit ihrem Krankheitswissen ab. Dieser Ausschnitt unterstreicht, dass Eltern für die Ärzte in vielerlei Hinsicht wichtige Ansprechpartner darstellen.
Darüber hinaus konstatieren Heritage und Raymond, ,,dass Personen unter bestimmten Umständen angesichts ihrer sozialen Rolle Anspruch gegenüber der epistemischen Autorität des Empfindens anderer geltend machen und auch zugestanden bekommen" (Winterseheid 2015a, S. 197f.).61 Das gilt im
61 Mit Bezug auf Heritage/Raymond (2005, S. 20).
Besonderen für die für die Kinder Verantwortlichen. Die Eltern - und auch betreuende Großeltern - haben zweifelsohne diese besondere Rolle inne (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28ff.). Dass die Konsultation des Arztes stattfindet, fällt ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich der Eltern, die dazu verpflichtet sind, zum Wohle des Kindes zu handeln. Diese Entscheidung ist aber in mehrerlei Hinsicht angreifbar. So kann sich etwa im Lauf der Sprech stunde herausstellen, 11 dass der Arztbesuch völlig unnötig war oder viel eher hätte erfolgen müssen oder auch, dass eigene Maßnahmen nutzlos oder sogar schädlich gewesen sein könnten" (ebd., S. 29). Somit handelt es sich bei jedem Arztbesuch faktisch gleichzeitig auch um eine potenziell facebedrohende Si tuation für die Eltern.
Goffman definiert face als einen 11 positive[n] soziale[n] Wert" (Auer 1999,
S. 150; Hervorhebung im Original), welchen 11 eine Person durch ein konsis tentes Verhalten für sich beansprucht bzw. der ihr aufgrund dieses Verhaltens zugeschrieben wird" (ebd.). Daneben 11 fordert" jeder einzelne 11 seine Zu schauer auf, den Eindruck, den er bei ihnen hervorruft, ernst zu nehmen" (Goffman 1991[1959], S. 19).
Gesichtswahrendes Verhalten spielt nach Goffman auf die eine oder andere Wei se in jeder sozialen Beziehung und daher in jedem sozialen Handeln eine zentrale Rolle. Jede Interaktion bietet den Handelnden die Möglichkeiten und legt ihnen die Verpflichtung auf, ihr eigenes face zu wahren und sich zugleich so zu verhal ten, daß dies auch dem Interaktionspartner möglich ist. (Auer 1999, S. 150f.)
Damit wird das face der einzelnen Personen hergestellt und muss interaktiv aufrechterhalten werden. Mit der Pflege des eigenen und des fremden face sind die Gesprächsbeteiligten dauerhaft während der Interaktion beschäftigt und in erster Linie darum bemüht, einen Zwischenfall abzuwehren, einen sol chen zu übergehen oder diesen zu vertuschen (vgl. Goffman 1994, S. 21-24). Denn 11 [w]enn eine Störung eintritt, können wir feststellen, daß die Selbstdar stellungen, auf die eine Persönlichkeit aufgebaut wurde, diskreditiert wer den" (Goffman 1991[1959], S. 222). Sollte dies nicht möglich sein, muss diese Störung korrigiert werden. (vgl. Goffman 1994, S. 24-30).
Neben der alle antreibenden Suche nach der Diagnose dessen, was die Patientin 11 quält", herrschen demnach unterschiedliche Orientierungen bei den Gesprächsbeteiligten vor, die ebenso das Gespräch prägen:
Die Mütter in beiden angeführten Beispielen versuchen, Informationen zu präsentieren, die aus der eigenen Erfahrung wie den Beobachtungen im Vor feld herrühren, und engagieren sich bei der Suche nach einer Diagnose. Bei den Äußerungen der Mutter in APEG_13 zieht sich zudem der moralische Diskurs durch. Sie verweist regelmäßig auf ihre Verantwortlichkeit, die sie ernst nimmt, und signalisiert, dass durch die Reaktion des Arztes dieses Selbst-/Fremdbild auf dem Prüfstand steht (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 28-30).
Zwischenfazit 7g
Die Patientin ist Lieferantin von Symptomen und präsentiert sich auch als diese: Sie nimmt die Aufforderung an, die Anamnese mit dem Arzt zu bestrei ten und beginnt, nachdem sie ihm von dem sie quälenden Leiden berichtet hat, ihre Kleider auszuziehen, damit der Arzt die Hautstelle selbst in Augen schein nehmen kann. Damit stellt sie sich mit ihren fünf Jahren zudem als er fahrene Patientin dar und zeigt dieses an der Handlung, die prospektiv auf die Untersuchung hin ausgerichtet ist (vgl. Winterseheid 2015a, S. 201), wo durch sie sich als eine Patientin präsentiert, die weiß, dass die körperliche Untersuchung der Anamnese folgt und sie dafür bestimmte Vorbereitungen treffen muss, zu denen man sie nicht auffordern muss (vgl. auch Spranz-Fo gasy/Winterscheid i.Ersch.). Ferner beansprucht sie aber nicht die alleinige Wissenshoheit bezüglich der Hautirritation. Das macht sie dadurch deutlich, dass sie von einem gemeinsamen Nichtwissen spricht, womit sie ihre Mutter im Rahmen der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration aktiviert und sich auch nicht mit ihr in einen Rederechtstreit begibt, als diese das Rederecht tatsächlich übernimmt. Sie zeigt weiterhin durch das Singen und Summen an, dass sie nicht beabsichtigt, das Rederecht erneut zu über nehmen, und dass sie auch nicht annimmt, dass dies von ihr verlangt wird. Ob sie keine weiteren Informationen liefern kann oder erwartet, dass nun die Mutter berichtet, eine Untersuchung direkt anschließt etc., kann an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. Dass sie sich jedoch nicht weiter zuständig fühlt, kann ausgeschlossen werden, da sie sich für eine weitere Phase vorbereitet und dem Gespräch trotz des Singens und der Interjektionen folgt und beispielsweise auch sofort reagiert, als der Arzt zur Untersuchung überleitet. Auch ihre Mitarbeit im Rahmen der Therapieplanung signalisiert eine aktive Beteiligung der Patientin (vgl. auch Winterseheid 2015a). Gleich zeitig stilisiert sie sich zum Ende des Gesprächs als eine Person, die für die Einhaltung der verordneten Maßnahmen mitverantwortlich ist und diesbe züglich auch Zusagen machen kann. So verspricht sie beispielsweise, dass sie einen weiteren Termin telefonisch vereinbaren werden.
Der Arzt begibt sich auf die Suche nach der Diagnose, ist aber stetig bemüht, die epistemische Autorität der Patientin zu wahren, gleichzeitig auf die Sor gen der Mutter sowie deren epistemischen Autorität einzugehen und die je weiligen Zuständigkeiten zu berücksichtigen. Das gelingt ihm in den meisten Fällen. 62 Lediglich bei der zweiten Frage wird durch die Mutter bezogen auf die Adressierung eine Korrektur vorgenommen. 63 Jedoch nicht nur der Arzt befindet sich im Spagat in dieser Triade, der auf beide Gesprächsbeteiligten eingehen muss und zugleich ihre Beteiligungsrollen und Verantwortungsbe reiche berücksichtigen muss, auch die Mutter befindet sich in einer besonde-
62 Im Gegensatz zu der von van Dulmen (2004) aufgestellten These, dass Ärzte aufgrund der Mehrpersonenkonstellation mit dieser Situation überfordert sind.
63 DieAdressierung in den Erstkonsultationen wird in Kapitel 8 weiter vertieft.
ren Situation, indem sie als Mutter und Verantwortliche an dem Gespräch beteiligt ist (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). Sie ist verantwortlich für die Patientin und damit auch für deren Gesundheit zuständig. Zudem ist die Mutter die erste Ansprechpartnerin, Beobachterin der Symptome und des Be findens der Tochter und die Person, die zuerst subjektive Krankheitstheori en64 entwickelt und diese angenommene Symptomatik behandelt (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 16-27). Sie ist darüber hinaus zuständig für die Therapie, die sich aus der Erstkonsultation und der darin entwickelten Therapieplanung des Arztes ergeben. Sie präsentiert sich als verantwortungs bewusste und besorgte, wenn auch nicht übermäßig besorgte Mutter, die erst am Punkt, an dem sie sich ihrer eigenen Hilflosigkeit bewusst wird, den Arzt aufsucht (vgl. ebd., S. 28ff.). Deswegen tritt sie als die Mutter der Symptom trägerin auf, aber auch als eine, die selbst Trägerin einer Beobachtungsge schichte ist und nicht mehr weiterweiß. Sie unterstützt in dieser Situation in dem Sinne, dass sie Informationen liefert, die über das von der Patientin Ge sagte hinausgehen und präsentiert Beobachtungen und Theorien. Dabei muss sie darauf achten, dass die Theorien nicht zu fachmännisch geäußert werden, um dem Arzt nicht seine fachliche Kompetenz streitig zu machen. Das sieht man auch daran, dass sie den Fachbegriff der von ihr vermuteten Ursache erst nennt, nachdem der Arzt nicht auf die Theorie reagiert. Daneben werden Äußerungen, die prädiagnostische Mitteilungen oder Diagnosen des Arztes sind, nicht direkt angezweifelt oder bestätigt. Dies geschieht sehr zurück haltend.
Neben der Adressierung, die die Gesprächsbeteiligten in einer triadisch-päd iatrischen Kommunikationssituation zu bewältigen haben, konnte man in diesem Beispiel ebenfalls nachvollziehen, dass bestimmte Handlungsschema komponenten im pädiatrischen Arzt-Patient-Gespräch eher mit einer oder auch mit beiden Parteien verhandelt werden .65
64 An diesem Beispiel hat man überdies verfolgen können, wie präsent selbst abgewählte subjektive Krankheitstheorien sein können. Deswegen wird im Kapitel 9 der Fokus auch auf subjektiven Krankheitstheorien sowie weiteren Initiativen der Eltern liegen, die im triadisch-pädiatrischen Gespräch angesprochen oder angedeutet werden. Es handelt sich bei subjektiven Krankheitstheorien, Untersuchungsvorschlägen etc. eigentlich durchge hend um Initiativen der Eltern. Lediglich im Gespräch APEG_13 wird eine subjektive Krankheitstheorie durch eine Patientin eingebracht, welche allerdings gleich von der Mut ter als ihre eigene Theorie identifiziert wird.
65 Aus diesem Grund erscheint eine Überarbeitung des Handlungsschemas notwendig; vgl. hierzu Spranz-Fogasy/Winterscheid (2013) und Kapitel 6.
HANDLUNGSSCHEMA DER TRIADISCH PÄDIATRISCHEN KOMMUNIKATION
Die Beispielanalyse legt nahe, dass es auffallende Unterschiede zwischen ei nem als typisch einzuordnenden dyadischen Erstgespräch und einem typi schen Erstkonsultationsgespräch in der pädiatrischen Praxis gibt, auch wenn sich die von Spranz-Fogasy als 11 idealtyp ische Abfolge" (Spranz-Fogasy 2005,
S. 20) an Handlungen herauskristallisierten Handlungsschemakomponenten ebenfalls in einem pädiatrischen Arzt-Patient-Gespräch wiederfinden. 66
Dies lässt sich auf die 11 triadische Gesprächskonstellation" zurückführen, die 11 für eine gesplittete Gesprächspartnerschaft mit unterschiedlichen An sprechpartnern und komplementären Sequenzierungsaufgaben [sorgt]" (Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.; vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). So stellen etwa in dyadischen Erstgesprächen gemeinhin 11 Begrüß ung und Gesprächseröffnung[...] de[n] Beginn der Beschwerdenexploration" (Spranz Fogasy 2005, S. 21) dar, während 11 in der Kinderarztpraxis regelhaft zunächst eine ausdrückliche Begrüßung des Patienten und des/der begleitenden Er wachsenen statt[findet], bevor der Arzt sich schließlich nach dem Grund des Besuchs erkundigt" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6). In allen Gesprä chen findet eine Begrüßung aller Gesprächsbeteiligten statt und auch die Ge sprächsbeendigung erfolgt unter allen Gesprächsbeteiligten.
In APEG_13 haben nacheinander die Patientin und dann die Mutter die Beschwerdenschilderung übernommen. In der Phase der körperlichen Unter suchung fand eine Fokussierung des Arztes auf die Patientin statt. Online kommentare (vgl. z.B. Heritage/Stivers 1999), prädiagnostische Mitteilungen (vgl. z.B. Spranz-Fogasy 2014) und die Diagnose werden der Mutter mitgeteilt und auch in der Handlungsschemakomponente der Therapieplanung wählt der Arzt die Mutter als Adressatin aus. In Bezug auf die Beteiligung der Ge sprächsbeteiligten in der Beispielanalyse kann diese als typisch für triadisch pädiatrische Erstkonsultationsgespräche festgestellt 67 und auch die Aufga benverteilung innerhalb des Gesprächs kann im Vergleich zu den anderen Interaktionen des Analysekorpus als prototypisch ausgemacht werden.
Es kann mitunter aber auch vorkommen, dass der anwesende Elter zuerst mit der Beschwerdenschilderung beginnt und der Arzt sich anschließend an den Patienten wendet und von diesem noch Informationen erfragt. Im Unter schied zum Gespräch APEG_13 wird in einigen Gesprächen im Rahmen der Therapieplanung auch den Patienten ihre Aufgabe im Rahmen der Therapie
66 Verkürzt dargestellt wurde diese Variation des Handlungsschemas auch in Spranz Fogasy/Winterscheid (2013, S. 5-8).
67 Vgl. Kapitel 5 oder Spranz-Fogasy/Winterscheid (2013, S. 29) und z.B. die Ergebnisse der Studie von Aronsson/Rundström (1988).
erläutert oder sie werden ebenfalls zur Therapie - etwa zu Vorlieben bezüg lich der Darreichungsform von Medikamenten - befragt.
11
Allein schon die Fokussierung des Arztes während der jeweiligen Hand lungsaufgaben auf die einzelnen Gesprächsbeteiligten spricht für die Erwei terung der klassischen Handlungsschemakomponenten. Daneben fällt auf, dass die Patientin P_13 in APEG_13 nach ihrer Beschwerdenschilderung be ginnt, sich für die körperliche Untersuchung vorzubereiten (vgl. Beispielana lyse in Kap. 5). Das hängt mit ihrem Wissen bezogen auf diesen Interaktions typen zusammen und deckt sich auch mit den Beobachtungen hinsichtlich aller erhobenen Interaktionen in der pädiatrischen Praxis, in welchen aus nahmslos eine körperliche Untersuchung der Patienten stattfindet (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). Analog zu diesen Beobachtungen stel len auch Güthoff und Rosenecker im Kapitel 11 Anamneseerhebung" ihres Leitfadens fest, dass 11 sich in der Regel die körperliche Untersuchung des Kin des anschließt" (Güthoff/Rosenecker 2008, S. 8), wohingegen eine körperliche Untersuchung in dyadischen Arzt-Patient-Gesprächen mit Erwachsenen häu fig unterbleibt und 11 in dyadischen Arzt-Patient-Gesprächen oft schon die Schilderung der Beschwerden und eine kurze Fragerunde genügt" (Spranz Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6; vgl. Hampton et al. 1975). Ferner ist diese Se quenz 11 allein schon deshalb interaktional auffällig, da sie regelmäßig mit ei ner Umpositionierung der Gesprächsbeteiligten im Raum zusammenfällt" sowie auch durch entsprechende Ankündigungen oder Aufforderungen ein geleitet und aufgelöst wird (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). So empfiehlt es sich aufgrund der Analysen der triadisch-pädiatrischen Erstkon sultationsgespräche, die körperliche Untersuchung als eigenständige Hand lungsschemakomponente zu betrachten, 68 obwohl [ d]ie körperliche Unter-
68 Nowak (2010) und Lalouschek (2013) haben sich sogar in Anlehnung an die damalige Ausarbeitung von Byrne/Long (1978[1976]) dafür ausgesprochen, die körperliche Unter suchung im Handlungsschema ärztlicher Gespräche als eigenständige Handlungssche makomponente zu verankern. Nowak hat zudem darauf hingewiesen, dass zu dieser Komponente 11 im deutschsprachigen Raum" (Nowak 2010, S. 185) - im Gegensatz zu 11 neuere[n] US-amerikanische[n] Arbeiten" (ebd.) - 11 zu wenig Primärforschung vorliegt" (ebd. S. 342). Overlach bezieht sich hingegen bei dem prototypischen Verlauf eines Ge sprächs auf ten Have (1989, 2002) und Spranz-Fogasy (1987) und rechnet die körperliche Untersuchung dementsprechend zur Beschwerdenexploration dazu, während er den Be schwerdenvortrag als eigenen Punkt aufführt: 1) Begrüßung/Gesprächseröffnung (open ing - relating to the patient) 2) Beschwerdenvortrag (complaint - discovering the reason for attendance) 3) Beschwerdenexploration und Untersuchung (examination or test - conducting a verbal or physical examination or both) 4) Diagnosemitteilung (diagnosis
consideration of the patient's condition) 5) Therapieplanung und Verordnung (treat ment or advice -detailing treatment or further investigation) 6) Verabschiedung (closing
terminating). Den Beschwerdenvortrag sieht Overlach als 11 Monolog" und in der Ver antwortung des Patienten, der 11 mindestens eine Beschwerde vorbringt, die als Anlass für den Arztbesuch ausreichend ist (und als Begründung oder account dafür auch erforder lich [ist])" (Overlach 2008, S. 174f.).
suchung zwar direkt keine sprachliche Handlung ist], [...] aber durch sprachliche Handlungen begleitet [wird]" (Nowak 2010, S. 338).
In den aufgezeichneten Gesprächen wird meistens von den Ärzten nach der allgemeinen Begrüßung eine der beiden Gesprächsparteien - in etwa 72% aller Gespräche handelt es sich dabei um die Patienten - explizit als nächster Sprecher ausgewählt. Allein durch den Adressatenwechsel von Seiten des Arztes sind die Phasen der Begrüßung und der Gesprächseröffnung anders als im dyadischen Arzt-Patient-Gespräch klar voneinander zu unterscheiden (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 6).69 Die Komponente der Be schwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration, in der es - nach Spranz-Fogasy- darum geht, 11 das spezifische Fallwissen über die Beschwer den seitens des Patienten und das allgemeine medizinische Wissen des Arztes für die Zwecke des Gesprächs angemessen abzugleichen" (Spranz-Fogasy 2005, S. 21), wird - aus ärztlicher Perspektive - zu großen Teilen mit den El tern bestritten. Tatsächlich kommen der Aufforderung des Arztes nur 32% der Patienten nach. In diesen Fällen übernehmen nach durchschnittlich 16,25 Se kunden die Eltern das Rederecht und fahren mit der Beschwerdenschilde rung fort. In anderen Fällen beginnen die Eltern, starten beide Parteien gleich zeitig und hin und wieder geben die Kinder den Auftrag auch gleich an die Eltern weiter. Gelegentlich wird auch noch eine andere Sequenz - beispiels weise eine Smalltalk-Sequenz - eingeschoben. Entweder durch Aufforderun gen eines der aktiven Sprecher oder eigeninitiativ meldet sich dann ebenfalls die gerade verbal passivere Partei zu Wort. Deswegen ist diese Zweiteilung im Handlungsschema zu berücksichtigen. In allen Arzt-Patient-Gesprächen beim Kinderarzt erfolgt anschließend eine körperliche Untersuchung.70 Die se Komponente wird dadurch eingeleitet, dass der Arzt sich an den Patienten wendet und die Handlungsschemakomponente anbietet und/oder ihn bittet, sich für diese vorzubereiten. Zumeist wird - abhängig vom Raum, in dem die Interaktion stattfindet - damit einhergehend ein Positionswechsel des Patien ten und des Arztes vollzogen (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). Der anwesende Elternteil wendet sich in der Regel der Liege zu, auf der die Unter suchung stattfindet. Der Arzt und der Patient bilden in dieser Phase eine eigene 11 lntera ktionsdyade" (Schmitt 2012, S. 45). Während der Untersuchung findet eine Fokussierung des Arztes auf den Patienten statt. Gelegentlich stellt der Arzt auch Fragen an das Elternteil oder teilt dem Elternteil Befunde mit. Geschieht dies, wird das Elternteil sodann zumeist gebeten, sich der Liege zu nähern. Oft nutzen die Eltern diese Phase allerdings auch, um dem bisher Erfragten oder Geschilderten noch etwas hinzuzufügen, nicht erwähnte Über-
69 Zur Frage der Adressierung bei der Aufforderung mit der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration zu beginnen vgl. Kapitel 8.
70 In den Transkripten wird die körperliche Untersuchung im Folgenden mit „kU" ab gekürzt.
legungen anzubringen oder eigene Erfahrungen mit dem kranken Kind dar zulegen (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.). Die Äußerungen des Arztes, der mitunter sogar auf die Äußerungen außerhalb dieser Dyade nicht reagiert, richten sich derweilen in der Regel weiterhin an den Patienten. Die Diagnosemitteilung erfolgt im Allgemeinen nach Beendigung der Unter suchung und der Auflösung der für die Untersuchung mit dem Patienten ein gegangenen Interaktionsdyade. Der Arzt beendet diese Phase üblicherweise, indem er den Patienten bittet, sich wieder anzukleiden, und selbst wieder auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz nimmt. Allein dadurch, dass sich der Patient während des Anziehens nicht in unmittelbarer Nähe des Schreib tisches befindet, aber auch wegen der Verantwortlichkeit der Eltern, erscheint es nur folgerichtig, dass die Eltern adressiert werden, wenn die Diagnosemit teilung erfolgt, aber auch reagieren, wenn diese gänzlich ohne Adressatenbe zug stattfindet (vgl. Kap. 5 und Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). Kongru ent verhält es sich bei der Aushandlung der Therapieempfehlung. Dass verschiedene Phasen im pädiatrischen Gespräch - üblicherweise vor allem diese beiden Phasen - mehr oder weniger 11 dyadisch" bestritten werden, wur de auch in verschiedenen anderen Studien (z.B. bei Tates 2001) festgestellt. Während die Medikamentenverordnung, Symptome, die noch hätten auftre ten können oder möglicherweise noch auftreten werden, erwartbare Neben wirkungen etc. eher mit den Eltern besprochen werden, legt der Arzt die Aus wirkungen und Symptome, genauso wie die konkrete Handlungsempfehlung, oft wieder den Kindern als den unmittelbar Betroffenen offen. Gewöhnlich reagieren diese jedoch nicht darauf. Die Phasen der Gesprächsbeendigung und der Verabschiedung werden dann wieder von allen Parteien bestritten.
Auch in den einzelnen Komponenten ist die Beteiligung nicht konstant: So gibt es zumeist zwei Phasen in den Handlungsschemakomponenten Be schwerdenschilderung- und Beschwerdenexploration sowie der Therapiepla nung. Dabei handelt es sich zwar um keine eigenständigen Handlungssche makomponenten,diese Phasen sollten aber nichtsdestoweniger aufgenommen werden.
Diese Feststellungen erzwingen die Differenzierung der Handlungsstruk tur pädiatrischer Erstkonsultationsgespräche gegenüber ärztlichen Gesprächen mit erwachsenen Patienten (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 5-9):
s: ."c' C. C = |
Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration (in zwei Phasen}
Körperliche Untersuchung
Diagnose Therapieplanung(in zwei Phasen) |
Gesprächsbeendigungund Verabschiedung |
Begrüßung Gesprächseröffnung
Abb. 6 I Differenzierung des Handlungsschemas ärztlicher Gespräche für triadisch-pädiatrische Gespräche
Von ärztlicher Seite wird der triadischen Interaktionssituation dadurch Rech nung getragen, dass der Arzt mittels Fokussierung oder expliziter Adressie rung (vgl. z.B. Hartung 2001) - schematisch - bestimmte Phasen eher mit der einen oder anderen Partei und in bestimmten Phasen mit beiden Parteien aus handelt. Doch auch eine deutlich adressierte Frage oder Aufforderung wird nicht zwangsläufig von der adressierten Partei beantwortet oder bedient. In einigen Fällen reagiert die nicht adressierte Partei. Dies kann nach Aushand lung der Parteien geschehen oder auch durch eine selbstinitiierte Übernahme. Daneben gibt es auch Fragen oder Aufforderungen, die nicht klar adressiert werden. Auf die Adressierung sowie Rederechtsübernahmen oder Rede rechtsaushandlungen wird in den nächsten Kapiteln 7 und 8 näher eingegan gen. An dieser Stelle soll nur darauf verwiesen werden, dass während des Gesprächs in der Kinderarztpraxis mit triadischer Struktur bei einem kons tanten Interaktionsensemble (vgl. Goffman 1983, aber auch Schmitt 2012 oder Schmitt/Deppermann 2007) jeweils nur die 11 Gestaltun g" desselbigen variiert (vgl. Bauer 2009, S. 63), die aber durch ihre Regelhaftigkeit Beachtung inner halb des Handlungsschemas finden muss.
VERGLEICH ZWEIER INTERAKTIONEN MIT EINER DIVERGIERENDEN PATIENTENBETEILIGUNG
Untersucht man nun die Redebeteiligung anhand der Handlungsschema komponenten für die triadisch-pädiatrische Kommunikation, so fällt zuerst auf, dass sich die Patienten generell sowohl in der Schemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration sowie der körperli chen Untersuchung verbal am stärksten beteiligen. Die verbale Beteiligung der Patienten in den Schemakomponenten der Diagnosemitteilung und The rapieplanung ist entweder sehr gering oder nicht existent. Durchschnittlich gestaltet sich die Redebeteiligung der Patienten in der Kernphase des tria disch-pädiatrischen Gesprächs unter Berücksichtigung der Handlungssche makomponente folgendermaßen:
Beschwerdenschilderung ■ Untersuchung ■ Diagnose ■ Therapieplanung
Abb. 71 Durchschnittliche Redebeteiligung der Patienten in Bezug auf die Handlungsschemakomponenten für das triadisch-pädiatrische Gespräch
Global betrachtet sind die Redebeteiligung der Patientin in den Schemakom ponenten der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration so wie der körperlichen Untersuchung über die gesamten Interaktionen des Analysekorpus etwa gleich hoch. Danach fällt die Beteiligung der Patienten stark ab, was jedoch hinsichtlich der Handlungsaufgaben - wie in den Kapi teln 5 und 6 festgestellt wurde - auch nicht verwunderlich ist.
Allerdings sagt das Diagramm (Abbildung 7) nicht viel aus, denn im Ana lysekorpus gibt es Interaktionen, in denen die Patienten eine sehr hohe Rede beteiligung während der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexplora tion aufwiesen und die Beteiligung während der Untersuchung dann deutlich geringer war. In anderen Gesprächen ist die Beteiligung zu Anfang des Ge sprächs sehr gering und während der körperlichen Untersuchung dann deut lich höher. Dies ist jedoch nur eine Tendenz, denn es gibt auch Interaktionen,
wie APEG_06, in der die Patientin sich nur sehr wenig im Rahmen der Be schwerdenschilderung und Beschwerdenexploration beteiligt und die verba le Beteiligung während der körperlichen Untersuchung ebenfalls sehr gering ausfällt. Daneben gibt es einige Gespräche, in denen die Beteiligung der Pati enten in der Schemakomponente Beschwerdenschilderung und Beschwer denexploration ungefähr so hoch ist wie in der Schemakomponente körperli che Untersuchung.
Um die Redebeteiligung der Patienten etwas genauer zu betrachten, werden nun beispielhaft Daten zweier Interaktionen betrachtet, die sich hinsichtlich der Beteiligung der Patienten stark unterscheiden. Hierfür werden nacheinander die Interaktion, die sich durch eine sehr niedrige Redebeteiligung einer Patien tin auszeichnet, und die Interaktion, in welcher sich die Patientin vergleichs weise aktiv beteiligt, gegenübergestellt (vgl. Abbildung 8).71 Bei dem Vergleich der beiden Interaktionen fällt auf, dass beide Patientinnen während der Beschwerdenschilderung/-exploration, der körperlichen Untersuchung wie auch der Therapieplanung verbal aktiv beteiligt sind. Homogen verhält es sich bezüglich der Beteiligung der Patientinnen - wie im Übrigen auch bei den an deren untersuchten Gesprächen - während der Diagnose in den Gesprächen. Diese Komponente wird grundsätzlich zwischen den erwachsenen Beteiligten verhandelt. Weiterhin kann man feststellen, dass die Beteiligung der Patientin nen während der Kernphase des Gesprächs abnimmt (vgl. dazu auch Kap. 4). Diese Feststellungen decken sich mit den Feststellungen aus den Kapiteln 4 und 5. Die Beteiligung der sie zu begleitenden Eltern ist in der Schemakompo nente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration annähernd gleich. Während inAPEG_04 der Arzt einen geringeren Redebeitrag als die Pa tientin hat, ist der Redebeitrag des Arztes in APEG_17 deutlich höher. In den nachfolgenden Schemakomponenten ist die Redebeteiligung des Arztes jeweils sehr ähnlich, es variiert nur die Beteiligung der Eltern bzw. der Patientinnen. Typisch ist außerdem, dass die Beteiligung der Eltern während der körperli chen Untersuchung abnimmt oder gar nicht vorhanden ist. Heterogen erscheint jedoch die Beteiligung der Patientinnen in den anderen Phasen der 11 Gesprächs mitte" (Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 284) dieser beiden Gespräche. Gerade die interaktive Beteiligung der Patientinnen während der Beschwer denschilderungund Beschwerdenexploration divergieren maximal. Um Unter schiede zwischen diesen Gesprächen herauszuarbeiten, werden nun diese bei den Gespräche etwas eingehender betrachtet.
71 Im Analysekorpus gibt es zwar noch zwei Gespräche, in denen eine noch geringere Re debeteiligung der Patienten vorliegt, da sich zum einen diese beiden Interaktionen stark von den anderen Interaktionen unterscheiden, und zum anderen die beiden für die Ge genüberstellung ausgewählten Interaktionen verschiedene gleiche Parameter aufweisen und somit für einen Vergleich optimale Voraussetzungen bestehen. Besonders vorteilhaft für eine Gegenüberstellung ist zudem, dass beide Gespräche bei demselben Arzt stattge funden haben und die beiden Patientinnen jeweils neun Jahre alt sind.
Beschwerdenschilderung und
Beschwerdenexploration (APEG_04)
Beschwerdenschilderung und
Beschwerdenexploration (APEG_l7)
körperliche Untersuchung
(APEG_04)
körperliche Untersuchung
(APEG_17)
Diagnosemitteilung
(APEG_04)
Diagnosemitteilung
(APEG_17)
Therapieplanung
(APEG_04)
Therapieplanung
(APEG_17)
Arzt ■Patientin ■ Vater
VVeerrgglleeiicchh zzwweeiieerr IInntteerraakkttiioonneenn mmiitt eeiinneerr ddiivveerrggiieerreennddeenn PPaattiieenntteennbbeetteeiilliigguunngg 8899
AAbbbb.. 88 |I GGeeggeennüübbeerrsstteelllluunngg ddeerr RReeddeebbeetteeiilliigguunngg vvoonn AAPPEEGG__0044 uunndd AAPPEEGG_1177
Interaktion mit einer relativ niedrigen Redebeteiligung seitens der Patientin
Bei dem Gespräch APEG_17 handelt es sich um ein Gespräch, das durch eine relativ niedrige Redebeteiligung seitens der Patientin geprägt ist. Die neun jährige Patientin hat Kopfschmerzen. Die Schmerzen sind akut. Wie in den meisten Gesprächen wird die Patientin durch den Arzt ausgewählt (vgl. Kap. 6), die Beschwerden zu schildern, wegen denen diese Erstkonsultation anbe raumt wurde. Die Patientin antwortet zunächst auf die Fragen des Arztes. Nach kurzer Zeit greift die Mutter ein und übernimmt das Rederecht.
Fallbeispiel 6:
APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); BE (00:06.51-01:00.69) 00:08.11-00:37.16
001 |
A |
02 |
0 h |
(.) querida was is mit DIR, |
|
002 |
P |
17 |
(1.52) ich hab (0.34) ganz starke KOPFschmerzen |
|
|
003 |
A |
02 |
(.) KOPFschmerzen hasch-=ja, |
|
|
004 |
|
|
(1. 55) |
|
|
005 |
M |
17 |
<<piano> was [is (denn/dann/damit) >] |
|
|
006 |
A |
02 |
[seit WANN ]is n [d |
l es, |
|
007 |
XX |
|
[+++ |
|
|
008 |
P |
17 |
<<piano> (da) > (0.34) |
|
|
009 |
M |
17 |
<<piano> seit>, |
|
|
010 |
P |
17 |
(1. 37) |
|
|
011 |
M |
17 |
GEStern. |
|
|
012 |
A |
02 |
(0.81) seit GEStern is [d ]es; |
|
|
013 |
M |
17 |
[ja; |
|
|
014 |
A |
02 |
0 h |
(.) un hasch auch FIEber gehabt, |
|
015 |
P |
17 |
(0.91) BISSchen; |
||
016 |
M |
17 |
(.) BISS[chen- |
||
017 |
A |
02 |
[biss ]chen(.) wie [ab |
||
018 |
M |
17 |
[SIEbenund]dreißig, |
||
019 |
M |
17 |
so leicht erHÖHT; |
||
020 |
A |
02 |
(.) nö;=des s NORmal |
||
021 |
A |
02 |
[SIEbenunddre]ißig isch norm[al; |
||
022 |
M |
17 |
[isch OKAY, l |
||
023 |
M |
17 |
[isch in] [ORDnung; |
024 A 02
025 M 17
[ h bei dem warme wetter dar[f_s so]gar auch etwas Höher sein;
0
[OKAY;
026 |
A |
02 |
[nee des is oK ]AY |
027 |
M |
17 |
[GUT.=dann is o] |
028 |
A |
02 |
ja; |
029 |
A |
02 |
oh |
030 |
M |
17 |
und (.) Übelk |
031 |
M |
17 |
(.) irgendwie is ihr immer SCHW[IND]lig |
032 A 02 [ h l
0
Interaktion mit relativ niedriger Redebeteiligung der Patientin g1
033 |
A |
02 |
(0.51) SCHWINdel auch; |
034 |
A |
02 |
[hä, l |
035 |
M |
17 |
[geNAU; ] |
036 |
A |
02 |
0 0 (.) h h un hasch au[ch h |
037 |
M |
17 |
[aber seit ]GEStern schon- |
038 |
A |
02 |
(.) hm ja-=un hasch auch des gefühl gehabt du musch |
|
|
|
BRECHen, |
039 |
p - |
17 |
(0. 77) |
040 |
A |
02 |
[ja. l |
041 |
M |
17 |
[ja- l |
042 |
A |
02 |
(.) gut; |
Die Patientin reagiert auf die Aufforderung, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen, welche in Form einer offenen Frage realisiert wurde, erst nach einer Pause von 1,52 Sekunden, geht dann aber mit ich hab (0.43) ganz starke kopfSCHMERzen- (Z. 002) auf den Grund des Arztbesuchs ein. Der Arzt bestä tigt diesen Sachverhalt und erkundigt sich bei ihr nach einer weiteren Pause nach der Dauer des Leidens. Diese beiden längeren Pausen (Z. 002/004) scheint die Mutter jeweils als 11Vorfall" (Schmitt 1997, S. 56) einzustufen und wendet sich beinahe simultan zur nächsten Äußerung des Arztes mit einer Frage an die Patientin, um diese zum Weiterreden zu aktivieren. 11 [D]as Un
11
terlassen von erwarteten und erwartbaren Aktivitäten" kann als Vorfall" in
terpretiert werden, der eine Unterstützungssequenz nach sich ziehen kann (vgl. Schmitt 1997, S. 56). Dadurch, dass sich die nächste Frage des Arztes und die Frage der Mutter überlappen, führt die Mutter ihre Frage nicht zu Ende und 11 repariert" somit 11 als Unterbrochene selbst [...] die Situation" (Linke/ Nussbaumer/Portmann 2001, S. 270). An der Frage der Mutter (Z. 005) kann man, obwohl diese abgebrochen und auch nicht bearbeitet wird, nachvollzie hen, dass die Mutter außerdem auch die knappe Antwort der Tochter reparie ren will, indem sie eine Information erfragt, die diese bisher noch nicht ge nannt hat. Formal hat die Patientin die Frage des Arztes nämlich beantwortet. Aufgrund ihrer Erfahrung mit Arzt-Patient-Gesprächen weiß die Mutter je doch, 11 dass Antworten, die auf das Nötigste reduziert sind, Ausnahmen dar stellen" und sogar 11 dokumentieren [...], dass Patienten weitergehende Motive einer ärztlichen Frage entweder nicht verstehen oder sie aber unter interakti onstypologischen oder Beziehungsgesichtspunkten als deplatziert bewerten" (Spranz-Fogasy 2010, S. 102)72 und versucht die Patientin mittels der Frage zum Elaborieren der Äußerung zu bewegen. Auch als die Patientin auf die nächste Frage des Arztes nach der Dauer der Beschwerden zu einer Antwort ansetzt und durch einen Wortabbruch sowie das Ausbleiben eines neuerli chen Versuchs, der konditionellen Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) nachzu kommen, sowie durch den Blick zu ihrer Mutter ihre Unsicherheit signali siert, versucht die Mutter zunächst, sie dabei zu unterstützen, der Aufforderung
72 Siehe dazu auch Stivers/Heritage (2001, S. 151).
des Arztes selbst nachzukommen. Ähnlich wie Schmitt dies für „Ausbil dungssituationen" beschreibt, ,,formuliert und handelt [der Unterstützer] nicht für den Betroffenen, sondern spornt ihn an und schickt ihn auf den Weg, dies selbst zu tun" (Schmitt 1997, S. 74). Sie wiederholt dafür die Präposition seit (Z. 009), um die Patientin zu aktivieren, die erfragte Information selbst zu geben.
Dafür wendet sie sich durch eine leichte Drehung des gesamten Körpers nun ebenfalls der Patientin zu. Auch der Arzt hat sich als Reaktion auf den leise realisierten Wortabbruch nach vorne gebeugt.
Nachdem die Patientin jedoch der konditionellen Relevanz nach einer Pause von 1,37 Sekunden immer noch nicht nachkommt, liefert die Mutter nun selbst die Antwort. Nichtsdestoweniger adressiert der Arzt die Patientin bei der nächsten Frage erneut. Diese blickt kurz zur Mutter, bevor sie auf die Frage mit BISSchen; (Z. 015) antwortet. Nach der Bekräftigung durch die Mut ter (Z. 016) setzt der Arzt zu einer Präzisierungsfrage hinsichtlich der ermit telten Körpertemperatur an.73 Er bricht die Frage allerdings ab, da die Mutter die Information (Z. 018), die er gerade erfragen wollte, selbst einbringt. Durch diese Antwort relativiert die Mutter indes die zuvor getätigte Aussage, da es sich bei einer Körpertemperatur von 37°C tatsächlich nicht um Fieber han delt. Auch wenn die Mutter die Antwort der Patientin wiederholt hat, stuft sie das Messergebniss, nach dessen Nennung schließlich als einen Wert ein, der unter die Kategorie „erhöhte Temperatur" fällt (Z. 019), womit sie eine leichte inhaltliche Korrektur des Gesagten vornimmt.74 Dem genannten Wert sowie der Einordnung des Wertes widerspricht der Arzt nun jedoch entschieden und stellt zum einen heraus, dass der ihm mitgeteilte Wert nicht von der Nor malform abweicht (Z. 021) und damit noch nicht einmal erhöht sei, aber sogar
73 Zu den verschiedenen Fragetypen im Rahmen eines ärztlichen Gesprächs vgl. z.B. Spranz-Fogasy (2005, S. 35-44).
74 Auch wenn Korrekturen und Reparaturen in den triadischen Erstkonsultationen häufig vorkommen und auch je nach Partei, die diese realisiert, ganz anders ausfallen, kann in dieser Arbeit nicht eingehend auf diese eingegangen werden; vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen in Kap. 8 und Winterscheid/Kook (i.Vorb.), in dem auch auf dieses Bei spiel eingegangen wird.
bei diesen sommerlichen Temperaturen noch höher sein könnte und immer noch der Normalform entsprechen würde (Z. 024):
017 |
A 02 |
[biss ]chen(.) wie [ab |
018 |
M 17 |
[SIEbenund]dreißig, |
019 |
M 17 |
so leicht erHÖHT; |
020 |
A 02 |
(.) nö;=des_s NORmal |
021 |
A 02 |
[SIEbenunddre]ißig isch norm[al; |
022 M 17
023 M 17
024 A 02
[isch OKAY, l
[isch in] [ORDnung;
[ 0 h bei dem ]warme
025 M 17
wetter dar[f_s so]gar auch etwas Höher sein; [oKAY; ]
Bei diesen Ausführungen wendet der Arzt sich nun der Mutter zu, die ja das Abweichen von der Normalform bestätigt und auch bei der neuerlichen Ein ordnung ebenfalls eine Abweichung von der Normalform festgestellt hatte. Nach der Einstufung des Wertes und den Ausführungen des Arztes führt die Mutter noch weitere Symptome an. Indem sie ab dieser nun anstatt der Pati entin die weitere Beschwerdenschilderung übernimmt und von der Tochter in der dritten Person spricht, lassen sich hier gleich zwei interaktive Praktiken ausmachen, die Schwabe in pädiatrischen Sprechstunden herausgearbeitet hat, nämlich das 11 Sprechen für jemanden" - wodurch 11 eine klare Sprecher auswahl interaktiv übergangen wird" (Z. 036/040) - und das 11 Sprechenüber jemanden" - wodurch die 11 Beteiligung der Referenzperson, die somit zum Gegenstand des Gesprächs wird, für den folgenden Zug erschwert" (Z. 029/ 030/036) wird (Schwabe 2006a, S. 282). Bei der nächsten Frage des Arztes, die der Arzt erneut an die Patientin (Z. 038) richtet, reagieren beide mit intensi vem Nicken. Die Mutter blickt dabei zur Patientin und die Patientin zum Arzt. Der Arzt ratifiziert diese Antwort, während die Mutter die Antwort noch verbalisiert, und leitet dann zur körperlichen Untersuchung über:
Fallbeispiel 7: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); BE (00:06.51-01:00.69) 00:37.16-01:00.69
043 A 02 (.) 0 h (.) A:Lso (.) jetz müss mer mal gucken;=querida, 044 A 02 jetz musch du mal deinen (.) pulli ausZIEHN-
045 A 02 (.) setsch dich da NAUF- 046 (5.89)
047 M 17 ähm-=MAgenschmerzen sagt se hat se auch- 048 A 02 (0.26) HMhm,
049 (1.05)
050 M 17 gell,=HIER oben hasch du gsagt in der MITte tut s dir
<<piano> weh>;
Während die Patientin sich auszieht und damit für die Untersuchung vorbe reitet, erwähnt die Mutter noch ein weiteres Symptom, von dem ihr die Pati-
entin berichtet hat (Z. 047). Dabei spricht sie zunächst über die Patientin und fordert anschließend eine Bestätigung durch die Patientin ein, die auch mit tels Kopfnicken durch die Patientin erfolgt. Der Arzt nutzt die Vorbereitungs zeit, um Notizen in der Patientenakte der Patientin zu machen. Als er sich der Patientin zuwendet, stellt er der Patientin noch eine weitere Frage:
Fallbeispiel 8: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); kU (01:15.10-03:31.68) 01:15.10-01:22.28
001 A 02 0 h was haschen geGESSe heut morge,
002 |
M |
17 |
(.) ((schmatzt)) [GAR ni]x ((Lachansatz)) |
003 |
P |
17 |
[nix |
004 |
A |
02 |
NIX gegessen; |
005 |
A |
02 |
(.) un geTRUNke, |
006 |
P |
17 |
( 0. 32) |
007 |
M |
17 |
WASser; |
008 |
|
|
( 0. 45) |
009 |
M |
17 |
en BISSchen,= |
010 |
M |
17 |
=aber ganz WEnich- |
011 |
A |
02 |
(.) WASser hasch [getrunken; |
012 |
M |
17 |
[HIER nu ] [r; |
013 |
A |
02 |
[(wart); |
014 |
A |
02 |
[(komm) sitz erseht mal, |
015 |
M |
17 |
[(ansonst hat sie nix) |
016 |
A |
02 |
(.) so- |
017 |
|
|
( 0. 32) |
018 |
A |
02 |
(wart) |
019 |
A |
02 |
((stöhnt)) [((unverständlich)) |
020 |
M |
17 |
[grad so n ]SCHLUCK; |
021 |
M |
17 |
en KLEines, |
022 |
A |
02 |
(0.22) ja. |
023 |
|
|
(44.72) |
024 A 02 0 h gut-=jetz LEG dich mal hin-= |
|||
025 |
A |
02 |
=mim kopf daNÜber- |
026 |
A |
02 |
(.) oder SO isch egal ja, |
027 |
A |
02 |
(.) so; |
028 |
|
|
( 4. 73) |
029 |
A |
02 |
hasch DURCHfall ghabt |
030 |
P |
17 |
(0.28) nee- |
031 |
A |
02 |
(.) nee- |
Infolge der Unterstützungsbemühungen der Mutter kommt es nun zu einem Rederechtskampf zwischen Mutter und Tochter (Z. 002/003); die Mutter bricht ihre Äußerung nicht ab, als sie mitbekommt, dass ihre Tochter der kon ditionellen Relevanz nachkommt und ansetzt, die Frage selbst zu beantwor ten. Der Arzt hält das Ergebnis fest und wendet sich mit einer weiteren Frage (Z. 005) an die Patientin, die dieses Mal die Mutter alleine beantwortet (Z. 007).
Nach der Antwort durch die Mutter wendet sich der Arzt mit Aufforde rungen an die Patientin, während die Mutter ihre Antwort noch elaboriert. Der Arzt reagiert schließlich auf die Präzisierungsbemühungen der Mutter, indem er ihr gegenüber anmerkt, dass es egal (Z. 026) sei. Daraufhin beteiligt sich die Mutter in der Schemakomponente der körperlichen Untersuchung nicht mehr verbal. Der Arzt formuliert Fragen und Aufforderungen, die sich jeweils an die Patientin richten, die auch entsprechend - aber erneut einsilbig und zum Teil auch nur sehr leise - antwortet oder durch den Vollzug der ge forderten Handlung reagiert.
Die Diagnose wird typischerweise mit der Mutter besprochen und auch die Therapieplanung wird, obwohl diese zunächst mit einer an beide adressierten Aussage beginnt, mit der Mutter verhandelt (siehe auch Kap. 5 und 6).
Eine Anweisung des Arztes innerhalb der Therapieplanung leuchtet der Patientin, die sich währenddessen wieder ankleidet, nicht sogleich ein. Diese Instruktion (Z. 017) wird im Anschluss an die Absage an den von der Mutter erfragten Schulbesuch der Patientin realisiert. Als der Arzt die Frage der Mutter beantwortet, ruht der Blick des Arztes noch auf der Patientenakte. Mutter und Patientin haben sich dem Arzt zugewendet.
Als Reaktion auf die Instruktion des Arztes (Z. 017) zieht die Patientin ihr Gesicht in Falten und wendet sich dann mit einem fragenden Gesichtsaus druck der Mutter zu:
Fallbeispiel 9: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); Th (03:55.09-05:08.24) 04:19.41-04:36.00
A 02 un vor allem au net so in die HITZ dann-=n[e,
M 17 [ j l a,
019 (0.83)
020 p - 17 <<geflüstert> WIEso >- 021 M 17 (0.72)
A 02 oh
M 17 ( .) ni[cht
A 02 [du ]sollsch net so naus in die hitz in die SONN, 025 p - 17 ( .) ACH so-
026 A 02 ( .) wen[n-
027 M 17 [((Lachansatz))
028 A 02
029 M 17
030 P 17
031 A 02
032 A 02
033 A 02
034
(.) da ]nn wird dein kopfweh noch ÄRger wenn dir die sonne auf die birne knallt;=h[m,
[((Lachansatz))
(.) HMhm,
(0.7) muss ma bissle LANGsam machen-
(.) muss en bissel im (0.21) 0 h (.) im SCHATTe halte hh0
(8.83)
Die Patientin blickt die Mutter unverwandt an, nachdem diese die Empfeh lung des Arztes ratifiziert hat (Z. 018). Als die Mutter nicht zu ihr hinüber blickt, erfragt sie den Grund für diese Anordnung mit einem geflüsterten WIEso (Z. 020). Die Nachfrage wird dadurch hochgestuft, dass sie nun nicht nur mimisch expressiv ausdrückt, dass ihr diese Empfehlung nicht einleuch tet, sondern auch noch den Kopf nach vorne beugt und die geöffnete Hand nach vorne streckt.
Da die Mutter die Therapieplanung nicht hinterfragt oder sich gegen die vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen ausgesprochen hat, kann angenommen werden, dass der Mutter der Hintergrund der Verordnung bekannt ist. Die Mutter dreht den Kopf kurz zur Patientin, wendet sich dann jedoch erneut dem Arzt zu. Der Arzt, der trotz Absenkens der Stimme und seiner aktuellen Orientierung bezüglich des Festhaltens der Befunde und der Therapieplanung in der Krankenakte die Frage der Patientin verstanden hat, beantwortet die Nachfrage, indem er die Verordnung zunächst nochmals wiederholt und sie dann gegenüber der Patientin begründet, obwohl diese bereits auf die Wieder holung mit der Interjektion ACH so (Z. 025) reagiert hat. Damit behandelt sie die Wiederholung als Antwort auf ihr Unverständnis und signalisiert damit, dass hier ein Verständnisproblem vorgelegen hat. Der Arzt reagiert mit der Begründung aber einerseits auf die Frage der Patientin und andererseits auf die nonverbale Signalisierung von Unverständnis. Er hat zwar bis zur Formu lierung der Frage auf seine Karteikarte geblickt, sich dann aber der Patientin zugewendet, die nach der Frage ihr Gesicht verzogen hat, indem sie die Nase krausgezogen hat, und diesen Gesichtsausdruck beibehält, als sie sich zuerst auf die Mutter und schließlich nach dem Ansetzen des Arztes auf ihn ausrich tet. Auch die Hand, die sie sich auf die Brust gelegt hat, nachdem der Arzt sich anschickt, ihre Frage zu beantworten, bleibt erst einmal dort ruhen.
Interaktion mit relativ niedriger Redebeteiligung der Patientin g7
Bemerkenswert bei diesem Gespräch ist die geringe Redebeteiligung der Pati entin, die zunächst - wenn auch nach längeren Pausen - auf die Fragen des Arztes antwortet. Die Pausen gleich zu Anfang des Gesprächs, der Wortab bruch und der damit einhergehende Blick zur Mutter sowie die Knappheit der Patientenantworten bringen die Mutter dazu, die Patientin zu unterstützen. Spätestens als die Antworten der Mutter und der Patientin sich aber überlap pen, sind die Beiträge der Mutter nicht mehr als unterstützend zu werten, da
die zentrale Funktion von Unterstiitzungen im Gespräch [...] die Hilfe zur Selbsthilfe [ist]: Die Betroffenen sollen so schnell wie möglich wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu vertreten. (Schmitt 1997, S. 70)
Die Patientin reagiert auf diesen Rederechtsstreit, indem sie der Mutter bei der nächsten Frage das Rederecht gänzlich überlässt und wenn überhaupt auf Fragen an sie nur noch nonverbal reagiert. Unterstützungssequenzensind oh nehin nicht unproblematisch, denn
[d]ie manifesten Hilfsbemühungen der Unterstützer bearbeiten und beheben die Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen nicht nur, sondern machen diese auch in interaktiv relevanter Weise manifest: Unterstützungen sind strukturell ambiva lent. (Schmitt 1997, S. 62)
Durch das wiederholte Eingreifen der Mutter auf Fragen, die vom Arzt durch weg an die Patientin gerichtet werden, wird die Kompetenz der Patientin he rabgestuft. Nachdem der Arzt die Information der Mutter als Reparandum (vgl. Schegloff!Jefferson/Sacks 1977, S. 363) identifiziert und eine Korrektur des Gesagten vornimmt, übernimmt die Mutter schließlich die Beschwerden schilderung und antwortet fortan - zunächst simultan - anstelle der Patientin. Wie auch in der Beispielanalyse in Kapitel 5 scheint das face der Mutter be droht, woraufhin sie sich stärker einbringt. Erst in der Interaktionsdyade während der Untersuchung und nach dem Eingreifen des Arztes, der die Ela borierungen der Mutter beendet, beantwortet die Patientin - wenn auch nur einsilbig - wieder die Fragen des Arztes. Eine Frage zu den vom Arzt ausge breiteten Maßnahmen in der Handlungsschemakomponente Therapiepla nung wird von ihr, allerdings nur leise, hinterfragt, wobei sich die Nachfrage auch nur an die Mutter richtet. Außer dieser Nachfrage und den Rückmel dungen auf die Reaktion des Arztes erfolgen von ihr in dieser Schemakompo nente dann keine weiteren interaktionsrelevanten Beiträge.
Diesem Gespräch, das sich durch eine sehr niedrige Beteiligung der Pati entin auszeichnet, wird nun das Gespräch mit der höchsten Redebeteiligung seitens einer Patientin gegenübergestellt, um in der Gegenüberstellung Un terschiede und Gründe für diese herauszustellen.
Interaktion mit einer relativ hohen Redebeteiligung seitens der Patientin
Anders als im vorangehenden Beispiel beteiligt sich die ebenfalls neunjähri ge Patientin, die Beschwerden beim Schlucken hat, im nächsten Beispiel (APEG_04) ausgesprochen aktiv am Gespräch, obgleich die Beschwerden akut sind und die Frage nach dem Leiden der Patientin nicht ausdrücklich an die Patientin gerichtet wird.
Fallbeispiel 10: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:05.62-00:49.03
001 A 02
-
002 p 04
-
003 p 04
-
004 p 04
005 A 02
-
006 p 04
-
007 p 04
008 A 02
-
009 p 04
010 A 02
-
011 p 04
was gibt_s für proBLEme. (1.11) beim SCHLUcken-
(.) DA: hab ich immer so: was-
(0.35) 0 h (.) so was komisches im OHR und hier auch im hals;
[be ]im SCHLUcken?
[oh
(.) j [a- l
[tut] s im hals WEH?
0
(.) h JA,
un was is da im OHR beim schluck[en,
[0 h (.) wenn ich so
|
SCHLUcke, |
|
012 |
A 02 |
((Lachansatz)) (.) ja- |
013 |
p 04 - |
(.) dann tut s im hals un (.) hals und im OHR weh |
014 |
A 02 |
(.) im OHR weh;= |
015 |
A 02 |
=in BEiden ohren, |
016 |
p 04 - |
(0.56) ja, |
017 |
A 02 |
(.) ja; |
018 |
A 02 |
(.) 0 h gut; |
019 |
A 02 |
seit WANN is des denn, |
020 |
p 04 - |
(0.45) seit ungeFÄH:R- |
021 |
p 04 - |
0h (.) VORgestern- |
022 |
p 04 - |
(.) ode[r ]GEStern; |
023 |
A 02 |
[hm, l |
024 |
|
(0.24) |
026 |
A |
02 |
(.) 0 hh |
027 |
|
|
( 0. 59) |
028 |
V |
04 |
oh |
025 A 02
gut;
h0 un war auch FIEber,
Interaktion mit relativ hoher Redebeteiligung der Patientin 99
029 |
|
(0.87) |
||||
030 |
p 04 - |
das WIS[sen wir nich un]ser thom (0.3) [thermoME:ter |
||||
|
|
|
(.) |
0 h |
halt |
|
031 |
A |
02 |
|
|
[ hh 0 |
|
032 |
A |
02 |
|
[((lacht)) |
||
033 |
A |
02 |
oh |
|
||
034 |
p - |
04 |
(0.31) äh:- |
|
||
035 |
p - |
04 |
(.) is die batterie LEER. |
|
||
036 |
A |
02 |
(0.4) gut. |
|||
037 |
A |
02 |
(.) oh ho |
|||
038 |
V |
04 |
na ja also](.) die letzte messung ergab SIEbenundreißig |
|||
|
|
|
komma eins-= |
|||
039 |
V |
04 |
=des war WANN, |
|||
040 |
P |
04 |
(0.68) hm-=das WEISS ich nich; |
Obgleich hier durch den Arzt bei der Frage nach dem Grund für den Besuch kein Sprecher explizit gewählt wurde, antwortet die neun Jahre alte Patientin. Dies erfolgt jedoch erst nach einer Pause von 1,11 Sekunden. Sie beschreibt, dass es sich beim SCHLUcken- (Z. 002) merkwürdig im OHR und [. ] auch im
hals; (Z. 004) anfühle. Der Arzt stellt die weiteren Fragen (verständnissichem der und präzisierender Natur) zunächst nur an die Patientin, die diese auch beantwortet. Obwohl die Patientin mit Konzepten arbeitet, die schwer medi zinisch einzuordnen sind, wie der Umschreibung als etwas komisches (Z. 004) oder auch mit seit ungeFÄH:R- (Z. 020) der Korrektur der Datumsangabe (Z. 021-022) nur ungenaue Angaben zur Dauer des Leidens macht, wählt we der der Arzt explizit den Vater als nächsten Sprecher aus, noch erfolgt eine Selbstwahl des Vaters. Erst nachdem die Patientin auf gemeinsames Nicht wissen (Z. 030) rekurriert (vgl. Kap. 8.4) und den Vater damit indirekt als Sprecher wählt, reagiert dieser. Er widerspricht der Patientin nicht direkt, sondern informiert den Arzt lediglich über die letzte Messung. Der Anschluss mit na ja also (Z. 038) impliziert dennoch eine Relativierung des Gesagten. Da er angibt, den genauen Zeitpunkt der Messung nicht mehr zu kennen, gibt er den turn sogleich mittels einer Frage wieder an die Patientin ab. An dieser Stelle kann man wie in dem vorausgegangenen Beispiel eine Unterstützungs sequenz ausmachen, die die Patientin selbst initiiert. Die Patientin gibt an, dass die Frage des Arztes nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann. Das Aktivierende liegt auch in der Körperhaltung begründet: Bevor die Pati entin auf das Nichtwissen eingeht, war sie auf den Arzt ausgerichtet, und während sie nun auf die Frage reagiert, sieht sie den Vater kurz an und wen det sich dem Vater nach den Ausführungen auch zu.
Schon allein durch die Referenz auf ein nichtwissendes Kollektiv, zu dem der Vater mit Sicherheit gehört, ist er in der Pflicht, Informationen, die zur Klä rung beitragen könnten, zu eröffnen, aber die Ausrichtung der Patientin auf ihn unterstützt diese Aufforderung zudem (vgl. Bauer 2009, S. 131). Facebe drohend (vgl. z.B. Brown/Levinson 1987, S. 65ff.; Goffman 1967) ist dieser Hinweis auf das unterstellte Nichtwissen nicht zwangsläufig, da zwar das Messen der Temperatur in den Verantwortungsbereich der Eltern fällt, aber da die Patientin ja bereits einen Grund genannt hat, warum eine Messung nicht durchgeführt werden konnte und die Symptomatik auch noch nicht lan ge vorliegt, sondern erst ein oder zwei Tage, muss eine solche Äußerung nicht notwendigerweise repariert werden.75 Aber der Vater relativiert die Aussage der Patientin in mehrerlei Hinsicht: Zum einen relativiert er, dass gar keine Messung erfolgreich durchgeführt werden konnte, und erwähnt eine Mes sung, die vor dem misslungenen Versuch stattgefunden hat. Dadurch wird auch impliziert, dass das Thermometer vor ein paar Tagen noch intakt war und die Störung erst am gestrigen oder heutigen Tag aufgetreten ist. Dass diese Messung im Rahmen dieser Krankheitsgeschichte erfolgte, kann vor ausgesetzt werden, da sie ansonsten nicht erwähnenswert gewesen wäre. Zum anderen weist er implizit zurück, dass hier ein völliges Nichtwissen vor liegt. Die vorausgegangene Messung, die aufgrund des Zeitrahmens (Z. 021- 022) noch nicht lange zurückgelegen haben kann, und bei der lediglich eine erhöhte Temperatur ermittelt wurde (Z. 038), stuft die Dringlichkeit bezüg lich einer Ermittlung dieses Wertes zudem herab. Anschließend gibt er mit einer Frage zu dieser Messung das Rederecht an die Patientin zurück. Die Patientin kann hierzu aber auch keine Aussage machen und merkt dies an. Da bezüglich dieses Punktes nun tatsächlich ein kollektives Nichtwissen vorliegt, schließt der Arzt diese Sequenz mit GUT. (Z. 042) ab. Daran anschließend be richtet der Vater noch von einem weiteren Symptom (Z. 041-045), das bisher noch nicht genannt wurde, und legt dem Arzt eine subjektive Krankheitsthe orie offen (Z. 050-064), die durch den Arzt aber sogleich verworfen wird (Z. 066):76
75 Zu Reparaturen und Korrekturen in triadisch-pädiatrischen Interaktionen vgl. Exkurs im Kapitel 8 und Winterscheid/Kook (i.Vorb.).
76 Vgl. hierzu auch Kapitel 9.
Interaktion mit relativ hoher Redebeteiligung der Patientin 1O1
Fallbeispiel 11: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:49.03-01:18.42
V 04 (0.36) 0 h ][weil ]begleitend ham wir nämlich noch(.) DIEse woche,
A 02 GU l [T.
V 04 (0.42) war sie sehr ( .) erSCHÖPFT; 044 A 02 (0.32) aHÄ,
045 V 04 (0.46) sie lag eigentlich meistens auf dem SOfa; 046 (0.39)
047 A 02 aha,
048 (0.27)
A 02 oh l
V 04 un ]d in dem zusammenhang <<leiser> wo hab ich des > ne FRAge,
V 04 0 h weil sie hatte doch hier- en PILZ, 052 V 04 (0.4) m[an sieht s l ja KAUM noch- 053 A 02 [ja- l
V 04 oh l
A 02 j Ja-
056 V 04 (0.26) und äh:m
057 V 04 (0.22) da ham wir DANN-
058 V 04 (0.62) oh die
V 04 das hier das GRiseo c[e te h ]undertfünfundzwanzig milligramm verschrieben [bekommen; l
A 02 [oh
A 02 [das g
riseofulVIN- 062 A 02 JA;
A 02 hmhm
V 04 ob das irgendWIE ( .) im zusammenhang zu dem erschöpfungs[zustan]d [(hier) steht l
A 02 [hm
A 02 [NEE eigentli l eh net; 067 A 02 nee.
068 V 04 (na) [dann pack ich s glei wieder EIN l
Anschließend leitet der Arzt zur körperlichen Untersuchung über. Während der körperlichen Untersuchung formuliert der Arzt lediglich Aufforderungen an die Patientin, denen sie nachkommt, ratifiziert ihre Reaktionen und repa riert eine nicht korrekt ausgeführte Handlung. Einmal formuliert die Patien tin eine Vermutung, auf die der Arzt auch eingeht. Der Arzt wendet sich nach der Diagnosemitteilung, die dem Vater mitgeteilt, anschaulich dargelegt und benannt wird (Z. 001), an die Patientin und legt ihr gegenüber offen, welche spürbaren Auswirkungen der diagnostizierte virusinfekt (Z. 001) für sie hat (Z. 002):
Fallbeispiel 12: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); D (04:02.50-04:29.17); 04:02.87-04:08.03
A 02 °h also das is en ganz HARMloser virusinfekt,
A 02 der HALS en bissel gerötet des tut dir beim schlucken weh-
Dass die Auswirkungen im Gegensatz zur Diagnosemitteilung der Patientin dargelegt werden, kann man bereits an der Veränderung der Stimmvarietät erkennen, indem der Arzt etwa bei der Ausführung der erfahrbaren Sympto matik etwas leiser spricht und die Intonationsphrase etwas melodischer reali siert w ird.77 Zudem duzt er denAdresssatenbei seinen Ausführungen (Z. 002), woraus geschlossen werden kann, dass er sich bezüglich dieses Punktes nun wieder der Patientin zugewandt hat. Durch die Hinwendung zur Patientin geht er darauf ein, dass die Patientin ein unklar skizziertes Konzept präsen tiert hat und von etwas gesprochen hat, was sie im Rahmen der Beschwerden schilderung als komisches (Fallbeispiel 10; Z. 004) Phänomen eingestuft hat, wodurch das Symptom als etwas beschrieben wird, das mit ihrem bisherigen Erfahrungsschatz nicht in Einklang zu bringen war.
Am Anfang der Therapieplanung wendet er sich zuerst an den Vater (Z. 001), nennt dann die konkrete Maßnahme an die Patientin gewandt (Z. 003/004) und wendet sich schließlich für die Begründung der vorgeschla genen therapeutischen Maßnahme erneut an den Vater (Z. 006-009):
Fallbeispiel 13: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); Th (04:29.48-06:39.28); 04:29.60-05:01.83
001 |
A |
02 |
( .) und des ( .) EINzige was man da machen kann (.) und |
002 |
p |
04 |
machen (0.23) SOLLte, ( .) oh |
A 02 is dass du NAsentropfen 004 A 02 (0.68) JA?
005 (1.74)
nimmsch;
006 |
A |
02 |
damit die schleimhäute in dem verbindungsgang |
|
|
|
abSCHWILLT; |
007 |
A |
02 |
( .) des wieder AUFgeht- |
008 |
p |
04 |
( .) oh |
009 |
A |
02 |
un da wieder die LUFT reingeht, |
010 |
A |
02 |
(0.72) un[d äh |
011 |
p |
04 |
[ich hab schon mal NA]sentropfen genommen; |
012 |
A |
02 |
( .) JA; |
013 |
A |
02 |
( .) des solltescht du DREImal am tag jetz nehmen noch- |
77 Vgl. z.B. Bose (2001, S. 284): Der Arzt realisiert die Diagnosemitteilung noch bevor die Gesprächsbeteiligten an den Tisch zurückkehren. Hier wurde mit der Patientin verein bart, dass diese Sequenz nicht gefilmt wird. Im Feldtagebuch wurde jedoch festgehalten, dass der Arzt sich hierbei zur Patientin wendet.
Interaktion mit relativ hoher Redebeteiligung der Patientin 103
014 |
A 02 |
(.) |
0 h |
so e WOche lang |
015 |
A |
02 |
(.) NE? |
|
016 |
p - |
04 |
oh |
|
017 |
A |
02 |
un ansonschten en harmloser viRUSinfekt; |
|
018 |
A |
02 |
(.) da is sie au bissle SCHLAPP- |
|
019 |
A |
02 |
(0.68) un ja die HALSschmerzen- |
|
020 |
A |
02 |
sie hätt jetz genauso gut auch FIEber haben können |
|
021 |
A |
02 |
hat sie jetz NET- |
|
022 |
A |
02 |
(0.53) weil se_s einfach jetz mal so (0.25) 0 h (0.85) |
auf ne LEICHte art h0 durchmacht;
Darauf, dass der Arzt sich für die Begründung der Medikamentenverord nung dem Vater zuwendet, reagiert die Patientin und weist den Arzt darauf hin, dass sie schon mal NAsentropfen genommen; (Z. 011) habe. Diesen Verweis auf die eigene Kompetenz der Patientin bearbeitet der Arzt damit, dass er der Patientin die Einnahmeempfehlung nochmals offenlegt (Z. 013-015) (vgl. Winterseheid 2015a). Als Nächstes wendet er sich dann allerdings wieder an den Vater, demgegenüber er die Diagnose wiederholt (Z. 017), andere Symp tome nennt, die sie auch hätte haben können, und dem Vater die Auswirkun gen der Krankheit schildert (Z. 018-022). Die Patientin stellt dem Arzt des Weiteren selbstinitiativ Nachfragen, die der Arzt bearbeitet und einherge hend mit der Ausstellung des Rezeptes auch ihr gegenüber die Dosierungs empfehlung bezüglich der Nasentropfen wiederholt (Z. 035):
Fallbeispiel 14: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); Th (04:29.48-06:39.28); 05:29.16-05:37.19
p - 04 un bis wann muss ich den NEHmen-
A 02 (0.93) ((schnalzt)) ( .) die NAsentropfen solltest du eine woche lang (0.55) nehmen-
A 02 [j Ja?
037 p - 04 [ja-
038 (1. 34)
A 02 0 hhh hh0
p - 04 <<piano> bis nächsten DONNerstag >;
Die Patientin zeigt an, dass sie diese ihr gegenüber nochmals geäußerte Anweisung verstanden hat, indem sie auf den entsprechenden Wochentag (Z. 040) verweist, bis zu dem sie das verordnete Medikament einnehmen muss.
Die Redebeteiligung der Patientin innerhalb des Gesprächs ist relativ hoch. Obgleich die Antworten zum Teil wenig aufschlussreich für den Arzt sein mögen, die Patientin hin und wieder auch längere Pausen macht und auch Nichtwissen formuliert, ergreift der Vater erst das Wort als diese auf gemeinsames Nichtwissen rekurriert und ihn aktiviert. Er übergibt den turn vorerst mittels einer Frage wieder an die Patientin, ergreift dann aber doch
das Rederecht, um noch ein unerwähnt gebliebenes Symptom und eine sub jektive Krankheitstheorie anzuführen. Die Patientin übernimmt nicht nur zu großen Teilen alleine die Beschwerdenschilderung, sie meldet sich auch in der Phase der Therapieplanung zu Wort, verweist explizit auf ihre Kompetenz und erfragt noch verschiedene Informationen, z.B. zur Darreichung etc. (vgl. Winterseheid 2015a).
Zwischenfazit
Den beiden untersuchten Gesprächen ist gemeinsam, dass es sich um neun jährige Patientinnen handelt, die mit einem Elternteil denselben Arzt aufsu chen und die Beschwerdenschilderung auch jeweils anfangs übernehmen. Bedingt durch das Alter dürften also beide Patientinnen ein ähnliches Erfah rungswissen mit Krankheiten und pädiatrischen Erstkonsultationen haben. Die Patientinnen haben beide akute Schmerzen, die jedoch nicht so ausge prägt sind, dass sie die Beschwerdenschilderung nicht übernehmen könnten. Trotzdem zählt das Gespräch APEG_17 zu den Gesprächen, in denen die Pa tientin eine sehr niedrige Redebeteiligung aufweist. Die Redebeteiligung der Patientin in APEG_04 ist hingegen die höchste im Analysekorpus.
Bereits bei der quantitativen Gegenüberstellung konnte bezüglich der Re debeteiligung festgestellt werden, dass Interaktionen, in denen die Beteili gung der Patienten höher ausfällt, die Patienten schon am Anfang des Ge sprächs aktiver waren und den Schluss nahelegten, dass der Anfang des Gesprächs für die Beteiligung der Patienten für das gesamte Gespräch ent scheidend ist. Daraufhin wurden die aufgenommenen Interaktionen qualita tiv untersucht, um dieser These nachzugehen. Auffallend ist, dass beide Pati entinnen nicht mehr das Rederecht in der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration übernehmen, nach dem die Eltern das Rederecht einmal übernommen haben. Nach Kämpfen ums Rederecht, wenn die Eltern statt der Kinder mit der Schilderung der Be schwerden beginnen, oder nach Unterstützungssequenzen fahren die Eltern mit der Beschwerdeschilderung fort, obwohl nach Quasthoffs 11 Prinzip der Zuständigkeit" das Rederecht eigentlich (vor allem) in der Phase der Be schwerdenschilderung und Beschwerdenexploration wieder an den Patien ten als den 11 Expe rten" der eigenen Beschwerden zurückfallen müsste, der ja als einziger die Symptome wirklich hat (Quasthoff 1990, S. 74). In Fällen, in denen die Symptome nur den Eltern aufgefallen sind, wenn etwa keine spür bare Beeinträchtigung vorliegt und die Anzeichen nicht durch das Kind wahrgenommen wurden, obliegt die Wissenshoheit über die Symptome den Eltern. In den aufgenommenen Interaktionen ist das Kind jedoch der unmit telbare Betroffene, bemerkt Symptome und Zeichen der Krankheit und ist demnach derjenige, dem die Wissenshoheit über diese zugeschrieben werden muss. In beiden in diesem Kapitel vorgestellten Gesprächen handelt es sich
Zwischenfazit 1Q5
um Symptome, die hauptsächlich den Patienten selbst aufgefallen sind. Die Patientin P_17 leidet aufgrund eines Virusinfekts unter Kopfschmerzen, Ma genschmerzen und Schwindel, lediglich die Folgen der Appetitlosigkeit und die Tatsache, dass die Patientin kaum etwas getrunken hat, hat die Mutter im Vorfeld beobachten können. Die Patientin P_04 hat wegen eines Tubenmittel ohrkartarrhs, der ebenfalls viral bedingt ist, Schmerzen beim Schlucken und hin und wieder auch ein unangenehmes Gefühl im Ohr/Gehörgang. Der Va ter kann nur den Erschöpfungszustand der Patientin feststellen. In den bei den dargelegten Gesprächen haben die Eltern den Arzt mit ihren Kindern aufgesucht, weil diese über Schmerzen geklagt haben, wobei die Wissensho heit über ihr Leiden somit zunächst einmal bei den Patienten selbst liegt.78 Diese wird auch von den beiden Elternteilen in den Beispielen nicht explizit angegriffen. Vielmehr scheinen die Eltern häufig darauf zu reagieren, ob eine Unterstützung durch sie notwendig zu sein scheint oder verlangt wird (vgl. Stivers 2001). Im ersten Beispiel dieses Kapitels scheint die Mutter bereits recht früh einen oder mehrere Vorfälle ausgemacht zu haben, die sie als un terstützungsbedürftig einstuft. Während im zweiten Beispiel eher eine impli zite Fremdwahl durch die Tochter stattfindet, nachdem sie bereits einige Fra gen des Arztes beantwortet hat. Die Vorfälle, die die Elternteile jeweils motivieren, die Beschwerdenschilderung nun anstelle der Kinder zu über nehmen, waren zudem mehr oder weniger facebedrohend. Das deckt sich mit Ergebnissen von Aronsson und Rundström, die einerseits Einbeziehung und Ausschluss der Patienten mit Facebedrohungen und andererseits mit dem Er ziehungsstil der Eltern in Verbindung bringen (vgl. Aronsson/Rundström 1988). Im zweiten hier in diesem Kapitel präsentierten Beispiel findet die Übernahme des Rederechts durch den Vater zu einem späteren Zeitpunkt statt. Zudem fiel die Redebeteiligung der Patientin - vor allem, weil diese sich auch in der Phase der Therapieplanung eigeninitiativ zu Wort meldet und sogar Nachfragen an den Arzt stellt - in der gesamten Interaktion deutlich höher aus. Zwar beantwortet die Patientin in APEG_17 dem Arzt während der Untersuchung auch weitere Fragen, dies geschieht jedoch nur einsilbig. Zudem wendet sie sich nach der Diagnose lediglich flüsternd an ihre Mutter, obgleich sich die Frage ja unmittelbar auf das vom Arzt Referierte bezieht und somit auch von diesem hätte erfragt werden können.
Die Fokussierung des Arztes im Rahmen der Beschwerdenschilderung/ exploration liegt beim Patienten, obgleich die Eltern in dieser Handlungssche makomponente zumeist die Möglichkeit erhalten, ebenfalls etwas zur Be schwerdenschilderung beizutragen. In beiden Gesprächen findet in der Schemakopmponente der körperlichen Untersuchung eine Fokussierung auf die Interaktionsdyade Arzt-Patient statt. Wenn die Eltern sich dennoch zu Wort melden, erfolgt häufig keine Reaktion der Ärzte oder ein abschließender
78 Vgl. hierzu auch das Zwischenfazit in Kapitel 5.
Kommentar des Arztes (vgl. auch ten Have 1990; Spranz-Fogasy/Winter scheid i.Ersch. und Kap. 6). Analog dazu ist die Fokussierung in der Diagno semitteilung auf die Eltern ausgerichtet und auch in der Handlungsschema komponente der Therapieplanung eher auf die Eltern. Bei einer Erklärung für bisher unerklärliche Symptome oder einer Verabreichung, die selbst vom Pa tienten auszuführen ist, findet eine Adressierung und/oder auch ein kurzer Blickkontakt mit dem Patienten statt. Die Aushandlung erfolgt dessen unge achtet mit dem anwesenden Elternteil.
In APEG_17 sind die Konzepte - Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Schwindel - von vorneherein klar. Die unterbreiteten Maßnahmen wie die Verabreichung eines schmerzlindernden Saftes sowie Schonung, die auch das Fernbleiben von der Schule einschließt, sind Verordnungen, die der Pati entin aufgrund des Alters bekannt sein dürften. Allerdings erscheint der Pa tientin eine Empfehlung des Arztes aufgrund ihrer bisherigen Erfahrung als nicht evident. Sie versucht zunächst, von der Mutter eine Erklärung für die Empfehlung, die Hitze zu meiden, zu erhalten und erhält sie schließlich durch den Arzt. In APEG_04 liegen Beschwerden vor, die von der Patientin selbst als merkwürdig eingestuft wurden. Diese Einordnung motiviert den Hinweis des Arztes an die Patientin im Rahmen der Diagnosemitteilung. Die vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen die Schonung und das Einnehmen von Nasentropfen. Während die Verabreichung eines Arzneistoffes aus der Gruppe der Nichtopioid-Analgetika, der der Patientin in APEG_17 verordnet wird, eindeutig in die Verantwortung der Mutter fällt, kann die Einnahme von Nasentropfen, welche in APEG_04 verordnet werden, durchaus durch die neunjährige Patientin selbst vorgenommen werden. Dies merkt die Pati entin auch an und fordert dies auch für sich ein, wodurch sie nicht nur auf ihren Expertenstatus (vgl. Winterseheid 2015a, S. 201) verweist, sondern auch auf ihre interaktive Rolle in dieser Handlungsschemakomponente. Die Pati entin weist den Arzt auch darauf hin, dass die Therapieplanung durchaus auch mit ihr erfolgen kann.
Über das gesamte Analysekorpus hinweg- hier exemplarisch an zwei Bei spielen sowie in der Beispielanalyse (vgl. Kap. 5) gezeigt - sieht man, dass die Redebeteiligung der Patienten deutlich höher ausfällt, wenn sie sich zu Anfang der Interaktion aktiv beteiligen (können). In den Fällen, in denen die Kinder früh das Rederecht abgeben oder sich die Eltern einschalten, ist auch die Betei ligung im Laufe des Gesprächs niedriger. 79 Auf spätere Aufforderungen oder Fragen des Arztes reagieren diese zwar, jedoch deutlich reduzierter.80
Trotz Fokussierung des Arztes auf einen der beiden Gesprächsbeteiligten sind zudem die Symptomatik, das Erfahrungswissen bezüglich dieser Symp-
79 Aus diesem Grund wird im Kapitel 8.1 näher auf die Aufforderung zur Beschwerden schilderung eingegangen.
so Ärztliche Fragen sowie strategische Mittel zur Aktivierung einer gerade nicht aktiven Gesprächspartei werden in den Kapiteln 8.2 bis 8.5 dargelegt.
Zwischenfazit 107
tomatik, die Therapieplanung sowie das Erfahrungswissen die Maßnahmen betreffend für die Beteiligung der Patienten entscheidend. Darüber hinaus scheinen neben der Adressierung durch den Arzt auch die Aufforderungen, Orientierungen etc. der Patienten und der Eltern ausschlaggebend zu sein. Bauer postuliert, dass „Praktiken der Fokussierung und der Adressierung[ ]
innerhalb der gegebenen sozialen Situation die Partizipationsstrukturen der Interaktion [schaffen], d.h. sie sind Instrumente der Gestaltung des Interakti onsensembles" (Bauer 2009, S. 63).
ADRESSIERUNG IN TRIADISCH-PÄDIATRISCHEN GESPRÄCHSSITUATIONEN
Gerade in einer triadischen Gesprächssituation ist die Adressierung eine komplexe und konfliktträchtige Aufgabe, die die drei Gesprächsparteien während der pädiatrischen Erstkonsultation zu bewältigen haben.
Rede ist in Face-to-Face-Kommunikation gerichtet an ein Gegenüber. Damit aus der einzelnen Rede ein Dialog werden kann, hat ein Sprecher die Aufgabe zu lösen, daß sich das Gegenüber angesprochen und damit zu einer Reaktion verpflichtet fühlt. Diese Aufgabe wird als Adressierung bezeichnet und muß für jede Äußerung gelöst werden, wenn ein Gespräch nicht zum Erliegen kom men soll. (Hartung 2001, S. 1348)
Die Adressierung findet auf II verschiedenen Ebenen" statt, welche aus der Ausrichtung des Körpers bzw. des Gesichtes auf den Gesprächspartner, 11 [s]prachlichen Adressierungsformen", z.B. 11 nom inale Benennungen" oder auch 11 Personalpronomen", und der 11 Äußerungsgestaltung" bestehen (Har tung 2001, S. 1348f.).
Üblicherweise sitzen sich die Gesprächsbeteiligten in den Handlungsschema komponenten der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexplorati on sowie der Therapieplanung einander gegenüber .81 Der Arzt sitzt auf der einen Seite des Tisches und ihm gegenüber sitzen der Patient sowie die Beg leitperson(en).82 So kann nonverbal die Adressierung zumeist in dieser Phase eindeutig nachvollzogen werden. Dies ist dann allerdings nicht so ein fach, wenn der Arzt z.B. etwas in der Patientenakte notiert, oder etwa in der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung gerade mit der Untersuchung des Patienten beschäftigt ist. In dieser Konstellation der triadischen Gespräche beim Kinderarzt kann allerdings schon alleine durch
81 In den Handlungsschemakomponenten der Begrüßung, der Gesprächseröffnung, der Ge sprächsbeendigung und der Diagnosemitteilungsitzen zumeist nicht alle Gesprächsbetei ligten. Während die Patienten und die Eltern etwa vor dem Beginn der Interaktion in der Regel bereits im Behandlungszimmer sitzen, betritt der Arzt den Raum und beginnt mit der Begrüßung regelmäßig, bevor er auf seinem Stuhl Platz genommen hat. Auch in der Schemakomponente der Diagnosemitteilung ist entweder der Arzt noch am Reinigen der Hände und/oder Instrumente oder der Patient ist noch mit dem Anziehen der Kleidungs stücke, die vor der körperlichen Untersuchung abgelegt wurden, beschäftigt.
82 In drei Gesprächen verhält es sich etwas anders. In einem Gespräch sitzt die Patientin auf dem Schoß des Vaters, obgleich ein weiterer Stuhl vorhanden ist, und in zwei Gesprächen sitzen die Patienten bereits auf einer Liege, während die Eltern danebenstehen oder da nebensitzen. Das ist dann durch den Raum begründet oder die Orientierung der Ge sprächsbeteiligten, die eine Untersuchung schon vorbereitet haben, bevor der Arzt das Zimmer betreten hat.
11O Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
das Duzen und Siezen innerhalb der Beiträge angezeigt werden, wer der Ad ressat der Äußerung ist, da jeder Gesprächsbeteiligte einen der beiden ande ren Gesprächspartner duzt und einen Gesprächspartner siezt: Der Arzt duzt das Kind, denn unter seinen Patienten befinden sich in der Regel keine Er wachsenen. Die Eltern und Großeltern werden hingegen gesiezt. Eltern, Großeltern und Kinder duzen sich untereinander, während der Arzt gesiezt wird. Lediglich in den Gesprächen, in denen etwa beide Elternteile oder ne ben dem Vater auch die Großmutter anwesend sind, kann es theoretisch zu Missverständnissen bei der Adressierung führen, wenn keine weiteren Mittel eingesetzt werden. Dennoch bleibt auch in diesen Situationen klar zu unter scheiden, welche der Parteien angesprochen wird. Dadurch, dass die drei Ge sprächsbeteiligten einen unterschiedlichen Wissensstand haben, lässt sich mitunter auch anhand des Adressatenzuschnitts (vgl. z.B. Hartung 2001,
S. 1352 oder Hitzler 2013) eine Aussage zum Adressaten machen. Dass auf der Oberfläche bestimmte Phasen nur mit einem der beiden Gesprächsbeteiligten verhandelt werden, bedeutet allerdings nicht, dass man auf eine phasenweise dyadische Gesprächssituation schließen kann (vgl. z.B. Hartung 2001, S. 1352- 1354). Alle drei Beteiligten sind sich dessen bewusst, dass sie sich nicht nur mit einem Gesprächspartner unterhalten, sondern auch immer vor einem zweiten Gesprächspartner. Dass den Gesprächsbeteiligten das bewusst ist, kann man einerseits auf der nonverbalen Ebene beobachten, Anzeichen hier für kann man aber auch an bestimmten verbalen Phänomenen festmachen. Dies soll in diesem Kapitel genauer untersucht werden. Dabei soll zunächst die Aufforderung zur Beschwerdenschilderung (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Win terscheid 2013, S. 9-13; Spranz-Fogasy 1988 oder Robinson/Heritage 2006) nä her betrachtet werden, dann werden Adressierungen des Arztes während der Beschwerdenschilderung und der körperlichen Untersuchung in den Fokus genommen sowie die Adressierung untereinander. Schließlich wird die 11 Mehrfachadressieru ng" (Hartung 2001, S. 1352-1354) in diesem Interaktions typ thematisiert, in den Fällen, in denen etwa der dritte Gesprächsbeteiligte 11 mitangesprochen" wird oder Äußerungen in einer 11 dyadischen" Gesprächs situation für den dritten Gesprächsbeteiligten ausgehandelt oder vorbereitet werden.
Der Arzt hat zunächst einmal 11 qua Rolle" die gesprächsstrukturierende Rolle inne (Winterseheid 2015a, S. 197; siehe auch Quasthoff 1990, S. 76). Der Arzt strukturiert die Interaktion, indem er zu den jeweiligen Handlungsschema komponenten überleitet und auch durch Fragen die jeweiligen Gesprächs partner auswählt, mit denen er bestimmte Handlungsaufgaben ausführen möchte, und wer ihm als aktiver Gesprächsbeteiligter einzelne Frage beant worten soll. Dies unterscheidet sich jedoch nicht von anderen Arzt-Patient Gesprächen, in denen auch 11 [e]twa 80% aller Initiativen[...] von den Ärzten aus[gehen]" (Haferlach 1994, S. 10). Die Gesprächsbeteiligten in einer triadi schen Gesprächssituation können allerdings das Rederecht untereinander
aushan deln: 83 So kann sich ein Patient weigern, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen, da ein Vertreter anwesend ist, der die Beschwerdenschilde rung trotz konditioneller Relevanz (vgl. Kallmeyer/Schütze 1976, S. 14f.) für ihn übernehmen kann, oder er kann, nachdem er der Aufforderung nachge kommen ist, den anderen Gesprächspartner aktivieren, der die Rolle des akti ven Sprechers dann für ihn übernehmen kann. Gleichzeitig kann sich auch die eine Partei selbstinitiativ einschalten und für die andere Partei berichten oder Fragen beantworten.
Aufforderung zur Beschwerdenschilderung
Die Gesprächsmitte wird üblicherweise durch eine Aufforderung des Arztes eingeleitet, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen.84
Bei einer eindeutigen Adressierung und einer als Frage formulierten Auf forderung übernimmt die Beschwerdenschilderung üblicherweise jeweils die adressierte Gesprächspartei. Prototypisch kann dies z.B. an der Interaktion APEG_16 nachvollzogen werden:
Fallbeispiel 15: APEG_16 (A-Pm5-M; ca. 2:45min); BE (00:01.97-00:22.23); 00:01.97-00:11.46
A 02 was is mit DIR patrice;
-
p 16 (0. 96) <<piano> ich hab nen zeckenBISSen >·
-
p 16 ( .) <<piano> (am rücken) ( .) ((unverständlich)) ZEckenbiss >-
-
A 02 (0.37) du hast n ZEckenbiss-
Der Arzt wendet sich mit einer 11 inha ltliche[n] Frage" (Spranz-Fogasy 1987,
S. 298; Hervorhebung im Original) explizit an den Patienten, den er mit der Aufgabe betraut, die Beschwerdenschilderung selbst zu übernehmen.
Die Eröffnung selbst mit der Aufforderung zur Beschwerdenschilderung kann dann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein: als direktive Frage nach konkreten Beschwerden oder dem Grund des Arztbesuches, als rituelle Frage nach dem Befinden, als Erzählaufforderung oder, in seltenen Fällen, als nichtverbales sich-zur-Verfügung stellen, wie es Ripke praktiziert hat (Ripke 1996; zur Diffe renzierung von Eröffnungszügen siehe Spranz-Fogasy 1987; 2005 und Robin son/Heritage 2006). (Busch/Spranz-Fogasy 2014, S. 341)
Dass der Patient Adressat dieser Frage ist, wird zum einen durch das Duzen offenbar, aber auch durch die Nennung des Namens (Z. 001). Zum anderen beginnt der Arzt mit der Aufforderung, als er noch die Hand des Patienten hält, den er zuvor explizit begrüßt hat. Bevor der Arzt jedoch seine Aufforde-
83 Vgl. Ausführungen zur Triade in Kapitel 1.
84 Zu Gesprächseröffnungen in medizinischen Erstgesprächen vgl. Spranz-Fogasy (1987).
112 Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
rung in Form einer offenen Frage beendet hat, hat er dem Patienten den Rü- cken zugedreht und sich auf den Schreibtisch ausgerichtet, zu dem er sich orientiert:
Aufforderung zur Beschwerden-
schilderung
Patient antwortet
Der Patient beginnt nach einer längeren Pause mit der Beschwerdenschilde- rung. Dass der Patient hier nicht sofort einsetzt, liegt sicherlich daran, dass während der Aufforderung eine Orientierung des Arztes auf den Schreibtisch hin stattfindet und der Arzt ihm kurzzeitig den Rücken zuwendet. Der Pati- ent spricht sehr leise, weswegen der Arzt sich, bevor er sich auf seinen Stuhl setzt, mit einer 180°-Drehung wieder zum Patienten wendet. Der Arzt wie- derholt das Verstandene, obwohl der Patient bereits fortgefahren ist. Dass eine Wiederholung des Gesagten durch den Arzt stattfindet, ist bei zweckge- richteten Interaktionen mit jungen Patienten nicht ungewöhnlich, aber sicher- lich auch der sehr leise realisierten Beschwerdenschilderung geschuldet (vgl. Sachweh 2000, S. 153ff.).85 Des Weiteren ist „eine große Menge von Wiederho- lungen“ auch ein „Elemen[t] der Babysprache“ (Sachweh 2000, S. 145).
Obwohl die Orientierung des Arztes den Patienten merklich irritiert, be- ginnt der Patient mit der Beschwerdenschilderung, nachdem der Arzt ihn ex- plizit dazu aufgefordert hat, diese selbst zu übernehmen.
In insgesamt sieben Interaktionen des Analysekorpus findet eine solche explizite Aufforderung - sogar mit nominaler Adressierung86- an den Patien- ten statt. In sechs der Fälle übernimmt dann auch der adressierte Patient. Lediglich in einem Gespräch gibt die Patientin den Auftrag an den sie beglei- tenden Vater weiter, der sich anfangs dagegen wehrt, aber schließlich der Aufforderung der Patientin, die auch durch den Arzt unterstützt wird, nachkommt:
Die Autorin vergleicht dieses Verfahren von Pflegekräften mit Patienten in der Altenpfle- ge und Müttern mit ihren Kindern.
Zu nominaler Adressierung vgl. Kapitel 9.
Fallbeispiel 16: APEG_0S (A-Pw8-V; ca. 4:30min); BE (00:04.25-00:56.61); 00:04.25-00:21.48
001 A 01 so.
002 A 01 (0. 75) hannAH-
003 A 01 (0.66) WAS is los mit dir,
-
004p 08 ( 1. 24)
005 V 08 sag.
-
006 p 08 (0.41)
A 01 erZÄHL-
V 08 ( .) <<piano> (erzähl) >
009 A 01 oh (0. 51)
V 08 ich WEISS es net;
V 08 ( .) komm bitte S[AG.
-
p 08 [<<piano> doch >.
V 08 ( .) auf [jetz-
014 |
p - |
08 |
[pap |
l a |
du WEISST (0.3) [+++ |
015 |
A |
01 |
|
|
[oh |
ALS[o(.) erzählen sie-
016 V 08 [also erstens hat sie ]heute morgen ne ziemlich beLEGte zunge gehabt;
017 A 01 (0.38) ja
018 V 08 (0.32) und dann klagt sie auch ZWEI tagen darüber dass sie-
019 (0.2)
020 p- 08 <<geflüstert> DREI >,
Auch in diesem Beispiel wird die Patientin mit einer expliziten Namensnen nung dazu aufgefordert, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen. Nach einer längeren Pause unterstreicht der Vater die Aufforderung des Arztes mit einem sag. (Z. 005). Da die Patientin auf die zweite Aufforderung auch nicht reagiert, doppelt der Arzt nach einer kurzen Pause nach und fordert die Pati entin erneut zum Berichten auf (Z. 007), was der Vater dann vermutlich leise wiederholt (Z. 008) und nach einer weiteren kurzen Pause auch begründet, warum die Patientin die Beschwerdenschilderung selbst gestalten solle: Er gibt an, diese nicht für sie bestreiten zu können, da er nicht über das nötige Wissen verfüge (Z. 010), woraufhin er sie nochmals bittet, der Aufforderung des Arztes nachzukommen (Z. 011). Die Patientin reagiert darauf, indem sie angibt, dass das Argument des Vaters nichtig ist und er durchaus in der Lage sei, die Beschwerdeschilderung zu übernehmen (Z. 014). Der Vater kommt schließlich der Aufforderung der Patientin nach, nachdem der Vater die Pati entin ein weiteres Mal aufgefordert hat, die Patientin das Argument des Va ters noch elaborierter zurückgewiesen und der Arzt ihn nun auch dazu aufge fordert hat (Z. 013-015). Kurz nachdem der Arzt die Aufforderung nun an den Vater adressiert, hat dieser simultan zur Aufforderung mit der Beschwerden schilderung begonnen.
114 Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
In einem einzigen Fall werden die Eltern explizit dazu aufgefordert, die Beschwerdenschilderung zu übernehmen. Auch diese Aufforderung ge- schieht explizit und wird durch die adressierten Eltern umgesetzt, indem sie mit der Beschwerdenschilderung beginnen.
In zwei Gesprächen werden beide Parteien adressiert. In beiden Fällen über- nimmt die Mutter die Beschwerdenschilderung, obwohl in der Interaktion APEG_09 sogar noch eine Korrektur der Adressierung vorgenommen wird:87
Fallbeispiel 17: APEG_09 (A-Pw7-M; ca. 6:16min); BB (00:12.01-00:54.20); 00:12.01-00:19.71
001 |
A_02 |
°h (0.31) was treibt euch HER-= |
002 |
A_02 |
=was is mit DIR-=hm, |
003 |
M_09 |
(.) sie hat (.) einen AUSschlag-=h° |
004 |
A_02 |
°hh (0.4) der sieht aber HÜBSCH aus. |
005 |
M 09 |
GELL, |
Hier werden ausdrücklich beide Parteien mit einer „offenen Frage" nach dem Auslöser für den Entschluss befragt, den Arzt aufzusuchen (Spranz-Fogasy 1987, S. 298; Hervorhebung im Original). Der Arzt schließt mit Latching8 eine weitere Frage an, in welcher nur die Patientin dazu aufgefordert wird, von den Beschwerden, die mit dem Auslöser, nach dem in der ersten Frage gefragt wurde, identisch sein dürfte, zu berichten. Dass hier eine Korrektur bezüglich der Adressierung stattfindet, wird auch durch den Fokusakzent deutlich, der in der zweiten Intonationsphrase auf DIR (Z. 002) liegt. Verstärkt wird diese Aufforderung durch den question tag, der an diese Frage angeschlossen ist. Diese Korrektur ist jedoch nicht erfolgreich, da die Mutter nach einer Mikro- pause mit der Beschwerdenschilderung beginnt.
87 Hieraus kann jedoch keine Regel abgeleitet werden, da sich eine Aufforderung mit kol- lektivem Adressaten nur zweimal im Analysekorpus findet und in APEG_14 vor dem Eintreten des Arztes in das Sprechzimmer zudem eine Aushandlung zwischen Mutter und Patientin stattgefunden hat, bei der verabredet wurde, dass die Mutter den Bericht übernehmen wird.
8 Bei Latching handelt es ich um einen schnellen, unmittelbaren Anschluss einer neuen Intonationsphrase desselben oder eines anderen Sprechers (vgl. dazu Selting et al. 2009,
S. 376 oder Schmidt/Schütte/Winterscheid 2016, S. 61).
Die erste Frage wird noch realisiert, als der Arzt im Begriff ist, sich zu setzen. Die Mutter ist bereits im Blickkontakt mit dem Arzt, während die Patientin noch auf den Schreibtisch sieht. Noch im Setzen realisiert der Arzt die zweite Frage, mit der er die Adressierung korrigiert und beugt sich schließlich simul tan zum question tag nach vorne und auch auf dieselbe Höhe wie die Patientin. In vier Gesprächen des Analysekorpus wird eine Frage oder Aufforderung realisiert, ohne dass eine klare Adressierung vorgenommen wird, z.B. in
APEG_31:
Fallbeispiel 18: APEG_31 (A-Pw5-M; ca. 11:45min); BE (00:06.59-02:08.12); 00:06.59-00:15.29
001 |
Ä 03 |
[WIE is l es |
002 |
M 31 |
[HAllo. |
003 |
|
( 0. 42) |
004 |
M 31 |
((schmatzt)) (0.23) nich so GUT; |
005 |
Ä 03 |
JA-=wenn de hier so kommst außer der <<seufzend> REihe >- |
006 |
M 31 |
ja ( .) dann is es <<lachend> NICH so gut >· |
007 |
M 31 |
((Lachansatz)) 0 hh [ganz (äh) ]dollen HUSten seit sonntag- |
008 |
Ä 03 |
[ich Höre; |
Hier reagiert - wie auch in einem weiteren Fall - die Mutter auf die 11 offene Frage" (Z. 001) der Ärztin mit einem Verweis darauf, dass der Zustand der Pa tientin nicht dem Normalzustand entspricht, ohne bereits auf die Symptome einzugehen (Z. 004). Dass sie hier nicht explizit von der Patientin spricht, ist unnötig, da das Gespräch in einer pädiatrischen Praxis stattfindet. Nicht zuletzt deswegen, weil ihr die Krankenakte der Patientin vorliegt und sie zudem si cherlich von den Arzthelferinnen wie bei jedem anderen Sprechstundenge spräch eine grobe Einordnung der Beschwerden erhalten hat, bevor sie das Sprechzimmer betreten hat. Die Äußerung der Mutter wird bestätigt und auf genommen, aber an die Patientin adressiert (Z. 005). In diesem Fall wird die Äußerung der Mutter so behandelt wie die Äußerung der Patientin, obwohl diese sie nicht geäußert hat.89 Trotz Adressierung der Patientin fährt die Mutter dann jedoch mit der Beschwerdenschilderung fort.
In zwei der Interaktionen reagiert hingegen der Patient, z.B. bei APEG_04 und in APEG_33:
Fallbeispiel 19: APEG_33 (A-Pm4-V/G; ca. 13:42min); BE (00:08.24-01:37.73); 00:08.24-00:13.86
001 Ä 03 WAS is denn jetz; 002 Ä 03 WIE geht_s_n;
003 P 33 (.) (we) HIER geht s ja kurz;
89 Vgl. Abschnitt 8.5 zur Mehrfachadressierung als Mittel.
004 P 33 °h (.) kurz (.) AUa:-
005 Ä 03 kurz AUa has de da;
Auch in diesem Fall nimmt die Ärztin eine Selbstreparatur (vgl. z.B. Scheg loff!Jefferson/Sacks 1977) vor, die nicht so explizit ist wie in Fallbeispiel 17; doch während in der ersten offenen Frage der Ärztin nach dem Grund für den Arztbesuch gefragt wird, wird in der zweiten Frage nach dem Befinden des Patienten gefragt, sodass auch hier eine Reparatur bezüglich der Adres sierung vorgenommen wird. In diesem Fall übernimmt dann auch der Patient.
Wird die Aufforderung, mit der Beschwerdenschilderung zu beginnen, nicht in Form einer Frage formuliert, so antworten hingegen die Eltern, selbst wenn bei den Aussagen die Patienten direkt adressiert werden, wie z.B. bei APEG_32:
Fallbeispiel 20: APEG_32 (A-Pw7-M; ca. 7:34min); BE (00:54.69-01:49.61); 00:54.69-01:01.21
001 Ä 03 0 h ha ja jai ( .) [und jetz has l - de BAUCH[weh; 002 M 32 [((Lachansatz)) l
M 32 [oh
Ä 03 ja;
M 32 also g[estern fing- s er]st mal an dass [sie ganz hef[tige KOPF
006 p - 32 [((summt))
007 p - 32 [((summt)) l
008 p - 32 [((summt))
009 Ä 03 [((schnalzt)) Urin i]s gut ( .) ja,
Die Ärztin leitet zur Beschwerdenschilderung über und hält dabei fest, was sie über den vorliegenden Fall bereits weiß. Dies wird als Feststellung präsen tiert. Dabei geht sie am Ende der Intonationsphrase noch nicht einmal mit der Stimme nach oben. Die Mutter reagiert - wie in einem zweiten Beispiel - auf die 11 imp lizite Aufforderung" (Spranz-Fogasy 1987, S. 298; Hervorhebung im Original) und beginnt mit der Beschwerdenschilderung, obgleich die Patien tin adressiert ist.
Handelt es sich also um eine klare Aufforderung oder Frage mit einer explizi ten Adressierung, so übernimmt der jeweilige Adressat. Bei einer kollektiven Adressierung oder Fragen, die allgemein gestellt werden und die nicht mit einer klaren Adressierung einhergehen, reagieren eher die Eltern. Eine Aus nahme stellt z.B. APEG_04 (Falbeispiel 10) dar. Sind Fragen oder Aufforde rungen hingegen nicht klar als solche formuliert (auch wenn die Adressie rung eindeutig ist), übernehmen regelmäßig die Eltern die Beschwerden schilderung.
Ärztliche Fragen 117
Etwa in der Hälfte der Interaktionen im Analysekorpus übernehmen die Patien ten das Rederecht und berichten selbst von ihren Beschwerden. In beinahe allen Fällen werden die Eltern im Laufe der Handlungsschemakomponente durch die Patienten selbst oder durch eine von den Eltern als reparaturbedürftig wahrgenommene Situation aktiviert, die Beschwerdenschilderung zu überneh men, oder sie übernehmen diese Aufgabe selbstinitiativ (vgl. hierzu auch die Kap. 5 und 7). In der Hälfte der Interaktionen übernehmen die Eltern die Be schwerdenschilderung auch von Anfang an. Üblicherweise halten sich die Pati enten zurück, wenn die Eltern an deren Stelle die Beschwerdenschilderung übernehmen und reagieren dann, wenn sie von den Eltern oder den Ärzten dazu aufgefordert werden. Lediglich in zwei Interaktionen des Analysekorpus gibt es eine Selbstwahl der Patienten. In drei Gesprächen signalisieren die Pati enten nach der Übernahme sogar, dass sie sich nicht mehr bereithalten, um eine aktive Sprecherrolle zu übernehmen, indem sie leise singen oder summen, nach dem das anwesende Elternteil begonnen hat zu berichten (vgl. hierzu Kap. 5).
Gleich welche Partei berichtet und das Rederecht für sich beansprucht, hat der Arzt dennoch immer die Möglichkeit, bei seinen Fragen einen Adressaten und dabei auch den gerade nicht aktiven Gesprächsbeteiligten auszuwählen.
Rehbein stellt heraus, dass ,,[d]ie ärztliche Frage[ ...] der Schlüssel zum Wissen des Patienten [ist]" (Rehbein 1993, S. 321; Hervorhebung im Original), denn auch wenn der Patient „die sprachliche Form seines (vom Arzt gesuchten) Wissens [nicht] kennt", so „übermittelt er in seinen Antworten [doch] ein Wis sen, genauer, er bestätigt, widerlegt, präzisiert usw. das in der Frage des Arztes präsentierte Wissen und lenkt[ ] dessen professionellen Wissensprozeß hinsicht
lich seines konkreten Falles in einer spezifischen Weise" (ebd.; Hervorhebung im Original).
Der Arzt kennt charakteristische Beschwerden, die mit einer Krankheit verbun den sind, empfindet sie jedoch - im Unterschied zum Patienten - nicht selbst. Bestimmte Beschwerden gelten als Symptome für bestimmte Krankheiten. An dererseits empfindet der Patient keine Symptome. Für den Arzt kommt es dar auf an, im Verlauf der Kommunikation die Beschwerden in Symptome zu über führen, um sein professionelles Wissen anzuwenden. (Rehbein 1993, S. 332)90
Gerade in den Handlungsschemakomponenten Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration sowie der körperlichen Untersuchung stellt der Arzt hauptsächlich Fragen. In fünf Gesprächen richten sich die Fragen des Arztes ausschließlich an die Patienten. In nur einem Gespräch gibt es aus-
90 Der Autor verweist hier auf den Artikel von Rehbein (1987), in welchem eine II Unterschei dung von Beschwerden und Symptomen" (Rehbein 1993, S. 332) vorgenommen wird.
schließlich Fragen an die Mutter. In den restlichen zehn Gesprächen werden Fragen an beide Gesprächsbeteiligten gerichtet.
In dem Gespräch APEG_02, wie in vielen anderen Beispielen, sieht man, dass der Arzt seine Fragen ganz gezielt an die entsprechenden Parteien adressiert und dies nicht immer mit dem gerade aktuellen Sprecher oder mit dem akti veren Sprecher zusammenhängt, sondern vor allem mit den Fragen, die ge stellt werden:
Fallbeispiel 21: APEG_02 91 (A-Pmll-V; ca. 11:15min); BE (00:00.00-02:51.32);
00:00.00-02:51.32
001 |
P |
02 |
(0.62) |
also wenn ich jetz (.) EINatme; |
002 |
P |
02 |
(0.42) |
da[nn tu]t s HIER ganz arg (.) weh; |
003 A 01
004 A 01
( 0. 43)
[ 0 h l
005 P 02
006 A 01
007 P 02
008 P 02
009 P 02
010 P 02
011 P 02
012 P 02
013 A 01
014 V 02
015
016 A 01
017 A 01
018 P 02
019 P 02
020 A 01
021 P 02
022 P 02
023 A 01
025 |
V |
02 |
(0.23) 0 hh (.) seit zw FENster auf halb; |
026 |
A |
01 |
(0.24) ähm JA- |
027 |
V |
02 |
(0.24) geÖFFnet weil- |
028 |
V |
02 |
0h es so WARM war; |
029 |
A |
01 |
(3 .18) |
030 |
V |
02 |
vorher wars ZU-= |
024 A 01
h[m in dem beREICH;
[seit WANN hast n ]des denn,
(0.82) äh seit GEStern-=
=aber GEStern hat s-
(0.45) nich wirklich WEH getan;
(.) 0 hh (0.69) da habe ich (mir) geDACHT des geht gelech
(.) äh äh des geht dann MORgen wieder vorbei aber
(1.73) dann;
(5. 28)
0 h (0.89) heute morgen hat sich beKLAGT
( 0. 56)
0 hh (0.56) und wie isses in der NACHT SCHLÄFSde da;
( 1. 0 5) äh: JA (.) da-
(.) 0 h [ähm (nee) ]
[WACHST nicht ]auf.
(0.31) 0 h (0.63) NEE in der nacht; (.) nee-=da WACH ich nich auf. (0.24) gut;
0 h (.) schläft er mit OFFenem fenster,
ei drei tagen habe ich die
91 Bei diesem Gespräch hat der Arzt den Raum betreten, bevor alle Geräte angeschaltet wer den konnten. Deswegen fehlen hier in der Aufnahme die Begrüßung sowie die Aufforde rung zur Beschwerdenschilderung,die jedoch explizit an den Patienten adressiert war.
Ärztliche Fragen 11g
031 V 02
=aber seit (.) wie gesagt seit drei vier tage seit diese 0 h Hitze kam;=
032 |
V |
02 |
=hab ich dann von Oben bisschen so; |
033 |
V |
02 |
[((schnalzt)) ](klappen des) |
034 |
A |
01 |
[HMhm, ] |
035 |
A |
01 |
0 hh und wenn de RENNST, |
036 |
A |
01 |
is dann SCHLIMMer- |
037 |
P |
02 |
(1.02) äh: ich habs noch nich ausPRObiert; |
038 |
A |
01 |
(1.39) und (.) welche Etage wohnen se |
039 V 02
040 A 01
(0.66) 0 h (.) <<piano> zwei>
(0.67) [ZW ]Eite-
041 |
V |
02 |
[zwei; ] |
042 |
|
|
( 0. 56) |
043 |
A |
01 |
die treppen kommste GUT hoch, |
044 |
P |
02 |
(.) HMhm- |
045 |
A |
01 |
(0.42) Oder tuts da mehr weh |
046 |
P |
02 |
(0.47) ((schnalzt)) (0.63) äh: hm |
047 |
P |
02 |
(0.5) hm WEISS ich nich- |
048 |
A |
01 |
(0.44) WEISSte nicht; |
049 |
A |
01 |
dann tuts auch nich MEHR weh |
050 A 01
051 P 02
052 A 01
(.) h (.) haste auch HUSten (0.79) mhmh,
0
(0.33) 0 h (.) un haste des gefühl dass de nich gut
|
ATmen kannst- |
||
053 |
P |
02 |
(1.0) also wenn ich ATme, |
054 |
P |
02 |
wenn i[ch(.) ]TIEF einatme, |
055 |
A |
01 |
[oh |
056 |
P |
02 |
[dan]n tuts hier GANZ ar[g weh, |
057 A 01
058 A 01
[ 0 h l
[ja-
059 A 01 (0.2) 0 h (.) jetz zieh dich einfach mal AUS obenrum;
060 |
A |
01 |
dann HORCH ich dich ab; |
061 |
|
|
( 4. 06) |
062 |
A |
01 |
darfst dich da oben DRAUFsetzen- |
((während der Patient sich umzieht und der Arzt sich noch Notizen macht, nutzt der Vater die Situation, um eine Korrektur an seinem Bericht vorzunehmen und von den Ereignissen des Tages zu berichten))
075 A 01
076 A 01
(0.43) 0 h gut jetz will ich grad noch nach den TESten schauen die: (.) mit ihm gemacht worden sind;
die allerGIE[test Je,
077 |
V 02 |
[<<piano> ah ja>; ] |
078 |
V 02 |
ah des+++ wissen weil die AUgen immer (sagt/so) tut weh- |
079 |
V 02 |
immer NOCH- |
080 |
V 02 |
AB ab und zu mal; |
081 |
A 01 |
(2.93) im moment hat er den (.) cetiriZINsaft noch-=ne, |
082 |
V 02 |
(.) ja, |
083 |
A 01 |
( 0. 81) |
084 |
V 02 |
KRIEGT er ab un zu mal-= |
085 |
V 02 |
=aber nich so dass er jeden TAG ein bis zweimal kriegt |
|
|
er; |
086 |
A 01 |
(2.88) da war ja alles ( .) neGAti: :v:- |
087 |
A 01 |
(1. 37) oh ( .) die GRÄser lei:cht- |
088 |
A 01 |
und da grad noch bei den BLUTergebnissen schauen; |
((Der Vater nennt noch etwas, was er beobachtet hat und mit den Augen des Patienten zu sammenhängt. Der Arzt sieht sich die Augen des Patienten an und stellt eine Diagnose be züglich des beschriebenen Problems.))
110 A 01 jetzt HORCH ich mal ab;=
In APEG_02 berichtet der Patient von seinen Beschwerden. Er beschreibt, wann er unter Schmerzen leidet, und nimmt bereits eine Lokalisierung des Schmerzortes vor. Der Arzt stellt nach einer kurzen Pause die erste Nachfrage an den Patienten (Z. 006), die simultan zu einer weiteren Intonationsphrase des Patienten geäußert wird. Der Patient beantwortet die Frage des Arztes bezüglich des Zeitpunkts, seitdem die Beschwerden bestehen, doppelt nach (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 270), nennt aber die Information, die simultan zur Frage des Arztes geäußert wurde, nicht noch einmal. Er fügt der knappen Antwort, die aus einer Zeitangabe besteht, aber mit einem schnellen Anschluss noch hinzu, dass die Schmerzen zwar seit GEStern (Z. 007) vorliegen, die Schmerzen in dieser Intensität aber noch nicht am Vor tag festzustellen waren und er die Schmerzen gestern auch noch ganz anders eingeschätzt hat (Z. 008-012). Nach der Beantwortung der Frage durch den Patienten entsteht eine Pause von 5,28 Sekunden, die der Vater damit beendet, dass er eine andere Antwort auf die Frage präsentiert, die klar seiner Position entspricht, da er nur davon berichtet, was der Patient ihm bezüglich der Be schwerden am heutigen Tag mitgeteilt hat (Z. 014). Dadurch, dass er darauf verweist, dass ihm die Schmerzen erst am heutigen Tag mitgeteilt wurden, diese aber bereits am Vortag in einer abgemilderten Form bestanden, unter stützt er die epistemische Autorität (vgl. z.B. Heritage/Raymond 2005) des Patienten hinsichtlich der Beschwerden. Die gleichbleibende Intonation sig nalisiert, dass der Vater hier weitersprechen möchte, aber nachdem der Vater nach beinahe einer Minute das Wort nicht nochmals ergriffen hat, erkundigt sich der Arzt nun noch nach einem weiteren Parameter beim Patienten: Dabei greift er diese Information des Vaters nicht auf, sondern erkundigt sich beim Patienten, wie dieser schlafe (Z. 016-017). Der Patient reagiert irritiert, bestä tigt aber, dass er nachts schlafe. Die Irritation des Patienten ist sicherlich Ur sache dafür, dass der Arzt seine Frage nochmals in einer anderen Form for muliert, wobei der Patient dem Arzt mit seiner Irritation bereits die eigentliche Frage nach dem Durchschlafen (Z. 020) schon beantwortet hat. Dementspre chend wird diese Frage vom Patienten auch verneint (Z. 022). Die nächste Fra ge (Z. 024) des Arztes schließt an die vorhergegangene Frage an. Er erkundigt sich jedoch nach einer weiteren Variable, die den Schlaf des Patienten beein-
flussen könnte, nämlich nach der Stellung des Fensters. Dass die Eltern auf die situativen Bedingungen stärker Einfluss nehmen als der Patient, kann ver mutet werden, zudem kann es auch möglich sein, dass die Eltern das Fenster schließen, wenn der Patient eingeschlafen ist. Somit ist hier der Wechsel des Adressaten nachvollziehbar. Der Vater elaboriert, wann und warum ein Wechsel bei der Handhabung der Fensterstellung in den letzten Tagen statt fand (Z. 25-033). Nach der Antwort auf die Frage stellt der Arzt nun eine Fra ge (Z. 035), die thematisch nicht mit dem Schlafen zusammenhängt und auch nicht mit der Raumsituation, sondern mit einer Aktivität, die durch den Pati enten ausgeführt wird, und richtet die Frage auch wieder an den Patienten. Der Patient gibt an, dass er seit dem Aufkommen der Schmerzen noch nicht gerannt sei und somit keine Auskunft darüber geben kann, ob dabei eine Ver schlechterung eintrete (Z. 037). Die nächste Frage wird erneut an den Vater gestellt (Z. 038). In dieser wird eine Information zur Wohnsituation erfragt. Der Vater antwortet. Die Frage (Z. 043/045) des Arztes bezüglich der empfun denen Anstrengung beim Treppensteigen, um die Wohnung zu erreichen, geht nun wiederum an den Patienten. Erneut liegt der Fokus auf der körper lichen Anstrengung und deren Auswirkungen auf den Körper. Der Patient produziert verschiedene Signale, die anzeigen, dass ihm die Antwort auf die se Frage schwerfällt, bevor er dann angibt, dass er auch zu dieser Frage keine Aussage machen kann (Z. 044/046/047). Der Arzt wiederholt die Antwort des Patienten und formuliert dann den Schluss, den er aus der Antwort ziehen kann (Z. 048/049). Dann erkundigt er sich nach weiteren Symptomen beim Patienten. Er erkundigt sich nach dem Vorhandensein von Husten (Z. 050) und auch nach dem Vorhandensein von Atemnot (Z. 052). Nachdem der Pati ent auch diese Fragen beantwortet hat, leitet der Arzt zur Untersuchung über. Nachdem der Arzt den Patienten aufgefordert hat, sich für die körperliche Untersuchung vorzubereiten, ergänzt der Vater noch etwas. Der Arzt geht nicht auf diesen Bericht ein, sondern kündigt an, dass er in den Unterlagen noch nach Testergebnissen sehen möchte, die vor dem Arzt-Patient-Gespräch ermittelt wurden und in der Patientenakte liegen. Der Vater greift infolgedes sen ein weiteres Symptom auf, das nicht mit der gerade beschriebenen Symp tomatik zusammenhängt, aber ein Problem darstellt, das in einem früheren Arzt-Patient-Gespräch stattgefunden hat und den Anlass für die allerGIE[test] e (Z.076) dargestellt hat. Durch das leise geäußerte «piano> ah ja>; (Z. 077) auf die Erwähnung des Allergietests signalisiert er seine Überraschung über die sen ärztlichen Hinweis und zeigt das plötzliche Erinnern infolge dieses Hin weises bezüglich eines Symptoms, welches er ansprechen wollte und das auch mit dem durch den Arzt erwähnten Allergietest in Verbindung steht. Dass es sich aber auch um ein Symptom handelt, das losgelöst von der bishe rigen Schilderung existiert und jetzt an dieser Stelle auch nicht erwähnt wer den sollte, wird durch den Ausruf in der Zeile 077 darüber hinaus deutlich. Das Symptom, auf das er nun eingeht, wurde bereits in einem früheren Arzt-
Patient-Gespräch verhandelt. Dies wird durch die Erläuterung deutlich, dass das Phänomen, nämlich die Probleme mit den Augen, weiterhin besteht (Z. 079). Dadurch wird klar, dass es sich nicht nur um eine Symptomatik handelt, die bereits angesprochen, sondern sogar behandelt wurde oder als eine Symptomatik eingestuft wurde, die inzwischen von alleine verschwun den sein sollte, weil der Hinweis darauf, dass das Problem weiterhin besteht, ansonsten nicht notwendig gewesen wäre. Der Vater doppelt dann jedoch nochmals nach und beschreibt das Auftreten als eines in einer abgemilderten Form. Daraufhin erkundigt sich der Arzt beim Vater nach der Verabreichung des verschriebenen Safts (Z. 081). Dieser geht auf die Frage ein, indem er zu nächst angibt, noch von dem Saft zu haben, und dann einräumt, dass der Pa tient jedoch nicht regelmäßig davon erhält. Der Arzt reagiert darauf, indem er sich nun den Testergebnissen widmet und dies dadurch kundtut, dass er die Ergebnisse verliest (Z. 086/087). Danach erklärt der Arzt, sich noch weitere Untersuchungsergebnisse anzusehen. Diese Ankündigung nimmt der Vater zum Anlass, über ein weiteres Problem zu sprechen, das bisher nicht themati siert wurde, aber durch den Vater bereits durch den Anschluss an den Hin weis auf die Allergietests in die Nähe dieser Tests gerückt wurde. Bevor sich der Arzt nun der körperlichen Untersuchung widmet, die im Zusammenhang mit der Symptomatik steht, die den Grund für das Arzt-Patient-Gespräch dar stellt, widmet er sich zunächst der Untersuchung dieses Problems und formu liert auch hinsichtlich dieses Problems eine Diagnose.
Im Rahmen des Handlungsschemas der Beschwerdenschilderung und Be schwerdenexploration stellt der Arzt in APEG_02 die meisten Fragen an den Patienten. Dabei geht es um den Zeitraum der Beschwerden, Symptome, die erwartbar wären, sowie um denkbare Auswirkungen. Drei Fragen richtet der Arzt explizit an den Vater: Die Frage nach der Fensterstellung in der Nacht, der Anzahl der Stockwerke, die der Patient zur Wohnung zu erklimmen hat, sowie nach der Verabreichung des früher verordneten Medikaments. Die Fensterstellung kann sich ändern, nachdem der Patient eingeschlafen ist und auch die Vergabe von Medikamenten fällt eindeutig in den Zuständigkeitsbe reich des Vaters. Die Frage nach den Stockwerken hätte der Patient möglicher weise auch beantworten können, aber da die Frage zweifellos vom Vater be antwortet werden kann, hat der Arzt hier die Partei gewählt, die ihm mit Sicherheit eine korrekte Antwort geben kann (vgl. Stivers/Majid 2007, S. 426).92
Betrachtet man alle ärztlichen Fragen des Analysekorpus, die vor der Diagno semitteilung geäußert werden, so werden die Patienten üblicherweise nach der zeitlichen Dauer die Symptomatik betreffend gefragt. Dabei kann es sich um den Zeitpunkt handeln, in dem die Symptomatik aufgefallen ist, aber auch um einen Zeitraum oder auch um die Tageszeiten, wenn der Verdacht
92 Stivers und Majid beziehen sich dabei auf Clayman (2002) und Stivers/Robinson (2006).
naheliegt, dass die Symptomatik nicht durchgehend vorhanden ist oder erst im Laufe des Tages einsetzt. Wird hingegen nach der Häufigkeit der Sympto matik über einen längeren Zeitraum hinweg gefragt, so werden die Eltern dazu befragt. Betrifft die Symptomatik einen kurzen Zeitraum, werden hinge gen ausschließlich die Patienten dazu befragt.
Genauso regelmäßig werden die Patienten darum gebeten, die betroffene Körperregion oder den Schmerzort genauer zu lokalisieren. Auch dies liegt ausschließlich im Zuständigkeitsbereich der Patienten. In keinem der 16 Ge spräche des Analysekorpus werden die Eltern zu der genauen Schmerzlokali sation herangezogen. In anderen Fällen werden die Patienten auch danach gefragt, ob die Untersuchung Schmerzen hervorrufe, da dies die Eltern nicht fühlen können, sind auch diese Fragen ohne Ausnahme an die Patienten ad ressiert. Dasselbe gilt auch für Fragen nach der Art der Schmerzen oder der Intensität. Auch diese werden durchweg an die Patienten selbst adressiert. Daneben werden die Patienten nach Handlungen gefragt, die die Schmerzen auslösen, oder nach aus der Symptomatik sich ergebenden Sachverhalten, wie eine mögliche Beeinträchtigung des Schlafs etc. sowie auch die Verbesse rung der Symptomatik durch zuvor verabreichte Medikamente, wobei in ei nem von drei Fällen diese Frage auch dem begleitenden Elternteil gestellt wurde. Des Weiteren werden Patienten danach gefragt, ob die Nahrungsauf nahme und die Flüssigkeitsaufnahme funktioniere, wie eigene Reaktionen auf Schmerzen aussehen, wie ihr Gewicht ist und auch eine Scherzfrage wird an die Patienten gerichtet. Eine beschriebene Reaktion einer Patientin auf die berichteten Schmerzen wird bei dieser nochmals nachgefragt und überdies noch eine Bestätigung durch die Mutter eingefordert.
Fragen nach der Beschaffenheit des Stuhls - das wird in zwei Gesprächen abgeklärt - werden einmal an den Patienten und einmal an die Eltern adres siert. Die Adressierung in Bezug auf diese Frage könnte mit dem Alter der Patienten zusammenhängen: So werden die Eltern einer dreijährigen Tochter nach der Beschaffenheit des Stuhls gefragt, einem fünfjährigen Patienten wird die Beantwortung der Frage hingegen bereits zugetraut. 93 In einem Gespräch, indem Probleme mit den Toilettengängen thematisiert werden, wird die Pati entin auch danach gefragt, ob der Toilettengang vor Ort erfolgreich verlaufen sei, ihr ein Drang bewusst sei, ihr dieser auch so früh bewusst werde, dass sie es noch rechtzeitig auf die Toilette schaffe und ob sie merke, wenn die Hose nass sei. Auch Fragen zu weiteren Symptomen werden an beide Parteien ge stellt. Dabei werden die Patienten nach dem Vorhandensein von Husten und Schnupfen, Atemnot, Halsschmerzen, Jucken, Übelkeit, Durchfall und nach Fieber gefragt. Abgesehen von der Frage nach dem Fieber handelt es sich um direkt erfahrbare Symptome, die die Patienten am eigenen Leib verspüren
93 Da aber nur zwei Interaktionen vorliegen, in denen diese Frage realisiert wird, kann dies nur angenommen werden.
und die zum Teil auch nicht sichtbar sind, wie etwa die Übelkeit oder Hals weh. Andere Symptome, wie Schnupfen oder Husten, sind von der Umwelt erlebbar sowie auch Reaktionen auf die Symptome, wie das Kratzen einer juckenden Stelle. Aber auch das Ermitteln des Fiebers wird sicherlich in Ab sprache mit den Kindern ermittelt und nicht heimlich gemessen. Somit wer den die Kinder sicher auch über das Ergebnis der Messung informiert und können über diesen Sachverhalt Auskunft geben. Zu dem Abweichen von ei ner Normalform hinsichtlich der Körpertemperatur werden indes auch die Eltern befragt. Abgesehen von der Frage nach Durchfall oder Schnupfen, wer den die Eltern eher nach abstrakteren Symptomen gefragt, wie dem Stridor bei Atemwegserkrankungen, Schleim bei Husten, verklebten Augen oder der Lichtempfindlichkeit der Patienten. Die Eltern können das Laufen der Nase beobachten oder die Reaktionen, die etwa im Nasenputzen besteht, bemer ken, aber auch den Stridor oder das Abhusten von Schleim hören. Die ver klebten Augen können Eltern aus der Fremdperspektive sogar deutlicher er fahren als die betroffenen Patienten. Das Konzept von Lichtempfindlichkeit kann durch die Eltern in dem Sinne erfahren werden, dass sie beobachtet ha ben, dass die Kinder sich unter der Bettdecke verkriechen, einen Ort aufsu chen, der etwas dunkler ist, oder selbst eine Verdunklung herbeiführen oder wünschen. Diese Information wäre von den Kindern deutlich schwieriger zu erhalten, da das Konzept erst einmal erklärt werden müsste und die Anzei chen dafür auch erst definiert werden müssten.
Beide Gesprächsparteien werden jeweils zudem um Konkretisierung ge beten, die den eigenen Bericht oder den Bericht der anderen Gesprächspartei betreffen. Daneben werden verständnissichernde Fragen an den beschreiben den Gesprächspartner gestellt. In einem Fall werden beide Gesprächsbeteilig te gleichzeitig angesprochen, als der Arzt sich nach dem Vorhandensein eines Blutdruckmessgerätes erkundigt. Die jugendliche Patientin und ihre Mutter werden dabei von dem Arzt als Kollektiv angesprochen, wobei sie geduzt werden, womit naheliegend ist, dass in diesem Fall eher die Patientin ange sprochen ist, da die Mutter in dem Gespräch nicht geduzt wird. Es reagieren auch beide, aber die Patientin ist diejenige, die weiß, wer ein Blutdruckmess gerät, das sie sich ausleihen könnten, besitzt.
Neben den schon behandelten Symptomen werden die Eltern zu eigenen Beobachtungen befragt: die Beschaffenheit des Stuhls, des Hustens, das Aus sehen einer Hautirritation oder auch die mögliche Sichtung der vermuteten Würmer. Überdies erkundigt sich der Arzt bei den Eltern nach verabreichten Medikamenten, vorausgegangenen Untersuchungen bei einem anderen Arzt sowie der Krankheitsgeschichte der Patienten. Auch werden die Eltern nach kranken Klassenkameraden gefragt, wobei die Frage durch diese entweder an die Patienten weitergegeben oder zumindest mit den Patienten verhandelt wird. Des Weiteren werden die Eltern zu Rahmenbedingungen, wie dem Stockwerk, in welchem sie wohnen, der Stellung des Fensters im Kinderzim-
mer während der Nacht oder dem Gesamteindruck des Zustandes der Kinder gefragt.
Die Betrachtung der Fragen des Arztes zeigt, dass die Ärzte bestimmte Fragen jeweils mit den Eltern und bestimmte Fragen immer mit den Patienten klären. Nur wenige Fragen scheinen in Abhängigkeit des Alters der Patienten mit den Patienten oder den Eltern verhandelt zu werden. Rahmenbedingungen, abstrakte Konzepte, bestimmte Symptome, Beobachtungen der Symptomatik, der Krankheitsgeschichte, Untersuchungen bei einem anderen Arzt oder Op tiker sowie zur Medikamentenvergabe, die im Vorfeld stattgefunden haben, werden mit den Eltern abgeklärt, während die Patienten zu wahrnehmbaren Symptomen, dem Schmerzort, der Art der Schmerzen sowie der Intensität der Schmerzen, eine Besserung auf die von den Eltern verabreichten Medikamen te, der Dauer der Symptome, wenn es sich um eine akute Symptomatik han delt, aber auch Reaktionen auf die Schmerzen sowie Handlungen, die den Schmerzen vorausgehen, befragt werden.
Die Ärzte richten ihre Fragen also ganz nach dem Prinzip der Zuständig keit und nach der Vorstellung davon, von wem erwartet wird, dass eine ad äquate Antwort gegeben werden kann, an den entsprechenden Gesprächs partner (vgl. Quasthoff 1990 oder Stivers/Majid 2007). Ob die Patienten gerade besonders aktiv sind oder sich als kompetente Sprecher präsentiert haben, scheint somit nicht das entscheidende Kriterium für die Wahl des Adressaten bei den Fragen zu sein, sondern die Frage, die geklärt werden soll. Auch gibt es offensichtlich Fragen, die durchaus beide Parteien gleich zuverlässig beant worten können, wie etwa die Frage nach dem Vorhandensein von Schnupfen und der Beschaffenheit des Stuhls (fester Stuhl oder Durchfall). In sechs Ge sprächen des Analysekorpus erkundigt sich der Arzt nach Fieber. In den an deren zehn Gesprächen wurde auf die Körpertemperatur von Seiten der El tern oder der Patienten bereits eingegangen oder Fieber ist als Symptom nicht erwartbar, wie z.B. bei regelmäßig wiederkehrenden Kopfschmerzen oder Schmerzen beim Einatmen. In vier der Interaktionen werden die Patienten selbst nach dem Vorhandensein von Fieber gefragt. Die Patientinnen sind zwischen sieben und neun Jahre alt und der Frage nach dem Fieber ist min destens eine Frage vorausgegangen. In zwei Fällen haben die Patienten selbst die Beschwerdenschilderung übernommen, in zwei Fällen haben die Eltern die Beschwerdenschilderung bestritten. In drei Fällen haben die Patientinnen die Frage(n) zuvor selbstständig bearbeitet. In dem vierten Fall ist eine Unter stützungssequenz vorausgegangen. In einem Fall wird die Frage nur von der Patientin beantwortet, die Mutter hat die konditionelle Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) für die Patientin dadurch hochgestuft, indem sie selbst die Patientin nochmals zum Antworten aufgefordert hat. In einem anderen Fall hat die Patientin nicht auf die Frage geantwortet und in zwei Fällen haben die Eltern der Antwort der Patientinnen noch etwas hinzugefügt. In einem der beiden Fälle widerspricht der Vater der Patientin insofern, dass zwar keine
neuerliche Messung stattfinden konnte, aber es davor eine Messung gegeben hat, über die man Auskunft geben kann (vgl. Kap. 7). In dem anderen Ge spräch fügt die Mutter der Aussage der Patientin, der sie zustimmt, indem sie die Bewertung der Patientin wiederholt, noch das genaue Messergebnis hin zu (vgl. Kap. 7).
Um eine verlässliche Aussage zu treffen, liegen nicht genügend Interakti onen vor, allerdings kann man feststellen, dass in den Interaktionen, in denen die Fragen nach Fieber an die Eltern gerichtet werden, die beiden Kinder jün ger sind als die Patientinnen, die vom Arzt nach dem Vorhandensein von Fieber gefragt werden. Der Patient in APEG_33 ist vier Jahre alt und die Pati entin in APEG_06 ist fünf Jahre alt. Allerdings hat die fünfjährige Patientin dem Arzt zuvor auch signalisiert, dass sie sich momentan nicht in der Lage fühlt, Fragen zu beantworten und auch der Patient in APEG_33 hat, nachdem er dem Arzt eine Frage beantwortet hat, begonnen zu summen. Durch die nach folgende Ergänzung des Vaters wird eine Bewertung des erfragten Sachver halts dargestellt, da der Patient nur bestätigt hat, dass das Symptom vorliegt, aber nicht in welcher Intensität dieses auftrat. Die Ärztin stellt die nächsten Fragen an den Vater, der auch antwortet und mit der Beschwerdenschilde rung anstelle des Patienten fortfährt. Während dieser Schilderung durch den Vater beginnt der Patient zu singen und signalisiert der Ärztin damit, dass er sich im Moment nicht als aktiver Gesprächsbeteiligter versteht (vgl. Kap. 5). Die Ärztin stellt die Fragen in dieser Phase daraufhin auch nur noch an den Vater. Erst in der Phase der körperlichen Untersuchung stellt sie wieder eine Frage an den Patienten. In beiden Fällen, in denen die Eltern also nach dem Vorhandensein von Fieber gefragt werden, haben die Kinder dem behandeln den Arzt zuvor signalisiert, dass die Eltern (von einem bestimmten Zeitpunkt an) die aktiven Gesprächspartner darstellen und sie der Interaktion eher pas siv beiwohnen. Beide Patienten werden auch nach einer ersten Frage nicht nochmals in dieser Phase, sondern erst wieder in der Phase der körperlichen Untersuchung durch den Arzt befragt. Ob nun die Fragen aufgrund des Alters nicht an die Patienten gerichtet werden, ist demnach mehr als fragwürdig.
Auch kann man feststellen, dass bestimmte Fragen eher generell an die Patienten gerichtet werden, während andere Fragen eher mit den Eltern ver handelt werden. Auch das spricht nicht dafür, dass das Erfragte im Zusam menhang mit dem Alter des Patienten steht. Selbst wenn man prinzipiell da von ausgehen kann, dass die Patienten über das Messergebnis - wenn nicht über den genauen Wert, dann doch sicher darüber, ob Fieber festgestellt wur de oder nicht - informiert wurden und auch Auskunft darüber geben können, wird dies im Rahmen einer triadischen Gesprächssituation verhandelt. Die Eltern sind dabei und können Informationen, die die Patienten nicht geben, die aber für den Arzt relevant sind, noch ergänzen, denn es werden alle Punk te in dieser besonderen Kommunikationssituation immer vor einem Dritten verhandelt (vgl. Bauer 2009, S. 131). Es sind alle drei Gesprächsbeteiligten -
im Gegensatz zu gedolmetschter Kommunikation, zu der Sator und Gülich feststellen (vgl. Sator/Gülich 2013, S. 403),94 dass vermittelte Kommunikation dennoch als dyadisch einzustufen ist, weil die Dolmetscher-gestützte Kom munikation dem üblichen Arzt-Patient-Gespräch recht nahekommt - zu jeder Zeit des Gespräches ratifizierte Gesprächsbeteiligte (vgl. z.B. Goffman 1981,
S. 128). Demzufolge ist auch die gerade nicht adressierte Partei trotzdem rati fizierter Rezipient (ebd.). Aus diesem Grund ist auch der jeweils gerade nicht aktiv beteiligte Sprecher verpflichtet, etwas zu korrigieren, wenn ihm dies notwendig erscheint.s9
Exkurs: Reparaturen und Korrekturen
11
11
Reparaturen und Korrekturen tauchen nahezu in jedem Gespräch auf, denn kein Gespräch verläuft durchweg reibungslos. In den meisten Fällen werden diese jedoch nicht wahrgenommen, falls sie nicht besonders markiert werden. Für Kotschi 11 präsentieren [Korrekturen] insofern eine extreme Form der Wie deraufnahme, als der Sprecher mit ihnen nach der Formulierung von q eine völlige Abkehr von p zum Ausdruck bringen möchte" (Kotschi 2001, S. 1345). Als Reaktion auf den Artikel 11Th e preference for self-correction in the organisa tion of repair in conversation" von Schegloff/Jefferson/Sacks (1977), in welchem die Autoren dafür plädieren, von dem Begriff 11 Korrek tur" Abstand zu nehmen und empfehlen, stattdessen eher von Reparaturen zu sprechen, nennt Kotschi im Hinblick auf Korrekturen neben den Rephrasierungen und den Reinterpre tationen auch Reformulieren und filtert aus verschiedenen Untersuchungen zudem die 11 Aufteilung in die drei Gruppen der 'Ausdruckskorrekturen', der 'Formulierungskorrekturen' und der 'Inhaltskorrekturen"' heraus (vgl. Kotschi 2001, S. 1345-1348). Andere Autoren, wie etwa Auer, folgen jedoch der Begriffs empfehlung von Schegloff, Jefferson und Sacks (vgl. Auer 1999, S. 143). Auer führt an, dass es sich bei Reparaturen ja auch um 11 beliebige Elaborierungen, Detaillierungen oder Reformulierungen [handeln kann], deren Grund nicht un bedingt ersichtlich ist", wobei 11 Reparanda [...] nicht offensichtlich falsch sein [müssen]" (ebd.; Hervorhebung im Original). In Anlehnung an Schegloff, Jef ferson und Sacks wird im Folgenden ebenfalls der Begriff 11 Rep aratur" verwen det, da dieser nicht nur the replacemant of an 'error' or 'mistake' by what is 'correct'" einschließt, sondern etwa auch Phänomene, in denen neither contin-
94 Mit Bezug auf Traverso (2002, S. 91).
95 Reparaturen in triadisch-pädiatrischen Erstkonsultationen sind ein spannendes Untersu chungsfeld, da alle Gesprächsbeteiligten auf eine andere Art und Weise reparieren. Dabei unterscheiden sich die Reparaturen nicht nur auf der Oberfläche, sondern auch inhalt lich. In dem Analysekorpus von 16 Interaktionen befinden sich -wenn manvonSelbstre paraturen absieht - einige Fremdreparaturen, die die Eltern vollführen, einige Reparatu ren der Ärzte und auch ein paar Reparaturen der Patienten selbst. Dies kann in diesem Rahmen jedoch nicht weiter ausgeführt werden (siehe z.B. Winterscheid/Kook i.Vorb.).
gent upon error, nor limited to replacement" vorliegt (Schegloff!Jefferson/Sacks 1977, S. 363). Dazu gehört, dass etwas als Reparandum ausgemacht wird (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977). Anschließend erfolgt eine Reparaturinitiierung und die Durchführung der Reparatur, woraufhin eine Ratifizierung erfolgt (ebd.). So 11 erm öglichen es [Reparaturen], auch noch im zweitbesten Fall - quasi im zweiten Anlauf - Intersubjektivität herzustellen" (Auer 1999, S. 143). Für Reparaturen sind folgende Punkte entscheidend: zum einen der Grad der Re paratur, ob ein Sachverhalt grundlegend korrigiert, repariert, oder nur einge schränkt wird. So gibt es Realisierungsformen, in denen einer Aussage klar widersprochen und ein anderer Sachverhalt dargelegt wird, aber auch Fälle, in denen nur eine andere Gewichtung vorgenommen, eine Antwort oder ein Bei trag hoch- oder herabgestuft, ergänzt oder nur zum Teil korrigiert wird (vgl. Winterscheid/Kook i.Vorb.). Zum anderen ist auch die Art der Reparatur ele mentar. Es gibt Reparatursequenzen, in denen die Reparaturen markiert voll zogen, und andere, in denen die Reparaturen sehr zurückhaltend vorgenom men werden (vgl. ebd.).
Die Reparaturen in den triadisch-pädiatrischen Erstkonsultationen wer den in Abhängigkeit des Sprechers sehr unterschiedlich realisiert (vgl. ebd.). Beispielhaft soll eine Reparatursequenz präsentiert werden, in der die Mutter die Antwort der Patientin zwar nicht korrigiert, aber doch elaboriert und de tailliert und damit eine neue Definition des erfragten Zustands vorschlägt (Auer 1999, S. 143):
Fallbeispiel 22: APEG_34 (A-Pw6-M; ca. 11:56min); BE (00:19.29-01:59.94); 01:21.58-01:30.37
032 Ä 03 (1. 36) is es denn nach dem SAFT besser geworden hannah,
-
033 p 34 (0. 21) ja;
034 Ä 03 (0.32) ja-
035 Ä 03 (0.52) na bin ich ja FROH.
036 (0.59)
-
M 34 ja-=jetz has des
M 34 is es wieder en bisschen geKOMmen;=gell,
M 34 hast du geSAGT,
Ä 03 hmhm;
041 Ä 03 (0.22) <<piano> hmhm >;
In diesem Fall erkundigt sich die Ärztin bei der Patientin danach, ob die Ein nahme des Medikaments, welches ihr ihre Mutter im Vorfeld verabreicht hat te, eine Besserung zur Folge hatte (Z. 032). Dies wird von der Patientin ledig lich bejaht (Z. 033). Die Ärztin wiederholt die Antwort der Patientin, wobei sie diese z.T. prosodisch (Z. 034) nachahmt, und kommentiert den selbst ange sprochenen und von der Patientin bestätigten Zustand mit dem Verweis auf die eigene Freude darüber. Zwischen der Ratifikation und der Kommentie rung der Antwort der Patientin liegen jeweils kürzere Pausen und nach Ab-
11
schluss des Kommentars geht sie deutlich mit der Stimme herunter. Die Mut ter hätte also durchaus zu einem früheren Zeitpunkt eingreifen können, schaltet sich aber erst nach einer Pause von 0,59 Sekunden ein, indem sie zu nächst ebenfalls mit einem ja- (Z. 037) ansetzt und die von ihr als Reparan dum ausgemachte Bestätigung repariert, innerhalb der sie allerdings einen Satzabbruch vollzieht. Hier sieht man auch, dass das einleitende 'ja' im Vor Vorfeld keine Bestätigung einer vorhergehenden Aktivität darstellt, sondern vorrangig interaktive Funktionen auf der Ebene der Gesprächsorganisation erfüllt" (Meer 2007, S. 9). Jedoch ist die Besserung nicht per se das Reparan dum, das im Rahmen der Fremdreparatur der Mutter bearbeitet wird, son dern die anhaltende Besserung, die durch die einfache Bestätigung suggeriert wird. So definiert sie die Bestätigung der erfragten Besserung als eine dauer hafte Besserung und repariert diese Darstellung dann infolge der Reparatur als eine kurzfristige. Die in der Frage präsupponierten Inhalte stehen dem von der Tochter bestätigten Sachverhalt nicht gegensätzlich gegenüber. In beiden Ansätzen wendet sie sich an die Tochter, von der sie sich auch den erwähnten Sachverhalt mittels eines Frageanhängsels bestätigen lässt. Da durch dass die Frage an die Tochter adressiert ist, liegt die konditionelle Rele vanz bei der Tochter, die reagieren muss.% Dass sie die Tochter bei der Repa ratursequenz miteinbezieht, eine Bestätigung durch die Tochter verlangt und die Mutter im Prinzip nur auf eine Aussage der Tochter verweist und ihre epistemische Autorität (z.B. Heritage/Raymond 2005) anerkennt, ist für die Patientin in gewisser Weise rehabilitierend und faceschonend (siehe z.B. Brown/Levinson 1987, S. 65ff.; Goffman 1967). Nichtsdestoweniger lässt sie durch den Verweis auf den Zitatcharakter der Aussage eigentlich keine ande re Aussage der 11 Zeugin", die sie hier anführt, zu. Dadurch, dass die Mutter explizit darauf verweist, dass sie dies von der Tochter so gehört habe, kann die Patientin hier eigentlich keine andere Aussage machen, da sie sich damit selbst widersprechen würde. Damit wird die Antwort durch die Mutter kon trolliert und die Patientin kontrafaktisch in die Reparatursequenz der Mutter eingebunden. Nach dieser 11 inszenierten" Dyade (vgl. auch Kap. 8.5) erfolgen zwei Rückmeldesignale durch die Ärztin. Während sie jedoch auf die Ant worten der Patientin sehr expressiv und mit einer Bewertung reagiert, fällt hier eine Bewertung der reparierenden Aussage aus und die Rückmeldung ist auf ein Minimum reduziert. Damit wird die Patientin auch durch die Ärztin als primäre Quelle etabliert und ein Arbeitsbündnis mit der Patientin aufgebaut.
96 Trotz der Adressierung handelt es sich hier nicht um eine tatsächliche Frage an die Toch ter, sondern um eine Frage vor der Ärztin, die eine Information für die Ärztin enthält. Das ist schon allein am Wortlaut festzumachen, da die Mutter der Patientin gegenüber auch erwähnt, dass es sich hierbei nicht nur um einen Zustand handelt, der von der Mut ter angenommen, sondern von ihr selbst im Vorfeld so dargestellt wurde. Dieser Punkt wird in Abschnitt 8.5 genauer betrachtet.
13O Adressierung in triadisch-pädiatrischen Gesprächssituationen
Die Reparatur findet damit gleichzeitig auf mehreren Ebenen statt. Die Mutter widerspricht zwar nicht der Tatsache, die von der Tochter bestätigt wurde, nämlich, dass auf den von ihr gegebenen Saft eine Besserung eingetre ten ist, berichtigt aber den von der Mutter angenommenen Schluss der Ärztin und auch die naheliegende Interpretation, dass dieser Zustand nun auch so fortbestehe. Durch die Reparatur manifestiert sie auch diesen Rückschluss auf eine dauerhafte (langanhaltende) Besserung, der sie widerspricht. Des Weite ren weiß sie aus ihrer Erfahrung mit Ärzten, dass Ärzte auch auf Ja-Nein Fragen mehr als eine einfache Bestätigung oder Verneinung erwarten und die Tochter diese Erwartung nicht erfüllt hat (vgl. Spranz-Fogasy 2010). Dass sie diese Annahme, die von der Mutter unterstellt wurde oder der sie vorbeugen will, repariert, hat jedoch noch einen weiteren Aspekt. So ist die Bestätigung der Tochter auch potenziell facebedrohend für die Mutter, da die Tochter durch ihre Aussage die Legitimation des Arztbesuches infrage gestellt hat (siehe z.B. Heritage/Robinson 2006), für den tendenziell die Mutter verant wortlich ist (vgl. Zwischenfazit in Kap. 5). Wenn der Saft zu einer Besserung geführt hat, ist eine Konsultation des Arztes nicht mehr unbedingt notwen dig. Eine Verschlechterung des Zustands nach einer vorausgegangenen Bes serung jedoch sehr wohl. Sie bestreitet damit nicht, dass tatsächlich eine Bes serung eingetreten ist, worüber die Patientin ja zweifelsohne auch die epistemische Autorität alleine innehat, aber sie berichtet dann noch von einer neuerlichen Verschlechterung, die nicht von ihr festgestellt, sondern von der Patientin selbst so angegeben wurde. Dabei verwendet sie aber auch eine Mo dalisierung und stuft die Reparatur damit nochmals etwas herab. Damit gibt es zwar eine Reparatur des Gesagten, aber die beschriebene Veränderung wird nicht als besonders stark beschrieben.
Dieser Einschub soll belegen, dass jede der Gesprächsparteien in einer triadi schen Gesprächssituation dazu aufgerufen ist, zu reparieren, wenn ihr dies notwendig erscheint und dem auch alle drei Gesprächsparteien nachkom men, selbst wenn dies hin und wieder zeitlich verzögert passiert. Damit kann die Wahl eines bestimmten Adressaten bei den verschiedenen Fragen tatsäch lich auf die Präferenz für Antworten zurückgeführt werden (vgl. Stivers/Ma jid 2007, S. 426)97, aber auch darauf, dass die Ärzte Fragen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Patienten diese selbstständig beant worten können, in dieser Phase eher an die Patienten adressieren, wohl wis send, dass die Eltern daneben sitzen und einerseits reparierend eingreifen und auch andererseits weitere Informationen nennen können, wenn dies not wendig erscheint. So hat etwa in APEG_17 die Patientin auf die Frage nach Fieber angedeutet, dass „ein bisschen" Fieber vorgelegen hat (vgl. Kap. 7).
97 Hierbei verweisen die Autoren auch auf die Studien von Clayman (2002) und Stivers/ Robinson (2006).
Diese Information scheint unbefriedigend, sodass der Arzt sich infolge bei der Mutter danach erkundigt, um welche Temperatur es sich nun gehandelt hat:
Fallbeispiel 23: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:11min); BB (00:06.51-01:00.69); 00:21.02-00:26.48
014 |
A |
02 |
°h (.) un hasch auch FIEber |
gehabt, |
015 |
P |
17 |
(0.91) BISSchen; |
|
016 |
M |
17 |
(.) BISS[chen- ] |
|
017 |
A |
02 |
[biss ]chen(.) wie |
[ab ] |
018 |
M |
17 |
|
[SIEbenund] |
|
|
|
dreißig, |
|
019 |
M |
17 |
so leicht erHÖHT; |
|
Auch wenn die Mutter hier bereits vor der Beendigung der Frage die zu erfra- gende Antwort liefert, kann man an dieser Interaktion sehen, dass der Arzt sofort nach der Beantwortung der Frage den Kopf zur Mutter dreht und sie bereits nonverbal als nächsten Sprecher auswählt:
Die Mutter antizipiert die Frage, die noch nicht abschließend realisiert wurde, und beantwortet die Frage im Sinne des Arztes. Dies ist eine Reaktion auf das Hinwenden des Arztes nach der Frage nach dem Vorhandensein von Fieber, woraufhin eine solche Frage erwartbar ist, und dem Ansatz.
Selbst wenn Fragen auch aufgrund der Anforderungen an unterschiedliche Gesprächsbeteiligte gerichtet werden, können Fragen zugleich dazu benutzt werden, einen anderen Gesprächsbeteiligten zu Wort kommen zu lassen, der jetzt gerade nicht aktiv war, z.B. wenn die Eltern die Beschwerdenschilderung übernommen haben. Dies geht dann oftmals mit einer expliziten Namensnen- nung einher.
So hat etwa in APEG_09 die Mutter die Beschwerdenschilderung über- nommen. Der Arzt hat lediglich einen kurzen Kommentar realisiert und die Mutter ansonsten nur mittels Rückmeldesignalen in ihrer Sprecherrolle bestä- tigt. Nachdem die Mutter andeutet, mit der Beschwerdenschilderung schlie-
ßen zu wollen, formuliert er seine erste Frage explizit an die Patientin, indem er die Frage direkt an die Patientin adressiert und zudem ihren Namen nennt.
Fallbeispiel 24: APEG_09 (A-Pw7-M; ca. 6:16min); BE (00:12.01-00:54.20); 00:30.77-00:41.66
016 M 09 [oh l ( o.21) un gleichzeitig hat se aber auch en andern SAFT ( .) angefangen zu trinken;
017 A 02 ( .) HMhm.
M 09 ( .) ((schmatzt)) jetzt weiß ich NICHT-
-
-
-
M 09 also JUcken tut s nicht; 020 A 02 oh ( .) juckt s NET inara, 021 p 09 (0.27) mhM[H, l
A 02 [N ]EE-=gut.
A 02 ( .) FIEber hasch auch keins ghabt;
Die Mutter hat den Arzt, ohne darauf zu verweisen, woher sie diese Informa tion hat, bezüglich des Fehlens eines erwartbaren Symptoms informiert (Z. 019). Aber bei dem Hinweis auf das Symptom dreht die Mutter den Kopf zur Patientin und spricht zudem etwas leiser, wodurch sie die Patientin als Autorin der Information stilisiert.
Es ist wahrscheinlich, dass die Patientin ihr mitgeteilt hat, dass die Hautirritati on nicht von einem Juckreiz begleitet wird. Gleichzeitig könnte sie auch beob achtet haben, dass die Patientin nicht an den betroffenen Regionen kratzt. Der Arzt erkundigt sich daraufhin bei der Trägerin der epistemischen Autorität (vgl. Heritage/Raymond 2005 oder das Zwischenfazit in Kap. 5) nochmals da nach (Z. 020). Denn die Patientin ist die einzige, die wirklich Auskunft darüber geben kann, ob ein Juckreiz vorliegt. Die Verwendung des Namens kann dazu eingesetzt werden, ,,die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners" - also der Angesprochenen - zu „wecken" (Spiegel 1995, S. 73). In diesem Fall wird da durch die Patientin aktiviert, die gerade nicht verbal aktiv beteiligt war. Auf die Frage, die von der Patientin beantwortet wird, formuliert der Arzt eine weitere Frage an die Patientin, mit der dieses Mal keine Namensnennung einhergeht (Z. 023). Das erscheint an dieser Stelle des Gesprächs nun auch nicht mehr not wendig, da die Patientin bereits als diejenige Gesprächspartnerin bestimmt wurde, die ihm seine Fragen beantworten soll und nun aktive Sprecherin ist.
Noch deutlicher ist es in den Fällen, in denen eine „Umadressierung" eine Frage betreffend stattfindet:
Fallbeispiel 25: APEG_32 (A-Pw7-M; ca. 7:34min); BE (00:54.69-01:49.61); 01:32.84-01:40.09
045 M 32 0 h ]w[obei ICH denk-=
046 |
Ä 03 |
[KOMM wir |
][gucken mal, |
047 |
M 32 |
|
[=sie war ja auch ]total |
|
|
SCHLAFtrunken;= |
|
048 |
M 32 |
=irgend[wann denk ]ich können DIE des auch gar nich [mehr so richtich auseinanderhalten- |
|
049 |
Ä 03 |
[jaja |
|
050 |
Ä 03 |
[war sie denn heute auf TOilette sch ]on gew[esen, |
|
051 |
M 32 |
[oh |
|
052 |
Ä 03 |
has du heut schon mal Pipi gemacht finja, |
Die Mutter hat im Rahmen der Beschwerdenschilderung davon berichtet, dass die Patientin darüber geklagt hat, dass diese u.a. Beschwerden beim pipi MACH]en; (Z. 042) habe. Daneben erwähnt sie erste Maßnahmen und geht auf subjektive Krankheitstheorien (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013; Birkner 2006 und Kap. 9) ein. Die Patientin hat sich währenddessen nicht aktiv an der Beschwerdenschilderung beteiligt. Sie hat sogar durch Summen und Singen angezeigt, dass sie davon ausgeht, dass von ihr eine andere Beteiligung nicht erwartet wird (vgl. hierzu auch Kap. 5). Die Mutter gibt weiterhin an, dass die Patientin ihr gegenüber mitgeteilt hat, dass das Medikament für keine Erleichterung gesorgt hat, sie von der Wirkungslosig keit aber nicht völlig überzeugt ist. Die Aussage, wonach die Patientin auf das Medikament angeblich nicht angesprochen haben soll, wird durch die Mutter dadurch in Zweifel gezogen, dass sie erklärt, dass die Patientin zum Zeit punkt der Aussage übermüdet war und wie alle Kinder, die SCHLAFtrunken (Z. 047) sind, des auch gar nich [mehr so richtich auseinanderhalten-(Z. 048) kön nen. Damit spricht sie ihr für diesen Moment die epistemische Autorität (vgl. Heritage/Raymond 2005) über die Einschätzung ihrer eigenen Beschwerden ab. Daraufhin erkundigt sich die Ärztin zunächst bei der Mutter danach, ob denn heute schon ein Toilettengang stattgefunden hat. Obgleich die Mutter am Ende der Intonationsphrase deutlich einatmet und damit signalisiert, dass sie gewillt ist, diese Frage zu beantworten, stellt die Ärztin die Frage nun er neut an die Patientin, in diesem Fall jedoch mit Nominalisierung. Der Adres sat dieser Frage wird geduzt, sodass sofort deutlich wird, dass die Patientin adressiert wird, aber die Korrektur der Adressatin wird durch die Namens nennung zudem hervorgehoben. Bei der Umformulierung der Frage wird auch das Fragedesign angepasst (vgl. z.B. Hartung 2001, S. 1352): Die Ärztin erkundigt sich bei der Patientin nicht mehr danach, ob sie vor dem Arztbe such schon aufTOilette (Z. 050) gewesen ist, sondern ob sie heut schon mal Pipi gemacht (Z. 052) hat. Dadurch präzisiert sie ihre Frage einerseits, denn sie er kundigt sich nicht nur nach einem Toilettengang, sondern erfragt zudem, was die Patientin dort gemacht habe. Andererseits ist ein Toilettengang auch ab-
strakter. Dies dürfte jedoch von der Patientin trotzdem verstanden werden. Sie nimmt also eine Präzisierung bei der Umformulierung der Frage vor so wie eine Umadressierung der Frage. Es handelt sich dabei allerdings nicht nur um eine Selbstreparatur, sondern auch um eine Fremdreparatur (vgl. z.B. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977). Sie repariert damit den Zustand, dass die Mutter die Sprecherrolle während der Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration gänzlich übernommen hat. Zudem wider spricht sie damit auch der Einschätzung der Mutter, die der Patientin zumin dest temporär die epistemische Autorität bezüglich der temporären Einschät zung der Symptomatik abspricht, indem sie die Patientin auswählt und ihr damit die epistemische Autorität zumindest für das am heutigen Tag Gesche hene zugesteht sowie die Einschätzung bezüglich der Symptomatik am heu tigen Tag. Damit negiert sie zwar die Einschätzung der Mutter nicht direkt, unterstellt der Patientin aber für den jetzigen Zeitpunkt die epistemische Au torität über ihre eigenen Beschwerden.
Auch in APEG_03 wird die Namensnennung zu diesem Zweck eingesetzt. Hier ist der Namensnennung jedoch eine Frage an die Patientin vorausgegan gen, die nicht von der Patientin beantwortet wurde. So wohnt dieser Namens nennung auch eine Reparatur an der Turnübernahme durch den Vater inne (vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen).
Fallbeispiel 26: APEG_03 (A-Pw3-M/V/S; ca.27:02min); BE-Teil 2 (08:13.44-10:02.15);
08:13.44-08:37.29
001 A 01 SO-=has du- s geSCHAFFT-
002 p- 03 ( 1. 0)
003 A 01 war - s Nötig? 004 p- 03 (0.41)
V 03 joa des war jet also wieder mal (0.68) [so wie- s SEIN soll-=ne-
M 03 [na JA wenn- s-
007 (0.3)
A 01 gu[t;
V 03 [so ]gar geHALten die ganz e zei[t-
A 01 [j Ja-
011 (0.56)
V 03 und ( .) HM?
V 03 ( .) (lass darf ich dann)
A 01 du camilla wie is es dann-= 015 A 01 =merkst du- s AUCH?
016 p- 03 (1. 57)
017 A 01 wann du zur toilette musst IMmer? 018 p- 03 (1.71)
A 01 nich IMmer-
A 01 ( .) wie is des DENN;
021 P 03 (1.54)
022 A 01 kommt das denn ganz PLÖTZlich,
Die Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration wurde demnach bisher nur zwischen den erwachsenen Parteien verhandelt, die auch durch den Arzt dazu aufgefordert wurden, die Beschwerdenschilderung zu über nehmen. Sechs Minuten nach Beginn der Interaktion meldet sich die Patientin mit dem Hinweis darauf, dass sie auf die Toilette muss, und verlässt anschlie ßend mit dem Vater das Zimmer, um die Toilette aufzusuchen. Der Arzt wen det sich nach dem Weggang der Patientin der Therapieplanung zu und unter bricht diese, um zur Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration zurückzukehren, als die Patientin wieder anwesend ist. Als die Patientin nun jedoch nicht verbal auf die Frage des Arztes reagiert,98 die an sie adressiert wurde und der Vater sich schließlich anstelle der Patientin zu Wort meldet, insistiert der Arzt mit Hilfe der Namensnennung, um den Eltern zu signalisie ren, dass nun die Patientin antworten soll. Der Arzt verweist nun durch die Namensnennung und das vorangestellte du (Z. 014) darauf, dass er zur Klä rung der nächsten Frage eine Antwort der Patientin erhalten möchte. Er beugt sich vor und blickt bei den nachfolgenden Fragen jeweils die Patientin direkt an. Er wartet darüber hinaus jeweils bis eine Reaktion der Patientin erfolgt. Deren Reaktionen sind jedoch fortlaufend nonverbal. Die Eltern halten sich nach der Frage des Arztes mit vorangestellter Namensnennung allerdings zu rück und reagieren erst wieder, als der Arzt sie direkt anspricht, auch wenn die Patientin jeweils erst nach recht langen Pausen reagiert und das auch nur nonverbal.
Die nominale Adressierung wird zumeist dann eingesetzt, wenn ein Spre cher - vorwiegend der Patient - aktiviert werden soll, der gerade nicht aktiver Sprecher ist. Dieses Mittel erfolgt jedoch in der Regel nicht losgelöst von an deren Mitteln. Unterstützt wird eine solche Aktivierung generell durch die nonverbale Hinwendung des Arztes zum Patienten, die üblicherweise darin besteht, dass er den Blick nicht von dem Patienten löst und sich entweder deutlich sichtbar vorbeugt oder zum Patienten hindreht. Weiterhin wird die Stimmvarietät (vgl. Bose/Kurtenbach 2014, S. 146) angepasst und der Adres satenzuschnitt sowie die pronominale Form unterstützen die Adressierung zusätzlich.
So kann der Arzt durch die Adressierung die Beteiligung der Gesprächs beteiligten in gewisser Weise steuern. Ferner gibt es auch Verfahren, mit de nen sich die Gesprächsbeteiligten gegenseitig aktivieren. Beispielsweise schafft das kollektive Wir Raum für den anderen Gesprächsbeteiligten, der
98 Da sich jedoch die beiden Gesprächsbeteiligten gerade erst wieder an den Platz bewegen und der Vater die Patientin simultan zu den beiden Fragen verdeckt, indem er sich zwi schen die Kamera und die Patientin schiebt, kann man leider zu diesem Punkt die Hal tung der Patientin nicht verfolgen.
gerade verbal nicht aktiv ist, nimmt den jeweils Anderen aber auch stärker in die Pflicht, etwas anzufügen, wenn er dieser Aussage nicht gänzlich zustimmt.
Gerade der Einsatz bestimmter 11 Personalpronomen", die den Anderen mit berücksichtigen, wie das 11 kollektive Wir", belegt, dass für die einzelnen Ge sprächsbeteiligten die triadische Situation immer präsent ist (vgl. Fischer 2000, S. 125). Elias postuliert:
Es gibt kein „Ich" ohne „Du", ,,Er" oder „Sie" ohne „Wir", ,,Ihr" oder „Sie". Man sieht, wie irreführend der Gebrauch solcher Begriffe wie ,,Ich" oder „Ego" unabhängig von den anderen Positionen im Beziehungsgeflecht ist, auf die die übrigen Fürwörter hinweisen.
In der Tat ist der Satz der persönlichen Fürwörter der elementarste Ausdruck für die fundamentale Bezogenheit jedes Menschen auf andere, für die fundamentale Gesellschaftlichkeit jedes menschlichen Individuums. (Elias 2009[1970], S. 134)
Daneben hat das kollektive Wir auch eine aktivierende Funktion (vgl. auch Bauer 2009, S. 127). Ähnlich wie bei der Beispielanalyse zu APEG_13 (vgl. Fallbeispiel 2/Kap. 5) verwendet die Patientin in APEG_04 ein kollektives Wir, als sie angibt, dass neben ihr auch das sie begleitende Elternteil, eventuell sogar beide Elternteile, keine Aussage treffen können, ob bei ihr eine Körper temperatur vorliegt, deren Einstufung unter das Symptom Fieber fallen wür de (vgl. Fallbeispiel 10):
Fallbeispiel 27: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:33.08-00:52.33
026 A 02 ( .) 0 hh ho un war auch FIEber,
027 (0. 59)
028 V 04 oh
029 (0. 87)
p 04 das WIS[sen wir nich un]ser thom (0.3) [thermoME:ter
( .) 0 h halt
0
A 02 [ hh
032 |
A |
02 |
|
[((lacht)) |
033 |
A |
02 |
oh |
|
034 |
p |
04 |
(0. 31) äh:- |
|
035 |
p |
04 |
( .) is die batterie LEER. |
|
036 |
A |
02 |
(0.4) gut. |
|
037 |
A |
02 |
( .) oh ho |
|
V 04 na ja also l ( .) die letzte messung ergab SIEbenundreißig komma eins-=
V 04 =des war WANN,
p 04 (0.68) hm-=das WEISS ich nich;
Kollektives Wir 137
V 04 (0.36) 0 h ][weil ]begleitend ham wir nämlich noch(.) DIEse woche,
042 A 02 GU ] [T.
Die Patientin gibt an, nicht im Stande zu sein, auf die Frage des Arztes ant worten zu können und schließt andere Personen, aber auf jeden Fall den an wesenden Vater, mit ein. Hierfür nennt sie auch eine Begründung. Der Arzt signalisiert (Z. 036), dass er sich mit dieser Antwort zufriedengibt und dieses mögliche Symptom nicht weiterverfolgen wird; bevor er dann jedoch die nächste Frage stellen kann, schaltet sich der Vater ein (Z. 038), der die Aussage seiner Tochter nicht in Zweifel zieht, aber sie insofern repariert (vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen in Kap. 8), dass keine Informationen bezüg lich der Körpertemperatur vorliegen. Die ihm bekannte Information fügt er an und bezieht auch die Patientin mit ein, die er zur Angabe des Datums be fragt, da ihm dieses gerade nicht präsent sei. Er korrigiert dabei nicht die vor her getätigte Angabe, fügt dieser aber etwas hinzu und repariert damit die Darstellung in wenigen Punkten (vgl. Exkurs zu Reparaturen und Korrektu ren): So verweist er auf eine vorausgegangene Messung, die in dem Zeitraum stattgefunden haben muss, in dem die Symptome schon vorlagen, sonst wür de es sich nicht um eine relevante Information handeln. Da die Symptomatik laut der Patientin bisher nur ein bis zwei Tage besteht, muss die Messung in diesem Zeitraum erfolgt sein (vgl. auch Fallbeispiel 10). Dass hier kein Fieber festgestellt wurde, ist relevant bei der Frage nach Fieber, da wegen der zeitli chen Nähe zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiterhin kein Fieber vorliegt, ein Vorhandensein von Fieber aber eher unwahrscheinlich erscheint, zumal die Messung sicher durchgeführt wurde, als bereits Beschwerden vorgelegen haben und diese durch die Pati entin auch thematisiert wurden. Somit wird dem Eindruck vorgebeugt, dass es hier nur eine erfolglose Messung gegeben hat. Der Verweis auf die letzte Messung und das Messergebnis widerlegen auch das völlige Nichtwissen be züglich dieses Symptoms. Nachdem der Vater auf diesen Punkt eingegangen ist, übernimmt er das Rederecht und bringt nun noch eine weitere Beschwer de zur Sprache, auf die die Patientin nicht eingegangen ist (Z. 041).
Ähnlich wie bei APEG_04 verhält es sich auch bei APEG_l5. Auch hier wird der anwesende Vater durch den Patienten aktiviert, der das kollektive Wir verwendet, als er davon berichtet, warum ein Besuch in der Praxis erfolgt:
Fallbeispiel 28: APEG_15 (A-Pm5-V; ca. 6:15min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:33.08-00:52.33
010 P 15 =und (.) wir ich hab jetz ein WURMmittel bekommen Oll P 15 das hat aber 0 hh (.) nich geWIRK[T-
012 A 02 [0 h
013 P 15
014 A 02
015
016 V 15
017 A 02
deswe[gen sind wir N]OCH mal hier-
[h O l
( 0. 4)
geNAU;
0 hh (0.49) äh:: h0
und]
018 |
V |
15 |
(.) die SALbe konnten wir auch nich nehmen |
019 |
V |
15 |
(0.35) WEIL äh- |
020 |
V |
15 |
(.) er sachte die BRENNT so arg; |
021 |
|
|
( 0. 35) |
022 |
P |
15 |
HMhm, |
In diesem Fall lässt sich der Vater ebenfalls durch das kollektive Wir aktivie ren, bekräftigt aber nur die Darstellung des Patienten (Z. 016). Er ergreift nach einer längeren Pause dann das Wort und fügt noch eine Information an, die der Patient im Rahmen der bisherigen Beschwerdenschilderung noch nicht erwähnt hatte (Z. 017-020). Auch er verwendet im Übrigen das kollektive Wir, womit er nun ebenfalls den Patienten aktiviert (Z. 022), der dann das vom Vater Dargestellte bestätigt. Zusätzlich führt er den Patienten auch als Autor der Aussage an.
In ähnlicher Weise setzt die Mutter das kollektive Wir in APEG_34 auf die Frage der Ärztin ein und verweist auf gemeinsames Wissen, wobei sie ver mutlich die Patientin miteinschließt:
Fallbeispiel 29: APEG_34 (A-Pw6-M; ca. 11:56min); BE (00:19.29-01:59.94); 01:30.37-01:59.74
042 |
Ä |
03 |
((schmatzt)) 0 h (.) geht in ihrer KLASse. |
043 |
Ä |
03 |
sin da viele INfek[te, |
M 34 [((schnalzt)) 0 h
Ä 03 ham se was
M 34 ähm h0
]geHÖRT,
Ä 03 (0.39) weil wir merken s schon in den letzten
t[agen wieder das ]s die inf[ekte KOMmen,]
P 34 [((schnieft)) ]
M 34 [also wir WI]
[Ssen dass
Ä 03 [un auch die (.) GRÖS]Seren nich [nur die ganz KLEI] nen;=[ne-]
051 M 34
052 M 34
[hm hm-
[0h ](.) also wir wissen dass EIN anderes ki:nd (.) ist auch KRANK-
M 34 ich glaub die hatte auch FIEber-
M 34 (0.23) 0 h ein ANde[res war auch (nich)
055 P 34
M 34 naDINE,
M 34 oder?
[du meinst na ]DINE?
Kollektives Wir 13g
058 |
p 34 - |
(0.73) |
059 |
M 34 |
die war GESter[n auch nich d]a;=gell, |
060 |
Ä 03 |
[hmhm; |
061 |
M 34 |
die war ZWEI tage jetz schon nicht da |
062 |
M 34 |
also nehm ich an dass sie F[IEber hat; |
063 |
Ä 03 |
[hmhm; |
064 |
p 34 - |
unt (.) aNNA war nur an einem tag nich d[a; |
065 |
M 34 |
[ja=] aber anna hatte BAUCHschmerzen hannah- |
066 |
M 34 |
ich glaub [des war was ANde]res; |
067 |
Ä 03 |
[((Lachansatz)) |
Auf die Frage der Ärztin nach Krankheitsfällen in der Klasse, für deren Beant wortung die Ärztin die Mutter ausgewählt hat, reagiert diese mit einem Hin weis auf gemeinsames Wissen. Durch die Nachdoppelung der Ärztin setzt die Mutter ein zweites Mal an und markiert damit die erste Reaktion als Un terbrechung (vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2001, S. 270). Dabei behält sie auch beim zweiten Ansatz die Formulierung mit kollektivem Wir bei. Sie führt an, dass ihnen ein Fall bekannt sei, bei dem angenommen werden kann, dass auch hier ein Infekt vorliege und darüber hinaus auch ein weiterer Fall bekannt sei, bei dem möglicherweise auch ein Infekt vorliegen könnte (Z. 052- 054). Bevor sie die Informationen bezüglich dieses zweiten Falls präsentieren kann, erkundigt sich die Patientin danach, welche Schulkameradin die Mutter meint und schlägt ihr auch gleich eine Schulkameradin vor (Z. 055). Die Mut ter bestätigt die Vermutung der Patientin. Somit kann man nachvollziehen, dass tatsächlich kollektives Wissen vorliegt (Z. 056-057), denn auch die Pati entin hätte diesen Fall angeführt. Daraufhin präsentiert die Mutter gegenüber der Ärztin die Indizien (Z. 059/061/062), welche für einen Infekt sprechen könnten. Sodann schlägt die Patientin noch eine weitere Schulkameradin vor, die vom Unterricht ferngeblieben ist (Z. 064). Durch das kollektive Wir hat die Mutter, die von der Ärztin als Adressatin ausgewählt wurde, um die Frage zu klären, die Patientin aktiviert, die sich fortan einbringt. Die Patientin erfragt die Details dieser Antwort und signalisiert damit, dass sie mitarbeitet oder mitarbeiten will. Nachdem dieses Detail geklärt ist, beteiligt sich die Patientin weiterhin an der Beantwortung der Frage, die eigentlich nicht an sie adres siert worden war. Die Mutter reagiert sofort und erklärt ihr, dass diese Klas senkameradin nicht in die Aufzählung gehört, da diese wegen eines anderen Symptoms, das auf ein anderes Krankheitsbild schließen lässt, zu Hause ge blieben ist (Z. 065). Dadurch hat sie gezeigt, dass sie für eine solche Frage tatsächlich der richtige Ansprechpartner ist, da sie sowohl von den Kindern weiß, die nicht am Unterricht teilgenommen haben, wie auch zum Teil von den Krankheiten oder Symptomen, die die Kinder zum Fernbleiben vom Un terricht gezwungen haben, obgleich die Patientin ja ebenfalls über die In formation verfügt, welche Kinder nicht anwesend waren. Dass hier die mit
Arzt-Patient-Gesprächen erfahrenere Gesprächsteilnehmerin angesprochen wurde, zeigt auch die Aushandlung dieses zweiten Namens sowie der Lach ansatz der Ärztin (Z. 067), da es bei dieser Aufstellung nicht darum ging, alle Krankheitsfälle zu nennen, wie die allgemeine Frage vermuten ließ, sondern eine Aufstellung davon gewünscht war, welche Klassenkameraden noch von dieser Erkältungswelle betroffen sind/sein könnten.
Mit Hilfe des kollektiven Wirs der Mutter und der epistemischen Autori tät, die die Mutter ihr in diesem Falle zugesprochen hat, wird die Patientin aktiviert. Sie versucht, ihre Mutter bei der Beantwortung der Frage zu unter stützen, nachdem sie sich erst einmal mit der Nachfrage auf denselben Stand mit der Mutter gebracht hat, wobei sie auch schon hier gezeigt hat, dass sie bereit ist, die Frage mit der Mutter gemeinsam zu beantworten.
Der Einsatz des kollektiven Wir durch Patienten und Eltern dokumentiert einerseits die triadische Struktur und zieht andererseits jeweils eine Aktivie rung des Patienten oder des Elters nach sich. Somit belegen auch diese Beob achtungen, dass man pädiatrische Gespräche nicht als phasenweise dyadisch behandeln kann, wie dies beispielsweise Cahill und Papageorgiou (vgl. z.B. Cahill/Papageorgiou 2007, S. 910) postuliert hatten (vgl. auch Tates/Meeuwe sen 2001, siehe auch Kap. 1.2 und Traverso 2002).
11
Das kollektive Wir wird jedoch nicht nur von Patienten und Eltern einge setzt, auch die Ärzte verwenden es. Zu dem Einsatz des kollektiven Wir durch 11 Agenten" (vgl. Ehlich/Rehbein 1980) der Institution gegenüber Patienten wurden schon verschiedene Beobachtungen festgehalten, siehe etwa Sach weh (2000, S. 308f.). Deswegen wird an dieser Stelle nur sehr knapp darauf eingegangen. Es handelt sich darüber hinaus auch nicht um ein Phänomen, das man vornehmlich in der triadischen Kommunikation findet. In pädiatri schen Interaktionen wird das kollektive Wir z.B. systematisch bei der Überlei tung zur Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung ein gesetzt. Analog zur Pflegesituation, in der das 11 solidarisch[e] wir" dazu eingesetzt wird, um 11 die Gemeinschaftlichkeit der Pflegehandlung" hervor zuheben, welches tatsäch lich beide Interagierenden" (ebd., S. 197)99 mitein schließt, beschreibt das kollektive Wir an dieser Schaltstelle eine Ankündi gung zu einer gemeinsamen Handlung, die nun im Folgenden durch den Arzt und den Patienten durchzuführen ist. Auch wenn der Ausführende der Arzt ist, ist dieser dennoch auf die Mitarbeit des Patienten angewiesen, der den Aufforderungen des Arztes nachkommen muss und für die Lokalisie rung des Schmerzortes etc. zuständig ist. Zum anderen kann es die Angst nehmen, wenn man die Patienten als Beteiligte der nun folgenden Hand lungsschemakomponente einführt. Damit unterscheidet sich der Einsatz nicht unbedingt von dem Einsatz in nicht-pädiatrischen Interaktionen. Aller dings kann in der triadisch-pädiatrischen Kommunikation das kollektive Wir
99 Sachweh verweist hier auch auf Baßler (1996, S. 65).
Kollektives Wir 141
mitunter zweierlei leisten: Während der Patient in die Pflicht genommen wird, die Untersuchung gemeinsam mit dem Arzt zu bestreiten,100 grenzt das vom Arzt eingesetzte kollektive Wir die andere Partei aus, etwa bei der Auf forderung zur Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersu chung überzugehen. Verstärkt wird dies überdies durch den Ortwechsel, den Patienten und Ärzte infolgedessen vollziehen.
In APEG_17 stellt der Arzt beispielsweise eine Frage an die Patientin, die die Patientin nur nonverbal beantwortet und die durch die Mutter dann im An schluss verbal beantwortet wird, wobei sich diese Antwort mit der Sicherung des Ergebnisses überlappt. Anschließend informiert der Arzt die Patientin da rüber, dass nun die körperliche Untersuchung folgen wird und fordert sie zu deren Vorbereitung auf:
Fallbeispiel 30: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); BE (00:06.51-01:00.69); 00:39.32-00:54.68
038
039 |
A 02
p 17 - |
(.) hm ja-=un hasch auch des gefühl gehabt du musch BRECHen, (0. 77) |
|||
040 |
A 02 |
[ja. l |
|||
041 |
M 17 |
[ja- l |
|||
042 |
A 02 |
(.) gut; |
|||
043 |
A |
02 |
(.) |
0 h |
(.) A:Lso (.) jetz müss mer mal gucken;=querida, |
044 |
A |
02 |
jetz musch du mal deinen (.) pulli ausZIEHN- |
||
045 |
A |
02 |
(.) setsch dich da NAUF- |
||
046 |
|
|
(5. 89) |
Da der Arzt die Patientin - sogar mit einer nominalen Adressierung - direkt anspricht, wird deutlich, dass die Patientin ein Teil des kollektiven Wirs dar stellt, während die Mutter nicht zwangsläufig angesprochen wird. Wenn der Arzt die Patientin direkt anspricht, wird die Mutter sogar eher ausgegrenzt. Dass der Arzt die Patientin hier mit Namen anspricht, kann eine Reaktion darauf sein, dass die Mutter sich zuvor auch dann aktiv beteiligt hat, wenn die Patientin nach Symptomen gefragt wurde, und etwa auch die vorausge gangene Frage an die Patientin, auf die die Patientin nur nonverbal reagiert hat, mitbeantwortet hat. Doch auch wenn die nominale Anrede wegfällt, wis sen die Gesprächsbeteiligten zumeist aufgrund ihrer Erfahrung, dass es im Folgenden zu einer „Interaktionsdyade" (Schmitt 2012, S. 45) zwischen dem Arzt und dem Patienten kommt und die Eltern in der Phase der körperlichen Untersuchung nicht zwangsläufig beteiligt sind (vgl. auch Spanz-Fogasy/ Winterseheid i.Ersch.) Die Eltern werden aus diesem Grund auch explizit hin zugeholt, wenn der Arzt ihnen etwas zeigen möchte, womit zumeist dann schon die Diagnosemitteilung vorbereitet wird.
100 Auch hier handelt es sich also um die Aktivierung einer Partei.
Mehrfachadressierung als strategisches Mittel
Neben den Aufgaben, die auf die einzelnen Gesprächsparteien in einem tria dischen Gespräch beim Kinderarzt zukommen, gibt es auch einige Strategien, die die Gesprächsparteien nur in dieser besonderen Gesprächssituation ein setzen können. Bestimmte Phänomene, wie das Sprechen übereinander, sol len an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, da dies z.B. Schwabe für einen Interaktionstyp im Rahmen der pädiatrischen Kommunikation, aber auch Sator sowie Sator und Gülich für gedolmetschte Arzt-Patient-Kommunikati on bereits dargestellt haben (vgl. z.B. Schwabe 2006a; Sator 2013; Sator/Gülich 2013). Solch eine 11 Doppelrolle" berücksichtigt Goffman bei seinen 11 Partizipa tionskategorien", wenn 11 über ein Mitglied des Interaktionsensembles gespro chen wird (vgl. Bauer 2009, S. 126).101
Im Folgenden soll es um zwei Strategien gehen, welche in den pädiatrischen Gesprächen mehrfach eingesetzt werden und auch nur aufgrund der Beteili gungsstruktur eingesetzt werden können.
So wie im Fallbeispiel 18 wird auch in APEG_17 eine Äußerung als die Äußerung eines Anderen behandelt:
Fallbeispiel 31: APEG_17 (A-Pw9-M; ca. 5:llmin); kU (01:15.10-03:31.68) 01:15.10-01:23.82
001 A 02 0 h was hasch_n geGESSe heut morge,
002 |
M 17 |
(.) ((schmatzt)) [GAR ni]x ((Lachansatz)) |
003 |
p 17 - |
[nix |
004 |
A 02 |
NIX gegessen; |
005 |
A 02 |
(.) un geTRUNke, |
006 |
p 17 - |
( 0. 32) |
007 |
M 17 |
WASser; |
008 |
|
( 0. 45) |
009 |
M 17 |
en BISSchen,= |
010 |
M 17 |
=aber ganz WEnich- |
011 |
A 02 |
(.) WASser hasch [getrunken; |
012 |
M 17 |
[HIER nu ] [r; |
013 |
A 02 |
[(wart); |
Nachdem der Arzt die Patientin gebeten hat, sich für die Untersuchung vor zubereiten, hat die Mutter noch ein Symptom erwähnt, von dem bisher nicht berichtet wurde. Der Arzt reagiert darauf, indem er sich, als er sich von seinen Notizen der Patientin zuwendet, nach den Lebensmitteln und Getränken er kundigt, die die Patientin am heutigen Tag zu sich genommen hat. Auf die erste Frage antworten die Mutter und die Patientin simultan (Z. 002/003). Auf die zweite Frage reagiert nur noch die Mutter, die angibt, dass die Patientin bisher lediglich WASser; (Z. 007) zu sich genommen hatte. Die Antwort wird
101 Bauer bezieht sich auf Goffman (1981).
noch weiter präzisiert, insofern als sie noch Mengenangaben ergänzt. Der Arzt beendet diese Aushandlung, indem er sich an die Patientin wendet und ihr gegenüber festhält, dass sie heute nur WASser (Z. 011) zu sich genommen hat. Damit wendet er sich einer anderen Untersuchung zu, behandelt aber die Antwort der Mutter und deren Nachdoppelungen als die Aussage der Patien tin, wobei er die epistemische Autorität der Patientin unterstreicht, die ihm über diesen Sachverhalt Auskunft geben kann. Außerdem unterstreicht er mit dieser Behandlung die Interaktionsdyade, die er mit der körperlichen Unter suchung eingeleitet hat.
Ein anderes Phänomen im Rahmen der Mehrfachadressierung, welches nur in Mehrparteieninteraktionen auftreten kann, ist das Sprechen vor einer drit ten Person. Spiegel beschreibt dies auch für den Unterrichtskontext, wenn Schüler miteinander diskutieren und dies vor den Lehrern machen, die 11 als Adressaten mit gemeint" sind, als 11 eine Art von Doppeladressierung" (Spie gel 2006, S. 34). Auch dieses findet sich hin und wieder in den Interaktionen beim Kinderarzt. Ein paar interessante Fälle werden hier beispielhaft darge legt. Dabei wird jeweils herausgearbeitet, was mit dem Sprechen vor einer Person in diesen Kommunikationssituationen geleistet werden kann.
In APEG_14 wendet sich etwa die Mutter der Patientin nochmals zu, nach dem der Arzt die Phase der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenex ploration für beendet erklärt und zur nächsten Phase übergeleitet hat und vorher nicht noch einmal auf die subjektive Krankheitstheorie eingegangen ist,102 die die Mutter dem Arzt am Anfang der Beschwerdenschilderung (Z. 021-024) präsentiert hat:
Fallbeispiel 32: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); BE (00:07.16-07:32.92); 00:30.57-00:49.95 und 06:42.49-07:21.52
015 M 14 un des HÄUFT sich halt-=JA,= 016 M 14 =un ich hab GSAGT-=
M 14 =SO,=jetz müss ma mal zum ARZT gehn-
-
M 14 weil so geht s ja net auf dauer WEiter-=ne- 019 A 02 (0.31) hmHM;
020 M 14 ( .) geNAU-= 0 h
M 14 ( .) jetz DACHT ich ähm-
M 14 ( .) sie hat jetz ihre periüde seit nem halben jahr- 023 A 02 ( .) HMhm,
M 14 ( .) also kann ja dann einfach auch mit dem WACHStum zusammenhängen-=ne,
M 14 oh
A 02 hmHM,
M 14 ( .) WEISS net ts ähm-
102 Zu subjektiven Krankheitstheorien vgl. Kapitel 9; dieses Beispiel wurde auch bei Win terscheid/Kook i.Vorb. dargestellt.
028 |
|
M |
14 |
(0.47) ob man BLUT untersuchen (.) sollte- |
029 |
|
M |
14 |
oder oder oder vielleicht mal (en/äh) en Eisenwert; |
030 |
|
|
|
(0.54) |
031 [ ... |
] |
A |
02 |
[gu]ck mer |
273 |
|
A |
02 |
(1.73) 0 h (.) so-=jetz tun wir mal unterSUchen |
274 |
A |
02 |
(0.75) ziehst dich mal dein HEMD aus, |
|
275 |
A |
02 |
(.) +++ dich da HOCH, |
|
276 |
A |
02 |
(0.57) zum unterSUchen; |
|
277 |
M |
14 |
(.) ich glaub du hast auch ziemlich stark deine TAge |
|
|
|
|
wenn du se hasch; |
|
278 |
M |
14 |
kann des SEIN, |
|
279 |
p |
14 |
(0.21) ja also an Einem tag schon- |
|
280 |
M |
14 |
( .) JAja des ( .) sie:- |
|
281 |
M |
14 |
( .) des is ziemlich HEFtig manchmal-=ne, |
|
282 |
|
|
(0.89) |
|
283 |
A |
02 |
und des steht aber mit den kopfschmerzen nich in |
|
|
|
|
Zusammenhang damit dass du da deine tage has- |
|
284 |
A |
02 |
oder WIE is en des; |
|
285 |
P |
14 |
(0.23) äh:::- |
|
286 |
P |
14 |
(0.24) keine AHn[ung; |
|
287 |
A |
02 |
[habt ]ihr noch nich |
|
288 |
A |
02 |
(.) hast du noch nich drauf geACHtet; |
|
289 |
P |
14 |
(0.29) also (.) es is manchmal da (.) VO:R- |
|
290 |
P |
14 |
(0.46) meistens is es davor oder es KOMMT dann (.) nach |
|
|
|
|
(.) drei tagen; |
|
291 |
|
|
( 0. 34) |
|
292 |
M |
14 |
deine TAge; |
|
293 |
M |
14 |
(.) meinsch dass des damit zusammenHÄNGT; |
|
294 |
P |
14 |
(.) also (0.34) +++ es is es nich IMmer deswegen; |
|
295 |
M |
14 |
JAha; |
Da eine Bearbeitung der subjektiven Krankheitstheorie (Z. 021-024) durch den Arzt ausgeblieben ist, bringt die Mutter die Theorie nochmals zur Spra che, indem sie sich mit einer Frage an die Patientin wendet. Die Mutter wartet die Vorbereitung der Patientin nicht ab, sondern wendet sich nach einer Mik ropause an die Patientin, um diese zur Intensität ihrer Menstruation zu befra gen (Z. 277). Dies geschieht mittels einer Vermutung der Mutter, die sich die se von der Patientin bestätigen lässt. Nachdem die Patientin diesen von der Mutter angenommenen Sachverhalt bestätigt hat, hält die Mutter diese Tatsa che nochmals fest. Dabei nimmt sie eine Veränderung in der Wortwahl vor. Anstatt der Umschreibung ziemlich stark (Z. 277) verwendet sie nun die Kate gorisierung ziemlich heftig (Z. 281), wodurch die Beschreibung noch einmal dramatischer ausfällt. Gleichzeitig verweist sie auf die epistemische Autorität der Patientin. Dadurch, dass die Patientin, die mit der epistemischen Autori tät ausgestattet ist, über diese Sachlage zu urteilen, diese antizipierte Sachlage verifiziert, wird dieser Punkt hochgestuft. Auch die Tatsache, dass die Mutter
nach der Periode der Patientin fragt, signalisiert ein weiteres Mal, dass sie ei nen Zusammenhang zwischen den regelmäßig vorkommenden Blutungen und den Kopfschmerzen für wahrscheinlich hält. Dass sie auf diesen Zusam menhang zweimal hinweist, zeigt auch, dass sie weiterhin von dieser Theorie überzeugt ist und dass bisher noch nicht auf diese Theorie eingegangen wur de. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass der Arzt in einer anderen Phase des Gesprächs noch auf die subjektive Krankheitstheorie eingegangen wäre. Die Patientin bestätigt den formulierten Eindruck. Eine Hinwendung zur Pa tientin ist auch deswegen sehr geschickt, da eine weitere Nennung gegenüber dem Arzt heikel sein könnte, da dies die Nichtbeachtung deselbigen hervor heben würde. 11 Levinson [...] bezeichnet den {nicht adressierten, aber eigent lich gemeinten Rezipienten} als target" (Bauer 2009, S. 125).103 Durch diese Strategie kann die Mutter eine faceschonende Wiederholung der Theorie rea lisieren und diese durch die Hochstufung insofern etablieren, dass nun der Arzt auf diese Theorie eingeht und die Phase der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration nochmals eröffnet, indem er Fragen zu die ser pubertären Entwicklung stellt, bevor er dann erneut zur körperlichen Un tersuchung überleitet (vgl. Winterscheid/Kook i.Vorb.).
In diesem Fall führt diese Strategie zum Erfolg, insofern als der Arzt der subjektiven Krankheitstheorie nachgeht, die durch die Mutter ein zweites Mal eingebracht wurde. In einem anderen Fall erkundigt sich die Mutter beim Arzt nach der Diagnosemitteilung danach, wie sie nun weiter vorgehen sol len, womit sie die Therapieplanung einleitet:
Fallbeispiel 33: APEG_06 (A-PwS-M; ca. 07:S0min); Th (03:03.01-07:30.75); 03:03.01-03:22.17
001 M 06 was können wer MAchen- 002 (0.23)
M 06 TRINken,
M 06 ( .) obwohl ses erBRICHT-
M 06 also es is richtig es muss richtig au[A machen;
A 01 [NEE-=je ]tzt
WARten se erst mal ab mit dem trinken und-
A 01 (1.01) der geben se jetz en zäpfchen gegen Übelkeit und erbrechen,
008 M 06 (0.37) HMhm-
009 (1. 33)
M 06 ((unverständlich))
A 01 und ers
A 01 wenn das zäpfchen
-
013 p 06 ( .) ((stöhnt))
]t(.) ne dreiviertelstunde daNA:CH geWIRKT hat;
014 M 06 1. 1 <<flüstert> is ja GUT >;
015 (0.52)
103 Bauer bezieht sich auf Levinson (1988, S. 170) und hält fest, dass Goffman zwar diese Möglichkeit ebenfalls berücksichtigt, dafür jedoch keine Begrifflichkeit gewählt hat.
Die Mutter schlägt dem Arzt eine Möglichkeit vor und nennt die vermutete Reaktion darauf sowie ein Argument gegen ein solches Vorgehen. Es handelt sich also nicht um eine einfache Frage, sondern um eine Frage, die eine fiktive Aushandlung beinhaltet und zugleich einen Widerspruch gegen den selbst gemachten Vorschlag enthält. An der Frage kann man ablesen, dass es hier nicht nur darum geht, der Patientin zu helfen, sondern auch um ihre eigene Aufgabe bei der Therapie, da sie sich danach erkundigt, was sie beide nun zu tun haben. An diesem Vorstoß ist zudem die Wortwahl der Mutter interes sant: Sie spricht nicht von Schmerzen, sondern zitiert die Tochter oder wählt zumindest mit au[A machen (Z. 005) eine Formulierung, bei der sie eine kind liche Ausdrucksweise imitiert. Dadurch wird diese Äußerung als eine behan delt, die von der Patientin kommen könnte, bereits erfolgte oder zu erwarten wäre. Die Mutter begibt sich damit in eine Rolle einer Fürsprecherin. Ferner wird das Argument durch richtig (Z. 005) auch noch hochgestuft.
Sie wendet sich zwar für diese Frage an den Arzt, der auch als Experte für die Therapieplanung zuständig ist und durch die Patientin und ihre Mutter mit dem 11 Behan dlungsauftr ag" (Spranz-Fogasy 2010, S. 14) ausgestattet wur de (vgl. Quasthoff 1990, S. 74), aber diese Argumentation richtet sich ebenso an die Patientin, der gegenüber sie nach der Erstkonsultation die Maßnahmen vertreten muss. Dieser Vorschlag basiert auf der Empfehlung oder dem Rat, den Kindern bei Erbrechen immer wieder etwas zu trinken zu geben, damit diese keine Austrocknungserscheinungen aufweisen (vgl. z.B. Renz-Polster/ Menche/Schäffler 2012, S. 183 u. 317). Daneben hat der Arzt genau dies im zweiten Teil der körperlichen Untersuchung überprüft.
So erkundigt sie sich zum einen danach, welche Maßnahmen nun zu voll ziehen sind und schließt sich als Beteiligte genauso ein wie die Patientin und legt eine fiktive Argumentation dar, die sich möglicherweise so ereignen könnte, wenn die Empfehlung tatsächlich beinhaltet, dass sie darauf achten solle, dass die Patientin etwas trinkt, um Austrocknungserscheinungen zu verhindern, oder vielleicht bereits in dieser Form stattgefunden hat. Durch die Nachdoppelung, mit der sie die Folgen einer solchen angenommenen Empfehlung darlegt und eine kindliche Ausdrucksweise wählt, macht sie sich zudem zu einer Anwältin ihrer Tochter (vgl. hierzu auch Schwabe 2006a,
S. 119-147). Die Mutter sorgt also dafür, dass der Arzt ein für sie wichtiges Thema anspricht, zu dem sie im Vorhinein vor der Patientin Bedenken ange meldet hat. Der Arzt reagiert und widerspricht der Mutter zunächst, aller dings schiebt er den Vorschlag der Mutter nur auf und verweist darauf, dass nur eine kurze Pause eingelegt werden soll, bevor der Patientin erneut etwas zu trinken angeboten werden soll, aber er bestreitet nicht, dass es sich um eine Maßnahme handelt, die unternommen werden muss (Z. 006/007/011/012). Der erste Schritt liegt jedoch seiner Meinung nach in der Vergabe des Zäpf chens (Z. 007/011).
Aber nicht nur die Eltern, sondern auch die Ärzte greifen zu dieser Strategie. In einem Fall wird dies sogar sehr elaboriert durchgeführt: Vorausgegangen ist dieser Phase eine Reihe von Empfehlungen, wie man bei einer Migräne attacke nach seinem Dafürhalten vorgehen kann. Es handelt sich um drei Maßnahmen, wobei die eine eine erlernbare Technik ist und die andere ein Vorgehen mit Medikamenten beschreibt sowie die dritte das Daheimbehalten der Patientin, so wie dies bisher auch schon gemacht wurde, gefolgt von ei nem Plädoyer, mit der Diagnose maßvoll umzugehen. Daneben wurden u.a. verschiedene Untersuchungen besprochen, die noch vorgenommen werden sollen, um weitere mögliche Erkrankungen auszuschließen.
Am Ende der Therapieplanung fasst der Arzt dann nochmals zusammen:
Fallbeispiel 34: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); Th (22:12.61-33:27.10); 29:14.07-31:46.95
274 A 02 (1. 09) aber mit GANZ goßer wahrscheinlichkeit is des äh
(0.33) migräne,
275 A 02 (0. 23) oh (0. 49) äh: die no net so ( .) ty pisch is wie bei nem erWACHsenen aber des is altersbedingt-
A 02 (0.54) oh (0. 54) un des WICHtigschte an der migräne is-
A 02 dass ma sich da nich REINsteigert;
278 M 14 (0. 34) HMhm,
A 02 (0.55) sie kennen des alle diese DAmen-
A 02 <<expressiv> HACH ich hab jetz wieder MEine migräne >·
281 (0. 24)
A 02 oh (0. 41) <<lachend> jaha >-
A 02 oh ( .) also da kann man sich auch REINstei gern-
A 02 ma kann die auch richtig KULtivieren-
A 02 [un dann hat man l die auch GANZ oft-
M 14 [hmHM-
287 A 02 ( .) ja,
M 14 HMhm,
A 02 ( .) oh ( .) un bei allen möglichen PASSenden un unp
<<lachend> passenden gelegenheiten >-
A 02 oh also man muss damit auch UMgehen [lernen;
M 14 [HMhm,
A 02 ( .) also des is schon ne ( .) erKRANkung-
A 02 oh ( .) die ( .) absolut ERNST zu nehm[en ]is-
294 M 14 [ja-
A 02 un wo man also auch was da ( .) gegen TUN soll-=0 h
A 02 (0.22) aber äh ( .) eben daGEgen tun soll und und net sich da sich so richtig reinbegeben;
A 02 dann ( .) kann man des risch[tich schön k]ulti [VIERN- l
M 14 [äh ja,
299 |
M |
14 |
[ h l (.) ja JA:- 0 |
||
300 |
M |
14 |
(.) des is es HALT |
||
301 |
M |
14 |
ja ich [DENK- ] |
||
302 |
A |
02 |
[ja- l |
||
303 |
M |
14 |
(.) mit freundinnen (.) treffen GEHT |
||
304 |
A |
02 |
(.) ja; |
||
305 |
M |
14 |
hm, |
||
306 |
M |
14 |
(0.33) in die schule gehn (.) geht NICH |
||
307 |
M |
14 |
als[o ](.) es is natürlich SO- |
||
308 |
A |
02 |
[j a; l |
||
309 |
M |
14 |
(.) da muss ma den UMgang vielleicht mit lern[en-=ja, |
||
310 |
A |
02 |
[ja: |
||
311 |
M |
14 |
so [is es ]einfach- |
||
312 |
A |
02 |
[ja:- |
||
313 |
M |
14 |
(.) ((unverständlich)) |
||
314 |
A |
02 |
geNAU des is es-=j[a, l |
||
315 |
M |
14 |
[äh ]ä, |
||
316 |
A |
02 |
des is Eines der probleme, |
||
317 |
M |
14 |
ja, |
||
318 |
A |
02 |
un auch die persönliche einstellung die jetz (0.2) der |
||
|
|
|
beTROFfene hat- |
||
319 |
A |
02 |
(.) j [a- l |
||
320 |
M |
14 |
[j l a- |
||
321 |
M |
14 |
(.) JAja, |
||
322 |
A |
02 |
(0.47) wenn ich natürlich immer <<expressiv> HACH jetz |
||
|
|
|
geht s mir wieder so sch[lecht >-] |
||
323 |
M |
14 |
[ja: |
||
324 |
A |
02 |
((lacht)) |
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325 |
|
|
(0.29) |
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326 |
A |
02 |
0 h |
ja, |
|
327 |
M |
14 |
ja- |
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328 |
A |
02 |
( 0. 5) ( (unverständlich)) |
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329 |
|
|
( 0. 9) |
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330 |
M |
14 |
ja- |
||
331 |
A |
02 |
(1.75) ich weiß nich wie das HEUT is |
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332 |
A |
02 |
also ähm- |
||
333 |
A |
02 |
(.) |
0 h |
(0.55) äh:- |
334 |
A |
02 |
(3.01) so in der SCHUle; |
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335 |
A |
02 |
bei den mädchen wenn die ihre TAge ham |
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336 |
A |
02 |
(un/gut) also äh- |
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337 |
A |
02 |
(.) manche können ja NIE sport machen-=ja, |
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338 |
A |
02 |
und an[dere den]en macht des überhaupt nix aus [also |
||
339 |
M |
14 |
[HMhm- |
||
340 |
M |
14 |
[hmHM- |
||
341 |
A |
02 |
(0.31) des is auch so ne sache der EINstellung; |
||
342 |
M |
14 |
HMh[m, |
||
343 |
A |
02 |
[j Ja un- |
||
344 |
A |
02 |
(.) |
0 h |
so is des mit der Migräne auch- |
345 |
A |
02 |
[ja, |
346 |
M |
14 |
[HMhm, |
347 A 02
348 A 02
0 h also ich LEide (.) au-
(.) zum teil leide ich auch so (.) wie viel drunter wie ich mich da so richtig REINb[egebe; ]
349 |
M |
14 |
[ja |
350 |
A |
02 |
ja- |
351 |
M |
14 |
ähm- |
352 |
M |
14 |
( O. 8) ja; |
353 |
A |
02 |
(0.5) und (.) des is (.) da des is auch WICHtig-=ne |
354 A 02
355 A 02
also da 0 h ne etwas LOCKere einstellung zu finden und da: äh sich net selber so ins UNglück äh:: zu stürzen oder so-=j[a,
356 |
M |
14 |
[h ]m okay, |
|
357 |
|
|
(0.35) |
|
358 |
M |
14 |
gut; |
|
359 |
|
|
( 0. 71) |
|
360 |
A |
02 |
vor allem auch für die des is auch für die progNO:se auch wi[chtig- |
|
361 |
M |
14 |
[HMhm |
|
362 |
A |
02 |
(.) ja, |
|
363 |
A |
02 |
0 h |
(.) wenn ich s äh: (.) des so richtig kultiVIEre; |
364 |
A |
02 |
DANN wird des immer schlimmer;=j [a, ] |
|
365 |
M |
14 |
[hmH]M- |
|
366 |
A |
02 |
(0.31) ich muss s schon des (.) verSUchen des etwas locker zu se[hn- |
|
367 |
M |
14 |
[hm ][HM- |
|
368 |
A |
02 |
[oka ]y sagen ich hab halt den SCHEISS- |
|
369 |
A |
02 |
°h okay damit muss ich LEben- |
|
370 |
A |
02 |
[ja- |
|
371 |
M |
14 |
[hmHM-] |
|
372 |
A |
02 |
°h ich kann auch was dagegen TUN- |
|
373 |
A |
02 |
(.) ich kann meine muskelreLAXation machen- |
|
374 |
A |
02 |
(0.71) gehört übrigens auch SPORT- |
|
375 |
A |
02 |
(.) geHÖRT dazu-=ne, |
|
376 |
|
|
(0.59) |
|
377 |
A |
02 |
ja- |
|
378 |
A |
02 |
und und und so en AUSgleich |
|
379 |
M |
14 |
(.) HMhm; |
|
380 |
A |
02 |
(.) SPORT zum beispiel als (.) ausgleich gegenüber dem |
0 h (.) ganzen tag in der schule hocken nachmittags hocken un hausaufgaben machen un s[o, ]
381 M 14 [j ]a-
382 A 02 °h [dann is es (.) n]atürlich (.) ä[h: ] grad
383 |
M |
14 |
[((lacht)) |
384 |
M |
14 |
|
we[nn manne mig]räne hat nich förderlich dann noch stunden lang vor der GLOTze [zu ]hocken-=
[JA (.) gut-
385 |
M |
14 |
[JAja- |
386 |
M |
14 |
[HMhm-] |
387 |
A |
02 |
=des verSTÄRKT des dann eher noch, |
388 A 02
[sondern ]da muss man was t (0.2) 0 h zum AUSgleich machen-
389 M 14 [hmHM,
390 A 02 ( 1. 03) kaPIERT-
-
391 p 14 ( .) HMhm,
392 A 02 ja,
Der Arzt formuliert nochmals mit Hinweis auf seine Überzeugung die ver mutete Diagnose (Z. 274) und eine verkürzte Darstellung der Argumentation (Z. 275). Dann wiederholt er sein Plädoyer für den Umgang mit dieser Dia gnose (Z. 277). Die Mutter reagiert mit einem Rückmeldesignal auf diese Eröffnung.
Daraufhin legt der Arzt ein Beispiel dar, bei dem er sich auf eine Personen gruppe bezieht, die er mit diese DAmen- (Z. 279) umschreibt. Dass hier eine negative Wertung vorbereitet wird, erkennt man daran, dass er vor die bei spielhaft angeführte Personengruppe das Pronomen diese (Z. 279) setzt. Der Hinweis auf die DAmen- (Z. 279), einer eigentlich äußerst respektvollen Be zeichnung für Frauen, verweist darauf, dass er diese Frauen nicht mit den ihm gegenübersitzenden Frauen - insbesondere nicht mit der minderjährigen Patientin - gleichsetzt, wodurch er dieses Negativbeispiel faceschonender einführt (vgl. hierzu auch Brown/Levinson 1987, S. 65ff. und das Zwischenfa zit in Kap. 5). Mit 11 alle" spricht er nichtsdestoweniger beide Gesprächsbetei ligten an. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Patientin wirklich diese Art von Damen, auf die der Arzt hier Bezug nimmt, kennt. Damit dürfte eher der Wissensbestand der Mutter angesprochen sein. Hier spricht er zwar beide Gesprächsparteien an, wendet sich jedoch nur an die Mutter, die er erst einmal durchgehend fixiert.
Die herangezogene Personengruppe wird als klischeehaft bezeichnet und eine beispielhafte Äußerung produziert, bei der diese Damen imitiert werden (Z. 280). Dass diese Äußerung den DAmen- (Z. 279) zuzuschreiben ist, kann man auch daran erkennen, dass der Arzt in eine höhere Stimmlage wechselt und diesen Ausspruch so expressiv, deutlich lauter und schneller realisiert, dass schon allein die Modalität anzeigt, dass sich diese Äußerung von den anderen Äußerungen und der Funktion der anderen Äußerungen abhebt. Hier wird nicht über die Behandlung der Krankheit oder metakommunikativ
über die Art und Weise gesprochen, wie man mit dieser Erkrankung umge- hen muss, sondern ein Negativbeispiel angeführt.
A_02 (0.55) sie kennen des alle diese DAmen-
A_02 <<expressiv> HACH ich hab jetz wieder MEIne migräne >; 281 (0.24)
Diese expressive Darstellung gibt dem Arzt jedoch die Möglichkeit und dem damit einhergehenden Wechsel der „Interaktionsmodalität“, ähnlich wie bei Scherzkommunikation (z.B. Schütte 1991), aus diesen Ausführungen entstan- dene Konsequenzen zurückzunehmen, da er sich darauf berufen kann, dass die nachgeahmten Damen nicht mit den anwesenden Frauen identisch sind und eine Dramatisierung der Erkrankung durch die Patientin nicht ausgeübt wird (vgl. Kallmeyer 1979). Anschließend fordert er lachend eine Rückmel- dung durch die Mutter ein, der er sich sofort nach dem Apex seiner Bewe-
gung wieder zuwendet und den Blick auch nicht mehr von ihr wendet, bis er sich wieder auf den Tisch aufstützt und sogar etwas in ihre Richtung vorbeugt:
A 02 oh (0.41) <<lachend> jaha >-
A 02 oh ( .) also da kann man sich auch REINsteigern-
A 02 ma kann die auch richtig KULtivieren-
A 02 [un dann hat man l die auch GANZ oft-
M 14 [hmHM- 287 A 02 ( .) ja,
M 14 HMhm,
A 02 ( .) oh ( .) un bei allen möglichen PASSenden un unp
<<lachend> passenden gelegenheiten >-
A 02 oh also man muss damit auch UMgehen [lernen;
M 14 [HMhm,
Die eingeforderte Rückmeldung bleibt aus. Deswegen bietet er nun auch noch eine Interpretation des Vorgeführten an (Z. 282-289). Er rahmt diese vorge führte Haltung als ein Beispiel für das beschriebene REINsteigern- (Z. 283), womit man eine solche Diagnose auch richtig KULtivieren- (Z. 284) könne und man damit noch viel häufiger unter Kopfschmerzen leiden würde. Damit knüpft er direkt an den Anfang der Beschwerdenschilderung an, bei dem die Mutter angegeben hat, dass die Patientin regelmäßig unter Kopfschmerzen leide und dies inzwischen recht oft vorkomme. Hierauf reagiert die Mutter nun auch wieder. Der Arzt führt diesen Punkt dennoch weiter aus und plä diert anschließend für eine bestimmte Haltung bezüglich der diagnostizierten Migräne (Z. 290), wobei er sich weiterhin der Mutter zuwendet. Auch hierauf erfolgt eine Rückmeldung der Mutter. Daraufhin hebt er hervor, dass es sich unabhängig von den Ausführungen, bei denen er die Betroffene möglicher weise in ein negatives Licht gerückt haben könnte, indem er jeweils Personen nachgeahmt hat, die mit ihren Erkrankungen nicht so umgehen, wie er dies präferieren würde, um ne (.) erKRANkung- (Z. 290) handelt, die auch absolut ERNST zu nehm[en Jis- (Z. 293) und die man auch behandeln sollte:
A 02 ( .) also des is schon ne ( .) erKRANkung-
A 02 oh ( .) die ( .) absolut ERNST zu nehm[en ]is-
294 M 14 [ja-
A 02 un wo man also auch was da ( .) gegen TUN soll-=0 h
A 02 (0.22) aber äh ( .) eben daGEgen tun soll und und net sich da sich so richtig reinbegeben;
A 02 dann ( .) kann man des risch[tich schön k]ulti [VIERN- l
298 M 14
299 M 14 [0 h
l (.) ja JA:-
[äh ja,
Er hebt den Punkt der Behandlung hervor, indem er diese Phrase in der nächsten Intonationsphrase wiederholt und in der Wiederholung auch der Fokusakzent auf dem daGEgen (Z. 296) liegt, während in der ersten Intonati onsphrase noch das TUN (Z. 295) hervorgehoben wurde. Er betont also die Handlung, die auszuführen ist, wobei die Wahl der Maßnahme hier keine Rolle spielt. Ziel sollte es sein, die Migräne so einzudämmen. Erneut spricht er auch an dieser Stelle vom richtig reinbegeben; (Z. 296) und vom schön k]ulti[VIERN-] (Z. 297), wodurch er nochmals auf das Beispiel verweist. Zum Ende der Intonationsphrase blickt er - simultan zu k]ulti[VIERN-] (Z. 297) - das erste Mal wieder zur Patientin, dreht den Kopf dann aber gleich wieder zur Mutter.
Nach seinen Äußerungen sind diese Entgegnungen auf diese Erkrankung kontraproduktiv, da man die Krankheit somit mehr ins Bewusstsein rückt und dann noch mehr darunter leiden würde. Die Mutter reagiert jetzt in kür zeren Abständen und pflichtet dem Arzt nun bei. Allerdings wird 11 durch ver stärktes Rückmeldeverhalten" mitunter auch ein 11 gesteige rtes Interesse [an gezeigt] und damit auch der Wunsch zu sprechen angemeldet" (Linke/ Nussbaumer/Portmann 2001, S. 269). Nachdem sie dem Arzt beigepflichtet hat, formuliert sie ein Beispiel, welches zeigt, dass auch nach ihrer Meinung der Umgang mit der Krankheit noch gelernt werden muss:
299 |
M |
14 |
[ h l (.) ja JA:- 0 |
300 |
M |
14 |
(.) des is es HALT |
301 |
M |
14 |
ja ich [DENK- ] |
302 |
A |
02 |
[ja- l |
303 |
M |
14 |
(.) mit freundinnen (.) treffen GEHT |
304 |
A |
02 |
(.) ja; |
305 |
M |
14 |
hm, |
306 |
M |
14 |
(0.33) in die schule gehn (.) geht NICH |
307 |
M |
14 |
als[o ](.) es is natürlich SO- |
308 |
A |
02 |
[j a; l |
309 |
M |
14 |
(.) da muss ma den UMgang vielleicht mit lern[en-=ja, |
310 |
A |
02 |
[ja: |
311 |
M |
14 |
so [is es ]einfach- |
312 |
A |
02 |
[ja:- |
313 |
M |
14 |
(.) ((unverständlich)) |
314 |
A |
02 |
geNAU des is es-=j[a, |
315 |
M |
14 |
[äh ]ä, |
Damit ratifiziert die Mutter die Botschaft, die offensichtlich anschaulich ge macht werden sollte, und bringt dies mit dem vorliegenden Fall zusammen. Sie leitet dieses Beispiel für einen unverhältnismäßigen Umgang mit ja ich [DENK-] (Z. 301) ein und stuft diese Unterstützung und Auslegung seiner Worte damit etwas herunter, indem sie es als ihre eigenen Gedanken rahmt (Z. 301). Dass die beiden Situationen einander gegenübergestellt werden, ist bereits am Aufbau der beiden Äußerungen zu sehen. Freundinnen werden der Schule gegenübergestellt, das Treffen und das Gehen sind Bewegungs verben, die angepasst und lexikalisch korrekt gebraucht wurden. Die voran gestellten Phrasen werden im Rückblick eingestuft als wahrnehmbar oder nicht, wobei diese von der Tochter getroffene Einschätzung am Ende der In tonationsphrase steht und jeweils betont wird. Dies wird mit dem Verb 11 ge hen" und der Verneinung ausgedrückt. Dadurch werden sie strukturell wie derholt und damit die Vergleichbarkeit und die ungleichmäßige Entscheidung deutlich herausgestellt. Nachdem sie diesen Kontrast nochmals hochgestuft und mit stilistischen Mitteln deutlich herausgestellt hat, bietet sie dies als ihre Interpretation seiner Worte an, indem sie seine Feststellung man muss damit auch UMgehen [lernen; ] (Z. 290) wiederholt und dabei nur eine kleine Umstel lung vornimmt, ihn aber bis auf das Hedging zitiert. Der Arzt pflichtet ihr bei und verstärkt die Reaktion auch. Während er anfangs nur mit 11 ja" reagiert, stellt er mit geNAU des is es j[a,] (Z. 314) fest, dass die Mutter das verstanden hat, was er ausdrücken wollte, und definiert diesen Sachverhalt als Eines der probleme, (Z. 316):
314 |
A |
02 |
geNAU des is es-=j[a, l |
|
315 |
M |
14 |
[äh ]ä, |
|
316 |
A |
02 |
des is Eines der probleme, |
|
317 |
M |
14 |
ja, |
|
318
319 |
A
A |
02
02 |
un auch die persönliche einstellung die jetz (0.2) der beTROFfene hat- (.) j [a- l |
|
320 |
M |
14 |
[j l a |
|
321 |
M |
14 |
(.) JAja, |
|
322 |
A |
02 |
(0.47) wenn ich natürlich immer <<expressiv> HACH jetz geht_s mir wieder so sch[lecht >-] |
|
323 |
M |
14 |
[ja: |
|
324 |
A |
02 |
((lacht)) |
|
325 |
|
|
( 0. 29) |
|
326 |
A |
02 |
0 h |
ja, |
327 |
M |
14 |
ja- |
|
328 |
A |
02 |
( 0. 5) ( (unverständlich)) |
|
329 |
|
|
( 0. 9) |
|
330 |
M |
14 |
ja- |
Während die Mutter das Beispiel ausführt, nickt der Arzt hin und wieder leicht. Bevor er ihr mit geNAU (Z. 314) beipflichtet, nickt er jedoch sehr ex-
pressiv. Der Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Beispiel nur um Eines der probleme, (Z. 316) handele, zeigt, dass er sich nur zu einem Teil verstanden fühlt. Ein weiterer Punkt wird von ihm daraufhin mit der einstellung (Z. 318) der Migränepatienten benannt. Obgleich beides miteinander zusammen hängt, trennt der Arzt dies, und nachdem Konsens bei dem ersten Punkt be steht, versucht er nun ein weiteres Mal, Konsens bezüglich des zweiten Punk tes, der vorher bereits expressiv dargestellt wurde, mit den Damen, die sich in die Krankheit REINsteigern (Z. 283), herzustellen. Erneut blickt der Arzt kurz, bevor er die einstellung (Z. 318) realisiert, zur Patientin hinüber und wendet den Blick dann sofort wieder ab.
Erneut imitiert er daraufhin die von ihm als klischeehaft eingeführten Frauen, die unter Migräne leiden, wobei er dies weiterhin aus der Ich-Per spektive heraus vollzieht und ein weiteres Mal mit der Interjektion HACH (Z. 280) einleitet. Dieses Mal variiert er allerdings den Wortlaut und verweist darauf, dass es dem fiktiven Betroffenen nicht gut gehe (Z. 322). Auch wenn diese Initiation erneut in einer hohen Stimmlage vorgenommen wird und auch expressiv präsentiert wird, ist dieser Wechsel der Modalität nicht so aus geprägt wie bei der ersten Verwendung des Stilmittels.
Die Mutter reagiert dieses Mal etwas häufiger. Nach den Ausführungen lacht der Arzt, dreht den Kopf nochmals kurz in die Richtung der Patientin, ver weilt jedoch wiederum nicht bei der Patientin. Somit kann man hier nicht mit Sicherheit feststellen, dass er die Patientin an dieser Stelle tatsächlich ansieht.
Daraufhin zieht er ein neues Beispiel heran. Der Arzt doppelt nach einer Bestätigung des Gesagten nach und präsentiert das Beispiel dieses Mal etwas weniger expressiv. Dadurch zeigt er an, dass er das, was er ausdrücken woll te, als noch nicht verstanden einschätzt. Obgleich die Mutter nun deutlich gesteigerter auf diese Exemplifizierung eines Negativbeispiels reagiert hat, zeigt der Arzt, dass hier aus seiner Sicht noch kein Konsens über diesen ihm wichtigen Punkt besteht, und führt hier noch ein weiteres Beispiel an. Auch dieses Mal bezieht er sich auf weibliche Personen, spricht jetzt aber nicht mehr von DAmen (Z. 279), sondern von mädchen (Z. 335):
A 02 (1.75) ich weiß nich wie das HEUT is-
A 02 also ähm-
333 A 02 ( .) oh (0.55) äh:-
334 A 02 (3.01) so in der SCHUle;
335 |
A |
02 |
bei den mädchen wenn die ihre TAge ham |
336 |
A |
02 |
(un/gut) also äh- |
337 |
A |
02 |
(.) manche können ja NIE sport machen-=ja, |
338 |
A |
02 |
und an[dere den]en macht des überhaupt nix aus [also |
339 |
M |
14 |
[HMhm- |
340 |
M |
14 |
[hmHM- |
Er leitet dieses weitere Beispiel durch eine Rahmung ein, die das Beispiel als eine persönliche Erfahrung stilisiert, die sich zudem vor längerer Zeit zuge tragen hat (Z. 331). Er wählt dieses Mal ein Beispiel, das zwar aus einem an deren Kontext stammt, aber näher an der Lebenswirklichkeit der Patientin ist. Im ersten Beispiel stilisiert er einen einer bestimmten Gruppe an Frauen zuge schriebenen Umgang mit dieser Diagnose, wobei er eine beispielhafte Aussa ge realisiert, die diesen Frauen zugeschrieben wird. Bei diesem Beispiel han delt es sich - trotz Belegqualität - um kein schlagendes Beispiel, da die Patientin sich nicht selbst als eine Person, die die Kopfschmerzen dramati siert, dargestellt und auch die Mutter die Patientin nicht so präsentiert hat. (Eine inhaltliche Nähe besteht natürlich trotzdem wegen des Zusammen hangs zwischen den Kopfschmerzen und dem Fernbleiben bzw. Teilnehmen; siehe Fallbeispiel 32.) Dieses Beispiel ist somit auch potenziell facebedrohen der und vielleicht vom Arzt auch deswegen nicht als erstes herangezogen worden, da die Patientin auch eines der dargestellten Mädchen sein könnte, die, wenn sie ihre Periode hat, den Sportunterricht nicht mehr besucht (Z. 334- 337). Das wurde im bisherigen Gespräch zwar nicht erörtert, ist aber aufgrund der noch nicht lange zurückliegenden Menarche auch eher unwahrscheinlich. Hier gelingt der Vergleich nur besser, da eine tatsächlich vorliegende und sich auf den Körper auswirkende Tatsache dramatisiert und infolgedessen für den Nichtbesuch des Sportunterrichts verantwortlich gemacht wird. Dieses Mal fällt die Patientin nun also in dieselbe Personengruppe, das Leiden ist hier jedoch ein anderes, während im ersten Beispiel, auf das zweimal zurückge griffen wurde, die Erkrankung dieselbe war, die Personengruppe jedoch eine andere. Das Beispiel wird durch den Arzt auch als nicht so ganz gesichert eingeführt, wie er das bei den ersten Beispielen eingeführt hat, welche er bei allen als bekannt vorausgesetzt hat, und sich beim zweiten konstruierten Fall selbst als jemand stilisiert, der nicht weiß, ob sich das, was er im Folgenden ausführen möchte, immer noch so verhält oder nur vor einer gewissen Zeit so verhalten hat (Z. 331). Immer noch setzt er diese Mädchen nicht mit der Pati entin gleich, auch wenn dieses Mal eine Verortung in der Schule stattfindet. Erneut wird dieses Beispiel erklärt und ausgeführt. In diesem Beispiel unter scheidet er die Mädchen, die wegen ihrer Menstruationsbeschwerden NIE spart machen (Z. 337) können, von der anderen Gruppe Mädchen, die damit ganz anders umgehen (Z. 338). Durch diesen vergleichbaren Fall, den der Arzt vorbringt, greift er die Haltung der Patientin erneut nicht direkt an. Er zeigt aber auf, dass die Einstellung, wie im präsentierten Fall zu diesen real
existierenden Einschränkungen auch dramatisiert werden können und er eine andere Herangehensweise empfehlen würde, da sich ansonsten die Be troffenen selbst ins UNglück (Z. 355) stürzen. Simultan zu NIE (Z. 337) voll führt der Arzt nochmals eine gestische Unterstützung, die jedoch in diesem Fall nicht so ausladend erfolgt wie zuvor.
Daraufhin lässt er die Hände wieder auf den Schreibtisch fallen. Weiterhin richtet er sich ausdrücklich an die Mutter, blickt - während er aus (Z. 338) re alisiert - die Patientin aber nochmals an, nachdem er von der zweiten Gruppe Mädchen berichtet hat, die dem Negativbeispiel gegenübergestellt werden. Weiterhin handelt es sich auch bei dem Beispiel um Personen, bei denen Symptome vorliegen, die eventuell auch sehr stark sein können und damit eine erhebliche Einschränkung für die Personen bedeuten. Durch die Über treibung und das Hervorheben dieser Übertreibung kennzeichnet er den Ne gativfall als solchen und präsentiert den zweiten als präferiert. Bei dem dar auffolgenden Resümee stellt er eine Vergleichbarkeit hinsichtlich der beiden Krankheitsbilder heraus (Z. 344):
A 02 (0.31) des is auch so ne sache der EINstellung;
M 14 HMh[m,
A 02 [j l a un-
A 02 ( .) oh so is des mit der Migräne auch-
345 A 02 [ja,
M 14 [HMhm,
A 02 oh also ich LEide ( .) au-
A 02 ( .) zum teil leide ich auch so ( .) wie viel drunter wie ich mich da so richtig REINb[egebe; l
349 M 14 [ja-
A 02 ja-
M 14 ähm-
352 M 14 (0.8) ja;
Er stellt fest, dass es sich bei Menstruationsbeschwerden wie auch bei Migrä neattacken vor allem um die EINstellung (Z. 341) der Betroffenen dreht und man auch anders auf die Beschwerden reagieren kann. Dass er ein weiteres Beispiel heranzieht, zeigt, dass der Arzt der Meinung ist, die Mutter noch nicht auf die Weise, die er erhofft hat, abgeholt zu haben. Keiner der beiden Gesprächsparteien hat davon berichtet, dass die Patientin übermäßig ihr Lei den herausgestellt hat; die Reaktion der Patientin bestand laut Beschwerde schilderung darin, dass sie sich ins Bett gelegt hat. Der Umgang mit der
Krankheit, den der Arzt von der Einstellung entkoppelt hat, wurde durch die Mutter stärker unterstützt, die deutlich gezeigt hat, dass es ihr Missfallen er regt, wenn die Patientin sich mit Freundinnen trifft, aber nicht in die Schule geht und dann auch drei Tage lang absent ist. Die Einstellung wurde weder von der Mutter, noch von der Patientin selbst negativ hervorgehoben. In die sem zweiten Beispiel wird beides wieder miteinander kombiniert; die Einstel lung beeinflusst den Umgang.
Danach subsumiert der Arzt alles Gesagte nochmals in seiner Empfehlung für die Zukunft:
353 |
A |
02 |
(0.5) und (.) des is (.) da des is auch WICHtig-=ne |
354 |
A |
02 |
also da 0 h ne etwas LOCKere einstellung zu finden |
355 |
A |
02 |
und da: äh sich net selber so ins UNglück äh:: zu stürzen oder so-=j[a, |
356 |
M |
14 |
[h ]m okay, |
357 |
|
|
(0.35) |
358 |
M |
14 |
gut; |
359 |
|
|
( 0. 71) |
360 |
A |
02 |
vor allem auch für die des is auch für die progNO:se auch wi[chtig- |
361 |
M |
14 |
[HMhm |
362 |
A |
02 |
(.) ja, |
Er empfiehlt, zu einer Einstellung zu gelangen, mit der Erkrankung gelasse ner umzugehen, damit man sich nicht unglücklich macht (Z. 353-355). Die Erkrankung ist zwar existent und wird durch ihn nicht geleugnet, aber die Einstellung gegenüber der Krankheit wird als entscheidend beschrieben für den Verlauf der Krankheit. Auch nach der Redewendung blickt er kurz zur Patientin und dreht sich dann wieder zur Mutter um. Dass aber nicht nur die Krankheit mit dem erwähnten UNglück (Z. 355) gemeint ist, stellt die Nach dopplung des Arztes heraus, der die Prognose zusätzlich hervorhebt und er neut durch eine Wenn-dann-Konstruktion exemplifiziert:
363 |
A |
02 |
0 h (.) wenn ich s äh: (.) des so richtig kultiVIEre; |
364 |
A |
02 |
DANN wird des immer schlimmer;=j [a, ] |
365 |
M |
14 |
[hmH]M- |
366 |
A |
02 |
(0.31) ich muss s schon des (.) verSUchen des etwas locker zu se[hn- |
367 |
M |
14 |
[hm ][HM- |
368 |
A |
02 |
[oka ]y sagen ich hab halt den SCHEISS- |
369 |
A |
02 |
0h okay damit muss ich LEben |
370 |
A |
02 |
[ja- |
371 |
M |
14 |
[hmHM- ] |
372 |
A |
02 |
0 h ich kann auch was dagegen TUN- |
Sein Plädoyer lautet: Durch das Reinsteigem in diese Erkrankung wird sie
schlimmer (Z. 364). Aus diesem Grund empfiehlt er eine entspanntere Einstel-
lung und imitiert nun einen betroffenen Menschen, der die präferierte Einstel lung gegenüber der Migräne zeigt, der die Krankheit akzeptiert und etwas da gegen (Z. 296/372) tut. Diese Imitation wird durch die Verwendung des Ichs verstärkt. Dass die Krankheit nicht heruntergespielt werden soll, zeigt er da durch, dass er die Migräne hier als SCHEISS (Z. 368) bezeichnet, was ebenfalls aus dem Mund einer Betroffenen kommen könnte. An diesem Punkt beschreibt er nun nochmals, was man gegen die Kopfschmerzen unternehmen kann, und nennt zuerst nochmals eine Entspannungstechnik, die er auch als erste Maß nahme eingeführt hat, und erwähnt noch eine Maßnahme, die er bisher nicht erwähnt hatte, nämlich Sport, der für en AUSgleich- (Z. 378) sorgt gegenüber dem In-der-Schule-Sitzen und dem Vor-den-Hausaufgaben-Sitzen:
A 02 oh ich kann auch was dagegen TUN-
A 02 ( .) ich kann meine muskelreLAXation machen-
A 02 (0.71) gehört übrigens auch SPORT-
A 02 ( .) geHÖRT dazu-=ne, 376 (0.59)
A 02 ja-
A 02 und und und so en AUSgleich-
379 M 14 ( .) HMhm;
A 02 ( .) SPORT zum beispiel als ( .) ausgleich gegenüber dem oh ( .) ganzen tag in der schule hocken nachmittags hocken un hausaufgaben machen un s[o, l
M 14 [j Ja-
A 02 oh [dann is es ( .) n]atürlich ( .) ä[h:
grad we[nn manne mig]räne hat nich förderlich dann noch stunden lang vor der GLOTze [zu ]hocken-=
383 M 14
384 M 14
385 M 14
386 M 14
[((lacht))
[JAja-
[HMhm
[JA (.) gut-
387 A 02
388 A 02
=des verSTÄRKT des dann eher noch,
[sondern ]da muss man was t (0.2) 0 h zum AUSgleich machen-
389 M 14 [hmHM,
390 A 02 ( 1. 03) kaPIERT-
391 p 14 ( .) HMhm,
392 A 02 ja,
Neben dem Ausgleich, für den der Sport sorgen kann, stellt er nun auch eine Tätigkeit heraus, die nicht so förderlich ist, das Vor-der-Glotze-Sitzen. Alle
drei Aktivitäten beschreibt er mit hocken (Z. 380) als Tätigkeiten, die im Sitzen ausgeführt werden, und hebt den SPORT (Z. 374) als Tätigkeit hervor, bei der nicht gesessen wird. Dass sie außer dem Schulsport keinen Sport macht, wird hier durch den Arzt angenommen oder wurde in einem früheren Gespräch eruiert, da dies bisher nicht im Rahmen der Sprechstunde thematisiert wurde. Allerdings gab es im Rahmen der Vorbereitung für die körperliche Untersu chung einen provozierenden Kommentar des Arztes auf eine unerwartete Frage der Patientin bei dem auch der Sport im Fokus stand. Dass die Mutter als Reaktion auf diese Darstellung der ständig an den Hausaufgaben sitzen den Tochter lacht, hängt jedoch nicht mit dem Bezug auf diesen Kommentar zusammen, sondern damit, dass während der Schemakomponente der Be schwerdenschilderung und Beschwerdenexploration eruiert wurde, dass die Patientin nicht sehr lange mit den Hausaufgaben beschäftigt ist. Die Formu lierung nachmittags (Z. 380) legt nahe, dass die Patientin den ganzen Nachmit tag mit den Hausaufgaben beschäftigt wäre. Der Arzt geht darauf allerdings nicht ein, sondern führt seine Empfehlung fort. Parallel dazu tätschelt die Mutter der Patientin auf den Oberschenkel und lehnt sich daraufhin etwas zurück. Damit einhergehend nickt sie allerdings ein paar Mal, möglicherwei se um dem Missverständnis vorzubeugen, sich an der Aushandlung nicht weiter zu beteiligen. Die weiteren Tätigkeiten, die im Sitzen stattfinden, wer den als verschlimmernde Faktoren eingestuft, während ein AUSgleich (Z. 378) durch den Arzt angeraten wird. Auch wenn diese Empfehlungen generell ver allgemeinernd formuliert wurden und der Austausch durchgehend mit der Mutter stattfand, wendet sich der Arzt nun - auch mit dem ganzen Körper - der Patientin zu und beugt sich stark nach vorne, wobei er sich bei ihr danach erkundigt, ob sie, was gerade zwischen der Mutter und ihm verhandelt wur de, kaPIERT- (Z. 390) habe. Zudem verharrt er in dieser Position bis die Pati entin die Frage mit einer Bestätigung beantwortet hat und zeigt damit, dass alle anderen Äußerungen, obgleich sie nicht adressiert war, dennoch für sie bestimmt gewesen sind:
Die Patienten sind, auch wenn die Diagnosemitteilung und die Therapiepla nung in erster Linie mit den Eltern verhandelt werden, immer noch ratifizierte Gesprächsbeteiligte (vgl. Goffman 1981, S. 128), die auch - zumindest legt es die Äußerung des Arztes nahe - immer noch in der Pflicht stehen, dem Erörter ten zu folgen und die Therapie schließlich auch umzusetzen/zu befolgen (vgl.
z.B. Exkurs zu Reparaturen und Korrekturen in Kap. 8). Die Patientin reagiert
auch sehr schnell mit einem bestätigenden zweisilbigen Rückmeldesignal (Z. 391). Daraufhin beendet der Arzt seine Ausführungen.
Während der Therapieplanung bei APEG_14 präsentiert der Arzt gegen über der Mutter Negativbeispiele von Frauen oder Mädchen, die die Krank heitsanfälle dramatisieren und in einer vom Arzt nicht präferierten Art mit den jeweiligen Symptomen umgehen. Dabei handelt es sich bei den ersten beiden Beispielen jeweils um eine stereotypische Darstellung einer Situation bei Frauen mit derselben Diagnose, die in einer nichtpräferierten Art und Weise mit dieser umgehen. Im dritten Beispiel wird eine Situation präsentiert, bei der die Agenten in einem ähnlichen Alter wie die Patientin sind, aber das Beschwerdenbild ein anderes ist, obwohl es inhaltliche Parallelen gibt. Auch diese Beispiele wurden jeweils gegenüber der Mutter aufgespannt, aber es handelt sich um eine aufwändige Vermittlung einer Botschaft, die sich haupt sächlich an die Patientin richtet. Dass diese Empfehlung bezüglich des Um gangs sich an die Patientin richtet, wird überdeutlich, als der Arzt sich an die Patientin wendet und diese fragt, ob sie verstanden habe, was er ausführlich präsentiert hat (Z. 390). Dass ihm dieser Punkt überdies sehr wichtig ist, kann man daran ablesen, dass er sich zum einen sehr viel Zeit für die Darlegung der Beispiele nimmt und er die Ausgestaltung der Beispiele auch mimisch, gestisch und prosodisch sehr stark markiert vornimmt. Aber die Vermittlung einer Einstellung ist eine komplexe Angelegenheit und deswegen nimmt der Arzt sich auch so viel Zeit, um der Patientin und ihrer Mutter seine Empfeh lung nahezubringen. Auch die Nachfrage bei der Patientin vollzieht er proso disch wie nonverbal auf eine markierte Art und Weise. Der Arzt wirft sich hierbei fast über den Tisch und wendet sich hier auch ausdrücklich an die Patientin, während die Beispiele nach der Ankündigung der Mutter gegen über eröffnet wurden. Dafür verwendet er eine laute und gequetschte Stimm lage, verwendet extreme Tonhöhensprünge und spricht rhythmisierend mit vielen Akzenten. Er übernimmt diese Rolle und führt diesen Punkt, auf den er hinaus möchte, unterhaltend und übertrieben ein.
Es handelt sich bei diesem Beispiel um eine „Exaltation", die durch zwei
,,Äußerungen von gesteigerter emotionaler Expressivität" (Kallmeyer 1979,
S. 549) geprägt wird. Kallmeyer führt aus, dass „Exaltation (in der zu Sequen zen expandierten Form) ein [...] wechselseitig zu konstituierendes Interakti onsschema" darstellt, welches „auf der Ebene der Interaktionsmodalität" (ebd., S. 556) anzusiedeln ist. Dabei gibt es eine „Vorbereitung" (ebd., S. 544) in dem Sinne, dass schon von Anfang an die Bedenken der Mutter wegen des häufigen Fernbleibens der Patientin vom Unterricht immer wieder erwähnt wurden und in dieser Handlungsschemakomponente zuvor schon darüber verhandelt wurde, wie eine Entscheidung getroffen werden kann, ab wann die Symptomatik ein Fernbleiben von der Schule unbedingt notwendig er scheinen lässt. In dieser Sequenz finden sich typischerweise „keine manifes ten Aushandlungs- und Angleichungsprozesse", denn,,[e]s geht nicht darum,
Übereinstimmung durch Verhandlung zu gewinnen, sondern die Geteiltheit der definierenden Kategorien wird vorausgesetzt, und die Unterstellung der schon gegebenen Reziprozität wird in markanter Weise manifestiert" (ebd.,
S. 561). In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, dass die Mut ter durch die verminderten Rückmeldesignale anzeigt, dass sie dieser Darle gung nicht völlig zustimmt, auch wenn aufgrund der vorausgegangenen Äu ßerungen bezüglich des Fernbleibens eine Kooperation in dieser Sache anzunehmen gewesen wäre und sie in der vorausgegangenen Phase, in der der Arzt bereits darauf eingegangen ist, dass man sich nicht bei Auftauchen der Migräne drei Tage ins Bett legen soll, sondern überprüfen muss, ob man nicht doch in der Lage ist, am sozialen und schulischen Leben teilzunehmen, ihn expressiver unterstützt hat. So fand zuvor eigentlich 11 eine strukturelle Absicherung" (ebd., S. 561) statt. Allerdings erwähnt sie auch ein Beispiel, das einen Umgang mit der Symptomatik präsentiert, den sie als nicht optimal einstuft und im Rahmen dieser Beschreibung greift sie auch eine Formulie rung des Arztes auf, die sie nur minimal variiert und damit als zu diesen Ausführungen zugehörig beschreibt. Sie unterstützt die Ausführungen des Arztes jedoch nicht ausgeprägt und ihr Beispiel ist auch auf einer anderen Ebene angesiedelt. Während der Arzt Beispiele von einem von ihm als nicht präferierten Umgang von stereotypisierten Gruppen anführt, bezieht sich die Mutter auf einen konkreten Fall, der sich so abgespielt hat und reagiert auch erst elaborierter auf die ernstgemeinten und sachlichen Ausführungen, die der Arzt im Anschluss präsentiert. Das bedeutet, dass die Exaltation, deren 11Träger" (ebd., S. 555) der Arzt ist, durch die Mutter nicht 11 abgelehnt", aber auch nicht vollkommen 11 mitvollzogen" (ebd., S. 557) wird. Sie arbeitet erst wieder richtig mit, als der Arzt auf die Botschaft eingeht, die er eigentlich mit diesem Beispiel vermitteln wollte. Deswegen handelt es sich auch nicht um eine 11 harmonische Exaltation" (ebd., S. 559), sondern eher um eine 11 [e]insei tige Exaltation" (ebd., S. 562). Typisch hingegen ist, dass mit der Exaltation 11 der spezifische Charakter [der] Präsentationsform durchbrochen" (ebd.,
S. 563) wird. 11 Realisierungen von Modalitätsschemata sowie Modalitätsver änderungen werden häufig prosodisch markiert, so wie Modalität überhaupt in erster Linie durch Prosodie ausgedrückt wird" (Spiegel 1995, S. 235). Wei terhin 11 bleibt [die definierende soziale Kategorie] die Exaltationssequenz über konstant" (Kallmeyer 1979, S. 559). Kallmeyer berücksichtigt jedoch auch 11 kompliziertere Fälle, in denen Wechsel stattfinden, aber dabei handelt es sich dann um Veränderungen im Sinne von Steigerungen, um ein Heran tasten oder aber um mehrere Exaltationssequenzen, die zu komplexen Struk turen zusammengeschlossen werden" (ebd.). So verhält es sich in diesem Fall. Der Arzt beschreibt den Fall, dass jemand unverhältnismäßig mit einer be stimmten Symptomatik umgeht. Da der erste Vorstoß keine besonderen Rückmeldungen hervorruft, variiert der Arzt das entworfene Szenario und tastet sich vor, um seine Botschaft zu übermitteln.
Zwischenfazit 163
Auch hier wird das Sprechen voreinander dazu eingesetzt, um einen Rat vor der Patientin zu diskutieren und ihr damit eine Empfehlung mitzugeben, auch wenn die Übermittlung der Botschaft mit anderen Mitteln erfolgt. Hier wird dies jedoch markiert und groteske Übertreibung vorgenommen und die se Sequenz damit besonders hervorgehoben. Der Arzt schlüpft zeitweise in andere Rollen, um die Botschaft, die er vermitteln möchte, darzustellen. Durch die Nachfrage, die sich ausnahmsweise an die Patientin richtet, been det er diese Sequenz und signalisiert damit allen Beteiligten, dass das Spre chen vor der Patientin tatsächlich direkt an sie gerichtet war und sie sich die vermittelte Botschaft zu Herzen nehmen soll.
Das Sprechen voreinander wird eingesetzt, um Themen zu platzieren, SKTs erneut anzuführen, um bestimmte Argumentationen vor den Patienten schon abzuarbeiten und die Instanz des Arztes damit zu bemühen, aber auch faceschonende Empfehlungen auszusprechen. In einigen Fällen erweist sich das unmittelbar als erfolgreiche Strategie, in anderen Fällen wird dieser Er folg eingefordert und in wieder anderen Fällen kann eine Auswirkung dieser Strategie nicht in der Interaktion selbst festgestellt werden.
In den Kapiteln 4, 5 und 7 konnte gezeigt werden, wie entscheidend eine Re debeteiligung der Patienten am Anfang der Handlungsschemakomponente Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration für die Redebeteili gung der Patienten innerhalb der gesamten Interaktion ist. Deswegen wurde der Aufforderung des Arztes bezgl. der Übernahme der Beschwerdenschilde rung sowie der Adressierung in diesem Kapitel nachgegangen. In diesem Zu sammenhang konnte herausgearbeitet werden, dass u.A. die Formulierung der Frage oder Aufforderung dabei elementar ist. Fragen oder Aufforderun gen, die klar als solche formuliert waren und explizit an die Patienten adres siert waren, wurden von den Patienten bearbeitet. Andernfalls reagierten hin gegen zumeist die Eltern. Somit kann der Arzt bereits mit dieser ersten Frage oder Aufforderung die Beteiligung der Patienten im gesamten Gespräch be einflussen. Auch durch ärztliche Fragen können nicht aktive Parteien aktiviert werden. Die Fragen vor einer Diagnosemitteilung richteten sich in den Daten jedoch zumeist in Abhängigkeit des zu erfragenden Sachverhalts entweder an die eine oder andere Partei. Die vorgestellten Formen der Adressierung sind
ausgenommen des vom Arzt eingesetzten kollektiven Wirs - entweder nur in einer triadischen Kommunikationssituation notwendig oder strategisch sinnvoll. Gleichzeitig stehen für die Adressierung sehr viele Ressourcen zur Verfügung, sodass auch im triadisch-pädiatrischen Gespräch zumeist eine klare Adressierung eines der beiden anderen Gesprächsbeteiligten vorge nommen werden kann. Explizite Adressierungen, wie die nominale Adressie rung, sind markierte Verwendungsformen und werden zumeist in diesen Fäl-
len gebraucht, in denen die Partei - meistens der Arzt - sicherstellen will, dass auch nur die adressierte Partei reagiert oder eine Selbst- oder Fremdwahl des jeweils anderen Gesprächsbeteiligten reparieren will. Das kollektive Wir wird in der Regel für die Aktivierung einer anderen Partei eingesetzt und auch die verschiedenen Formen der Mehrfachadressierung können strategisch einge setzt werden, wenn etwa eine subjektive Krankheitstheorie erneut erwähnt werden soll, nachdem diese durch den Arzt bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Bearbeitung erfahren hat und damit auch zur 11 Entlastun g" eingesetzt werden kann (Fischer 2000, S. 127).
Gerade die triadische Gesprächssituation eröffnet viele strategische Mög lichkeiten (vgl. Fischer 2000, S. 127) und ist eine für alle Gesprächsbeteiligten in Bezug auf die Beteiligungsstruktur zudem diffizile Situation. Keiner der Beteiligten darf das Gefühl erhalten, ausgegrenzt zu werden. Dem Arzt kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. 11 Der Arzt in der pädiatrischen Pra xis sieht sich in seiner Gesprächsführung also stets gehalten, die doppelte Ge sprächspartnerschaft zu berücksichtigen" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 7). Den Patienten wohnt in vielerlei Hinsicht die epistemische Autorität inne, außerdem wollen sie darüber informiert werden, welche Untersuchun gen mit ihnen vorgenommen werden, welche Diagnose der Arzt stellt und welche Maßnahmen auf sie zukommen werden. Durch die sozialen Rollen sind jedoch auch die Eltern in einer besonderen Position, sodass der Arzt auch sie in entsprechender Art und Weise einbeziehen muss (vgl. ebd., S. 31).
INITIATIVEN DER ELTERN BEZÜGLICH UNTERSUCHUNG, DIAGNOSE UND THERAPIEPLANUNG
Dadurch, dass die Eltern bereits im Vorfeld die Symptome der Patienten be obachten konnten oder über diese informiert waren und die Patienten sowie deren Krankheitsgeschichte kennen, haben diese bereits in der Regel subjek tive Krankheitstheorien aufgestellt (vgl. Einzelfallanalyse Kap. 5 und Fall beispiel 34), Krankheitstheorien ausgeschlossen und in vielen Fällen auch bereits mit Medikamenten versucht, die Symptomatik zu behandeln (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013). Üblicherweise erfolgt der Arztbesuch, wenn Eltern sich ihrer Hilflosigkeit bewusst werden, zumal sie auch für die Patienten verantwortlich sind (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 28ff.). Diese besondere Situation muss durch die Ärzte berücksichtigt wer den, auch wenn die Hilflosigkeit typisch für jegliche Erstkonsultationen ist, da „der Patient in den institutionellen Interaktionsraum kommt, um Hilfe ge gen die Krankheit zu erhalten" (Rehbein 1993, S. 317). Wie man z.B. an den vorgestellten Ausschnitten und auch der Beispielanalyse gesehen hat, liegen zumeist subjektive Krankheitstheorien vor, die vor dem Gespräch aufgestellt wurden und nicht nur häufig angesprochen werden, sondern trotz Abwahl (vgl. Beispielanalyse/Kap. 5; Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013) in auffälliger Weise dennoch präsent sind und aufrechterhalten werden. Diesem Interakti onstyp wohnt schon alleine durch die besondere Verantwortlichkeit der El tern eine Brisanz inne, die häufig auch mit den Gedanken und Maßnahmen in Verbindung steht, die im Vorfeld aufgestellt wurden.
Subjektive Krankheitstheorien
In den meisten pädiatrischen Erstkonsultationen ist vor der Konsultation des Arztes bereits eine Behandlung der Beschwerden erfolgt oder zumin dest eine, wenn nicht sogar mehrere, subjektive Krankheitstheorien aufge stellt worden (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 16). Diese wer den in den Erstkonsultationsgesprächen zum Teil gleich während der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Be schwerdenexploration erwähnt, zum Teil wird/werden diese jedoch erst später angedeutet (vgl. ebd., S. 15-27).104 Bei einer subjektiven Krankheits theorie (SKT) handelt es sich um
104 In diesem Artikel wurde auch bereits auf drei der hier aufgeführten Beispiele (APEG_06/ APEG_13/APEG_14) eingegangen.
ein System krankheitsbezogener Vorstellungen, Überzeugungen und Bewer tungen[, die e]in Mensch bildet [...], wenn er mit einer Krankheit konfrontiert wird. Kernstücke des Konzepts sind Vorstellungen über die Verursachung ei ner Krankheit und über die Beeinflussbarkeit. (Wüstner 2001, S. 309)
Diese subjektiven Krankheitstheorien (SKT) wurden im Vorfeld aufgestellt und zum Teil wurde auch schon durch die Eltern der Versuch unternommen, diese von ihnen angenommene Erkrankung zu behandeln (vgl. z.B. Spranz Fogasy/Winterscheid 2013, S. 16).
Durch die Äußerung solcher Selbstdiagnosen bewegt sich der Patient in einem Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich, der eigentlich der des Arztes ist, dem es aufgrund seiner Ausbildung, seines Fachwissens und nicht zuletzt seines Sta tus als Experten obliegt, Informationen über medizinische Sachverhalte und Umstände zu vermitteln, die Ursache einer Krankheit aufzuzeigen und schließ lich auch die Diagnose zu stellen. (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 100)
Im Folgenden wird nun untersucht, wie diese subjektiven Krankheitstheorien eingebracht werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Dabei werden zu nächst die subjektiven Krankheitstheorien und die Bearbeitung der subjekti ven Krankheitstheorien sowie die Auswirkungen eines solchen Vorstoßes auf das folgende Gespräch abhängig von der Phase, in der die Theorien das erste Mal angedeutet oder erwähnt wurden, betrachtet. Anschließend werden die Unterschiede der SKT in Bezug auf die Handlungsaufgaben und die Struktur betrachtet sowie die Reaktion des Arztes und die Auswirkungen auf das Gespräch.
In den untersuchten Gesprächen (n=16) gab es zehn Interaktionen, in denen mindestens eine SKT erwähnt wird. Tatsächlich wird in sechs Interaktionen lediglich eine SKT von den Eltern erwähnt, in zwei Interaktionen werden zwei SKT präsentiert und in zwei Interaktionen sind es sogar drei subjektive Krankheitstheorien.
Allein elf Krankheitstheorien des Analysekorpus werden dabei in der Phase Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration oder zumin dest vor der körperlichen Untersuchung vorgebracht. In einem Fall wird so gar eine subjektive Krankheitstheorie vor dem Sprechstundengespräch eröff net und auch verfolgt. Vier subjektive Krankheitstheorien werden erst nach der Diagnosemitteilung (in der Handlungsschemakomponente der Diagnose mitteilungoder in der Therapieplanung) erwähnt. Lediglich in einem Drittel der aufgezeichneten Interaktionen wird keine SKT angedeutet, wobei das nicht bedeuten muss, dass keine solche Theorie aufgestellt wurde.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
Üblicherweise kommen die Eltern bereits mit subjektiven Krankheitstheorien in die Praxis. Ob diese bei der Anmeldung oder der Vereinbarung des Ter mins schon angesprochen werden, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, da diese nicht systematisch aufgezeichnet wurden. In dem GesprächAPEG_32 wird allerdings durch die Ärztin eine Untersuchung angesprochen, die vor dem Sprechstundengespräch aufgrund der subjektiven Krankheitstheorie durchgeführt wurde. Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt der Ärztin vor, bevor sie das Sprechzimmer betritt. Somit kann bei diesem einen Beispiel fest gestellt werden, dass es eine Verhandlung der subjektiven Krankheitstheorie bei der Anmeldung gegeben haben muss.
Hierbei handelt es sich jedoch um einen Sonderfall. Üblicherweise werden die subjektiven Krankheitstheorien in der Erstkonsultation verhandelt, auch wenn sie möglicherweise bei der Anmeldung schon angedeutet und dem Arzt auch schon durch die Sprechstundenhilfe mitgeteilt wurden.
Dennoch kann hier eine Beteiligung der Ärztin an dieser Aushandlung nicht vorausgesetzt werden:
Fallbeispiel 35: APEG_32 (A-Pw7-M; ca. 7:34min); BE (00:54.69-01:49.61); 00:54.69-01:07.36
Ä 03 0 h ha ja jai ( .) [und jetz has l - de BAUCH [weh; l
M 32 [((Lachansatz))
M 32 [oh
Ä 03 ja;
M 32 also g[estern fing- s er]st mal an dass [sie
ganz hef[tige KOPF
007 p - 32 [((summt)) l
008 p - 32 [((summt))
009 p - 32 [((summt)) y
010 Ä 03 [((schnalzt)) Urin i]s gut ( .) ja, 011 M 32 is so
M 32 ( .) n[a da bin l ich ja s]ehr FROH-=
Ä 03 [hmhm
M 32 =nee-=sie ha[tte kop]fsch[merzen ganz doll GESter[n; l
Ä 03 [hmhm
p - 32 [((singt)) oh ((singt)) 017 Ä 03 [h ][mhm
Die Formulierung des Untersuchungsergebnisses ist so reduziert (Z. 010), dass daraus abgeleitet werden kann, dass den anwesenden Erwachsenen die se Information zum Ausschluss der subjektiven Krankheitstheorie ausreicht und diese Information nicht weiter spezifiziert werden muss. Folglich kann auch davon ausgegangen werden, dass die Ärztin im Vorfeld entweder von
der Mutter oder von den Arzthelferinnen über diese subjektive Krankheits theorie sowie über das Untersuchungsergebnis informiert wurde. Die Mutter gibt an, über diese Nachricht bezüglich ihrer subjektiven Krankheitstheorie erleichtert zu sein (Z. 012). Diese Bewertung des Untersuchungsergebnisses unterstreicht die Annahme, dass diese kurze Rückmeldung ausreicht, um die subjektive Krankheitstheorie zu entkräften. Auch wenn hier keine Aussage über die Präsentation der subjektiven Krankheitstheorie gemacht werden und auch nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, wem gegenüber die sub jektive Krankheitstheorie präsentiert wurde, kann festgehalten werden, dass gerade aufgrund der minimalistischen Rückmeldung eine subjektive Krank heitstheorie vor der Sprechstunde präsentiert wurde, der das Praxisteam nachgegangen ist. Die Mutter fährt dann auch mit der Beschwerdenschilde rung fort und nennt zunächst die Symptome.
In zwei Fällen werden die Symptome gleich schon in Verbindung mit der SKT angeführt, wie in der Beispielanalyse (vgl. auch Kap. 5) wird auch in APEG_31 gleich zu Anfang die subjektive Krankheitstheorie präsentiert:
Fallbeispiel 36: APEG_31 (A-Pw5-M; ca. 11:45min); BE (00:06.59-02:08.12); 00:06.59-00:35.37
001 |
Ä |
03 |
[WIE is l es |
002 |
M |
31 |
[HAllo. |
003 |
|
|
( 0. 42) |
004 |
M |
31 |
((schmatzt)) (0.23) nich so GUT; |
005 |
Ä |
03 |
JA-=wenn de hier so kommst außer der <<seuf |
|
|
|
zend> REihe >- |
006 |
M |
31 |
ja (.) dann is es <<lachend> NICH so gut>· |
007 |
M |
31 |
((Lachansatz)) 0 hh [ganz (äh) ]dollen HUSten seit |
|
|
|
sonntag- |
008 |
Ä |
03 |
[ich Höre; |
009 |
P |
31 |
((hustet)) |
010 |
M |
31 |
(.) der sich nich wirklich LÖST |
011 |
Ä |
03 |
[so ]TROCKN ne |
012 |
M |
31 |
[+++ l |
013 |
P |
31 |
((hustet)) |
014 |
M |
31 |
ganz TROCKN- |
015 |
M |
31 |
[ganz F]EST- |
016 |
Ä |
03 |
[hmhm l |
017 |
P |
31 |
((hustet)) |
018 |
M |
31 |
hatte (.) en ziemlich bösen pseudoKRUPP (am äh) |
|
|
|
sonntagnacht; |
019 |
P |
31 |
((hustet)) |
020 |
M |
31 |
MONtach gings so halbwe[gs- |
021 |
Ä |
03 |
[0h ](.) i[ssiejaei] |
022 M 31
gentlich ALT für ne;
[ähm
023 |
M 31 |
(0.26) ja [++++++ ]aber trotzdem es war ganz SCHLIMM; |
|
024 |
p 31 - |
[((hustet)) |
|
025 |
M 31 |
[sie hat ]ganz schlimm äh (zog/so) kaum LUFT (.) [bekommen;] [ne, ] |
|
026 |
Ä 03 |
[hmhm |
|
027 |
Ä 03 |
[hmhm |
][0 h Jauch beim EINatmen dieses ((macht |
|
|
einen inspiratorischen Stridor nach)) |
|
028 |
Ä 03 |
(.) un da[nn |
|
029 |
M 31 |
[jaja, l |
|
030 |
|
( 0. 23) |
|
031 |
M 31 |
j[aja l |
|
032 |
Ä 03 |
[hm ]hm |
|
033 |
|
( 0. 4) |
034 M 31 0 h ((schmatzt)) also war ziemlich heftig also (ähm)
Anders als in der Beispielsanalyse wird die subjektive Krankheitstheorie hier jedoch nicht als eine Theorie dargestellt, die anfangs verfolgt wurde. Die Mut ter benennt die subjektive Krankheitstheorie ausdrücklich bei der Benennung der Symptome. Dafür beschreibt sie eine Steigerung von einem dollen HUSten (Z. 007), der sich nich wirklich LÖST- (Z. 010) bis zu einem Hustenanfall, den sie als pseudoKRUPP (Z. 018) präsentiert und sogar noch dadurch hochstuft, in dem sie ihn als ziemlich bösen pseudoKRUPP (Z. 018) beschreibt. Gerade das Adjektiv 11 böse" als Beschreibung für ein Symptom führt auch zu einer Drama tisierung und Hochstufung der Symptomatik. Durch die Benennung leistet die Mutter zudem eine sehr klare Einordnung der Symptomatik. Dies wird auch dadurch deutlich, dass die Ärztin sich infolge dieser Nennung nach bestimm ten Symptomen erkundigt, die zu diesem Krankheitsbild gehören und durch die Mutter jeweils auch bestätigt werden. Die Mutter verwendet bei der Dar bietung der subjektiven Krankheitstheorie keine Modalisierungen und auch keine epistemischen Verben. Anders als bei der Beispielanalyse wird diese subjektive Krankheitstheorie überdies als noch aktuell beschrieben und auch nicht wieder zurückgenommen.
In den meisten Fällen werden subjektive Krankheitstheorien in triadisch pädiatrischen Erstkonsultationen im Rahmen der Handlungsschemakompo nente der Beschwerdenschilderung und der Beschwerdenexploration oder vor der körperlichen Untersuchung offengelegt, jedoch erst nach der Symptom präsentation. Dabei lassen sich drei unterschiedliche Präsentationsformen aus machen, die im Folgenden präsentiert werden:
Im Erstkonsultationsgespräch APEG_06 deutet die Mutter ihre subjektive Krankheitstheorie an, indem sie ein Lebensmittel benennt, welches sie für die Beschwerden der Patientin verantwortlich macht.
Die Präsentation der subjektiven Krankheitstheorie erfolgt relativ un markiert:
Fallbeispiel 37: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); BE (00:01.95-00:45.41); 00:20.57-00:36.09
024 |
M |
06 |
(.) nur wenn se was geTRUNken hat; |
025 |
M |
06 |
(.) oder was geGESsen hat. |
026 |
A |
01 |
(0.51) JEdes mal erbrechen- |
027 |
M |
06 |
IMmer wieder danach erbrechen-=ja, |
028 |
A |
01 |
(0.6) auch durchFALL- |
029 |
M |
06 |
(.) NEE noch nich-= |
030 |
M |
06 |
=aber j[etz hat ]se grad (0.22) en bisschen gePUPST |
und des riecht schon (.) STARK;
031 p- 06 [((stöhnt)) l
032 (1.9)
033 M 06 es heißt nich gestern hat se [MAIS ]gegessen aber; 034 A 01 [oh
035 A 01 ( .) auch FIEber;
In APEG_06 werden - wie in den meisten Fällen - im Rahmen der Beschwer denschilderung zunächst die Symptome erörtert, der Zeitpunkt und auch das regelhafte Auftreten des Erbrechens nach dem Essen oder Trinken. Der Zusammenhang mit der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme wird durch die Mutter herausgestellt (Z. 024-025). Der Arzt sichert diesen Zusammen hang (Z. 026) und erkundigt sich dann nach einem weiteren Symptom (Z. 028). Eine längere Pause, die nach den beiden Fragen entsteht, als der Arzt sich etwas notiert, nutzt die Mutter, um ein Nahrungsmittel zu erwäh nen, welches am Vortag durch die Patientin konsumiert wurde (Z. 033). Dass dieses Lebensmittel - nämlich MAIS (Z. 033) - als potenzieller Auslöser für die Mutter infrage kommt, ist deswegen offensichtlich, da sie das Lebensmit tel erwähnt, als nach dem Hinweis auf die Lebensmittelaufnahme keine Fra gen zu konsumierten Lebensmitteln erfolgte, hier auch nur ein einziges Le bensmittel aufgeführt wird und die Patientin sich sicherlich nicht nur von Mais ernährt haben wird. Zudem legt auch die Realisierung mit dem Fokus akzent auf MAIS (Z. 033) nahe, dass mit dem Hinweis auf das Lebensmittel eine neue Information eingeführt wird. Dass dieser am Vortag konsumiert wurde, ist ebenfalls eine Information, die die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dieses Lebensmittel mit der Reaktion des Körpers zusammenhängt. Auffällig ist, dass sie den Hinweis auf das Lebensmittel einwirft, nachdem der Arzt mittels einer weiteren Frage den Fokus bereits von der Nahrungs mittel- und Flüssigkeitsaufnahme zu einem anderen Symptom verschoben hat. Eingeleitet wird die Theorie etwa durch die Diskursmarkerkonstruktion es heißt nich (Z. 033), durch die sie signalisiert, dass sie bei dem nun folgen den Punkt auf etwas vorausgehendes Bezug nimmt, das sich anders verhält, als bisher dargelegt wurde. Obgleich dieser Anschluss eigentlich als Kohäsi-
onsmittel gelten kann,105 bleibt hier der Skopus unklar. Sie nennt ein Lebens mittel, welches die Tochter am Vortag konsumiert hat, und beendet die Into nationsphrase mit einem aber (Z. 033), wodurch sie andeutet, dass sie etwas Widersprechendes einfließen lassen oder andeuten möchte. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen Abbruch, sondern um eine Analepse (vgl. z.B. Blatz 1896 oder Helmer 2016). Prosodisch zeigt die Mutter, dass sie dieses Argument nicht weiter ausführen möchte. Mit dem aber (Z. 033) entkräftet sie die subjektive Krankheitstheorie jedoch sogleich nach deren Nennung wieder. Diese subjektive Krankheitstheorie wird somit mehrfach in ihrer Re levanz herabgestuft.
In APEG_04 wird eine andere Präsentationsform gewählt. Auch hier werden erst die Symptome dargelegt. Hier wird eine subjektive Krankheitstheorie je doch insofern markiert eingebracht, als diese als solche gerahmt wird und mit einer Frage einhergeht, mit der nach der Einschätzung des Arztes gefragt wird, ob eine solche Theorie haltbar sei:
Fallbeispiel 38: APEG_04 (A-Pw9-V; ca. 7:09min); BE (00:05.62-01:27.46); 00:49.66-01:25.14
V 04 (0. 36) oh [weil ]begleitend ham wir nämlich noch ( .)
DIEse woche,
A 02 GU[T.
V 04 (0.42) war sie sehr ( .) erSCHÖPFT;
044 A 02 (0.32) aHÄ,
045 V 04 (0.46) sie lag eigentlich meistens auf dem SOfa;
046 (0.39)
047 A 02 aha,
048 (0.27)
A 02 oh
V 04 und in dem zusammenhang <<piano> wo hab ich des > ne FRAge,
-
V 04 0 h weil sie hatte doch hier en PILZ, 052 V 04 (0.4) m[an sieht s l ja KAUM noch- 053 A 02 [ja- l
V 04 oh
A 02 ja-
056 V 04 (0.26) und äh:m
057 V 04 (0.22) da ham wir DANN-
058 V 04 (0.62) oh die
V 04 das hier das GRiseo c[e te h ]undertfünfundzwanzig milligramm verschrieben [bekommen; l
A 02 [oh
A 02 [das g ]riseofulVIN-
A 02 JA;
105 Zu den Textualitätskriterien vgl. z.B. De Beaugrande/Dressler (1981, S. 3-14).oder Linke/ Nussbaumer/Portmann (2001, S. 215-225).
A 02 hmhm
V 04 ob das irgendWIE ( .) im zusammenhang zu dem erschöpfungs[zustan]d (hier) steht
A 02 [hm
A 02 NEE eigentlich net;
A 02 nee.
V 04 (na) [dann pack ich s glei wieder EIN 069 A 02 [des könnt- s glaub ich NICHT; 070 A 02 0 hh
V 04 ( .) ((schmatzt)) oh
A 02 GUT.=JETZT tun mer mal untersuchen-=
A 02 =jetz musch du mal dei:n (0.57) JACke un dein hemd ausziehn,
A 02 un kommsch e mal da NAUF,
Die subjektive Krankheitstheorie wird hier als Frage formuliert, indem der Vater auf ein vor kurzem verschriebenes Medikament verweist und sich ex plizit nach möglichen Nebenwirkungen erkundigt, die mit den vorliegenden Symptomen übereinstimmen. Er leitet diese subjektive Krankheitstheorie mit der einleitenden Phrase und in dem zusammenhang (Z. 050) ein und stellt damit schon eine kohäsive Verknüpfung zwischen dem vorher beschriebenen Sym ptom und der folgenden Frage her. Er schiebt die Vorgeschichte nochmals ein und stellt nach der Präsentation der SKT die Frage, ob der Arzt diese subjek tive Krankheitstheorie für möglich halten würde. Während er diese Frage for muliert, beugt er sich zu seinem Rucksack und sucht das entsprechende Me dikament. Er verweist nochmals auf die Diagnose eines kürzlich stattgefundenen Arztbesuchs. Dabei hebt er mit Hilfe der Partikel doch (Z. 051) hervor, dass er von etwas Bekanntem berichtet, sodass daraus geschlossen werden kann, dass wegen dieses noch nicht lange zurückliegenden Problems derselbe Arzt aufgesucht wurde. Der Hinweis darauf, dass man diese Be schwerden, die durch einen Pilz hervorgerufen wurden, kaum noch wahr nehmen könne, signalisiert dem Arzt, dass das Mittel folglich angewendet wurde und darüber hinaus auch angeschlagen hat. Durch diesen Verweis kann man überdies aber auch auf den zeitlichen Rahmen des letzten Besuchs, des Anwendens des Präparats etc. schließen. Der letzte Arztbesuch liegt dem nach noch nicht lange zurück. Der Vater hat inzwischen das Medikament im Rucksack gefunden und nennt nun die genaue Bezeichnung des Präparats. Auch wenn diese Frage durch die Rahmung und das Hervorholen der Medi kamentenpackung elaboriert eingebracht und damit auch hochgestuft wird, findet durch die Realisierung der Frage mit der Modalisierung - durch das irgendwie (Z. 064) - wieder eine Herabstufung statt. Durch die Frage wird eine konditionelle Relevanz hergestellt, durch die der Arzt in der Pflicht steht, auf diese Theorie zu reagieren (vgl. Schegloff 2007).
Auffällig ist, dass er die Formulierung in dem zusammenhang (Z. 050) und
im zusammenhang (Z. 064) zweimal bei der Klärung seiner subjektiven
Krankheitstheorie einsetzt. Bei der ersten Erwähnung leitet er von der Nen nung eines Symptoms zur subjektiven Krankheitstheorie über. Er nimmt noch einen Einschub vor, in dem er auf die Vorgeschichte eingeht, die als bekannt vorausgesetzt wird, und formuliert die subjektive Krankheitstheo rie dann explizit, wobei er ebenfalls die Phrase erneut verwendet, um noch mals eine Verbindung zwischen Medikament und dem letzten - von ihm er wähnten - Symptom herzustellen.
Im Sprechstundengespräch APEG_03 präsentiert die Mutter erst einmal die Situation und die Folgen sowie die eigene Belastung aufgrund dieser Situati on, die sie als dramatischer als bei dem schon länger zurückliegenden Besuch beschreibt, bei der im Übrigen auch noch weniger Beschwerden vorlagen. Da raufhin führt sie die subjektive Krankheitstheorie ein, die sie allerdings nicht als ihre Theorie angibt, sondern als fremde:
Fallbeispiel 39: APEG_03 (A-Pw3-MN; ca. 27:02min); BE (00:14.34-06:19.09); 00:58.36-01:35.07 & 01:56.91-02:35.82
054 |
M |
03 |
(0.67) nachdem wir bei IHnen waren- |
055 |
M |
03 |
hatten wir en elterngespräch im KINdergarten also allgemeines entwicklungsgesprä[ch-] |
056 |
A |
01 |
[H [Mhm, |
057 |
M |
03 |
[und dann ]kam das gespräch natürlich auch DArauf; |
058 |
M |
03 |
(0.22) 0 hh (0.2) und äh:m die hatten uns halt auch mit angesprochen dass wir so zu so ner PSYchologischen beratungsstelle g (.) trotzdem gehen- |
059 |
M |
03 |
(0.69) ((schnalzt)) die camilla 0 h (0.35) die konnt in |
|
|
|
dem moment natürlich auch nich viel AUSrichten- |
060 |
M |
03 |
(0.43) weil ich gesacht hab; |
061 |
M |
03 |
(.) also nach IHRM (1.06) ermessen- |
062 M 03
063 A 01
064 M 03
(0.2) 0 h (0.55) is des halt noch ähm (.) ent WICKlungs[bedingt bei i]hr,
[HMhm,
und dann (.) ham die jetz auch keinen größeren (0.68) wert irgendwie dadrauf gelegt das noch zu verTIEfen;
065 |
M |
03 |
0 h |
ham uns nur noch TIPPS gegeben wie wir halt auch mim |
[ ... |
] |
|
|
kindergarten da umgehen können- |
074 |
|
M |
03 |
=ich mein ich verst (.) ich verSTEHS auch dass die |
|
|
|
|
Erzieherinnen da halt nich ganz so begeistert |
|
|
|
|
dr[über sin- |
075 |
|
A |
01 |
[HMh ][m; |
076 |
|
M |
03 |
[mi ]t neunzig kindern und dann hab ich |
|
|
|
|
noch SO was- |
077 |
|
M |
03 |
(1.07) un: die hatten mich halt auch noch mal drauf |
|
|
|
|
angeSPROCHen- |
078 |
M |
03 |
(0.62) weil SIE irgendwie der meinung sin dass es halt |
|
|
|
(.) eventuell psychisch (.) halt bedingt wäre, |
079 |
M |
03 |
(.) jetzt wollt ich erst mal wieder mit IHnen drüber |
|
|
|
sprechen bevor wir halt (.) eventuell noch mal (.) zu |
|
|
|
ner beratung gehn oder, |
080 |
M |
03 |
(0.63) was wer jetz TUhun sollen ((Lachansatz)) |
081 |
A |
01 |
(0.75) also erFAHrungsgemäß:- |
082 |
A |
01 |
(0.43) kommt man da WEnig voran; |
083 |
|
|
(0.74) |
084 |
M |
03 |
womit, |
085 |
A |
01 |
(0.38) [mit d ]er(.) mit (.) ARbeit (an) psychischer |
|
|
|
ursachen- |
086 |
M |
03 |
[(mit der) |
087 |
|
|
(1. 34) |
088 |
A |
01 |
sie können das versuchen |
089 |
M |
03 |
(.) oh |
090 |
A |
01 |
(.) insbesondere dann wenn es auch mit EINkoten |
|
|
|
kombiniert i[s-] |
091 |
M |
03 |
[HM ]hm- |
092 |
A |
01 |
(0.27) aber erfahrungsgemäß (0.69) is des ne |
|
|
|
schiene die man zwar versucht (.) |
|
|
|
man[chmal noch A ]U[Sz ]unutzen |
|
|
|
aber- |
093 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
094 |
M |
03 |
[((unverständlich)) ] |
095 |
A |
01 |
(3.33) man kommt nich WEiter- |
096 |
A |
01 |
0h (.) was hilft is einmal die ZEIT(.) 0 h (0.28) |
|
|
|
zweitens (0.4) stuhl DÜNN stellen- |
097 |
A |
01 |
dass (.) halt wirklich regelmäßig zur toilette gehen |
|
|
|
MUSS- |
Diese subjektive Krankheitstheorie wird impliziert, aber durch den Hinweis auf die Fachrichtung der beratungsstelle (Z. 058) muss die subjektive Krank heitstheorie nicht weiter spezifiziert werden. Eine solche Institution wird üb licherweise aufgesucht, wenn ein Leiden vorliegt oder vorzuliegen scheint, das nicht auf körperliche Ursachen zurückzuführen ist. Die Formulierung der Mutter lässt den Schluss zu, dass sie den Erzieherinnen in diesem Gespräch auch die damalige Einschätzung des Arztes mitgeteilt hatte, da diese die Empfehlung trotzdem (Z. 058) aussprachen. Durch halt und trotzdem (Z. 058) wird die SKT einerseits heruntergestuft, da die SKT als eine Theorie einge führt wird, die sich von der Einschätzung des Arztes unterscheidet, die aber gegenüber den Erzieherinnen dennoch angeführt wurde. Andererseits wird die Theorie auch hochgestuft, da die Erzieherinnen ja die Empfehlung vertre ten, obgleich ihnen ganz offensichtlich die Diagnose und Therapieplanung des Arztes mitgeteilt wurden. Des Weiteren beschreibt die Mutter, dass sie dennoch der Empfehlung der Erzieherinnen gefolgt seien und den Termin wahrgenommen hätten, wobei sie auch dort die damalige Empfehlung des
Arztes offengelegt hätte. Die angeführte Therapieempfehlung führte offen sichtlich dazu, dass der Termin nicht als ergiebig empfunden wurde, da die Beratenden die Empfehlung des Arztes als solche akzeptierten und den Eltern lediglich TIPPS gegeben (Z. 065) hatten, wie mit der Situation umgegangen werden kann. Wenn sie die Krankheitstheorie gänzlich abgelehnt hätten, hät te ein Besuch bei der PSYchologische beratungsstelle (Z. 058) wahrscheinlich nicht stattgefunden. Somit kann eine Unterstützung dieser Theorie durch die Eltern zumindest in Ansätzen angenommen werden. In der Zeile 074 benennt die Mutter dann auch die Urheberinnen dieser subjektiven Krankheitstheorie und positioniert sich zugleich zu dieser Empfehlung. Sie äußert zum einen Verständnis für deren Drängen infolge der Theorie und äußert in Zeile 079 auch die Bereitschaft, erneut die empfohlene Institution aufzusuchen. Die subjektive Krankheitstheorie wird erst in Zeile 078 tatsächlich konkretisiert. Hierbei wird ein weiteres Mal nicht klar, wie die Mutter selbst zu dieser The orie steht. Durch verschiedene Abtönungspartikel, wie irgendwie (Z. 078) oder halt (Z. 078) und eventuell (Z. 078) stuft sie die Theorie der Erzieherinnen her unter. Auch der Einsatz des Konjunktivs drückt eine gewisse Distanzierung aus (Z. 078). Die Mutter gibt dafür an, die ärztliche Diagnose und Therapie empfehlung abwarten zu wollen, bevor beschlossen werden soll, welche Ak tivitäten nun verfolgt werden sollen; dass eine Option aber die Zuhilfenahme der psychologischen Beratungsstelle darstellt, wird auch erwähnt (Z. 079).
Andere subjektive Krankheitstheorien werden erst nach der Diagnosemittei lung - in diesen Fällen dann zumeist in der Handlungsschemakomponente der Therapieplanung- eröffnet:
Fallbeispiel 40: APEG_16 (A-Pm5-M; ca. 2:45min); Th (00:43.93-02:19.45); 01:01.61-01:46.15
017 |
A |
02 |
(1.07) des isch ne ganz leichte entzündung DA: |
018 |
A |
02 |
(.) en kleines pu Pickele, |
019 |
A |
02 |
(0.29) un dass sich des net weiter ausbreitet einfach |
|
|
|
diese (0.41) polyvidonolsalbe mit nem PFLASter drauf; |
020 |
A |
02 |
so n_paar TAge und [dann is des (pickele weg) ] |
021 |
M |
16 |
[oKAY-=das kann also au ]mal |
|
|
|
sein dann muss ich nich gleich borrel[iosePAnisch] werden un so- |
022 |
A |
02 |
[nein NEIN- |
023 |
A |
02 |
NEIN des sieht jetzt zunächst nich nach borreliose aus |
024 |
A |
02 |
des sieht aus wie wenn (.) 0 h DA: en bisschen- |
025 |
A |
02 |
(0.41) ((schmatzt)) vielleicht en bisschen dreck in die |
|
|
|
kleine (.) einstich BISSstelle gekommen is un- |
026 |
A |
02 |
des is so ne- |
027 |
A |
02 |
0hh (.) das ÄH:- |
028 |
A |
02 |
(0.38) brauch mer jetz noch nich an borrelIOse denken; |
029 A 02
(.) h an borreliose [muss ]man denken
0
[wenn des ]jetz (0.2) immer GRÖßer wird ein richtiger (0.24) roter fleck-
030 |
M |
16 |
[ ((stöhnt)) ] |
031 |
M |
16 |
[wenn des-] |
032 |
A |
02 |
der immer GRÖßer wird immer größer wird |
033 |
M |
16 |
(.) ja, |
034 |
A |
02 |
(.) und dann äh: (0.24) in der Mitte auch wieder |
035 |
A |
02 |
(0.38) BLASS wird- |
036 |
A |
02 |
sodass es dannen roter RING is |
037 |
|
|
( 0. 45) |
038 |
M |
16 |
oKAY, |
IndemGespräch APEG_16 wird bisher nur der Zeckenbiss als Grund für den Arztbesuch genannt sowie die Veränderung der Bissstelle. Die subjektive Krankheitstheorie, ein vorliegender Borreliose-Verdacht der Mutter, wird erst erwähnt, nachdem der Arzt seine Diagnose sowie die Therapieempfehlung ein zweites Mal benannt hat. Sie greift die Diagnose und die danach realisier te Therapieempfehlung des Arztes explizit nicht an, indem sie im Vorlauf mit dem oKAY (Z. 021) eine tendenziell eher zustimmende Ratifizierung der Dia gnose vornimmt und dann festhält, dass eine solche Diagnose folglich bei ei ner sogearteten Symptomatik auch eine Möglichkeit darstellen könne. Durch diese Äußerung hat sie bereits eine weitere mögliche Diagnose impliziert, die sie daneben auf die sogeartete Symptomatik als zumindest naheliegend ein stuft. Diese subjektive Theorie wird im Folgenden expliziert. Mittels also (Z. 021) bezieht sie sich auf das zuvor Ausgeführte, aus dem sie nun eine Schlussfolgerung ableitet. Die subjektive Krankheitstheorie wird somit als vo rausgegangen präsentiert und dadurch hochgestuft, dass sie beschreibt, dass die subjektive Krankheitstheorie im Vorfeld auch eine emotionale Reaktion bei ihr hervorgerufen hat, was sie durch die Wortneuschöpfung borrel[iose PAnisch] (Z. 021) zum Ausdruck bringt. Die Reaktion auf die im Vorfeld auf gestellte subjektive Krankheitstheorie oder die voreilige Theoriebildung selbst wird hier als überzogen dargestellt (Z. 021). Dass der Verdacht, es könnte sich um eine Borrelioseinfektion handeln, sofort in ihr keimt, wenn eine Bissstelle sich rötet, beschreibt sie durch das gleich (Z. 021), aber auch durch die Einführung der Theorie, die für sie als naheliegend eingeführt wird, womit eine Hochstufung des Verdachts angestellt wird und ebenso dazu bei trägt, den Verdacht der Mutter als Extremwert zu präsentieren. Dadurch greift die Mutter die Diagnose des Arztes nicht an, schließlich folgt sie ihm in seinen Ausführungen und stellt den eigenen Verdacht als übereilt und als nicht mehr existent heraus. Die Frage bezieht sich außerdem nicht auf den vorliegenden Fall, sondern generalisierend auf solche Fälle. So handelt es sich zwar auf der Textoberfläche um eine Nachfrage zur Diagnose, durch die dar in übermittelte SKT offenbart sie aber auch die Theorie, die hier nun noch-
mals als Theorie, aber 11 auch nicht als konkurrierend eingebracht" (Spranz Fogasy/Winterscheid 2013, S. 24) wurde. Dadurch, dass sie den Verdacht nach der wiederholten Diagnosemitteilung einbringt, signalisiert sie jedoch auch, dass die subjektive Krankheitstheorie noch präsent ist oder es einen anderen Grund dafür gibt, diese nun doch zu nennen. Somit kann die Frage so ver standen werden, dass die Mutter eine Rückversicherung einfordert, um für ähnliche Situationen die Lage besser einschätzen zu können oder um eine Reaktion auf ihre subjektive Krankheitstheorie zu erhalten, welche einen Arztbesuch, der rückwirkend nicht zwingend erforderlich zu sein scheint, rechtfertigt (vgl. Heritage/Robinson 2006).
Bei dem Erstkonsultationsgespräch APEG_14 bringt die Mutter im Rahmen der Handlungsschemakomponente der Diagnosemitteilung eine dritte Krankheitstheorie zur Sprache, die sie zuvor nicht erwähnt hat. Allerdings gab es bereits während des Gesprächs immer wieder Beiträge der Mutter, in denen sie das Fernbleiben der Patientin von der Schule problematisiert. Au ßerdem gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass die Mutter bestimmte Punkte angibt, die sie als heikel erachtet:
Fallbeispiel 41: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); D (17:44.93-22:12.61); 21:04.20-22:12.61
131 A 02
132 A 02
133 M 14
134 A 02
135 A 02
136 M 14
137 P 14
138 A 02
139 M 14
140 A 02
0 h (0.2) un deswegen äh kann AUCH jetz äh ne migräne (0.62) äh zum beispiel verstärkt sein-
(0.35) in PHAsen wo s stressig i[s,
[H ]Mhm;
(0.83) und sie kann SELtener sein;
(0.63) äh (0.43) in phasen wo s äh (0.41) keinen stress gibt oder in den FErien kann des besser sein oder so
=ja,
(.) HMhm,
oh
(.) oder wenn sie sagen wo_s in der schule großen stress gab in der grundschule dann war des (0.3) ((räuspert sich)) 0 h (.) äh (0.4) ÄRger als (.) nachher wo se dann die schule gewechsel[t hat, ]
[HMhm-
un (.) die atmosphäre war wieder wieder [+++
141 |
M |
14 |
[ija gut ]wenn oft is es ja so verABreden kann se sich-=ja, |
|
142 |
M |
14 |
(0.33) man[chmal-=]ja, |
|
143 |
A |
02 |
[JAja, |
|
144 |
M |
14 |
[als ]o- |
|
145 |
A |
02 |
[j a; l |
|
146 |
M |
14 |
0 h |
(.) es war so (.) letztens dass dass de den ganzen |
147 M 14
nachmittag mit freundinnen zusammen WARST;=
=und dass ihr noch LÄNger zusammenbleiben wolltet-=
148 |
M |
14 |
=und dann kommt se heim und hat total KOPFschmerzen-= |
||
149 |
M |
14 |
=sag ich ja WIE, |
||
150 |
M |
14 |
oh ( .) ja. |
||
151 |
|
|
(0.25) |
||
152 |
M |
14 |
un dann war se drei tage KRANK- |
||
153 |
A |
02 |
JA [ja, |
||
154 |
M |
14 |
[des KO]NNT ich dann nich mehr- |
||
155 |
M |
14 |
oh des äh ((Lachansatz)) (0.31) unterstell dann |
||
|
|
|
manchmal so <<lachend> simulantentum >;= |
||
156 |
M |
14 |
=aber des des is es GLAUB ich nich-=[ja, |
||
157 |
A |
02 |
[ja, |
||
158 |
M |
14 |
es is es is dann WIRKlich so dass es ihr |
||
|
|
|
[dann ]schlecht geht so. |
||
159 |
A |
02 |
[((schnieft)) |
||
160 |
A |
02 |
ja alSO, |
||
161 |
M |
14 |
0 h |
(.) in der SCHUle kann ses halt nich abschalten-=ja, |
|
162 |
M |
14 |
wenn se sich dasitzt und konzentrieren muss dann äh |
||
|
|
|
dann (0.25) sin die (.) PRÄsent- |
||
163 |
M |
14 |
(.) wenn se sich mit freundinnen trifft kann man |
||
des vielleicht noch mal 0 h (.) WEGdrücken hasch du |
|||||
|
|
|
gsagt;=gä, |
|
|
164 |
P |
14 |
( 0. 22) |
|
|
165 |
A |
02 |
ja-=[gut des hängt davon ab wie |
]STARK s |
|
|
|
|
[halt grad is;=ne, |
|
|
166 |
M |
14 |
[dann kann man des en BISsel |
||
167 |
M |
14 |
[kann man ((unverständlich)) ]ABlenken |
||
|
|
|
so-=n[e,=] |
||
168 |
A |
02 |
[j l [a; l |
||
169 |
M |
14 |
[=ab]er (.) GUT; |
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170 |
|
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( 0. 25) |
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171 |
M |
14 |
da SIN se |
||
172 |
|
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( 0. 3) |
Während die erste subjektive Krankheitstheorie der Mutter sich auf einen körperlichen Aspekt bezog und die zweite subjektive Krankheitstheorie den vorliegenden Stress und gleichzeitig einen Bezug zum schulischen Alltag be rücksichtigt, legt sie nun eine dritte subjektive Krankheitstheorie offen, die eine Erkrankung gänzlich ausschließt und damit extrem facebedrohend für die Patientin ist. Die Simulations-Theorie (Z. 155) wird jedoch erst präsentiert, nachdem der Arzt eine Diagnosemitteilung eröffnet hat, die eine echte Er krankung zugrunde legt, auch wenn diese bisher noch nicht mit völliger Si cherheit aufgestellt wurde. Durch den Zeitpunkt der Präsentation greift die Mutter mit ihrer subjektiven Krankheitstheorie das face der Patientin in einer deutlich abgemilderten Form an. Die Präsentation der subjektiven Krank heitstheorie geschieht dann aber recht elaboriert. Sie verweist auf eine Situati on, die sie darstellt, und führt die Patientin als Zeugin dieser Darstellung an, indem sie einen Teil der Einführung an diese adressiert. Mit dieser Darstel-
11
lung erklärt sie ihr zwischenzeitlich auftretendes Unverständnis der erlebten Ereignisse. Zudem rahmt sie diese subjektive Krankheitstheorie damit, dass sie angibt, dass es sich um einen Verdacht handelt, der nur hin und wieder aufkam und von dem sie eigentlich auch nicht restlos überzeugt ist (Z. 155- 158). Durch den Hinweis darauf, dass ihr die subjektive Krankheitstheorie schon mehrfach in den Sinn gekommen ist (Z. 155), stuft sie die Theorie aller dings auch hoch. Der Präsentation geht ein Lachansatz voraus und sie wird auch lachend realisiert. Schwitalla hat festgehalten, dass Lachen ganz unter schiedliche Funktionen haben kann und auch zum Schutz des fremden Face" sowie zum 11 Schutz des eigenen Face" gebraucht wird (Schwitalla 2001, S. 333- 337). Das Tempus der Aussage, dass sie ihr des äh((Lachansatz)) (0.31) unterstell dann manchmal (Z. 155) weist daneben nicht auf eine inzwischen abgewählte SKT hin. Neben der Rahmung und dem Zeitpunkt der Präsentation nimmt die Mutter aber durch die Revision dieser Theorie eine Herabstufung der sub jektiven Krankheitstheorie vor. Mit schnellem Anschluss wird dann aber so fort nach der Präsentation der SKT darauf verwiesen, dass sie diese Theorie nicht oder nicht mehr verfolgt:
M 14 °h des äh ((Lachansatz)) (0.31) unterstell dann manchmal so <<lachend> simulantentum >;=
M 14 =aber des des is es GLAUB ich nich-=[ja,
157 A 02 [ja,
Weiterhin attestiert sie der Patientin auch die Echtheit der Symptome, welche nun im Gegensatz zur Präsentation dieser dritten Theorie auch nicht modali siert genannt werden. Dies unterstützt sie durch das Adverb WIRKlich (Z. 158), auf dem auch der Fokusakzent liegt. Zudem bekräftigt sie die Ab wahl durch eine Erklärung der Patientin zu dieser von ihr empfundenen Dis krepanz zwischen der Beobachtung und der Rückmeldung der Patientin, die sie zuerst als eigene Herleitung einführt (Z. 162-163) und nach der Zitation der Erklärung auch darauf verweist, dass die Begründung durch die Patientin selbst so realisiert wurde. Die Patientin wird dann erneut durch hasch du gsagt;=gä, (Z. 163; siehe auch Z. 165 und 167) als Zeugin herangezogen.
Strukturell gibt es offensichtlich zwei Zeitpunkte, in denen SKTs üblicherwei se präsentiert werden: den Moment, nachdem die Symptome dargelegt wur den, und nach der Diagnosemitteilung des Arztes.
Interessant sind aber auch die Beispiele, in denen von dieser zeitlichen Ordnung abgewichen wird. Bei APEG_32 findet eine Untersuchung vor dem Erstkonsultationsgespräch statt. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese SKT oder sogar beide Krankheitstheorien bei der Anmeldung erwähnt wurden. Unabhängig davon, ob die Ärztin hierbei involviert war oder nach träglich informiert wurde, liegt ihr noch vor Beginn des Gespräches der Be fund vor und somit ist ihr auch vorher die SKT bekannt. Anhand der redu zierten Rückmeldung und der Bewertung durch die Mutter kann jedoch
geschlossen werden, dass die subjektive Krankheitstheorie der Ärztin mitge teilt wurde und der Mutter auch die Mitteilung der Ergebnisse ausreichen, um zu verstehen, dass sich die subjektive Krankheitstheorie nicht bewahrhei tet hat.
In den beiden Beispielen, in denen die Krankheitstheorien zur Benennung der Symptomatik herangezogen werden, leistet die Nennung der subjektiven Krankheitstheorien ein Anschaulich-werden der Symptome. Selbst wenn eine solche Theorie wieder zurückgenommen wird, sorgt die Nennung der sub jektiven Krankheitstheorie dafür, dass die Beschwerden, die es zu schildern gilt, dadurch greifbarer werden. So liefert die SKT Pseudokrupp in APEG_31 bereits ein sehr detailreiches Bild der Symptomatik. Die Nachfragen der Ärz tin bezüglich bestimmter Symptome werden allesamt bestätigt, was anschau lich macht, dass diese Benennung der Symptome durch die Mutter hier ein sehr genaues Bild davon vermittelt, wie sich die Beschwerden der Patientin im Vorfeld geäußert haben. Dass sich die Mutter hier auch sehr sicher ist, dass es sich um dieses Krankheitsbild handelt, ist ein weiterer Grund für die sofor tige Nennung der subjektiven Krankheitstheorie in diesem Fall.
Andere Krankheitstheorien - sowohl nach der Symptompräsentation wie auch nach der Diagnosemitteilung - werden sehr vorsichtig eingebracht und entweder deutlich herabgestuft oder als Frage formuliert.
Die subjektiven Krankheitstheorien, die erst nach der Offenlegung der Di agnose geäußert werden, werden jedoch nicht grundlos erst in dieser Phase geäußert. Entweder handelt es sich um eine für die Mutter naheliegende sub jektive Krankheitstheorie, die trotz alledem bisher noch nicht - noch nicht einmal als Ausschlussdiagnose - bearbeitet wurde, die Diagnose einen Arzt besuch prinzipiell nicht notwendig erscheinen lässt oder es sich um eine face bedrohende subjektive Krankheitstheorie handelt, die zuvor entkräftet wur de. Die Mutter inAPEG_l4 präsentiert dem Arzt zunächst zwei faceschonende subjektive Krankheitstheorien und nennt diejenige Theorie, die das face der Patientin angreifen würde, zu einem Zeitpunkt, an dem der Arzt die Diagno se bereits gestellt hat. Die subjektive Krankheitstheorie wird auch nicht als beachtenswerte Möglichkeit eingebracht, sondern als Theorie, an die die Mut ter prinzipiell nicht glaube. Auch die subjektiven Krankheitstheorien, die nach der Diagnosemitteilung offengelegt werden, werden klar benannt.
Die meisten subjektiven Krankheitstheorien erfahren während ihrer Präsen tation mehrere Formen der Hoch- und Herabstufung, außer die Urheber der Theorie sind sich sehr sicher, wie dies in APEG_31 zu beobachten ist. Dies geschieht zumeist - wie oben dargelegt - durch den Einsatz von epistemi schen Verben und unter dem Einsatz verschiedener Modalpartikeln, die er kennen lassen, dass es sich hierbei nur um Vermutungen handelt. Bei den meisten subjektiven Krankheitstheorien kann man den Einsatz von epistemi schen Verben beobachten, die zu einer Herabstufung der SKT beitragen,
da hier in der Regel darauf verwiesen wird, dass die verantwortliche(n) Person(en) sich etwas gedacht oder überlegt hat/haben, wodurch die Theorie als solche offengelegt wird und sich von dem abhebt, was man definitiv weiß. Auch Modalisierungen stufen die SKT herab und werden ebenfalls in den meisten Fällen eingesetzt. Genauso herabstufend ist es, wenn Eltern gleich wertige, also gleich wahrscheinliche subjektive Krankheitstheorien einführen oder andeuten, dass die gerade offenbarte Krankheitstheorie eine von vielen ist oder man auch Einwände dagegen vorbringen könnte, die jedoch in den Fällen des Analysekorpus dann nicht ausgeführt wurden. Das verwendete Tempus kann ebenso zur Herabstufung beitragen. So kann mittels Tempus angezeigt werden, ob es sich um eine Theorie handelt, die noch aktiv verfolgt wird, oder um eine Theorie, die man im Vorfeld aufgestellt hat und die sich nicht als haltbar erwiesen hat oder nun nicht mehr haltbar ist. Neben den verschiedenen Methoden der Herabstufung lassen sich zumeist bei den ein zelnen Beispielen auch Mittel der Hochstufung finden. Das können Hinweise auf eine vorausgegangene Behandlung der Erkrankung der Patienten sein, da dies anzeigt, dass die Eltern im Vorfeld von der Theorie so überzeugt gewe sen sein müssen, dass sie die Medikation als adäquat empfunden haben. Die ses Mittel ist jedoch janusköpfig, denn wenn das Medikament geholfen hätte, wäre ein Besuch beim Arzt nicht mehr notwendig, weswegen mit der Nen nung einer Medikation in den meisten Fällen zugleich auch eine Herabstu fung der Theorie einhergeht. Andere Mittel der Hochstufung sind die Beru fung auf Erfahrungen mit der Patientin, mit anderen Kindern oder selbst gemachte Erfahrungen und eigene Beobachtungen sowie die Verwendung von Fachbegriffen, einer dramatischen Wortwahl- wie der Beschreibung der Panik der Mutter in APEG_16 mittels der Wortneuschöpfung borreliose PAnisch (Fallbeispiel 40; Z. 021). Dies ist dann z.B. der Fall, wenn etwa eine Theorie im Präsens dargestellt wird. In einem Beispiel holt der Vater das Me dikament oder die Verpackung des Medikaments, das er für ein beobachtetes Symptom verantwortlich macht, hervor und benennt parallel dazu die vor ausgegangene Diagnose wie auch das verschriebene Präparat. Das Hervorho len des Medikaments macht die SKT anschaulich und enthüllt auch die Vor bereitung der Präsentation. Gerade dieses Maß an Vorbereitung stuft die SKT zusätzlich hoch. Auch eine Einleitung oder Rahmung der SKT als solche führt zur Hochstufung der subjektiven Krankheitstheorie. Eine Präsentation Dritter kann ebenfalls eine Hochstufung bedeuten, wenn es sich um einen oder meh rere Experten handelt. Bei dem Fall im Analysekorpus, in dem eine subjektive Krankheitstheorie Dritter präsentiert wurde, wird die Theorie von Kindergar tenerzieherinnen benannt. Die Erzieherinnen haben sicherlich schon viele Er krankungen oder Probleme mitbekommen und haben damit eine gewisse Erfahrung mit Krankheiten und natürlich auch eine Krankheitsgeschichte. In diesem Beispiel wird zu Anfang nicht klar, ob die Mutter die Theorie der Er zieherinnen nur zitiert oder gleichsam einstuft.
In fünf Fällen werden die subjektiven Krankheitstheorien im Übrigen als Fragen formuliert, wodurch eine konditionelle Relevanz (vgl. z.B. Schegloff 2007) für den Arzt besteht, zu reagieren.
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Krankheitstheorien
In einigen Fällen reagieren die Ärzte nicht unmittelbar auf die Eröffnung ei ner subjektiven Krankheitstheorie. Das heißt jedoch nicht, dass die subjekti ven Krankheitstheorien gar nicht durch die Ärzte bearbeitet werden.
So geht der Arzt etwa in der Beispielanalyse zwar nicht sofort auf die sub jektiven Krankheitstheorien der Mutter ein, reagiert bei der körperlichen Un tersuchung aber insofern auf die Theorie, indem er seine Diagnoseoption in Bezug zu den subjektiven Theorien setzt, die er als wahrscheinlicher einstuft. Auch in APEG_06 (vgl. Fallbeispiel 37) bearbeitet der Arzt die subjektive Krankheitstheorie bezüglich einer Reaktion auf ein bestimmtes Lebensmittel nicht sofort, sondern erkundigt sich zunächst nach einem weiteren Symptom:
033 M 06 es heißt nich gestern hat se [MAIS ]gegessen aber;
034 |
A |
01 |
[0 h |
035 |
A |
01 (.) auch FIEber; |
|
Dadurch, dass er an dieser Stelle nicht weiter auf die Möglichkeit eingeht, dass die Störung des Magen-Darm-Trakts in Verbindung mit der Einnahme eines bestimmten Lebensmittels steht, sondern nach dem Vorhandensein von Fieber fragt, signalisiert er der Mutter, dass er von diesem Zusammenhang nicht überzeugt ist. Des Weiteren offenbart er während der körperlichen Un tersuchung sowohl eine Ausschlussdiagnose wie auch Untersuchungsergeb nisse, mit denen er eine Diagnose vorbereitet, die sich von der subjektiven Krankheitstheorie der Mutter unterscheidet (vgl. z.B. Heritage/Stivers 1999). Damit reagiert er in gewisser Weise auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter, denn Heritage und Stivers haben aufgezeigt, 11 dass man mit Hilfe von Onlinekommentaren, also indem der Arzt das jeweils bei der Untersuchung Festgestellte mitteilt, Widerstand auf Seiten der Patienten und ggf. ihrer Be gleitpersonen abbauen kann" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 30; vgl. Heritage/Stivers 1999):
Fallbeispiel 42: APEG_06 (A-PwS-M; ca. 7:S0min); kU (00:59.09-03:02.73); 02:02.49-02:23.24
A 01 na das is ja PRima-
A 01 ( .) also BLINDdarm is nichts- 026 M 06 ( .) ja beine konnt se anWINkeln; 027 M 06 ((lacht)) ( .) ((Lachansatz)) 028 (0.2)
029 M 06 0 hh (2.85) muss ma da AUCH erbrechen-
030 A 01 (0.7) ja-
031 M 06 ( .) ja,
A 01 (0.22) ja MUSS nich;
A 01 aber KAN[N;
M 06 [ja, l
035 ( 1. 49)
-
036 A 01 bauch is aber sons schön WEICH; 037 A 01 ( .) aber gluckern tut s ORdentlich;
-
038 A 01 also da geht so n magenDARMinfekt ( .) los;=ne,
Auch wenn der Arzt die subjektive Krankheitstheorie nicht sofort bearbeitet, reagiert er dennoch auf die Theorie der Mutter, indem er bei der Mutter einen möglichen Widerstand gegenüber einer Diagnose bearbeitet, die sich nicht mit deren subjektiver Theorie deckt. Er benennt eine Ausschlussdiagnose (Z. 025) und leitet seine Diagnose damit ein, dass er Untersuchungsergebnisse nennt. Es gibt jedoch keine explizite Bearbeitung dieser Theorie.
In anderen Fällen werden die subjektiven Krankheitstheorien aber durch den Arzt sofort nach deren Einführung behandelt, so etwa in APEG_31 (vgl. Fall beispiel 36):
M 31 hatte ( .) en ziemlich bösen pseudoKRUPP (am äh) sonntagnacht;
p - 31 ((hustet))
M 31 MONtach gings so halbwe[gs-
Ä 03 [oh l ( .) i[s sie ja eil gentlich ALT für ne;
M 31 [ähm
M 31 (0.26) ja [++++++ ]aber trotzdem es war ganz SCHLIMM;
024 p - 31 [((hustet))
025 M 31 [sie hat ]ganz schlimm äh (zog/so) kaum LUFT ( .)
[bekommen;] [ne, l 026 Ä 03 [hmhm
Ä 03 [hmhm l [ 0 h Jauch beim EINatmen dieses ((macht einen inspiratorischen Stridor nach))
Ä 03 ( .) un da[nn
M 31 [jaja, l
In diesem Beispiel weist die Ärztin die Mutter nach der Eröffnung der subjek tiven Krankheitstheorie darauf hin, dass die Patientin laut ihrem Experten wissen (vgl. Janich/Birkner 2014 und Kap. 2.2) nicht mehr zu der Gruppe - nämlich der Kleinkinder - gehört, die gefährdet ist, Pseudokruppanfälle zu bekommen. Sie relativiert diese Äußerung im Rahmen des Einwandes aller dings durch eigentlich (Z. 021) und stuft ihren Einwand damit selbst herab. Nachdem die Mutter allerdings ihrem Einwand widerspricht und auf die Ein ordnung beharrt, erfragt die Ärztin bestimmte Symptome, die mit diesem Krankheitsbild gemeinhin zusammenhängen.
Im Erstkonsultationsgespräch APEG_04 (vgl. Fallbeispiel 38) realisiert der Arzt zunächst eine Absage auf die vorgebrachte subjektive Krankheitstheorie des Vaters, der vermutet, dass ein vorliegendes Symptom von der Einnahme eines in einem früheren Sprechstundengespräch verordneten Medikaments herrührt. Allerdings wird diese Absage gleich insofern modalisiert, indem er die Absage mit eigentlich (Z. 066) realisiert und damit einschränkt:
V 04 ob das irgendWIE ( .) im zusammenhang zu dem erschöpfungs[zustan]d (hier) steht
A 02 [hm
A 02 NEE eigentlich net;
A 02 nee.
V 04 (na) [dann pack ich s glei wieder EIN
-
A 02 [des könnt s glaub ich NICHT;
Außerdem schwächt er diese Absage beim folgenden Beitrag durch den einge setzten Konjunktiv und den Hinweis auf seine eigene Vermutung abermals ab. Warum diese so allgemein ausfällt, kann nicht geklärt werden, da der beschrie bene Erschöpfungszustand der Patientin tatsächlich laut Beipackzettel, den der Vater ja dabei hat, hin und wieder bei der Einnahme des Medikaments auftre ten kann.106 Die Äußerung des Arztes kann sich darauf beziehen, dass er bestrei tet, dass Nebenwirkungen, die laut Beipackzettel 11 [g]elegent lich"nach der Ein nahme dieses verschriebenen Medikaments auftreten können (vgl. Fußnote 106), tatsächlich auftreten oder aber, dass er bereits eine Vorstellung davon hat, was der Patientin fehlt und er diese Nebenwirkung deswegen ausschließt. Der Arzt begründet die Ablehnung jedoch nicht und zeigt durch Modalpartikel und den Einsatz von epistemischen Verben an, dass er sich bei der Ablehnung auch nicht völlig sicher ist, sondern lediglich annimmt, dass diese Symptome nicht von der Einnahme des Medikaments herrühren.
Auch in APEG_03 (vgl. Fallbeispiel 39) reagiert der Arzt auf die aufwändig durch die Mutter eingebrachte subjektive Krankheitstheorie Dritter, welche anfangs auch nur aus der zitierten Therapieempfehlung der Erzieher abgelei tet werden kann. Der Arzt reagiert nach der impliziten Aufforderung, ihnen mitzuteilen, wie in dieser Sache weiter zu verfahren ist und gibt an, dass nach seiner Erfahrung der Besuch einer psychologischen Beratung nicht den ge wünschten Erfolg hat (Z. 081-086):
M 03 ( .) jetzt wollt ich erst mal wieder mit IHnen drüber sprechen bevor wir halt ( .) eventuell noch mal ( .) zu ner beratung gehn oder,
M 03 (0.63) was wer jetz TUhun sollen ((Lachansatz))
A 01 (0.75) also erFAHrungsgemäß:-
A 01 (0.43) kommt man da WEnig voran;
106 Vgl. https://www.apotheken-umschau.de/Medikamente/Beipackzettel/griseo---ct- 125mg-Tabletten-37584 01.html (Stand: 20.3.2016).
083 |
|
|
(0.74) |
|
084 |
M |
03 |
womit, |
|
085 |
A |
01 |
(0.38) [mit d ]er(.) mit (.) ARbeit (an) |
psychischer |
|
|
|
ursachen- |
|
086 |
M |
03 |
[(mit der) |
|
087 |
|
|
(1. 34) |
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088 |
A |
01 |
sie können das versuchen |
|
089 |
M |
03 |
(.) oh |
|
090 |
A |
01 |
(.) insbesondere dann wenn es auch mit EINko |
|
|
|
|
ten kombiniert i[s-] |
|
091 |
M |
03 |
[HM ]hm- |
|
092 |
A |
01 |
(0.27) aber erfahrungsgemäß (0.69) is des ne |
|
|
|
|
schiene die man zwar versucht (.) |
|
|
|
|
man[chmal noch A ]U[Sz |
]unutzen |
|
|
|
aber- |
|
093 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
|
094 |
M |
03 |
[((unverständlich)) ] |
|
095 |
A |
01 |
(3.33) man kommt nich WEiter- |
|
096 |
A |
01 |
0h (.) was hilft is einmal die ZEIT(.) 0 h (0.28) |
|
|
|
|
zweitens (0.4) stuhl DÜNN stellen- |
|
097 |
A |
01 |
dass (.) halt wirklich regelmäßig zur toilette gehen |
|
|
|
|
MUSS- |
Die Formulierung [mit d]er(.) mit(.) ARbeit (an) psychischer ursachen-(Z. 085), die auf die Aufforderung der Mutter erfolgt, ist zweideutig. Einerseits kann sie ge lesen werden als Einstellung zur Sinnlosigkeit gegenüber psychischer Behand lungen im Zusammenhang mit Einnässen und Einkoten, obgleich möglicher weise psychische Probleme vorliegen, und andererseits als eine Absage der Behandlung psychischer Probleme in Bezug auf diese hier vorliegenden Prob leme, weil der Arzt nicht davon ausgeht, dass in diesem Fall tatsächlich psychi sche Probleme vorliegen. Unabhängig von der Lesart spricht er sich im ersten Impuls gegen die Therapieempfehlung der Erzieher aus (Z. 081-085), betont dann aber, dass es nichtsdestoweniger auf einen Versuch ankomme, wenn eine solche Maßnahme parallel erfolge (Z. 088-090). So stuft er diese Maßnahme auch wieder etwas hoch, indem er das neu hinzugekommene Symptom als Be gründung anführt, diese Therapie zusätzlich in Betracht zu ziehen (Z. 090).
092 |
A |
01 |
(0.27) aber erfahrungsgemäß (0.69) is des ne schiene die man zwar versucht (.) man[chmal noch A ]U[Sz aber- |
]unutzen |
093 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
|
094 |
M |
03 |
[((unverständlich)) |
] |
095 |
A |
01 |
(3.33) man kommt nich WEiter- |
|
096 A 01
097 A 01
0h (.) was hilft is einmal die ZEIT(.) 0 h (0.28) zweitens (0.4) stuhl DÜNN stellen-
dass (.) halt wirklich regelmäßig zur toilette gehen MUSS-
Anschließend stuft er diese Maßnahme dann jedoch wieder herab, als er da rauf hinweist, dass es sich nur um eine zusätzliche Maßnahme handeln sollte, was durch das noch (Z. 092) hervorgehoben wird, und er darauf verweist, dass diese Maßnahme üblicherweise auch nicht erfolgreich sei (Z. 095). Diese Absage an diese Maßnahme und damit möglicherweise auch an die subjekti ve Krankheitstheorie wird mehrfach verstärkt. Dies geschieht zum einen durch die Konstruktion mit zwar (Z. 092) und aber (Z. 092), wodurch der Arzt nun wieder die Maßnahme herabstuft, aber auch durch die Einleitung, wobei er mittels aber (Z. 092) eine Absage vorbereitet und sich bei dieser zudem auf seine Erfahrung beruft (Z. 092). Auch die Therapievorschläge, die er im Fol genden anführt und denen er einen Erfolg attestiert, wodurch er der Thera pieplanung vorausgreift, stufen diese Maßnahme erneut herab.
Im Erstkonsultationsgespräch APEG_16 (vgl. Fallbeispiel 40) reagiert der Arzt ebenfalls auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter, beantwortet dabei aber nicht die Frage auf der Textoberfläche, sondern behandelt es als Präsentation der SKT:
021 M 16 [oKAY-=das kann also au ]mal
|
sein dann muss ich nich gleich borrel[iosePAnisch] werden un so- |
||
022 |
A |
02 |
[nein NEIN |
023 |
A |
02 |
NEIN des sieht jetzt zunächst nich nach bor |
024 |
A |
02 |
reliose aus- des sieht aus wie wenn (.) 0 h DA: en biss |
|
|
|
chen- |
025 |
A |
02 |
(0.41) ((schmatzt)) vielleicht en bisschen dreck in die |
|
|
|
kleine (.) einstich BISSstelle gekommen is un- |
026 |
A |
02 |
des is so ne- |
027 |
A |
02 |
0hh (.) das ÄH:- |
028 |
A |
02 |
(0.38) brauch mer jetz noch nich an borrelIOse denken; |
029 |
A |
02 |
(.) 0 h an borreliose [muss ]man denken |
|
|
|
[wenn des ]jetz (0.2) immer GRÖßer wird ein richtiger (0.24) roter fleck- |
030 |
M |
16 |
[ ((stöhnt)) ] |
031 |
M |
16 |
[wenn des-] |
032 |
A |
02 |
der immer GRÖßer wird immer größer wird |
033 |
M |
16 |
(.) ja, |
034 |
A |
02 |
(.) und dann äh: (0.24) in der Mitte auch wieder |
035 |
A |
02 |
(0.38) BLASS wird- |
036 |
A |
02 |
sodass es dannen roter RING is |
037 |
|
|
(0.45) |
038 |
M |
16 |
oKAY, |
Obgleich sich diese Frage nicht in erster Linie auf die hier vorliegende Situa tion, sondern auf den generellen Verdacht einer Borreliose bei einer roten Stelle nach einem Zeckenbiss bezieht (Z. 021), bearbeitet der Arzt diese Frage als Eröffnung einer subjektiven Krankheitstheorie: Die Antwort auf die Fra-
ge hätte so aussehen können, dass er bestätigt, dass bei einer Rötung nach ei nem Zeckenbiss noch nicht gleich an Borreliose gedacht werden muss. Der Arzt wählt jedoch explizit die subjektive Krankheitstheorie ab und geht nicht auf die Generalisierung ein, sondern bezieht sich weiterhin auf den vorliegen den Fall, den er in dieser Situation nicht als verdächtig im Hinblick auf eine Borreliose einstuft (Z. 022-023). Allerdings gibt er auch an, dass er sich dabei auf den derzeitigen Eindruck beziehe und deutet durch zunächst (Z. 023) an, dass sich dieser Eindruck durchaus ändern könne. Dabei beschränkt er sich weiterhin auf den vorliegenden Fall und formuliert eine Hypothese, warum es in diesem Fall zu einer Entzündung gekommen sein kann, wobei er auf seinen Seheindruck verweist (Z. 024-025): Er gibt an, dass bei dieser Entzün dung vielleicht en bisschen dreck in die kleine (.) einstich BISSstelle gekommen (Z. 025) ist. Erneut betont er, dass ein Borrelioseverdacht in diesem Moment noch nicht geboten ist, schließt diesen Fall allerdings auch nicht kategorisch aus und erklärt, dass die Stelle weiterhin beobachtet werden muss (Z. 026- 042). Anschließend geht er darauf ein, wie die Bissstelle aussehen und sich verändern würde, wenn eine Borreliose vorliegen würde. Sollte die Hautpar tie sich dementsprechend verändern, erteilt er der Mutter den Auftrag, sich erneut zu melden- (Z. 042). Er grenzt dann diesen hypothetischen Fall aber von dem vorliegenden ab und erneuert seine bereits zweimal genannte Dia gnose, an der er weiterhin festhält (Z. 043-044).
Der Arzt reagiert auf die Frage der Mutter, indem er die subjektive Krank heitstheorie der Mutter sofort zu entkräften versucht. Allerdings wählt er die se nur für diesen Moment ab und erklärt, dass dieser Verdacht zwar noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, aber sich bisher nicht aufdrän ge. Dadurch, dass die subjektive Krankheitstheorie aufrechterhalten wird, indem diese weiterhin als Möglichkeit genannt wird, stuft er die subjektive Krankheitstheorie der Mutter hoch, obwohl er sie abwählt. Durch den mehr maligen Verweis auf das derzeitige Erscheinungsbild, das nicht dem einer Borrelioseinfektion entspreche, stuft er die subjektive Krankheitstheorie dann wieder herab.
Subjektive Krankheitstheorien werden unterschiedlich bearbeitet. Das hängt damit zusammen, dass die Theorien in bestimmten Phasen genannt werden, aber auch damit, dass diese in unterschiedlicher Art und Weise vorgebracht werden: Krankheitstheorien, die nach der Symptompräsentation - vor allem in der Phase der körperlichen Untersuchung, in der der Fokus des Arztes auf der Untersuchung liegt (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 21; sie he auch ten Have 1990) - eingebracht werden, scheinen besonders fruchtlos eingebracht zu werden. Auch wenn die Ärzte auf diese subjektiven Krank heitstheorien reagieren, werden diese in der Regel nicht ausgehandelt. Bei subjektiven Krankheitstheorien, die als Benennung der Symptome eingesetzt oder nach der Diagnosemitteilung erwähnt werden, ist die Wahrscheinlich-
keit, dass der Arzt sofort auf die Theorien reagiert, deutlich höher. Generell lässt sich jedoch feststellen, dass die subjektiven Krankheitstheorien, die mit einer großen Sicherheit eingebracht oder im Rahmen einer Frage präsentiert werden, in der Regel sofort bearbeitet werden. Dies trifft ferner eher auf die Theorien zu, die zur Symptombeschreibung verwendet oder erst nach der Diagnosemitteilung realisiert werden. Krankheitstheorien, die selbst durch die Eltern oder Patienten abgewählt oder herabgestuft wurden, auch wenn diese Herabstufung auch mit einer oder mehreren Hochstufungen einher geht, werden in der Regel nicht sofort durch den Arzt bearbeitet.
Die Ärzte reagieren eher auf Krankheitstheorien, die Bestandteil einer konkreten Frage sind, die eine Vorbereitung erkennen lassen, als noch ver folgte Theorie präsentiert oder mit großer Sicherheit eingebracht werden. Auf die Präsentation von Krankheitstheorien, die als unsicher oder bereits abge wählt offengelegt werden, gehen die Ärzte meistens nicht explizit ein. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Ärzte auf diese subjektiven Krankheitstheori en nicht reagieren. In den Fällen, in denen die Ärzte Indizien dafür finden, dass eine andere Erkrankung vorliegt, als vermutet wurde, bereiten sie dies mittels Onlinekommentaren, Ausschlussdiagnosen oder vorläufigen Diagno severmutungen vor.
Ausschlaggebender für die Reaktion als die Platzierung im Gespräch scheint demnach nach näherer Betrachtung die Art und Weise der Erwäh nung zu sein, die aber natürlich auch mit der Handlungsschemakomponente im Zusammenhang steht.
Die Patienten selbst sind in die Aushandlung von subjektiven Krankheits theorien in der Regel nicht eingebunden. Lediglich in einem Fall des Analyse korpus nennt eine Patientin eine subjektive Krankheitstheorie, die durch die Mutter jedoch auch nachträglich als ihre eigene identifiziert wird (vgl. hierzu Kap. 5).
Folgen für die Interaktion
Werden die subjektiven Krankheitstheorien durch den Arzt sofort bearbeitet, wie dies in APEG_04 der Fall ist (vgl. Fallbeispiel 38), wird die subjektive Krankheitstheorie im Gespräch nicht weiterverfolgt. Dies kündigt der Vater in APEG_04 sogar selbst an und packt überdies symbolisch die mitgebrachte Me dikamentenpackung, die simultan zur Präsentation der subjektiven Krank heitstheorie hervorgeholt wurde, wieder ein, was er ebenfalls kundgibt:
066 |
A |
02 |
NEE eigentlich net; |
067 |
A |
02 |
nee. |
068 |
V |
04 |
(na) [dann pack ich s glei wieder EIN |
069 |
A |
02 |
[des könnt s glaub ich NICHT; |
Nachdem der Arzt signalisiert hat, dass er diese subjektive Krankheitstheorie nicht für wahrscheinlich hält (Z. 066-067), kündigt der Vater an, dass er das mitgebrachte Medikament wieder in den Rucksack legen wird (Z. 068). Diese beschriebene Handlung führt er auch prompt aus. Entsprechend seiner An kündigungen wird die subjektive Krankheitstheorie durch den Vater auch in der weiteren Interaktion nicht weiterverfolgt.
In den meisten Interaktionen, in denen subjektive Krankheitstheorien nicht explizit bearbeitet werden, müssen Ärzte dagegen der 11 Skepsis gegenüber Diagnosen oder rekursive[n] Schleifen" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013,
S. 30) begegnen. So reagiert die Mutter in dem Erstkonsultationsgespräch APEG_14 etwa auf die Überleitung des Arztes zur körperlichen Untersu chung mit einer Wiederaufnahme der noch nicht bearbeiteten subjektiven Krankheitstheorie (vgl. ebd., S. 25ff. und Winterscheid/Kook i.Vorb.):
Fallbeispiel 43: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); BE (00:07.16-07:32.92); 00:30.57-01:07.36 & 06:49.01-07:09.98
M 14 un des HÄUFT sich halt-=JA,=
M 14 =un ich hab GSAGT-=
M 14 =SO,=jetz müss ma mal zum ARZT gehn-
-
M 14 weil so geht s ja net auf dauer WEiter-=ne-
019 A 02 (0. 31) hmHM;
020 M 14 ( .) geNAU-= 0 h
M 14 ( .) jetz DACHT ich ähm-
M 14 ( .) sie hat jetz ihre periüde seit nem halben jahr-
023 A 02 ( .) HMhm,
M 14 ( .) also kann ja dann einfach auch mit dem WACHStum zusammenhängen-=ne,
M 14 oh
A 02 hmHM,
M 14 ( .) WEISS net ts ähm-
M 14 (0.47) ob man BLUT untersuchen ( .) sollte-
M 14 oder oder oder vielleicht mal (en/äh) en EI senwert;
030 (0.54)
031 A 02 [gu]ck mer
032 M 14 [+++ l
033 A 02 [EINS nach ]em ANdern;
034 M 14 [++++++ +++
035 M 14 ( .) HMhm;
036 (0. 22)
M 14 ((lacht))
A 02 (0. 28) WANN hat des angefangen-
039 p - 14 (0.67) äh;
040 p- 14 (0.42) ach SO:-
A 02 [mit diesen ]KOPFschmer[zen;
-
p 14 [oh
-
-
p 14 [oh l ( .) ÄH:: also- 044 p 14 (0.61) in letzter zeit is es ziemlich ARG;
- -
p 14 ( .) aber (0.52) so RICHtig angefangen hat s vielleicht so im-
P 14 (.) vor_m (0.54) viertelJAHR,
A 02 (1.27) vor_nem VIERteljahr;
P 14 ja-
[ ... ]
A 02 (.) +++ dich da HOCH,
A 02 (0.57) zum unterSUchen;
M 14 (.) ich glaub du hast auch ziemlich stark deine TAge wenn du se hasch;
M 14 kann des SEIN,
-
p 14 (0.21) ja also an Einem tag schon-
M 14 ( .) JAja des ( .) sie:-
M 14 ( .) des is ziemlich HEFtig manchmal-=ne, 282 (0.89)
A 02 und des steht aber mit den kopfschmerzen nich in Zusammenhang damit dass du da deine tage has-
-
-
A 02 oder WIE is en des; 285 p 14 (0.23) äh:::-
-
p 14 (0.24) keine AHn[ung;
A 02 [habt ]ihr noch nich
A 02 ( .) hast du noch nich drauf geACHtet;
Der Arzt hat auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter bisher nicht re agiert und durch die Überleitung zur körperlichen Untersuchung auch signa lisiert, dass er diese Theorie im Moment nicht bearbeiten wird. Die subjektive Krankheitstheorie besteht darin, dass die Mutter einen Zusammenhang zwi schen dem Beginn der regelmäßig auftretenden Kopfschmerzen und dem Einsetzen der Menarche hergestellt hat (Z. 021-024). Die Mutter hat mit dem Hinweis darauf, dass nun etwas folgt, was sie sich überlegt hat (Z. 021), die subjektive Krankheitstheorie eingeleitet und nach der Information, dass die Patientin seit nem halben jahr (Z. 022) ihre periOde (Z. 022) hat, die subjektive Krankheitstheorie formuliert, die darin besteht, dass die Kopfschmerzen mit der Entwicklung der Patientin, was sie mit WACHStum (Z. 024) umschreibt, zusammenhängen könnte. Die Mutter schließt ein Frageanhängsel an, womit sie eine Reaktion des Arztes einfordert. Der Arzt reagiert mit einem Rückmel designal, woraufhin die Mutter Untersuchungsvorschläge unterbreitet (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 26f.).107
Auf diese reagiert der Arzt (vgl. auch Kap. 9.3) und beginnt nun mit Nach fragen zur Symptomatik. Dabei erfragt er etwa die Dauer der Beschwerden, zu der sich die Mutter bisher nicht geäußert hat, kommt aber zunächst nicht mehr auf die subjektive Krankheitstheorie der Mutter zu sprechen.
107 Das Beispiel wurde bereits in Kapitel 8 angeführt.
Nachdem der Arzt die Patientin bittet, sich für die körperliche Untersu chung vorzubereiten und damit signalisiert, dass er die Handlungsschema komponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration ab schließen möchte, reaktiviert die Mutter die subjektive Krankheitstheorie. Sie spricht den Arzt jedoch nicht erneut auf ihre Hypothese an oder erinnert die sen an die bereits eingebrachte Theorie, sondern wendet sich an die Patientin mit einer Frage (siehe auch Kap. 8), wobei sie sich eine Vorannahme von die ser mit ich glaub du hast auch ziemlich stark deine TAge wenn du se hasch; (Z. 277) bestätigen lässt (vgl. auch Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 26f. und Win terscheid/Kook i.Vorb.). Sie führt den erfragten Umstand, die Intensität der Menstruation, als eine Vermutung ein, die allein die Patientin als Trägerin der epistemischen Autorität (vgl. Heritage/Raymond 2005) bezüglich dieses Sach verhalts sicher beantworten kann. Dass dieser vermutete Umstand mit dem verhandelten Problem durch die Mutter in Bezug zueinander gesetzt wird, ist augenscheinlich, da der Umstand ansonsten nicht in der Arztpraxis verhan delt werden müsste und auch durch die Erwähnung ihrer subjektiven Krank heitstheorie bereits als Hypothese etabliert wurde. Die Patientin bestätigt - trotz Einschränkung - den von der Mutter vermuteten Umstand, woraufhin die Mutter zu einer Steigerung ansetzt und die Menstruation nun statt ziem lich stark (Z. 277) mit ziemlich HEFtig (Z. 281) umschreibt. Der Arzt wendet sich nun ebenfalls an die Patientin, die von der Mutter als diejenige Person stilisiert wurde, die über einen möglichen Umstand hinsichtlich der Menstru ation genauer Auskunft geben kann, der aber auch selbstverständlich die epi stemische Autorität über beide Phänomene innewohnt (Z. 283). Diese Strate gie der Mutter erweist sich insofern als erfolgreich, als dass der Arzt die subjektive Krankheitstheorie der Mutter nun ganz explizit mit den Gesprächs beteiligten aushandelt.
In diesem Fall konnte die Mutter die subjektive Krankheitstheorie durch eine Wiederaufnahme etablieren. Dies ist jedoch häufig nicht so. In APEG_06 ver weist die Mutter z.B. auf ihre subjektive Krankheitstheorie, die durch den Arzt nicht explizit bearbeitet wird (vgl. Fallbeispiel 37 oder Spranz-Fogasy/Winter scheid 2013, S. 22-25). Der Arzt bereitet während der Schemakomponente der körperlichen Untersuchung mittels Onlinekommentaren und einer Ausschluss diagnose eine abweichende Diagnose vor (vgl. Heritage/Stivers 1999):
Fallbeispiel 44: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); kU (00:59.09-03:02.73); 02:17.52-02:37.76
-
036 A 01 bauch is aber sons schön WEICH; 037 A 01 ( .) aber gluckern tut s ORdentlich;
-
A 01 also da geht so n magenDARMinfekt ( .) los;=ne,
-
M 06 ( .) gibt s
-
M 06 ( .) is grad im umLAUF, 041 A 01 (0.62)
042 M 06 ja
043 (3.13)
044 M 06 wei[l erst hab ich ]geDACHT- 045 A 01 [PRima; l
M 06 (0.53) weil ich MAIS gekocht hab-=ne,
M 06 des wissmer jetz dass ihr DES zu viel war;=ne- 048 ( 1. 85)
M 06 was heißt ZU viel,
-
M 06 ( .) dass se s [(net verträgt)
A 01 [weit AUF ]machen den mund;
Direkt im Anschluss an die Diagnosemitteilung, die im Rahmen der körperli chen Untersuchung mitgeteilt wird, hinterfragt die Mutter die Diagnose: Da bei stellt sie sich als eine erfahrene Person dar, die weiß, dass Magen-Darm infekte zumeist in Form einer Grippewelle grassieren und viele Menschen in kürzester Zeit betroffen sind. Dies verdeutlicht sie mit der Frage is_grad im umLAUF, (Z. 040). Der Arzt reagiert nur nonverbal, bestätigt aber diese An nahme, was die Mutter mit einer Rückmeldung mit steigender Grenzintona tion quittiert und somit erneut anzeigt, dass ihr der Umstand, dass gerade ein Magen-Darm-Infekt umgehen soll, nicht bekannt ist, wodurch sie zum ande ren die Diagnosemitteilung erneut vorsichtig in Zweifel zieht. Als darauf kei ne Reaktion des Arztes erfolgt, nennt sie nun - eingeleitet mit einem wei[l (Z. 044) - ihre subjektive Krankheitstheorie ein weiteres Mal, obgleich der Arzt die Diagnose schon gestellt hat. Dies erfolgt dieses Mal elaboriert. Erneut nennt sie den von ihr ausgemachten Verursacher, nämlich ein spezielles Le bensmittel (Z. 046), welches bereits in der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration benannt wurde. Dann verweist sie auf ein kollektives Wir (siehe Kap. 8.4), wobei nicht klar ist, wen dies alles einschließt, und beschreibt, dass dieses kollektive Wir über Wissen bezüglich einer gewissen Unverträglichkeit der Patientin gegenüber diesem bestimmten Lebensmittel verfüge. Außerdem führt sie noch eine selbstinitiier te Selbstkorrektur (vgl. Schegloff/Jefferson/Sacks 1977) durch, bei der sie her ausstellt, dass die Patientin nicht ZU viel (Z. 049) von dem entsprechenden Lebensmittel zu sich genommen habe, sondern die Patientin das Lebensmittel generell (net verträgt) (Z. 050). Da die SKT erneut angeführt wird, nachdem sie bereits Zweifel an der Diagnose des Arztes angedeutet hat, und die subjektive Krankheitstheorie das zweite Mal nun auch im Rahmen einer Begründungs struktur eingeführt wird, wird die Theorie hochgestuft. Gleichzeitig stuft die Mutter die Theorie jedoch auch herab, indem sie darauf verweist, dass die Auf stellung der Theorie im Vorfeld stattgefunden hat: wei[l erst hab ich ]geDACHT (Z. 044). Auch mit Hilfe der Tempuswahl sowie durch erst (Z. 044) wird die subjektive Krankheitstheorie als eine vormals aufgestellte und nun verworfe ne Theorie behandelt, wodurch eine Herabstufung der SKT stattfindet.
Erneut geht der Arzt jedoch nicht weiter auf die subjektive Krankheitsthe orie ein, sondern widmet sich nun dem zweiten Teil der körperlichen Unter suchung, bei der mögliche Folgen der diagnostizierten Erkrankung festge stellt werden sollen.
Auch wenn die subjektive Krankheitstheorie nun in der weiteren Interak tion nicht mehr erwähnt wird, realisiert die Mutter noch zwei Hinweise dar auf, dass sich die aufgestellte Diagnose nicht mit ihren Erfahrungen dieses Krankheitsbild betreffend vereinbaren lässt:
Fallbeispiel 45: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); Th (03:03.01-07:30.75); 05:19.18-05:28.66
107 M 06 108
109 M 06
110 A 01
-
111 p 06
112 A 01
113 M 06 114
((schmatzt)) also es geht grad RUM;
( 0. 26)
weil des is anscheinend der ERste fall im kindergarten
=ne,
( 1. 8)
äh
(.) wird wahrscheinlich NICH der einzige bleiben; (.) ((stöhnt)) (.) ((schnalzt))
( 0. 55)
Als der Arzt sich nach der Therapieverordnung Notizen in der Patientenakte macht, signalisiert sie erneut, dass sie Zweifel bezüglich der Diagnose hegt (Z. 107-109). Sie äußert nochmals ihr Erstaunen bezüglich der Diagnose, da der aus ihrer Sicht erwartbare Umstand, dass im Falle eines Magen-Darm-Infekts eine Grippewelle anzunehmen ist und neben der Patientin auch andere Kinder betroffen sein müssten, als aus ihrer Sicht ausgeblieben beschrieben wird. Ob sie zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs noch an der Diagnose zweifelt oder nur ihren vorherigen Zweifel ausdrückt, kann nicht mit Sicherheit ausgemacht werden, zumal sie in der vorausgehenden Intonationsphrase nochmals fest hält, dass nach dieser Diagnose davon auszugehen sei, dass eine Grippewelle umgehe (Z. 107). Mit der Formulierung is anscheinend der ERste fall im kinder garten (Z. 109) konkretisiert sie ihre Referenz bezüglich bekannter Krankheits fälle. Sie unterstreicht aber auch, dass dieser Hinweis nicht konkurrierend ein gebracht wird, indem sie durch die Bezeichnung als ERste fall (Z. 109) die Diagnose nun als solche annimmt. Durch das Adverb anscheinend (Z. 109) sig nalisiert sie darüber hinaus, dass es möglich ist, dass weitere Kinder betroffen sind, auch wenn es im Moment so aussieht, als wäre ihre Tochter die Einzige in der Einrichtung, die von einem Magen-Darm-Infekt betroffen ist. Durch die sen neuerlichen Hinweis zeigt sie allerdings ein weiteres Mal an, dass sich die ser singuläre Fall bei einem Magen-Darm-Infekt nicht mit ihrem Weltwissen deckt. Mit dem Hinweis auf eine konkrete Zahl führt sie auch implizit die Agenten der Institution als Zeugen an und durch das Frageanhängsel fordert sie dazu ein weiteres Mal auch vom Arzt eine Reaktion ein. Hier reagiert nun
der Arzt und erwähnt gegenüber der Mutter, dass er davon ausgeht, dass noch weitere Kinder betroffen sind oder betroffen sein werden, wodurch eine Grip pewelle implizit angenommen und ihr Argument entkräftet wird. Der Arzt wendet sich daraufhin erneut der Dokumentation zu.
Nach einer Weile geht die Mutter ein weiteres Mal auf die Diagnose ein:
Fallbeispiel 46: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); Th (03:03.01-07:30.75); 05:40.33-05:50.26
M 06 ich mein ich hab ja SCHON-
M 06 1. 1 magen darm mäßig bei der fleur v[iel aber ]SO;
A 01 [HMhm,
M 06 (0. 26) oh ( .) des st (0.51) also sie erbricht FÜNFmal hintereinander;=ne,
125 (0.57)
126 M 06 das hab ich noch nich erLEBT dass es so rausSCHWILLT;
Nach einer längeren Phase, in der der Arzt Notizen in der Patientenakte macht und die Mutter sich der Patientin widmet, setzt die Mutter erneut an und verweist auf ihre Kompetenz, die aus der Erfahrung mit diesem Krank heitsbild resultiert. Als Beweis verweist sie auf die Erfahrungen mit der Schwester der Patientin, die bereits häufig von Magen-Darm-Infekten betrof fen gewesen sei und ein geeignetes Beispiel darstellt, da diese Information für den Arzt nachvollziehbar ist, da die Schwester der Patientin ebenfalls Patien tin bei diesem Kinderarzt ist. Mittels ja (Z. 121) verweist sie darauf, dass dem Arzt bekannt sein müsste, dass sie bezüglich dieses Krankheitsbildes einige Erfahrungen gesammelt hat (vgl. auch Reineke 2016, S. 81-131). Dadurch dass ihm dieser Umstand bekannt sein müsste und sie dies auch explizit hervor hebt, macht sie ihn nun selbst zu einem Zeugen dieser Hochstufung. Nach dem sie die eigene Erfahrung hochgestuft und dies durch einen Umstand belegt hat, der dem Arzt bereits bekannt ist, beschreibt sie nun die Abwei chungen dieser Symptome von den üblichen. Dies gestaltet sie durch die Ak zentuierung, aber dann auch durch die besonders expressive Wortwahl: raus SCHWILLT; (Z. 126) wirkt beunruhigend und ist auch keine Beschreibung, die man üblicherweise bei der Beschreibung von Erbrechen erwartet. Auch der Hinweis auf das mehrfach hintereinander vorkommende Erbrechen stel len die Außergewöhnlichkeit der Symptomatik heraus.
Auch wenn die subjektive Krankheitstheorie bereits in der Phase der Beschwerdenschilderung angedeutet wurde, wird sie 11 erst nach einer Aus schlussdiagnose und einer diagnostischen Vermutung des Arztes [als solche] offengelegt" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 22). Die 11 sub jektive Krank heitstheorie, die im Vorfeld aufgestellt wurde, [bleibt] im Hintergrund wirk sam" (ebd.), obgleich die subjektive Theorie schließlich als eine Theorie aus gebreitet wird, die nun nicht mehr angenommen wird (Z. 109) (vgl. ebd.,
S. 22ff.). Nichtsdestoweniger verweist die Mutter regelmäßig auf die als ekla tant beschriebenen Abweichungen von Beobachtungen und dem Erfahrungs wissen, auf welches sie mehrfach referiert, und zeigt dadurch an, dass sie Zweifel gegenüber der Diagnose hegt, auch wenn sie auf der Textoberfläche angibt, trotz dieser Widersprüchlichkeiten dem Arzt hinsichtlich der Diagno se zu folgen (Z. 109) (vgl. ebd., S. 24f.).
Wenn die Ärzte nicht auf subjektive Krankheitstheorien eingehen, hat dies zumeist Auswirkungen auf das gesamte Gespräch. In den meisten Fällen fin det dann eine Wiederaufnahme durch die Eltern statt und auch Widerstand gegenüber prädiagnostischen Mitteilungen oder Diagnosen kann man beob achten, denn in den meisten Fällen deckt sich die subjektive Krankheitstheo rie nicht mit der im Gespräch aufgestellten Diagnose. Dies hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Eltern zumeist beschließen, einen Arzt zu konsultieren, wenn sich die eigenen aufgestellten subjektiven Krankheitsthe orien nicht als haltbar erweisen oder ergriffene Maßnahmen nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt haben (vgl. z.B. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 27-30).
Mitunter können Wiederaufnahmen jedoch auch ein Hinweis darauf sein, dass die Bearbeitung der subjektiven Krankheitstheorie nicht ausreichend war:
So wurde in APEG_03 zwar die von der Mutter zitierte subjektive Krank heitstheorie - oder zumindest der daraus resultierende Therapievorschlag - der Erzieherinnen bearbeitet (vgl. Fallbeispiel 39), die Mutter bringt die subjektive Krankheitstheorie dennoch erneut ein, nachdem der Arzt den An wesenden signalisiert hat, dass er nun zur körperlichen Untersuchung schrei ten möchte:
Fallbeispiel 47: APEG_03 (A-Pw3-MN; ca. 27:02min); BE -Teil2 (08:13.44-10:02.15); 09:36.30-10:02.15
069 M 03 also sie hatt jetz auch (noch) ne GÜRtelrose, 070 M 03 was JA ( .) eve
071 M 03 (0.21) Oder-
072 M 03 (1.79) kannst,
M 03 (0.87) des is ja eher auch so dass sie eventuell (1.12) PSYchisch (war/da) (0.26) belastet is,
M 03 (0.49) dass SO was (0.2) mit kommen kann,
075 M 03 (0.22) Oder-
076 M 03 (0.65) (kann) man des mit darauf (2.01) zurückFÜHren- 077 M 03 oder pff würden sie jetz sagen eher NICH-
078 V 03 komm,
079 (1.37)
080 M 03 aber dass man SO was in DEM alter hat-=oder- 081 A 01 (0.56) KOMMT schon mal häufiger vor-
082 A 01 (0.39) komm,
Nach der Überleitung zur nächsten Handlungsschemakomponente ergreift die Mutter nochmals die Initiative und bringt die zuvor schon einmal implizit und einmal explizit erwähnte subjektive Krankheitstheorie nun als Theorie ein, die als Schlussfolgerung aus einer vorliegenden Erkrankung abgeleitet werden könne. Das Auftreten der bei der Patientin diagnostizierten Krankheit wird aufgrund des Alters der Patientin als auffällig beschrieben und von der Mutter zugleich als Beleg dafür herangezogen, dass die Patientin offensicht lich doch ein psychisches Problem habe. Hier verweist sie nun nicht mehr auf die Erzieherinnen, die diese Theorie aufgestellt haben, sondern präsentiert die subjektive Krankheitstheorie als eine, auf die man aufgrund der Gegeben heiten schließen könne. Erneut beansprucht sie jedoch auch hier keine Urhe berschaft an dieser Theorie. Die Nennung der subjektiven Krankheitstheorie geht erneut mit Modalitätspartikeln, wie eventuell (Z. 070/073), einher. Mit den Frageanhängseln - jeweils als oder (Z. 071/075/080) realisiert - fordert sie den Arzt zu einer Reaktion bezüglich der subjektiven Krankheitstheorie auf. Der Arzt reagiert auch, bearbeitet aber auch hier die subjektive Krankheits theorie nicht explizit, sondern negiert lediglich die Schlussfolgerung, dass bei einer Gürtelrose auf eine solche Krankheit geschlossen werden muss, wo durch er das Argument entkräftet (Z. 081). Dabei reagiert er auf die allge meingültige Feststellung und beruft sich darauf, dass dies 11 schon mal" pas siere, wodurch er der Dramatik der Beschreibung entgegenwirkt. Durch die Verwendung von häufiger (Z. 081) bestreitet er überdies die Singularität dieses Ereignisses.
Dass die subjektive Krankheitstheorie noch nicht wirklich bearbeitet wurde, führt dann im Rahmen der Therapieplanung zu einer weiteren Wiederaufnahme:
Fallbeispiel 48: APEG_03 (A-Pw3-M/V; ca. 27:02min); Th -Teil3 (15:18.37-26:56.62); 23:33.39-23:53.67
358 |
V |
03 |
jo-=SCHAU mer mal-=ne, |
359 |
M |
03 |
na GUT; |
360 |
M |
03 |
ja:- |
361 |
M |
03 |
jetz- |
362 |
M |
03 |
(.) bin ich irgendwie erst mal mit der GÜRtelrose so en bissel- |
363 M 03 (.) hh 0 |
|||
364 |
V |
03 |
beSCHÄFtigt; |
365 |
M |
03 |
[beSCHÄFtigt |
366 |
A |
01 |
[ja gut; |
367 |
M |
03 |
und w[eil ich Jauch WILL dass sie- |
368 |
A |
01 |
[hm, |
369 |
M |
03 |
(.) ja |
370 |
|
|
(1. 32) |
371 |
V |
03 |
((schnieft)) |
372 |
M |
03 |
ich |
]WEISS [nich- |
373 |
V |
03 |
|
[((schnieft)) |
374 |
M |
03 |
Oder- |
|
375 |
M |
03 |
is des NICH:- ((Abbruch)) |
|
376 |
|
|
( 1. 27) |
|
377 |
M |
03 |
WIR sind da ja auch angespannt-=ne |
|
378 |
M |
03 |
(.) wenn- |
|
379 |
|
|
( 0. 35) |
|
380 |
A |
01 |
NÖ:-[waRUM- |
|
381 |
M |
03 |
[(mit solchen SA) |
|
382 |
|
|
( 0. 44) |
|
383 |
V |
03 |
hm- |
|
384 |
M |
03 |
(.) ((Lachansatz)) |
|
385 |
A |
01 |
((Lachansatz)) ich hoffe sie sind dann bald ganz entSPANNT- |
Am Ende der Therapieplanung greift die Mutter die SKT zwar nicht noch einmal explizit auf, verweist allerdings darauf, indem sie noch ein weiteres Mal die Erkrankung der Patientin nennt, die einen Beleg für die SKT darstellt. Dadurch aktiviert sie die SKT nochmals indirekt, da sie die Gürtelrose ja als Beleg für die subjektive Krankheitstheorie angeführt hatte. Auch erwähnt die Mutter hier lediglich, dass sie noch mit dieser Erkrankung beSCHÄFtigt (Z. 365) sei. Dieser Äußerung ist eine kollaborative Satzergänzung des Vaters vorausgegangen (Z. 364). Dadurch dass hier beide Eltern dasselbe Verb ver wenden, wird ein Konsens der Eltern präsentiert. Die längere durch ein Ein atmen gefüllte Pause signalisiert hingegen, dass es Probleme bei der Realisie rung gibt. Warum sie angibt, noch mit der GÜRtelrose (Z. 362) beSCHÄFtigt (Z. 365) zu sein, wird des Weiteren nicht weiter ausgeführt. Möglich wäre, dass diese Erkrankung noch nicht ausgestanden ist oder die Strapazen dieser Erkrankung für sie immens waren. Dies kann anhand des Gesprächs jedoch nicht abgelesen werden. Anschließend geht sie auf einen weiteren Punkt ein, den sie mit und w[eil (Z. 367) anschließt, wobei sie Bedenken gegenüber der Therapieplanung anmeldet, wodurch auf der Textoberfläche eine Beziehung zur SKT hergestellt wird. Dadurch, dass die Mutter immer wieder neu an setzt, Modalisierungen wie irgendwie und bissel (Z. 362) realisiert und längere Pausen macht, wird augenscheinlich, dass hier etwas ausgeführt wird, was potenziell heikel ist. Während bei der ersten Nennung der vormals diagnosti zierten Erkrankung der Patientin die subjektive Krankheitstheorie noch abge leitet wurde (vgl. Fallbeispiel 47), wird auf die Erkrankung in dieser Sequenz nur hingewiesen, wodurch die subjektive Krankheitstheorie, die für die Mut ter in Verbindung mit dieser Krankheit steht, als pars pro toto erneut einge bracht wird. Der Arzt geht erneut nicht auf die subjektive Krankheitstheorie ein, sondern lediglich auf ihre Bedenken bezüglich der Therapieplanung und prognostiziert lediglich einen Therapieerfolg, der für eine Entspannung der Situation sorgen werde (Z. 385). Daraufhin geht er nochmals auf die Thera-
pieverordnung ein und fordert die Eltern nun dazu auf, sich auch an diese zu halten. Dies ist eine Reaktion auf vermutete Non-Compliance der Eltern durch den Arzt. Die Eltern haben teilweise durch reduzierte Rückmeldesigna le, aber auch durch explizite Hinweise ihren Zweifel ausgedrückt. Sitzwohl (2004) bezieht sich auf eine Studie von Korsch, wenn er festhält, dass 11 ledig lich 16%" derjenigen, die mit der Arzt-Patient-Kommunikation unzufrieden waren, compliant sind (vgl. ebd., S. 7). Er konstatiert, dass 11 Ratsch läge"nicht angenommen und verordnete Arzneimittel nicht angewandt werden und so mit 11 in Österreich jährlich Medikamente im Wert von mehreren 100 Millionen Euro im Müll landen" (ebd.). Erst als der Arzt die Verordnung erneut zusam menfasst und damit die Verabschiedung einleitet, kommt er nun doch auf die Empfehlung der Erzieherinnen zurück, die mit der durch die Mutter wieder aufgenommenen subjektiven Krankheitstheorie verknüpft ist, und beschreibt, warum er diese Maßnahme nicht für sinnvoll erachtet:
Fallbeispiel 49: APEG_03 (A-Pw3-M/V; ca. 27:02min); Th -Teil3 (15:18.37-26:56.62); 25:21.34-26:00.72
A 01 un dann beRICHten sie in fünf wochen mal:-
V 03 ((räuspert sich))
A 01 (0.7) wie s geWORden is-
V 03 bin ich da mal GSPANNT;=ja-
A 01 aber MACHen sie- s jetz wirklich-=
A 01 =ziehen se s DURCH-
439 (0.44)
440 M 03 HMhm-
441 (0.2)
442 A 01 auch wenn sie jetz beDENken h[aben-
443 M 03 [((Lachansatz))
444 A 01 ( .) ((lacht))
445 A 01 (0.21) und sie des beLAStend empfi nden-=0 h
446 (6. 31)
447 M 03 oh
448 (0. 31)
449 A 01 und SIE durchblickt das ganze nich;
450 (0.69)
M 03 ja-
A 01 deswegen BRINGT da: auch ne psychotherapie wenig-=ne,
V 03 HM[hm, l
A 01 [we ]il-
A 01 oh (0. 36) wie woll man diese PLÖTZlichen zusammenziehungen beeinflussen-
A 01 und dass se des nich MERKT-
A 01 (.) 0 h (.) is nun mal S0-
A 01 weil das so PLÖTZlich [kom ]mt-
M 03 [HMhm-]
460 (2.91)
Im Rahmen der Diagnosemitteilung hat der Arzt zwar bereits körperliche Gründe für die Problematik angeführt, dies aber nicht in Bezug zu pyschi schen Problemen oder bezüglich einer therapeutischen Behandlung erörtert. Das holt er an dieser Stelle nach und stellt nun heraus, nachdem er die Eltern erneut in die Pflicht genommen hat, der Verordnung nachzukommen (Z. 437/438), warum seine medikamentöse Behandlung erfolgsversprechender ist (Z. 449/452/454-458). Er unterstreicht diese Aufforderung mit dem Adverb wirklich (Z. 437). Diese Aufforderung macht noch einmal deutlich, dass er die Therapietreue als gefährdet ansieht. Die Mutter reagiert hier nun mit einer Rückmeldung. Daraufhin nennt der Arzt sogar die Gründe, warum die The rapietreue möglicherweise gefährdet ist. Er führt angenommene Bedenken aufseiten der Eltern sowie eine vermutete Belastung durch das Verfolgen der Therapie an (Z. 442-445). Auf diese Konkretisierung der Gründe, die der Arzt darlegt, reagiert die Mutter mit einem Lachansatz (Z. 443), entgegnet ansons ten aber nichts. An diesem Punkt kommt der Arzt nun nochmals auf den von der Mutter zitierten Therapievorschlag, der mit der subjektiven Krankheits theorie der Erzieherinnen zusammenhängt, zu sprechen, welchen er nun am Ende des Gesprächs das erste Mal deutlich ablehnt. Diese Ablehnung wird damit begründet, dass diese Maßnahme in dem vorliegenden Fall völlig sinn los wäre, da das Problem etwas sei, auf das die Patientin keinen Einfluss habe, weil es sich um ein rein körperliches Problem handele (Z. 454-458). Der Arzt legt dabei den Fokus auf die Zeitlichkeit, die das besondere Problem dieser Symptomatik sei (Z. 455-458). Gerade, weil diese Kontraktion so schnell erfol ge, habe die Patientin keine Möglichkeit zu reagieren (Z. 455-458). Durch die wörtliche Wiederaufnahme von PLÖTZlich (Z. 458) wird dies hervorgehoben und dadurch, dass in beiden Intonationsphrasen der Fokusakzent jeweils auf PLÖTZ (Z. 455/458) liegt, zusätzlich markiert.
Das gesamte Gespräch über gibt es Phasen, in denen Rückmeldungen der Eltern ausbleiben oder nur sehr leise und zurückhaltend realisiert werden, aber auch einige durch die Eltern vorgebrachte Argumente gegen einen sofor tigen Beginn oder eine generelle Bereitschaft, die Medikamente einzusetzen, sowie möglicherweise konkurrierende Therapievorschläge. Der Arzt geht hin und wieder darauf ein, fordert auch jeweils Reaktionen der Eltern ein, ent kräftet auch bisweilen die Argumente der Eltern, spricht der Patientin oder den Eltern Mut zu und wendet sich dann am Ende der Interaktion auch direkt an die Eltern, um sie nun eindringlich dazu aufzufordern, die Therapie tat sächlich umzusetzen. Gerade am Ende des Gesprächs - nachdem die Mutter ein weiteres Mal auf die Gürtelrose verwiesen hatte, die sie an einem früheren Zeitpunkt des Gesprächs mit der subjektiven Krankheitstheorie in Verbin dung gebracht hatte - reagiert er aber nun ganz vehement auf die angenom mene Non-Compliance oder zumindest den Verdacht, dass hier die Compli ance in Gefahr ist, und erteilt das erste Mal dem subjektiven Therapievorschlag eine klare Absage. Die subjektive Krankheitstheorie bearbeitet er auch hier
nur implizit, indem er aufgrund der von ihm ausgemachten Diagnose eine den Körper betreffende Ursache nennt. Dass er diesen erhöhten Aufwand be treibt, lässt vermuten, dass er die elliptischen Äußerungen, die Pausen, die Modalisierungen, die angesetzten Begründungen als Zweifel an Diagnose oder Therapie und/oder die Erwähnung der Gürtelrose als pars pro toto aufge fasst hat für die bereits zuvor erwähnte subjektive Krankheitstheorie, welche offensichtlich weiterhin aktiv ist. Das würde auch erklären, warum der Arzt nun nochmals am Ende des Gesprächs auf die zu Anfang gleich eingebrachte subjektive Krankheitstheorie eingeht. Die Theorie wurde anfangs als Hypo these Dritter dargelegt. Diese wird durch den Arzt zwar bearbeitet, wobei anfangs offenbleibt, ob er der Maßnahme oder der subjektiven Krankheitsthe orie dahinter widerspricht. Als die Mutter die subjektive Krankheitstheorie - dieses Mal als Schlussfolgerung aus einer vorliegenden Erkrankung - erneut nennt, wird schon allein durch die Wiederaufnahme offensichtlich, dass die subjektive Krankheitstheorie weiterhin für möglich gehalten wird und es sich tatsächlich nicht nur um eine subjektive Krankheitstheorie Dritter handelt. Bei der Wiederaufnahme gibt es zusätzlich keinen weiteren Hinweis auf Drit te, vielmehr wird die subjektive Krankheitstheorie als Schlussfolgerung aus der vorliegenden Situation - insbesondere der diagnostizierten Erkrankung der Patientin - präsentiert. Der Arzt widerspricht der subjektiven Krankheits theorie an dieser Stelle noch nicht, produziert aber einen Einspruch bezüglich der dargelegten Argumentationskette. Während des gesamten Gesprächs re alisieren die Eltern immer wieder Einsprüche und Argumente gegenüber der Therapieplanung sowie Phasen, in denen eine reduzierte Rückmeldung der Eltern zu beobachten ist. Dies zieht sich durch das gesamte Gespräch hin durch. Der Arzt reagiert darauf, indem er immer wieder den Einwänden wi derspricht und bei der Diagnosemitteilung explizit auf eine körperliche Ursa che verweist, wodurch er faktisch der SKT widerspricht. Nachdem die Mutter ein weiteres Mal auf die subjektive Krankheitstheorie mittels Stichwort hinge wiesen hat, widerspricht der Arzt klar einer solchen Maßnahme und themati siert, dass er davon ausgeht, dass die Gesprächsbeteiligten der Therapiemaß nahmen kritisch gegenüberstehen und er ihnen versichert, dass diese Abhilfe schaffen werden. Durch die sehr späte Bearbeitung der SKT bleibt diese wäh rend der gesamten Interaktion 11 im Hintergrund wirksam" (Spranz-Fogasy/ Winterseheid 2013, S. 22).
Subjektive Krankheitstheorien gibt es in den meisten pädiatrischen Gesprächen und sie werden - wenn sie genannt werden - in der Regel durch die Eltern vorgebracht. Abhängig von dem Zeitpunkt und der Art und Weise, wie diese präsentiert werden, werden die subjektiven Krankheitstheorien durch den Arzt bearbeitet. Werden diese Theorien ausreichend bearbeitet (siehe APEG_04) - dabei ist im Übrigen egal, ob die Bearbeitung durch den Arzt positiv oder nega tiv ausfällt-, erfolgt keine Wiederaufnahme mehr durch die Eltern. In den Fäl-
len, in denen der Arzt nicht explizit oder nicht ausreichend auf die subjektiven Krankheitstheorien reagiert, kommen die Eltern zumeist erneut auf diese zu sprechen (vgl. z.B. APEG_03/APEG_06/APEG_14). In den meisten Fällen wer den subjektive Krankheitstheorien nicht sofort bearbeitet, weswegen sich diese 11 Schlüsselthemen [Hervorhebung im Original] [...] durch die einzelnen Gesprä che" und die damit verbundenen 11 Aushan dlungsp rozesse" unnötig in die Län ge ziehen (vgl. Birkner 2006, S. 176f.). Während die Mutter in APEG_06 ihre subjektive Krankheitstheorie trotz Wiederaufnahmen nicht etablieren kann, wird die subjektive Krankheitstheorie der Mutter in APEG_14 nach der Wie deraufnahme durch den Arzt bearbeitet. Demzufolge kann 11 das wenig respon sive Verhalten des Arztes dazu[führen], dass die [Eltern] eher skeptisch auf die Diagnosemitteilung [Hervorhebung im Original] reagier[en]" (Spranz-Fogasy/ Winterseheid 2013, S. 21).
Dass die Eltern die subjektiven Krankheitstheorien mehrfach nennen, kann daneben aber auch damit zusammenhängen, dass die subjektive Krank heitstheorie angeführt wird, weil diese das späte Erscheinen (APEG_13) oder das frühe Erscheinen (APEG_32) in der ärztlichen Praxis legitimiert. 11 Die Po sitionierung und Formulierung von Selbstdiagnosen erfordert deshalb viel Sensibilität" durch die Ärzte (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 100). Wenn sub jektive Krankheitstheorien 11 bereits frühzeitig im Gespräch ermittelt werden", kann das demnach 11 diagnostisch wertvoll" sein und gleichzeitig 11 störende[n] Einflüsse[n] verdeckter Orientierungen" vorbeugen (Spranz-Fogasy/Winter scheid 2013, S. 29f.). 11 Die mangelnde Berücksichtigung elterlicher Überlegun gen entwertet[...] das elterliche Engagement und ist der Therapiebereitschaft und damit der Compliance [hingegen] nicht förderlich" (ebd., S. 27; vgl. auch Brinker 2006).
Subjektive Ausschlusstheorien
Neben den subjektiven Krankheitstheorien gibt es auch Krankheitsbilder, die durch die Eltern im Vorfeld ausgeschlossen wurden.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
In APEG_0S wird z.B. keine subjektive Krankheitstheorie präsentiert, dafür aber eine Ausschlusstheorie.
Fallbeispiel 50: APEG_0S (A-Pw8-V; ca. 4:30min); kU (01:00.26-01:40.60); 01:17.35-01:36.33
012 A 01 zeig mal her deine (.) AUgen- 013 A 01 (2.48) warn die auch verKLEBT,
014 (0.29)
015 V 08 nee-
016 |
A |
01 |
(0.45) hm. |
017 |
V |
08 |
meinen sie SO irgendwie auf (.) äh |
018 |
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(1. 77) |
019 |
V |
08 |
na; |
020 |
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( 1. 82) |
021 |
V |
08 |
wie HEISST S |
022 |
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( 0. 31) |
023 |
V |
08 |
des TYpische bei kindern wo die augen verklebt sind; |
024 |
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( 1. 49) |
025 |
V |
08 |
NA egal- |
026 |
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( 0. 53) |
027 |
V |
08 |
ähm- |
028 |
A |
01 |
(.) <<piano> (du kannst) > |
029 |
V |
08 |
(.) DAnach sah_s jedenfalls nich aus; |
Der Vater in APEG_0S präsentiert während der Untersuchung eine Aus schlussdiagnose, bei der er Formulierungsschwierigkeiten angibt. Initiiert wird dies durch eine Frage des Arztes danach, ob die Augen auch ver KLEBT (Z. 013) gewesen seien. Der Vater beantwortet zunächst die Frage, indem er den erfragten Zustand verneint (Z. 015), und bearbeitet dann den Verdacht, den er hinter der Frage vermutet. Der Vater nimmt hinter der Frage des Arz tes einen Abgleich der Symptome an, die bei einer Bindehautentzündung vor kommen, mit den vorliegenden Symptomen. Dies leitet er damit ein, dass er sich bei dem Arzt explizit danach erkundigt, ob diese Frage nach einer Zu standsbeschreibung eigentlich eine Frage nach einem Symptom, welches mit einer bestimmten Krankheit zusammenhängt, sei (Z. 017-023). Bei der Formu lierung dieser Frage gibt der Vater jedoch Formulierungsschwierigkeiten an, die darin bestehen, dass ihm der Name des Krankheitsbildes, von dem er vermutet, dass der Arzt dieses mit seiner Frage abgleicht, nicht mehr präsent ist. Er produziert ein Häsitationsphänomen sowie eine Pause und manifes tiert durch diese Verzögerung seine Formulierungsprobleme. Durch die In terjektion na; (Z. 019) signalisiert er dem Arzt überdies, dass er den Namen der Krankheit prinzipiell kennt und diesen trotzdem im Moment nicht nen nen kann, wobei er auch eine gewisse Ungeduld oder Ungläubigkeit ob die ses Vorfalls ausdrückt. Dabei fordert er den Arzt mit wie HEISST _S- (Z. 021) auf, ihm bei der Formulierung zu helfen (vgl. z.B. Schegloff!Jefferson/Sacks 1977, S. 375). Als jedoch auf die Reparaturinitiierung keine Reaktion durch den Arzt erfolgt, der weiterhin mit der Untersuchung der Patientin beschäf tigt ist, liefert der Vater noch weitere Informationen, die dem Arzt bei der Fremdreparatur behilflich sein könnten (Z. 023); (vgl. auch Schegloff!Jeffer son/Sacks 1977, S. 375). Als auch hierauf keine Reaktion des Arztes erfolgt, erklärt der Vater den Versuch der Benennung sowie der Reparatur mit NA egal- (Z. 025) für gescheitert und hält fest, dass das angenommene Krank-
heitsbild, das nach seiner Auffassung durch den Arzt abgeklärt wurde, seiner Meinung nach ausgeschlossen werden kann (Z. 029).
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Ausschlusstheorien
Der Arzt unterstützt den Vater in APEG_0S bei der Formulierung trotz Reparatu rinitiierung nicht und reagiert auch nicht auf die Ausschlusstheorie des Vaters, sondern erklärt der Patientin nach einer längeren Pause, dass die Untersuchung nun beendet ist und sie sich wieder zu ihrem Vater setzen dürfe (Z. 033-034). Das 11 Fehlen vokaler Reaktionen" kann zurückgeführt werden auf das 11 Befaßtsein mit der Durchführung einer technisch orientierten Untersuchung" (ten Have 1990, S. 107). Nachten Have zeigen fehlende Reaktionen, dass die Informationen als 11 lokal irrelevant behandelt wurden", was damit zusammenhängt, dass
1.) ein Informationsaustausch in dem spezifischen Moment nicht ansteht oder daß 2.) die betreffende Information nicht explizit erfragt worden ist oder daß 3.) die Information Teil einer Klage über Beschwerden ist - sei sie wiederholend oder kontrastierend ausgeführt- oder daß 4.) die Pointe der Darstellung noch nicht deutlich gemacht wurde. (ebd., S. 118)
In diesem Beispiel treffen mehrere Punkte zu. So ist diese Information nicht erfragt worden und der Arzt hat derzeit auch noch nicht die Diagnose ver handelt, da er noch mit der körperlichen Untersuchung beschäftigt ist. Ten Have stellt auch die Vermutung an, dass das Fehlen der verbalen Reaktion als 11 eine mögliche, spezifische Strategie zur Behandlung solcher Situationen an gesehen werden [kann]" und damit eine 11 Strategie des passiven Duldens und Wartens [ist], bis sich eine Gelegenheit ergibt, zu anderen Aktivitäten überzu gehen" (ebd., S. 118). Nachdem der Vater seine Ausführungen beendet hat, schließt der Arzt auch die Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung ab.
Folgen für die Interaktion
Die durch den Vater während der Untersuchung ausgeschlossene Erkran kung wird durch den Arzt nicht weiter bearbeitet. In der Handlungsschema komponente Diagnosemitteilung teilt der Arzt dem Vater nun mit, dass er davon ausgeht, dass es sich um eine allergische Reaktion handele.
In der Phase der Therapieplanung beschreibt der Arzt dann ein zwei schrittiges Vorgehen. Er kündigt an, der Patientin nun erst einmal Cortison haltige Augentropfen aufzuschreiben, die gegen die Symptome seien, und erklärt weiter, dass er seiner angenommenen und in der Handlungsschema komponente der Diagnosemitteilung auch dargelegten Diagnose nachgehen werde, sollten die Symptome nach dem Abklingen erneut auftauchen. Auf die
Nachfrage des Vaters zu den verordneten Augentropfen, beschreibt der Arzt, dass die Bindehäute entzündet wären, woraus geschlossen werden kann, dass der Vater mit der Vermutung, der Arzt könne eine Bindehautentzün dung annehmen, richtig lag:
Fallbeispiel 51: APEG_08 (A-Pw8-V; ca. 4:30min); Th (02:24.15-04:17.86); 02:46.65-03:08.62
V 08 (0.33) un des heißt DIEse (.) augentropfen gegen was sind die dann oder,
A 01 (0.28) 0 h die nehmen einfach ihren entzün dungsrei[z-
015 |
V |
08 |
[<<piano> OKAY>, |
016 |
A |
01 |
sie:- |
017 |
V |
08 |
(.) ja gibt_s einen e[nt |
018 |
A |
01 |
[bindeHÄUt]e sind einfach- |
019 |
|
|
( 0. 24) |
020 |
A |
01 |
sin ganz leicht geFÄSSindiziert- |
021 |
A |
01 |
°h un si]n auch TROckener- |
022 |
V |
08 |
HMhm, |
023 |
A |
01 |
(.) und_s (.) des beHEben die augentropf[en ]dann- |
024 |
V |
08 |
[hm- |
025 |
|
|
(3.17) |
026 |
V |
08 |
des heißt die vermutung is dass es (.) ne BINdehautentzündung is- |
027 |
A |
01 |
(2.49) |
028 |
V |
08 |
°h |
Vermeintlich hat der Arzt also die Diagnose aufgestellt, die der Vater zuvor ausgeschlossen hatte. Allerdings hat der Arzt den Vater nicht darüber aufge klärt, dass es eine ganze Reihe verschiedener Bindehautentzündungen gibt und sich die hier angenommene von der Bindehautentzündung unterschei det, die der Vater ausgeschlossen hatte (vgl. Roche 2003, S. 356f.). Der Thera pievorschlag des Arztes gibt bereits einen Hinweis darauf, dass unterschied liche Erkrankungen anzunehmen sind: Die von ihm angenommene Binde hautentzündung, die er als TYpische (Z. 023) Kinderkrankheit umschreibt, wird in der Regel mit Antibiotikum behandelt, während der Arzt ja eine kurz zeitige Behandlung mit einem Cortison-haltigen Präparat vorschlägt. Corti son wird häufig bei allergischen Reaktionen eingesetzt. So wird auf der Seite www.allergie-ratgeber.de Cortison als 11 das am besten wirksame Antiallergi kum" bezeichnet.108 Dort wird auch darauf hingewiesen, dass Cortison-halti ge Präparate - insbesondere 11 Augentrop fen" -, 11 nur kurzfristig angewendet werden [sollten]" (vgl. Fußnote 109). Dieser Umstand könnte aus der Emp fehlung abgeleitet werden, erneut vorbeizukommen, wenn die Beschwerden wieder auftauchen sollten, sowie der Ankündigung, ihr in diesem Fall dann
108 Vgl. www .allergie-ratgeber.de/antiallergisch-wirksame-medikamente/ (Stand: 20.8.2017).
antiallergische Augentropfen zu verordnen. Dies kann damit zusammenhän gen, dass 11 [b]ei circa einem Viertel aller Patienten, die Corticoide systemisch oder lokal verordnet bekommen, [...] der Augendruck etwa zwei Wochen nach Therapiebeginn an[steigt]".109 Somit stehen auch diese Augentropfen, die zunächst eingesetzt werden sollen, im Zusammenhang mit der noch nicht verifizierten Diagnosemitteilung des Arztes, aber nicht mit der Ausschlussdi agnose des Vaters. Die Nachfrage des Vaters, ob es sich demnach um eine Bindehautentzündung handele, wird nur nonverbal beantwortet. Der Arzt blickt zur Patientenakte, schreibt etwas und nickt einmal bestimmt, wobei er den Blick nicht von der Patientenakte abwendet. Daraufhin stellt der Vater keine weiteren Fragen, die mit der Ausschlussdiagnose oder der Diagnose des Arztes zusammenhängen. Der Arzt notiert sich noch etwas in der Patienten akte und geht schließlich auf die Verordnung ein:
Fallbeispiel 52: APEG_08 (A-Pw8-V; ca. 4:30min); Th (02:24.15-04:17.86); 03:26.30-04:17.86
036 A 01 vier ( .) mal am TA:G- 037 V 08 (0.34) Bitte-
A 01 ( .) viermal a[m TA:G-
V 08 [VIERmal am tag;
040 (4.11)
041 p 08 <<piano> was >,
042 (1. 5)
A 01 un eine woche LANG-
A 01 ( .) soll[t s ]dann Wider erwartend nich besser werden:-
V 08 [HMhm;
A 01 dann (.) seh ich sie WIEder-
A 01 °hh (0.25) Oder wenn es nach absetzen der augentropfen dann wieder schlimmer wird;
V 08 <<piano> oKAY >,
049 V 08 ( .) h[m,
050 A 01 [n l e,
051 (7.84)
052 ((Unterbrechung durch die Arzthelferin; ca. 12.92s)) 053 (6.57)
054 A 01 oh (0.35) gut?
055 V 08 (0.28) oKAY,
A 01 rezept gibt s DRAUßen noch-
[
A 01 darf ich ihr noch ne BREzel [gebe l n, 058 V 08 0 h ja KLAR,
Der Vater reagiert während der Therapieplanung sehr verhalten, was den Arzt dazu veranlasst, ein Frageanhängsel zu formulieren, um eine weitere Reaktion des Vaters einzufordern. Diese bleibt allerdings aus. Da in diesem
109 www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=42282 (Stand: 20.8.2017)
Moment eine Arzthelferin den Raum betritt und mit dem Arzt interagiert, kann hier keine Aussage dazu getroffen werden, ob der Arzt in einem Falle, in welchem keine Unterbrechung erfolgt wäre, diese zurückhaltende Reaktion noch bearbeitet hätte. Als die Arzthelferin den Raum wieder verlassen hat, leitet der Arzt die Gesprächsbeendigung ein, die durch den Vater ratifiziert wird (Z. 054-058).
In dieser Erstkonsultation wurde zwar keine subjektive Krankheitstheorie an gedeutet oder dargelegt, aber es wurde ein Krankheitsbild ausgeschlossen. Dass diese ausgeschlossene Erkrankung nicht identisch ist mit der diagnosti zierten Erkrankung, wurde durch den Arzt nicht bearbeitet. Birkner hat dar auf hingewiesen, dass 11[ d]ie Anerkennung und Beachtung von SKT [gemeint sind subjektiven Krankheitstheorien]" Auswirkungen auf die 11 Com plian ce", also die Therapietreue der Patienten, haben (Birkner 2006, S. 159). Die redu zierte Rückmeldung auf die Nachfrage bezüglich des verordneten Präparats, sowie einer Theorie des Vaters die Diagnose betreffend, die scheinbar iden tisch mit der selbst ausgeschlossenen Erkrankung ist, legen nahe, dass sich eine Nichtbeachtung einer ausgeschlossenen Krankheitstheorie ebenfalls un günstig auf die Therapietreue auswirken kann. In diesem Fall wurde keine subjektive Krankheitstheorie, wohl aber eine Ausschlusstheorie dargelegt. In anderen Interaktionen werden jedoch sowohl subjektive Krankheitstheorien wie auch Ausschlusstheorien präsentiert. Ausschlussdiagnosen findet man im Analysekorpus nur in der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung. Dies kann durch Fragen nach bestimmten Symptomen erfol gen, bei denen die Eltern einen Abgleich mit einem bestimmten Krankheits bild annehmen, welches sie selbst ausschließen, oder nach prädiagnostischen Diagnoseoptionen sowie Ausschlussdiagnosen des Arztes, die durch die eige ne Ausschlusstheorie unterstützt oder angezweifelt werden. In den Fällen, in denen subjektive Ausschlusstheorien präsentiert werden, reagiert der Arzt entweder nur relativ knapp oder bearbeitet diese gar nicht, was sicherlich da mit zusammenhängt, dass diese in der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung offengelegt werden, in der der Arzt sich mit dem Patienten in eine Interaktionsdyade begeben hat und primär der körperlichen Untersuchung nachgeht (vgl. Schmitt 2012, S. 45 oder auch ten Have 1990, S. 107).
Subjektive Untersuchungsvorschläge
Da im Analysekorpus nur ein einziges Gespräch zu finden ist, in welchem dem Arzt ein Untersuchungsvorschlag dargelegt wird, kann auch nur dieser singuläre Fall beschrieben und auch keine Regelmäßigkeit daraus abgeleitet werden.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
Es kann festgehalten werden, dass dieser Vorschlag in der Phase vor der kör perlichen Untersuchung realisiert wird, was strukturell einleuchtend ist, da Vorschläge zur Untersuchung, die nach dem Abschluss der Untersuchung eingebracht würden, hochgradig facebedrohend (vgl. Brown/Levinson 1987,
S. 65ff.; Goffman 1967) sein dürften, da dem Arzt andernfalls faktisch unter stellt würde, er hätte die Untersuchung nicht gründlich genug durchgeführt. Folglich bleibt nur eine Präsentation vor der körperlichen Untersuchung. Die Mutter geht zudem auf diesen Vorschlag nicht gleich zu Anfang der Be schwerdenschilderung ein, sondern erst nach der Präsentation der Sympto matik sowie ihrer subjektiven Krankheitstheorie:
Fallbeispiel 53: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); BE (00:07.16-07:32.92); 00:30.57-00:53.45
015 M 14 un des HÄUFT sich halt-=JA,= 016 M 14 =un ich hab GSAGT-=
M 14 =SO,=jetz müss ma mal zum ARZT gehn-
M 14 weil so geht- s ja net auf dauer WEiter-=ne- 019 A 02 (0.31) hmHM;
020 M 14 ( .) geNAU-= 0 h
M 14 ( .) jetz DACHT ich ähm-
M 14 ( .) sie hat jetz ihre periüde seit nem halben jahr- 023 A 02 ( .) HMhm,
M 14 ( .) also kann ja dann einfach auch mit dem WACHStum zusammenhängen-=ne,
M 14 oh
A 02 hmHM,
M 14 ( .) WEISS net ts ähm-
M 14 (0.47) ob man BLUT untersuchen ( .) sollte-
M 14 oder oder oder vielleicht mal (en/äh) en Eisenwert; 030 (0.54)
031 A 02 [gu]ck mer
032 M 14 [+++ l
033 A 02 [EINS nach ]em ANdern; 034 M 14 [++++++ +++
035 M 14 ( .) HMhm;
036 (0.22)
M 14 ((lacht))
A 02 (0.28) WANN hat des angefangen-
Der Arzt hat mittels Rückmeldesignalen bisher die Mutter lediglich in ihrer Sprecherrolle bestätigt und auch auf die Darlegung der subjektiven Krank heitstheorie (Z. 021-024) produziert der Arzt nur ein zweigipfliges Rück meldesignal. Daraufhin setzt die Mutter an, um dem Arzt Vorschläge zu un terbreiten, welche Untersuchungen ihrer Meinung nach gemacht werden
könnten. Sie führt dies mit dem Diskursmarker WEISS net (Z. 027) ein, produ ziert dann ein Häsitationsphänomen und eine kurze Pause, bevor sie ihm den Vorschlag unterbreitet. Zuerst schlägt sie, nachdem sie auf ihr Nichtwissen - also ihren Laienstatus - verwiesen hat, recht allgemein eine Blutuntersuchung (Z. 028) vor, wobei sie zudem auch die verantwortliche Person für eine solche Untersuchung ausspart. Danach wird sie etwas konkreter, indem sie einen speziellen Wert vorschlägt, der bei der Untersuchung des Blutes möglicher weise besonders in den Blick genommen werden soll. Bei einer Blutuntersu chung würde auch ein Eisenwert bestimmt werden, aber die Mutter bringt diese durch die Konjunktion oder (Z. 029) sogar als zweite Option ein. Herab gestuft wird diese konkretere Nennung der Untersuchungsmöglichkeit durch die dreimalige Wiederholung der Konjunktion, die signalisiert, dass die Mut ter Schwierigkeiten bei der Realisierung des Vorschlags hat, sowie auch durch das mal, das vielleicht (Z. 029) und durch die Tatsache, dass sie den unbe stimmten Artikel verwendet, wenn sie von dem Eisenwert (Z. 029) spricht. Dieser Vorschlag ist, auch wenn das nicht mit kohäsiven Mitteln angezeigt wird, dennoch kohärent,110 denn ein Eisenmangel, auf den die Mutter hier sicherlich anspielt, obwohl auch ein zu hoher Eisenwert problematisch sein kann, kann eventuell mit der Menstruation zusammenhängen,111 welche die Mutter ja zuvor als mögliche Ursache für die Symptomatik beschrieben hat (Z. 022-024).
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Untersuchungsvorschläge
Der Arzt, der in dem Gespräch APEG_l4 sowohl nach der Symptompräsenta tion wie auch nach der Offenlegung der subjektiven Krankheitstheorie noch keine Anzeichen erkennen lässt, das Rederecht für sich in Anspruch zu neh men, meldet sich nun nach der Eröffnung des Untersuchungsvorschlags oder
-je nach Interpretation - der zwei Untersuchungsvorschläge zu Wort. Er sig nalisiert der Mutter, dass sie mit dem Untersuchungsvorschlag dem Hand lungsschema vorausgreift (Z. 033), bearbeitet diesen Vorschlag jedoch an die ser Stelle nicht weiter und beginnt nun damit, weitere Informationen zu den Symptomen zu erfragen, wodurch er den angemerkten Umstand zusätzlich unterstreicht.
110 Zu den Textualitätskriterien vgl. De Beaugrande/Dressler (1981, S. 3-14).oder auch Linke/ Nussbaumer/Portmann (2001, S. 215-229).
111 Vgl. https://www.ugb.de/eisenmangel-eisenbedarf/eisenmangel-eisenpraeparate/ (Stand: 20.8.2017).
Die Mutter geht daraufhin nicht noch einmal auf den subjektiven Untersu chungsvorschlag ein, aber der Arzt kommt in der Interaktion noch zweimal auf diesen zu sprechen. Das erste Mal erfolgt in der Handlungsschemakom ponente der körperlichen Untersuchung, nachdem er den Blutdruck der Pati entin gemessen hat, der als leicht erhöht identifiziert wurde:
Fallbeispiel 54: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); kU (07:52.81-17:44.35); 12:49.08-13:12.44
-
165 A 02 bist du AUFgeregt, 166 p 14 ( .) oh (0. 46) nee- 167 (0.46)
-
168 p 14 alSO: ( .) hm ein klein bisschen;
169 (9.67)
-
170 p 14 0 hh hh0 ( .) 0 hh
171 (0.57)
172 A 02 hundertVIERzisch-
173 A 02 (0.58) oh (0. 31) zu ACHzich;
174 (1.1 7)
175 A 02 ho
176 (1 .19)
177 A 02 oh (0. 21) habt ihr en blutDRUCKmessgerät da heim,
178 (0.37)
In der Handlungsschemakomponente der körperlichen Untersuchung erkun digt sich der Arzt vor der Mitteilung des Testergebnisses der gerade durchge führten Blutdruckmessung danach, ob die Patientin AUFgeregt (Z. 165) sei, und bittet die beiden Gesprächsbeteiligten anschließend, zukünftig den Blut druck regelmäßig zu messen (Z. 177ff.).
Nachdem die Gesprächsbeteiligten das Vorhandensein eines Blutdruck messgeräts festgestellt haben und auf verschiedene Faktoren das Gerät be treffend eingegangen sind, ordnet der Arzt diese einzelne Messung noch mals ein und kommt dabei auch auf den Untersuchungsvorschlag der Mutter zurück:
Fallbeispiel 55: APEG_14 (A-Pwll-M; ca. 33:44min); kU (07:52.81-17:44.35); 14:06:82-14:30.37
A 02 [mit dem WERT ]kann ich jetz-
M 14 [jaJA,
A 02 mit [diesem ]EINz[el ]nen wert [kann ich jetz ]nich viel anfangen;
M 14 [nee-
M 14 [ja; l
237 |
M |
14 |
|
[ja |
238 |
M |
14 |
j a, |
|
239 |
A |
02 |
ho |
|
240 |
XX |
|
oh |
|
241 |
A |
02 |
(.) da BRAUCH mer werte die ihr daheim immer mal wieder |
|
|
|
|
messt; |
|
242 |
A |
02 |
und dann [macht ]ihr mal ne LISte; |
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M |
14 |
[HMhm; ] |
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A |
02 |
wo ihr des aufschreibt-=ne. |
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A |
02 |
(.) dass wer einfach mal SEhen- |
|
246 |
A |
02 |
0h (1.03) ob des sonst ganz norMAL is un jetz halt nur |
|
|
|
|
hier in der praxissituation erhöht is- |
|
247 |
A |
02 |
des ist ja ganz häufig der FALL. |
|
248 |
M |
14 |
HMhm, |
|
249 |
A |
02 |
(0.22) ((schnalzt)) 0 h (.) vor allem wenn die mutter |
|
|
|
|
dann noch so sachen sagt wie man könnt ja mal BLUT |
|
|
|
|
abnehmen und so; |
|
250 |
A |
02 |
((lacht)) |
|
251 |
M |
14 |
((lacht)) |
|
252 |
A |
02 |
((lacht)) |
|
253 |
M |
14 |
geNAU; |
Der Arzt hebt hervor, dass die Messung des Blutdrucks in einer ungewohnten Situation - nämlich in der Praxis - bekanntermaßen oftmals zur Ermittlung falscher Werte führt (Z. 246-247), aber nach einer kurzen Pause kommt er auch auf die Frage zurück, die er der Patientin direkt nach der Messung des Blutdrucks gestellt hat, nämlich der Frage nach einer möglichen Aufregung (Z. 165). Er konstatiert, dass auch die Ankündigung möglicher Untersuchun gen durch die Mutter den Blutdruck nach oben getrieben hat (Z. 249).
■
■■
-A-
<§>
Kamera
Schreibtisch
Der Arzt beginnt mit der Äußerung (Z. 249) in dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzt (-A-).
Abb. 9 I Skizze des Behandlungsraums in APEG 14 während der körperlichen Untersuchung
■
-A'-
<§>
Kamera
Abb. 1 D I Skizze des Behandlungsraums in APEG _14 während der körperlichen Untersuchung'
Dabei läuft er - simultan zur Äußerung - um die Liege herum, wobei er die Mutter ansieht, bis er sich im Zenit des Laufwegs befindet. Dann orientiert er sich um, fokussiert den Punkt an, den er ansteuert und dreht sich dann, als er an der bestimmten Stelle steht (-A'-), erneut zur Mutter um, bevor er mit dem nächsten Untersuchungsschritt beginnt und sich dann wieder auf die Patien tin hin orientiert. Der Arzt identifiziert den Vorschlag der Mutter als eine der möglichen Ursachen für den Gemütszustand und damit den erhöhten Blut druck der Patientin. Damit identifiziert er den Vorschlag als möglicherweise zusätzlich kontraproduktiv für seine Untersuchung. Dabei geht er im Übri gen erneut nicht darauf ein, dass die Untersuchung - so wie auch die subjek tiven Krankheitstheorien - eigentlich im 11 Aufgaben- und Zuständigkeitsbe reich" (Spranz-Fogasy/Becker 2015, S. 100) des Arztes liegt. Selbst wenn hier dieRollenübernahmenichtthematisiertwird,wirddieFormulierungeinesUnter suchungsvorschlags dennoch als potenziell negativ dargestellt. Das Lachen des Arztes signalisiert hier auch eine potenzielle face-Bedrohung der Mutter, die ebenfalls mit Lachen reagiert, denn 11[ e ]igene Handlungen, die aus eigener und objektiver Sicht Verfehlungen sind, werden durch lachendes oder lä chelndes Sprechen als nicht so schlimm dargestellt" (Schwitalla 2001, S. 337). Schwitalla hebt daneben hervor, dass das Lachen verschiedene Funktionen haben kann und neben dem 11 Schutz des fremden Face" (ebd., S. 333f.) u.a. auch zum 11 Schutz des eigenen Face" (ebd., S. 336f.) eingesetzt werden kann. So ist das Lachen der Mutter an dieser Stelle einzuordnen. Anschließend fährt der Arzt mit der Untersuchung der Patientin fort.
Nachdem der Arzt die Phase der körperlichen Untersuchung beendet, die Patientin wieder auf dem Stuhl neben ihrer Mutter Platz genommen hat und der Arzt um den Schreibtisch herum zu seinem Platz läuft, geht er nun ein zweites Mal auf den einen Untersuchungsvorschlag ein, den er bereits in der Phase der körperlichen Untersuchung zitiert hat:
Fallbeispiel 56: APEG_14 (A-Pw11-M; ca. 33:44min); D (17:44.93-22:12.61); 17:44.93-18:07.45
001 |
A_02 |
°h BLUT nehmen wir heute keins ab; |
002 |
A_02 |
(0.99) und zwar deswegen weil FREItagnachmittag is; |
003 |
A_02 |
(1.3) freitagnachmittag haben die LAbors zu- |
004 |
M_14 |
HMhm, |
005 |
A_02 |
(0.29) wenn ich jetz blut abnehme dann steht des des ganze wochenende RUM; |
006 |
M_14 |
(.) hmHM, |
007 |
A_02 |
das macht das ergebnis nich BESser; |
008 |
M_14 |
MHmh, |
009 |
A_02 |
(0.44) °h (0.21) a:ber (0.51) wir nehmen BLUT ab, |
010 |
M_14 |
HMhm, |
011 |
A_02 |
°h (0.21) da muss sie aber noch MAL en termin ausmachen, |
012 |
A_02 |
(.) du einfach nur zum blutABnehmen kommst-=ja, |
013 |
P 14 |
(0.22) |
Bevor der Arzt noch auf die angenommene Diagnose eingeht, bearbeitet er, dass der Untersuchungsvorschlag der Mutter nicht bei der körperlichen Un- tersuchung berücksichtigt wurde. Bei der zweiten Bearbeitung des Arztes verweist er darauf, dass er zwar beabsichtigt, dem Vorschlag zu folgen, die äußeren Umstände dies aber verhindern, da ein FREItagnachmittag (Z. 002) für eine solche Untersuchung denkbar ungünstig sei (Z. 002/003). Anschlie- ßend wendet er sich an die Autorin dieses Vorschlags und verkündet ihr, dass die Patientin, von der er in der dritten Person spricht, hierfür einen erneuten termin ausmachen (Z. 011) müsse. Damit hat er ein weiteres Mal die Mutter adressiert, aber die Tochter als agierende Person ausgemacht (vgl. hierzu auch Kap. 8). Für die nächste Intonationsphrase wendet er sich, nicht nur mit- tels des Körpers, nun der Patientin zu, die er auch adressiert und ihr gegen- über den Grund für den weiteren Arzttermin nochmals explizit benennt (Z. 012). Die Mutter reagiert indes ebenfalls, indem sie sich zurücklehnt:
Nachdem die Mutter den Untersuchungsvorschlag nach der Symptompräsen- tation und der Offenlegung der SKT produziert hat, reagiert der Arzt nur inso- fern, dass er diesen Vorschlag als noch zu früh einstuft, aber ansonsten nicht weiter darauf eingeht. Während der körperlichen Untersuchung äußert er sich kritisch gegenüber der Realisierung dieses Vorschlags durch die Mutter, the-
matisiert jedoch ein weiteres Mal nicht die Rollenübernahme durch die Mut ter, sondern verweist auf den Eindruck, den diese Äußerung auf die Patientin gemacht haben könnte. Nach dem Abschluss der körperlichen Untersuchung greift er dann aber den Vorschlag der Mutter auf und signalisiert das erste Mal, dass er ebenfalls der Ansicht ist, dass diese Untersuchung noch unter nommen werden sollte, auch wenn diese im Rahmen dieses Sprechstunden besuchs nicht mehr durchgeführt werden soll.
Da es sich jedoch um einen singulären Fall in den aufgezeichneten Interaktio nen handelt und in den anderen Interaktionen des Korpus keine weiteren Un tersuchungsvorschläge präsentiert werden, kann nicht abgeleitet werden, wie Ärzte üblicherweise auf Untersuchungsvorschläge von Eltern oder Patienten eingehen.
Eltern haben sich im Vorfeld nicht nur bereits subjektive Krankheitstheorien überlegt, sondern sich auch häufig mit bestimmten Medikamenten auseinan dergesetzt, kennen Medikamente aus früheren Fällen, schließen auf bestimmte Maßnahmen oder Medikamente aus den bisherigen Ausführungen und haben auch in einigen Fällen Medikamente bereits im Vorfeld erfolglos eingesetzt. Diese Therapievorschläge werden zumeist nach der Diagnose oder im Rah men der Therapieplanung eingebracht, wenn der Arzt bereits Maßnahmen vorgeschlagen hat. Lediglich in einem Fall wird ein Therapievorschlag, näm lich der Therapievorschlag Dritter, zusammen mit der subjektiven Krankheits theorie schon in der Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilde rung präsentiert (vgl. Fallbeispiel 39).
In den 16 Interaktionen des Analysekorpus werden 15 Therapievorschläge geäußert, welche allerdings in acht Interaktionen realisiert werden. In fünf Gesprächen wird jeweils ein Vorschlag vorgebracht, in drei Interaktionen werden zwei und in einem Gespräch sogar fünf Vorschläge durch die Eltern aufgezeigt.
Verortung im Handlungsschema und Präsentation
Alle Therapievorschläge - außer dem Therapievorschlag Dritter -, welche ausschließlich durch die Eltern oder Großeltern eingebracht wurden, werden erwähnt, nachdem der Arzt die Therapieplanung eingeleitet hat.
So gibt es etwa Therapievorschläge, die auf Maßnahmen beruhen, die bereits im Vorfeld eingesetzt wurden, wie etwa bei APEG_l5, aber auch Maßnahmen, die zuvor bereits mit anderen Personen angedacht waren. Hier hat der Arzt die Therapieplanung vorgestellt, die verfolgt werden soll, bis die Untersuchungs-
ergebnisse vorliegen, woraufhin der Vater einen Therapievorschlag einbringt, der auf einem erfolgreich eingestuften Einsatz eines Mittels beruht:
Fallbeispiel 57: APEG_15 (A-Pm5-V; ca. 06:15min); Th (02:48.92-06:08.69); 04:47.73-05:39.97
082 |
A |
02 |
[0 h (.) und bis dahin nur SITZbäder |
|
083 |
V |
15 |
[HMhm- |
|
084 |
A |
02 |
(0.24) und mit [bepanthen ]EINcremen- |
|
085 |
V |
15 |
[BEpanthe:n- |
|
086 |
A |
02 |
DANN seh mer- |
|
087 |
A |
02 |
(.) sin da irgendwelche bakterien oder keime oder |
|
|
|
|
irgendWAS- |
|
088 |
A |
02 |
0h (0.22) u:nd dann äh: (0.77) müssen wer beSPRECHen |
|
|
|
|
(0.2) je nachdem wie wer [weitermac ]hen;=ne, |
|
089 |
V |
15 |
[alles KLAR- |
|
090 |
V |
15 |
(.) 0 h äh:m: (0.55) WAS ham wer genommen |
|
091 |
V |
15 |
wir ham BAbypuder (0.45) ge[habt- |
|
092 |
P |
15 |
[j a, |
|
093 |
V |
15 |
das hat er mal am Abend- |
|
094 |
A |
02 |
j [a, |
|
095 |
V |
15 |
[wo ]wo er ja gesagt hat es wär so GAN[Z sch]limm |
|
096 |
P |
15 |
[(ja) |
|
097 |
V |
15 |
[und][0 h ](0.29) DANN hab ich ihm babypuder gegeben |
|
098 |
A |
02 |
[j a, l |
|
099 |
A |
02 |
[oh |
|
100 |
A |
02 |
ja, |
|
101 |
V |
15 |
(.) und dann GING S |
|
102 |
V |
15 |
(.) [Oder, |
|
103 |
A |
02 |
[oh |
|
104 |
P |
15 |
HMhm, |
|
105 |
A |
02 |
0 h (.) kann man auch emal MAchen- |
|
106 |
A |
02 |
(0.52) ((schnalzt)) (.) b[eim pu]der is immer en |
|
|
|
|
bisschen PROble:m- |
|
107 |
V |
15 |
[ja- |
|
108 |
A |
02 |
(0.45) also auf der NACHT-= |
|
109 |
A |
02 |
=in der NACHT geht des ganz gut; |
|
110 |
A |
02 |
(.) T[A ]GSüber jetz bei dem WETTer- |
|
111 |
V |
15 |
[ja- l |
|
112 |
A |
02 |
°h (.) wenn der rumrennt und vielleicht SCHWITZT und |
|
|
|
|
[so ]ho, |
|
113 |
V |
15 |
[ja- l |
|
114 |
A |
02 |
°h (.) äh: dann sich (.) wenn sich der schweiß dann mit |
|
|
|
|
PUder vermischt des wirkt wie schmirgelsand; |
|
115 |
V |
15 |
(.) Oka[y- |
|
116 |
A |
02 |
[0 |
h ]also tagsüber würd ich des lieber NICH |
machen,
A 02 °h (.) so in der nacht wenn er im bett liegt is des oKAY,
V 15 HMhm,
A 02 aber tagsüber ( .) äh tagsüber lieber nur [ä ]h CREM.
V 15 [Okay- l
121 A 02 ( .) ne?
Der Arzt wiederholt die Empfehlung (Z. 082-084), die er vorher ausgespro chen hat, und kündigt an, dass nach dem besprochenen Zeitraum die Ursa chen durch das Labor bestimmt worden sein müssten und sie, wenn die Er gebnisse vorliegen, weitere Maßnahmen beschließen werden (Z. 086). Diese zukünftige Therapieplanung wird dabei als eine gemeinschaftliche Handlung projiziert. Der Vater ratifiziert diese Ausführungen mit [alles KLAR-] (Z. 089) und setzt dann an, mit einem eigenen Vorschlag, der bereits im Einsatz war, aber von dem bisher noch nicht berichtet wurde. Er geht darauf ein, dass sie mit babypuder (Z. 097) die Schmerzen lindern konnten (Z. 101). Diese Wirk samkeit lässt er sich dann - mit Hilfe des Frageanhängsels [Oder,] (Z. 102) - von dem Patienten bestätigen. Dieser Aufforderung kommt der Patient auch sofort nach und bestätigt die positive Wirkung des eingesetzten Puders (Z. 104). Diese Maßnahme muss nicht konkurrierend, sondern kann auch als ergänzende Maßnahme zur Disposition gestellt werden.
In APEG_06 wurde das Mittel zwar noch nicht eingesetzt, die Mutter be schreibt aber, dass dieser Therapievorschlag bereits im Vorfeld entwickelt wurde, und beruft sich dabei auch auf eine weitere - nicht näher bestimmte
Person, mit der dieser Vorschlag besprochen wurde:
Fallbeispiel 58: APEG_06 (A-Pw5-M; ca. 7:50min); Th (03:03.01-07:30.75); 06:36.39-06:54.51
158 |
A |
01 |
ich schreib ihnen noch die SCHWÄcheren zäpfchen auf;= |
159 |
A |
01 |
=da können sie auch nach VIER stunden schon eins |
|
|
|
geben;=[ne, |
160 |
M |
06 |
[HM ]hm, |
161 |
|
|
(2. 78) |
162 |
M |
06 |
und ibeROgast nich, |
163 |
A |
01 |
(0.48) BRIN[GT ni]ch[ts- |
164 |
M |
06 |
[da |
165 |
M |
06 |
[ne Je? |
166 |
A |
01 |
(2 .13) |
167 |
M |
06 |
hattn wer nämlich schon überlegt ob wir DIE schnell holn |
|
|
|
un- |
168 |
|
|
( 0. 43) |
169 |
A |
01 |
DES bringt überhaupt nichts |
170 |
|
|
( 1. 7) |
171 |
p - |
06 |
((stöhnt)) |
Auch in dieser Interaktion erfolgt der Therapievorschlag, nachdem der Arzt die Therapieverordnung nochmals zusammengefasst hat. Sie bringt nun noch ein weiteres Medikament ein, das vorher noch nicht Gegenstand der Therapiepla-
nung war. Durch die Beiordnung und (Z. 162) knüpft sie an die Verordnung zuvor an. Durch das nich, (Z. 162) bearbeitet sie bereits eine Dispräferenz des Arztes dem Medikament gegenüber. Durch die steigende Grenzintonation zeigt auch die Mutter in diesem Gespräch, dass sie diesen Therapievorschlag zur Disposition stellt.
In APEG_03 hat der Arzt die Therapieplanung ebenfalls bereits dargelegt und nochmals auf zwei Untersuchungsergebnisse verwiesen, die nicht dem ent sprechen, was durch die Medikamente erreicht werden soll:
Fallbeispiel 59: APEG_03 (A-Pw3-M/V; ca. 27:02min); Th-Teil 3 (15:18.37-26:56.62);
23:05.84-23:13.44
327 |
A |
01 |
0 (.) h (.) der sollte absoLUT [leer s]e |
|
328 |
V |
03 |
|
[kann- l |
in
329 V 03
330 A 01
kann man da v erNÄH:rungsmäßig was machen o[der ge]ht [des nur-]
[ 0 h l
331 |
A |
01 |
[ja KLAR |
332 |
A |
01 |
SCHLA[ckenarme ]kost |
333 |
V |
03 |
[+++ |
334 |
A |
01 |
des hab ich ihnen UNten [auch <<piano> auf]geschrieben >· |
335 |
M |
03 |
[ja:- |
Hier erkundigt sich der Vater danach, ob die Möglichkeit besteht, das vom Arzt beschriebene Ziel auch auf einem anderen Weg zu erreichen, nämlich, indem man die Ernährung der Patientin umstellt (Z. 329). Es muss jedoch nicht sein, dass er in diesem Gespräch den Therapievorschlag konkurrierend einbringt. Dieser Therapievorschlag wird als Frage realisiert, sodass für den Arzt die konditionelle Relevanz besteht, auf diese Frage zu antworten (vgl. Schegloff 2007). Indem er in Betracht zieht, dass nur die Verordnung des Arz tes verfolgt werden solle, bereitet er allerdings eine mögliche dispräferierte Reaktion vor.
In APEG_33 kündigt die Großmutter den Therapievorschlag sogar vorher an und bringt diesen nun konkurrierend oder zumindest als Maßnahme, die vor der von der Ärztin empfohlenen Therapieplanung erfolgen soll:
Fallbeispiel 60: APEG_33 (A-Pm4- V/G; ca. 13:42min); Th (04:11.85-13:34.75); 08:35.58-09:16.67
Ä 03 ( .) naTÜRlich nich [ja-
G- 33 [ich hab no]ch eine andere frage,=
G- 33 =bevor wir mit c[ortis]on losgehen ( .) könnte man V V so etwas wie mutter kind KUR (0.6) äh mal mach[en dass (so)-
212 |
Ä 03 |
[oh |
213 |
Ä 03 |
[((schnalzt)) KANN man ]machen-=ja- |
214 G 33
215 Ä 03
216 Ä 03
ja 0 h (.) des wäre vielleicht äh äh [äh ]bestimmt ratsam für IHN (.) 0 h denn wenn äh
[bestimm]te richtlinien (.) wir haben;
[ja-
[oh
217 G 33
218 Ä 03
219 Ä 03
220 G 33
221 Ä 03
((schmatzt)) 0 h [äh
[HMhm,
LERnen do[rt-
[HM ][hm,
](.) verHALtens [wei sen-
[oh
222 G 33
[ h ]dass man EINfach mal (.)
0
si[ch l
223 |
Ä |
03 |
[((schmatzt)) 0 h ](.) kann man MAchen- |
||
224 |
Ä |
03 |
das äh können sie bei ihrer krankenkasse beANtragen |
||
225 |
G |
33 |
HM[hm, |
||
226 |
Ä |
03 |
[+++ |
||
227 |
Ä |
03 |
0 h |
(.) ähm manchmal ham die krankenkassen |
|
bestimmte (.) ähm mutter kind häuser mit denen sie ZUsammenarbeit[en, ] |
|||||
228 |
G |
33 |
[H |
][Mhm, |
|
229 |
Ä |
03 |
|
[dann mü][ssen |
]wir so was |
|
|
|
AUSfülln- |
||
230 |
P |
33 |
[((hustet)) |
||
231 |
Ä |
03 |
[fragen ]sie ihre frau oder ihre tochter einfach mal [NACH-=]ne, |
||
232 |
G |
33 |
[HMhm? |
||
233 |
G |
33 |
[HMhm? ] |
||
234 |
Ä |
03 |
0 h |
(.) was man DA: |
|
235 |
G |
33 |
hm, |
||
236 |
Ä |
03 |
(.) und wir füllen des gerne AUS; |
||
237 |
Ä |
03 |
hat er sicherlich ne indikaTION für weil er [einfac][h jetz of]t krank i[s- |
||
G 33 [ja, l
V 33 [ HMhm,
240 G 33 [HMhm, ]
241 ( 0. 3)
242 Ä 03 ne-
An diesen Metakommentar (Z. 210) schließt die Großmutter mit einem schnel len Anschluss die Frage an, obgleich sie sich durch diese Ankündigung prinzi piell bereits das Rederecht für die Frage gesichert hat. Sie leitet die Frage nach dem Befürworten der Ärztineinermutter kind KUR (Z. 211) mit dem Hinweis ein, dass sie diese einer Kur mit c[ortis]on (Z. 211) vorziehen würde, obgleich das bisher verhandelte und vom Vater auch schon befürwortete Mittel über haupt kein Cortison enthält, was auch schon auf ihre eigene Nachfrage hin ver handelt wurde. Neben den Hochstufungen realisiert die Großmutter zwar auch Herabstufungen, durch die Verwendung des Konjunktivs, der Realisierung von Pausen, der Häsitationsphänomena, Abbrüchen und dem Hinweis darauf,
dass die vorgeschlagene Kur als eine Möglichkeit von mehreren dargestellt wird. Daneben wird der Therapievorschlag jedoch klar gegenüber anderen Me dikamenten in Opposition gesetzt.
In einigen Fällen werden Therapievorschläge als Fragen formuliert oder als Frage eingeführt bzw. eine Frage angeschlossen. Entweder wird hinterfragt, warum bestimmte Medikamente oder Arzneimittelgruppen nicht eingesetzt werden oder ob andere Maßnahmen nicht eventuell auch erfolgsverspre chend sein könnten. Andere Vorschläge werden sehr unmarkiert als Feststel lung eingebracht. In allen Fällen werden die Ärzte entweder durch die For mulierung, mittels Grenzintonation oder den Aufwand bei der Formulierung dazu aufgefordert, sich zu diesen Vorschlägen zu äußern. So wird z.T. darauf verwiesen, dass bestimmte Arzneimittel bereits erfolgreich eingesetzt wur den oder noch vorrätig sind. Wieder andere Vorschläge werden von der Dia gnosemitteilung oder der vorausgegangenen Therapieplanung abgeleitet. Obwohl die Eltern prinzipiell diejenigen sind, die die Therapievorschläge ein bringen, produziert im Analysekorpus auch einmal die ebenfalls anwesende Großmutter einen Therapievorschlag.
(Unmittelbare) Reaktion der Ärzte auf subjektive Therapievorschläge
In APEG_l5 reagiert der Arzt mit einer zurückhaltenden Zustimmung und gibt an, dass die beschriebene und schon eingesetzte Maßnahme auch emal (Z. 105) eingesetzt werden kann. Dass der Arzt an dieser Stelle jedoch nur eine eingeschränkte Zustimmung realisiert, signalisiert von Anfang an, dass der Arzt diesem Produkt in dem Zusammenhang eher kritisch gegenübersteht:
105 |
A |
02 |
0 h (.) kann man auch emal MAchen- |
106 |
A |
02 |
(0.52) ((schnalzt)) (.) b[eim pu]der is immer en bisschen PROble:m- |
107 |
V |
15 |
[ja |
108 |
A |
02 |
(0.45) also auf der NACHT-= |
109 |
A |
02 |
=in der NACHT geht des ganz gut; |
110 |
A |
02 |
(.) T[A ]GSüber jetz bei dem WETTer- |
111 |
V |
15 |
[ja- l |
114 |
A |
02 |
0 |
h (.) äh: dann sich (.) wenn sich der schweiß dann mit |
115 |
V |
15 |
PUder vermischt des wirkt wie schmirgelsand; (.) Oka[y- |
|
116 |
A |
02 |
[0h ]also tagsüber würd ich des lieber NICH |
117 A 02
118 V 15
machen,
112 |
A |
02 |
0 h (.) wenn der rumrennt und vielleicht SCHWITZT und |
|
|
|
[so ]ho, |
113 |
V |
15 |
[ja- l |
0 h (.) so in der nacht wenn er im bett liegt is des oKAY,
HMhm,
A 02 aber tagsüber (.) äh tagsüber lieber nur [ä ]h CREM.
V 15 [Okay-]
121 A O 2 ( . ) ne?
Er geht aber auch sofort darauf ein, warum der Einsatz nicht ohne Weiteres empfehlenswert ist, und unterscheidet dabei zwei Zeiträume, die für seine Antwort relevant sind. So ist ein Einsatz in der Nacht ganz gut (Z. 109) mög lich, was allerdings auch keine generelle Zustimmung bedeutet. Daraufhin stellt er den Negativfall vor, der vor allem am Tag, an welchem man aktiver ist als in der Nacht, und gerade im Zusammenhang mit den derzeitigen Tem peraturen eintreten kann (Z. 110). Diese Situation führt er näher aus, indem er auf eine typische Handlung, die von Kindern häufig ausgeführt wird, ein geht, die zur Folge hat, dass man SCHWITZT (Z. 112). Damit hat er den Ein wand gegenüber einer Anwendung dieses Produktes vorbereitet, da bei die sen Voraussetzungen ein Gemisch aus schweiß (Z. 114) und PUder (Z. 114) entstehen würde, welches die sowieso schon angegriffenen Hautpartien noch weiter reizen würde (Z. 114). Besonders plastisch wirkt diese Ausführung durch die Gleichsetzung dieses Gemisches mit schmirgelsand (Z. 114). In sei nem Resümee unterscheidet er, dass dies keine geeignete Maßnahme wäre, die am Tag eingesetzt werden solle, aber für die Linderung über die Nacht durchaus eingesetzt werden könne. Auch in der Wiederholung hebt der Arzt hervor, dass dieses Mittel nicht von ihm präferiert wird, auch wenn er angibt, dass dies auch emal (Z. 105) angewandt werden kann, zumal der Vater ja be reits angekündigt hat, dass es bereits vor dem Arztbesuch erfolgreich einge setzt wurde. Sein präferiertes Mittel wurde zuvor bereits erörtert. Folglich verweist er an dieser Stelle nur nochmals durch den Hinweis auf CREM (Z. 119) auf die von ihm empfohlene Therapieplanung.
Solche einschränkenden Zustimmungen findet man bei Fällen, in denen angegeben wird, dass Therapievorschläge zu einem späteren Zeitpunkt ein gesetzt werden können, wenn bestimmte Symptome abgeklungen, neue Sym ptome hinzugekommen sind oder diese Maßnahmen weder als schädlich noch als besonders hilfreich dargestellt werden.
Im Gegensatz dazu gibt es auch Therapievorschläge, denen der Arzt explizit widerspricht, wie dem Therapievorschlag der Mutter in APEG_06:
M 06 und ibeROgast nich,
A 01 (0.48) BRIN[GT ni]ch[ts-
M 06 [da
M 06 [ne Je?
Der Arzt reagiert ablehnend und bestreitet mit BRINGT nichts- (Z. 163) die Wirksamkeit des Medikaments im Zusammenhang mit der diagnostizierten Krankheit, führt die Ablehnung dann jedoch nicht weiter aus.
Dass Ärzte die Therapievorschläge der Eltern ablehnen, ist in sieben Fällen der 15 vorgebrachten Therapievorschläge des Analysekorpus zu beobachten. Die Ärzte reagieren jedoch nicht nur ablehnend auf solche Vorschläge. Es gibt auch Vorschläge, die unterstützt werden.
In APEG_33 etwa reagiert die Ärztin sofort mit Zustimmung auf den The rapievorschlag der Großmutter. Dies geschieht sogar simultan zur Äußerung der Großmutter, die noch zu einer Begründung für diesen Vorschlag ange setzt hat.
211 G 33 =bevor wir mit c[ortis]on losgehen ( .) könnte man V V so etwas wie mutter kind KUR (0.6) äh mal mach[en dass (so)-
212 |
Ä 03 |
[oh |
213 |
Ä 03 |
[((schnalzt)) KANN man ]machen-=ja- |
Die Ärztin reagiert auf die Frage der Großmutter, die diese nach ihrer Ein schätzung bezüglich einer Therapiemaßnahme gefragt hat, indem sie bestä tigt, dass diese von der Großmutter genannte Option verfolgt werden könnte (Z. 213). Nachdem die Großmutter die Begründung noch ausgeführt hat, setzt die Ärztin erneut an und zeigt die Zustimmung durch die wörtliche Wieder aufnahme ihrer ersten Reaktion von neuem an:
Ä 03 [((schmatzt)) oh l ( .) kann man MAchen-
Ä 03 das äh können sie bei ihrer krankenkasse beANtragen-
G 33 HM[hm, 226 Ä 03 [+++
Ä 03 oh ( .) ähm manchmal ham die krankenkassen
bestimmte ( .) ähm mutter kind häuser mit denen sie ZUsammenarbeit[en, l
G 33 [H l [Mhm,
Ä 03 [dann mü][ssen ]wir so was AUSfülln-
p 33 [((hustet))
Ä 03 [fragen l sie ihre frau oder ihre tochter einfach mal
[NACH-=]ne,
G 33 [HMhm?
G 33 [HMhm? l
Ä 03 oh ( .) was man DA:-
G 33 hm,
Ä 03 ( .) und wir füllen des gerne AUS;
Ä 03 hat er sicherlich ne indikaTION für weil er [einfac][h jetz of]t krank i[s-
G 33 [ja, l
V 33 [ HMhm,
G 33 [HMhm, l
241 (0.3)
242 Ä 03 ne-
Nach der Zustimmung geht sie zudem gleich auf die nächsten Handlungs schritte ein, die zu verfolgen sind, wenn dem Therapievorschlag der Groß mutter nachgegangen werden soll (Z. 224-236), und liefert schließlich selbst eine Begründung dafür, warum die vorgeschlagene Maßnahme auch ihrer Sicht nach sinnvoll sein könnte (Z. 237). Die Bereitschaft, diesem Vorschlag zu folgen, signalisiert sie durch die Wiederholung der Äußerung, dass sie die Familie bei den anstehenden Handlungen unterstützen will (Z. 229/236) und diese Unterstützung bei der Durchführung des Therapievorschlags auch ger ne (Z. 236) leisten wird. Zudem wird die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme her vorgehoben, da sie selbst zu einer Begründung ansetzt (Z. 237) und durch das Adverb sicherlich (Z. 237) die Sinnhaftigkeit auch hochstuft.
Dass dem Therapievorschlag ohne jegliche Einschränkung zugestimmt wird, findet man bei den 15 Therapievorschlägen nur dreimal, wobei in zwei Fällen durch den Arzt dargelegt wird, dass dieser von den Eltern eingebrach te Therapievorschlag auch einen Teil der Verordnung des Arztes darstellt und nur noch nicht präsentiert wurde. So verhält es sich auch bei APEG_03:
V 03 kann man da V erNÄH:rungsmäßig was machen o[der ge]ht [des nur- l
A 01 [oh l
A 01 [ja KLAR-
A 01 SCHLA[ckenarme l kost- 333 V 03 [+++
334 A 01 des hab ich ihnen UNten [auch <<piano> auf] geschrieben >·
335 M 03 [ja:-
Der Arzt reagiert noch simultan zur Äußerung des Vaters mit einer uneinge schränkten Zustimmung mit ja KLAR- (Z. 331). Dabei verstärkt das Adverb KLAR (Z. 331) die Zustimmung zum dargelegten Therapievorschlag dadurch, dass diese Theorie ohne Einschränkung unterstützt wird. Allerdings wird dieser Therapievorschlag damit auch herabgestuft, da dieser Vorschlag als 11 selbstverstän dlich" dargestellt wird. Der Arzt erörtert diesen Therapievor schlag des Vaters ferner nicht weiter, sondern nennt nur noch das Stichwort SCHLA[ckenarme ]kost- (Z. 332). Warum das Stichwort genügt, begründet er in der nächsten Intonationsphrase. Eine Verhandlung dieses Therapievor schlags ist deswegen unnötig, da diese Maßnahme bereits eingeplant, auf dem Therapiebogen bereits vermerkt worden und dort im Einzelnen nachzu lesen sei (Z. 334).
Die Therapievorschläge, die in der Regel die Eltern/Großeltern anführen, wer den von den Ärzten ausnahmslos bearbeitet. Obgleich diese Therapievorschlä ge zumeist explizit eingebracht werden, scheint die Art und Weise der Realisie rung dabei unerheblich zu sein, da auch unmarkierte Erwähnungen behandelt werden. Die Therapievorschläge werden in etwa der Hälfte der Fälle grundle-
gend abgelehnt, in fünf Fällen wird eine eingeschränkte Zustimmung produ ziert oder der Therapievorschlag etwas abgewandelt. Nur in drei Fällen findet eine uneingeschränkte Zustimmung durch den Arzt statt, wobei in zwei Inter aktionen darauf verwiesen wird, dass dieser Vorschlag ohnehin bereits ange dacht war.
In zwei Interaktionen bringen die Eltern einen abgelehnten Therapievorschlag erneut ein.112 In einem Fall findet dann eine nachträgliche Zustimmung des prä sentierten Therapievorschlags statt. In einem Fall betrifft dieser Vorschlag Be schwerden, die zusätzlich zu den Beschwerden, wegen derer der Arzt aufge sucht wurde, angeführt und durch den Arzt als nicht behandlungsbedürftig eingestuft wurden. Hier gibt der Vater an, die Beschwerden bereits mit Hilfe eines Tees zu behandeln. Dies wird erst nach der Wiederaufnahme dieser Er wähnung als eine Maßnahme behandelt, die fortgeführt werden kann.
In dem Erstkonsultationsgespräch APEG_06 wiederholt der Arzt nach der Elaborierung des Vorschlags jedoch seine Ablehnung:
162 |
M |
06 |
und ibeROgast nich, |
163 |
A |
01 |
(0.48) BRIN[GT ni]ch[ts |
164 |
M |
06 |
[da |
165 |
M |
06 |
[ne Je? |
166 |
A |
01 |
(2.13) |
167 |
M |
06 |
hattn wer nämlich schon überlegt ob wir DIE schnell holn un- |
168 |
|
|
( 0. 43) |
169 |
A |
01 |
DES bringt überhaupt nichts |
170 |
|
|
( 1. 7) |
Hier hat die Mutter ein Medikament erwähnt, das sie bisher nicht eingesetzt hat, aber von dessen heilender Wirkung sie in Bezug auf diesen Krankheits fall offensichtlich überzeugt ist. Bei Iberogast® handelt es sich zwar tatsächlich um ein Medikament für 11 Magen-Darm-Erkr ankungen", diese werden jedoch in der Packungsbeilage näher beschrieben als 11 funktionelle[n] und motilitäts bedingte[n] Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizmagen- und Reizdarmsyn drom sowie zur unterstützenden Behandlung der Beschwerden bei Magen schleimhautentzündung (Gastritis)". 113 Diese Beschreibung der zu behan delnden Erkrankungen zeigt deutlich, dass das Medikament für andere
112 In APEG_03 (Fallbeispiel 39) bringen die Eltern zwar zunächst eine Maßnahme ein, die auch zum Teil befolgt wurde, wobei sie dann die SKT dahinter benennen und im Ge spräch dann auch weiterhin aufgreifen. Der Arzt bearbeitet die SKT zunächst nur impli zit und geht erst zum Schluss explizit auf die SKT und die Therapieplanung ein.
113 www.iberogast.de/beipackzettel/index.html (Stand: 20.8.2017)
Krankheiten den Magen betreffend eingesetzt wird, nicht jedoch bei einem Magen-Darm-Infekt. Der Arzt reagiert auf diese Eröffnung des Therapievor schlages entsprechend seines Fachwissens, indem er bestreitet, dass das Me dikament in diesem Fall zu einer Heilung der Symptome beitragen könne. Er führt die Gründe dafür jedoch nicht aus. Die Mutter reagiert auf die Ableh nung überrascht und fragt mittels [ne]e (Z. 165) und einer stark steigenden Grenzintonation nochmals nach. Da der Arzt darauf nicht reagiert, berichtet sie von einer Überlegung, die im Vorfeld mit einer weiteren Person entwickelt wurde. Die Person wird jedoch nicht weiter benannt. Der entwickelte Plan sah vor, das durch den Arzt gerade abgelehnte Mittel zu besorgen und vermut lich einzusetzen. Dadurch, dass die Mutter erneut ansetzt und sogar noch eine weitere Person benennt, die ihre Einschätzung teilt, stuft sie diesen The rapievorschlag hoch und veranlasst den Arzt dazu, die getätigte Ablehnung nochmals zu wiederholen und dieses Mal noch etwas zu explizieren. Siebe zieht sich dabei zwar erneut auf das durch sie selbst eingebrachte und durch den Arzt abgelehnte Mittel, referiert aber nur mit einer Proform darauf. Auch der Arzt nennt das Mittel nicht, sondern referiert ebenfalls nur mit einer Pro form darauf und wiederholt dann seine Ablehnung gegenüber der Therapie planung. Die wörtliche Wiederaufnahme verstärkt er noch durch das Adverb überhaupt (Z. 169). Verbal reagiert die Mutter auf diese neuerliche Ablehnung nicht mehr und blickt weiterhin in dieselbe Richtung.
Während dieser Sequenz gibt es keinerlei Blickkontakt zwischen den Ge sprächsbeteiligten. Der Arzt schüttelt simultan zur Ablehnung (Z. 163 und 169) energisch den Kopf, blickt aber nicht von der Patientenakte auf, während die Mutter ihn weiterhin ansieht. Die Patientin hat den Kopf auf die Lehne des Stuhls gelegt und blickt wie die Mutter in die Richtung des Arztes.
Q
Da der Gesichtsausdruck der Mutter in dieser Sequenz nicht erfasst wurde, kann auf das Ausbleiben einer weiteren Reaktion der Mutter nicht weiter ein gegangen werden.
Therapievorschläge der Eltern werden in der Regel durch den Arzt bearbeitet. In zwei Fällen kommt es zu einer Wiederaufnahme, die alle nach der Ableh nung der Therapieoption erfolgen. In einem der Fälle gesteht der Arzt dem Vater schließlich zu, den bisher schon eingesetzten Tee auch weiterhin zu ver-
abreichen. In dem anderen Fall erneuert der Arzt seine Ablehnung. In ande- ren Fällen, wie etwa APEG_15 (vgl. Fallbeispiel 57) wird der Grund der parti- ellen Absage bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahme erläutert, doch im APEG_06 wird nicht darauf eingegangen, warum das vorgeschlagene Medi- kament nicht förderlich sein wird. Auf die ablehnende Reaktion des Arztes findet nochmals eine Hochstufung des Vorschlags durch die Mutter statt. Der Arzt stuft daraufhin auch seine Absage hoch, führt aber weiterhin keinen Grund an, warum dieses Arzneimittel nicht einzusetzen sei.
In den wenigsten Fällen entsprechen die Diagnosen den subjektiven Krank- heitstheorien, die im Vorfeld durch die Eltern aufgestellt wurden. Nicht bear- beitete subjektive Krankheitstheorien können sich - wie oben bereits festge- stellt - negativ auf die Compliance von Patienten und Eltern auswirken (vgl. Birkner 2006, S. 159). In den Fällen, in denen die subjektiven Krankheitstheo- rien gleich bearbeitet werden, werden die subjektiven Krankheitstheorien später nicht mehr von den Eltern aufgegriffen und es finden sich keine Signa- le, die auf eine Non-Compliance der Patienten oder Eltern schließen lassen. Ähnlich wie mit unbearbeiteten subjektiven Krankheitstheorien verhält es sich auch mit Nachfragen oder Ausschlussdiagnosen, die durch die Ärzte nicht (ausreichend) bearbeitet werden. Hierauf reagieren die Eltern häufig mit Wiederholungen ihrer Theorien, der Reduktion von Rückmeldesignalen, Widersprüchen, der Angabe von Zweifeln sowie mit Nachfragen bezüglich der Diagnose, der Therapie, der Ausschlussdiagnosen oder der prädiagnosti- schen Mitteilungen. In einigen Gesprächen gab es auch Reaktionen der Ärzte auf eine mögliche Non-Compliance der Eltern. So produzieren die Ärzte wäh- rend der körperlichen Untersuchung Onlinekommentare, prädiagnostische Mitteilungen sowie Ausschlussdiagnosen (vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 30; siehe auch Heritage/Stivers 1999). Werden subjektive Krankheits- theorien häufiger vorgebracht oder hochgestuft, werden diese in der Regel dann zu einem späteren Zeitpunkt durch den Arzt bearbeitet, außerdem wird auch dann eine mögliche Non-Compliance mitunter explizit angesprochen. Untersuchungsvorschläge wurden bis auf einen einzigen Fall keine weiteren festgehalten, sodass hierzu keine Aussage getroffen werden kann. Vorschläge die Therapieplanung betreffend gab es jedoch einige. In etwa der Hälfte der Fälle haben die Ärzte diese unterstützt oder einschränkend befürwortet. In der anderen Hälfte der Fälle wurde der Vorschlag grundlegend abgelehnt. Dies geschah zumeist mit einer Begründung. In zwei der Fälle wurden die Vorschläge nochmals wiederholt und hochgestuft, jedoch nur in einem Fall zeigte diese Wiederholung eine Variation hinsichtlich der Empfehlung des Arztes. Im Falle der Therapieoptionen, die von den Eltern und der Großmut- ter eingebracht wurden, lässt sich beobachten, dass diese alle sofort durch die
Zwischenfazit 225
Ärzte bearbeitet wurden. Wurde die Ablehnung durch die Ärzte begründet und nicht nur auf ihre Nutzlosigkeit hin zurückgewiesen, wurden die Vor schläge auch nicht mehr aufgegriffen. Nur bei einer grundlegenden Absage ohne Erklärung wurden diese erneut angeführt.
In der Arbeit wurde zuerst in einem knappen Literaturüberblick (Kap. 1) her- ausgearbeitet, wie mannigfaltig die medizinischen Interaktionstypen und die Analysen triadisch-pädiatrischer Daten sind, weswegen die Daten aus der pädiatrischen Praxis mit triadischer Beteiligungsstruktur auch nur bedingt mit anderen medizinischen oder anderen pädiatrischen Daten vergleichbar sind (vgl. Winterscheid 2015a). Daran anschließend erfolgte die Darstellung der methodischen Vorgehensweise (Kap. 2) und der Datengrundlage (Kap. 3) sowie eine erste quantitative Analyse der erhobenen pädiatrischen Gespräche (Kap. 4). Aufgrund der bei der Sichtung und der durch die quantitative Ana- lyse gewonnenen Erkenntnisse, wurden bereits einige Beobachtungen bezüg- lich der Beteiligung festgehalten, aber auch schon verschiedene Parameter ausgemacht, die für die Länge sowie die Beteiligung der Patienten ausschlag- gebend sein könnten. Zum einen konnte festgehalten werden, dass die Inter- aktionen, an denen eine Ärztin beteiligt war, deutlich länger dauerten als die Interaktionen, an denen ein Arzt teilnahm. Daneben konnte angenommen werden, dass auch die Beschwerden sowie die Bearbeitung von subjektiven Krankheitstheorien einen Einfluss auf die Dauer der Gespräche hatten und der Stellenwert einer solchen Bearbeitung bereits vermutet wurde. Die Betei- ligung der Gesprächsbeteiligten wurde dann im Rahmen der quantitativen Analyse für die einzelnen Handlungsschemakomponenten näher untersucht. Dabei zeigte sich einerseits, dass die Beteiligung der Patienten abhängig von den Handlungsschemakomponenten und damit den Handlungsaufgaben im Rahmen dieser zu- oder abnimmt, aber auch, dass Interaktionen, in denen die Patienten im Rahmen der Handlungsschemakomponente der Beschwerden- schilderung und Beschwerdenexploration einen höheren Redeanteil auf- weisen, sich dadurch auszeichnen, dass die Redebeteiligung der Patienten insgesamt höher ist und die Patienten sich auch in den späteren Handlungs- schemakomponenten mehr einbringen. Dies wurde in den nachfolgenden Kapiteln an der Beispielanalyse einer Kernphase einer Interaktion (vgl. Brin- ker/Sager 1996, S. 94) sowie an zwei Interaktionen, die auffällig sind, heraus- gearbeitet. Anhand der Einzelfallanalyse einer Kernphase eines triadisch-pä- diatrischen Gesprächs (Kap. 5), welche sich notwendigerweise nach einer quantitativen Analyse aufdrängte, wurde u.A. gezeigt, dass zudem eine De- taillierung des Handlungsschemas medizinischer Kommunikation für die tri- adische Interaktion in der Kinderarztpraxis aufgrund der „gesplittete[n] Ge- sprächspartnerschaft mit unterschiedlichen Ansprechpartnern und komple- mentären Sequenzierungsaufgaben“ (Spranz-Fogasy/Winterscheid i.Ersch.; vgl. Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013) vorgenommen werden muss, was im Anschluss der Beispielanalyse ausgeführt wurde (Kap. 6). Außerdem wurden im Rahmen der Beispielanalyse einige Aspekte beleuchtet, die als auffällig
228 Resümee und Ausblick
eingestuft wurden, wie etwa die Adressierung in dieser besonderen Kommu- nikationssituation oder auch erneut die Relevanz der Bearbeitung von subjek- tiven Krankheitstheorien; diese Aspekte wurden über das gesamte Korpus hinweg untersucht und die Ergebnisse in den Kapiteln 8 und 9 präsentiert. Zunächst wurde jedoch den Einflüssen auf die Redebeteiligung der Patienten nachgegangen. Hier stellte sich heraus, dass die Patienten sich nicht mehr aktiv am Gespräch beteiligen, wenn die Eltern die Beschwerdenschilderung erst einmal übernommen haben. Um dies zu verdeutlichen, wurden zwei In- teraktionen mit maximalem Kontrast (Kap. 7) näher betrachtet und Unter- schiede insbesondere in Bezug auf die Handlungsschemakomponente der Beschwerdenschilderung und Beschwerdenexploration sowie die Folgen für die weitere Interaktion herausgearbeitet. In den zwei folgenden Kapiteln wurden dann spezielle Phänomene (die Adressierung in der triadisch-pädia- trischen Interaktion (Kap. 8) sowie Initiativen der Eltern - inklusive der sub- jektiven Krankheitstheorien - (Kap. 9)) bearbeitet, die vor allem auch mit der besonderen Situation und den Rollen der Gesprächsbeteiligten zusammen- hängen. Zunächst wurden in Kapitel 8 die Aufforderungen der Ärzte in Bezug auf die Übernahme der Beschwerdenschilderung untersucht. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass Aufforderungen, mit der Beschwerden- schilderung zu beginnen, in den meisten Fällen nur dann von den dazu auf- geforderten Patienten bearbeitet wurden, wenn diese klar als Aufforderungen oder Fragen formuliert waren sowie ausdrücklich an sie adressiert wurden. Wurden Fragen oder Aufforderungen an beide Parteien adressiert, war eine Adressierung unklar oder die Aufforderung/Frage nicht explizit, so reagier- ten zumeist die Eltern. Ebenfalls reagierten die Eltern nur, wenn Aufforde- rungen direkt an sie gerichtet wurden, was jedoch nur einmal vorkommt. Gespräche, in denen hinsichtlich der Aufforderung zur Beschwerdenschil- derung eine Korrektur der Adressierung vorgenommen wurde, wurden zum Teil durch die Eltern und zum Teil durch die Patienten selbst bearbeitet.
Sator und Gülich haben festgestellt, dass bei Arzt-Patient-Interaktionen
mit Familiendolmetscher
häufig alle am Gespräch beteiligten Parteien überfordert sind: die PatientInnen, die trotz geringer Deutschkenntnisse versuchen, sich verständlich zu machen, und die zum Gesprächsgegenstand werden, über den entschieden wird, die dolmetschenden Familienangehörigen, denen die Aufgabe der Dolmetschung übertragen wird, obwohl ihnen die dazu notwendige Neutralität und Dol- metschkompetenz fehlt, und die ÄrztInnen, die trotz sichtbaren Bemühens um eine gute Verständigung unter den derzeitigen Bedingungen im Gesundheits- wesen an Grenzen stoßen. (Sator/Gülich 2013, S. 410)
Auch wenn die von Sator und Gülich untersuchten Gespräche eine große Ähnlichkeit mit den untersuchten Interaktionen aufweisen, ließ sich eine sol- che Überforderung in den erhobenen Kinderarztgesprächen nicht feststel-
len. 114 In den aufgezeichneten Interaktionen gehen die Ärzte routiniert mit diesem Interaktionstyp und der damit einhergehenden - aber auch alltägli chen - Beteiligungsstruktur um. Hier handelt es sich um die Normalformei nes Arzt-Patient-Gesprächs beim Kinderarzt, wenn drei Gesprächsbeteiligte anwesend sind. Dennoch gibt es auch Phänomene, die nur aus dieser Beteili gungsstruktur resultieren, wie die Auswirkungen einer frühen Übernahme der Beschwerdenschilderung durch die Eltern auf die Beteiligung der Patien ten, da diese sich nur sehr selten selbstinitiativ zu Wort melden und auch nur noch sehr einsilbig auf Fragen reagieren, wenn die Eltern die Beschwerden schilderung einmal übernommen haben. Dies hängt auch zum Teil mit der Aufforderung der Ärzte zum Gesprächsbeginn zusammen. Auf die Beteili gung der Eltern wie der Patienten kann durch den Arzt z.B. auch durch Fra gen etwas regulierend eingegriffen werden; daneben konnte eine Analyse der ärztlichen Fragen auch verdeutlichen, dass es bestimmte Fragen gibt, die of fensichtlich in den Zuständigkeitsbereich des Patienten und andere, die in den Zuständigkeitsbereich der Eltern fallen (vgl. Kap. 8.2 und auch Quasthoff 1990). Die Ärzte stellen die Fragen folglich abhängig vom erfragten Inhalt zumeist an einen bestimmten Gesprächsbeteiligten. Dies hängt mit der von den Ärzten verfolgten 11 Präferenz für Antworten" (Stivers/Majid 2007, S. 426) sowie der epistemischen Autoriät (vgl. Heritage/Raymond 2005) zusammen. Nur ein paar wenige Fragen wurden in den verschiedenen Interaktionen an die eine oder andere Partei gerichtet. In diesen Fällen muss dann auch der Kontext berücksichtigt werden. Weiterhin wurde gezeigt, was Namensnen nungen, die Verwendung des kollektiven Wirs, aber auch Mehrfachadressie rungen leisten können und diese tatsächlich eine 11 Entlastung" für die Ge sprächsparteien darstellen können (Fischer 2000, S. 127): Bei diesen Analysen stellte sich heraus, dass gerade Namensnennungen dann eingesetzt wurden, wenn sichergestellt werden sollte, dass die gewählte Partei antwortet oder wenn eine andere als die gerade aktive Partei zum Sprechen aufgefordert werden soll. Die Verwendung des kollektiven Wirs ließ sich bei allen drei Par teien feststellen und zog jeweils eine Aktivierung einer der Parteien nach sich. Die Mehrfachadressierung erwies sich beispielsweise als strategisch geschick tes Mittel, um bestimmte Punkte (nochmals) faceschonend (vgl. z.B. Goffman 1994, S. 17ff.) einzubringen. Im neunten Kapitel wurden verschiedene Initiati ven der Eltern und Großeltern genauer betrachtet. Solche Initiativen der El tern oder der Großeltern ließen sich in nahezu allen Interaktionen ausmachen. Diese Tatsache, aber auch dass nicht bearbeitete subjektive Krankheitstheori en, Ausschlussdiagnosen und ohne Begründung abgelehnte Therapievor schläge 11 im Hintergrund wirksam" (Spranz-Fogasy/Winterscheid 2013, S. 22) sind, die Dauer des Gesprächs beeinflussen und sich negativ auf die Compli-
114 Van Dulmen (2004) hat an ihren untersuchten Daten allerdings ebenfalls eine Überforde rung der Ärzte mit der triadischen Kommunikationssituation festgestellt.
230 Resümee und Ausblick
ance der Eltern bzw. der Patienten auswirken können (vgl. Birkner 2006,
S. 159), wenn diese nicht zeitnah bearbeitet werden, verdeutlichen die Not- wendigkeit einer Bearbeitung dieser Initiativen durch den Arzt. Ob eine sol- che Bearbeitung positiv oder negativ ausfällt, ist dabei im Übrigen unerheb- lich, solange eine ausreichende Bearbeitung stattfindet. Gleichzeitig konnte aber auch dargelegt werden, dass die Bearbeitung der Initiativen der Eltern durch den Arzt sowohl von der Präsentation wie auch von dem Zeitpunkt abhängt, in dem die Theorien präsentiert werden.
Das Material ist sehr reich an verschiedenen untersuchenswerten Phäno- menen. In dieser Arbeit wurden zunächst die augenscheinlichsten berück- sichtigt. Dabei sind jedoch einige auch sehr spannende Aspekte nicht (elabo- riert) berücksichtigt worden, wie etwa die Art und Weise von Reparaturen oder Korrekturen der einzelnen Gesprächsbeteiligten in Abhängigkeit von Reparierendem und des Reparandums, was hier nur sehr knapp ange- sprochen werden konnte. Ebenfalls interessant sind bestimmte Formulie- rungsmuster, aber auch die Funktion der Diskursmarker in diesem Interak- tionstyp. Die Übergänge innerhalb der verschiedenen Handlungsschema- komponenten wären ebenfalls untersuchenswert. Bestimmte Handlungs- schemakomponenten, wie die Therapieplanung oder die körperliche Unter- suchung, wurden darüber hinaus bisher in den Studien zur medizinischen Kommunikation noch sehr stiefmütterlich behandelt und sind ebenfalls sehr facettenreich und interessant (vgl. Nowak 2010, S. 342; vgl. Spranz-Fogasy/ Winterscheid i.Ersch.). Selbst wenn Aspekte der epistemischen Autorität hin und wieder aufgegriffen wurden, könnten diese auch noch stärker im Fokus einer Arbeit stehen. Die quantitative Analyse hat zwar ergeben, dass sich nicht etwa die jüngeren Patienten eher zurückhalten und sich die älteren Pa- tienten intensiver ins Gespräch einbringen, aber sicherlich gibt es markante Unterschiede in der Antwortqualität innerhalb der jeweiligen Altersgrup- pen. Dies müsste man dann auch anhand des jeweiligen Krankheitsbildes bestimmen und näher untersuchen, da sich auch die jeweiligen Beschwerden innerhalb der verschiedenen Interaktionen stark voneinander unterscheiden, wie etwa äußerlich auftretende Hautphänomene, wie ein Hautausschlag, der eventuell noch nicht einmal Schmerzen bereitet, und Schmerzen, die zwar nicht sichtbar, aber für die Patienten deutlich wahrnehmbar sind, wie Kopf- oder Bauchschmerzen. In Abhängigkeit der zu beschreibenden Sym- ptome und des Alters der Patienten könnte man demnach die Antworten der Patienten untersuchen und überprüfen, ob es in diesem Zusammenhang einen Unterschied in dem Antwortverhalten der Patienten in Bezug auf ihr Alter gibt.
Erhoben wurden neben den Erstkonsultationsgesprächen auch U-Unter- suchungen, in denen ebenfalls regelmäßig Problemdarstellungen stattfinden. Ein Vergleich dieser im Rahmen von U-Untersuchungen vorgebrachten Prob- lemdarstellungen mit den Beschwerdenschilderungen in den Erstkonsultati- onsgesprächen, die ja ausschließlich wegen der Beschwerden arrangiert wur- den, wäre ebenfalls äußerst interessant, da die Problemdarstellungen jeweils ganz anders präsentiert werden.
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FOLK. http://agd.ids-mannheim.de/folk.shtml (Stand: 21.9.2017). FOLKER. http://agd.ids-mannheim.de/folker.shtml (Stand: 21.9.2017).
GAT 2 Handbuch. http://agd.ids-mannheim.de/download/cgat_handbuch_ version_1_0.pdf (Stand: 21.12.2016).
Griseo. https://www.apotheken-umschau.de/Medikamente/Beipackzettel/griseo---ct- 125mg-Tabletten-3758401.html (Stand: 21.9.2017).
Iberogast. www.iberogast.de/beipackzettel/index.html (Stand: 21.9.2017).
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„Merkblatt zur Herbstmilbe - Erreger der Trombidiose" (2004): www.tll.de/ainfo/ pdf/milb1004.pdf (Stand: 21.9.2017).
Pharmazeutische Zeitung. www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=42282 (Stand: 20.8.2017).
ANHANG I: ÜBERSICHT ANALYSEKORPUS
In terak tion |
D au er (ca. m in) |
G esp räch s- b eteiligte |
B esch w erd en |
D iagn ose |
APEG_02 |
11:15 |
A_01 Pm11 V |
verschiedene Beschwer- den; hauptsächlich Schmerzen beim Luft- holen, Magen-Darm- Beschwerden, Schmer- zen beim Laufen etc. |
Interkostal- neuralgie |
APEG_03 |
27:02 |
A_01 Pw3 M/V |
Einnässen, Einkoten, Probleme mit den Erzieherinnen |
plötzliches Zusammenziehen der Muskeln |
APEG_04 |
07:09 |
A_02 Pw9 V |
beim Schlucken Beschwerden im Hals- und Ohrbereich |
grippaler Infekt |
APEG_06 |
07:50 |
A_01 Pw5 M |
Bauchschmerzen und Erbrechen |
Magen-Darm- Infekt |
APEG_08 |
04:30 |
A_01 Pw8 V |
belegte Zunge, Jucken der Augen und Erschöpfungszustand |
Bindehautent- zündung (möglicherweise durch Allergie hervorgerufen) |
APEG_09 |
06:16 |
A_02 Pw7 M |
Ausschlag |
Ringelröteln |
APEG_13 |
05:43 |
A_01 Pw5 M |
Hautirritation, die sich verändert hat |
vermutlich Grasmilben |
APEG_14 |
33:44 |
A_02 PW11 M |
wiederkehrende Kopfschmerzen, die mehrere Tage dauern |
vermutlich Migräne |
APEG_15 |
06:15 |
A_02 Pm5 V |
Jucken am Po |
- |
APEG_16 |
02:45 |
A_02 Pm5 M |
Veränderungen der Bissstelle nach Zeckenbiss |
Entzündung |
APEG_17 |
05:11 |
A_02 Pw9 M |
Kopfschmerzen |
Virusinfekt |
APEG_30 |
15:07 |
Ä_03 Pw6 M |
Ohrenschmerzen |
Entzündung |
APEG_31 |
11:45 |
Ä_03 Pw5 M |
heftige Hustenanfälle/ trockener Husten |
Kehlkopf- entzündung |
APEG_32 |
07:34 |
Ä_03 Pw7 M |
Bauchschmerzen und Brennen beim Wasserlassen |
Magen-Darm- Infekt |
APEG_33 |
13:42 |
Ä_03 Pm4 V/G |
Husten und Halsschmerzen |
Entzündung |
APEG_34 |
11:56 |
Ä_03 Pw6 M |
Fieber und Kopfschmerzen |
grippaler Infekt |
ANHANG II: VERWENDETE TRANSKRIPTIONSZEICHEN
(siehe cGAT-Konventionen in der Version 1.1 (Schmidt/Schütte/Winterscheid i.Ersch.) basierend auf den GAT-2-Konventionen (Selting et al. (2009))
des geht gelech |
Gesagtes wird so notiert, wie es realisiert wurde; dabei wird Kleinschreibung verwendet. |
BAUCHweh; |
Großschreibung ist für Fokusakzente reserviert; hier wird jeweils die ganze Sprechsilbe groß geschrieben. |
GRIseo ce te hundertfünfundzwanzig |
Buchstaben, Abkürzungen, Zahlen etc. werden ausgeschrieben. |
mach mer |
Klitisierungen (Verschleifungen) werden mit Unterstrich („_") dargestellt. |
äh ähm |
Häsiationsphänomene werden so notiert, wie sie auch realisiert wurden. |
(war/da) (denn/dann/damit) |
Alternativlautungen werden mit einfachen runden Klammern und Schrägstrich notiert. |
(.) <<piano> (am rücken) (.) ((unverständlich)) ZEckenbiss >- |
Vermuteter Wortlaut wird in einfachen Klammern notiert; Unverständliches in doppelten runden Klammern. |
ja [++++++ ]aber trotzdem es [((hustet)) ] |
Ein unverständliches Wort mit zwei Silben wird mit 2 x 3 Kreuzen dargestellt; „+++" entspricht einer Silbe. |
((lacht)) (.) ((Lachansatz)) ((schnieft))
(.) |
Beschreibungen werden in doppelten runden Klammern notiert.
Mikropausen, also kurze Pausen unter 0,2 Sekunden, werden mit einfachen runden Klammern und einem Punkt dargestellt. |
(1.23) |
Längere Pausen werden gemessen. Der exakte Wert in Sekunden wird in einfachen runden Klammern notiert. |
Anhang 249
°h h° °hh hh° °hhh hhh° |
Hörbares Ein-/Ausatmen bis zu 0,5 Sekunden Dauer wird mit einem „h" und einem „°" davor (für Einatmen) und einem „°" danach (für Ausatmen) notiert; zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden Dauer wird „hh" notiert und bis zu einer Sekunde Dauer „hhh". |
fr[anziska hat ]BAUCHweh; [((stöhnt)) ] |
Eckige Klammern zeigen an, an welcher Stelle eine Simultanpassage beginnt und wann diese endet. |
äh: JA (.) da- neGAti::v:- |
Dehnungen werden mit Doppel- punkten notiert; bis 0,5 Sekunden wird ein Doppelpunkt, zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden werden zwei und über 0,8 Sekunden werden drei Doppelpunkte notiert. |
<<gedrückt> hm JA >- <<geflüstert> WIEso >- <<lachend> NICH so gut >; |
Beschreibungen der Art und Weise werden mit Spitzklammern notiert; zudem wird angezeigt, worauf sich die Beschreibung bezieht. |
was gibt s für proBLEme. (1.11) beim SCHLUcken- (.) DA: hab ich immer so: was- (0.35) °h (.) so was komisches im OHR und hier auch im hals; [be ]im SCHLUcken? [...] |
Tonhöhenbewegungen am Ende von Intonationsphrasen: „?" wird für eine stark steigende, „," für eine steigende, „—" für eine gleichbleibende, „;" für eine fallende und „." für eine stark fallende |
[tut] s im hals WEH? (.) °h JA, |
Grenzintonation notiert. |
nö;=des s NORmal- is es wieder en bisschen geKOMmen;=gell, |
Vorlauf- und Nachlaufelemente werden mit „=" angehängt und in derselben Zeile wie die vorausgegangene/folgende Intonationsphrase notiert. |
(.) im OHR weh;= =in BEIden ohren, |
Latching (schneller Anschluss) wird mit zwei „=" angezeigt, die nach der vorausgegangenen Intonationsphrase und vor der schnell angeschlossenen Intonationsphrase notiert werden. |
TRIADISCH-PÄDIATRISCHE KOMMUNIKATION IN DER KINDERARZTPRAXIS
In Studien zu pädiatrischer Interaktion wird immer wie- der die niedrige Redebeteiligung der jungen Patient/innen, deren Leiden in den ärztlichen Gesprächen verhandelt werden, herausgestellt. In einigen triadisch-pädiatrischen Erstkonsultationen, die sich in mehreren Punkten signi- fikant von dyadischen Erstgesprächen unterscheiden, ist allerdings die Beteiligung der Patient/innen deutlich hö- her. Eine Kombination aus quantitativer und konversati- onsanalytischer Untersuchung von Erstkonsultationen in der pädiatrischen Praxis zeigt, dass der Aufforderung zur Beschwerdenschilderung dabei eine entscheidende Be- deutung zukommt, weswegen der Formulierung beson- dere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Doch die herausfordernde Situation birgt nicht nur Stolpersteine, sondern kann auch von allen Interaktionspartner/innen als strategisches Mittel eingesetzt werden. Eine interaktive Relevanz haben überdies elterliche Initiativen. An meh- reren Beispielen wird gezeigt, welche erheblichen Kon- sequenzen eine Nicht-Bearbeitung oder eine nicht ausrei- chende Bearbeitung für die jeweilige Interaktion hat.
ISBN 978-3-937241 -59-3